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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.02.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990211013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899021101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899021101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-11
- Monat1899-02
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Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 ge spalten) 50^. vor den Familiennachrichle» (6 gespalten) 40,iz. Größere Schriften laut unserem Preis- ve^eichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Taris. btltra-Beilagen (gesalzt), nur mit de« Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderuvg 60.—, mit Postbesvrderung 70.—. Ännahmeschluß sür Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittags 4 UH-. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an d-« Srpedttiss zu richten. Druck und Verlag von T. P olz in Leipzi» 93. Jahrgang. Die „nervöse" Socialdemokraiie. Im socialdcmokratischen Lager geht „etwas" vor! Soweit trifft die „Weisheit" jenes demokratischen Reichstagsabgeord- uelen a. D. zu. Man braucht jedoch keineswegs wie jener zu dem Schluffe zu kommen: „Man weiß nur noch nicht recht, was". Selbst als Most und Hasselmann daS „große" Wort in Parlament nnd Presse siihrten, war keine derartig nervöse Heftigkeit, keine solche Maßlosigkeit an der Tagesordnung, wie sie gegenwärtig die socialdemokratischen RrichStagSreden und Preßleistungen kennzeichnen. Man vergegenwärtige sich, daß ein freisinniger Präsident des Reichstages, also kein „Reaktionär", Herrn Singer wegen gröblicher Aus fälle gegen den Generalpostmeister v. Podbielski drei Mal censuriren und dem socialdemokratischen Führer be merken mußte, seine Rede würde wirkungsvoller sein, falls er maßvoller spräche. Dazu kommt, daß im „Vorwärts" neuerdings gegen den Reichstag und dessen Mitglieder ein Ton angeschlagen wird — von dem, was der Regierung und der Krone geboten wird, gänzlich zu schweigen —, der Alles in den Schalten stellt, was jemals dort an gehässiger Ver hetzung geleistet worden ist. Diese Verschärfung, welche be sonders bei Nesumirung der Reichstagsdebatten hervortritt, crstreckt sich auf den gesammten Inhalt deS socialrevolutionären Ceutralorgans, dessen nomineller Leiter immer noch der „alte" Liebknecht ist. Gerade aus letzterem Umstande ist zu folgern, laß diese nach Tobzelle riechende tatzon äs parier keineswegs zufällig ist, sondern auf Weisungen der Centralleitung beruht. Man wird Singer, Bebel, Auer, Liebknecht und wie sie weiter heißen, den „Alten", die um ihren wohlbesoldeten Platz an der Spitze der Socialdemokratie kämpfen, jede Ge hässigkeit gegen Staat und Gesellschaft zutrauen dürfen, die zur Erreichung ihrer Ziele helfen mag, aber man hat kein Recht, sie für dumm zu halten. Ein gerüttelt Maß von Thorheit müßten sie jedoch ihr eigen nennen, wenn die in Parlamentsreden und im „Vorwärts" neuerdings hervor tretende nervöse Heftigkeit „Sacke des Temperaments" wäre, v - Al Herr Singer auf die Rüge seiner Maßlosigkeiten reu'" freisinnigen Vicepräsidenten Schmidt glauben machen wollte. Nein, dazu sind die socialdemokralischen Autoritäten viel zu geschulte und kühl berechnende Tactiker, um sich vom Temperament beherrschen zu lassen. Daß davon keine Rede sein kann, hat jene langjährige Bekanntschaft gelehrt, die man wider Willen mit ihnen als Reichstagsabgeordneten machen mußte. Cs ist Absicht in dieser nervösen Maßlosigkeit, es ist eine gemeinsame Absicht, der die RcichStagsredner ebenso wie die Journalistik der Partei folgen. Es müßte sehr sonderbar zugehen, wenn daS Temperament mit Singer ebenso