Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.01.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990127018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899012701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899012701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-27
- Monat1899-01
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Dezugs-Prel^ kn ter Hauptexpedition oder den im Stadt« brllrk und den Dororten errichteten Au», aaorstellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HouS 5^50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Krcuzbandiendung iu» Ausland: monatlich ^l> 7.50. Tie Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr. die Abrud-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-action und Lrvediliou: AohanneSgaste 8. Tie Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend« 7 Uhr. Filiale»: Ttt» Slemm's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstrave 3 (Paulinuss'), LouiS Lösche. Tatbarinenstr. 14, vart. und KöiigSplatz 7. Morgen-Ausgabe. MiWM TaMM Anzeiger. ÄmtsMtt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Nolizei-Äintes -er Ltadt Leipzig. Uttzeigett'PreiS die 6 gespaltene Pelitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- ipalten) 50/^, vor den Familiennachrichtte (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- vk-zcichaib. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Tz,tra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuug 60.—, m»t Postbesörderung 70.—. ^nnahmeschlnß siir Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 U hc. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an dk Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polj in LeipzlL 48. Freitag den 27. Januar 1899. 93. Jahrgang. ZUM Geburtstage des Kaisers. .E Die deutsche Nation bat nach dem tiefbeweinten Hintritt des Fürsten Bismarck nunmehr nur noch einen Geburtstag im Jabre, der sie in ihrer Gesammtheit einigt: daS Wiegenfest ibreS Kaiser-, der diese Gesammtheit verkörpert. Und dieser Tag bedeutet allen deutsch Empfindenden etwas. Als daS Kaisertbum wieder ausgerichtet wurde, regten sich zweierlei daö monarchische Gefühl berührende Bedenken: hier die Besorgniß, das überragende RcickSoberbaupt könnte in den Herzen die Wertschätzung und Treue zu den Landesherren überschatten, dort die Befürchtung, die alte und tiefgewurzelte Anhänglichkeit an die Bundesfürsten würde, da daS monarchische Gefühl sich nicht zu spalten vermöge, die außerprcußischen Stämme dem Kaiser entfremden, wenn einmal der erste Kaiser und sein Sohn, die durch unnachahmliche Tbaten, durch ihre Persönlichkeit alle deutschen Herzen bezwungen, nicht mehr sein würden. Die Zeit hat diese Zweifel siegreich widerlegt. Das Dasein eines Kaisers teilt die Gefühle nicht, die neue Treuepflicht stärkt vielmehr, da beide aus einer Quelle, der Liebe zum Vaterlande, fließen, die alte. Die Liebe zum angestammten Fürstenhause und die Liebe zu dem Hause, welches daS deutsche Sehnen erfüllt hat, sind Flammen, die sich gegenseitig nähren. Kaiser Wilhelm II. hat dies empfinden dürfen. Der Enkel eines Herrschers von unvergleichlichen Verdiensten, der Sohn eines von Ruhmesglanz und seltener Verehrung um gebenen Fürsten, hat er, als Kaiser, weder durch die Größe und Volkstümlichkeit seiner Vorgänger, noch durch die Liebe zu den Landesherren Abbruch erfahren, und wenn er am heutigen Tage, auf eine mehr als zehnjährige RegierungSzeit zurückblickend, die Mittagshöhe des Lebens betritt, fo darf er sich von den Segenswünschen Alldeutschlands begleitet wissen. Dieser Gruß gilt nicht allein dem durch den Zufall der Geburt zum Vertreter aller Deutschen Gewordenen, er