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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.01.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990114019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899011401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899011401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-14
- Monat1899-01
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h» der Hauptexpedttst« oder dm t» Stidt- bezirk mid den Vorvrkr» erachteten Hl«», «bestellen «»geholt: vtertrtMrltch^l.SO, vei zweimaliger täglicher Zustellung in» t auS ^4 5L0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich Xl 6.—. Direkte tägliche Kreuzbaadsmdu», in» «»«land: monatlich 7.50. Air Moegen-AnSgob« erscheint um '/,? Uh«, di« Abrud-Au-gab« Wochentag» um b Uhu» Nedaction und Erve-Mo«: -,ha«t»r»»aff< 8. Di« Expedition ist Wochentag» unuuterbrochm geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filiale^: Dtt» Memin » Sarit«. (Alfred Hahttk Untversitätssira»« S (Paulinnss'), L««t» Lösche. Eatdariaenstr. ich pari, und Körigsplat 7!» Morgen-Ausgabe. MMer. TagMM Anzeiger. Amtsökatt -es Äönigüchen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Notizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Sonnabend den 14. Januar 1899. Anzeigea Preis die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter demRrdaclion-strich (4g» spalten) 50 vor Len Familieunachrichtr» (6gespalten) 40/>L. Größere Schriften laut unserem PreiS- veijeichnlß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Taris. Extra-Veilage« (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigern Abe»d.Au»gab«: Bormittag» 10 Uhr. Margen-Au-gabr: Nachmittag» »Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia» halbe Stunde früher. Anteilen stad stet» an dk Grpediti»» za richten. Druck und Berlaa von E. Polz tn Leipzig 83. Jahrgang. Die protestantische Lewegung in Oesterreich. Dir angeblichen Bespräche Bi»mar«k'» mit Lothar Bucher über Oesterreich, die jüngst di« Runde durch die Presse machten, sind, wie sich mehr und mehr herausstellt, apokryph, jedenfalls aber ist ihr Verfasser nicht nur ein gründlicher Kenner der österreichischen Verhältnisse, sondern auch in der Laar, auf zahlreiche Aeußerun- gen Bismarck'» sich zu berufen. So stimmt das, was er über den beichtoäterlichen Einfluß in Oesterreich sagt, dem Sinne nach völlig mit dem überein, was der Verfasser der „Gedanken und Erinnerungen" auf Seit« 254 des II. Bandes über den „un berechenbaren Einfluß" äußert, „den, je nach dem Steigen oder Fallen der römischen Fluth, das konfessionelle Element auf die leitenden Persönlichkeiten auszuüben vermag". Man kann daher nur wünschen, daß unsere Staatsmänner und Parteien unter dem Lichte der angeblichen Gespräche die Dinge in Oesterreich und — bei uns fest ins Auge fassen. Es ist ja eine alte Wahrheit, daß der Jesuitismus mit leisem und heimlichem Schritt das Parquet der Höfe durchmißt, um mit dem Einfluß dieser das Leben eines Volkes unter seine unheim liche Hand zu bringen; überall möchte er die Kraft der deutschen Art biegen oder brechen. In dieser Richtung bewegt sich auch seine Arbeit in Oesterreich. Er sucht den Dreibund zu lockern und den Staat der Habsburger in das Gefolge Derer zu bringen, die, das deutsche Reich zu zerschlagen, lebhafte Neigung empfinden. Der von Rom geleitete Klerus und Adel ist unser erbittertster Gegner. Wird man in Berlin sich dieser Erkenntniß weiterhin verschließen? Man wird doch wissen, daß der jesuitische Anhang auf der ganzen Erde nur einem Winke folgt und nur für ein Ziel, für die ultramontanc Herrschaft arbeitet. Es ist ganz ausgeschlossen, daß die Prätorianer des Vatikans, die jenseits unserer Grenzen deutschfeindlichen Bestrebungen