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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990207023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899020702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899020702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-07
- Monat1899-02
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Größere Schriften laut unserem Prei»- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderu»? 60.—, mit Postbeförderung ./L 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag vou E. Poltz in Leipzig, «9. Dienstag den 7. Februar 1899. 93. Jahrgang. Graf Caprivi K Das Ableben des Grafen Caprivi ist für Deutschland ein folgenloses Ereigniß, so folgenlose-, als es der Tod eines rührigen kleiustaatlichen Ministers oder eines tüchtigen Pro- vinziat-ChefS sein würde. Der Nachfolger deS Fürsten Bis marck ist längst ein politisch todter, ein vergessener Mann gewesen und die publicistische Pflicht würde mit dem, was gestern über seine Laufbahn gesagt wurde, erfüllt sein, wenn nicht eben diese Vergessenheit, dieses in der Geschichte seltene Versinken in das Nichts zu ernstem Nachdenken an regte. Leo von Caprivi ist vierundeinhalb Jahr deutscher Reichskanzler und zwei Jahre Ministerpräsident des führenden deutschen Bundesstaates gewesen. Er hat dazu in seiner ersteren Eigenschaft nicht etwa ein Amt bekleidet, das durch Alter und eine große Anzahl von Inhabern die Welt an eine gewisse Gleichgiltigkeit gegen die Besetzung gewöhnt hätte, Caprivi war der erste deutsche Reichskanzler, der nach dem Schöpfer dieser Stelle ernannt worden ist. Daß dem so war und daß der Scköpfer^ Otto v. Bismarck hieß, könnte hier Zuneigung, dort Feindseligkeit, ja Haß erklären, niemals aber dieses, menschlich betrachtet, grauenvolle Nickitgedenken au einen Mann, der als Leiter der Staatsgeschäfte eines großen, eben erst mächtig aufgeblühten Reiches hingestellt worden war. Auch in einer politischen Leere der Amtsthätigkeit des Verschiedenen kann der Schlüssel nicht gefunden werden, es sind zahlreiche bedeutsame, inhalt haltschwere, verhängnißvolle Actenstücke — wir nennen nur das Abkommen mit England, durch welches das Wituland und Zanzibar an England kam, und die Zedlitz'sche Schul vorlage —, die den Namen Caprivi tragen. Den Namen! Dies die Erklärung, nur den Namen. Der zweite Kanzler ist kein Kanzler, er ist ein Kanzlist ge wesen, keine staatsmännische Persönlichkeit, sondern der kritik lose und verantwortungsunbewußte Vollstrecker eines anderen Willens. Eines Willens, nicht eines Systems. Daß der neue Curs sich mit dem Wesen deS Regi ments Wilhelm'« I. und Bismarcks im Innern und im Aeußern in einen gewollten Widerspruch versetzte, durfte einem dem staatlichen Leben fremden Manne wie Caprivi noch sachliche Politik erscheinen: Wilhelm I. und viel mehr noch Bismarck hatten Hasser gehabt, die durch eine Abkehr von den bisher befolgten Grundsätzen zu entwaffnen, als ein politischer Ge danke gelten mochte. Aber der neue Curs hatte sich auch bis 4892 und 1894 mit sich selbst in Wider spruch gesetzt, und wann immer dies geschah, Graf Caprivi versagte nicht. Wenn Fürst Bismarck für seinen Grabstein die Inschrift bestimmte: „Ein treuer Diener Kaiser Wilhelm's I.", so brauchen wir nicht zu vermuthen, sondern dürfen es als eine durch die schriftliche Hinterlassenschaft des ersten Kanzlers bekräftigte Gewißheit