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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.01.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990128026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899012802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899012802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-28
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Die Inferiorität, die grenzenlose Unduld samkeit und der wilde TerroriSmuS, die den KlerikalismuS kennzeichnen und die er ungescheut zur Schau trägt, sobald er seine Zeit gekommen sieht, konnten sich nicht ab stoßender im deutschen Reichstage enthüllen, als in dem Auftreten des CentrumSchoreS und in der ebenso boblen wie gespreizten Rede seines Führers. Im verflossenen Jahre, als eben die Encyklika erschienen War, die daS Gedächtniß deS Jesuiten Canisius unter Ver unglimpfung des evangelischen Bekenntnisses feierte und Lob und Preis auf jenen Mann häufte, der den Jesuitenorden zuerst nach Deutschland gebracht bat, um den Protestan tismus zu bekämpfen, erschien auS anerkannt katholischer Feder daS Buck: Cardinal Manning's, des Erzbischofs von Westminster, letzte Schrift: .Mein Interesse für den Fortschritt deS Katholicismus in England". Diese Schrift Manning's ist im Jahre 1890 nievergeschrieben; der Cardinal ist dann am 14. Januar 1892 gestorben, ge feiert auch von den Organen, die heute die Rede des Abgeord neten vr. Lieber in den Himmel erheben, al» Säule der katholischen Küche. Der Schluß der Schrift deS Cardinals Manning ist insofern bedeutungsvoll, als er scharf darin „zwischen Partei — und zwar der ultramontanen Partei — und Kirche unterschieden hat". In Conseguenz dieser Auf fassung, welche auch durch die Geschichte des neuen deutschen Reiches als die zutreffende bestätigt worben ist, unterschieb er weiter: zwischen den Jesuiten als Priestern und den Jesuiten als Vertretern einer bestimmten politischen Richtung, die ge tragen wird von einer Organisation, die blind einem einzigen Willen außerhalb des Reiches zu gehorchen bat. Wie der Cardinal diese Auffassung in die Praxis umsetzte, gehl, wie jene Schrift mittbeilt, auS der Thalsache hervor, daß der Cardinal seinem Neffen unv Privalsecrelär Anderdon und eineni andern tüchtigen Geistlichen nach ihrem Eintritt in den Jesuitenorden Predigt und AmtSübunz in feiner Diöcese untersagte. Weiter hat Cardinal Manning den Jesuiten absolut ver boten, innerhalb seiner Diöcese ErziehungSthätigkcil zu ent fallen. Während der ganzen Dauer seiner Amtszeit ist cs den Jesuiten untersagt geblieben, auch nur eine einzige Schule ,n der Diöcese Westminster zu errichten. Cardinal Manning ist sogar jo weil gegangen, baß er die Aufhebung des Jesuitenordens im Jahre 1773 „as tüö vorlr ok Oock's kunck", als GotteS Werk, betrachtete. Und daneben stelle man nun nach dem Stenogramm der Mitlwoch- sitzung folgende Ausführungen des nationalliberalen Ab geordneten I)r. Hie der, einschließlich der unartikulirten Zwischenrufe deS lobenden CentrumsckoruS: Ich habe Namens meiner Freunde zu erklären, daß wir gegen- über dem Antrag Hompesch wie bisher uns durchweg ab lehnend verhalten. Wenn die Antragsteller sich eins wissen mit ihren Wählern, nun so wissen auch wir unS einig mit unseren Wählern (Lachen im Centrum); denn über dem katholischen Volke und über dem protestantischen Volke steht die Einheit des deutschen Volkes. (Lärmendes Gelächter im Centrum.) Gegenüber dem Vor wurf, daß es rin Ausfluß der Culturkampsstimmung sei, die un- beseelt, steht doch die einfache geschichtliche Thatsache, daß der Jesuitenorden seit dem 16. Jahrhundert aus einer Reihe und zwar auch katholischen Ländern ausgewirsen ist. (Lärm im Centrum.) Das ist eine historische Thatsache. (Langandauernder Lärm im Centrum.) Es ist heute noch in der Schweiz bekanntlich ein Artikel der Lundesversassung (Lärm im Centrum), u. s. w. Hätte sich vr. Hieber auf die Anschauungen deS Cardinals Manning berufen, der CentrumschoruS würde sicherlich gerade so gelärmt und getobt und seine Achtung vor der Autorität deS Kirchenfürsten, dem eS die katholische Kirche in erster Linie verdankt, daß sie auf englischem Boden wieder Fuß gefaßt hat, geradeso durch Wuthauöbrüche an den Tag gelegt haben. Herr vr. Lieber unv seine Getreuen hielten eben die Zeit für reif, um mit einem Faustschlag auf den Tisch Centrum als Trumpf auSzuspielen! Und warum sollten sie auch nicht meinen, sie dürften sich das erlauben? Stimmten nicht, obgleich das Centrum die Ansicht des Abg. vr. Hieber, die Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes werde den klerikalen Ansturm gegen das ganze Gesetz noch befeuern, durch stürmische Zurufe bekräftigte, sogar ein Tbeil der National liberalen für die Abbröckelung des Gesetzes? Kann nicht die „Germania" triumphirend verkündigen, daß die drei parlamentarischen Führer deS Bundes der Land- wirthe, Frhr. von Wangenheim, vr. Rösicke und vr. Diedrich Hahn, bei den Abstimmungen durch Ab wesenheit glänzten und im Saale erst wieder erschienen, als die Jcsuilendcbatte vorbei war? Kommt nicht der preußische CultuSminister den klerikalen Forderungen, wo er nur kann, ebenso entgegen, wie das Centrum den Wünschen der Welfen unv der Polen? Wenn da Herr Lieber nicht meinte, es sei jetzt Zeit zu lärmen, wann soll er eS meinen? Trotz deS erfolgten Dementis tauchen die Meldungen von der beabsichtigten Aartlegnng der bisherigen Garnison in Lippe-Tctmolv — ein Bataillon des 55. Infanterieregi ments von Neuem auf mit dem Zusatz«, als solle nur ein kleines Detachement in Detmold bleiben, um dem Wort laute der Militär-Convention zu entsprechen. Wenn für diesen Fall in einem lippischen Blatte mit der Kündigung der Convention gedroht wird, so ist daS ziemlich unbedacht; eine andere Einrichtung zu schaffen, durch welche die Bewohner deS kleinen Landes ihrer Militärpflicht genügen könnten, würde ihnen, wie die „Nat.-Ztg." mit Recht bervorhebt, Wohl kaum möglich sein. Aber eS wäre in bohem Grade beklagenswertb, wenn aber mals von preußischer Seite eine Maßregel erfolgte, die als absichtliche Schädigung dcS Kleinen durch den Großen erschiene. Als vor längerer Zeit zum ersten Male von einer beabsichtigten Verlegung der Garnison durch eine schlechte Beschaffenheit der Det molder CasernenalS Grund, Vervielfach als Vorwand angesehen wurde, angegeben ward, wurde aus Detmold geschrieben: die Wasserversorgung der Casernen sei in der Tbat zum Tbeil mangelhaft, aber eS werde an der Verbesserung durch die Stadtverwaltung gearbeitet. Ein derartiger Grund dürste somit jetzt nicht mehr obwalten. Im deutschen Volke würde man, abgesehen von sehr engen Kreisen, froh sein, wenn man von der lippischen An gelegenheit nichts weiter zu kören brauchte, außer daß durch die dortige Landesgesetzgebung über die Erbsolgefrage ent- I schieden sei. Dieser Wunsch, so sollte man meinen, könnte I jetzt auch von den eifrigsten Vertretern der schaumburgiscken I Ansprüche getheilt werden, denn der Bundesrath hat die Geltendmachung der letzteren ja für die Zukunft, falls sie einmal praktische Bedeutung erlangen sollten, Vorbehalten. Ueber die ungarischen Eompromitzvcrhandlungcn wußte gestern die „Neue Freie Presse" auS Pest zu melden: „An den Verhandlungen mit der ungarischen Opposition nimmt jetzt Koloman von Szell, Kraft besonderer Autori sation der Krone, als deren Vertrauensmann Thril. Die Verhandlungen verzögern sich wegen der Weigerung der Opposition, das viermonatige Budgetprovisorium noch dem Baron Banffy zu bewilligen. In Wiener Abgeordnetenkreisen wurde dagegen am Donnerstag er zählt, der Ministerwechsel in Ungarn werde sich schon in wenigen Tagen vollziehen und eben dadurch der Abschluß des ungarischen CompromisseS beschleunigt werden." AuS diesen Mittbeilungen ging hervor, daß im Grunde irgend eine sachliche Differenz zwischen Regierungspartei und Opposition nicht mehr besteht, zumal da die Szell'scbe Formulirung, der- zufolge die Giltigkeitsvauer des neuen Ausgleichs mit dem Jahre 1904 endgiltig begrenzt sein soll — Banffy wollte eine Begrenzung mit dem Jahre 1903 und falls dann die Erneuerung auf parlamentarischem Wege nicht möglich sein sollte, Erstreckung des Termins auf un bestimmte Zeit — die Billigung der Krone gefunden batte, die damit den ungarischen Unabbängigkeitsbestrebungen wieder einmal einen Schritt, wir meinen wieder einen Schritt zu viel, enigegengekommen ist. Die ganze Schwierigkeit lag nur noch in dem angeblichen Mißtrauen der Oppo sition gegen Baron Banffy. Man forderte dessen Beseitigung, ehe daS Compromiß brwilligt war, und verschanzte sich zu diesem Zwecke hinter dem Vorwande, wenn man mit Banffy pactire, werde dieser nach Beseitigung der äußeren Schwierigkeiten nicht gehen. Man verlangte demgemäß Garantien und zwar einmal dafür, daß Banffy falle unv sodann dafür, daß sein Nachfolger das jetzige Compromiß wirklich durchführe. Nunmehr scheint es aber Koloman Szcll gelungen zu sein, der Opposition plausibel zu machen, daß mit seinem Dazwischentreten der Fall Banffy'S schon besiegelt sei und daß die Krone selbst sich für die Durchführung verbürgt habe, indem sie ihn, Szell, als ihren Vertrauensmann abordnete. Wie unS nämlich auS Wien telegrapbirt wird, berichtet beute die „N. Fr. Pr." auS Pest, die Opposition habe sich nunmehr bereit erklärt, die Obstruction ein zustellen und die Provisorien und einen Ausgleich zu er möglichen, wenn dafür Gewähr geleistet werbe, daß die künftige Regierung gewisse Uebelstände beseitige und die Vexationen der Wähler abstelle. Gemeint ist die mit Nach druck verlangte Revision ter Geschäftsordnung und res Wahlgesetzes im Sinne der Opposition. Da die Erfüllung dieser Wünsche gesichert erscheint, dürfte der Regierung die Indemnität gewährt werden und der Ausgleich mit Oester reich, auf dessen Durchführung dem Kaiser Alles ankommt, ge sichert sein. Im deutschen Hilfsverein in Paris macht sich schon die Anziehungskraft der im Jahre 1900 statifindenden Welt ausstellung in sehr empfindlicher Weise bemerkbar. In der Hoffnung, bei den Arbeiten für dieselbe Beschäftigung oder irgend eine Anstellung zu erhalten, kommen jetzt schon auS allen Theilen Deutschlands Leute in großer Zahl nach Paris, fast sämmtlich ohne Mittel und der französischen Sprache nickt mächtig. Sie sehen sich in ihren Erwartungen sehr schnell getäuscht, da der Andrang von Arbeitsuchenden in Paris sehr groß ist und Einheimische den Fremden vorgezogen werden. Völlig mittellos geworden, wenden sie sich sckou nach wenigen Tagen an den Hilfsverein und bitten uni Heimbcförderung, welche der Verein aber nur in den allersellensten Fällen zu gewähren im Stande ist. Mil kleinen Gelbunterstützungen, wie sie der Verein eben nur geben kann, ist den Leuten wenig geholfen. Dieser Zu stand wird sich mit dem Herannahen der Weltausstellung immer mehr verschärfen, und der Hilfsverein wird besonders im Ausstellungsjahre selbst in einer Weise in Anspruch genommen werden, welche seine Kräfte weit übersteigen und ihn verhindern dürfte, seinen sonstigen Aufgaben gerecht zu werden. Der Hilfsverein hat in seinem letzten Jahresberichte hierauf schon aufmerksam gemacht und vor unüberlegtem Zuzug nachPariS gewarnt. Die Warnung war aber bisher von keinem Erfolg begleitet. Der Hilfsverein hat sich deshalb an die deutsche Botschaft in Paris mit der Bitte gewendet, von sich aus deutsche Arbeiter vor dem Zuzug nach Paris zu warnen. Von zu ständiger Seite wird nun die „Südd. Reichscorresp." ver anlaßt, neuerdings auf die Gefahren aufmerksam zu machen, denen nicht sprachkundige und mittellose deutsche Arbeiter in Paris ausgesetzt sind. Die Gespanntheit der Beziehungen zwischen den englischen Arbeitgebern und den TradeunionS bat in den letzten Tagen noch wesentlich zugenommen. Nach Len Reden und Beschlüssen deS in Manchester gehaltenen Sondercongresses der Tradeunionsführer kann es keinem Zweifel mehr unterliegen, daß von den Socialdemokraten ein neuer Unterwersungsfeldzug gegen die eng lischen Arbeitgeber im Schilde geführt wird. Dieser Plan wurde von dem Conzrcßdelegirten Curran mit anerkennens- werther Offenheit ausgeplaudert, indem er als Hauptzweck des Congresses den „edlen Plan" hinstellte, eine „nationale Kriegscasse" zu schaffen, welche für alle cintretenden Möglichkeiten ausreichenden Rückhalt gewähre. Die Arbeit geber wissen hiernach, wessen sie sich von den tradeunionistiscken Drahtziehern zu versehe» haben, wenn der „edle Plan" Mr. Currau'S zur Verwirklichung gelangt. Durch eigene Erfahrung ist eS ihnen übrigens schon so eindringlich eingeschärft worden, was die Schaffung einer tradeunionistiscken Kriegscasse im Üinzelfalle zu bedeuten hat, daß sie nicht einen Augen blick betreffs deS ihrer harrenden Schicksals, wenn sie untbätig ihre Hände im Schooße ruhen lassen, im Unklaren sein können. War dock der große Maschinenbauarbeilerausstand jüngsten Datums nur das Ergebniß eines maßlosen Ueber- mutkeS, der seinerseits wieder hervorgerufen wurde durch daS Vorhandensein einer übervollen „Kriegscasse". Hieraus ziehen die „Berliner Politischen Nachrichten" den logischen Schluß, daß der Gründung und Füllung einer Genera lkriegScasse deS Gesammtbundes aller TradeunionS die Jnscenirung eines socialdemokratischen Kreuzzuges gegen die Arbeitgeber auf dem Fuße folgen wird, wenn nickt die Arbeitgeber noch rechtzeitig sich auf ihre Noth- wehrpflicht besinnen und Gesammtorganisation gegen Ge- sammtorganisation setzen. Da so ziemlich in allen Branchen Verbände zum Schutze der Arbeitgeber gcgen socialdemo- kratische Vergewaltigung besteben, so wäre nur die Zusammen fassung aller dieser Einzelverdände zu einer höheren Einheit erforderlich, um eine Macht inS Feld zu stellen, mit welcher mutbwillig anzubinden selbst der gewissenloseste Agitator dock etwas zögern dürste. Denn ein aus der Gencralkriegscasse der Arbeiter genährter etwaiger Generalstreik würde dann von den Arbeitgebern unausbleiblich mit einem Gcncralausschluß FarrLH-tsn. Ls, Onkel Mlhelm's Gäste. Roman von A. von d e r E lbe. üiaLtruek vervolni. Wendelstein traute seinen Ohren nicht. Hatte er recht gehört? War sein Schwiegersohn plötzlich wahnsinnig geworden? Wie durfte er wagen, seine Tochter derartig zu beschuldigen? Harten Rucks riß er den Brief aus des Lieutenants Hand und überflog mit seinen scharfen Augen die Zeilen. Und was nie ge schehen, was Keiner, der den Obersten kannte, für möglich ge halten haben würde, er wankte, ließ den Brief fallen, griff sich an di« Stirne, tastete mit der anderen Hand nach einem Halt und wurde von Wendelin, der zusprang, nach seinem Lehnstuhl geleitet, hier lag er stumm und zusammengebrochen. Ein drückendes Schweigen folgt«; keiner der drei Männer fand ein Wort. Der Vater war außer Stande, zu sprechen, kalt rieselte es durch seinen eisenfesten Körper, er fühlte sich wie zermalmt. Das traf! Das ging bis inS Mark! Die beiden tief ergriffenen Zeugen dieses Zusammenbruches wagten die Versunkenheit des schwer Getroffenen nicht zu stören. Wendelin sah endlich mit heißem Erschrecken die Veränderung in des Vaters Zügen, er beugte sich über ihn und begann, ihm freundlich zuzureden. Der Oberst wollte sprechen und bracht« nur ein Lallen hervor, rr wollte den Arm heben, die Kraft versagt«. Hier lag offenbar eine körperliche Störung vor. Unterstützt von beiden jungen Männern, gelang «», den halb Besinnungslosen auf das lange Sopha zu schleppen. Und dann wurde zu dem Arzt geschickt. Seiner Unvorsichtigkeit zürnend und von d«n bittersten Ge fühlen erfüllt, verließ Hohenrain das HauS, daS er oft voll Glücksempfindung mit Adelheid am Arm betreten, er wußte, daß er nicht wieder hi«rh«r zurückkehren werde, daß die Brücke zwischen ihm und den Wendelstein» abgebrochen sei, daß er allein stehe, und daß rr froh sein müsse, mit seinem Jammer, und belastet mit der ihm anqethanrn Schmach, in die Einsamkeit des elter lichen Gute» flüchten zu können. Sein Rechtsanwalt mochte dann, an der Hand de» vorliegenden Briefe», seine Fesseln lösen. Ihm blieb nicht» übrig al» ein ernste» Bemühen, dir» Alle» zu ver gessen. Als der Arzt zum Oberst von Wendelstein kam, war der Kranke im Stande zu sprechen und hatte auch so ziemlich di« Bc- wegungsfähigkeit seiner Glieder wiedergefunden. AuSruhen und Vorsicht wurden das Uebrige thun. Gegen Wendelin verhehlte der Arzt nicht, daß es eine, durch des Patienten vortreffliche Constitution ausgeglichene, schlag ähnliche Mahnung gewesen sei, und daß der H«rr Oberst sich, um vorzubeugen, gewissen ärztlichen Anordnungen fügen müsse und schwerlich die ganze frühere Frische wiedergewinnen werde. Therese hatte sich, nachdem über Jutta's Todestag ein Jahr dahingegangen, mit ihrem Schwager Marchese Tassoni vermählt und war nun dem Elternhause schon lange f«rn. Fräukin Weiermann mußte stets, von Wendelstein aus, der Familie in di« Stadt folgen, das Hauswesen leiten und für die jüngeren Kinder sorgen, was sie treulich that. Ihre bescheidene Unterwürfigkeit und ihr Geschick machten sie dem Obersten be- guem. So übernahm sie jetzt die Pflege des von seinem Anfall sich nur langsam erholenden Hausherrn. Etwa acht Tage nach Adelheids Flucht saß Wendelin neben seines Vaters Lehnstuhl und erkundigte sich nach dem Ergehen des Genesenden. Als man «inige Worte gewechselt hatte, sagte der Oberst ohn« Einleitung: „Hör', Wendelin, ich will nie wieder etwas von der ehr vergessenen Dirn« wissen. Sie ist mein Kind nicht mehr. Da ich nticht anders kann, werde ich ihr in meinem Testamente ein Pflichttheil auswerfen und damit basta! Sorge dafür, daß ihr Name nie wieder hier im Hause und in meiner Gegenwart ge nannt werde." Der Sohn versprach bas Seinige zu thun, und der Vater fuhr fort: „Mich verlangt nach etwas Gutem und Erfreulichem. Hast Du Deine Wahl unter den Töchtern des Adels noch immer nicht getroffen?" Wendelin gestand, daß er noch nicht so weit sei, sich aber wieder mit dem Gedanken beschäftigen wolle. ES sei mancher Trauerfall in der Familie vorgckommen, der ihn niedergedrückt und für freundliche Pläne untauglich gemacht habe. Als Wendelin das Haus verließ, ging ihm seines Vater» Wunsch nach. Das frische, liebe Gesicht Nella's taucht« in seiner Erinnerung auf, und die fast überwundene Neigung erwachte auf» Neue. Sehnsucht, sie wiederzusehen, ergriff ihn, und der Wunsch, sie aufzusuchen, regt« sich in seiner Seele. Er wußte, daß ihr Vater im vergangenen Winter gestorben war, er dachte sie sich trauernd, einsam und verlassen und begriff kaum, daß er nicht schon längst zu ihr gereist sei, da der Grund ihrer Ablehnung doch der gewesen war, daß sie nicht von ihrem leidenden Vater gehen könne. Nun sollte ihn aber auch nichts mehr hindern, mit erneutem Werben zu ihr zu eilen. Zwanzigstes Capitel. Ein sonniger Sonntag-Nachmittag hatte wieder viele Gäste auf dem Rusteberg versammelt. Nella schaffte in reger Thätigkeit. Als es gegen Abend ging, wurden noch einige Portionen warmer Eierspeisen bei ihr bestellt, deren Bereitung sie zusagte, da die Kaffeegäste schon befriedigt waren. So stand sie nun am Herd« und begann eben ein fertiges Rührei aus d«r Pfanne auf die Schüssel zu füllen, die Lotte ihr hinhielt. Ganz vertieft in ihr Geschäft, überhörte sie die bescheidene Anrede eines Herrn, der eben in die Küche trat. Erschrocken von Dem, was er sah, nicht recht begreifend, wie Nella dazu komme, der Wirthin zu helfen, wagte der n«ue Gast sich zaghaft einige Schritte vor, und sagte noch einmal — „Ich möchte bitten." „Ja, ja, gleich! Sie warten wohl auf das Abendbrot»?" Lotte ging mit ihrem reich besetzten Brett an dem Eindring ling vorüber und zur Küche hinaus, und Nella wandte sich jetzt, als sie merkte, daß der Fremde noch.dastehe, zu ihm um. Ein freudiges Erkennen flog über ihr vom Herdfeuer ge- röthetes Gesicht, sie wischte rasch ihre Hand an der Schürze ab und streckte sie ihm entgegen: „Detter Wendelin! Wie freut es mich, Sie zu sehen!" „Nella, theure Nella — hier in dieser Wirthshausküch« —" befremdet sah er sich um, während er ihre Hand festhielt. „Wollen Sie nicht di« Gnade haben, mich — bei sich — zu empfangen? hier ist jetzt nichts mehr zu thun. Wir können in Onkel Äilhelm's Stube gehen, er ist noch im Garten." Sie gab der Magd, di« eben hereinkam, ein« Weisung, und dann führte sie unbefangen und freundlich ihren Besucher in daS bescheidene Vorderzimmer. Er hielt eS für angemessen, ein paar theilnehmende Worte über den Tod ihres Vater» zu sagen, bei denen sich ihre klaren Augen mit Thronen füllten. „Es war ein« Erlösung", sagte sie tief ernst. „Mein armer Vater wurde durch den harten Glückswechsel an seiner geistigen Gesundheit geschädigt, und sein Dasein war «in traurig«»." „Sie haben hier bei Ihrem Onkel einen zusagenden Aufent halt gefunden, indeß — wie ich fürchte — einfache Verhältnisse? Sie haben mit den Mrthsleuten das Haus zu theilen? Und — liebe Nella — gestatten Sie mir die offene Frage: wie kommen Sie dazu — Sie, ein Fräulein von Rusteberg — jenen Leuten, vermuthlich den Pächtern Ihres Herrn Onkels, in solchen häus lichen Geschäften beizustehen?" Sie lächelte und zwinkerte ihm schelmisch zu: „Verehrter Herr Vetter, jene Wirthe und Ihr armes Cousinchen sind ein und dieselben Personen. Oder, noch klarer zu sprechen, ich habe, um mit meinen jungen Brüdern leben zu können, die alte Kaffee- wirthschaft, die früher hier sehr viel besucht worden ist, wieder er öffnet." Wendelin starrte sie an: „Aber wie ist denn das möglich — das ist ja unglaublich —" stammelte er. In diesem Augenblick« trat Onkel Wilhelm ins Zimmer, er trug «inen groben, schäbigen Strohhut, hatte sich wieder seit ach: Tagen nicht räsirt, die Hände waren mit Erde beschmutzt, unv er scherzte mit Rosinchen, das unter unglaublichen, korkzieher artigen Krümmungen so hoch wie möglich sprang, um den Ge nuß zu haben, ihrem Spielkameraden durchs Gesicht zu lecken. Die beiden Männer sahen sich befremdet an. Nella lächelte, nie hatte sie sich freudiger zu ihrem alten Onlel bekannt als angesichts des feinen Wendelin. Sie schlang die Arm« um Wilhelm's Hals und rief: „Lieber Herr von Wendelstein, dies hier ist der allerbeste Onkel von der Welt, er hat uns in unserer bittersten Noth als Gäste ausgenommen, und in feinem Herzen fand ich ein noch viel wärmeres Plätzchen als in seinem Hause!" „Aber Kind — Kind —" wehrte Wilhelm bescheiden ab. „Was sagst Du, ein Herr von Wendelstein? — Euer — Euer —" er -war zu gutmüthig, um ein hartes Wort hervorzubringen. „Ja, Onkelchen, der Sohn des Herrn von Wendelstein, der in meines Großvaters Schloß zog." „Ist aber nett von Ihnen, daß Sie 'mal nach den Ver wandten sehen. Nella, besorg« für unseren Gast ein Glas Milch." Wendelin dienerte, er wußte augenblicklich nichts zu sagen. Er war ganz benommen; welch' wunderliche Verhältnisse! Dies mußte der auS dem Officiersstande entfernte Wilhelm von Rüste berg fein — na ja, verkommen — im höchsten Grade verkommen! Er stammelte etwas von nicht stören wollen — fürchte zu ge- niren — und zog sich zur Treppe zurück, hier stolperte er über Rosinchen, das jämmerlich schrie und hinkenv in die Ofenecke flüchtete, während Wendelin verschwand. Nella konnte nach Wendelin's ungeschicktem Abgang« rin fröhliches Gelächter nickt unterdrücken. Welch' komische Figur Freund Ligerle spielte! Natürlich entsetzte er sich über di«
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