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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.01.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990118025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899011802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899011802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-18
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Größere Schriften laut unserem PreiS- vrrzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördernnx ^4 60.—, m«t Postbesörderung ./t 70.—. Ännahmkschlnß für Äiyeigtrn Abend-Ausgabe: Vormriiag, 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein» kalbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Potz in LripzkA Jahrgang Mittwoch den 18. Januar 1899. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. Januar. Einen großen parlamentarischen Tag hätte Berlin gestern — haben können. Im Reichstage die EtatSposilion „Reichskanzler", im preußischen Abgeordnetenhause lie Einbringung deS StaatShauShaltsgesetzes für 1899 durch einen Finaiizniaun und Redner wie vr. v. Miquel! Indessen wirkten neue und alte Umstände zusammen, um der Bedeutung der Vorgänge in den Vertretungen Abbruch zu thun. Die beiden Häuser machten einanderConcurrenz, bei welcher dieLchaulust und das Bediirfniß, sich in einem weitläusigcnReubau zu orientiren, den Ausschlag zu Gunsten des cinzelstaatlichen Parlaments gab; die abenteuerlichen englischen Meldungen über das angebliche Programm der „ Abriistnngö" - Conserenz boten Plauder stoff und der erneute Schlag gegen die deutsche Ausfuhr, zu dem die amerikanische Union ausholt, bildete den Gegenstand ernstester Betrachtungen unter den Ab geordneten. Wie allgemein das Gewicht der Washingtoner Entscheidung, wonach die deutschen Verbrauchssteuern auf deutsche Waaren bei der Einfuhr in Amerika dort noch einmal erhoben werden sollen, nach ihrer wirthfchastlichcn und mög licherweise politischen Bedeutung gewürdigt wird, läßt sich am besten aus den freisinnigen Zeitungen ersehen. Zum ersten Male verzichtet diese Presse darauf, Prohibitivuiaßregeln eines fremden Staates gegenüber den Geist deS Fürsten Bismarck als des an der Schlitzpolitik des Auslandes an geblich Schuldigen vor ihre Schranken zu citiren. ES wird nn Gegentheil auch an dieser Stelle angesichts der politischen und zollpolitiscken Ungenirtheiten der durch leichte Siege zur Herausforderung geneigt gewordenen Amerikaner, wenn auch nicht ausgesprochen, so doch empfunden, daß wir den ersten Kanzler noch recht gut gebrauchen könnten. Gewisse, die Parität deS Interesses Deutschlands und der Union an ungetrübten gegenseitigen Beziehungen nicht vollauf berücksichtigende deutsche Preßbeeinslussungen wären unter ter Herrschaft der selbstbewußten Politik des Fürsten Bismarck jedenfalls nicht zu beklagen. Zeitungsartikel, deren Ursprung nicht zweifel haft sein kann, beantworten amerikanische Ausschreitungen in einer Sprache der Zuvorkommenheit und Besorzniß, die auf der anderen Seite vermutblich nicht zu Gunsten unserer Position wirken wird. Dergleichen Beobachtungen gehen nahe genug, um die Theilnahme an den Parlamentsverhand- lungen zurückzudrängen, auch wenn diese interessant sind. Und die gestrigen Verhandlungen waren nicht einmal inter essant. Die Erklärungen über den lippi scheu Handel, die Fürst Hohhenlohe in den Reichstag mitgebracht hatte und dort verlas, standen in Bezug auf Klarheit und Ueber- zeugungsmuth