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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.02.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990204018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899020401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899020401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-04
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ES ist nicht gut, wenn in einem Volte das Interesse an der Parlamentsthiitigkeit alle anderen Interessen überwuchert, erber es ist ebenso unerfreulich, wenn, wie in Deutschland, das Interesse für di« Thätigkeit der Volksvertretung mehr und mehr erschlafft. , Deutsches Reich. * Leipzig, 3. Februar. Wie un» mitgetheilt wird, ist daS angekündigte öffentliche Auftreten des österreichischen Land tags-Abgeordneten vr. Reiniger in der für morgen von der Ortsgruppe Leipzig deS Alldeutschen Verbandes ein berufenen Versammlung polizeilich untersagt worden. Ver- mutblich liegt der Grund dieses Verbotes nicht sowohl in der Person vr. Reiniger'S, als in dem Auftreten mancher seiner Gesinnungsgenossen. Die Versammlung wird trotzdem statt finden. Berlin, 2. Februar. (Der Bund der Landwirthe und der nächste Katholikentag.) In seinem Bestreben, Einfluß auf die „regierende Partei- zu gewinnen, setzt der Bund der Landwirthe jetzt seine Hoffnungen auf den nächst jährige» Katholikentag m Neisse. Die „Deutsche Tages zeitung" läßt sich au» CentrumSkreisen schreiben, daß auf dem Neiffer Katholikentage die landwirthschaftliche Frage um so mehr in den Vordergrund treten werde, als in Schlesien ein zahlreicher gutkatholischer Bauernstand vorhanden sei. Insbesondere werde auch die ländliche Arbeiterfrage zur Erörterung kommen. „Ja diesem Sinne erwarten wir viel von Neisse und den Tagen dort." Die „Köln. VolkSztg." nimmt sofort zu diesem Vorschläge, den nächsten Katho likentag vom. Bunde der Landwirthe auS zu beeinflussen, Stellung. Auf den Katholikentagen würden, so meint sie, die wichtigsten Fragen zwar erörtert, aber nicht im Einzelnen. Die Versammlungen seien Katbo- likenversammlungen und nicht Fach- und Berufs versammlungen. „Wir glauben, die katholischen Land- wirtbe Schlesiens werden ausreichend über Aufgaben und Verrichtungen der Katholikenversammlung unterrichtet sein, um sie nicht mit einerVersammlung de» schlesischen Bauernverein» over de» Bunde» der Landwirthe zu verwechseln". Die,^K. V.-Z." dürste mit ihrer Er wartung Recht behalten, wie mau nach der Behandlung der agrarischen Frage auf dem letzten Katholikentage in Krefeld anaehmen darf. Mehr noch al» in Oberschlesien besteht am Niederrhein, dem Krefeld nahe genug liegt, eine starke agrarische Strömung unter der katholischen Bauern schaft. WaS der Bund also von Neisse erwartet, hätte sich auch in Krefeld erfüllen müssen. Dort aber sprach am 24. August v. I. Reichstagsabgeordneter Spabn über die Agrarfrage und sagte u. A. Folgende»: „Sie sehen, daß dic Land- wirthschaft durchaus nicht das Aschenbrödel, der Prügelknabe der Gesetzgebung ist; im Gegentheil, die Landwirthschafl steht gegenwärtig, wie zu keiner Zeit im Centrum der Gesetz gebung .... ES darf nicht eia einzelner Stand aufKosten der anderen gefördert werden, sondern die Interessen aller Berufsstande müssen gegen einander abgewogen werden." Der l-tzie Satz steht in direktem Gegensatz zu den Bestrebungen des Bundes der Landwirthe, trotzdem aber fand er den leb haften Beifall der Katholikenversammlung, in der e-o an Landwirthe» ebenso wenig fehlte, wie es in Neisse