plötzlich durchginge, wie mit Auer, Bebel, Liebknecht und den von Letzterem beaufsichtigten Redakteuren. Jedes Kind weiß doch, daß ein socialdemokratischer Redacteur „stiegt", sobald er etwas schreibt, was bei den Parteihäuptern nicht angenehm ist oder als „große Dummheit" angesehen wird. Ist aber Absicht, was in der so auffällig nervösen Ton art der svcialbemokratischen Action zum Ausdruck gelangt, so hat man nur nöthig, bis aus den Stuttgarter Parteitag zurückzugehen, um zu erkennen, von Wannen sie stammt und was sie bezweckt. Der dort gegen Bernstein und KautSky geführte Kampf der Unentwegten, welche die „letzten Zielt" der Socialdemokratie und vor Allem das „socialrevolutionare Element" nicht unter den Scheffel gestellt wissen wollten, richtete sich keineswegs ausschließlich gegen die dort mit Namen genannten Sünder und ihre „wissenschaftliche" Preß- tbätigkeit. Die in Wirklichkeit Angegriffenen waren „die Alten", welche eS in der Socialvemokratie zu etwas gebracht haben und von denen die strebsame Jugend behauptet, sie wären „dem Parlamenteln" verfallen, weil sie persön lich kein höheres Ziel mehr hätten, als im Besitz ihrer Parteipfründen bis an ihr Lebensende zu bleiben und sich dem Genüsse des im Dienste der Partei „Erworbenen" in Ruhe und Muße hinzugeben. In Stuttgart endete jener Kampf bei offener Bühne, wie eS sich für ein Sensationsstück geziemt, dessen Kosten die socialdemokratischen Parteisteuer zahler tragen, damit, daß Bernstein und KautSkn zwar ihre „wissenschaftliche Ueberzeugung" salvirten, im Uebrigen aber sich den von Auer verspotteten „tollen Frauenzimmern" lauäabilitor unterwarfen; daß Auer, Bebel und Liebknecht in der Pose hoher Politiker über den bewegten Wassern schwebten, um Ruhe zu gebieten, und daß endlich, selbstverständlich unter lebhaftestem Beifall der alS Parteidelegirte verkleideten Clague, Singer den „großen" Sieg verkündete, den die Social demokratie über sich selbst soeben errungen hätten, indem nun die Einigkeit Aller „voll und ganz" wieder hergestellt wäre. Aber dem Stuttgarter Schlußeffecte gehts, wie es Theater- coupS zu ergehen pflegt: sie „ziehen" nur bei Denen, welchen da« Stück gefiel. Der Kampf um die „letzten Ziele" nnd daS „Revolutionäre" dauert also fort. Die „Jungen", welche die gutbezahlten Posten der „Alten" sofort, wenigstens bald und keineswegs erst dann einnehmen wollen, nach dem jene ein otium cum äiguitntc auSgelebt haben, drängeln und drängen. In Partei-Versammlungen herrscht zwar unbeschreiblicher Jubel, sobald sich einer der Parteidignitäre sehen läßt und von seiner durch Reichs tags- und sonstige „Arbeit" in Anspruch genommenen, ohnehin höchst kostbaren Zeit so viel erübrigt, um „zum Volke" herabzusteigen. Aber dieser Jubel ist „arrangirt", man versteht es nirgends so gut wie bei der ofsiciellen Socialdemokratie, solche Dinge zu „machen". In den ver trautesten Parteikreisen jedoch, dort, wo die Stimmung „ge macht" und nebenbei wacker nach „oben" gestrebt wirb, gährt eS. Dort flüstert man und den Massen tuschelt man es in die Ohren, daß die „Alten" zahm geworden, daß eS mit dem „Parlamenteln" nichts sei, daß dabei dies letzte Ziel verloren gehen müsse und nimmermehr der „große Tag" kommen könne, an dem das Proletariat der Bourgeoisie den Fuß auf den Nacken setze. Und gegen diese „Ohrenbläser", welche die die Partei steuern leistende Menge „verführen" wollen", daß sie noch mißtrauischer werde gegen „die da oben" in der Partei, zielt jene Absicht. Diese „Ohrenbläser" will man Lügen strafen durch jene nervöse Maßlosigkeit, die von Allen zur Schau getragen wird, die in der Socialdemokratie „oben sind." Mit anderen Worten: die „Alten" unterwerfen sich dem