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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990211024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899021102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899021102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-11
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Und doch war diese lange Debatte nur ein sachlich meistens unbedeutender Nachtrag zu den Debatten der ersten beiden Verhandlungstage. Dafür war sie um so erregter, denn die Verstaatlichungsfreunde batten ihre Kräfte bis zuletzt aufgespart und schickten in den Herren von Kardorff, Or. Hahn, Frhr. v. Wangen bein« und Liebermann v. Sonnenberg ihre schärfste» Redner inS Feld. Der erstere gab freilich resignirt die Ver staatlichung verloren, um so heftiger griff er dafür die „ver- hängnißvolle" Leitung der Bank durch den Präsidenten Koch an. In diesen Angriffen überbot ihn noch Herr Or. Hahn, der auch die Verstaatlichungshoffnung nicht aufgab und durch seine Erklärung, für die Actionäre der Reichsbank genüge eine garantirte Dividende von 4 Procent, dem social- dcmokratischen Abg. Schönlank das Geständniß ablockte, daß auch seine Partei in Bezug auf die Höhe der den Actionärcn zuzugestehenden Dividende noch nicht daS letzte Wort ge sprochen hätte, sondern sich diese« für die Commifsionsver- bandlungen vorbehielte. Da nun Herr Liebermann gleich- -falls den Actionären höchstens 4 Proc. Dividende zu bewilligen erklärte, so werden auch in der Commission die Verhand lungen an Lebhaftigkeit nichts zu wünschen übrig lasse». Warum übrigens diese Commission, die doch nur über tech nische Specialfragen zu berathen hat, die außergewöhnliche Stärke von 28 Mitgliedern haben soll, ist schwer zu begreifen. Je größer eine derartige Commission ist, um so großer ist bei den gegenwärtigen Präsenzverhältnissen im Reichstage — gestern war der Besuch anfänglich so schwach, daß der Prä sident zögerte, die Verhandlung zu eröffnen — die Gefahr, daß ein erheblicher Theil ihrer Mitglieder fehlt, daß die Beschlüsse von zufälligen Mehrheiten gefaßt werden und des halb für die Entscheidung des Plenum- nicht maßgebend sind. Eine neue Gelegenheit, entweder Hetzreden von der Tribüne des Reichstags inS Land hinaus zu schleudern, oder sich über Vergewaltigung zu beklagen, hat sich die socialdemokra- tische Fraclion dadurch geschaffen, daß sie dem einzigen „Dänen" des Hauses, den« Abg. Johannsen, die Ein bringung einer Interpellation über die Ausweisungen au» Nordschlcswig ermöglicht hat. Da Herr Johannsen für sich ein „Fraktion" bildet, so war er bei der Einbringung seiner Interpellation nach der Geschäftsordnung auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen, und rS ist bezeichnend genug, daß er bei seinen Werbungsversuchen nur die Herren Socialdemokraten bereit gefunden hat, ihre Unterschriften unter die Anfrage zu setzen. Selbst die Polen, die doch sonst bei „nationalen" Schmerzen Herrn Johannsen beizuspringen pflegten, haben sich diesmal kühl zurückgezogen, von den Freisinnigen ganz zu schweigen, die eingesehen haben, welchen groben politischen Fehler sie begingen, als sie sich im Reichstag wie im preußischen Abgeordnetenhause zu Vertretern der dänischen Beschwerden machten. Wahrscheinlich rechnen die Socialdemokraten daraus, daß bei der Besprechung der Interpellation das Haus beschlußunfähig ist, die anwesenden Mitglieder aber einen Antrag auf Schluß der Debatte nicht einbringen, um eine Constatirung der Beschlußunfäbigkeit und die Fortführung der Debatte in der nächsten Sitzung zu vermeiden, und daß dann die Hetzapostel nach Herzenslust zum Fenster hinaus reden können. Ist diese Rechnung falsch und schneidet das beschlußfähige HauS nach einer kurzen Antwort vom Bundesrathslische das Wort ab, nun, so benutzt man