aussprechen, daß er den Ruhm der Treue vornehmlich dort erworben zu haben sich bewußt war, wo er den Willen seines gekrönten Herrn gewandelt hatte, der Treue des Be- ratherS, der den Muth des Widerspruchs besitzt. Dieser Muth ist an der Stelle, die Bismarck und Caprivi ein nahmen, nicht Verdienst, sondern Pflicht. Der Kanzler, der Minister ist treu, indem er für das Wohl seines Herrn sorgt, eine niedrigere Verrichtung ist eS, der Willensvollzieher des Gebieters zu sein. Leo v. Caprivi war sür jenen höheren Dienst nicht ge schaffen. Auch er war treu, und er hat den Ruhm dieser Tugend theuerer bezahlt als sein Vorgänger. Während Fürst Bismarcks Selbstaufopferung ihm ewiges Leben verlieb, hat Graf Caprivi für seine Selbst Vernichtung schon bei Lebzeiten — Vernichtung ernten müssen. Das Schicksal des Dahingeschiedenen, den nur Gehorsam in ein Amt brachte, das Mehr und Größeres sorderte, ist tragisch, und an seinem offenen Grabe wäre der Verzicht auf alles Andere, denn auf Sympathie erlaubt, wenn die Vergessenheit, der Graf Caprivi bei den Zeit genossen anheimgesallen ist, eine solche wäre, die die Geschichte ratisiciren könnte. DaS wird nicht geschehen, der zweite Kanzler wirkt fort. Wohl ist der Herabdrückung der Be deutung der verantwortlichen Stellen und Personen seit seinem Rücktritt kein Einhalt gethan worden, aber die Entwickelung, die Deutschland zu beklagen hat, gewiß, ihr Tempo wäre unmöglich gewesen, wenn sich nach Bismarck'S Sturze nicht — als erster von Wilhelm II. ernannter Kanzler — ein Nachfolger ge funden hätte, der, indem er jede ministerielle Autorität Preis gab, einer nur von persönlichem monarchischen Selbstbe wußtsein getragenen Actionslust alle möglichen Widerstände aus dem Wege räumte. Ein deutscher Kaiser, der zwanzig Jahre nach der Aufrichtung des Reichs durch Bismarck einen Kanzler fand, der die Wiener Steckbriefe nicht nur absandte, sondern auch veröffentlichte, ein solcher Herrscher hat bei einer konsequenten Nichteinholung oder Nichtbeachtung ver antwortlichen Rathes Anspruch auf Verständniß. Freilich würde einem Verzeichnisse der mit dem Namen Caprivi äußerlich verbundenen Ereignisse dem menschlichen Verständnisse nicht auch die Rechtfertigung zur Seite sieben. Ten verlassenen Punct sucht man unter Mühen und Opfern und ohne Aussicht auf den vollen Erfolg wieder zu er reichen. Die Lockerung der neu aufgewickelten Knäule bereitet nicht mindere Schmerzen. Verlangt die Wahr heit solche Erinnerungen am Sarge des Reichskanzlers Caprivi, so gestattet sie, dem Manne nachzurühmen, daß er die Feindseligkeiten, die ihm bei seinem Eintritt in den Ruhe stand nicht erspart blieben, mit Würde über sich ergehen ließ und seit dieser Zeit die Verantwortung für die RegierungS- acte, die er gegengezeichnet batte, ohne Widerspruch trug. Wie er als Soldat dem Rufe in das Amt folgte, wie er dieses als Soldat verwaltete, so hat Graf Caprivi auch als Privatmann die soldatische Tugend deS Schweigens deS Nichtgefragten geübt. Dem braven Soldaten gilt denn auch der letzte Friedenswunsch! Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Februar. Das Ordiuarium deS Postetats ist gestern im Reichs tage erledigt worden, ohne den Staatssekretär v. Pod- bielski in ernstliche Verlegenheit zu setzen. Auf die von freisinniger Seite erhobenen Beschwerdefälle, die daS politische Verhalten von Postdirectioncn betrafen, tonnte er entgegnen, daß in einem Falle bereits Remedur erfolgt, im andern der Instanzenweg noch nicht erledigt sei. Um so auffallender war eS, daß der Mann, der seine Bereitwilligkeit, die Ver antwortung für Alles, was in seinem Ressort ge schieht, tragen zu wollen, wiederholt und nachdrücklich erklärt und auf alle vorgetragenen Beschwerden bereit willigst eingegangen war, plötzlich den Einfall bekam, zu behaupten, er sei über Disciplinarentscheidungen nur dem Reichskanzler» nicht aber dem Reichstage Rechenschaft schuldig. Das war nicht nur Wasser auf die Mühle der Socialdemo- krati«, sondern nöthigte auch mittelparteiliche Redner, zu betonen, daß der Staatssekretär als Stellvertreter des ver antwortlichen Reichskanzlers für sein Amt dem Reichstage Rede zu stehen habe. Im Ganzen freilich kann eine derartige Entgleisung den Gesammteindruck der mehr tägigen Debatte über den Postetat nicht wesentlich beein trächtigen: den Eindruck eines völligen Sieges des Staats sekretärs über die Gegner seiner Verwaltungsmaximen, besonders über die Socialdemokratie, deren gestriger Redner, der Abg. Singer, in der That nur eine „Rückzugs kanonade" eröffnete. Die gründliche Abfuhr, die ihm und seinen Gesinnungsgenossen bereitet wurde, erregt denn auch fast in der gesammten bürgerlichen Presse Genuglhuung. Nur die linksliberale Presse beeilt sich, die Wunden der „Genossen" zu verbinden. So meint die „Voss. Zta.", daß die Behörden sich die socialistische Gesinnung ihrer Untergebenen gefallen lassen müßten; der socialistischen Irrthümer könne man nur durch Belehrung Herr werden. Den besten Beweis gegen die Nichtigkeit der Behauptung des fortschrittlichen Blattes liefert die Geschichte der Fortschrittspartei. Diese Partei hat es ja wahrlich nicht an Bemühungen fehlen lassen, der Socialdemokratie durch Belehrung Herr zu werden, aber der Erfolg war der, daß die Socialdemokratie der Fortschritts partei Herr geworden ist. Keine andere Partei in Deutsch land hat so starke Einbußen durch die Socialdemokratie erlitten, wie der radikale Liberalismus. Sowohl die Fortschrittspartei in Norddeutschland, wie die demokratische Partei in Süddeutschland (man denke nur an den Ausfall der Reichstagswahlen von 1898) sind durch die Social demokratie erheblich zurückgedrängt worden, und von den Sitzen, die sie noch inne haben, verdanken sie einen Theil der Hilfe der Socialdemokratie gegen die anderen Parteien, den andern Tbeil der Hilfe der bürgerlichen Parteien gegen die Socialdemokratie. Um die Socialisten durch Belehrung zu rückzugewinnen, hat man freisinnige Arbeitervereine gegründet, beispielsweise in der ReichShaupstadt, aber leider sind den Arbeitervereinen die Arbeiter fern geblieben. So lange man, wie es in dem Artikel der „Voss. Ztz." verlangt wird, die Socialdemokratie als eine allen übrigen Parteien gleichstehende und gleichberechtigte Partei behandelt, wird man ihrer ganz gewiß nicht „Herr werden". Die Aera Caprivi hat dies mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt. Die gegenwärtige Regierung hat einen andern Weg eingcschlaaen, und wenn ihr der radikale Liberalismus auf diesem Wege nicht folgen will, so mag er das halten, wie er will, aber er darf nicht erwarten, daß die Regierung sich durch seine weisen Belehrungen beein flussen läßt. Die DrcyfuS-Partei und die Vertheidiger deS Rechtes athmen wieder auf. Wie gemeldet, hat die Revisions commission der Deputirtenkammer die Vorlage der Negierung, nach welcher Nevisionösachen von den vereinigten Kammern deS CassationShofeS abgeurtheilt werden sollten, mit der großen Mehrheit von 9 gegen 2 Stimmen ab- ge lehnt. Der Gesetzentwurf war bekanntlich von der Ne gierung, die feig vor den Drohungen der Generalstabspartei zurückwich, ml Iwo eingebracht worden, um der Criminal- kammer, von welcher ein Dreyfus völlig entlastendes Urtheil zu erwarten war, die Entscheidung aus den Händen zu nehmen. Dabei ging man von der Erwartung auS, daß die Mehrzahl des GesammtcollegiumS dreisusfeindlich sei. Ein- geschücktert war die Negierung hauptsächlich durch die theatralisch aufgeputzte Action des Richters am CassationShof Beaurepaire, ver plötzlich sein Amt niederlegte, um einen Verleumdungsfeldzug sondergleichen gegen die Richter der Criminalkammer einzuleiten. Die Regierung gab ihm nach und veranstaltete eine Enquete über da» Verhalten der ver dächtigten Richter. In der Annahme, daß genug von den Anwürfen Beaurepaire's übrig bleiben werde, um den Richtern des höchsten Gerichtshofes eine Disciplinarstrafe zuzuziehen, brachte die Regierung ihren Verlegenheits- Gesetzentwurf ein, der durch eine generelle Aenderung der Praxis in Cassationssachen diesen speciellen Fall ganz eliminiren und den Iustizminister der peinlichen Noth- wendigkeit, die höchste richterliche Instanz zu discipliniren, entheben sollte. Durch diese Calculation macht jetzt die Revisionscommission der Deputirtenkammer einen dicken Strich. Sie geht über die langathmigen juristischen Er wägungen der Negierung — Richter, welche die Unter suchung geführt, dürften nicht zugleich daS Urtheil sprechen rc. — einfach hinweg und weist offen auf das die Regierung treibende Motiv, die Verdächtigung Beaurepaire's, bin. Deren Grundlosigkeit war es, was die Commission zu ihrem ablehnenden Votum veranlaßte. Man berichtet uns hierüber: * Paris, 6. Februar. Tie Bcrathung der Revision-. Co in- Mission war von sehr kurzer Dauer. Die Majorität begründete ihr ablehnendes Votum damit, daß ihrer Ansicht nach die Regierungsvorlage mit der in Folge der Beaurepaire'- scheu Anklagen eingeleiteten Untersuchung Mazean's im engen Zusammenhänge stehe. Diese Untersuchung aber sei nicht überzeugend und deshalb müsse die Vorlage abgelehnt werden. Man hat hier den für Frankreich so außerordentlich bezeichnenden Fall, daß Vertreter der parteilosen Gerechtig keit, die nur nach Schuld und Unschuld zu richten hat, in die Arena des politischen Kampfes hcrabsleigen, während eine Com mission von Parlamentariern, deren Beruf cs ist, Partei zu er greifen und nach politischen Gesichtspunkten ihr Verhalten ein zurichten, der beleidigtcnGerechtigkeit, die man mit Füßen treten will, den Schild vorzubalten und politisirende Richter in die Schranken zu weisen. Wie die Sache ausgehcn wird, läßt sich noch gar nicht übersehen. Allem Anschein nach aber steht Frankreich am Vorabend grundstürzender Wirren. Der Ministerpräsident Dupuy erklärte gestern, wie uns telegraphisch berichtet wird, einem Berichterstatter über die Ent scheidung der RevisionScommission, die Regierung werde die Vertrauensfrage stellen und jeden Zusatz antrag zurückweisen, der zum Zweck habe, den Charakter des Gesetzes zu ändern. Entscheidet also nun die Kammer gemäß dem CommissionSbeschlnß, so ist zunächst eine CabinetSkrife unvermeidlich. WaS das im gegenwärtigen Augenblick heißen will, braucht nicht erst gesagt zu werden. — Weiteres über die Sitzung der RevisionScommission theilen wir an anderer Stelle mit. AuS Washington wird uns unterm 6. Februar gemeldet: Der Senat hat den spanisch-amerikanischen Fricdcnsvcr- vertrag mit einer Mehrheit von drei Stimmen genehmigt. Bis zum Eintreffen der Siegesnachrichten aus Manila hing die Entscheidung an einer Stimme und man erwartete all gemein, daß der Senat den Vertrag, weil er die Annexion der Philippinen vorsieht, ablehnen würde. Da kamen die Siegesbullctins von den Philippinen gerade recht. Sie kamen in zwölfter Stunde, gerade als wären sie bestellt. Noch gestern, am Tage der Abstimmung, wurde triumphirend gemeldet: * New Port, 6. Februar. Nach einem Telegramm aus Manila werden die Verluste der Filipionos auf 4000 Mann jl) geschätzt. Von den amerikanischen Truppen haben 13 000 Mann am Kampfe theilgenommen, von den Filipinos 20 000. Besonders schwere Verluste erlitten die Eingeborenen im Norden der Stadt sowie durch die Geschütze der auf der Höhe von Malate befindlichen Kriegsschiffe. q Sterbendes Licht. Novelle von Robert Kohlrausch. Nachdruck »nbotni. „Ich glaube, daß es möglich sein wird, vorausgesetzt, daß die Depression seines Geistes die Kunst des Arztes an seinem Körper nicht paralysirt. Er will nicht gesund werden aus dem einfachen Grunde, weil er Sie liebt. Er fürchtet, daß Sie ihm dann ihre Gesellschaft entziehen und ihn seiner trostlosen Einsamkeit wieder preisgeben werden. Und wie die Sachen liegen, hat er allem Anscheine nach mit dieser Befürchtung Recht." Sie neigte den Kopf zur Bejahung, aber kein Laut kam über ihre Lippen, die sich fest und schmerzlich züsammenpreßten und in diesem Augenblick das bleiche Gesicht älter erscheinen ließen, als es war. „Sie geben meine Vermuthuirg zu, — Sie wollen einem Manne, der geistig noch mehr zu leiden hat als körperlich, das einzige Mittel rauben, das ihn auch am Geiste wieder gesund machen könnte. Sie wollen daS thun, obwohl, oder vielleicht gerade, weil Sie ihn lieben. Jawohl, Sie lieben ihn! Wenn ich noch gezweifelt hätte, so würde Ihr Ausruf eben, als ich von der Möglichkeit seiner Heilung sprach, mir diesen letzten Zweifel genommen haben. Ich weiß es und sehe es, daß Sie bei dem Gedanken zittern, ihn wieder zu verlieren. Die Liebe hat Sie zu ihm getrieben, um ihn zu pflegen; Sie haben sie vor sich selbst hinter allerlei anderen Gefühlen und Worten versteckt und haben mit Pflicht, Barmherzigkeit und Nächstenliebe sich selber gegen über bezeichnet, was in Wahrheit nur eine große Liebe für einen einzigen Menschen war. Sie haben —" „Und wenn eS so wäre — darum könnten wir doch niemals zusammenkommen, denn zwischen uns steht die Schuld!" „Nein, keine Schuld! Ein Unglück, ein Schicksal, eine Heim suchung, aber keine Schuld. In meinen Augen sind Sie Beide frei davon, denn eine Schuld ist nach meiner Auffassung nur die absichtliche Schädigung einer -anderen Person oder Sache. Sie aber konnten Beide solch eine Absicht niemals haben, Sie hätten im Gegentheil Beide mit gleicher Freudigkeit Jahre Ihres Leben» dahingegeben, um das traurige Ereigniß, diesen unbeabsichtigten Unglücksfall, ungeschehen zu machen. Meine verehrte gnädige Frau, verstecken Sie mit Ihrer geraden und stolzen Seele sich nicht hinter anerzogenen Begriffen und angelernten Worten! Dazu gehört auch dieses Wort Schuld. Es ist ein Gespenst, über dessen Wesenheit oder Unwesenheit man sich oft nicht klar wird. Sie brauchen es nicht zu fürchten, — glauben Sie einem Manne, der viel gesehen und viel erfahren hat. Wenn etwas zwischen Ihnen und dem Major steht, so ist es etwas Anderes." „Etwas Anderes?" „Keine Schuld, sondern ein Gefühl. Für die guten und wahr haftigen Menschen — unv Sie Beide gehören dazu, das weiß ich schon genau genug — ist das natürliche Gefühl ein viel besserer Wegweiser, als solch ein von der Gesellschaft aufgepflanzter Warnungshfahl, auf den'die Worte Schuld oder Sitte, oder der gleichen geschrieben sind. Fragen Sie Ihr Herz, gnädige Frau, prüfen Sie sich, ob ein trennendes Gefühl zwischen Ihnen und dem Manne steht, den Sie lieben. Ein Gefühl des Entsetzens, des unüberwindlichen Abscheues vielleicht, die Hand zu berühren, die Ihnen das Kind getödtet hat." Sie erhob sich schnell, beinahe heftig und ging mit ein paar großen Schritten zum Fenster, um die Stirn gegen dessen hölzernen Mittelpfosten zu pressen. Sie antwortete nicht gleich, und auch der Doctor schwieg; zu dem zweiten Fenster, daS ge öffnet war, drangen die Töne eines Claviers herein, auf dem im unteren Stockwerk die „Tannhäuser"-Ouverture von wohlgeübten Händen gespielt wurde. „Sie wissen doch selbst, daß dies Gefühl uns trennen müßte", sagte Frau von Jttinghofen endlich mit halber Stimme. ,Menn es vorhanden und unüberwindlich wäre, gewiß. Aber nur was wirklich ist, vermag zwei Menschen zu trennen, nicht was vielleicht sein müßte. Und da es mir —" „Nein, nein, Sie haben Unrecht. Es ist ja in Wahrheit da, dieses Gefühl, es ist! Ich wäre eine unnatürliche Mutter, wenn ich es nicht hätte!" Sie hatte sich umgewandt, aber sie vermied beim Sprechen des Doctors Augen. Er sah sie wieder mit seinen scharfen, prüfen den Blicken ins Gesicht und bemerkte auf ihrer Stirn zwei feine, rothe Streifen, die zeigten, wie fest sie den zweifelnden, von wogenden Gedanken erfüllten Kopf gegen das Holzwerk des Fenster» gepreßt hatte. Um seinen Mund spielte für einen Augen blick ein rasches Lächeln, aber er wurde gleich wieder ernsthaft. ! Und eben so ernst wie fein Aussehen war der Ton, in dem er nun zu ihr sprach. „Sie versetzen mich in eine der schwierigsten Lagen, gnädige Frau, die mir in meiner gesammten Praxis vorgekommen sind. Der Major ist zu mir gekommen, um meine Hilfe zu suchen — einerlei, welches Motiv ihn dazu getrieben hat — und die Wahr heit über sein Leiden zu hören. Ich halte es für heilbar und muß es ihm.sagen. Mein Beruf ist, einem kranken Körper zu helfen, wo ihm zu helfen ist, ich muß auch hier diesen Beruf er füllen. Aber indem ich es thue, beschwöre ich über meinen Patienten eine größere Gefahr herauf, die abzulenken nicht in meiner Macht steht, die Gefahr, seinen Geist für immer in Trüb sinn und Schwermut- zu versenken." Frau von Jttinghofen hatte wieder begonnen, im Zimmer auf und nieder zu gehen; unwillkürlich richtete sie die Schritte nach dem Tacte des Pilgerchors, der von unten heraufklang. Jetzt blieb sie stehen und schlug mit einer Geberde der Verzweiflung die Hande ineinander. „Mein Gott, fühlen Sie denn nicht, vor welche Alternative Sie mich da stellen? O rathen Sie mir, helfen Sie mir, — waS soll ich thun?" „Folgen Sie Ihrem Herzen, gnädige Frau. Das wird Ihnen den rechten Weg zeigen, wenn Sie nur auf die echten, tiefen, durch kein« Convention beeinflußten Gefühle hören." Er machte eine Pause, um ihr Zeit zu geben, die Wirkung seiner Worte zu empfinden. Dann fügte er, wie von plötzlicher Regung getrieben, eine Frage hinzu: „WaS darf ich dem Major von Ihnen sagen?" Einen Augenblick noch kämpfte sie mit sich, einen einzigen. Dann stieß sie ein paar Worte hervor, kurz, abgerissen, athemlos. „Sagen Sie ihm, was Sie für Recht halten." Sie war fort, wie «in schwarzer Schatten aus dem Zimmer geglitten und hatte ihn allein gelassen ohne Abschied. Er saß noch einen Augenblick und lächelte still vor sich hin; mit der warmen Luft kam der jubelnde Schluß der Ouvertüre zu ihm hereingeschwebt. Der Doctor nickte, als er die bekannten Accorde vernahm; sieghaft wie diese Töne war auch sein Gefühl, und als er dem Ausgange zuschritt, war seine Haltung freudig und stolz. Was er sür Recht hielt, sollte er dem Kranken sagen. Er wqlr picht im Zweifel darüber, was eS sei, und beeilte sich, es auszusprcchen, von einer unbestimmten Furcht getrieben, Frau von Jttinghofen könne sich anders entschließen und seine Pläne durchkreuzen. Gleich am Nachmittag suchte er den Major in seinem Zimmer auf, erzählte ihm, wo er am Morgen gewesen sei, und daß er den Eindruck gewonnen habe, als könne für den Hoffnungslosen doch noch ein doppeltes Glück erblühen. Nach dieser Einleitung sprach er zuerst von der Operation, und daß er sie für aussichlsvoll halte, dann aber auch von der Möglichkeil, daß mit diesem Augenblick zugleich innerlich ein helleres, schöneres Dasein für seinen Patienten beginnen könne. DeL Major war so tief bewegt, daß er nicht gleich zu ant worten vermochte; dann tastete er nach des Doctor- Hand, faßle und drückte sic mit festem Griff und sagte: „Nun bitte ick Sie selber: machen Sie mich gesund." Der nächste Morgen war sür die Operation festgesetzt Worden, als aber die Stunde herankam, fand sie den Doclor von ungewohnter Unruhe erfüllt. Wieder und wieder las er ein Billct, das er in der Frühe erhalten hatte und das Frau von Jttinghofen's Unterschrift trug. „Sie werden sich selbst schon klar gemacht haben" — so schrieb sie — „daß ich mich gestern übereilt und elwas ausgesprochen habe, was ich nicht hätte sagen dürfen. Ich bin in der letzten Nacht wieder unaufhörlich mit mir zu Rathe gegangen und bitte Sie, meinem Freunde keine Hoffnung zu machen. Die Unklarheit ist noch zu groß in mir, um das gestatten zu dürfen. Aber ich will Ihnen beweisen, daß ich Ihrer Worte viel gedacht habe, mir denen Sie mich an mein Gefühl als an meinen Richter ver^ wiesen. Thun Sie Ihre Pflicht, geben Sie, wenn es in Ihrer Macht steht, dem Kranken das Augenlicht wieder, und wenn er gesund, wenn er völlig geheilt ist, dann führen Sie ihn zu mir. Aber nicht hierher in meine Wohnung, sondern auf den Friedhof an das Grab meines Kindes. Dort soll mein Gefühl seinen Richterfpruch thun. Wenn meine Neigung mächtig genug ist, um den Anblick dieses kleinen Hügels und den doppelten Vor wurf auszulöschen, der daraus spricht, dann weiß ich, daß vas Leben noch einen Anspruch an mich hat und daß ich glücklich werden darf. Aber ich glaube, daß ich die Kraft nicht besitzen werde, an jener Stelle die Hand zu ergreifen, die den Tod über ein junges Leben verhängt hat, uno daß mein Dasein in Zukunft nur Finsterniß und Einsamkeit sein darf, wie es auch über das I eine» Anderen Finsterniß und Einsamkeit bringen muß."
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