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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.01.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990112025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899011202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899011202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-12
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G»«kschlä«» und Vefisttaich: vlekteljkhrltch O,^-. Dir« et« »gliche KranzdmidiendunD »M »«»I«»: monatlich u4 Gl, vioegen-A^Sgab« «rschettlk1* '/,? Uhr, », »b«d^l«rg仫 »och,»»»» »'N b Uhr. Ledittttö» »ud EkVedMou: -<ha»»e»O«sfe 8. DtrVk-rdktimr ist Wocherttag» ««»»terhrocha» Öffnet vo» früh 8 bi» «beud» 7 Uhr. Fttklein Vtt» Klewm'S Vortt«. (Alfred Haha^ UniversitLtSskraße 3 (Oaulinu»), s»t» s-stho, K»tbovi««str. 14, P«t. «rd KöuiLkplatz 7, Abend-Ausgabe. DipngerTageltlM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes «nd Nolizer-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnzeigeaPreks (le S gespaltme Prtff-eift Sv Aß. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 p— spalte«) 50^, »ar »en Aamiliennachrichtr» (8 gespalten) 40/H. GrSßere Schritte« laut unserem Preis« verzetchaiß. Ladellanscher und Ziffernsatz »ach höhere« Laris. Grtra-AeNu^n tgefal»t), nur mit de, Morgen.«aSoabr, ,h»e Postbesörderune ^l 60.—. mit Postbesörderung 70.—. Annatzmeschluß fir Iu)eigen: Nb end-Ausgabe: vornffttsgr 10 Uhr. Norgea-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Ailtalru und Annahmestelle« j« ein« halb« Stunde früher. Au»eigen Pud stet» an di« Grpetzttta» zu richten. Druck und Verla» vo» E. Pol^ in Leipzkch A. Donnerstag den 12. Januar 1899. 83. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Januar. Kein Zweifel, die gestern und vorgestern im Reichstage erfolgte Beantwortung der Interpellation über die angebliche Aleischnath hat aufklarend gewirkt. Die gestrige Reichstags« Verhandlungen haben den Eindruck deS ersten Tage- lediglich bestätigt »ad nebenher der durch Herrn Stolle vermittelst fa lscher Einfuhr» und PrriSziffern ihre Sache führenden Social demokratie eine empfindlich« Niederlage gebracht. Durchaus unbetheiligte, weder durch Äuterefse noch durch Parieileiden schaft beeinflußte Personen und Körperschaften haben da» Vorhandensein einer, wenn nicht allgemeinen, so doch weit verbreiteten Fleischnoth angenommen und sind jetzt eines Anderen belehrt. Mit der bemerkenswerthen, aber die Zuverlässigkeit der anderen Angaben nicht beeinträchtigenden Ausnahme der Regierungen der Hansastädte stimmen alle deutschen Staatsverwaltungen darin überein, daß die vorgrbrachtrn Klagen über Fleisch- theuerung im Allgemeinen und zumeist auch im Besonderen unbegründet sind. ES besteht örtliche Verschiedenheit in den Preisen, was bei einem in so vielgestalteten Formen gehandelten Artikel, wie Schlachtvieh e- ist, nicht auSbleiben kann. Da und dort, am wahrscheinlichsten in München, mag die Grenzfperre eine Aewisse vertheuernde Wirkung äußern, aber eine künstliche Preishochhaltung durch Händler-, gelegentlich auch Fleischerringe, macht sich jedenfalls auch fühlbar. Der auf die Behauptung der Seuchenfreibeit ver Importländer gestützte Ansturm gegen die Sperre ist siegreich abgeschlagen und der Berliner Magistrat, der in einer Petition vow 3V. September vorigen Jahres gesagt hatte, insbesondere in Holland herrsche keine Seuche, während im „Rrich»««zeiger" vom 4. September bekannt gegeben war, daß in de« vorauSgegangenen Monat in den Nieder landen 3208 Fälle von Maul- und Klauenseuche zur Anzeige