Massen- instincte, der, nachdem er durch langjährige Verhetzung in- flammirt ist, seine Revolution haben will. Kann ein ver nünftiger Mensch in dieser Unterwerfung ein Symptom dafür sehen, daß die Socialdemokratie weniger gefährlich geworden wäre, als sie war? Im Gegentheil! Jene nervöse Gehässigkeit, welche die klügsten Köpfe der Umsturzpartei zeigen, kündigt an, daß die Gefahr wächst, daß die revolutionäre Begehrlichkeit der Menge die „Alten" jeden Tag mit fortreißen kann, ob gleich diese selbst es vorzögen, an der Parteitafel bis anS Grab zu genießen. Herr von Kardorff hat mit Recht schon am Sonnabend im Reichstage hervorgehoben, wie zutreffend eS war, als Bebel mit erhobener Stimme und unter dem Beifall seiner Fraction dort erklärte: „Wir leben ja von den Fehlern und Dummheiten unserer Gegner!" Nun, in der Socialdemokratie geht etwas vor, und man weiß, was! Der größte Fehler, den ihre Gegner begehen, und die ärgste Dumm heit, deren die bürgerliche Gesellschaft sich schuldig machen könnte, würden darin bestehen, daß man sich in einer Zeit solcher Gäbrung in der Umsturzpartei, wie sie in der gesteigerten nervösen Gehässigkeit gegen die Grundlagen unserer Ordnung zu Tage tritt, in die Hoffnung einwiegen ließe, gerade diese gesteigerte Gehässigkeit werde den ruhigeren Elementen in der Socialdemokratie, die in der Zugehörigkeit zu der Partei nur ein Kampfmittel zur Erlangung besserer ArbeitS- und Lohnbedingungen erblicken, anspornen, sich ihrerseits der Führerschaft zu bemächtigen und die socialdemokratische Be wegung in reformatorische Bahnen zu lenken. Wo sind sie denn, diese ruhigeren Elemente, und wodurch machen sie sich bemerkbar? Wäre irgend ein Verlaß auf sie, so würden die „Alten" gewiß nicht zögern, sich auf sic gegen die drängenden „Ohrenbläser" zu stützen. Auch der Vorsitzende des evangelisch socialen CongresseS, Herr Nobbe, glaubt, daß eS solche Elemente gebe, aber was erwartet er von ihnen? In der neuesten Nummer der Mittheilungen dieses CongresseS spricht er offen auS: „Ich bin fest davon überzeugt, daß alle diese an sich unleugbaren Thatsachen die Massen zu geeigneter Stunde nicht hindern würden, den radicaleren Elementen zu folgen, also revolutionär im brutalen Wortsinne zu werden nnd die Errichtung der Diktatur des Proletariat- zu er streben." Nobbe führt dann weiter auS, daß die sogenannten ge mäßigten Mitglieder in der Partei ohne Einfluß seien, wie sich erst wieder auf dem Stuttgarter Parteitage gezeigt habe, wo Herr Kautsky die Unvermeidlichkeit einer Katastrophe al- allgemeinen Glaubenssatz proclamirte, ohne einem irgendwie durchgreifenden Widerspruche zu begegnen. Im Uebrigen thue die sogenannte gemäßigte Minderheit nichts, um ihrem socialen Reformstreben die Sympathien der tüchtigen und gebildeten Volkskreise zu verschaffen. „Protestiren sie etwa dagegen, wenn die wackeren und arbeit samen Glieder dieser Kreise als Ausbeuter und Schmarotzer stigmatisirt werden, oder sehen sie es nicht ruhig mit an, wie der staatsfeindliche Sinn ihrer Gefolgschaften durch nichtswürdige Abreißkalender und ähnliche Scheußlichkeiten absichtlich genährt und gezüchtet, die schlichte Anerkennung deS vom Reiche auf socialem Gebiete bereits Geleisteten aber geradezu Hintertrieben und bespöttelt wird? Wenn Las aber so bleibt und wenn die sogenannten „Führer" der gemäßigten Richtung gegen diesen ganzen Hexensabbath systematischer Vergiftung deS Bolksgeistes nur um der lieben Einigkeit willen kein mann haftes Wort zu sagen wagen, dann kann es »ns im Grunde genommen ziemlich gleichgiltig sein, welche „Richtung" in der Socialdemokratie die Oberhand behalten wird." Also scheue man auS Furcht, die radicalen Dränger noch rascher, als sie