ganz und gar aus der Höhe des BundeörathS- beschlusses in der gleichen Angelegenheit. ES war ein patrio tischer Genuß eigener Art, daS schöne Wort „AnSträgalordnung" und die Berufung auf die nicht minder schöne Sache, die es bc- z.ichnct, auS dem Munde eines Kanzlers des neuen deutschen Reiches zu hören. Aber Graf Posadowsky brachte eS zuwege, noch archaistischer und noch weniger überzeugend zu sein, als sein Chef. Es wird auch wohl nicht klebereinstimmung mit den Ausführungen vom BundesrathStische gewesen sein, was denNationallibe ralen gestern Schweigen eingab. Herr v. Levetzow machte eine Bemerkung, die die Angelegenheit wenigstens streifte und die Auffassung der Conservativen mindestens erralhen ließ. Der Abgeordnete Lieber ließ aber an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und wandte dem von dem Freisinnigen Lenzmann zum Theil mit wenig angebrachten Witzeleien behandelten Gegenstände den gebührenden Ernst zu. Ueber Herrn Lenzmann darf man sich freilich nicht wundern. Er schwelgte, wie ein richtiger Radikaler schwelgen muß, wenn man ihm ein Gericht, wie cs die lippische Sache in ihrer Berliner Zu bereitung ist, vorsetzt. Doch bätte er und hätte die freisinnige Presse sich den Wohlfeilen Spott über die Abreise des von dem Vorhaben, die Sache zur Sprache zu bringen, unter richteten lippischen Ministers v. Miesitschek sparen können. Bei der eigenthümlichen Machlverlheilung unter den Streiten den sollte man von dem — und wie viel! — Schwächeren nicht einen Muth verlangen, der au Tollkühnbeit grenzte. — War der gestrige Tag für das Reichsparlament schlimmer als ein verlorener, so gestaltete er sich auch im preußischen Abgeordnetenhaufe nicht glücklich. Herr v. Miquel, sonst ein trotz seines vorgerückten Alters noch recht vernehmlicher Redner, hatte unter der Akustik des neuen Sitzungssaales zu leiden. Man verstand ibn schwer oder gar nicht und — conversirte während seiner Rede, was der bedeutende Mann Wohl niemals vorher hat erleben müssen. Die Calamität war so groß, daß die nächste Sitzung einen Tag später, als der Präsident wünschte, angesetzt wurde. Man will die Rede des Finanzministers erst im steno graphischen Berichte lesen, ehe man in die Etatsdebatte ein tritt. Auf die Presse, die, wie mehrere Abgeordnete an erkannten, sonst in ähnlichen Fällen daS Gehör ersetzt, ist diesmal kein rechter Verlaß. Denn auf ihrer Tribüne war noch weniger zu versieben, als im Saale. Im klebrigen dürfte die Schwäche der Akustik kaum eine dauernde sein. Wie es heißt, wird sie nach ter ohnehin vor gesehenen und nur hiuauSgeschobencn vollständigen Beteckung der Saalwände mit Stoffen behoben sein. Herr v. Miquel kann sich über sein kleines Mißgeschick damit trösten, daß der Inhalt seiner Darlegungen, wenn man ihn vollständig kennt, angenehm berühren muß. Der vorjährige Etat war der höchste, den Preußen je gehabt, und der nun vor gelegte, mit rund 2>/:; Milliarden balancirenre ist um 141 Millionen höher, als sein Vorläufer. Das Wort: „Die Culturaufgaben leiden nickt" wird in Preußen allmählich wahr. Den Hauptglauz verleihen dem Etat die Eisenbahnen. Trotz der Steigerung der dauernden und einmaligen Ausgaben dieser Verwaltung wird sie im laufenden Jahre voraussichtlich einen Ueberschuß von 74 Millionen Mark herauswirthschaslen. Uebrigens weisen auch alle anderen Betriebsverwaltungen, mit alleiniger Ausnahme derjenigen derDomainen, kleberschüsse auf. DaßHerr v.Miquel dennoch zur Vorsicht in der Ansetzung von dauernden Aus gaben mahnte, versteht sich bei dem noch immer vergebens auf die Verwirklichung der unter allen Umständen dringlichen Reichsfinanzreform hoffenden Minister von selbst. Um zu erfahren, wie weit das Cent rum deS p renßischen Abgeordnetenhauses bei seinem Bestreben, die Schule unter „dieKirche" zu beugen, auf die Conser vativen zu rechnen hat, wirst die „Köln. Volksztg." die Frage auf, wie sich die letztere Partei zu eiuem Volksschul- gesctze stelle. Tie „Kreuzztg." ist von dieser Frage augen scheinlich unangenehm berüyrt; sie nennt dieselbe eine eigen- tbiimliche, denn die konservative Partei habe ja bis in die letzte Zeit hinein betont, daß sie an der Forderung eines Volksschulgesetzes auf konfessioneller Grundlage festhalte. So offen diese Antwort zu sein scheint, so zweideutig ist sie thalsäcklich. Denn die Frage der „Köln. Volksztg." soll wohl kaum die Neugier anSdrücken, wie die konservative Partei in der Voiksschulfraze gesinnt sei, sondern sie will ans den Busch klopfen, zu welchen Actionen die konservative Partei in dieser Frage entschlossen sei. Der Antwort ans diese Frage aber weicht die „Kreuzztg." sorfältig aus. Damit wird der Eindruck bestätigt, den man seit dem Ausfall der preußi schen Landlagswahlen hat: daß nämlich innerhalb der auch in dem neuen preußischen Abgeordnetenhause bestehenden konservativ-klerikalen Mehrheit der klerikale Flügel in der Volksschulfrage viel actionslnstiger ist, als der konservative. Die Klerikalen würden gewiß damit einverstanden sein, wenn ihnen von konservativer Seite vorgeschlagen würde, gemein sam ein Initiativgesctz auf der Basis der Vorlage von 1891/92 einzubringen. Die Conservativen aber scheinen dazu wenig Neigung zu besitzen. Sie haben intimere Kenntnis; als jede andere Partei davon, wie in der Negierung der Wind weht, und eS scheint nicht, a!S ob ein eiuem neuen Volksschulgesetze günstiger Wind webe, obwohl an der persön lichen Geneigtheit einflußreicher NegierungSkreise und an einer Majorität in beiden Häusern des Landtags kein Zweifel bestehen kann. Manchmal aber muß man die Zweckmäßigkeit über die persönlichen Neigungen stellen, und die Regierung hält eS Wohl nickt für zweckmäßig, die gemäßigten Parteien, aus die sic im Reiche sehr angewiesen ist, vor den Kopf zu stoßen. Und darum scheinen auch die Conservativen nicht zu einem nutzlosen Vorstöße geneigt zu sein, der ihr Ansehen keineswegs fördern könnte. Ein ausführliches Telegramm der Wiener „N. Fr. Pr." bringt genügende Aufklärung über das blutige Neneontre in Prag. Danach meldet der Polizei-Rapport: Drei Aus sagen liegen vor. Zunächst die des schwer verwundeten, sväter seiner Verletzung erlegenen tschechischen Studenten der Philosophie, des 2ljährigen LehrersohneS ausLhotka,Linhart. Er giebt an: Er habe nach 2 Uhr früh mit zwei ihm nicht bekannten Herren ein Gasthaus in Weinberge verlassen und, mit diesen weitergehcnd, in der Palackygasse einen jungen Menschen und einen Couleur- studenlen gelrofsen, welch letzterer den ersteren dem Anscheine nach verfolgt habe. Ter junge Mann habe die drei Personen ersucht, ihn in die Komenskygasse zu begleiten, da er von dem Studenten verfolgt werde, was auch geschah. In der Nähe des Purkineplatzes habe sich der Student um gedreht und gefragt, warum man ihm folge, worauf Linhart zurücksragte, warum er den jungen Menschen verfolge. Darauf habe der Student dem Linhart einen Stockhieb versetzen