gebracht worden wären, hat sich eine kaum geringere Beschämtrag zugezogen, als der Abgeordnete Fischbeck, der Deutschland wegen Bruche« der Handelsverträge denuncirte und sich vom LaudwirthschaftSminister deswegen sagen lasten mußte, er sei ausländischer al« das Ausland, denn keine einzige fremde Regierung habe sich über die von deutscher Seite ergriffene» veterinärpolizeilichen Maßregeln beschwert. Richtig ist, daß neben der auf Productionsverhältnifsen beruhenden enormen Verminderung des Schasfleisch- verbrauckS auch der Consum von Schweinefleisch zurück gegangen ist. Die Vertheuerung dieses Produktes, die aber auch keine allgemeine ist, erklärt sich hauptsächlich durch voranSgegaagene außergewöhnlich niedrige Preise, namentlich im Jahre 1880. Dafür ist aber der Verbrauch von Rind fleisch, allerdings auc^ der von Pferdefleisch, ganz bedeutend gestiegen, und zwar wird der Mehrbedarf von dem Ver- hältniß der Bevölkerungsvermehrung weit überholt. Die Preise deS Rindfleische« si»d hier gestiegen, dort gefallen, überall »her — und da« ist di« der demokratischen Behauptung ent gegenstehende wichtigste Feststellung — überall hat das Angebot die Nachfrage befriedigt. Bon einer „Fleischnoth" kann also ehrlicherweise nicht mehr gesprochen werden. Ebensowenig von einer allgemeinen Entbehrlichkeit der Sperre gegen Seuchen. ES ist unbestritten geblieben, daß di« deutsche Landwirthschaft seit fünfzehn Jahren um die Summe von etwa 325 Millionen Mark durch verseuchtes Vieh geschädigt worden ist, ein Verlust, der durch seine die Kaufkraft vermindernde Wirkung jedenfalls auch die städtische, die Arbeiterbevölkerung, mitgetroffen hat. Die strengsten Maßregeln gegen die Seuchenverschleppung ! entsprechen ohne Zweifel den Interessen der gesammtenj Bevölkerung. Es zeigt sich dies namentlich darin, daß die! bester gegen Seuchenverluste geschützte einheimische Viehzucht sehr bedeutende Fortschritte in der Production nach der qualitativen wie nach der quantitativen Seite hin macht. Für fast alle Reichstbeile stellen die Regierungen eine erhebliche Steigerung der Viehzucht, insbesondere auch der Schweinezucht, fest. Für un« ist e- doppelt bemerkenSwerth, daß nach dem Bericht der sächsischen Regierung die heimische Landwirthschaft in außerordentlich steigendem Maße an der Versorgung der sächsischen Jndustriecentren mit Rind- und Schweinefleisch bethciligt ist. Man muß von einem Vieh importeur oder von den socialdemokratischen und freisinnigen Hetzern um seinen gesunden Menschenverstand gebracht worden sein, wenn man den Vortheil leugnet, der den deutschen Industriearbeitern daraus erwachsen ist, daß das von ihnen genossene Fleisch von Inländern reproducirt wird, die den Erlös zum guten Theil wieder in deutschen Industrie erzeugnissen anlegen. Dieser Ansicht ist vermuthlich auch bas Centrum, das sich als solches nicht hat vernehmen lassen. Der klerikale Abg. Stephan-Beuthen, der die Sperre an der schlesisch-russischen Grenze bedauert hatte, mußte am Schluffe der Besprechung erklären, daß er nicht im Namen seiner Fraction gesprochen habe. Daß der gestern von uns mitgetbeiltc Erlaß -er öster reichische« Regierung an die Grenzbezirksämtcr, der diese anweist, Material zu erfolgreichen Reclamationen wegen „conveationSwidrigen" Verhaltens der deutschen Regierung in Bezug auf die Ausweisung erkrankter Oesterreicher zu sammeln, gestern im Reichstage nicht zur Sprache gebracht worden ist, erklärt sich, wie es scheint, nicht nur daraus, daß das Aktenstück dem größten Theile der Abgeordneten bei Beginn der Sitzung noch nicht