eben diese „Vergewaltigung" zu Agitations zwecken. DaS letztere Uebel ist aber jedenfalls das kleinere und es entspricht überdies nicht der Würde des Hauses, sich von der Socialdemokratie terrorisiren zu lassen. Wir hoffen daher, daß die Führer der großen Fraktionen ihre Parteigenossen dringend auffordern, sich in der betreffenden Sitzung zahlreich eiuzusinden und dann den Hetzreden baldigst ein Ende zu machen. Die zwingenden Gründe der Ausweisungen aus Nord- schleSwig sind zur Genüge bekannt und ebenso die Stellung der preußischen und der Reichsregierung zu den Maßnahmen des Herrn v. Köller. Und schimpfen nach einer Abkürzung der Debatte die socialdemokratischen Zeitungen und Ver sammlungsredner über Vergewaltigung, so ist das immer noch bester, als wenn die Ordnungsparteien sich von den Herren Singer, Bebel und Liebknecht vergewaltigen lassen. UebrigenS erfährt man aus der „Schles. Schulzeitung", daß eS auch im deutschen Lehrerstande, besonders in BreSlau, Leute giebt, die mit ihrem Tadel der nordschleSwigschen Aus weisungen nicht zurückhalten. Erfreulicherweise macht die genannte Zeitung den Herren den Standpunkt gründlich klar und zwar unter Berufung auf Auslassungen ihrer AmtS- brüdcr an der dänisch-preußischen Grenze. DaS Blatt schreibt nämlich: Es ist die Stimme eineS LehrerS aus jener Gegend, die sich also vernehmen läßt: „Daß es jetzt nach 35 Jahren geduldigen, vergeblichen Hoffen- auf moralische Eroberung der Bevölkerung in der alten Weise, daß alles Deutsche ungestraft verhöhnt und in den Schmutz gezogen werden durste, nicht mehr lange fortgehen konnte, ist für jeden kundigen Beurtheiler der Ver hältnisse einzusehen." — Derselbe Mann schildert die unermüdlich zersetzende Thätigkeit zweier Vereine, die es namentlich auf den Fang jugendliche Gemüther abgesehen haben. Da ist der „Ver ein zur Bewahrung der dänischen Sprache". „Dieser gründet zahlreiche Bibliotheken zum unentgeltlichen Ausleihen dänischer und in dänischem Geiste geschriebener Bücher; er vertheilt ferner unent- geltlich in vielen'Zehntausenden von Exemplaren Bücher gleicher Art. Auch hat der Verein ein billiges Liederbuch, gewöhnlich das „blaue Buch" genannt, herausgegcben, daS überwiegend Lieder politischen Inhalts zur Verherrlichung dänischer Nationalität und dänischer Heldenthaten und zum Theil diesseits verbotene Kampf- und Trutz lieder enthält." So berichtet der erwähnte Gewährsmann in der „Preußischen Lztg.". Der obengenannte Verein wirkt noch intensiver durch ein „Illustr. Kinderblatt für Nord schleswig". Durch dieses Blatt wird ein Austausch von Arbeiten zwischen den Kindern diesseits und jenseits der Grenze ermöglicht. Absichtlich wird eine politische Beeinflussung der Kinder angebahnt. „Durch daS Hineinziehen der kindlichen Seele in den politischen Kampf, durch das Aufhetzen der nordschleSwigschen Kinder gegen die bestehende Ordnung und durch das Einpflanzen des Keimes deutsch, hastender Staatsfeindlichkeit wird die Arbeit der Schule in rassiuirter Weise systematisch vereitelt." Ein zweiter Verein, der „Schul verein für NordschleSwig", wendet seine Sorge ausschließlich der confirmirten Jugend zn. „Hunderte von jungen Leuten beiderlei Geschlechts werden jährlich nach Dänemark geschickt und mit Geld unterstützt, um dort mit dänischem Geiste erfüllt zu werden. Die- geschieht auf den sogenannten Bauernhochschulen und in Fort bildungsschulen, und der nachtheilige Einfluß dieser Schulen, in denen der deutschen Jugend Haß gegen das Deutschthum und ein- seitiger Nationaldünkel eingepflanzt wird, ist meist so groß, daß diese so erzogene Jugend für daS Deutschthum verloren ist." Die „Schlesische Schulzeitung" knüpft daran folgende treffende Bemerkungen: „Und da sollte die deutsche Regierung nicht mit eiserner Hand eingreifen? Es wäre rin vollständiges Versinken