daran fehlen wird. Es ist ja sehr begreiflich, daß der Bund der Landwirthe immer wieder versuch!, in das Gefüge des Centrums einzudringcn, weil, er, wenn es ihm gelänge, auf diese Partei größeren Einfluß zu gewinnen, der Volksvertretung und der Negierung einfach leinen Willen dictiren könnte. Die Hoffnung, den Neiffer Katholikentag als Thür zu benutzen, durch die der Bund Eintritt beim Centrum finden könnte, wird aber ebenso fehl schlagen wie die bisherigen Versuche. All diese Versuche aber illustriren in interessanter Weise das Wort deS Freiberru von Wangenheim, daß der Bund der Landwirthe nicht daran denke, „befreundete Parteien" sprengen zu wollen. Berlin, 3. Februar. (DieKritik des „Genossen" Schippel am Milizsystem.) Vor einiger Zeit erregte ein Artikel der „Socialistischen Monatshefte", ter „War Friedrich Engel's milizglänbig?" überschrieben und mit dem Pseudonym „Jsegrimm" unterzeichnet war, den Groll der socialdemokratischen Orthodoxie. Insbesondere zeigte sich der „Parteitheorcliker" Kautsky darüber erbittert, daß „Ise- grimm" ketzerische Ansichten über das socialdemokratisch: Dogma vom alleinseligmachenden Milizsystem verfocht: er wandte sich in der „Neuen Zeit" gegen den „national gesinnten Wehrwolf". Dieser Angriff hat „Jsegrimm" bewogen, den Schleier der Pseudonymität zu lüsten und seinen Standpunkt zu vertbeidigen. Der Reichs- tagSabqeordnete „Genosse" Schippel bekennt sich in der„NeuenZeit" alsVerfasser des „ Isegrimm" - ArtikelS und verbindet damit eine vernichtende Kritik deS Milizsystems. Wir geben davon nur den nachstehenden, besonders charakteristischen Punkt wieder. KautSky hatte auSgeführt, daß die Miliz bei der ein jährigen Dienstzeit anfange und daß der Unterschied zwischen einem Berufssoldaten und einem Milizsoldaten nicht der zwischen einem ausgebildeten und einem nicht ausgebil deten Soldaten sei, sondern daß er darin liege, wann und wo die Ausbildung statlfindet. Hierauf erwidert Schippel u. A.: „Wenn eine einjährige Schulung den „ausgebildeten" Soldaten macht, und wrun zwischen stehendem Heer und Miliz nur daS der Unterschied sein soll, „wann und wo die Ausbildung slaltsindet", so frage ich einfach: Ist es besser, jeden Bürger von vorn herein darauf gefaßt zu machen, daß er vom zwanzigsten bis zum einund- zwanzigsten Jahre „seinem Berus entfremdet, in die Caserne ein geschlossen" sein wird, oder ist es richtiger, vom vierzehnten bis vielleicht zum sechsundzwanzigsten jährliche Einberufungen von vier und mehr Wochen rinzuführen. Ter „Kastengeist" mag im letzten Falle weniger großgezogen werden, aber diese fortwährende Störung und Unterbrechung wäre für daS heutige Erwerbsleben geradezu eine Tortur. Für den Großbetrieb und für die groß industrielle Nrbeiterclasse vielleicht noch am wenigsten. Aberwieviele kleine Ladner und Handwerker, deren Betrieb ans zwei Augen ruht, müssen einfach die Bude schließen, wenn Jahr für Jahr dieses Damoklesschwert aus sie nieder siele? Auf daS eine Jahr, während dessen man seinen Sohn für die Armee beansprucht, kann sich der Bauer am Ende einrichten; wieder heben, wenn der Reichstag aus seiner Mitte heraus eine bedeutende gesetzgeberische Thätigkeit entfaltet«. Freilich an einer großen Anzahl von Initiativanträgen fehlt r» im Reichs tag« nicht, aber leider — sind sie auch danach. Immer wieder werden alte abgetriebene Klepper den Colled«n und dem Volke vorgeritten. Was waren die Initiativanträge, die zuerst nach Weihnachten den Reichstag beschäftigten? Der Antrag auf Aufhebung deS Jesuitengesetzes und der Rickert'sche Antrag auf Sicherung der Wahlfreiheit, zwei alte Bekannte, die dadurch nicht interessanter Verden, daß sie immer wieder auS der Ver senkung auftauchen. ES ist daher auch kein Wunder, daß dem letzten „SchwerinStage" die hippokratischen Züge des nieder gehenden Parlamentarismus sich aufprägten. Der „Schwerins tag" ist eine bedeutsame Einrichtung deS konstitutionellen Ge dankens; «S ist der Tag, der, wenn die gesetzgeberische Arbeit noch so drängt, einmal in der Woche einzelnen Fraktionen die Gelegenheit sichert, was sie an befruchtenden Gedanken und An regungen in ihrem Schooße bergen, kraft der Autorität als Ver treter des gesammten Volkes eindrucksvoll und überzeugend zum Ohre des BundeSrathes zu bringen, der in der Gesetzgebung gleichstehender Factor deS Reichstages ist, zugleich aber nach der deutschen Reichsverfassung Träger der Souveränität der Einzel staaten und damit oberstes Organ deS Reiche». Zur Bc- rathung stand di« dritte Lesung de» JesuitengesetzeS; gesprochen wurde darüber kaum, aber muthig beschlossen in einem völlig beschlußunfähigen Hause. Obwohl in diesem Hause da» Eentrum die regierende Partei ist und über hundert Mandate verfügt, obwohl die „regierende Partei" selbst den Antrag vertreten hat, waren nicht einmal hundert Abgeordnete inSgesammt anwesend. Und wie wurde trotzdem der Antrag vertreten! Obwohl e» so nahe lag, um sich zu sehen und die Theilnahmlofigkeit in den eigenen Reihen zu beklagen, wurde eine Sprache nach dem BundeSrath hin geführt, die ein konstitutionelles Zusammen arbeiten schließlich zur Unmöglichkeit macht. ES war schon ein starke» Stück, al» vor acht Tagen der Abgeordnete Lieber sich dahin äußerte, „daß die bisherige ablehnende Haltung de» v«nde»rathe» eine Rücksichtslosigkeit wider den anderen Faktor der Gesetzgebung ist, dw jeder Kritik wie aller Beschreibung spottet". Wenn sich so, wie der Abgeordnete Lieber sich nennt, „ein alter, in parlamentarischem Dienste ergrauter Politiker" producirt, iva» Wunder, wenn der Abgeordnete Dasbach sich am Mittwoch beim Wahlrechtsantrag Rickert bündig dahin äußerte: „Der BundeSrath hat e» nicht einmal der Mühe werth gehalten, un» «inen Grund der Ablehnung anzugeben. Wenn einer von unS einem Anderen eine Bitt« abschlagen muß, giebt er ihm den Grund an; daS ist anständig. Es find vielleicht die Grunde de» BundesratheS so fadenscheinig, daß er sich schämen muß, dieselben anzugeben." Wenn der Präsident mit einem Ordnungs ruf nachholte, was vor acht Lagen an Vermahnungen versäumt worden, so ist auf der anderen Seite doch die Beschlußunfähigkeit de» Reichstage» und der demonstrativ« Beifall des Centrums bei diesen Ausfällen Anlaß genug, auf die hierin zu Tage tretende Verwirthschaftung de» Ansehens, dessen die Vertretung der Nation jetzt auch dem BundeSrath« grgenüber mehr denn je bedarf, mit allem Nachdruck hinzuweisen. Nicht wenig trägt r» auch zur Verwirthschaftung dieses An sehen» bei, daß man sich bei vielen Anträgen gar nicht mehr für die Verhandlung selbst, sondern nur noch dafür interessirt, wa» sich nach der Annahme d«S Antrages hinter den Touliffen abspielt. Ueberhaupt geht im ReichLtagitheater nachgerade viel mehr hinter den Touliffen, al» auf dir Bühne selbst vor. Der Schwerpunkt der Thätigkeit de» Parlaments wird immer mehr in die Relchslagsjammer. Lr Wenn man da» deutsche Volk mit Ausnahme der Parla mentarier, der politischen Beamten, der Journalisten und sonstigen Berufspolitiker fragen würde, womit sich der Reichstag seit seinem Zusammentritt befaßt habe, so würde sicherlich rin geringer Bruchtheil der Staatsbürger Bescheid geben können. Die Verhandlungen der Volksvertreter erwicken eben von Jahr zu Jahr ein geringere» Interesse. In diesem Jahre aber dürfte da» Interesse für die Reich»tag»berathungen wohl auf seinem Tiefpunkte angelangt sein. Der Gründe für die schleppenden und langweiligen Reich»« tag»v«rhandlungen giebt e» mancherlei. Zunächst haben die Be- rathungen der Dolttpertreter delhalb wenig Aufmerksamkeit er regt, weil e» dem Reichstage an genügendem Stoffe zu inter essanten Verhandlungen fehlte. Wohl wird in der Regel, und sv auch diesmal, am Beginn« der Reich»tag»tagung eine ganze Reihe von gesetzgeberisch«» Entwürfen angekündigt, aber die Vorlagen gelangen erst , so spät an da» Parlament, daß die Maschine eigentlich erst mit dem beginnenden Frühjahre recht in Sang kommt. Da der Reichstag ohnehin seit einer Reihe von Jahren in der Regel ziemlich spät einberufen wird, so sollte eS wohl möglich sein, den größten Theil der Vorlagen schon bei der Eröffnung vor zulegen, damit die Volksvertretung ihre Dispositionen treffen »nd eine geschickte ArbritSvertheilung vornehmen könnt«. Gelangen aber di« Vorlagen erst gegen AuSgang de» Winter- an da» Par lament, so ist zweierlei möglich: entweder kommen sie überhaupt nicht mehr zur Berathung bezw. nicht über die erste Berathung hinau», oder die ReichStagLtagung muß bis in den Sommer ausgedehnt werden. Es ist aber ein Erfahrungssatz, daß e» sehr schwer hält, die Abgeordneten so lange zusammen zu halten. Schließlich kann man e» auch den Abgeordneten nicht wohl ver- Venkrn, wenn sie nicht gern in der beginnenden warmen Jahres zeit in der Reichshauptstadt bleiben wollen. Hat doch schon Fürst BiSmarck vor 28 Jahren zugegeben, daß e» unangenehm sei, mit den parlamentarischen Arbeiten noch nicht fertig zu sein, „wenn die JahreS-eit und die Sonnenstrahlen mahnen, Berlin zu verlassen. Ist schon der Mangel an Stoff dem Interesse für die ReichS- tagSberathung in der ersten Zeit der Session abträglich, so ist die Behandlung, di« da» Parlament den verhandlungSgegenständen zu Theil werden läßt, ebenfalls nicht geeignet, da» Interesse zu erwecken. Die Redner, die in früheren Jahrzehnten die Auf merksamkeit nicht nur dir Volksvertretung selbst, sondern auch der außerhalb de» Parlament» Stehenden zu erregen verstanden, stad theil» aus dem parlamentarischen Leben au-geschieden, theils in ihren Leistungen schwächer geworden, der Nachwuchs aber ist recht spärlich. Auch die Gegner deS Abgeordneten Richter erkennen seine große rednerische Begabung an, aber die Zeit seiner Bedeutung liegt in der Vergangenheit. Mit welcher Spannung sahen auch die politischen Gegner in den achtziger Jahren den Etat»reden Richter'» entgegen; heute aber vermag er kaum noch seine Freunde zu iatereffirea. Und wie mit Richter, so ist e» mit anderen einst hervorragenden Abgeordneten. Richt nur da» zunehmende Alter dieser Abgeordneten ist an ihren vrrringerten Leistungen schuld, sondern auch die geringere Frequenz de» Reichstages. Me ein Schauspieler schlechter spielt, wenn da» Parkett leer ist, so verliert auch der Redner die Stimmung, wenn nur ein Viertel der Rrich»tag»fitze besetzt ist. Dielleicht würde sich da» Interesse der Reichstag-Mitglieder selbst und de» Bolle» an den Verhandlungen de» Reichstages „L-eUertte, Lür-er «nd Gefolge." Este «nptttt »ter tte Ttzenter-Etnttsterte. Boa TamiU» Hetz»«». «eiwrack »«rdoten. Die Statisterie — da» ist ein kurze» Wort (wenigsten» ver glichen mit jenen „Kettenbrückenworten", die Mark Twain ganz Hoffnung»!»» al» Beispiele unser Muttersprache anführt), aber e» bedeutet rin kange» Leiden. Die Statistirie ist die Ver zweiflung de» Regisseur», der Spott de» Publicum», da» ewige Obstet de» Tadel» der Kritiker. So viel ich weiß, giebt eß nur eine Menfchenelaffe, für die die Statisterie etwa» Ideale» und BegehvenSwerche» bedeutet: dir der jungen Kunstenthusiasten, die in d« Mitwirkung in der Statisterie die einzige Möglichkeit sehe«, dir geheiligten Bretter, die für sie eine schönere Welt be deuten, zu betreten. Sonst aber ist die Statisterie für di«, die in ihr, wie die, die mit ihr arbeiten, nur »ine Quelle unerschöpfliche^ Verdruss«». Und doch ist sie «in« Nothweüdigkeit, ja rin wichtiger Bestandtheil de» TheatrrorgaaiSmu», von dem mehr al» einmal »er Erfolg wichtiger Seinen »der entscheidender Akte abhängt. I» den „guten alte» Zeilen" »ar da» ander». Da hatte man »och nicht vergessen, daß di« Theatervorstellung sich doch immer i« Lhnrakter «ine» Spiele» halten müsse, wenn ste nicht ihr, Ernwe» überschreiten soll«, und daß st« daher nur Andeutungen, Gtznmole der Wirtlichkeit zu gebe» habe. Da braucht« man noch lein» Masseneomparseri«; ä» paar fechtende Guppen symbolistrten ei» Schlacht, ei» hake» Dutzend Bürger die Volkbversamnilung und di« geschäftig« Phantast« de» PnblieuM» machten au» ihnen An Smpfriche» Hw« mW eine tobende Masse. Doch die Zeit wurde realistisch nrtd »»langte da» Sein statt de» Scheine», die Realität statt der Andeutung, da» glänzend« Schauspiel statt de» die Phantast« «wetzend« StznEol». Scho» Jffland hat ja de» Krönm^ng in der „Jnngsnm" mit eine« dazumal unechäetn» Riichthmn» an Personal in Scene gesetzt. Seit deännB hat tick die Quantität Mr Theater-Statisterie immer weich» vernwhet. Sine» rechte» Gebrauch von ihr zu mache«, ßaänr tnbeb erst di« Meininger, mW pvar mit goßem Erfolge, bnsnchlt. I» ih«, DarOrLmg wittte, der S. «ei de» .Julin» Eäfm" »Mr die Kärasßerfce« in .Wallenstein'» To» (Art 3) wie etwa» ganz Mnw». Der todt« Organi»»«» der Statisterie hatte Leben erhalten; di« Perspective auf ganz neue Bühnen« wirSmrgeu eröffnete sich. Aber e» hat sich di, dmnak» entstandene Haff««, auf ttne wesmtlich« Bereicherung und vertief«», der Leistungen de- Theaters in den Massen« und Ensemblescenen bisher nicht verwrrklicht. Während der Stil der modernen Bühnen in Allem sonst über die Meiningerei hinauSgewachsen ist, steht sie in der Handhabung und Verwendung der Statisterie noch hiute wesentlich aus dem Meininger-Standpunkte. Dieser Stillstand ist nur erklärlich, wenn man von den Schwierigkeiten der Gestaltung von Ensemblescenen eine klare Vorstellung hat. Geht z. B. der burleske HochzeitSzug deS Petrucchio (in der „Widerspenstigen Zähmung") über die Bühne, so erscheint die damit zu lösende sceaisch« Aufgabe dem Publicum gewiß sehr einfach. Und doch — von wie viel sorglich zu beachtenden Um ständen hängt da- Gelingen ab! Da ist die Distanz der Lheil- nehmer de» Aufzuge« richtig zu bemessen, da ev, wenn ste in zu weiten Zwischenräumen einander folgen, sich stet» — auch bei Aufwendung zahlreichen Personal» — dürftig auSnehmen wird, während er, wenn er zu dicht arrangirt ist, sich nicht ent wickeln kann und daher ohne den beabsichtigten Eindruck vor übergeht. Um die Stimmung de» Uebermüthigen und Parodistischen zu erzielen, genügt r» nicht, daß dir Statisten ihr« Ach'»! und Oh'»! au»rufen und in unbegreiflichen Er regungen ihre Arme durch die Luft werfen, sondern Jedem muß gewissermaßen eia eigener Charakter, ein« klein« Roll« -»gewiesen werde». Der Lärm will richtig bemessen sein, damit der Vor gang nicht stimmungSlo» uiw damit er wieder nicht wüst wirke. Und endlich habe» alle Theklnehmer de» Zuge» zum Schluffe «Me bestimmte Stellung einzunehmen, dir für di« bekannte folgend« lustige Scene -wischen Petrucchio, seiner jungen Braut und seinen Hochzeitsgästen erforderlich ist, und daß diese Stellungnahme stch ungezwungen, korrekt und zweckmäßig voll ziehe, daß Jeder auf seinen richtigen Platz kommt und doch der Evolution nicht» Angelernte» anhaste, — wie unsäglich viel Mühe und Verdruß bereitet da»! Immer wieder ertönt de» Re gisseur» „Zurück!" und „Noch einmal!', und mit jedem Male werden die Betheiligtrn müder und lustloser, und schließlich muß der Regisseur doch schließen, ohne fettig zu sein, und muß e» gehe« lasse», .Mi?» «ott gefällt.' Freilich ist gerade die hier berührte Aufgabe eine besonder» schwere, weis di« darin zu erzeugende Stimmung nur durch da» selbstständig« »nd verständige Eingreffe» jede» Einzelnen zu erziele» ist. Und al» Individuum — da» ist eine Regel — ist der Statist unmSglich: wo er in der Masse wirken kann, ist er brauchbarer. Lawnn sind di« großen Massrnscenen, die da» Publicum so sehr bewundert und für so viel schwerer hält, technisch leichter. Will man ein« bewegte Masse bei Antoniu»' Rede oder im polnischen Reichittaa (.Demetriu»") erzielen, so kann man durch «im gute Organisation der Statisterie unter einigen Führern viel erreichen. Die Voraussetzung bleibt freilich auch hier Proben, diel Proben. Sonst würde denn doch die schlagwortmäßig eintretend« Erregung des römischen Populus, das jäh sich erhebende Murmeln der edlen Polen und die plötzliche Ensemblewuth gar zu nackt in Erscheinung treten. Die Meininger scheuten es denn auch nicht, Dutzende und aber Dutzende von Proben solcher Scenen abzuhalten, bis den Sta tisten ihre Rollen ganz mechanisch festsaßen. Denn das ist das zu erreichende Ziel, und nicht etwa die Belebung der Masse Temperament und individuelles Leben in die Statisterie zu bringen — da» versucht der ideale Stürmer und Dränger, der da» Theater reformiren will; der erfahrene Theatermann sorgt nüchtern dafür, daß Alles möglichst gut „klappt", und siehe — er schneidet am Abend der Vorstellung weit besser ab als der ideale Künstler, und nur in seinem Werke findet Kritik und Publicum Leben und Bewegung, während das Werk jenes An fänger» Unordnung und Unsicherheit zeigen wird. ch Et Uebrigen» ist e» auch keineswegs so leicht, rin guter Statist zu sein. Die Schwierigkeit liegt darin, daß da» Individuum in dir Masse oufgehen und doch wieder etwa» Selbstständiges und Charakteristische» vorstellen muß. Wenn die jungen Herren Studenten, di« «» für einen so leichten Spaß halten, zu stattren, zum ersten Male in dem Glanz« der Futzlampen stecken, pflegen sie plötzlich ihre Unbefangenheit zu verlieren, stocksteif zu werden, und mit Noth und Mühe erinnern sie sich noch der Stichwvrte und Anweisungen, deren Befolgung ihnen auf der Probe gar so einfach erschien. Haben sie dann ihr kleine» Lampenfirber überwunden und die Empfindung gewonnen, daß vielleicht doch nicht da» ganze Publicum auf sie und auf sie ganz allein seine Blick« geheftet hält, dann bemächtigt sich ihrer wieder ein ge wisser Uebermuth und sie spielen ihre „Rolle" mit einem Eifer und Neigung zu charakteristischer Gestaltung, daß sie sich au» dem Ensemble in ungehöriger Werse herauSzuheben beginnen und einen mehr oder minder deutlichen Wink mit dem Zaun pfahle bekammen müssen, sich gütigst zu menagiren. Würde man di« Statistertr einmal au» lauter Künstlern zusammensetzen, so würden sie aller Wahrscheinlichkeit nach derselben Neigung ver- fallen, ihre Rollen zu individuell au»zug«stalten, und sie würden so die Massenwirkung, auf der die Ensemblescenen vorzugsweise beruhen, unwillkürlich beeinträchtigen. Derlei Gefahren ist nun freilich der erfahrene und berufs mäßige Statist nicht ausgesetzt. Dafür ist er auch allen Be mühungen, die Leistungen dir Statisterie zu derbeffern und zu vettiefen, unzugänglich. Wie sollte er auch nicht? Ein ziemlich schlecht bezahlte», im Theater zu allem Möglichen verwandte» Mitglied de» Thore», ist er längst «in todtei Jnventarstück ge worden, das seine Arbeit maschinenmäßig verrichtet und so wenig wie die Maschine Verständniß für Neuerungen har Andere wieder wirken im Chore und „im Nebcnamte" und bc thätigen sich sonst vielleicht — an der Nähmaschine oder in der Theaterwaschtüch« als nützliche Mitglieder der menschlichen uns rheatralischen Gesellschaft. Und nun sollen diese wackeren Leute die hocharistokratische Gesellschaft im Salon des Marquis L. vorstellen oder, mit Renaissance-Gewändern behängt, beim Maslenfeste der Capulets als Venedigs Patricier fungiren. Da sehen sie denn im trüben Zwielichte der Theaterprobe gar kläglich aus, und nur der freundlich verschönernde Schimmer der Theater lampen vermag die fragwürdigen Gestalten einigermaßen zu retten. UebrigenS giebt eS auch unter den Statisten Ausnahmen — solche, denen die gütige Natur die beneidenswerthe Würde dec- Auftretens geschenkt hat, oder solche, die sich eines charakteristischen und beweglichen Gesichtes erfreuen und daher stets gute Bürger (wenn auch nicht im Sinne der hohen Staatsregierung) abgrben. Diese Würdigen spielen dann natürlich als Edelleute, Bürger unv Gefolge immer wieder ihre wichtige Rolle und fühlen sich denn auch nach Gebühr als „Stützen der (Theater-) Gesellschaft". Eine gründliche Besserung der mißlichen Statistenverhältnisic wäre natürlich nur dadurch zu erreichen, daß jedes Theater sich eine Schaar tüchtiger, für diesen Beruf eigens vorgebilvrter Statisten hielte. Doch gesetzt auch den Fall, daß sich für diese Wirksamkeit eine ausreichende Zahl wirklich intelligenter Personen fände, so müßten sie dann auch ausreichend bezahl! werden; und das würde eine Erhöhung des Gagenetats bedeuten auf di« selbst die großen Hoftheater nicht ringchen könnten. So bleibt eS denn dabei, daß an allen Hof- und Stadttheatern der Opernchor den Kern der Statisterie bildet, und welche schau spielerischen Anforderungen man an diese Schaar stellt, ist satt sam bekannt. Aber die armen Leute können auch gar nicht dazu kommen, ihre Aufgaben ein wenig individueller zu erfassen wenn die bunten und ermüdenden Durcheinander jeden Tag etwas Anderes, heute unstätige Raubritter, morgen Pizarros schmachtende Gefangene, dann galante Cavaliere L In Louis XIV und wieder freie Römer zu agiren haben. Da giebt es denn balv für sie nicht mehr Rollen und Charaktere, sondern nur „Em pörung", „Murren", „Begeisterung" unv wie die mechanischen Schlagworte alle lauten. Darum hat das Theater auf dem Gebiete der Statisterie seit einem Vierteljahrhundert kaum Fort schritte gemacht, und der Realismus, der die treueste Wirklichkeit auf der Bühne erscheinen lassen will, findet seine Grenze an den geduldigen, müden, vielgeplagten, unzugänglichen armen Wesen, die man Statisten nennt. ,
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