Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.01.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990116021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899011602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899011602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-16
- Monat1899-01
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Li« Morgen-?luSqab« erscheint um '/,? Uhr. di« Abend-AuSgabe Wochentag« um 5 Uhr. /Malen: ktt» Klemm'» Lortim. (Alfred Hahn>, Univrrsitütsstraße 3 (Paulinu»), Loni« Lösche, Katharlnenstr. 14. pari, und Aönkg«platz 7. Ne-action «n- ErpeLMon: Johannesgafse 8. Die Expedition ist WochrntagS ununterbroche» geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Bezrrg-'Prel- tz» tz« tzauptrxprdition oder den im Etadt» brzirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgrholt: vierteljährlich./<l4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau? 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsrndnng tu« Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgave. MpMr TaMaü Anzeiger. Attttskkatt -es königlichen Land- «n- Amtsgerichtes Leipzig, -es Rnthes «nd Nolizei-Ämtes -er Ltn-t Leipzig. Montag den 16. Januar 1899. Anzergett'PrekS Itie 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redaetionssirick (4««- spalten) 50^, vor den Familiennachrichlen (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. 6-xtra-Vellage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuuz 60.—, mit Postbeförderung ./L 70.—. Annahmeschluß für Änzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Mrrge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Udr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anreigen sind stets an die Expedition zu richte». Druck nud Verlag von E. Pol, in Leipzig Eröffnung Les preußischen Landtags. Der preußische Landtag wurde heute vom Kaiser mit folgender Thronrede eröffnet: „Erlauchte, edle und geehrte Herren von beiden Häusern des Landtages! Indem Ich Ihnen beim Beginn eine- neuen Abschnittes der parlamentarischen Arbeiten Meinen Königlichen Gruß entbiete, gebe Ich Meinem Vertrauen Ausdruck, aus Ihre verständnißvolle Unterstützung auch bei den bevorstehenden wichtigen Aufgaben rechnen zu können. Die Finanzlage drS Staates ist fortdauernd eine günstige. Tie Rechnung des Jahres 1897/98 hat ebenso, wie die der Vor jahre mit einem beträchtlichen Ueberschub abgeschlossen, auch das laufende Jahr wird ein befriedigendes Ergebnis bringen. In dem Staatshaushalt für 1899 hat, entsprechend den zu erwartenden höheren Einnahmen, namentlich bei den Betriebsverwaltungen, dem steigenden Ausgabebedarf wiederum in weitem Maße Rechnung getragen werden können. Insbesondere sind für die von der Staatsregierung in Aussicht genommene, von dem Landtage befürwortete Neu regelung der GehaltSverhältnisse einzelner Classen von Unterbeamten die erforderlichen Mittel be- bereit gestellt, und zwar in einem Umfange, welcher über die gegebene Anregung hinausgeht. Mit dieser abermaligen Auf wendung für die Unterbeamten, welche auf einige bisher nicht berücksichtigte Kategorien von mittleren Beamten ausgedehnt wird, ist die im Jahre 1890 begonnene allgemeine Aufbesserung der Beamtenbesoldungen abgeschlossen. — Nach dem Vorbilde der Fürsorge für die Hinterbliebenen der unmittel baren Staatsbeamten soll ferner die Wittwen- und Waisen versorgung der BolkSschullehrer anderweit geordnet werden. Di« Anstellung und Versorgung der Communal- beamten bedarf allgemein, sowohl im