in schlafmütziges Michelthum, wenn dergleichen geduldet würde.' Sind das auch noch Deutsche, die sich mit scharfer Anklage unserer Regierung in denWeg stellen? Ein ruhiges, maßgebendes Urtheil in solchen Dingen hat gewiß der deutsche Lehrer, der am meisten in seiner Stellung zwischen zwei Lagern dem Anprall ausgesetzt ist Es ist nothwendig, daß wir einmal dieses Capitel angeschlagen haben. Unsere Lollegen müssen in so hochwichtigen Zeitsragen hell sehen." Die französische Tcputirtenkammer hat gestern Abend die Regierungsvorlage, welche der Criminalkammer daS Revisionsverfahren abnimmt und dem gesammten CassationShofe überweist, mit 332 gegen 2l6 Stimmen angenommen. Der Aufruf, welchen die Führer der republikanischen Gruppen noch in letzter Stunde erlassen haben, hat also seine Schuldigkeit nicht mehr gethan, er kam zu spät. Wie es scheint, hat das GroS der gemäßigten Republikaner geschlossen für die Regierung gestimmt, gegen dieselbe die radikale und socialdemokratische Linke mit etwa dreißig Progressisten. Ein besseres Resultat konnte die Regierung sich nicht wünschen, denn sie kann nun, gestützt auf ein einer Vertrauenskundgebung gleichkommendes Votum der Kammer, die sich nicht an den mit großer Mehrheit ge faßten Beschluß der Commission kehrte, ihr svnderbareS Experiment zu Ende führen, da« Larin besteht, das Ver trauen in die oberste Richtergewalt dadurch zu befestigen, daß sic die Handhabe zur Diöcredilirung dieser selben Richtergewalt bietet. Die Regierung wird natürlich daS Gegentheil er reichen, denn die Verleumdungen, mit denen die Criminal- kammer überschüttet worden ist und die ihre Depossetirung zur Folge hatten, werden nun auch gegen die übrigen Mitglieder des höchsten Gerichts, sei eS von DreyfuS' feind licher oder ihm freundlicher Seite, geschleudert werden. Man wird auch ihre Unbefangenheit und Rechtschaffenheit anzweifeln und so wird auch daS Urtheil des gesammten CassationshofeS nicht alS daS unumstößliche Verdick deS höchsten Gerichtes ruhig in Ehrfurcht hiugcnommen werden, vielmehr wird dir eine Partei nach wie vor DrrvfuS als schuldig, die andere ihn als unschuldig bezeichnen und der wüste, längst vom Gebiete der Justiz auf daS der Politik hinüber gespielte Kampf, der Frankreich am Marke zehrt, wird weiter toben bis zum Zusammenbruch der Republik. Dupuy, der erst das große Wort im Munde führte: „Es muß Licht werden und es wird Licht werden", bat seine Rolle vollständig gewechselt, denn er beugt sich jetzt der von der chauvinistlschen Masse getragenen Generalstabs partei, welche sich einbildet, den Patriotismus allein ge pachtet zu haben und sich als Retterin Frankreichs aufspielt, in Wahrheit aber nur beflissen ist, die Schande derer zu ver decken, welche sich unheilbar selbst geschändet haben, lind dabei ist der Ministerpräsident unverfroren genug, zuzugeben, daß er und mit ihm die Kämmer einfach dem Commando des Säbels folgt. Mehr als einmal hat er — nnd nicht mit der Mine eines Antonio — gesagt, die Enquete babe nicht daS Ge ringste ergeben, was dieEhrenhaftigkeit und Rechtschaffenheit der Richter der Criminalkammer berührte, aber, fügte er gestern sehr bezeichnend hinzu, die Negierung müßte trotzdem mit den Ansichten der Richter, welche die Enquete führten, rechnen. Diese Richter waren revisionsfeindlich und Verleumder der Ehre ihrer College», warum rechnete su nicht mit den Ansichten der Richter, die revisionsfreundlicb waren und den Nachweis führten, daß die Criminalkammer intact sei, zumal da sie diesen Nachweis als völlig erbracht an erkennen mußte? Einfach deshalb nicht» weil der Säbel jetzt in Frankreich die Macht bedeutet und weil die Menge ihn anbetet. Für DreyfuS kommt ja, wie wir schon wiederholt hervorhoben, als Schlußeffect nichts anderes heraus, als was herauSgekommen wäre, wenn die Criminal- kammer die Entscheidung in der Hand behalten hätte: er wirb in Frankreich für die einen der Verräther, für die an dere«« der Märtyrer bleiben, mag er nun für schuldig oder für unschuldig erklärt werden. Dort ist ja nicht die Auto rität des höchsten Gerichts entscheidend, sondern die „Unruhe der Straße", die „draußen herrschenden Leidenschaften" sind es. Sie sind nicht, wie Dupuy behauptete, in den Gerickls- saal gedrungen und haben die Richter beeinflußt, sondern sie sind in Frankreich souverän. Ihnen beugt sich die Regie rung, bis sie selbst von ihnen weggespült wird, ihnen die Kanimer, die schon längst keine eigene Meinung mehr hat. Dem Londoner „Standard" zufolge hätte, wie wir melde««», der Oberrichter von Tamoa Cham bers (er isl amerikanischer Nationalität, nicht, wie einmal fälschlich be richtet wurde, Engländer) die von ihm anSgegaugene Un- ailtigkeitserklärung der Wahl Mataafa'ö zum Könige damit gerechtfertigt, daß deutscherseits auf cer Berliner Samoaconserenz die Wahl Maatafa's mit Rücksicht auf die Haltung desselben für ausgeschlossen erklärt worden sei. Hierzu wird dem „Hamb. Corr." officiös aus Berlin geschrieben: Das ist natürlich nur ein Vorwand. Die damalige Erklärung konnte sich nur auf die Frage beziehen, welchen der drei um die Herrschaft in Samoa streitenden Häuptlinge Malietoa, Tamasese und Mataafa die Großmächte als König anerkennen wollten. Man hat sich bekanntlich auf die Wiedereinsetzung Malietoa's geeinigt. Bezüglich des Nachfolgers bestimmt die Samoa-Acte, daß dieser ordnungsmäßig in Gemäßheit der Gesetze und Gewohnheiten in Samoa gewählt werden sollte. Ein Vorbehalt zn Ungunsten Mataasa's wurde nicht gemacht. Aber selbst wenn Mr. Chambers der vor nahezu zehn Jahren auf der Eonfereuz deutscherseits abgegebenen Erklärung auch jetzt noch Bedeutung beilege» zu müssen glaubte, so hätte er vor Allem bei der deutschen Regierung bezw. deren Ver- trrtern in Samoa deshalb onsragen müssen und das um so mehr, al- die Wahl Mataasa's mit großer Mehrheit vorauszusehen war. Bekanntlich hatte ja auch der deutsche Consnl einen Einspruch gegen die Wahl nicht erhoben. WaS die Meldung der „Daily Mail" betrifft, der in San Francisco eingetroffene „Mahattan" babe die Nachricht Ferr-Heton. Gräfin Marie. 4s Roman von Wolde mar Urban. Nachdruck verboten. Die Vorstellung begann, diese fürchterliche Procedur, die sich der moderne Gesellschaftsmensch in der Verzweiflung der Lange weile ausgedacht hat. Graf Starace aber befand sich dabei offen bar in seinem Fahrwasser. Seine «Verbeugungen, sein Hände schütteln, sein Lächeln — Alles war tadellos, aristokratisch und r-entloinanUK« von A bis Z. -Dabei wurde ihm auch eine hübsche, runde, zierliche Dame in Trauer, mit blonden Haaren und frischem nordisch - zarten Teint vorgrstellt. „Maria Wasmuth aus Berlin", sagte lächelnd die „Santa", „den Titel ersparen Sie mir wohl, gnädige Frau. Er ist un möglich für eine italienische Zunge." Starace hatte mit seinem Falkenaug« die Dame in Trauer schon im ersten Moment seines Eintretens bemerkt. Er war sehr gefühlvoll für Leute in Trauer, denn er verband damit un willkürlich den Begriff einer Erbschaft. Natürlich brauchte er auch den Titel der Justizräthin nicht zu wissen. Es genügte ihm vollkommen, zu wissen, daß die Dame «ine Fremde in Neapel sei und er schloß daraus sofort, daß sie „Geld haben müsse", denn sonst wäre sie nicht in Neapel, und daß sie Neapel und die neapoli tanischen Verhältnisse nicht kenne, denn sonst wäre sie ebenfalls nicht da. „Ah, aus Deutschland, gnädige Frau?" fragte er mit einer verbindlichen Verneigung, als ob es für ihn ein« sehr große Ehr« sei, auS Deutschland zu sein. Di« Frau Justizräthin blickt« ihn überrascht an, denn er sprach in ein«m leidlichen Deutsch zu ihr. „Sie sprechen Deutsch, Herr Graf?" „Warum sollte ich nicht, gnädige Frau? Ich habe ja in München studirt." „In München!" wiederholte sie erfreut." „Jawohl. Ich habe sogar das Recht, den Doctortitel zu führen, aber es nicht üblich in Neapel, neben einem Titel, wie ich ihn trage, den Doctortitel zu führen. Es klingt nicht." „Und was haben Sie studirt, Herr Graf, wenn man frage» darf?" „Philologie, gnädige Frau. Ich bin Philologe." ' „Aber Sie 'sind doch Neapolitaner?" „Selbstverständlich. Meine Familie zählt zu den ältesten der Landes und war vordem in Ealabrien sehr begütert. Leider wurden m«ine Eltern in den Sturz der Bourbonen im Jahre 1860 und 1861 verwickelt. Sie mußten außer Landes gehen und verloren ihre Einkünfte und ihre Güter." „Ah" — machte die Justizräthin erschrocken und bedauernd. Der Graf zuckte etwas wehmüthig mit den Achseln und fuhr in einer gelassenen, vornehmen und durchaus wahrscheinlichen Art fort: „-Sobald ich mündig wurde, nahm -ich natürlich den Kampf um mein Vaterland und um unsere Familiengüter auf, und ich erreichte auch sehr bald das Recht, in Neapel, meiner Heimath, leben zu dürfen. Dagegen nehmen die Processe um unser Eigen- thum einen sehr langsamen Verlauf und legen uns die herbsten Entbehrungen auf. Gleichwohl lasse ich natürlich nicht nach und mit der Zeit muß ich mein Recht finden. Ich muß siegen. Nur ist bis dahin ein schwerer Leidensweg zurückzulegen. Es handelt sich nicht nur darum, die Mittel zur Prooeßführunq zu schaffen, sondern auch den Lebensunterhalt für mich und meine Mutter zu erringen." „Und wie machen Sie das, Herr Graf?" fragte die Justiz räthin lebhaft. Der interessante junge Herr Graf mit dem Weichen, etwas resignirten Blick, dem feinen, vornehmen Wesen und der traurigen Familiengeschichte, di« si« natürlich Wort für Wort für baare Münze nahm, schien ihr Mitleid in immer höherem Maß« zu erregen. „Ich arbeite!" erwiderte er mit einem großartigen Augen aufschlag. „ES ist ja wohl auch in Deutschland kein« Schande, zu arbeiten?" „Oh, das wäre ja noch schöner", antwortete sie lebhaft, „im Gegentheil, Männer, die nichts thun, sind mir «in Gr«uel. Aber, Herr Graf, Sie verzeihen meine Theilnahm« " „Sie ehrt mich", warf er mit einer graziösen Verbeugung lächelnd ein. Die Justizräthin erröthete unter s«inem 'Blick und schlug die Augen nieder. „Ich meinte, Herr Graf, was Sie arbeiten?" fragte sie leis«. „Ich bin Professor der modernen Sprachen. Sollte Ihr Italienisch, gnädige Frau, vielleicht einer schwachen Nachhilfe be dürfen, so stehe ich zur Verfügung." Er lacht«, indem er das sagte, und sah sie mit Blicken an, in denen mehr lag als in seinen Worten. Die Justizräthin wurd« verwirrt. Ein Professor! und noch so jung, dachte si«; er konnte kaum achtundzwanzig Jahre sein. Dann machten ihr seine Blicke zu schaffen. Wa» wollte er? Er war jedenfalls nicht vrr- heirathet. Ein verheiratheter Mann wirft keine solchen Blicke. Und nun sollt« sie italienisch« Lectionen bei ihm nehmen — ihr schwindelte. Bei einem leibhaftigen Grafen! Wenn das Gräfin Billingen in Berlin erfuhr, ihre Schwägerin, sie würde vermuth- lich platzen vor Neid. Und dann — wer wußte, was sich da Alles noch entwickelte? „Oh, Herr Graf, ich weiß wirklich nicht, ob ich es wagen darf, Ihre Zeit in Anspruch nehmen zu dürfen", flüsterte sie erregt und hastig athmend. „Meine Zeit gehört Ihnen, gnädig« Frau. Sie haben nur darüber zu befehlen. Bleiben Sie längere Zeit in Neapel?" „Gewiß. Oh ja, es gefällt mir hier sehr gut. Ach, das schöne Neapel. Ich möchte am liebsten für immer hier bleiben." „Und warum thun Sie das nicht?" Sie erröthete wieder. „Oh, Herr Graf " Die Santa trat hinzu. - „Signora Maria", sagte sie mit ihrer schönen, reservirten Stimm«, „Sie spielen so gut Elavier. Würden Sie nicht die Güte haben, mich zu einem kleinen Lied zu begleiten?" Der Graf sah diese Unterbrechung nicht gern. Es schien ihm, als ob etwas Absichtliches darin läge, ihn nicht zu lange mit Signora Maria zusammen zu lassen. „Wir sprechen noch davon, gnädig« Frau", sagte er rasch. „Es wird mir sehr angenehm sein." . „Darf ich Ihnen einstweilen meine Kart« geben? Es ist für den Fall, daß Sie etwa meiner bedürfen. Ich würde mir eine Ehre daraus machen. Ihnen Neapel zu zeigen oder Ihnen in irgend einer Weise behilflich zu sein." „Sehr freundlich, Herr Graf, sehr liebenswürdig." Er gab ihr seine Karte, auf der unter einer schön litho- graphirten Grafenkrone die Worte standen: Ltaraae, Ooota cki Llonts »aato s cki Loseoreale, Oitta. Keine Wohnung, keine nähere Adresse. War er so bekannt, daß ihn auch ohne diese Briefe erreichten? fragte sie sich. Sie suchte nach einer Karte von sich, hatte aber keine zur Hand. Dann trat sie an das Piano fort«, um d«e Santa, di« ein kleines neapolitanisches Liev singen wollte, zu begleiten. Die Santa sang sehr schön, aber doch immer noch nicht schön genug, um auch den Grafen Starace zu fesseln. Dieser sah sich im Gegentheil zerstreut und suchend um und als er endlich den Commendatore Cesarini, «inen sehr würdigen, sehr repräsentabeln, etwa» beleibten Herrn, in einer Fensternische entdeckte, trat er auf diesen zu. „Wer ist das?" fragte er leis«, kaum hörbar, aber hastig und den Commendatore mit seinen scharfen Stoßvogelaugen an sehend. Dieser zog Vie Augenbrauen vielsagend in die Höhe und flüsterte ebenfalls leise: „Achtung, Graf! Mann ist gestorben mit Hinterlassung eines riesigen Vermögens. Man sprich: von mehreren Millionen — nämlich deutsche Mark in Goto, kein« lodderigen italienischen Papierlir«, di« immer Disagio haben. DaS wäre so etwas, he?" „Sie kennen sie?" „Sie verkehrt fast ausschließlich bei mir. Sie geht mit meinen Töchtern ins Theater — in unser« Loge, »«acht Ausflüg: mit ihnen. Verstanden? Was wir wissen, weiß sie auch unv was wir nicht wissen wollen, das will auch sie nicht wissen." „Hm, Herr Commendatore, es kommt mir natürlich darauf an, eine gut« Meinung bei ihr zu erwecken." „Ich weiß Alles, still. Ich denke, ein Wechsel von zwanzig tausend Lire " „Drei Monate nach meiner Verheirathunq mit " „Unsinn. Dr«i Tage. Ist ja Alles klipp und klar. Alles liegt baar da." „Still, wir reden später noch davon." Ein schmelzendes, süß hinsterbenves Piano, das Signorina Cesina gerade am Pianofort« sang, verhinderte die weitere Unter Haltung der beiden Herren. Doch als die Santa geendet hatte und «in lebhafter Applaus losbrach, der geräuschvoll die Flüster stimmen in der Fensternische überdeckt«, konnten der Graf Starace und der würdige Commendatore ihre Unterhaltung ungestört wieder aufnehmen. IV. Der Commendatore Cesarini war «in pensionirier Marine- Beamter und bezog als solcher eine Pension von 125 Lire pro Monat. DaS reichte knapp für den Toilettentisch seiner Töcbler, denn sie machten nach Art der eleganten Neapolitanerinnen für ihr Leben gern Staat. Sie hatten ein« Loge in San Carlo. Sie fuhren gern und häufig in einer eleganten Equipage an der Villa Nazional« Corso, wenn dort die elegante Welt von Neapel versammelt war. Das geschah allerdings in einer gemietheten Equipage, aber gerade deshalb war daß auch kein billiges Ver gnügen. Es mußte aber sein. Man hat nicht umsonst zwei heirathsfähig« Töchter im Hause. In ihrem Aeußeren erschienen die Schwestern Cesarini stets mit zierlicher Eleganz, und nament lich Vie Santa leistete sich eine Toilette, die unbedingt auf größere Mittel hinwies. Die Santa sowohl als ihre Schwester Anunziata trugen an den großen Galaabenden im San Carlo Diamanten im Ohr und im Hwr, wobei allerdings der Unter« schied bestand, daß diejenigen der Santa echr waren, die Anunziata'S aber unecht. Eigenthümlich war, daß Cessna, wenn
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