wollen. Linhart und seine beiden Begleiter hätten dem Stu denten einige Hiebe mit ihren Stöcken versetzt. Dieser habe sich gebückt und aus einem Revolver drei Schüsse abgegeben, wovon einer Linhart traf. Der deutsche Student Biberle sagt auS: Er sei Nachts, als er mit der weißen Coulcurkappe der „Suevia" ans dem Kopse, aus dem „Grand Hotel" nach Hause in die Komenskygasse ging, drei tschechisch sprechenden Herren begegnet, welche er um Feuer an sprach, das ihm jedoch, obwohl einer derselben rauchte, verweigert wurde. Darauf habe einer der Tschechen gefragt, ob er (Biberle) tschechisch spreche. Biberle antwortete gleichfalls in tschechischer Sprache: „Warum soll ich eS nicht können?" Darauf seien alle Drei über ihn hergefallen und hätten ihn mit Stöcken geschlagen. Biberle sei gefallen und habe, auf dem Boden liegend, seinen Revolver gezogen und auS demselben drei Schüsse obgefenert, Len letzten davon auf einen der Angreifer, worauf die Gegner wegzelaufen seien. Dcr gleichfalls, aber nur ganz leicht verletzte Lekononiic- Adjunct Wenzel Schmidt aus Werschowetz, welcher rüst Linhart in dem Weinberger Gasthause gezecht hatte uud mit ihm nach Hause gegangen war, bekundet: Er und seine Begleiter seien einem deutschen Studenten begegnet, der sie um Fener ersuchte. Ta Linhart betrunken war, so habe er (Schmidt) dem Studenten gesagt: „Cie sind nüchtern, gehen Cie nach Hause", w o ra ns der St »dent seinen Weg fort gesetzt habe. Nun sei ein » »bekann ter ju ngcr Mann des Weges gekommen uud habe dem Linhart gesagt, der Student gehe ihm schon vom Wenzelsplatze aus nach. Darauf seien sie noch einige Schritte gegangen, und nun habe Linhart dem Studenten einen Stockhieb über den Kops versetzt, so daß der Student zu Boden stürzte. Der fremde junge Mann schlug jetzt mit den Fäusten, Linhart mit dem Stocke auf den deutschen Studenten ein. Dem Schmidt schien es, als ob der Student für einen Moment das B e w u ß t s e i n verloren habe. Nachdem er sich aber wieder rührte, hab» Linhart weiter ans ihn ein geschlagen. Schmidt habe die Beiden trennen wollen nnd sei zwischen sie getreten. Linhart aber habe sich wieder auf den Etudenien gestürzt. Nun habe der Etudrnt seinen Re- volver hervorgeholt nnd einen Schuß abgefenerk. Tiefer habe ihn (Schmidt) zwischen dem kleinen und dem Goldfinger der rechten Hand getroffen. Hierauf sei Schmidt nach Hause geeilt und habe die Eouleurmütze des Studenten mitgenommen, in der Absicht, von dem Vorfälle heute die Anzeige zu erstatten, lieber den weiteren Verlauf deS Vorfalles weiß Schmidt nichts Näheres anzugebeu. Soweit der Polizei Rapport. Zn Betracht kommt als am objektivsten und einwandfreiesten die Darstellung des Zeugen Schmidt, des Zechgenoffen Linhart's; danach ist es der Letztere gewesen, welcher, ohne von Biberle gereizt zu sein, sondern lediglich anfgestachelt durch den unbekannten jungen Mann, welcher sich von Linhart verfolgt glaubte, zuerst von der Waffe Gebrauch machte und Biberle einen schweren Schlag versetzte. Der deutsche Student hat, zu Boden geworfen nnd weiter geschlagen, in äußersterNothwedr ge handelt, als er von seinem Revolver Gebrauch machte; er ist also unschuldig an dem Tobe seines tschechische» Commi- litoneu. Linbart selbst giebt freilich an, Biberle habe iknn zuerst einen Stockhieb versetzen wollen, aber diese Aussage des schwer betrunkenen und schwer verwundeten jungen Mannes ist zu vag, als daß ihr viel Gewickt beiznlegen wäre, klebereinstimmend geben Schmitt und Biberle an, der Letztere habe die ihm Begegnenden um Feuer angesprochen, und Biberle selbst fügt hinzu, die Drei hätten tschechisch gesprochen. Biberle war nüchtern, er hätte sich also umsomel r sagen müssen, daß es unvorsichtig sei, zu so vorgerückter Nacht stunde Leute, die er für Tschechen halten mußte, anzusprechen. Diese Unüberlegtheit macht Biberle aber nicht für die be- klazenSwerthen Folgen verantwortlich, denn er ist aus Schmitl's Mahnung ruhig Weiler gegangen, womit eigentl ck der ganze Zwischenfall beendet gewesen wäre, wenn nickt vv.i dritter Seile die Leidenschaften aufgeregt worden wären. Wir vermutheten gestern sckon, daß eine planmäßige Er regung der Tschechen gegen die Deutschen im Werk sei. Dem dürste thatsächlich so sein. Wenigstens macht daS Dazwischen kommen des „unbekannten jungen ManneS" ganz den Eindruck eines tschechischen emwsnir Provokateur. Bei dem zweiten der gemeldeten Uebcrsälle drangen die Tschechen ebenfalls ohne jede Veranlassung mit Stockhieben aus die beiden dec 141 Onkel Wilhelm's Giiste. Roman von A. v o n d e r E lb e. Nachdruck ktrLoien. Schon am Morgen des zweiten Tages nach der Unterredung mit Fillberger nahm Kurt Abschied von den Seinen. Es galt, vor dem Abgang des paffenden Schiffes noch allerlei zu ordnen und dann rechtzeitig an Bord zu gehen. Dcr Vater verhielt sich theilnahmlos bei dem bewegten Lebe wohl des Sohnes. „Es ist immer üblich gewesen, daß junge Leute von Familie reisen", sagte er würdevoll. „Benimm Dich so, wie es Deinem Namen und Deiner Stellung zukommt. Wenn Du zurückkchrst, findest Du uns wieder in Schloß Wendelstein in- stallirt." Die Knaben ließen es sich nicht nehmen, das geringe Gepäck des Scheidenden zur Bahn zu schaffen, und liefen, umsprungen von den Hunden, mit Handkoffer und Tasche wichtig voraus. Nella geleitete betrübten Herzens den Bruder bis zu Onkel Wilhelm's sonderbarem Schlagbaum. Hier standen die Ge schwister und sagten sich Lebewohl. „Mein armes Kind", sagte Kurt, sie umfassend, „tief fühle ich's, in welch' schwieriger Lage ich Dich hier zuriicklaffe. Ich hoffe, Du behältst guten Muth." Bewegt und mit Thränen in der Stimme erwiderte sie: „Ich will mein Bestes thun, Kurt, tapfer, fröhlich und voll Gott vertrauen zu bleiben." „Wir Männer gehen hinaus nnd ringen mit dem Leben, es dünkt uns eine harte Aufgabe. Aber ich glaube doch, Nella, das Schwierigere fällt Euch zu, die Ihr daheim bleibt, nnd Euch Tag für Tag mit Dem abfinden müßt, was wir hinter uns lasffn." Noch eine herzliche Umarmung, und dann sah sie seine schlanke Gestalt den Brüdern Nacheilen. Ein Gefühl großer Vereinsamung nnd Verlassenheit überkam ff». Heiße Thronen stiegen ihr heraus und verdunkeltem ihren Blick. Nur undeutlich sah sie, wie Kurt noch einmal seinen Hut zu ihr herauf schwenkte. Da packte es sie, als könne sie ihn nicht lassen, und unwillkürlich kies sie noch eine Strecke hinter ihm drein. Nun blieb sie zögernd stehen, denn eben verschwanden die drei Hinabsteigenden an einer Biegung des WegeS hinter Busch und Baum. Niedergeschlagen wandle sie sich, nm heimzukehren, heim- zükehren in die öve, fremde Häuslichkeit, zu den wunderlichen Männern, zwischen denen sie helfend und vermittelnd aushalten mußte. Da sah sie Onkel Wilhelm's eckige Gestalt, wie er, mit feier licher Miene vor sich hinstarrend, drei Mal wuchtig auf den Schlagbaum schlug und jedes Mal laut sagte: „Wilhelm ist da gewesen." Erschrocken zögerte sie, ihm näher zn treten, war auch er — wie ihr armer Vater? Als er ihrer ansichtig wurde, ging etwas wie Verlegenheit über sein behagliches Gesicht. „Sieh — sich, Kind", rief er ihr entgegen. „Wundere Dich nicht — ist so eine alte Gewohnheit. Denke, der Tag geht nicht gut aus, wenn ich das nicht gemacht habe. Also Dein Kurt ist nun weg?" „Ja, Onkel." Sie kämpfte noch mit Thränen, als sie dann aber mit ihm zurückging, siegten ihr heiterer Sinn, ihr guter Muth. Sie hatte ja längst gewußt, daß sie sich von Kurt trennen werde. Je eher er ging, ;e eher kam er zurück, um unten bei Fill- berger angestellt zu werden, und dann vielleicht längere Zeit in ihrer Nähe zu bleiben. Wenige Tage später ging Nella mit Peter und Paul zur Sprechstunde des alten Rectors, um die Knaben der Schule zuzu führen, die nach Ablauf der Herbstserien in der nächsten Woche wieder beginnen« sollte. Die Rectorei war ein schöner alter Klosterbau mit massiven Steinmauern und hallenden Kreuzgänyen. Sie zogen sich um den ehemaligen Begräbnißplatz der Mönche, aus dem sich jetzt, da er zum Schulhof umgestaltet war, die fröhliche Jugend in ihren Freiviertelstunden tummelte. Nella wußte, daß der alte Rector Wittwer sei und mit seiner Magd in den oberen Räumen des Klosters wohne. Ein Schul vogt, der neben dem Eingänge hauste, wies die Kommende zurecht. Und nun traten die drei Geschwister in des Herrn Rectors Staubig Studirgimmer. Welch' ein winkeliges, verkramtes und verrauchtes Allerheiligstc der Pädagogik und Gelehrsamkeit. Der Herr Rector verfuhr durchaus fachlich. Er sah Tauf- und Impfschein durch und begann dann zu examiniren. Als die Knaben nach UeberwinVung der ersten Scheu prompt und richtig antworteten, meinte der alte Herr befriedigt: „Ei, ei, da scheint denn doch der Hauslehrer seine Schuldigkeit gethan zu haben ', ein Lob, in das Peter und Paul lebhaft ein stimmten. Die Ausnahme in eine Elasse wurde ausgesprochen, und dann verließ Nella mit den beiden Jungen Zimmer und Haus Als sie das Kloster verließen, führte ihr Weg sie an einer be moosten Mauer entlang, die den weiten Klostergarten von der Straße trennte. An einer Stelle war die Mauer von einem Eisengitetr unterbrochen, das Einblick ins Innere gewährte. Die Knaben blieben stehen, sahen hindurch und nöthigten die Schwester, dasselbe zu thun. Welch' herrliche Alleen, weite Rasenplätze, treffliche Obst bäume und große Gemüsefelder. Ms sic nach ihrem Bergwege einbogen, holte sie der Land briefträger ein, der sich gern den Weg zur Höh« sparte, und Nella einen an sie adressirten Brief einhänd-igte. Während der Mann davonginy und die Brüder Vorausliesen, stand Nella und starrte auf die Adresse: „Fräulein Petronella von Nusteberz", ihre Knie zitterten unv ihr Herz klopfte un ruhig. Ja, sie kannte diese Handschrift, die nicht allzu groß, aber eigenartig und gleichmäßig war. Sie hatte diese Schriftzüge oft in den Bemerkungen unter den Arbeiten der Knaben gesehen und nicht vergessen. Kein Zweifel, Doctor Johannes Feldhaus benutzte die ihm gegebene Erlaubniß und schrieb an sie. Wie wunderlich, daß sie so sehr darüber erschrecken konnte. Die Jungen würden sich schon allein Heimfinden, sie mußte gleich ihren Brief lesen. Sie setzte sich auf einen Felsvorsprung am Wege und durchflog di/ Worte, deren jedes sie tief ergriff. We ehrfurchtsvoll und doch wie herzlich er schrieb: Er hatte von Kurt die Nachricht seiner Abreise bekommen und fühlte nun alle Schmerzen ihrer Verlassenheit so deutlich nach, wie sie selbst ihr Empfinden kaum hätte in Worte kleiden sännen. Ja, das war treue, zuverlässige Freundschaft! Welch' ein Trost, einen Menschen zu wissen, der so gütig an sie dachte. Sie drückte das Papier fest zwischen ihren Händen, als halie sie da eine Freundesrechte und blickte mit glücklichem Lächeln zum durchsonnten Herbsthimmel empor. Es war doch wunderschön in der Welt und eine Freude, zu leben. Neu gestärkt sprang sie auf und eikte den Brüdern nach, die sich beim Durchsuchen eines .Haselnußbusches, nicht allzu fern von ihr, aufhielten. Als Nella sich dem Hause näherte, fiel es ihr ein, daß sie nicht an das Mittagessen gedacht hatte. Sie waren viel länger ausgebliebcn, als sie gemeint. Wie schwer, alle ihre Pflichten immer im Auge zu behalten. Aengstlich überlegte sie, was sie ihrem Vater vorsetzen könne. Er war viel zu zerstreut, um anspruchsvoll zu sein, wenn der Tisch nur im Ritiersaale in gewohnter eleganter Weise ge deckt war und er seinen guten Wein« sand, beachtet« er die Speisen wenig. War denn nicht noch ein Rest vom gestrigen Braten da? Nein, die Jungen hatten mit dem Vorzeben, sie müßten sich zur Prüfung stärken, trotz ihrer Gegenwehr, fast Alles zum Früh stück aufgegcssen. Aber Suppe? Ja, Fleischbrühe war noch da. „Hier riecht es aber 'mal gut!" ries Paul, als sie das Haus betraten. „Ja, hier giebt's «Gebratenes." „Bin hungrig wie ein Löwe." Nella eilte iu die Küche. Da siand Hahnew'nkel mit seiner großen blauen Schürze am Herde und schwenkte eine Pfanne, während ein kräftiger Duft von brauner Butter und geschmortem Obst ihn umwallte. „Gestatte mir gütigst, einige Apfetpsannkuchen zu backen, Lie unsere hockwchkgeborenen Herren Junker gern essen", sagte er würdevoll nnv sah aus seinen kleinen Schlitzaugen vergnügt küchelnd auf Nella herunter. „Ich will nur gleich im Sadl ausvecken", sie warf Hui uns Jacke ab. „Eben dieses ist ergcbenst schon gemacht." „Mer Sie sind ja ein himmlischer Hahnewinkel!" „Ja, das ist er!" riefen die Knaben und umfaßten den Langen stürmisch. „Mein gnädigster Herr hält Mittagsruhe; seid eraebenst nicht so laut, allerwertheste Junker!" Als Nella mit der Suppenschüssel in den Saal trat, saß ihr Vater an seinem großen Schreibtische nnd kramte in Papieren. Er hatte sich allerlei alle Zeitungen, Packpapier und Ab rechnungen aus der letzten Zeit in Wendelstein sorgfältig zusammcngetragen und konnte sich nun stundenlang damit be sckiiftigen. Er nannte dies sein Archivordnen. Fans er irgendwo im Hause eine bedruckte Düle, ein Stückchen alte Zeitung, so trug er die Papiere als gute Beute auf seinen Schreibtisch. Manch mal bedeckte er auch Bogen weißen Papieres mit unzusammen hängenden Sätzen und großen Zahlenreihen. Er war wieder so vertieft in seine Geschäfte, daß Nella ihn nmr mit vielen Bitten bewegen konnte, zum Essen zu kommen. Am Abend nach den Tagesarbeiten saß Nella bei der Lampe in ihrem Giebelstübchen und durchlas den tröstlichen Brief von Johannes wieder und wieder. Es war ganz still um sie lxr, nur das Geigenspiel der jüngeren Brüder tönte aus dem anderen Giebel gedämpft zu ihr herüber. Feldhaus batte «die Knaben oftmals Abends einige schöne ge tragene Sachen spielen und mit einem Ehoral schließen lassen. Sie würden dann mit ernsten und reinen «Gedanken eir.schlafen, hatte er gemeint, und den beiden Jungen war ihre Musik eine Lust.
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