Interesse der Beamten, als auch der Gemeinden, einer gesetzlichen Regelung, welche sich gleich falls an dir für die unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Be stimmungen anlehncn wird. DieMedicinalversassung des Staates wird in derLocalinstanz in einer den gesteigerten Anforderungen an die Gesundheitspflege entsprechenden Weise gesetzlich auszugestalten sein. Auch sollen im Interesse der Hebung des ärztlichen Standes ehrengerichtliche Einrichtungen ins Lebe» gerufen und den Aerztekammern er weiterte Befugnisse gegeben werden. Auf dem Gebiete des Gemeindewahlrechts hat die im Jahre 1891 eingeleitete Steuerreform Verschiebungen verursacht, welche durch das Gesetz wegen Aenderung des Wahlverfahrens vom 29. Juni 1893, wie sich schon jetzt übersehen läßt, nur zum Theil beseitigt sind und einen weiteren Ausgleich erwünscht erscheinen lassen. Zu diesem Zwecke wird ein Gesetzentwurf Ihrer Beschluß fassung unterbreitet werden. Die kommunale Besteuerung der in neuerer Zeit ent standenen großen Waarenhäuser entspricht nicht ihrer Be- Leutung und Stellung im gewerblichen Verkehr; sie bedarf einer besonderen Regelung, welche die gerechtere Heranziehung dieser Betriebe sichert und dadurch zugleich den kleineren Gewerbetreibenden für den Wettbewerb einen wirksameren Schutz gewährt. Ein be züglicher Gesetzentwurf wird Ihnen voraussichtlich noch in dieser Tagung vorgelegt werden. Die auf fast allen wirthschaftlichen Gebieten eingetretene kraft- volle Entwickelung hat auch an die Staatseisenbahnver- waltnng außergewöhnliche Anforderungen gestellt. Dank der bereitwilligen Unterstützung des vorigen Landtages haben besondere Maßregeln in di« Wege geleitet werden können, deren Durchführung es ermöglichen wird, dem steigenden Verkehrsbedürfniß zu ent sprechen. Zur Erweiterung des Staatseisenbahnnetzes, sowie zur Förderung der Kleinbahnunternehmungen wird auch in diesem Jahre Ihre Mitwirkung in Anspruch genommen werden. Bereits bei dem Bau eines Canals von Dortmund nach den Emshäfen ist die Herstellung einer leistungsfähigen Wasser Verbindung zwischen dem Rhein, der Weser und der Elbe im Interesse des Verkehrs und der heimischen Gütererzeugung als noth- wendig erkannt worden. Die seither eingetretene außerordentliche Steigerung des Verkehrs, insbesondere das Bedürfniß, für Waffen- guter leistungsfähige, billige Verkehrswege zu schaffen, läßt den unverzüglichen Ausbau einer neuen Wasserstraße zwischen diesen großen Strömen und damit die Herstellung eines für den Westen und den Osten gleich Vortheilhaften Verbindungswegs dringlich erscheinen. Demselben wird zugleich die wichtige Aufgabe zufallen, das Landeskultur-Interesse der anliegenden Gebiete durch Verbesserung der Wasserverhältnisse zu fördern. Auf Grund der bisherigen Verhandlungen ist zu erwarten, daß die Nächstbetheiligten durch Uebernahme der geforderten Garantien ihr Interesse genügend bekunden werden. Es wird Ihnen daher eine Vorlage zugehen, welche den Bau von Schiff- sahrtscanälen von dem Dortmund-Ems-Canale einerseits nach dem Rhein, andererseits nach der Weser und der Elbe vorsieht und welche Ich Ihrer thätigen Unterstützung anempfehle. Die schwierigen Verhältnisse, mit denen die Landwirthschast noch immer zu kämpfen hat, nehmen Meine Theilnahme nach wie vor in Anspruch. Meine Regierung erachtet es als ihre ernste Pflicht, fortgesetzt auf die Hebung der Landwirthschast bedacht zu sein. Die Sicherung der im Jahre 1897 von Hochwasserschäden schwer heimgesuchten Landestheile gegen di« Wiederkehr ähnlicher Verheerungen ist Gegenstand umfangreicher technischer Vorarbeiten gewesen, nach deren Abschluß Verhandlungen mit den Provinzial vertretungen über die als uothwendig erkannten Abhilfemaßregeln eingeleitet sind. Das Bürgerliche Gesetzbuch und die gleichzeitig am 1. Januar 1900 in Kraft tretenden Reichsgesetze machen eine Reihe von Vorschriften uothwendig, um das neue Reichsrecht auf den dem Landes rechte vorbehaltenen Gebieten zu ergänzen und ältere Landesgesetze ihm anzupassen. Ihrer Beschlußfassung werden die Entwürfe der hierzu bestimmten Gesetze unterliegen, deren rechtzeitige Verabschiedung zur Durchführung des großen Gesetzgebungswerkes erforderlich ist. Meine Herren! Die wirthschaftlichen nnv politischen Gegensätze, von denen unsere Zeit erfüllt ist, legen der Verwaltung und Gesetz gebung in besonderem Maße die Pflicht auf, unbeirrt von dem Streite des Tages, die staatlichen Einrichtungen im Interesse aller Classen der Bevölkerung zu sichern und auszubauen. Die Grund lagen unseres Staats- und Volkslebens sind gesund und fest gefügt. In ernstem Streben wird an der Entfaltung der geistigen und sittlichen Kräfte des Volkes gearbeitet. Aus wirthschaftlichem Gebiete zeigt sich gesteigerte Schaffensfreudigkeit und stetige Ent wickelung; der Wohlstand deS Landes ist sichtlich im Wachsen. Mit Zuversicht blicke Ich deshalb in die Zukunft. Ihren Arbeiten, die Gott segnen möge, wünsche Ich vollem Erfolg zum Wohle des Vaterlandes." Die „zweite Kammer" deS mit der vorstehenden überaus nüchternen Thronrede eröffneten neuen Landtags bezieht mit dem heutigen Tage ein neues Gebäude. Wenn die Thronrede dieses Umstandes nicht Erwähnung thut, so unter blieb dies, weil daS Herrenhaus, dessen Bau an der Stelle seines alten Heims und deS alten ReichStagSgebäudeS eben erst beginnt, zusammen mit dem Abgeordnetenhause als ein einheitliches „Landhaus" betrachtet werden soll, waS sich auch darin zeigen wird, daß die Gebäude für die Präsi denten beider — mit den Rückseiten sich berührender — Häuser in der Leipziger Straße das Herrenhaus flankiren werde», während die Hauptfront des Abgeordneten hauses nach der Prinz-Albrechtstraße sieht. Die Abgeordneten machen einen guten Tausch, indem sie aus den engen, winkeligen, gedrückten Räumen auf dem Dvnhofplatze in das neue Geschäftshaus ziehen, vaS, obwohl die Spuren gut preußischer Sparsamkeit verrathend, durch praktische Anlage und an den Stellen, wo dies angebracht ist, durch eine Be haglichkeit mit Vornehmheit paarende Ausstattung aus gezeichnet ist. Neue Legislaturperiode, neues Haus und alte Kämpfe, das wird wohl die Signatur dieser Tagung werden. Zu einem alten, durch die Einseitigkeit der Landwirthschast drS OstenS hervorgerufenen Kampfe wird vor Allem und haupt sächlich die in der Thronrede anaekündiate Vorlage über den Mittellandkanal führen, der Rhein, EmS,Weser und Elbe verbinden soll und einen Aufwand von gegen 40 Millionen Mark verursachen dürfte. Diese Wasserstraße ist zwar die einzige, der die Thronrede Erwähnung thut, der Landtag wird aber, wenn nicht in dieser Tagung, so doch in der beute beginnenden Legislaturperiode, sich über weitere Canalbaupläne schlüssig machen. So über einen Groß schifffahrtsweg Berlin-Stettin, um dessen östliche oder westliche Führung allerdings noch ein gewaltiger Kampf der Betheiligten tobt. Die Landwirthe deS OstenS sind bekanntlich zum großen Tbeile Gegner von Canalbauten überhaupt und stehen insbesondere dem Mittellandcanal, von dem freilich auch die östliche Industrie nicht viel wissen will, beinahe feindlich gegenüber. Sie legen größere« Gewicht auf die Steigerung der Möglichkeit der Einfuhr aus dem Auslande, als auf die Erleichterung der Verfrachtung ihrer eigenen Erzeugnisse nach anderen Gegenden deS Reiches. Richtig ist, daß die Canal- vrojecte unter dem Gesichtspunkte der Rentabilität der StaatS- eisenbahnen, denen sie Concurrenz machen werden und sollen, einer besonder- sorgfältigen Prüfung bedürfen. Der Keim von Kämpfen zwischen Osten und Westen, zwischen Industrie und Landwirthschast liegt auch in der in der Thronrede nicht ausdrücklich genannten, aber angedeuteten Vorlage über Flußregulirungen in Schlesien. Daö Vorhaben selbst, daS Ueberschwemmungen vorbeugen will, begegnet, zumal da die Anlagen in einem gegen frühere Pläne bedeutend eingeschränkten Umfange gedacht sind, keinem Widerspruch. Aber die mit der Angelegenheit zusammenhängende Frage der Ueber- tragung des gesammten staatlichen Wasserbauwesens auf daS LandwirthschaftSininisterium dürfte die entgegen gesetzten Interessen heftig aufeinanderplatzen lassen. Selbst verständlich wird auch über die Angelegenheit der Berliner Productenbörse manche ernste Unterhaltung geführt werden. Auch sonst giebt eS agrarische und antiagrarische Beschwerdepuncte; über die „Fleischnoth" dürften die Landtagsabgeordneten aber im Reichstag genug gehört haben. Die Aufwärmung eines alten Capitels plant auch das Centrum. Auf dem Gebiete der Volksschule, der höheren Schulen und selbst der Universitäten wird gefordert und bewilligt werden, WaS nur in den Kräften des Herrn Bosse steht. Natürlich wird auch die „Parität" den Gegenstand von Klagen seitens der Klerikalen bilden, obwohl es längst die Evangelischen sind, die über Zurücksetzung bei der Ernennung von Beamten aller Kategorien sich zu beschweren haben. Wie weit daö Centrum künftig polnischen Anmaßungen Vorschub leisten wird, bleibt abzuwarten. Die Polen selbst werden voraus sichtlich der Vertretung ihrer Interessen zunächst die Form einer Kritik der Verwaltung in Nordschleswig geben, wobei sie vom Freisinn» unterstützt werden dürsten und bei welcher Gelegenheit auch derFallDe lb rück zur Sprache kommen und ein von Professor Paulsen soeben veröffentlichter Aufsatz über die Sache mit größerer oder geringerer Sprachgewandt heit um- und nachgeredct werden wird. Das von der Thronrede angelündigte Gesetz über die kommunale Besteuerung der großen Waarenhäuser ist augenscheinlich noch nicht fertiggestellt; auf alle Fälle wird es zu harten Kämpfen führen. Der erwartete Gesetzentwurf über die durch die neue Steuergesetzgebung dringlich ge wordene Reform deS Communalwahlrechts, der Vor läuferin einer nicht minder unerläßlichen Aenderung des LandtagswahlrechlS, wird dem Landtage sofort zugeheu. Neugierig darf man sein, ob der Muth in der Brust des Freisinns genug Spannkraft übt, um ihn bei dieser Gelegenheit oder früher zur Erörterung der Berliner Oberbürger meisterfrage zu bethätigen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 16. Januar. Kurz vor dem Aussehen erregenden MeineidSprocesse gegen den Inhaber des TetectivburcauS „Greif", Grütz- m ach er, spielte sich ein Proceß ab, der weniger Beachtung fand, aber ebenfalls auf die Schäden dieser Bureaux ein grelles Licht warf. Ein junges Mädchen von 17 Jahren hatte im Auftrage eine« PrivatbureauS bei einer Familie spionirt, um au« bestimmten Gründen über den sittlichen Wandel eine« in dieser Familie lebendeu Mädchens Auskunft zu erhalten. Die entrüsteten Leute hatten, al« sie sich über die Absicht deS jungen Mädchens klar wurden, die Spionin festgebalten, um sic polizeilich seststellcn zu lassen. Dadurch zogen sie sich außer dem Verdruss?, den sie gehabt hatten, noch eine Anklage wegen Freiheitsberaubung zu, von der sie allerdings sreigesprochen wurden. Auch hier also hatte die Thätigkeit deS Privatbureaus zu einer Anklage gegen sonst unbestrafte Menschen geführt. Zu der kriminali stischen Seite tritt aber noch die sittliche Seite hinzu. Wenn ein Mädchen von 17 Jahren sich über den sittlichen Lebenswandel eines anderen Mädchens Auskunft verschaffen soll, so kommt dabei seine eigene Sittlichkeit in Gefahr. ES liegt ferner auf der Hand, daß, wenn eS sich, wie in diesem Falle, darum handelt, festzu stellen, ob ein Mädchen mit Männern Umgang hat, weil in diesem Falle gewisse civilrechtliche Ansprüche des Mädchen« hinfällig werden, die Versuchung nahe liegt, daö Mädchen zum Verkehr mit Männern zu verführen, wie ja auch in dem eben zur Aburtheilung gelangten Grützinacher'schen Falle der Versuch gemacht wurde, einen unsittlichen Verkehr zwischen den beiden Geschlechtern herzustellen. So kann also die Thätigkeit der Detectivbureaux unter Umständen nicht nur zu strafbaren, sondern auch zu unsittlichen Hand lungen verleiten. Es ist ja auch ganz klar, daß derartigen FeuNletsir. ,2s Onkel Mlhelm's Gaste. Roman von A. von der E lbe. Siachtruck verbeten. Als Antwort auf ihr lächelndes Schauen sagte Onkel Wil helm, der jetzt mit auseinander genommenen Rockschössen an dem braunen Kachelofen lehnte: „Ja, der gehört Dir, Du Lecker mäulchen." Während er so dastanb, hob er manchmal seinen Fuß mit dem großen Filzschuh und scheuerte einem fetten Teckel, der sich langsam vor ihm wälzte, das Fell, oder kraute dem großen Hofhunde, der aufrecht neben ihm saß, die Ohren. Gemächlich fuhr er fort: „Die zwei Fillbergers, die Mädchen von meinem alten Freunde, haben den Kuchen diesen Morgen für Dich herauf gebracht." „Ach, die guten Schwälbchen!" rief Nella und schlug mit heimischem Empfinden freudig 'die Hände zusammen. „Aber sag' mal. Du hast wohl heute schon Heizen lassen, Onkelchen?" „Gewiß, Kind, hier oben ist es kalt und zugig; hör' nur, wie es st-ürmt. Wir haben ja viel gutes Holz." Und wirklich fuhren arg« Windstöß« ums Haus, und jetzt schlug auch d«r Regen an die klirrenden Fensterscheiben. Nella empfand ein tröstliches Gefühl des Geborgenseins, das sich mit herzlicher Zuneigung für den schlichten alten Mann mischt«, der seine Aermlichkeik mit ihnen theilt«, als sei das selbst- verstüMich. Die leichte Wärme, die der große Ofen ousströmte, in dem eben ein Wasserkessel zu singen begann, erschien Nella als die natürlich«, hierher gehörige Atmosphäre. Jetzt öffnete sich die Thür« weit und mit dem gebietenden Anstand eines Generalissimus trat Peter Alexander von Ruste- berg, begleitet von seinen Söhnen, zum Bruder ein. Wilhelm verließ feinen warmen Platz und ging dem Gaste freundlich entgegen. Dieser aber übersah den liebevollen Aus druck in Wlhelm's röthlichem Rui^elgesichte, und legte nur den steif au«gestreckten Zeig«- und Mittelfinger d«r Hand in die freundlich dargeboten« Rechte des Bruders. „Gott zum Gruß, mein alter Peter Alexander", sagte Wilhelm herzlich, „und nun wärmt Euch und kaßt'S Euch schmecken, was ich habe." Die riritfach«, harmlos« Art d<» Oheim» ging Kurt zu Herzen, überwältigt von der schlichten Güte, die den Heimathlosen ent gegentrat, ergriff er Mlhelm's Hand und küßte sie hastig, ein Beispiel, dem die Knaben folgten. Mit verdrießlich emporgezogenen Brauen sah der Vater zu, dann setzt« er sich stumm in den einzigen Lehnstuhl, der am Tische stand, und begann mit wichtiger Miene: „Ich betrachte unseren Aufenthalt auf dem Rusteberge als ein kurzes Provisorium. Meine Verhältnisse werden sich sehr bald rangiren. Ich habe hier ein« wichtige Mission zu erfüllen und werde binnen wenigen Tagen meiner Familie ihre Stellung zurückgeben. So lange müssen wir uns mit einander einrichten, meine Aufgabe fordert es. Unter dem Zwange dieser Umstände habe ich eingewilligt, Dich wieder zu sehen, Wilhelm von Ruste- berg. Du selbst hast erkannt, daß unsere Wege sich nicht oft kreuzen dürfen, und hast diese Seite des Hauses für Dich re- servirt. Wohlan, ich werde sie nach dem heutigen Abend nicht wieder betreten." „Nimm's nicht übel, 'Peter Alexander", sagte Wilhelm kleinlaut, und setzte sich dem Bruder gegenüber. „Es ist ja nicht lieblos gemeint, daß ich hier linker Hand für mich bleiben wollte. Ich bin eben ein alter Einsiedler und Gewohnheitsmensch ge worden. Betrachte Dich hi«r ganz wie zu Hause, und richtet Euch ein, wie ihr mögt. Wir theilen, was da ist. Und nun, bitte, greift ordentlich zu." Die Hungrigen ließen sich nicht wertrr nöthigen, und der Onkel fuhr fort: „Das Brod hat mein guter Hahnewinkel erst am Montag zu teurer Ankunft frisch gebacken, und gestern haben wir gebuttert." „Thust Du das selbst, lieber Onkel?" fragte Paul neugierig. „Es ist eine sehr gesunde Armbewegung." Peter Alexander schob die ihm angebotene Butter von sich, wie konnte ein Rusteberg isich so weit erniedrigen, zu buttern! Hahnewinkel hantirte währenddem am Ofen, von woher sich ein laulich süßlicher Geruch verbreitete; der geschäftige Verwalter des Theekessels trat jetzt zum Tische heran: „Mit gütigster Verstattung", fragte er in steifer, militairischer Haltung, „was belieben die Hochrdelgeborenen zu trinken, Thee oder Bier?" „Geben Sie mir heut« Thee", sagte Peter Alexander fröstelnd. Hahnewinkel reichte Tassen, mit einer gelblichen Flüssigkeit gefüllt, umher. Nella glaubte, den «igenthümlichrn Geruch deS Getränkes zu kennen, sie nahm es und versuchte. Brr — Fliederthee! Im Winter hatte Tante Selbach ihr dasselbe Gebräu bei einem Schnupfin al« schweißtreibend«« Mittel aufgenöthigt. „Was ist das?" rief d«r Vater zornig. „Den trinken wir immer, lieber Bruder", sagte Wilhelm, behaglich schlürfend. „Weshalb unser gutes Geld den Chinesen hinauswerfen, wenn uns hier Besseres hereinwinkt." „Besseres?" „Ja, ist sehr gesund; hast hier oben leicht das Reißen weg, dagegen vortreffliches Mittel." „Ich danke, bitte um Bier!" Hahnewinkel beeilte sich, ein paar Gläser mit einem Hellen, leicht schäumenden Getränk zu füllen. „Was ist nun das wieder für Zeug?" knurrte Peter Alexander, sich schüttelnd. „Sehr gutes Recept, wollen ergebenst gestatten. Wird unten in der Stadt Vies getrunken." „Wonach schm«ckt doch das, lieber Herr Hahnewinkel?" fragte Peter, und zupfte den feierlichen Diener am A«rmel. „Sind getrocknete Apfelschalen, abgekocht, Hefe und Honig hinein, sehr guter, alter. Bräu!" „Ich finde auch, daß es herrlich schmeckt", rief Paul, und klopfte sich txn Magen. „Eben dieser hochwohlgeboren« Herr Junker hat ganz recht", versichert« Hahnewinkel befriedigt. In einer wunderlichen Stimmung zwischen Lachen und Wein«», sich einander oft ans«h«nd und ähnlich fühlend, über standen Nella und Kurt diese erste Mahlzeit auf dem Ruste- berge. Ihre Hauptsorge richtete sich auf den Vat«r, würde er sich so weit beherrschen, daß kein harter Zusammenstoß mit dem biederen Onkel erfolgte? Aber es schien öhn« Störung abzugrhen. Peter Alexander erhob sich mit derselben steifen Würde von Tische, mit der er einqetreten war, sagte, daß er nicht wieder sich hierher bemühen, oder gar lästig fallen werde, und verließ das Zimmer. Nella umfaßte Onkel Wilhelm. „Sei ihm nicht böse, Herzens- Onkelchen", flüsterte si«. „Ich fürchte, er ist krank, sehr krank." Die Neffen bedankten sich, und Alle gingen, ihr Nachtlager aufzusuchen. Nella lag auf der schräg durch den engen Raum gebreiteten Matratze trotz der großen Ermüdung noch lange wach. Der Herbststurm heulte um die Höhe; manchmal meinte die Lauschende, knackende Zweige oder Gepolter in der Ruine zu hören, die, säst eins geworden mit der sie umgebend«» Natur, nach und nach ebenso herbstlich zrrzaust und zerbröckelt wurde, wie es um sie her mit den Resten des Sommers geschah. Weich' ein Tag voll tiefer Erregung lag hinter der Sin nenden. Zuerst das schwere Scheiden aus der schönen Heimaih, die bange Reise mit dem kranken Bater, und bann — o, wie weh ihr ums Herz wurde, der rasche, stumme Abschied vom Freunde. Sie sah im Geiste sein Auge mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Trauer und Sorge auf sich gerichtet, unv je deut kicher sie sich diesen warmen, seelenvollen Blick in die Erinnerung zurückrief, je banger und sehnsuchtsvoller fühlte sie ihr Herz pochen und schwellen. Heiß trat es ihr ins Auge. Sie richtete sich auf ihrem be scheidenen Lager empor, barg das glühende Gesicht in den Händen und schluchzte aus tiefster Brust. Dann rangen-ihre Hände sich ineinander, ein Seufzer: „Gott hilf! Steh mir bei, Herr!" drang hervor, und erleichtert lehnte sie sich endlich wieder zurück. Alle diese wunderlichen neu«n Eindrücke von heute zogen vor ihrem Geiste vorüber. Sie fing an, ernst und sachlich zu über legen. Wie würde sich das Leben hier oben in der Einsamkeit ge statten? Es schien kein anderer Mensch zur Aushilfe da zu sein als dieser guke närrische Hahnewinkel. Wie sollte das Reine machen dieser verstaubten Räum« und die ganze häusliche Arbeit besorgt werden? Sie wollte ja gerne zugreisen, aber konnte sie Alles? Sic hatte nie einen Fußboden oder einen Topf gescheuert. Und doch waren sie jetzt nicht mehr in der Lage, sich Dienstboten zu halten. Nella wünscht«, der Morgen möge nur erst da sein, damit sie sich rühren und Zugriffen könne. Ueber diesen ungeduldigen Wunsch schlief sie ein und erwachte vom Hellen warmen Sonnen schein, der in ihr Fenster strahlte. Rasch kleidete sie sich an und trat vor die Hausthür. Der Heröststurm hatte ausgetobt, Frieden und eine laue Wärme lagen in der Luft. Onkel Wilhelm, in einer blauen, gestrickten Wolljacke, einer bunten Zipfelmütze und in alten Gummischuhen, stand und fütterte «ine Schaar gackernden, piependen, flatternden unv gur renden Federviehes. Tauben saßen auf seiner Schulter, und die Hühner sprangen mit gierigen Blicken zu ihm auf. um seinem Korbe näher zu sein, in dem er die Körner trug. Ein Zug un endlicher Güte und Freundlichkeit lag auf seinem alten Gesichte. Hahnewinkel kam mit zwei Eimern voll frischer, schäumender Milch aus dem Stalle. „Eben diese Aurora", sagte er, neben seinem Herrn stehe» bleibend, „befleißigt sich gütigst alle Tage mehr." „Du hast ihr etwas Schrot gegeben?" Mi« mein Hochwohlgeborrmr befohlen hab<o»"
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite