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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990201023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899020102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899020102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
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Größere Schriften laut unierem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz aach höherem Tarif. Eptra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderuno 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je rin» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. P o!^ in Leipzig, 58. Mittwoch de« 1. Februar 1899. 83. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. Februar. Der Reichstag hat gestern mit allen Stimmen gegen die der Socialdemokratie die von der Regierung für Ktantfchau verlangten 8*/r Millionen Mark bewilligt; mit Recht konnte ein Redner der Rechten, Graf Arnim, hervor heben, daß die Opposition gegen die Errichtung dieses „maritimen Stützpunkte»" für die Betheiligung Deutschlands an der wirtbschaftlichen Erschließung des chinesischen Reiches ungleich zurückhaltender sei, al- sie e- gegen die sonstigen colonialen Unternehmungen Deutschlands war. Selbst Herr Bebel, der da- ablehnende Votum seiner Parteigenossen gestern in mehreren Reden begründete, brachte im Wesent lichen nur Klagen über das angeblich zu bureaukratische und zu militärische Verfahren de- dortigen Gouvernements vor. Herr Richter wollte die vom Staatssekretär Tirpitz dargelegten Verwaltungsgrundsätze vorläufig nur in der Theorie gelten lassen, aber schon diese beschränkte Anerkennung beweist, daß selbst Herr Richter eigentlich nicht» auSzusetzen hat. Zu dem günstigen Verlaufe der Debatte trugen jedenfall« nicht wenig die erfreulichen Mittheilunzen bei, die Herr Tirpitz über unsere jüngste Cvlonic machen konnte: Seit Eröffnung de« Freihafens bat ein vorher kaum in solcher Stärke erwarteter Zustrom von Handel und Gewerbe stattgefunden; es sind im Schutzgebiete selbst mächtige Kohlenlager von guter Qualität gesunden worden und auch die hygieinischen Verhältnisse wurden im Ganzen als günstig bezeichnet. So konnte eS nickt auSbleiben, daß dir große Mehrheit des HauseS die Zuversicht bekundete, daß die finanziellen Mittel, die das Reich jetzt in diesem colonialen Unternehmen festleqt, sich gut verzinsen werden. Warum nebenher fast dreimertel Stunden über einen Artikel debattirt wurde, den der Abg. Liebknecht in der „KoSmopoliS" ver öffentlicht hat und der mit dieser Zeitschrift längst vergessen ist, erklärt sich au- der überaus spärlichen Besetzung der Bänke. Die kleine Zahl der Anwesenden konnte keinen Schlußantrag eindringen, ohne zu befürchten, die Beschluß unfähigkeit des Hauses constatirt zu sehen. Die klaffenden Lücken in den Reihen der colonialfreundlichen Mehr heit bildeten die einzige Einschränkung deS Erfolges, den die Marineverwaltunz auch gestern zu ver zeichnen hatte. Heute ist SchwerinStag; außer den dritten Lesungen der 9 esuitenanträge und der gestern zu Anfang der Sitzung in zweiter Lesung einstimmig angenommenen Anträge ans Abänderung deS Zolltarifs wird der Antrag Rickert auf Abänderung des WahlverfahrenS und der Antrag v. Heyl, der sich an da« Reich um Abhilfe gegen die Verunreinigung de« Mittelrheins durch die Ab wässer einer Anzahl badischer Städte wendet, zur Berathung kommen; Vie dritte Lesung des Antrags Klinckowström wegen Bestrafung der Veröffentlichung geheimer Erlasse setzte der Präsident, obwohl er noch besonders darauf auf merksam gemacht wurde, nicht auf die Tagesordnung, wohl um den Antragstellern den Schmerz einer Verwerfung durch eine große Mehrheit des HauseS zu ersparen. Der Stand der braunschweigischen Thronangelegenheit ist ein sehr ernster, waS freilich den Halbwegs Unterrichteten nicht- Neue- mehr ist. Die Officiösro schweigen über die Kundgebung de« Ministers Otto, seine- PreßorzaneS und der angesehensten Zeitung deS HerzogthumS. Und daS einzige Blatt, da- die Haltung Preußen- rechtfertigen zu wollen schien, eignet sich die braunschweigische Auffassung an. Die „Köln. Ztg." schreibt: „In einem rein thatjächlichen Punkte kann man der braunschwei gischen ministeriellen Kundgebung beipflichten, nämlich, daß die preußische Negierung seit 1885 unterlassen hat, öffentlich bestimmt Stellung zu der braunschweigischen Frage zu nehmen oder vielmehr die Unabänderlichkeit ihrer Stellungnahme deutlich zu markire». Es ist das vielfach mißverstanden worden, und dieses Mißverstand» niß trügt nicht wenig dazu bei, die Zustände im Herzogthnm immer unhaltbarer und unerquicklicher zu gestalten. Solange man dieses Mißverständniß nicht beseitigt, nutzt es auch nicht viel, wenn Staats minister v. Otto in bemerkenswerther Weise in seiner diesmaligen KaisergeburtStagS-Rede die Ziele der welsischen Bewegung als „aus sichtslose Wünsche" bezeichnet." Der „eine" Punct, in dem die „Köln. Ztg." der braun- schweigischenKundgebung bcitrilt, ist der Hauplpunct, und wenn das rheinische Blatt der Beziehung der welsischen Wünsche als „aussichtslos" ein geringes Gewicht beilegt, so stimmt es ganz mit unseren gestern geäußerten Ansichten und, was mehr sagen will, mit der öffentlichen Meinung Braunschweigs zusammen. Die „Braunschweig. LanLeS- zeitung" fährt fort, eine Erledigung für äußerst dringlich zu erklären, und sie hält auch mit der Begründung Les Ver langens nicht zurück. Sie weist darauf hin, daß die halb amtliche Telcgraphenagcntur die jüngsten braunschweigischen Vorgänge ignorirt, und bemerkt dazu: „Man kqnn zuvörderst daraus entnehmen, wie unangenehm es der preußischen Regierung gewesen ist, sich an ihre Schuld gegen- über Braunschweig haben erinnern lassen zu müssen, und wie wenig eS ihr gelegen kommt, die welfijche Frage gerade jetzt wieder auslebe» zu sehen. Ferner ergiebt sich ans der Unterdrückung auch das Ein- geständniß eines ganz unberechtigten Ausfalles; denn wenn die braun schweigische Erwiderung nichteine so schlagendeZurückweisungdurch Um kehrung des Spießes gewesen wäre, so hätten die Ojficiöscn ganz gewiß Befehl erhalten, einen Gegenhieb zu thun. Für uns resultirt aus diesen Umständen die Erkenntniß, daß eS dringend geboten ist, den einmal ins Rollen gebrachten Stein nunmehr auch seinen Weg sorl- setzen zu lassen, ja womöglich ihm die Bahn noch zu ebnen, damit die preußische Regierung sich endlich dazu ermannt, die von ihr allein abhängige Frage: ob daS welsische Haus in Braunschweig zu- gelassen werden soll oder nicht, endlich klipp und klar durch die Mit wirkung des Bundesrathes zur Entscheidung zu bringen. Geschieht dies jetzt nicht,so können wiederum Jahre verstreichen, ehe sich einAn- laß dazu findet, und was dies für Braunschweigs politische und wirthschaftliche Entwickelung, für die öffentliche Moral und für die Gesinnung der Bewohnerschaft an Nachtheil bedeutet, das braucht nach den zahlreichen früheren Ausführungen über diesen Punct keiner weiteren Darlegung mehr. Tie Zahlen ergebnisse der letzten Reichstagswahl führen allein eine so beredte und eindringliche Sprache, daß eS keinem einsichtigen Politiker möglich ist, dagegen sein Ohr zn verschließe». — Beklagenswert!; bleibt bei solchen Verhältnissen nur das Eine, nämlich daß der für die Beurtheilung der Wünsche und Ansichten der Braunschweiger maßgebende Theil der Bevölkerung jeder selbstständigen öffentlichen Bekundung seiner Gesinnung seit Jahren ausgewichen ist und dadurch den Schein hat aufkommen lassen, als sähe die früher so ehrenfest nationalgesinnte Be völkerung in ihrer überwiegenden Mehrheit dem Ein- zuge der welsischen Dynastie mit frohesten Hoffnungen ent gegen; eine Fiction, die auch durch die Wahlziffern anscheinend bestätigt wird, während eS doch für den Eingeweihten zweifellos ist, daß sich darin lediglich eine starke Anhäufung von Mißvergnügen und Groll über die vorhandene politische Umnebelung und überschlechteBehandlung durch dieprrußischeEisenbahn- verwaltung ausdrückt. Will die braunschweigische Bevölkerung von diesem Drucke des Aergers über die „Unsichtigkeit des Wetters" befreit werden, so muß sie ebenfalls ihre Schuldigkeit thun und endlich selbst ihre Stimme erheben." Man sieht, daS braunschweibffche Blatt ist nicht blind für Len Thcil der Schuld, der seine Landsleute trifft. Aber wir glauben nicht, daß unter den heutigen RegierungS- vcrbältnissen die Stimme der Braunschweiger, wenn sie sich allein erhebt, gehört werden wird. Man denke an die Klagen der Lipper, und Braunschweig ist auch keine Großmacht. Die „Braunschw. Laudeszeitnng" schließt ihre Beschwörung, ein Ende zu machen, mit den Worten: „Wir appcllircn an den Kaiser." Das ist jeden falls für eine Bürgerschaft nicht ausreichend. Unseres Er achtens müssen die Braunschweiger die nationalen Parteien, die in ihrem Lande noch Boden haben, drängen, dem vielleicht ganz ungehört verhallenden Appell und dem „Nothschrei", wie man die Kundgebung der Landesregierung genannt, an der gegebenen Stelle Nachdruck zu verleihen. Dabci kommt nicht nur der Reichstag, sondern auch der preußische Landtag in Betracht. Die schleckte Behandlung des Landes in Eisenbahn-Angelegenheiten, über deren Umfang wir gestern nach einer Beschwerde eines braunschweigischen Landtagsausschusses Mittheilung gemacht, geht von Preußen auS, und die Nationalgesinnten in Preußen haben die Pflicht, nach Kräften zn Verbindern, daß fortwährend auS Berlin wehende eisige Winde die Sympathie für die deutsche Vor macht und damit unvermeidlich sür das Reich zur Erstarrung bringen. Die Pflicht ist um so dringender, als es iu der Reichshauptstabt Stellen geben mag, die die in Braunschwsig herrschende Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen LandeS- regiment und mit Preußen mit Wohlgefallen wachsen sehen, weil sie einem Eumberländer odereinem Regenten aus einem anderen deutschen Fürstenbause die Wege ebnet. Wer die angeführten Stellen aus der „Br. Landeörtg." aufmerksam liest und der für Lippe theilS in Angriff, theilS in Aussicht genommenen AuShungernngSversuche sich erinnert, der wird Liese Ver- muthung nicht für absurd halten. Der Wiederaufnahme der Bauten des PananiacanalS wendet sich jetzt auch daS Interesse deutscher Kreise zu. Die Ausführung des Nicaragua-Canals durch die Ver einigten Staaten von Nordamerika erscheint nach Annahme der betreffenden Gesetzesvorlage im amerikanischen Senat ge sickert, und zwar um so mehr, als die Gewißheit vorliegen dürfte, daß England seinen auf Grund des Clayton-Bulwer- VcrtrageS möglichen Widerstand aufgegeben hat, selbst verständlich nur gegen gewisse Concessionen. Die Vereinigten Staaten werden den Canal befestigen und dem Vernehmen nach den Schiffen unter englischer Flagge dieselben Beringungen gewähren wie denen unter amerikanischer Flagge. Für die übrigen an der überseeischen Schifffahrt interessirten Nationen, unter denen Deutschland mit seiner reich entwickelten Schifffahrt nach der Westküste Südamerikas obenan ' steht, hat eine Abmachung dieser Art eine schwerwiegende Bedeutung. Um so mehr muß es mit Befriedigung begrüßt werden, daß eS nicht ganz ausgeschlossen erscheint, daß der interoceanisch« Canal durch die Landenge von Panama in der Richtung des von Lesseps projectirten alten Panamacanals nun that- sächlich durch die „Neue Pauamacanal-Compagnie" aus gebaut werden wird. In der Generalversammlung vom 28. Tccember vor. IS. wurde nämlich mitgetheilt, daß rou Len zur Verfügung stehenden rund 77 Millionen Francs etwa die Hälfte ausgegeben ist, die Bauarbeiten gut fort schreiten, eine Vergeudung der Mittel, wie unter der alten französischen Panama-Gesellschaft, in keiner Weise stattsinLe und tbatsächlich Fortschritte in der technischen Ausführung des Unternehmens erzielt worden sind. Es wird demnächst notb- wcndig sein, die Beschaffung der gesammten, für den Canal bau erforderlichen und auf 600 bis 800 Millionen Francs veranschlagten Mittel zu unternehmen, was allerdings nur möglich sein wird, wenn die Zinsgarantie interessirter Staaten zn erlangen ist. In die technische Commission, welche bisher nur auS Franzosen bestand, sind, wie die „Mar.-Pol. Corr." mittheilt, im December 1898 unter anderen zwei deutsche hervorragende Techniker ausgenommen worden und zwar der Geheime Oberbaurath Futscher vom preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten und der Baurath Kock, Direclor der Akademie in Darmstadt. Beide waren früher Mitglieder der kaiserlichen Canal-Commission in Kiel, unter deren Oberleitung der Bau des Kaiser Wilhelm-CanalS (Nord-Ostsee-Canals) ausgeführt wurde. Vielleicht kann man die Tbatsache deS Eintritts beider Herren in die Oberleitung deS Panama-Canalbaues als Zeichen eines erwachenden deutschen Interesses an diesem Unternehmen ansehen. lieber das Ableben der Fürstin Marie Louise von Bulgarien wird uns aus Sofia noch telegraphisch berichtet: Die Fürstin lag seit Montag Abend in Agonie. Der Be völkerung war ihr Zustand nicht bekannt. Gestern früh empfing die Fürstin bei Bewußtsein die Sterbesacramenle. Dann nahm sie von ihren Kindern Abschied. Der Fürst wich nicht vom Sterbebette, lieber die Bestattung ist bisher noch keinerlei Verfügung getroffen worden. Die neugeborene Prinzessin hat in der katholischem Nothtause den Namen Clementine erhalten. — Die Ver mählung des Fürsten Ferdinand mit der Prinzessin Marie Louise von Bourbon bat bekanntlich insofern eine besondere politische Bedeutung gehabt, als der Herzog von Parma und der Papst ihre Zustimmung zur Heirath der katholischen Prinzessin nur unter der Bedingung gaben, daß alle Kinder katholisch getauft und erzogen würden. Die Abnahme eines solchen Versprechens war, da beide Theile zur katbolischen Kirche gehörten, ein seltsamer Vorgang. Indessen ist gerade das Haus Sachsen-Coburg ebenso vielseitig im Kronbesitz, wie im Glauben; eS ist in Belgien katholisch, in England anglikanisch, in Coburg und Gotha evangelisch, in der Linie Kohary, der Fürst Ferdinand angchört, wieder katholisch. Deshalb wurde von Ferdinand das Versprechen verlangt, gegeben und, wie bekannt — nickt gehalten, da der Fürst, um Rußland zu versöhnen, in die llebersührung des Prinzen Boris in die griechisch-orthodore Kirche willigte. Die verstorbene Fürstin war — wie Josef Beckmann, der ehemalige Preßchef in Sofia, in seinem Buche: „Die Wahrheit über Bulgarien", das die bittersten Wahrheiten über den Fürsten und seine Berather enthält, sagt — in Bulgarien die milde Hand, die überall helfend und Gutes thuend, wirkte. Ihre Volks- thümlichkrit war stets ein nicht zu unterschätzender Faktor an gesichts der Gleichgiltigkeit, die man dem Fürsten entgegen brachte. Es wird behauptet, die Fürstin habe vor der Entlastung Stambulow'S gewarnt, der ihr Wohl persönlich wegen feiner nicht höfischen Manieren nicht sympatbisch war, dem sie aber Dankbarkeit bewahrte, weil er mit Einsetzung Sterbendes Licht. Novelle von Robert K ohlra u sch. »!a»dr>ick v«rs»t«n. Zu einem der bekanntesten und berühmtesten Augenärzte von München kam an einem Hellen Junimorgen ein neuer Patient. Der Arzt pflegte seine Besucher, wenn es nöthig war, persönlich zur Thür de« Vorzimmer- zurückzuführen und sie dort den Be gleitern zu überantworten, die auf sie warteten. So hatte er es auch dir-mal gemacht und -sah sich nun, als er den vorigen Kranken hinausgeleitet hatte, einem Herrn und einer Dam« gegen über, -le nahe bei der Thür standen. Der Herr war offenbar der Patient, -er die Hilfe de- Arztes begehrte, aber nicht er zog im ersten Augenblick dessen Aufmerksamkeit auf sich. DaS Gesicht der Dame und der Ausdruck dioses Gesichtes fesselten ihn gleich in solchem Maße, daß er zunächst vergaß, dem neuen Besucher die Hand zu reichen und ihn in sein Arbeitszimmer einzuführen. Erst als die Dame den Arm de» Mannes losließ, den sie bisher gehalten hatte, und <rl» der Fremde nun, mit seinem Stock an der Erde tastend, einen Schritt vorwärts that, besann sich der Arzt auf seine. Pflicht. Aber auch, nachdem die Thür zum Vorzimmer zugefallen war und er den neuen Patienten zu dem UntersuchungSstuhl hin geleitet hatte, meinte er da» bleiche, seltsame Frauenantlitz noch vor sich zu sehen, und unwillkürlich warf er «inen Blick nach der Eck« des Zimmer». Das Gemach verrieth mit seinen ärztlichen Apparaten und Instrumenten den Beruf des Bewohners, aber e» kündigte durch eine reiche, wohlgeordnete Bibliothek und ein paar schöne Kunfigeaenstände auch dessen geistig« Regsamkeit und dessen Freude am Schönen an. .Ein« kraftvoll gemalte, den Farben und Linien de» Originals nahe kommende Copie von Rubens' Löwenjagd aus der alten Pinakothek hing über dem Schreibtisch, an der Wand gegenüber schaut« die Venus von Milo von einer Console herab, und in der Ecke, wohin der Blick des Doktors jetzt eben fiel, war auf dunkelbrauner Säule die Büste der Niobe, in gelblichem Marmor kunstvoll nachgebildct, mit gut berechneter Wirkung aufgestellt. Ja, das waren die Züge, an die ihn da» Gesicht der Fremden erinnert hatte! Das war derselbe steinerne, hoffnungslose Schmerz, der in den weit ge öffneten Augen wohnte, und auch die bleiche Farbe deS Marmors meinte er aus dem lebendigen Antlitz wiedergefunden zu haben. Nur daß dort schwarzes, reiches, glatt gescheiteltesHaar sich auf Stirn und Schläfen legte, daß die Augen in schwarzem Feuer leuchteten und daß eine düstere Trauerkleidung ohne eine Spur von Weiß an Stell« des lichten Gewandes der griechischen Dulderin die königlich hohe Gestalt umschloß. Nun wendete er seine Blicke wieder auf den Besucher, der ihm gleich beim Eintreten seinen Namen — Major Delius — genannt hatte. Auch ohne dies hätte der Arzt gewußt, daß er einen Militär vor sich habe. Die Figur, jetzt ein wenig gebeugt, konnte doch die geschulte Haltung nicht verleugnen, die mili tärischer Brauch verlangt, und auch das Gesicht trug den Typus de» bayerischen Officiers. Die festen, sicheren Linien ohne Schärfe, der stattliche Schnurrbart, der noch dunkelbraun ge blieben war, während das Haar an den Schläfen und in dem schmalen, neben den Ohren herabgehenden Bärtchen bereits zu ergrauen begann, der energische Ausdruck in der Stirnpartie über den Augen verriethen den Soldaten. Daneben freilich lebte noch allerlei Andere» in den. fernen Zügen, dar zu dem Bilde des Militär« nicht ganz paßte: ein Zug von Träumerei um den Mund, «in nervöses Zucken in den Nasenflügeln, ein Schleier von Schtvermuth, der über dem Ganzen lag. Nicht jener starre, weltabgeschlossene Schmerz, der in dem Frauengesicht wohnte, doch auch hier der Schatten eines tiefen, vielleicht untilgbaren Kummers. Zugleich offenbarte sich ober auch der Grund diese« Ausdruckes; di« großen dunkeln Gläser der Brille, die den -dahinter verborgenen Äugen Schutz gewahrten, sagten eS dem Arzt«: der Fremde da vor ihm war blind oder in Gefahr, cs zu werden. Er trat zu ihm heran und legte ihm — wohlvertraüt mit der beruhigenden Wirkung menschlicher Berührung aus die des Augen lichte« Beraubten — seine Hand aus die Schulter. „Womit kann ich Ihnen dienen?" fragt«' er mit einer Stimme, deren freund licher Ton es verrieth, daß der Arzt in ihm den Menschen nicht besiegt hatte. Der Ofsicier antwortete nicht gleich. Er saß, auf die Krücke sein«» Stocke» gestützt, und ließ die Hände nervös auf dem Griffe spielen, der mit silbernen Schuppen gemustert war und von dem schwarzen Holz des Stabe» leuchtend sich abhob. „Ls ist ein eigenthümliches Anliegen, da» mich zu Ihnen führt", brachte er endlich mit Ueberwindung hervor. Ein mildes Lächeln erschien aus dem Gesichte de» ArzteS: „Verlnuthlich doch dasselbe, da» auch meine anderen Patienten zu mir bringt. Cs ist irgend etwas mit Ihren Augen nicht in Ordnung und ich soll sie Ihnen wieder gesund machen, nicht wahr?" Der Major schüttelte den Kopf; er hatte die Unruhe und Schwäche überwunden, die ihn für einen Augenblick in ihrer Ge walt gehabt hatten, und sprach jetzt ruhig und bestimmt -mit einer klaren, aber doch gedämpften Stimme: „Nein, das ist es ja eben. Die Änderen kommen zu Ihnen, um gesund zu werden, ich komme zu Ihnen mit der Bitte, mich nicht zu heilen." Unwillkürlich entfernte der Doctor seine Hand von der Schulter des Fremden, wo er sie noch immer hatte ruhen lassen und trat einen Schritt von ihm zurück. Mit einem Ausdruck in den Augen, der zu fragen schien, ob nicht ein Psychiater der passendere Arzt für diesen Kranken sei, blickte er auf das Gesicht, in dem jetzt keine Muskel mehr zuckte. „Sie sind allerdings der erste Patient, der diese Bitte an mich stellt", sagte er langsam, als fürchte er, der Andere werde ihn nicht recht verstehen. „Unter diesen Umständen darf ich Sie aber wohl fragen, wrrum Sie überhaupt zu mir gekommen sind?" Einen kurzen Moment zögerte der Ofsicier doch wieder, bevor er sprach; er löste die recht« -Hand von dem Griffe seines Stockes und suchte tastend die Lehne deS Sessels. Als er die Lippen nun öffnete, wvr «feine Stimme noch ein wenig mehr gedämpft ali zuvor. „Sie" — er nannte keinen Namen, aber eine kaum merkliche Kopfbewegung nach dem Vorzimmer hin bewies, daß er von der Dame da draußen sprach —, „sie hat eS gewünscht. Darum bin ich hierher gekommen." „Ihre Frau Gemahlin" — Eine jähe, abwehrende Hand bewegung deS Patienten ließ den Arzt mitten im Satze plötzlich verstummen. „Dir Dame ist nicht meine Frau", sagte der Major mit solchem Nachdruck, als müsse er von einem theuren Wesen «inen unreinen Gedanken abwehr«». Zugleich aber vibrirte doch etwas in seiner Stimme, dos dem geheimen Kummer in seinen Zügen verwandt war. Ded Arzt sah ihn an und schwieg; er schien eine weitere Erklärung zu erwarten, doch unterbrach der Fremd« die tiefe plötzlich« Stille nicht, m der man das Rauschen eines mit Knospen bedeckten Lindenbaumes hörte, der nahe dem Fenster im Garten seine grüne Wölbung erhob. „Mein lieber Herr Major", sagt« der Doctor endlich, „Sie geben mir da «in schwieriges Räthsel auf. Sie suchen den Arzt, aber Sie wollen keine Heilung von ihm, Sie sind sür den Augen blick in ein traurige» Dunkel gebannt, und -Äe fliehen trotzdem da» Licht. Wollen Sie mir nicht wenigsten- gestatten, daß ich Ihre Augen untersuche, damit ich sagen kann, wie es in Wahr heit mit Ihnen steht?" „Ich bitte Sie darum. Diese Untersuchung ist cbcn DaS, weswegen -ich gekommen bin. Ich hoffe, von Ihnen zu hören, daß eine Heilung ausgeschlossen ist." „Möchten Sie mir nicht sagen, warum Ihre Gedanken fick in so trauriger Richtung bewegen?" „Ich müßte Ihnen die Geschichte meines Lebens oder wenigstens d«r letzten Jahre davon erzählen, wenn ich mich Ihnen verständlich machen wollte. Das würoe Sie nicht inter ässiren, -und mir würde es nicht leicht werden, darüber zu sprechen. Nur so viel kann ich Ihnen sagen, daß ich erst angefangen habe, glücklich zu sein, seit ich aufgehört l>abe, zu sehen. Während das Licht da draußen mir langsam gestorben ist, hat für mein inneres Leben ein anderes Licht zu leuchten angefangen. Und weil ich fürchte — nein, weil ich weih, mit aller Bestimmtheil weiß, daß dieses Licht für mich verlöschen wird, wenn Sie mir die Sehkraft der Augen wiedergeben, möchte ich auf Das ver zichten, was mir sonst als eine der schönsten Gaben der Natur er schienen ist. S«hen Sie, darum -wünschte ich nicht, daß Sie im Stande wären, meine Augen zu heilen." Er hatte ruhig, wenn auch nicht mit ganz fester Stimme ge sprachen, und in der Energie, mit der er seine Bewegung nieder kämpfte, lag ein schönes Zeugniß männlicher Krafts Ihn auf merksam betrachtend, hatte der Arzt Ihn angehört; jetzt ging er schweigend, mit auf dem Rücken verschränkten Armen, ein paar Mal im Zimmer ach' und nieder, dessen schwerer Teppich seine Schritte unhörbar machte. Dann trat er zu dem Tisch, auf dem seine Instrumente lagen, und während er da» Nöthige davon auSwählte, lächelte er ein wenig vor sich hin; es war ein kluges und feines Lächeln, -in dem ein Entschluß oder ein Plan sich an kündigt«. Die Untersuchung dauerte geraume Zeit, und als sie vorüber war, zögerte der Doctor noch ein wenig mit seiner Erklärung. Dann sagte er, wieder sehr langsam redend: „Ihr Augenleiden, Herr Major, ist offenbar ein schweres, und ich glaube, daß keine große Aussicht auf Heilung vorhanden ist. Mit voller Bestimmt heit kann ich es nach dieser einen Untersuchung aber nicht be ha-upten. Ich müßte Sie erst ein paar Wochen lang in meiner Klinik beobachten, und da Sie doch wohl volle Gewißheit über Ihr Schicksal haben möchten, so schlage ich Ihnen vor, für einige Zeit hier bei mir zu bleiben. Vielleicht", — er sprach diese letzten Worte noch langsamer als die vorhergegangenen — „sind Sie es ja auch der Dame schuldig, auf deren- Wunsch Sie dies« Unter suchung haben vornehmen lassen, ihr absolute Klarheit über die Sachlage zu verschaffen." Ein kurzer Kampf, der sich im Zucken der Mundwinkel und in erneutem, nervösem Spiel der Hände verrieth, erfüllte den
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