gilt auch der dem Idealen zugewandteu, allezeit daS Interesse fesselnden Persönlichkeit. Und er wird von Männern gefesteten Charak ters und unbcstochenen Blickes mit aufrichtiger Dankbarkeit dargebracht. In einem Augenblicke, wo sich die Welt zur lauten Bewunderung der friedlichen Absichten eines anderen Herrschers aufgefordert sieht, ziemt es sich wohl, zu bedenken, daß dieser Bekundung der Friedensliebe Friedens t hat en Wilhelm'- II. gegenüberzustellen sind. Dank auch gebührt dem Kaiser für die werktbätige Tbeilnabme, die er den Zeit bestrebungen auf den Gebieten der Forschung und der Arbeit entgezenbringt und die er im nun abgelausenen Lebensjahre insbesondere mit der allseits willkommen geheißenen An erkennung der technischen Wissenschaften bekundet bat. Auch mit der Ausführung seine- von religiösem Drang ein gegebenen Planes der Orientfahrt hat der Herrscher die Wahrnehmung zeitlicher vaterländischer Bedürfnisse glücklich zu verbinden gewußt. Möge da- Schicksal weitere Erfolge, wie sie sein hock- gemutheS Streben verdient, Wilhelm II. nicht vorenthalten! Dies und heiße Wünsche für sein und seines Hauses Wohl ergehen der Geburtstagsgruß des deutschen Volkes für seinen Kaiser. Der Muth der Kaltblütigkeit. Es war dem Grafen Caprivi nicht wie dem Fürsten Bismarck gegeben, in einer Fülle treffender Schlagwörter tief gründige politische Weisheiten auszusprechen; nur wenige „ge flügelte Worte" sind aus der Zeit seiner Kanzlerschaft erhalten geblieben. Eins dieser Worte indessen wird oft auf eine politische Situation zutreffend anzuwenden sein: das Wort von dem „Muthe der Kaltblütigkeit". Das deutsche Volk hat diesen Muih oft genug zu beweisen. Die deutsche Geduld ist nun einmal in der Welt sprichwörtlich geworden, und deshalb glauben andere Nationen das Recht zu haben, diese Geduld zu erproben und sich an kleinen gegen Deutschland gerichreten Nadelstichen zu ergötzen. Die fran zösische Deputirtenkammer und die amerikanische Bollsvertretung sind soeben wieder die Schauplätze derartiger freundschaftlicher Zerstreuungen gewesen. In der französischen Deputirtenkammer hatte bei der Be sprechung des Etats des Ministeriums des Aeußeren die Re gierung naturgemäß keinen guten Stand, denn Frankreich hat sich in dem letzten Jahre eine politische Niederlage nach der anderen geholt. Der Minister hatte sich denn gehörig herum« znwindrn, um insbesondere an der England gegenüber erlittenen Blamage mit leidlichem Geschick vorberzukommen. Da hielt er cs für gut, das eigene GeMüth und das seiner Zuhörer durch einige kleine Anspielungen auf Deutschland und das Verhältniß zu diesem Staate zu erquicken. An einer Stelle seiner Rede legte er dar, daß die Stellung Frankreichs als Schutz macht der Christen im Orient, in keiner Weise be einträchtigt worden sei, an einer anderen Stelle erklärte er pathetisch, daß die Geschichte Frankreichs ein Ganzes fei, von dem man kein Theilchcn loslöscn könne. Die erste Andeutung bezieht sich auf die in dem vergangenen Jahre viel erörterte Stellung Deutschlands zu seinen Unterthanen im Orient, die zweite Andeutung — und der lebhafte Beifall, den sie erweckte, bcweist, daß sie verstanden wurde, — drückt einen zarten Protest gegen die Lostrcnnung Elsaß-Lothringens von Frankreich aus. Solche freundnachbarlichen Anspielungen begegnen in Deutschland dem Muthe der Kaltblütigkeit. Deutschland hat bereits wiederholt bewiesen, daß es den Schutz über die deutschen Christen im Orient selbst ausübt, und die Franzosen haben klugerweise zu diesen praktischen Beweisen fiillgeschwiegen. Nach dem nunmehr an Ort und Stelle der deutsche Kaiser feierlich erklärt hat, daß ihm der Schutz der deutschen