bekannt war, sondern auch daraus, daß selbst die eingefleischtesten Gegner der Veterinär- und Ausweisungs politik der Regierung erkannten, es sei mit diesem Mate rial nichts auszurichten. Bemerkt doch sogar die „Voss. Ztg." zu dem Erlasse: „Der Erlaß des österreichischen Ministers des Innern ist am 21. September, also mehrere Woche» vor dem Tage ergangen, an dem Graf Tbun im Wiener Reichsrathe drohte, die Ausweisungen österreichischer Unterthanen aus Deutschland mit der Ausweisung deutscher Staatsbürger aus Oesterreich beantworten zu wollen. In jener, durch ihren Inhalt, wie durch ihre Form nicht wenig auf fälligen Rede ist jedoch mit keinem Worte der Ausweisung kranker Oester reicher gedacht worden, und daher darf wohl geschlossen werden, daß es den böhmischen Grenzämtern nicht gelungen ist, das von dem Grafen Thun als Minister de- Innern geforderte Material zu br- schaffen. Dann aber ist auch die Annahme berechtigt, daß kranke Oesterreicher nicht „in mehrfachen Fällen" abgeschoben worden sind, wenn auch vielleicht einzelne Mißgriffe bedauert werden muffen. Die Eisenacher Convention ist also nicht verletzt worden und ebensowenig der Geist der Menschlichkeit, der nicht gestattet, daß Fremde vertrieben werden, sobald sie der Gemeiudecasse zur Last fallen können. Aber wenn der österreichische Erlaß auch jedes thatsächlichen Untergrundes entbehrt, so ist er doch von großer politischer Bedeutung, da er uns zeigt, welche Strömungen zur Zeit die Wiener Politik beherrschen. Gerade Wege« dieser „großen politischen Bedeutung" de» Erlasses wird er selbstverständlich im Reichstage beleuchtet werden müssen. Es dürfte sich aber empfehlen, fo lange mit dieser Beleuchtung zu warten, bi- der StaatSsecretair de» Jnnern in der Lage gewesen ist, über die etwa auf deutscher Seite vorgekommenen einzelnen Mißgriffe und ihr Ursachen sich genau zu informiren. Bekanntlich pflegen sich auch innerhalb Deutschlands die Gemeinden «. s. w. nicht gern Uber die gesetzliche Pflicht hinaus mit Kranken ausgaben zu belasten, sondern Kranke, sofern ihr Zu stand ,es erlaubt, den zuständigen Stellen zuzuschieben. Daß man an der böhmischen Grenze sich darum reißen sollte, tschechische Kranke über die gesetzliche Pflicht und über daS Maß der jenseits der Grenze an deutschen Kranken geübten Pflege hinaus zu verpflegen, ist ebensowenig zu verlangen, wie die willfährige Aufnahme von nur angeblich kranken Landstreichern und Bummlern in deutsche Krankenhäuser. ES ist daher von Wichtigkeit, festzustellen, auf weicher RechtS- basiS die auf deutschem Gebiete erhobenen und zurückgewiesenea Forderungen um Aufnahme in Krankenhäuser standen und wie jenseits der Grenze deu durch die Eisenacher Convention festgelegten Verpflichtungen nachaekommen wurde. Erst eine solche Feststellung wird die volle politische Bedeutung drS ErlasseS erkennen lassen. In Ungar« ist man uun glücklich bei der Einleitung von Compromißverhandlungen zwischen der liberalen Re gierung und den oppositionellen Parteien angelangt. Sie werden von Szilagyi, Graf Csaky und Graf Julius Andrassy geführt, die einerseits mit Banffy, andererseits mit den Parteien der Opposition verhandeln sollen. Der Glaube an daS Gelingen dieser Verhandlungen ist freilich auf allen Seiten gering. Die erste Bedingung der Opposition zur Ein stellung der Obstruktion ist der Rücktritt deSgrsammten Cabinets. Das Recht der Krone, einzelne Mitglieder der jetzigen Regierung, mit Ausschluß natürlich deS verbüßten Minister präsidenten Baron Bauffy, auch in daS neue Cabinet zu über nehmen, wird nicht bestritten, aber es wird verlangt, daß auch dieses die Bedingungen der Opposition annebmen soll. Die Opposition ist bereit, das Budget und daS AuSgleichS- provisorium auf ein halbe- Jahr anzunehmen. Auch nach Ablauf dieses Zeitraums will die Opposition den Aus gleich nicht verhindern, falls dieser in Oesterreich ver fassungsmäßig ru Stande kommt. Einen Ausgleich, der in Oesterreich auf Grund deS tz. 14 zu Stande kommt, will die Opposition nicht annehmen. Sollte der Ausgleich in Oesterreich verfassungsmäßig nicht zu Stande kommen können, dann soll abermals das ungarische SelbstverfüguuzS- recht in Kraft treten, nach dem die wirthschafllichen Be ziehungen auf Grund eines selbstständigen Vertrages geregelt werden. In diesem Falle würde Oesterreich-Ungarn dem Auslande gegenüber nach Ablauf der bestehenden Handels verträge keine zollpolitische Einheit mehr sein. Der Minister des Aeußern müßte die Handelsverträge mit dem Aus land für Oesterreich und Ungarn gesondert abschließen. Die Opposition fordert ferner die Reform des Wahlgesetzes, die Ausdehnung deS Wahlrechtes durch Herabsetzung und Unificirung deS WahlcensuS, eine WahlgerichtSbarkeit und eine Verschärfung des Jncomptabilitätsgqsetzes und die Auf hebung des Systems der officiellen Candibaturen. Die Auf stellung dieser Bedingungen trüben die Aussichten auf das Zustandekommen eines friedlichen CompromisseS natürlich in hohem Maße, denn sie gefährden die staatliche Einheit der Monarchie, zu bereu Zerstörung die Krone die Hand un möglich bieten kann. Sie hat ohnehin in den letzten zehn Jahren den ungarischen Separatisten viel zu viel nachgegeben. Die Franzosen haben mit einem Schlage alle von außen sie bedrohenden Gefahren vergessen, für sie eristirt augenblick lich wieder nur die TrchftlSoffgtre und zwar in ihrem neuesten Acte: „Schilderhebung QueSnay de Beaurepaire'S für die Armee und daS Vaterland", denn der gewesene Kammerpräsident des CaffationshofS fährt mit seinen „Ent hüllungen" fort und vermißt sich, den Nachweis zu führen, daß die mit der Einleitung des Revisionsverfahrens betrauten Richter der obersten Justiz Frankreichs im Dienste der Partei des LandeSverrälhers stehen und verlangt eine neue Zusammen setzung deS Gerichtshöfe«. Heute berichtet man unS über diese neueste Sensation: * Paris, 12. Januar. (Telegramm.) Beaurepairr der- öfsentlicht im „Echo de Pari«" einen Artikel mit der Ueberschrist: „Ein Appell an di« Deputirtea", in dem er anSführt, eine neue Untersuchung sei nothwendig, und zwar müsse dies« der Criminal- kammer aus der Hand genommen werden, damit, wenn es schuldige Richter gebe, diese ausgemerzt und dein Richtrrstande sein Jahr- Hunderte altes Ansehen wiedergegeben werde. Beaurepaire verlangt, wie gestern, daß die Zuständigkeit mit rückwirkender Kraft abgeüadert werde, indem man ollen zu einem Gerichtshof vereinigten Kammern Les Cassation-Hofes Kenntniß des ganzen Processes giebt. Beaurepairr schließt mit dem An-drucke seines lebhaften Be dauerns, daß er gewisse Richter, di» der Armee feindlich ge- sinnt seien, compromittirt habe, und rühmt die Osficiere, die bereit seien, für das Vaterland zu sterben. „Menn ich habe dazu beitragen können", sagt Beaurepairr, „sie für die erlittenen Beschimpfungen zu rächen, so werde ich es nicht bedauern, meine Unabhängigkeit so theuer verkauft zu haben." Erreicht Beaurepairr was er will, nämlich daß nicht die Strafkammer allein, die er für parteiisch erklärt, sondern der ganze CassativnShof über die Revision urtheitt, tso rechnet er entweder darauf, daß die Majorität des gefammtcn EafsationShofS militairfrommer ist als die Majorität der Strafkammer, fo daß die Revision ver worfen würde; oder aber er erreicht eine unendliche Verschleppung de» RevisionSprocesseS, denn da die nicht der Strafkammer angehörigen Mitglieder des CassationShofe« (der ganze Caffationshof zählt 48, die Straf kammer 16 Mitglieder) den bisherigen Proceßverhaodlungen nicht beigewohnt haben, so müßten diese Verhandlungen vor dem gesammtrn CassationShofe wiederholt werden; inzwischen würden die Generalstäbler schon wiederein anderes Auskunfts mittel ersinnen. Wird aberdicForderung Beaurepaire'S nicht er füllt, bleibt also die Straffammer mit der weiteren Führung des ProceffeS betraut, daun können die Generalstäbler immer noch sagen: „Die Richter der Straffammer sind parteiisch; ein Richter des CaffationshofeS selbst hat eS gesagt und be wiesen!" Beaurepaire'S Behauptungen möge« noch so nichtig und läppisch sein, sie werden von der stupiden Menge schwer lich als solche erkannt, wenn man ihnen den lebendigen Richter vorstellt, der die Sache des Generalstabes vertheidigl und seine Coüeaen der Parteilichkeit beschuldigt, und sie werden eS um so weniger, da der Justizminister Lebret, wie man un- meldet, beschlossen bat, eine Untersuchung über die „neuen" von Beaurepairr vorgebrachten „Thal sachen" einzuleiten, womit er jenen „Enthüllungen" einen Sj Onkel Wilhelm's Käste. Roman von A. vouderElbe. NaLdruck vrrbotui. Als der Leser mit dem Briefe zu Ende war, warf er ihn zornig auf den Lisch. Wilhelm'« Vorschlag muthete ihn an wie ei« Beleidigung. Er war doch nicht ehrlos wie Jener, brauchte sich nicht in einen Winkel zu verkriechen und mit dem von der Gesellschaft AuL-estoße«en gemeinsame Sache zu machen! So iveit tonnte «S doch noch nicht mit ihm gekommen sein. Seine Eitelkeit, fei» Stolz litte« empfindlich. Ihm, Peter Alexander, dem Majoratsherrn, diese Zumuthung! Al» er, von ärgerlichen Gedanken bestürmt, schweigend vor sich hinfiarrte und eine Ecke des Briefbogens auf- und abbog, fragte Kurt, der den Erregten gespannt anssh: „Darf ich den Brief lesen, Papa?" Rufieberg schob seinem Sohne das Blatt mit unmuthiger Bewegung hin «nd murrte: „Thu's — viel Freude dabei." Nella rückte zum Bruder heran und dieser las halblaut des Onkel» Einladung vor. „Gott Lob!" rief Nella, als Kurt geendet hatte, „der erste mögliche Plan!" „Ja, endlich etwas Positives", sagte der junge Mann er leichtert. „Pah", machte der Baler, „Ihr wißt ja von nichts." „So ganz unbekannt ist mir die alte Geschichte denn doch tficht «blieben", rief Kurt entschiede«, „man hat allerlei Traditionen in OffieierSkreiftu. Allein wenn Onkel Unrecht ge habt hat, so ist di« fatal« Sache doch nachgerade verjährt und sein freundliches Entgegenkommen nach Deinem ablehnenden Ver fahren anerkeunenswerth." Nella nickt« dazu und meinte: „Ich denke es mir sehr nett auf dem Nupebrrge." „Gebe hin, wer mag", murrt« der Vater, dann fuhr er wirren Blickt» in dir Höhe. „Ist ja noch gar nicht auSgemacht und — Ettviß, daß die Papiere — wirklich — aus immer — verloren find/ Mn der den Geschwistern schon bekannten hastigen Ärberde schritt er in» Hau». Die Zurückbleibenden sahen sich traurig an. „Dos ewige Euchen reibt ihn auf", seufzte Kurt. „Er sollte e» doch endlich lassen. Ist doch jeder Winkel mehrmals durchstöbert. Man muß sich abfinden und weiterdenken." Im Saale hatte die Musik aufgehört, die Knaben trugen ihre Geigenkasten fort und Feldhaus trat auf die Veranda zu den Beiden hinaus. „Kommen Sie, Doctor", empfing ihn Kurt, „setzen Sie sich zu uns und lesen Sie diesen Brief. Er ist vom einzigen Bruder unseres Vaters, einem armen Schelm und wunderlichen Kauz, aber der Onkel thut sein Möglichstes. Wegen eines Ehrenhandels, den er refiisirte, mußte er abgehen und wurde von aller Welt und auch von seiner Familie in die Acht erklärt. Nun will er, wenn Noth sein sollte, uns sämmtlich aufnehmen, ein rührender alter Knabe! Ich weiß. Sie theilen unsere Sorgen und sehen vielleicht wie wir, hier einen Lichtpunct." „Ein gutherziger, alter Mann", sagte Feldhaus, das Blatt, das er überflogen hatte, niederlegend. „Aber wird es für Sie möglich sein, da zu leben?" Sein angstvoller Blick richtete sich auf Nella. „Seien Sie unbesorgt, ich lebe allerorten gern, wo ich Papa und die Jungen leidlich aufgehoben sehe. Und auf dem Lärche wird es, denk' ich, eher für uns gehen als in der Stadt." Kurt erhob sich, um nach dem Vater zu sehen, dessen ver wirrtes Gebühren ihn stets beunruhigte. Manchmal gelang e» ihm doch, den Verstörten auf andere Gedanken zu bringen. FeldhauS und Nella gingen miteinander durch den Park. Der junge Lehrer war unbefangener geworden und bewegte sich weniger steif. Das Vertrauen, das dre Geschwister ihm be zeigten, gab ihm ein ermuthigendes Gefühl der Dazugeh'örigkeit. Wie gern wollte er das verdienen und fcsthalten. Er, der Vereinsamte, hatte endlich hier, bei diesen Menschen, die er an fänglich hoch über sich zu sehen glaubte, herzlichen Anschluß und die Stellung eines berathenden Freundes gefunden. Und nie und nirgends hatte er sich so lebhaft gewünscht, Freund" sein zu dürfen, wie hier. Das Unglück, das diese vom Glück Bevorzugten getroffen, machte sie für sein« Theilnahme, seinen Rath und Zu spruch zugänglich. Er kam ja aus der Sphäre, in der man mit deS Lebens Noth kämpft, er wußte, wie es thut, arm zu sein und allerorten Schranken zu fühlen. Und sie, die Groß gewöhnten, sollten uun aus ihrer sorgenfreien, lichten Hohe in diesen engen Dunstkreis herabsinken. Wenn er dieses noch von keiner Widerwärtigkeit berührte holde Mädchen ansah, hielt er eS für unmöglich, daß sie arbeite« und sich abmühen könne. ES war eine Ungerechtigkeit des Schicksal», Solche» zu verhängen! Und wie bereitwillig, fast freudig, war sie zu dem Schwersten erbötig, was über sie kommen könnte, wenn sie nur im Stande sein würde, den gebeugten Vater und die jungen Brüder vor Noth zu bewahren. „Meinen Sie nicht, Herr Doctor, daß Onkel Wilhelm's Brief ein rechter Trost ist?" fragte sie jetzt, an seiner Seite nachdenklich dahingehend. „Es scheint mir «ine Zuflucht, eine Möglichkeit, wenn sich nichts Anderes findet." „Ach, es wird da ganz schön sein. Wir helfen Alle, wir greisen zu, um von dem armen Onkel nicht zu viel anzunehmen. Unten in Neustadt ist eine Rector«!, da können Peter und Paul zur Schule gehen, cs scheint mir Alles gut für uns zu passen." „Sie sind immer hoffnungsvoll — Sie kennen noch keine Schwierigkeiten." „Ist das nicht gut?" „Ja, aber —" „Ach, Sie mit Ihrem Aber! Man muß den Kopf nicht hängen lassen. Immer munter durch!" „Für einen Mann — für meine Person habe ich das an erkannt, aber Si« —" „Ich fühle ja tief genug das Schreckliche des Bevorstehenden. Aber warum wollen Sie, daß ich seufzen und duckmäuserig sein soll?" Er sah sie mit einem langen, warmen Blick an, bevor er noch die Lippen öffnen konnte, rief sie: „Ach, ich weiß schon, ein Mädchen ist in Ihren Augen von Wachs, eine Puppe, zu nichts Vernünftigem zu gebrauchen. Na, ich hoffe doch, Ihnen noch einmal das Gegenthril zu beweisen!" „Mißverstehen Sir meine Sorge für Sie nicht. Von Gering schätzung ist kein Atom dabei." So tapfer Nella dem Freunde gegenüber erschienen und im Grunde auch war, so tief und schmerzlich empfand sie doch alle Pein und Sorge ihrer jetzigen Lage. Sie wußte, daß Kurt und Feldhaus sich bald von ihr trennen würde«, daß dann auf ihren Schultern die Verantwortung lasten werde, für Pater und Brüder zu sorge«: drei Unmündige! Immer bestimmter drängte sich ihr die traurige Uebtrzeugung auf, daß der Vater den craffen Umschwuna aller seiner Lebens verhältnisse nicht ungetrübten Geistes überstehe» werd«. Man könnt« ihn noch nicht ganz unzurechnungsfähig nennen, er er schien Fremden noch immer al» der feine, vornehme Man« von gewinnenden Formen, der er stet» gewesen war. Alttin krank hafte Züg« von Verwirrung des Urtheil» von seltsamem Thun traten täglich deutlicher hervor. Er war mißtrauisch, erregt, magerte mehr und mehr ab, glaubte, man gebe ihm nicht genug Ehre, und hielt sich überzeugt, die verlorenen Documente noch zu finden. So war er schwer zu beeinflussen und zu lenken. Kurt gelang dies am besten, deshalb durfte er auch nicht an eigene In teressen denken, bevor er den Vater in eine andere Lage gebracht hatte. Er ließ einen Arzt kommen, der, ohne daß der Vater ihn als solchen erkannte, den Kranken beobachtete und sich sehr ernst über dessen Zustand aussprach. Die Kinder zitterten, daß etwas wie zornige Widersetzlichkeff beim Verlassen des Schlosses ausbrechen möge. Und — sie spra chen es nicht aus, aber sie fürchteten Wahnsinn. Deshalb empfan den si« es auch als Unmöglichkeit, daß die Tochter ihn verlasse. Unter dem Druck mannigfacher Sorgen und Bekümmernisse wehrte Nella sich gegen das Scheideweh, das sie doch in jeden: Augenblicke überfiel. Die Commission zur Uebernahme, die mit voller juristischer Strenge zu Werke ging, war schon im Schlosse thätig, es wurde gekramt, hin und her gerückt, hier und da ein Raum unter Siegel gelegt. Kurt wich nicht von des Vaters Seite und müht« sich, den Finsterblickenden, der nirgends Ruhe fand, zu begütigen. Nachdem Nella es abgelehnt, Feldhaus und die Brüder hru:c zu begleiten, hatte sie unter Fräulein Weiermann's Beistand einige Koffer mit Wäsche, die ihrer Mutter gehört und die ihnen ver bleiben mußten, eingepackt, und dann war sie, ermüdet und be wegt, in den Park geeilt, um ein ruhiges Stündchen zu finden. Bi» in die Kastauienallee, di«, d«n weiten Park abschließend, sich an der Hinteren Mauer hinzog, hatte es sie getrieben. Hier war sie auf ein« von Gebüsch umschattete Bank gesunken und barg nun, tief ausseufzenv, das Gesicht in den Händen. Ja, sie war muthig, sie wehrte sich nicht gegen die harten Forderungen des Lebens, aber würde sie können, was nöthig war? Würde es nicht ihre Kräfte übersteigen? Und was sollte au- ihnen werden? Wohin, o, wohin? Der Vater hatte noch immer nicht «ingewilligt, nach dem Rustebergr zu gehen. Der freundliche Brief Onkel Wilhelm's war von Kurt und ihr voll Dankbarkeit beantwortet worden. Sie hatten einstweilen die Einladung angenommen, wa» blieb ihnen ander» übrig? ES war ja di« höchste Zeit, sich zu entscheiden, und Kurt mußte im letzten Augenblick Mittel und Wege finden, des Vaters Zustimmung zu dem nothwe«digen Schritt zu er langen. Nella blickte aus schmerzlichem Rachfinnen auf. Wie schön war eS doch hier in der geliebten Hermath, die für sie es nicht bleibe» sollte. Ein goldener Spätherbst-Nachmittag. Die Blätter schimmer ten in allen Farben, vom leuchtenden Gelb bis purpurnen Roth, mit frischen, grünen Zweigen untermischt. Das abgefallene Laub
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