sonst wohl zur Führung gelangen würden, nicht davor zurück, durch schärfste Charakterisirung dec nervösen „Alten" deren Sturz zu beschleunigen. Die Dränger müssen am eigenen Leibe spüren, wie es thut, sich den Kopf am Bollwerk der Gesellschaft- und Rechtsordnung wund zu rennen, während man an der Parteitafel bequem genießen könnte. Der Ansturm wird uns, wie die jetzige nervöse Ge hässigkeit der bedrängten „Alten" zeigt, nun doch einmal nicht erspart; um so besser ist eS für unsere Nachkommen, wenn die Führer der Sturmcolonnen rasch auf einander folgen und durch ihr Schicksal dem jungen Nackwuchse zeigen, welcher Preis auch ihrem konfusen Streben winkt. Deutsches Reich. 6. tt. Berlin, 10. Februar. (Zur Bewegung der Hamburger Schauerleute.) Leider spitzen sich die Ver hältnisse in Hamburg ans Anlaß der Bewegung der Schauer leute so zu, daß eS den Anschein gewinnt, als ob wieder eine Katastrophe bevorstände. Bekanntlich haben die social demokratisch organisirten Schauerlente von den Stauern verlangt, daß diese Letzteren ihnen die gleichen Reckte in der Verwaltung deS Arbeitsnachweises, zu der sie nicht einen Pfennig beitragen, einräumen. Die jetzt ergangene Antwort der Stauer ist nicht besonders geschickt; ihr Vorsitzender Lintz soll erklärt haben, er kenne eine Vereinigung der Schauerleute nicht. In der Thal hat die socialdemokratische Organisation derselben kein Recht, im Namen aller Schauer leute zu sprechen, aber die socialdemokratische Organisation besteht nun doch einmal und sie ist auch sicherlich Herrn Lintz bekannt. Die socialdemokratischen Schauerleute sind nun infolge dieser Antwort sehr ergrimmt und suchen mit allen nur denkbaren Mitteln auf die Schauer leute, welche bereits eine Karte deS Arbeitsnachwcise- BureauS gelöst haben, dahin einzuwirken, daß sie von der Karte keinen Gebrauch machen. DaS wird nun freilich nicht geschehen, denn viele Schauerleute erkennen da- Arbeits- nachweise-Bureau der Stauer an; ob aber diese Zahl anS- reicht, um den Betrieb im Hafen so ausführen zu können, wie es nothwendig ist, das steht auf einem anderen Blatte. Jedenfalls ist an ein Nachgeben der socialdemokratisckcn Organisation der Schauerleute und auf der anderen Seile an das des Vereins der Stauer nicht zu denken; die Ver hältnisse drängen zur Entscheidung und am 2l. Februar wird sich zeigen, ob die socialdemokratisch organisirten Schauer leute in den Streik treten. Ihre pecuniären Kampfmittel sind freilich sehr gering und die Hamburger Socialdemokraiie ist durch Leu Crefelder Streik, für den sie in wenigen Tagen 2500 aufgebracht hat, wie durch andere kostspielige Unternehmungen sehr stark in Anspruch genommen. Feuilleton. Das Fuhrwerk der Zukunst. Von Rudolf Curtius. NaLdriick vkrboNn. Wenn man den Zukunftsträumen phantasiebegabter Feuilleto nisten Glauben schenken könnte, so nähern wir uns reißenv schnell dec Zeit, in welcher das Pferd, der treue Begleiter und Diener des Menschen auf allen seinen Culturpfaoen, mehr und mehr aus seiner Function als lebende Kraftmaschine ausscheiven wird. Zuerst aus dem Straßenverkehr der großen Städte verschwindend, würde dasselbe als Zugkraft allmählich auch in kleinen Orten und auf dem Lande den Dampfmaschinen und Elektromotoren Platz machen, welche das Pflügen und die sonstigen Arbeiten beim Ackerbau billiger und besser besorgen würden, und schließlich würde das Pferd zu einer Rarität der zoologischen Gärten werden, in welchen es von unseren Kindeskindern als ein Kuriosum längstvergangener Zeiten angestaunt werden würde. Wenn diese Utopie aller menschlichen Voraussicht nach auch nie in vollem Umfange in Erfüllung gehen wird, so steckt doch in ihr «in gutes Theil Wahrheit. Die Entwickelungsgeschichte des Verkehrs in unserem dem Ende zueilenden Jahrhundert läßt sich am besten durch das Bestreben kennzeichnen, die rastlos vor wärts hastende Menschheit von den zu langsamen Verkehrsmitteln srüherer Zeiten zu befreien und Lurch mechanische Kraft mit Windeseile nach den gewünschten Zielen zu befördern. In zweierlei Beziehungen, welche gewissermaßen die äußersten Ufer und Grenzen des unablässig fluchenden Verkehrsstromes darstellen, ist das Problem gelöst. Denn auf der einen Seite tragen aus einem dichtmaschigen Eisenbahnnetz die modernen Schnellzüge große Menschenmassen täglich mit einer Geschwindig keit von achtzig Kilometer und mehr in der Stund« über weite Läiitxrstrecken, und von der Einführung der Elektricität in den Fernbetrieb der Bahnen ist noch eine weitere bedeutende Be schleunigung des Reisens mit Sicherheit zu erwarten. Auf der anderen Seite hat das Fahrrad längst aufgehört, ein Gegenstand des Sportes zu sein und gestattet jedem leidlich rüstigen Menschen geradezu spielend leicht erheblich« Entfernungen mit einer Ge schwindigkeit zu überwinden, welch« im Interesse der Sicherheit unseres Straßenverkehrs keiner erheblichen Steigerung mehr fähig ist. In allen anderen Fällen aber — und dies sind die weitaus zahlreichsten — in welchen man sich weder der einen noch der anderen Transportgelegenheit bedienen kann oder will, ist man gezwungen, entweder zu Fuße zu marfchirrn oder einen von Pferden gezogenen Wagen zu benutzen. Das Bestreben, das theuere, eine sorgsame Pflege und Wartung fordernde Pferd durch mechanische Kraft zu ersetzen, ist daher nicht neu, sondern gerade so alt wie die Erfindung der Dampfmaschine. Schon von mehr al» hundert Jahren, I nämlich 1785 wurde von Murdach der erste Dampfwagen erbaut, I welcher dem freien Straßenverkehr ohne Benutzung von Gleisen dienen sollte. Diesem ersten Versuche, welcher wenig befriedigte, da die Technik der Dampfmaschinen damals noch in den Kinder schuhen steckte, sind zahllose andere Experimente und Projecte gefolgt, ohne daß die zum Theil recht leistungsfähigen „Motor wagen" oder „Automobils" zur allgemeinen Verwendung ge langt wären. Auch ein Dampfwagen des Franzosen Voller, welcher auf der Pariser Ausstellung vom Jahre 1878 und später in Berlin berechtigtes Aufsehen erregte, theilte das Schicksal seiner Vorgänger und fiel der Vergessenheit anheim, obwohl derselbe sich als in hohem Grade lenkbar erwies und Geschwindig keiten bis zu 25 Kilometer in der Stunde erreichte. Der Fehler dieser Wagen bestand darin, daß die Maschinentheile, Kessel und anderen Bestandtheile rin zu schweres Gewicht hatten und das ganze Gefährt zu einem so schwerfälligen, mit Donnergepolter einhersausenden Fuhrwerk machten, daß Jeder unbedenklich den leichten von Pferden gezogenen Kutschwagen bei Weitem vorzog. Indessen, wo ein wahres Bedürfniß vorhanden ist, welches Befriedigung erheischt, ist die moderne Technik stets schnell bei der Hand, und so ist es denn kein Wunder, daß Hunderte von technisch gebildeten Köpfen das Problem, einen leichten wider standsfähigen und zugleicy leistungsfähigen Motor für Straßen fuhrwerke zu bauen, rasch der Lösung näher brachten. Eine Geschichte dieser Versuche zu skizziren hieße ein ganzes Buch schreiben; «S genügt vielmehr hier, darauf hinzuweisen, daß es gerade ein Ruhmesblatt der deutschen Industrie ist, den Auto- mobilismus in Schwung gebracht zu haben. Die Benzin- Motoren, mit welchen Daimler in Cannstatt im Jahre 1885 auf den Markt trat, und welche neben der praktischen Verwendbar keit auch den Vorzug erschwinglicher Preise hatten, waren d.r Anstoß zu einem wahren Wettlauf der Erfinder, der heute so weit abgeschlossen ist, um die Grundzüge, in denen sich der Auto- mobilismus auch in den nächsten Zeiten bewegen wird, mit Sicherheit erkennen zu können. Bei den vielen in jüngster Zeit veranstalteten internationalen Wettfahrten und Ausstellungen lassen sich zwei verschiedene Typen von Automobils scharf trennen, deren erster als bewegend« Kraft den Wasserdampf, oder brennbare oder explosive Gase, wie die jenige des Petroleums, Gasolins, Benzins u. s. w. benutzt, während sich der andere Typus der Elektricität bedient. Die Einzelheiten der Constructionen sind nur für den Techniker interessant und verständlich, aber Geschwindigkeiten zwischen 20 und 35 Kilometern die Stunde sind aus wohlgepslegten glatten Wegen mit fast sämmtlichen dieser Wagen erreicht worden. Obendrein haben diese Fuhrwerke den außerordentlichen Vorzug, nicht nur in der Ebene oder aus sanft ansteigenden Wegen brauch bar zu sein, sondern selbst bedeutende Steigungen bis über 12 Procent zu überwinden, also auch auf Straßen fahren zu können, wie sie selbst im hohen Gebirge heutzutage kaum je steuer angelegt werden. Eine Wettfahrt, welche vor nicht langer Zeit quer durch Tirol über verschiedene hohe Alpenpässr, darunter auch über die höchste europäische Kunststraße, das 2760 Meter hohe Stilfser Joch, unternommen wurde, hat die Brauchbarkeit des Motorwagens auch in Gebirgsländern glänzend dargethan. Auch den Radfahrern, welche dank ihrer gesunden B«in- musleln und starker Herzkraft bisher selbst den besten Wagen pferden und, wenn es sich um mehr als einige Minuten handelte, auch den englischen Vollblutrennpferden einfach hohnlachend davon zu fahren gewohnt rvaren, erwächst im Motorcndreirav ein Concurrent, mit dem selbst der besttrainirte Tourenfahrec auf die Dauer nicht wird Schritt halten können: die zuerst ver suchte Anwendung des Motorbetriebes auf Zweiräder hat sich als unpraktisch erwiesen ebenso sehr weil die Aufmerksamkeit des Fahrers für die Erhaltung des Gleichgewichtes, die Bedienung der Maschine und die Beobachtung des Weges und etwaiger Hindernisse zu vielseitig in Anspruch genommen wurde, als weil jeder Sturz kostspielige Reparaturen an der sehr subtil gebauten Maschine nach sich zog. Bei dem Dreirade hingegen fallen die Sorge um das Gleichgewicht und die Gefahr des Sturzes fast gänzlich weg. Diese Motorenvreiräder kommen daher, obwohl sie noch keineswegs zur obersten Stufe der Vollendung gelangt sind, täglich mehr in Gebrauch und sind in unseren Großstädten keine außergewöhnliche Erscheinung mehr. Die zweite Gattung von Selbstfahrern, welche sich, wie bereits gesagt, der Elektricität bedienen, kämpften immer noch mit den Schwierigkeiten, welche auS dem großen Gewichte der Accumula- toren sich ergeben. Wenn erst einmal die Aufgabe der Herstellung eines leichten und gleichzeitig kräftig und nachhaltig wirkenden Akkumulators gelöst ist, dürfte das elektrische Princlp auch hier den Sieg über alle anderen motorischen Kräfte davontragen, weil es auf der einen Seite die größtmöglichste Geschwindigkeit gewährleistet und andererseits frei ist von lästigen Eigenschaften anderer Motoren, welche entweder durch unangenehmen Geruch oder Rauchentwickelung oder rasselndes Geräusch unliebsam auf fallen. Für dasjenige, waS wir hier von der Elektricität zu erwarten haben, ist es bezeichnend, daß eine französische Fabrik seit Kurzem Motor-Räder und -Wagen auf den Markt bringt, mit welchen eine Geschwindigkeit bis zu 80 Kilometer, also die Geschwindigkeit unserer schnellsten Eilzüge, erreichbar sein soll. Wenn es auch nicht absehbar ist, wie derartige Geschwindig keiten zur praktischen Verwendung kommen sollen, ohne die tägliche Rubrik der Straßenunfälle ins Endlose zu vermehren, so ist es doch bei aller sonstigen Mißlichkeit von Prophezeiungen gerade hier nicht schwer, ein Bild von der Zukunft, die sich im Verkehr gestalten, wird, wenn auch nur die bisherigen Errungenschaften zum Allgemeingut werden, zu entwerfen. Es scheint zwar, daß zwischen einer Erfindung und ihrer praktischen Derwerthung immer ein gewisser Zeitraum liegen muß, ehe sich der in der Menschennatur tief drinnen wurzelnde konservative Sinn mit der grunostürzenden Neuerung befreundet hat, und manches Erfinderdasein hat traurig in Elend und Entbehrung geendet, während bald nachher Andere die goldenen Früchte de» fremden Denken» ernteten. Aber der tobt« Punkt scheint beim Automobilismus endgiltig überwunden zu sein, und es geht in Deutschland und England jetzt damit ebenso rüstig vor wärts wie in Frankreich, welches in diesem Punkte allen anderen Staaten eine Zeit lang weil voraus eilen zu wollen schien. Speciell in Deutschlano haben Die Reichspost und einige große Firmen vielversprechende Anfänge damit gemacht, auch die Fort bewegung schwerer Lasten auf gewöhnlicher Straße ohne Gleis anlage durch Motoren zu bewerkstelligen. Als nächste Folge steht für die kömmenoen Jahrzehnte eine beveutenve Einschränkung des Bedarfs an Pferden bevor, welche, wenn auch das Pferd als Zugthicr für den Ackerbau voraus sichtlich nie zu entbehren sein wird, doch in demselben Maße bemerkbar werden muß, in welchem die Anlage guter Straßen und Kraftstationen auf dem platten Lande zunehmen wird. Damit werden Hunderttausende von Acker und Land, welche bis her für den Haferbau in Anspruch genommen wurden, für den Anbau menschlicher Nahrungsmittel frei. Durch den Ucbergang zum elektrischen Betrieb werden allein bei der Großen Berliner Straßenbahngesellschaft 6300 Pferde entbehrlich, uno ent sprechend hoch sind die Zahlen in den elektrischen Betrieben anoerec Städte, deren Summe man für den gegenwärtigen Stand in Deutschland auf rund 100 000 schätzt. Größer noch muß die Umwälzung in unseren Lebensgewohn- heiten werden. Wenn der elektrische Gaul erst stets reisefertig vor der Hausthür steht, wird der Trieb nach Ortsveränderung, der jetzt schon die ehedem öden Landstraßen mit zahlreichen Rad fahrern belebt und sich auf den Eisenbahnen als Reiserutl,« äußert, eine bisher ungeahnte Höhe erreichen, und es mag dahin gestellt bleiben, ob das damit sicherlich verbundene Schwinden der Freude an der ruhigen Häuslichkeit, welche ein Charakteristi kum der Vergangenheit war, nicht auch ein großer Nachtheil ist. Die Einführung der Selbstfahrer bedeutet ferner einen großen Fortschritt in thierfreundlichrr Beziehung, insofern der entsetzlichen Pferdeschinderei, welche sich täglich unter unseren Augen vollzieht, damit in merklicher Weise Einhalt gethvn werden wird. Auch in kapitalistischer Hinsicht ist die Fabrikation der Motoren ein bemerkenswerther Factor. In England sind allein im Jahre 1896 nach Ausweisen des Handelsministeriums 107 Millionen Mark in diesem Fabrikationszweige angelegt worden, der ja nur einen Theil der heutigen Maschinenindustrie bedeutet, und wenn vor wenigen Jahren das Anlage juckende mobile Capital oft auf Nimmerwiedersehen nach exotischen über seeischen Ländern wandern mußte, ist, wie die Ereignisse der letzten Monate beweisen, jetzt der umgekehrte Fall eingetretcn. Die großen Summen, welche für Derkehrsanlagen im All gemeinen und für Motorenindustrie im Besonoeren verlangt werden, absorbiren vollständig die normalen Ersparnisse, und für die Volkswirthschaft malt sich damit auf dem manchmal nur allzugrauen Hintergründe der internationalen Politik ein viel» verheißendes farbenprächtiges Zukunftsbild wirthschaftlichen Le» Leihen».
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