huldigen, in Berlin sich auf einmal zu begeisterten Förderern des deutschen Reiches umwandeln. Ober liebt man dort die Politik des Bogels Strauß? Will man den Kops in den Sand römischer Freund schaftsversicherungen stecken, und die Gefahren nicht sehen, welche hinter diesen lauern, weil man sich einbildet, für seine Zwecke jetzt das Centrum gebrauchen zu können? Ja, römische Freunvschaftsversicherungen! Sie werden neuer dings so zahlreich und wohlfeil wie Brombeeren, obwohl ihnen überall die Thatsachen, so jüngst noch die Praktiken wider das deutsche Protektorat im Orient, scharf widersprechen. Römische Freundschaftsversicherungen! Wie hat der Centrumsmann Lieber sich in die Brust geworfen und mit feierlichem Pathos seine deutsche Gesinnung versichert! Was nöthigt ihn denn, gerade jetzt diese so stark zu betonen? Am Ende will er nur den Eindruck abschwächen, den die Berichte aus Oesterreich auf unser Volk machen müssen. In der That, die Deutschen dort sind jetzt dar über, von der Herrschaft des römischen Klerus sich zu befreien; sie haben es an ihrem Leibe erfahren, wie dieser ihr Volksthum verleugnet und unterdrückt; sie wissen ganz genau, wie er überall schädigend dem deutschen Geist entgegentritt. Könnten nicht die Erlebnisse unserer Volksgenossen in Oesterreich den Deutschen im Reiche die Augen über die Gefahren des Klerikalismus aufthun? Könnte nicht bet uns der Entschluß reifen, endlich die Hegemonie des Centrums zu brechen? Könnten nicht auch unsere katholischen Brüder zu der Einsicht kommen, daß sie ihr Volksthum der größten Schädigung überliefern, wenn sie fernerhin unbedingt dem Commando der päpstlichen Garde gehorchen? Daß diese Einsicht durchbreche, da» muß der römische Anhang auf alle Fälle zu verhindern oder wenigstens hinauszuschieben suchen; daher auf einmal die Huldigung von katholischen Vereinen und Bischöfen vor unserem Kaiser; daher die lauten Versicherungen Lieber's, daß das Centrum von patriotischem Wohlwollen für unser Reich beseelt sei. Nun wissen wir es ja, Lieber ist deutsch gesinnt; er ist „ebenso deutsch wie katholisch"! Nun ist ja kein Zweifel mehr, das deutsch« Reich hat seine stärkste Stühe am Centrum! Das wird ja wohl der gute, vertrauensselige Michel glauben, und dem Jesuitismus den deutschen Acker zur Bestellung überlassen! Mrd er dies wirklich? Ja, wenn nur nicht die Erfahrungen der Deutschen in Oesterreich mit ihrem Kleru» ihn aus seinem beschaulichen Vertrauen aufschreckten! Wenn nur nicht di« That sachen in jenem Staat« lauter und deutlicher, auch deutscher sprächen, als alle süß klingenden Worte Lieber's! Und unser Volk muß aus jenen Thatsachen die unausweichlichen Folgerungen für sich selber ziehen. Neben dem Kampfe für ihre nationale Eigenart werden die Deutschen in Oesterreich zugleich von dem Ruse ergriffen: LoS von Rom! Viele von uns finden in diesem nur ein politisches l Agitationsmittel, und nehmen ihn nicht ernst; man wähnt, die I Deutschen wollten mit dieser Drohung nur einen Druck auf die , klerikale Partei üben, daß sie aus dem Heerlager der slawischen Majorität abschwenke. Aber das ist «in großer Jrrthum. Er ist erklärlich, weil zugleich init dem Ausflammen des deutschen Dolksbewußtseins und in Folge davon ein religiöses Interesse sich entzündete, von dem man, ebenso wie einst der Reformator Luther, fühlte, daß es in der römischen Kirche keine volle Befriedigung erlangt. Die Deutschen wurden an der Feindschaft des Klerus gegen sie inne, daß ihr Volksthum am Katholizismus keinen Rückhalt besitzt. Nationale Begeisterung, die das ganze Innere eines Mannes ergreift und seine Kräfte zur höchsten Anspannung für die in ihr liegenden Ideale entbindet, empfängt unwillkürlich religiöse Färbung; für die Arbeit zum Besten des Bolksthums begehrt man Stütze und Zustimmung von seinem Glauben. Alle großen Epochen unserer deutschen Geschichte, in denen unser Volk für seine nationalen Ziele sich einsetzte, waren zugleich von christ lichem Geiste beseelt. „Nur Gott allein kann Helfer sein, von Gott kommt Heil und Sieg." Es ist nur natürlich, daß unsere Volksgenossen in Oesterreich bei ihrem Kampfe für ihre Eigenart religiös eingefaßt und erregt nun zur Erwägung gedrängt würden, waS denn ihrem inneren, nach Gott sich sehnenden Menschen von ihrer Kirche geboten werde. Sie mußten sich sagen: sie giebt uns nichts, was die heiligsten und höchsten Forderungen unseres Geistes deckt; der Ultramontanismus mit seinem ganzen äußer lichen, nur auf Herrschaft abzweckenden Apparat reicht dem christ lichen Gemüth statt Brod nur Steine dar; er hat nur den Schein der Religion, aber nicht ihr Wesen und ihre Kraft. Daher der Ruf: Los von Rom! So trat bei ihnen zwar in Folge der nationalen Bewegung, aber doch als etwas Selbstständiges neben ihr, eine religiöse Bewegung hervor, die die vollste Beachtung und wärmste Förderung durch die deutschen Protestanten fordert und verdieni. Unsere Brüder in Oesterreich wissen sich als „Mußkatholiken"; die Erinnerung, daß ihre Vorfahren einst treue Anhänger des Evangeliums waren ist nicht ausgestorben. Man hat es nicht vergessen, wie grausam und roh sie durch die Jesuiten unter das römisch« Joch zurückgezwungen wurden. Sagte mir doch jüngst ein schlichter katholischer Mann in Böhmen, daß das Volk dort, um Einen zu ducken, die Redensart gebraucht: „Wart', ich will Dich katholisch machen!" Die gewaltsame Katholisirung der einst entschieden evangelischen Bevölkerung hat diese nicht innerlich mit der römischen Kirche verbunden. In der Gegenwart ist es ihnen wieder zum Bewußtsein gekommen, wie wenig Nahrung ihr Herz von der römischen Religion zog. Aeußerungen wie die: „Man kann sich nirgends erbauen als in der evangelischen Kirche", sind nicht selten. Um Trost bei dem Tode einer Tochter zu suchen, fährt ein österreichischer Katholik nach Dresden, um seine be kümmerte Seele im evangelischen Gottesdienst aufzurichten. „Ein Volk ohne Religion", erklärt ein Anderer, „ist gar kein Volk mehr, sondern eine Bande." „Wir Oesterreicher sind empfänglicher für die Religion als die im Norden." Und Religion sucht man nur im Protestantismus. „Wir haben nur einen Lehrmeister ge habt, der den ganzen Gottesdienst rc. verdeutscht hat: Luther." Und so könnten hundert und aberhundert Belege dafür angeführt werden, daß die religiöse Bewegung in selbstständiger Kraft neben die nationale sich stellt. „Es ist eine Schmach", so spricht sich ein Anderer aus, „für die heilige Sache (des Uebertritts), wenn man sie einen blos politischen Schritt nennt; es handelt sich um das Heiligste, den Glauben." Es ist wahrlich in dieser Zeit materieller Interessen ein er hebender Anblick, ein Volk wieder von kräftigem, religiösem Trieb ergriffen zu sehen. Dies religiöse Verlangen kann, das ist die Erkenntniß der Deutschen in Oesterreich, nicht durch den Katho- licismus befriedigt werden; um uns, so sagen sie sich, vor dem Schicksal der romanischen Staaten zu bewahren, die unter der Herrschaft des Klerus religiös und kulturell verfallen, müssen wir uns diesem entwinden und das Christenthum im Protestantismus ergreifen. Die österreichischen Zustände geben die ernste Lehre, daß alle List und Gewalt, mit der der Romanismus seinen Ein fluß begründete und Jahrhunderte lang aufrecht hielt, zuletzt doch vor dem erwachenden Gewissen, vor dem Bedürfniß der Seele nach wahrem Glauben, sich ohnmächtig erweist. Gewiß steht die protestantische Bewegung in Oesterreich erst in ihren Anfängen; sie wird Jahre brauchen, um sich zu klären, zu vertiefen und durchzusehen. Sie wird auf erbitterten Wider stand stoßen; die jesuitische Partei wird alle ihre Mittel auf ¬ bieten, um sie zu unterdrücken. Aber die Wahrheit wird siegen; auch für den Orden Loyola's gilt das Wort des Apostels Paulus: Wir vermögen nichts wider die Wahrheit, sondern für die Wahr heit. Unter allen Umstünden bleibt daS Herz des deutschen Voltes in Oesterreich für immer der katholischen Kirche verloren. Uns deutschen Protestanten erwächst die Aufgabe, dem inner lichen Zuge der Oesterreicher zur evangelischen Erkenntniß hin thatkräfti^e Theilnahme und Unterstützung zu weihen. Es gilt, ihnen eine klare und richtige Einsicht in das evangelische Christen thum zu verschaffen, ja ihnen überhaupt erst darzulegen, was das Christenthum ist; denn die Ultramontanen haben ihnen mit der Dorenthaltung der heiligen Schrift den Weg zur Quelle der Wahrheit versperrt. Es gilt, sie in ihrem Streben durch materielle und geistige Mittel und Kräfte zu unterstützen. Und wir zweifeln nicht, daß diese ihnen von dem deutschen evangelischen Volke dargereicht werden. Wir stehen an einem weltgeschichtlichen Wendepunkte. Unser Volk behauptet sich und kommt vorwärts nur unter der Hut des Protestantismus; es scheint, als wolle die Vorsehung das Werk weiter führen, das die Reformation be gonnen, die jesuitische Reaktion in Oesterreich aufgehalten hat und jetzt wieder mit alter Schlauheit zu bekämpfen unternimmt. Nur zu, ihr viri odseuri! Ist es Gottes Wille, dem Lichte der Reformation auch finster gebliebene Theile deS deutschen Volkes zu unterstellen, dann ist alle römische Feindschaft wider das Evangelium umsonst, dann dürfen wir mit Luther siegesfreudig singen: Es soll uns doch gelingen! LI. Deutsches Reich. Leipzig, l3. Januar. DaS „Katholische VolkS- blatt", Organ für die Katholiken deS Königreichs Sachsen, des HerzogthumS Altenburg und der FUrstenthümer Neuß beider Linien, ist nach nur vierteljährigem Bestehen sanft wieder entschlafen. Die Einnahmen für das minder- wertbige geistige PreßerzeugniH standen in großem Mißver bältniß zu den Ausgaben. Die Abonnenten für das erste Quartal 1899 harren noch auf Herausgabe ihres Abonne- mentSbetrage». «k, Leipzig, 13. Januar. DaS „Berliner Tageblatt", der Rufer der Dänen im Streit, läßt sich ans Kopenhagen über London berichten, daß „Deutschland in Folge der AnS- weisungen in den letzten beiden Monaten im Vergleich zu den Vorjahren 30 Millionen Mark im Handel mit Dänemark einbüßte. An Hufeisen allein wurden für eine Million Mark weniger eingefübrt, die Norwegen lieferte". Die Tendenzmacherri und die Unwahrheit dieser Nachricht liegt auf der Hand. Im Jabre 1896 betrug unsere ganze Aus fuhr nach Dänemark im Specialhandel 97,4 Millionen Mark nach deutscher, 126,1 Millionen Kronen nach dänischer Statistik. Die letztere Summe ist so hoch, weil sich darin auch die über den Zollfreihafrn Hamburg eingrführten Hüter be finden. Wie kann da von einer Abnahme von 30 Millionen Mark in den letzten beiden Monaten die Rede sein, ganz abgesehen davon, daß die amtliche Statistik für December gar nicht vorliegt'? Noch größer wird der Blödsinn der Zahlen des „B. T", wenn wir den Artikel Hufeisen inS Auge fassen. In der Statistik ist er nicht besonders aufgefübrt, er kann sich aber nur unter folgenden drei Rubriken befinden. Nun führte Deutschland nach Dänemark in Doppel-Eentnern au»: Novcmbrr I8V7 November 18V8 Eck- und Winkeleisen 6185 10 566 schmiedbares Eisen. 10272 17 633 grobe Eisenwaaren. 3517 4 943 Januar bi« Noveinver Idv7 Januar bi« Norember <11 Monate» (N Monate» Eck- und Winkeleisen 72 711 94154 schmiedbares Eisen. 102 066 125 728 grobe Eisenwaaren. 44 363 46377 Also auf der ganzen Linie Zunahme und nicht Abnahme. Nehmen wir den Preis deS Doppel-Centners Hufeisen mit — gering gerechnet — 20 an, so gehören zu der Million Mark Hufeisen, um die sich der Handel vermindert haben soll, 50 000 Doppel-Eentner; d. h., der fünfte Theil der säinmt- lichen vorgenannten, in den Monaten Januar bis November 1898 ausgesührten Eisenwaaren müßten Hufeisen gewesen und dieser fünfte Theil müßte in den letzten zwei Monaten ausgefallen sein. ES ist wirklich stark, wa» die Partei verblendung ihren Lesern zu bieten wagt. S. Berlin, 13. Januar. (Klerikale Kulturfeind lichkeit.) Vor etwa einer Woche brachte die „Köln. Bolks- ztz." einen Artikel, in dem sie eine Reihe der ersten deutschen Autoren, wie Frehtag, Dahn, Eber» und Scheffel, als unsittlich, unchristlich und hetzerisch denuncirte und Be schwerde darüber führte, daß Werke dieser Schriftsteller fick in deutschen Schülerbibliotheken vorsänden. In einen, neuen Artikel setzt da» klerikale Blatt die Thätigkeit der Ketzerverbrennung munter fort. Wissenschaftliche Werke, Dramen und Romane werden gleichermaßen auf den Inder gesetzt. Grube'S „Geographische Eharakterbilder" werden ebenso der Vernichtung anempfohlen wie Wildenbruch's Schauspiel „DaS neue Gebot" oder Dahn's Roman „Julian der Abtrünnige". Das Blatt wagt sich aber auch an Werke heran, deren dichterische Bedeutung ihnen die Anerkennung noch für Jahrhunderte hinaus sichert. Anzengrubers aufs Tiefste ergreifender „Pfarrer von Kirckneld" soll von den Schulen verbannt werden und die „Köln. VolkSztg." ist ganz besonders erbittert darüber, daß dieses Drama sich nicht nur als Buch in den Schülerbibliotbeken vorsindet, sondern auch sogar von einigen Schulen bei Schüler vorstellungen aufgesührt worden ist. Diese Schulen haben sicherlich eine gelautertere Auffassung von Sittlichkeit und tiefer Religiosität besessen als die „Köln. Volksztg.". Etwas ganz Selbstverständliches ist e», daß vor dem Richterstuhle dieses Blattes ganz besonders die Werke keine Gnade finden, die sich auf va» Zeitalter der Reformation beziehen. In solchen Werken kommt ja allerdings die Geistlichkeit de» 15. und 16. Jahrhunderts in Ker Regel nicht gut fort, aber ent spricht dies etwa nicht der historischen Wahrheit? Wie soll denn der Schüler eine der gewaltigsten aller Umwälzungen, die Reformation, verstehen können, wenn ihm einer der wichtigsten Gründe dieser Umwälzung vorenthalten wird? Wie soll er es begreifen lernen, daß ein schlichter Bauern sohn, ein einfacher Mönch, den Papst auf seinen. Throne zittern ließ und auf daS deutsche Volk wie eine Erlösung wirkte, wenn er im Unklaren darüber gelassen wird, daß die Geistlichkeit vom Papste bis zum Bettelmönch sich durch ibren Lebenswandel bei aller Welt ver ¬ haßt und verachtet gemacht hatte? Aber daS ist es eben: man möchte, daß die Schüler die große Umwälzung des 16. Jahrhunderts nur durch einige trockene geschichtliche Ziffern kennen lernten, die auf daS Gemüth keinen Eindruck machen und die, heute gelernt, morgen wieder vergessen sind. Wenn man schon die Geschichte nicht immer fälschen kann, so will man wenigstens, daß sie wie ein wesenloser Schatten vor dem geistigen Auge der Jugend vorüberziehe. Und da die größten Dichter naturgemäß ihre Stosse den Zeiten ge waltiger Gährung entnehmen, so steht man nicht an, das Andenken dieser Dichter zu verunglimpfen und zu verlangen, daß der deutschen Jugend die Bekanntschaft der Männer vor enthalten werde, die Deutschlands geistige Bliithe darstellen. Man sieht daran», daß mit der Eonfessionalisirung der höheren Schulen, die letzthin von klerikaler Seite verlangt worden ist, die unersättlichen Ansprüche des KlerikaliSmuS noch lange nicht befriedigt sein würden. Denn wenn auch die katholischen Scküler durch die Errichtung rein konfessioneller Schulen davor geschützt sein würden, die „verbrecherischen" Werke Freytag S, Dahn'S, Rosegger'» und Anderer in die Hande zu bekommen, so würde der KlerikalitmuS noch verlangen, daß auch die evangelischen Schüler derartige Werke nitbt sollten lesen dürfen, weil dadurch im späteren Leben ihre Toleranz Einbuße erleiden konnte. Der Klerikalismus al» Verfechter der Toleranz ist ein Bild, wie e» nur in einer Zeit ge schaffen werden kann, in der alle Verhältnisse auf den Kops gestellt sind. Und in einer solchen Zeil leben wir eben. Unmöglich könnten und würden derartige unerhörte Forde rungen gestellt werden, wenn nicht die Klerikalen sich zur „regierenden Partei" aufgeschwnngen hätten und wenn sie nicht die Hoffnnng hegen dürften, daß sie durch fort währende- Bohren die Regierung dahin bringen würden, ihren kulturfeindlichen Forderungen stattzugeben. Dem bürgerlichen Radikalismus ist es zu danken, daß am Ende des 19. Jahrhunderts derartige Angriffe aus die Geistes freiheit möglich sind. Hätte er nicht durch seine Negation gegenüber allen berechtigten Wünschen deS Staates die Re gierung gezwungen, sich den Klerikalen zu nähern, so würde der Klerikalismus sich heute noch in der Defensive befinden, Feuilleton. Wo? Humoreske von H. M. Paull. Au» dem Englischen von Sophie Spiegel. Nachdruck «erboten. „Es ist Alles vergebens", sagte Leonie und sah ihn traurig an, „Papa willigt niemals ein." „Dann bleibt uns nur der letzte Ausweg übrig", erwiderte Percy Hartington mit fester Stimme, „wir müssen ohne seine Zustimmung heirathrn. Du hast mir versprochen, mit mir zu entfliehen, wenn alle Mittel frhlschlügen, und ich hoffe, Du hältst Dein Wort." „Ich bin bereit", flüsterte sie zurück, meinte damit aber nicht den gegenwärtigen Moment; denn weder Ort noch die Zett schienen diesem verzweifelten Projekt günstig, das junge Paar befand sich auf einer musikalischen Abendunterhaltung im Scckon von Madame Fredenberg, und die Uhr zeigte nahezu Mitternacht. Ein Herr mit außerordentlich entwickeltem Brustkasten schmetterte sieben verschiedene Arien, zum Entsetzen der ver sammelten Zuhörer und zu seinem eigenen Vergnügen, in die Lüfte, und die beiden Liebenden benutzten diese Gelegenheit, um unter dem Deckmantel de» schallenden Gesanges ihre Vor bereitungen zur Flucht zu besprechen. „Hole mich am 14. pünktlich nm 11 Uhr bei meiner Sing lehrerin, Fräulein Jungfeld, ab", sagte Leonie eindringlich und bewegte anscheinend glrichgiltig ihren Fächer hin und her. „Wo wohnt sie?" fragte der Anbeter. „Königplatz 5», schreibe Dir di« Adresse auf." Hartington suchte in seinen verschiedenen Taschen, nebenbei gesagt, kein kleines Kunststück, konnte jedoch außer etwas Geld nur seine Schlüssel, die Uhr, das Taschentuch, sein Cigaretten etui und einen Bleistift finden. „Was suchst Du?" „Etwas Papier! Doch laß nur, es geht auch so", und rasch und unbemerkt kritzelte er Name und Straße auf die Manschette scines Hemdes. „Verlasse Dich auf mich, ich werde um 11 Uhr dort sein und die Heirathserlaubniß und alles Nothwrndige bereit halten. Du bist ein Engel, Leonie." „Still", flüsterte sie und erhob sich, der Gesang war ver stummt und die Unterhaltung infolge dessen etwas weniger leb haft geworden, „entferne Dich jetzt und höre: Es wird besser sein, wenn Du mir in der Zwischenzeit nicht schreibst und mich auch nicht besuchst, damit jeder Argwohn vermieden wird. Auf Wiedersehen bei Fräulein Jungfeld." In gehobenster Stimmung begab sich Hartington nach Hause; der Würfel war gefallen, tn drei Tagen würde er verheirathet sein und dann kannte die Welt keinen glücklicheren Menschen als ihn. Desto unangenehmer war seine Ueberraschung beim Anblick eines Telegramms, durch daS man ihm mittheilte, daß seine sofortige Gegenwart in einer benachbarten Stadt als Zeuge seiner Firma in einer Proceßsache erforderlich sei. „Glücklicherweise ist die Geschichte nicht schlimm", tröstete er sich, „Miller kann mir den Erlaubnißschein und alle» Nöihige besorgen, und spätestens morgen Abend bin ich wieder hier. Es ist nur gut, daß Leonie keine Nachricht von mir erwartet; ärgerlich ist die Reise aber dot^" I Die Untersuchung dauerte länger, als er oermuthet hatte, und erst am Vorabend des ereignißvollen Tages, der für die Entführung bestimmt war, kehrte er nach Hause zurück. In der Zwischenzeit war ein Briefchen von Leonie angekommen, das außer den Worten: „Ich erwarte Dich, Liebster", nichts Weiteres enthielt. — Unter allerlei Vorbereitungen verging ihm der Abend sehr rasch, und er begab sich früh zur Ruhe, um morgen frisch und gestärkt für Alles „auf dem Posten" zu sein. Kurz vor 7 Uhr stand er auf und war schon um 8 Uhr mit seinem Frühstück fertig. Da ihm nichts mehr zu thun übrig blieb, mußte er die noch übrigen Stunden bis zur bestimmten Zeit auf die beste Weise todtzuschlagen versuchen. Wie wenig ahnte er, daß sie die geschäftigsten seines ganzen Lebens sein sollten! Gerade, als er gelangweilt die Margenzeitung beiseite legen wollte, durchfuhr es ihn wie ein elektrischer Schlag; wie war doch die Adresse der Dame, bei der er Leonie abholen sollte? In sein Zimmer stürzen und den Waschkorb umkehren, war das Werk eines Augenblicks — das Hemd war fort! Bis zu dieser Minute hatte er vollständig vergessen, daß er die wichtige Notiz auf das verhältnißmäßig werthlose Stück Leimvand niedergekritzelt hatte, nun riß er mit Heftigkeit an der Klingel und stürzte die Treppe hinunter. „Was ist denn los, Mr. Hartington, brennt » irgendwo?" fragte Minna, mit der er im Hausflur zusammenstieß. „Sind meine Sachen zur Wäsche geschickt worden?" rief er ihr erregt entgegen. „Aber natürlich, Sir, wir werden Sie doch nicht vergessen!" erwiderte die beleidigte Schöne. , „Ich muß sie wirderhaben, wo wohnt di, Waschfrau?" I „Ja, wenn ich das nur gleich wüßte, irgendwo in K. . . . wird's wohl sein." „Ja, aber wo, wo, wo?" Trotz allen Treibens und Drängens vergingen volle zehn Minuten, ehe sich die alten Rechnungen sanden, auf denen die Adresse der Frau Schmidt stand, und ehe Hartington seine herbei geeilte Wirthin besänftigt hatte, die aus Furcht, er könne ihren verschiedenen Additionsfehlern auf die Spur gekommen sein, die beleidigte Unschuld spielte. Endlich gelang es ihm, sich von den beiden Frauen los zureißen, und hastig sprang er in die erste beste Droschke. Der Weg nach K. . . . war weit und kostspielig, aber jetzt war keine Minute zu verlieren, er versprach dem Kutscher doppelten Lohn, wenn er ihn in der Hälfte der Zeit an Ort und Stelle brachte. Der brave Bursche that sein Möglichstes und schonte weder Pferd noch Wage», aber in K. . . . angekvmmen, standen sie vor einer neuen Schwierigkeit; kein Mensch konnte ihnen sagen wo die Glockengüsse war oder wo Frau Schmidt wohnte. Hätte der biedere Rosselenker nicht zufällig einige Waschkörbe in eine Seitenallee hineintragen sehen, so wäre die Behausung der Wäscherin wohl noch Tage lang in geheimnißvolles Dunkel gehüllt geblieben. Aber das Schicksal meinte es gut mit Hartington; ganz plötzlich, wie aus der Erde gewachsen, stand die Waschanstalr vor seinen Augen. Ohne Bedenken watete er über ein Stück unbebauten Landes, das ihn von ihr trennte, und durch das der Wagen nicht fahren konnte, auf sie zu und riß mit der Frage: »Ist Frau Schmidt zu Hanse?" vie Thür auf. „Was wünschen Sie, mein Herr?" fragte ihn ein zierliche» junges Mädchen und stellte erstaunt ihr Plätteisen beiseite. „Ich muß mein Hemd wiederhaben", entgegnete Percy in ernstem, beinahe flehendem Tone, „di wurde gestern irrthümlich
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