Christen im Orient obliege, wird der französische Minister des Auswärtigen wohl selbst nicht glauben, daß eine Aenderung der in den letzten Jahrzehnten geübten Praxis «intreten werde. Wenn es wieder einmal erforderlich sein wird, den Schutz über deutsche Christen im Orient auszuüben, so wird dies die deutsche Regierung in nachdrücklichster Weise besorgen, und deshalb kann man dem französischen Minister, wenn er die Phrase von der französischen Schutzherrschaft über alle Katholiken des Orients aufrecht erhält, mit den zwar nicht höflichen, aber klaren Worten Bis- marck's antworten: „Ob Sie reden, oder der Wind durch den Schornstein geht, ist völlig gleichgiltig." Dasselbe läßt sich in noch verstärktem Maße von den stets wiederkehrenden mehr oder weniger verhüllten Protesten gegen den Frankfurter Frieden sagen. Deutschland ist der Pontus possickens und läßt sich in dem Behagen des Besitzes durch leere Proteste nicht stören. Im amerikanischen Repräsentantenhause hat ein muthiger Mann davon gesprochen, daß man Deutschland prügeln müsse, wie man Spanien geprügelt habe. Er hat zugleich als ritterlicher Held jedem Mitgliede des deutschen Reichstages, das ihn etwa dafür fordern wolle, Genugthuung zugcsagt. Der Herr zieht die Parallele zwischen Deutschland und Spanien etwas gar zu weit. In Deutschland giebt es keinen Don Quixote, der den Vorschlag des amerikanischen Volksvertreters zu acceptiren geneigt sein könnte. Vielleicht aber bethätigt der Herr Berry seinen Muth dadurch, daß er nach dem Muster seines berühmten Lands mannes Isidor Stern nach Deutschland herüberkommen und dort die Beschimpfung gegen Deutschland wiederholen wird. Das Kissinger Gericht hat in seiner Bilanz noch nie einen so guten Abschluß gehabt, wie in dem Jahre, wo Herr Isidor Stern seine Caution von 80 000 cX verfallen ließ und den deutschen Staub von den Schuhen schüttelte. Angesichts der Zustände, die sich im vergangenen Frühjahre bei der Mobilisirung der Armee der Vereinigten Staaten herausgestellt haben, kann man in Deutschland nur ein humoristisches Lächeln für die Bramarbasirerei des amerikanischen Volksvertreters haben. Man empfindet auch keineswegs das Bedürfniß, die gekränkte Ehre durch eine große diplomatische Action wieder herzustrllcn. Man argumcntirt vielmehr so: entweder findet Herr Berry die schärfste Mißbilligung der großen Mehrheit seiner Landsleute — dann ist er genügend bestraft; oder die Amerikaner theilen in ihrer Mehrheit Herrn Berry's Anschauungen — dann um so besser für Deutschland, wenn es einmal zum Prügeln kommt. Die kleinen Liebenswürdigkeiten, die diesseits und jenseits des großen Wassers an die Adresse Deutschlands gerichtet werden, können also den Gleichmuth des deutschen Volkes nicht be einflussen. Das deutsche Volk ist nicht so nervös, uw von seiner Regierung ein Einschreiten zu verlangen, wenn irgend ein thörichtes Wort gesprochen wird; es verlangt nur dann ein entschiedenes Eingreifen, wenn wirkliche deutsche Interessen an gegriffen werden, und es ist zu hoffen, daß das deutsche Volk dann sich niemals in seinen Erwartungen getäuscht sehen wird. Deutsches Reich. Berlin, 26. Januar. (Die Ausweisung aus ländischer Socialisten aus den Einzelstaaten.) Ter bekannte socialdemokratische Redacteur vr.H e lphand (Parvut ist bekanntlich, nachdem er vor einigen Monaten aus dem Königreich Sachsen auSgewiesen worden war, jetzt auck aus dem Fürstenthume Reuß j. L. auSgewiesen worden. Natürlich erregt diese Ausweisung den rollen Zorn der socialdeme kratischen Presse. So schreibt die „Sächs. Arbeiterzeitung": „Der echte brutale beschränkte Polizeistandpunct! Wegen seiner Gesinnung wird ein Mensch — sofern man nur daS formale Recht Lazu bat — von Ort zu Orr gehetzt". — Wenn ausländische sccialistische Schriftsteller aus den deutschen Einzelstaaten auSgewiesen werden, so geschielt die- keineswegs nur, weil das formale Recht dazu vorhanden ist, sondern weil die Maßregel innerlich völlig berechtigt ist. Wer die Gastfreundschaft eines Staates genießt, dein er nickt von Geburt anzehört, hat ebenso die Pflicht, rem Gastfreunde nicht ins Gesicht zu schlagen, wie ein Mensch, der die private Gastfreundschaft eines Neben Menschen in Anspruch nimmt. Die S o c i a l d e m o - kratie will in ihrem Zukunftsstaate von ihrem HauS- reckte einen viel weiteren Gebrauch machen, als der bestehende Staat. Sie will die eigenen Staatsangehörigen, die den dann bestehenden Staat nicht anerkennen werden, in die Verbannung schicken, während der bestehende Staat nur Fremde ausweist, die seine Existenz untergraben wollen. Dieselben inneren Gründe, die für das Königreich Sachsen vorhanden waren, den ausländischen Socialistcn Helpband auS- zuweisen, liegen auch für das Fürstenthum Reuß vor, ja in noch erhöhtem Maße. Denn während im Königreich Sachsen wenigstens in einigen Theilen die Socialdemokratie noch nickt an der Spitze aller Parteien marschirt, ist daS Fürstenlbnin Reuß j. L. von der Socialdemokratie vollkommen unterwühl!. Und während eS im Königreich Sachsen bisweilen gelingi, Wahlkreise, die der Socialdemokratie bereits verfallen waren, wieder zurückzuerobern, fällt Reuß mit trostloser Regelmäßigkeit seit einer Reibe von Legislaturperioden bei den Reichstagswahlen der Socialdemokratie anheim. Unter solchen Umständen kann man es dem Staate gewiß nickt verdenken, wenn er zu den eigenen Socialdemokraten nicht auch noch fremde haben will. Und deshalb ist es eine durchaus balllose Unterstellung, wenn die „Sächs. Arbeiterztg." behauptet, man habe aus Furcht vor den preußischen Polizei gewaltigen einen Wink von auswärts „gehorsamst befolgt". Nein, hier fallen die Interessen von Neuß mit denen von Preußen und Sachsen vollkommen zusammen. Dies ist überhaupt der Unterschied zwischen der Ausweisung von socialistischen Ausländern aus einem Eiuzelstaate und der Ausweisung von Ausländern auS anderen Beweg gründen. Wenn beispielsweise ein polnischer Agitator öster reichischer oder russischer Nationalität auS dem Königreich Preußen auSgewiesen wird, so wird man nicht allzuviel da gegen einwenden können, wenn man ihn in Stuttgart oder München unbehelligt wohnen laßt, weil seine Gefährlichkeit im Verhältnisse zur Entfernung von der preußischen Ostmark Fettilleton. Napoleon I. auf St. Helena. Es ist natürlich reiner Zufall, daß wenige Tage nach dem Erscheinen von Bismarck'» „Gedanken und Erinnerungen" die Firma Schmidt <L Günther in Leipzig eine Ausgabe des Tagebuchs, das Las Cafes über Napoleon I. auf St. Helena führte, veranstaltet hat.*) Es ist verführerisch, zwischen beiden Büchern eine Parallele zu ziehen, zwischen dem Testamente des großenMannes amEnde, und den Rechtfertigungen des nicht min der großen Mannes am Anfang des Jahrhunderts. Man würde gewiß viele Anknüpfungspunkte finden, und bei einigem guten Willen könnte man die Betrachtungen Les Einen auf den Anderen iibertragenund könnte von Napoleon sprechen, wenn man Bismarck meint, oder umgekehrt. Das wäre freilich ein wohlfeiler Strauß, den man damit dem jüngsten deutschen Heros winden würde, aber bei so mancher Aehnlichkeit dieser beiden Männer und der ersten Tage ihres Abtretens würde doch schließlich der Vergleich, auf jeder Zeile hinken. Bismarck legt in seinen Erinnerungen zu gleich seine Gedanken nieder, er schaut zurück und er schaut vor aus, Napoleon aber zerwühlt sein Hirn wegen der Vergangenheit, und immer wieder hatte er bei jeder Erinnerung eine Recht fertigung, als ob er seine eigene Wirksamkeit bereue, als ob er sich vor sich selbst entschuldigen wolle. Das vorliegende zwei bändige Buch ist nicht das vollständige Tagebuch Las Cafes', der Uebersetzer hat es gekürzt, sehr zu seinem Vortheil, denn so sind Längen vermieden und in der Zusammenziehung ist zwischen den voncinandergetrennten täglichen Notizen eine recht bequeme Brücke gebildet worden. Las Cafes war nach seiner Rückkehr nach Frankreich, das er als Emigrant verlassen hatte, ein enthusiasti scher und, was noch mehr sagen will, ein treuer Anhänger Na- poleon's geworden, so treu und so ergeben, daß er sich geradezu drängte, Napoleon nach St. Helena zu begleiten, daß er seine Frau verließ und nur von seinem Sohne begleitet, lange Zeit das bittere Brod der Verbannung auf der Insel aß, die er ein Sibirien nennt, nur daß hier die Kälte und im Atlantischen Ocean die Hitze peinigte. Seine Aufzeichnungen sind auch nicht unangefochten geblieben, er mag wohl zu sehr durch die Brill- des Bewunderers und Freundes und schließlich auch durch die des Mißmuthigen gesehen haben. Wie er sich augenscheinlich bemüht, Napoleon's Aeußerungen über seine Handlungen stets den Stempel des Großen aufzudrückrn, wie er ihn überall liebevoll entschuldigt und sich seinem Geiste unterordnet, so bitter ist er gegen seine Wächter, so sehr läßt er seinen Groll an den Englän dern auS. Das erstere mag endschuldbar sein, denn er schrieb ja *) Napoleon I. Taaebuck von St. Helena. Geführt von LaS TaseS. Uebertragen und bearbeitet von Oskar Marschall von Bieberstein. 2 Bände. Schmidt L Günther, Leipzig. doch keine Weltgeschichte, er schrieb nur im Auftrage eines Anderen, oder mit den Worten einer Partei dieser Geschichte einen Commentar, er war ja auch selten dabei gewesen; die Vorwürfe gegen die Engländer aber bezogen sich auf die Gegenwart, auf seine eigenen Erfahrungen und hier war er selbst Geschichts schreiber, hier mußte er stets der Wahrheit die Ehre geben. Das hat er wohl nicht immer gethan, denn als er drei- Jahre vor Napoleon's Tode nach Europa zurücktehrte und hier seine bis zu seiner Rückreise geführten Tagebuchblätter herausgab und darin die Engländer scharf angriff, entgegnete General Hudson Lowe, der Gouverneur von St. Helena, und zeichnete ein nicht sehr schmeichelhaftes Bild von Cafes' Wahrheitsliebe. Wenn man daher das Buch zur Hand nimmt, muß man mit seinem Urtheilc an der Hand der Las Cases'schen Erzählungen vor sichtig sein, wenn man dies aber ist, so giebt das Buch uns eine Fülle des Interessanten, läßt uns einen Blick thun in dir Denkungsweise des großen Corsen, so 'daß es uns bis zu seinem letzten Buchstaben fesselt. Gerade die Kürzungen des deutschen Herausgebers machen es uns erst so recht lesbar. Als sich Napoleon am 10. Juli 1815 an Bord des englischen Schiffes „Bellerophon" begab, glaubte er die Gastfreundschaft der Engländer in Anspruch zu nehmen. Er wollte ins Exil nach England oder nach Amerika und so Frankreich, dessen Aufrichtung von seiner Abwesenheit abhängig war, sich selbst überlassen. Er baute auf die Großmuth des Prinzregenten. Freilich hatte er seine Rechnung falsch gemacht. Er appellirte vergebens an die Großmuth eines Volkes, das er nicht zu demüthigen vermocht hatte, demgegenüber er aber niemals freundlich gesinnt war. Und als sich sein Schicksal erfüllte, er an Bord der „Northumber- land" gebracht worden und ihm sein Reiseziel genannt worden war, da brauste er auf, aber es war zu spät, der Löwe saß im Käfig und seine Vernichtung war beschlossen, denn ein langsamer Tod war es doch, den das Klima St. Helenas brachte, fast so schlimm als das der Teufelsinsel, auf der jetzt «in anderer Fran zose langsam sich zum Schatten verzehrt. Am 16. October landete man aus der Insel. Schlimm genug sah es da aus. Ein Kaiser, der über Kronen verfügte, schreibt Las Cafes am 22. October, in eine elende Hütte verwiesen, die wie «in Nest an einem kahlen Felsen hängt! Zu seinem Unter halt« bringt man von weit her einige dürftige Gerichte: es fehlt kam Nothwendigsten, das Brod ist nicht, wie wir es gewohnt sind, I >er Wein auch nicht; Kaffee, Butter, Oel, Alles abscheulich! Die I Leidensgefährten des Kaisers sind zwei Meilen entfernt unter gebracht, kommen sic zum Besuch, so sind sie stets von einem englischen Soldaten begleitet. Wir waren heute Alle um den Kaiser versammelt. „Welche nichtswürdige Behandlung!" rief er; „wir sind mitten in den Schrecken des Todes. Der Un gerechtigkeit, der Gewaltthat fügte man noch die Schmach, noch lange Todesqualen hinzu! Wenn ich ihnen so viel Schaden zu fügte, warum haben sie mich nicht bei Seite geschafft! Einige Kugeln in die Stirn, in das Herz hätten genügt; sie hätten dann wenigstens Energie in ihrem Verbuchen gezeigt. Wie ist es nur möglich, daß die Fürsten Europas die geheiligte Souve ränität auf solche Weise an mir zu Schanden werden lassen? Ich bin als Sieger in ihre Hauptstädte eingezogen; was wäre aus ihnen geworden, wenn ich sie behandelt hätte, wie sie mich! Si« haben mich ihren Bruder genannt. Setzen Sie, meine Herren, Ihre Beschwerden auf, Europa soll sie vernehmen, ich aber . . . ich befehle, oder ich schweige." Der Capikain eines nach Europa heimkehrenden Schiffes kam, um zu hören, ob der Kaiser ihm Aufträge mitgeben wollte; es wurde ihm ein Schriftstück folgenden Inhalts behändigt: „Der Kaiser wünscht, daß mit der Rückkehr des nächsten Schiffes ihm Nachrichten zugehen von seiner Frau und von seinem Sohn. Er benutzt die Gelegenheit, um abermals Ein spruch zu erheben gegen die Art seiner Behandlung." Hätte man den Kaiser an Bord der „Bellerophon" auf der Rhede von Plymouth erschossen, es wäre im Vergleich mit dem jetzigen Zustand eine Wohlthat gewesen. Wir haben die elendesten Gegenden Europas gesehen, sie sind besser als dieser Felsen, der, beraubt von Allem, was das Leben erträglich machen könnte, nur geeignet ist, die Schrecken des Todes wachzurufen. Die christliche Moral allein und die dem Menschen auferlegte Pflicht, sich in sein Schicksal zu fügen, halten den Kaiser ab, einem so entsetzlichen Dasein ein Ende zu machen; sich über dasselbe aufzuschwingen, erscheint ihm als Ruhm. Wenn di« britische Regierung bei ihrer Ungerechtigkeit, ihrer Gewaltthat bleibt,so wird der Kaiser es als eine Wohlthat an erkennen, getödtet zu werden. Aber die Klagen halfen nichts. Der Weltbeherrscher war nun einmal gefangen und blieb es. Zuerst wohnte er in Briars, in einem kleinen Hause, das dem Kaufmann Balcombe gehörte und hier spielte er mit den vierzehn'- und fünfzehnjährigen Töchtern Whist. Im December siedelte er nach Longwood über. Wi« St. Helena aussah, das beschreibt Las Cafes sehr anschaulich am 10. December 1815: Der Kaiser bestieg um 10 Uhr Morgens das Pferd, welches man für ihn vom Cap der gut;n Hoffnung hatte kommen lassen; er war in der Uniform der Garde-Jäger. Von unserem Hause nach Longwood nähert sich der Weg zunächst dem Orte Briars, biegt dann nach rechts ab und erreicht ein kleines aufsteigendes Plateau; im Hintergrund« erhebt sich ein neuer Felskamm, der im Diana-Pic seinen höchsten Gipfel erreicht; rechts zeigen sich in romantischer Lage einige Niederlassungen, von Gärten um geben, links der starre Fels, der die Masse der Insel bildet, und ein, eine tiefe Schlucht hinabsteigender Vfad. Diesen schlugen wir «in und erreichten nach etwa zwei Meilen Weges ein kleines schlechtes Häuschen, „Huts gate" genannt und bestimmt, als Wohnung für den Großmarschall und dessen Familie zu dienen. Einige Schritte weiter bildet das sich abwärts schlängelnde Thal einen kreisförmigen Felsenschlund, „des Teufels Punsch-Bowle" genannt; von hier aus ist dann Longwood bald erreicht. Vor dem Thore des Hauses war eine Wache aufgestellt; der Admiral zeigte uni di« Localitäten und dem Kaiser gefiel Alles recht gut. Longwood ist eine einfache Farm, die man dem Untergouverneur als Wohnung eingeräumt hatte, um ihm als Landaufenthalt zu dienen; es gehört zu den höchstgelegenen Wohnstätten auf der Insel; die Temperatur ist im Durchschnitt um 10 Grad niedriger als in den Thälern; das Plateau, auf welchem Longwood liegt, reicht ziemlich bis an den östlichen Felsenrand der Insel. Der Wind, ost recht heftig, fegt stets in derselben Richtung darüber hin; vieler und plötzlich cintretender Regen trägt dazu bei, daß man den Unterschied der Jahreszeiten kaum gewahr wird. Wind, Wolken, Feuchtigkeit wechseln in ununterbrochener Reihenfolge mit einander ab. Die Temperatur, stets gleichmäßig milde, ist wohl keine geradezu ungesunde, die Vegetation trotz des vielen Regens dürftig, vom Winde zerzaust, vom der Hitze versengt, — das Wasser, durch eine Leitung herbeigeführt, ist fo ungesund, daß unser Vorgänger, der Untergouverneur, es vor dem Gebrauck stets kochen ließ; wir mußten seinem Beispiel folgen. Die Bäume, welche von Weitem dem Ganzen einen freundlichen Ausdruck gaben, sind Gummibäume, d. h. eigentlich sind es Stauden gcwächse, wenig Schatten bietend. Der Meeresspiegel und ein Kranz zerklüfteter Felsen bilden den Horizont. Angenehm kann der Anblick von Longwood nur für Den sein, der von langer Meerfahrt ausruhen will; wenn er an einem schönen Tage ein trifft, so mag er vielleicht von dem bizarren Reiz der Landschaft bewältigt ausrufen: O, wie schön ist es hier! Das ist nur ein Moment! Die Bewunderung weicht der Melancholie des Ein druckes, die für immer zurllckbleibt! Man betritt das Haus in Longwood durch einen Neubau, welcher als Vorzimmer und Speisesaal zugleich dient, von da einen Salon, dann einen dunklen Raum; eine Thür zur rechten Hand führt aus demselben in die zwei kleinen Wohnzimmer des Kaisers, das eine davon wird als Schlafzimmer benutzt, ein außen entlang laufender Corridor dient als Badezimmer; den Räumen des Kaisers gegen über, d. h. zur linken Hand des dunklen Gemaches, welches später als Eßzimmer benutzt wurde, lagen die Wohnräumc für Mine, de Montholon, ihren Gemahl und ihren Sohn; später wurde in demselben die Bibliothek untergebracht. Außerhalb von dieser Gruppe von Gemächern lag der mir angewiesene, mit der Küche in Verbindung stehende Raum, eine im Plafond angebrachte Oeffnung, zu der eine Schiffsleiter hinaufführke, vermittelte die Verbindung zwischen ihm und dem meinem Sohne angewiesenen j Bodengelaß. Fenster, Betten waren ohne Vorhänge, die Mobilien dürftig. Der Großmarschall mit Frau und Kindern wohnte zwei f Meilen entfernt, in dem schon genannten Huts gate. General Gourgand und der Arzt wurden einstweilen in einem Zelte unter gebracht, Welches sie mit dem wachhabenden englischen Officier theilten; später erhielten sie besondere Räume, die zur Zeit von Matrosen des „Northumberland" hergerichtet wurden. Eine Art Garten umgab das Haus, gerade gegenüber, durch eine ziemlich tiefe Schlucht vom Hause getrennt, lagerte das 53. Regiment, das Posten ringsum auf den die Umgegend beherrschenden Höhen ausgestellt hatte. (Schluß folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite