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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990213027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899021302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899021302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-13
- Monat1899-02
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Mögen auch zwei freisinnige Redner gemäß ihrer Natur dem politisch und sittlich am niedrigsten stehenden Theile der ameri kanischen Agitation einige nicht ganz unbrauchbare Schlagwörter geliefert haben, mag auch die Socialdemokratie ihre Theilnahme an den Erörterungen auf eine mit der Sache nicht zusammen hängende Ungezogenheit gegen den Fürsten Herbert Bismarck beschränkt haben, eS bleibt die leider so seltene Erscheinung bestehen: der Reichstag, ganz Deutschland ist mit der Regie rung eins in der Auffassung deS tatsächlichen handels politischen Verhältnisses zu Nordamerika. Nach dieser Auf fassung aber besteht der Handelsvertrag von 1828 nur noch insofern, als Deutschland ihn beobachtet. Seitens Amerikas hingegen erfährt er seit Jahren theoretisch eine Auslegung und praktisch eine Durchführung, die der Nichtanerkennung deS Vertrages gleichkommt. Nur Deutsch land handhabt noch die Meistbegünstigung gegen Amerika, daS Umgekehrte ist nicht der Fall. Vom BundeSrathStische ist dies nicht wörtlich gesagt worden, aber eS ist der Sinn der von den Abgeordneten v. Heyl und Münch-Ferber richtig und unwidersprochen gemeinfaßlich erläuterten Ausführungen des Staatssekretärs von Bülow. Die Männer der Negierung überließen es auch den Ab geordneten, zur Kennzeichnung deS Verfahrens Amerikas bei der Verzollung, der Erhebung von Tonnengeldern und bei Anderem den Ausdruck „Chicane" zu gebrauchen und sonst mit einer über die Wahrheit in keinem Punkt hinausgehendcn Drastik das amerkanischeg Verhalten zu schildern. Aber auch die Abgeordneten vermieden eS, in der Be leuchtung der Willkür von Consuln und Behörden der Union bei der Legalisirung der Ursprungszeugnisse, der Wertbdeclaration u. s. w. die starken amerikanischen Herausforderungen der jüngsten Zeit auch nur mit einem einzigen verletzenden Worte zu beantworten. Regierung und Nation in Deutschland, daS geht au- allen Kundgebungen des vorgestrigen Tages hervor, wollen die politische Freund schaft und den wirthsckaftlichen Frieden mit Amerika. Aber daß sie diesen nicht um jeden Preis, selbst um den der auch politisch entehrenden fortdauernden Erduldung von Ungerechtigkeiten, wollen und wollen dürfen, wurde auch von dem Redner stark betont, der Amerika daS meiste Entgegenkommen bezeugte, dem Abgeordneten Fürsten BiSma rck, der in seinen vortrefflichen Darlegungen, die durch die Bekundung deS Vertrauens in die Geschicklichkeit unserer Diplomatie allgemein politische Bedeutung erlangten, es nicht unterließ, das Wort feines VaterS zu wiederholen, man dürfe niemals erklären, daß man niemals zu Repressalien in der internationalen WirthschaftSpolitik zu schreiten gedenke. Mit anderen Worten: Deutschland kann „auch anders", eS tann den von Amerika thatsächlich schon herbeigeführten Kriegszustand als solchen anerkennen. Der Abg. v. Heyl führte riesen Gedanken näher aus, indem er darauf hinwies, wie unö feit dem der Union die Begünstigungen aus dem österreichischen Handelsverträge zustehenben Vertrage von Saratoga von dort Schlag auf Schlag versetzt worden ist. Es ist auch ohne Zweifel richtig, daß jene Nachgiebigkeit der Aera Caprivi diesen Muth zu einer ungerechten Behandlung Deutschlands erweckt hat. Die Thatsache, daß in diesem Jahrzehnt der schutzzöllnerische Gedanke in Nordamerika sich weit verbreitet hat, erschüttert dies Urtheil nicht. Vor dem selbstbewußt und klug mit einem autonomen Tarif operirenden Frankreich, wie auch vor der Schweiz hat der amerikanische ProtectioniSmuS Halt gemacht. Die Vereinigten Staaten, darin ist den Abgg. Fürst v. Bismarck und v. Heyl unbedingt beizupflichten, müssen dem bestehenden Zustande ein Ende machen oder Deutschland muß sich wehren. Daß aber ein Zollkrieg nicht unvermeidlich sei, hat der Abg. Graf Kanitz anerkannt und der Staatssekretär Graf Posadowsky hat das größere Interesse Amerikas an der Aufrechterhaltung des Zollfriedens uachgewiesen. Unsere Einfuhr nach der Union ist mehr und mehr zurückgegangen, die amerikanische Einfuhr ist mehr und mehr gestiegen, jene beträgt 344 Millionen Mark, diese 852 Millionen Mark, und mit der letzteren Summe ist Deutschland für Amerika daS zweitwichtigste Ausfuhrland geworden. Wer daS größere Risico trägt, wenn Deutsch land die Nichtbeachtung deS Meistbegünstigungsvertrages durch kongruente Maßregeln beantwortet, ist danach leicht einzusehen. Gewiß, und das hat Graf Kanitz nicht verkannt, 344 Millionen sind noch immer ein starker Ausfuhrposten. Aber in dieser Ziffer drückt sich ein unverhältnißmäßig geringer Gewinn für die deutsche Production auS, wovon namentlich die Textilindustrie ein Lied zu singen weiß. Der Rest der Concurrenz- möglichkeit in Amerika muß eben im Allgemeinen von dem deutschen Gewerbe mit einem die Grenze der Unrentabilität streifenden Preisnachlässe bezahlt werden. DaS Bedürfniß, die schwebenden Verhandlungen zu einem günstigen Ab schlüsse zu bringen, ist und muß also bei der Union größer fein als bei uns, und der Weg, auf dem die Union wieder zur Vertragstreue zurückkehren kann, ist ihr von den Abgeordneten und dem Staatssekretär deS Auswärtigen in den jüngsten Reichs tagsverhandlungen wieder geebnet worden. Herr v. Bülow und Fürst v. BiSmarck insbesondere legten den Amerikanern in sympathischen Worten dar, daß ihnen wie in der Ver gangenheit, so in der Gegenwart in den Deutschen eine durchaus wohlwollende Nation gegenübersteht, und dies ist in der That so offenbar, daß eS einen Mangel an gutem Willen zugeschrieben werden müßte, wenn die Bewohner der Ver einigten Staaten sich auch künftig von der „fremden Presse", wie Herr v. Bülow mit Bedacht sagte, und einem Theile ihrer eigenen Zeitungen im Zustande der Gereiztheit gegen Deutschland erhalten ließen. Im preußischen Abgeordnetenhause hat bekanntlich der Präsident v. Kröcher eS unterlassen, den Tod deS Grafen Caprivi zu erwähnen. Uebcr die Gründe dieser Unterlassung wird nun viel gestritten. Die Einen behaupten, die Familie des Verstorbenen habe die Todesnachricht Herrn v. Kröcher nicht zugeben lassen, während sie an den Präsidenten des Reichstags telegraphirl worden sei; die Anderen weisen darauf hin, daß eS im preußischen Abgeordnetenhause niemals Gebrauch gewesen sei, nicht mehr im Amte befindlichen Staatsmännern bei ihrem Tode einen Nachruf zu widmen, und daß man beim Ableben des Fürsten Bismarck nur deshalb eine Ausnahme von der Regel gemacht habe, weil es sich eben nm BiSmarck gehandelt; wieder Andere wollen es sich nicht auSreden lassen,? daß der Haß der Conservativen gegen den Reichs kanzler, welcher die Handelsverträge abgeschlossen, jede Ehrung des Tobten im preußischen Abgeordnetenhause verhindert habe. Jedenfalls ist die letztere Annahme die unwahrscheinlichste, da die conservativen Mitglieder tveS Reichstags den Worten, die der Präsident Graf Ballestrem dem Andenken deS Grafen Caprivi widmete, ohne Ausnahme zugestimmt haben. Um so bezeichnender ist eS, daß die lerikale Presse sich den Anschein giebt, an den Haß der preußischen Conservativen als an daS Motiv der Unterlassung zu glauben, um sich selbst und die Centrums- fraction deS Reichstags pietätvoller Gesinnung rühmen zu können. Wie es aber in der That mit dieser Ge sinnung bestellt ist, verräth die „Köln. VolkSztg." In ihrer Nummer vom 10. d. M. hält sie Herrn von Kröcher eine Strafpredigt wegen seines Schweigens und fügt hinzu, man könne sich allerdings nicht darüber wundern, daß der Haß der Conservativen gegen den „Mann ohne Halm und Ar" über das Grab hinausgehe, aber daS Centrum hab- beim Tode deS Fürsten Bismarck sich denn doch versöhnlicher gezeigt: „AlS Fürst Bismarck gestorben war, hat die Centrumspartei bewiesen, daß sie erlittenes Unrecht zu vergessen weiß, und Reichs- tagspräsident Graf Ballestrem widmete ihin einen sehr würdigen Nachruf. Die Conservativen und ihr Präsident im Abgeordneten hause dagegen ließen gegenüber dem verstorbenen Grafen Caprivi nichts von dem Christenthum und der Noblesse erkennen, auf die sie sonst doch so gern und oft vorzugsweise Anspruch erheben." So die „Kölnische Volkszeitung" am 10. Februar. Am 11. Februar giebt dasselbe Blatt, ohne den geringsten Tadel anSzusprechen, eine Münchener Correspondenz wieder, die mit sichtlichem Behagen berichtet, daß das bayerische Centrum den liberalen Präsidenten der bayerischen Abgeordnetenkammer Herr» von Klemm gehindert habe, dem Fürsten BiSmarck einen Nachruf zu widmen! DaS Verhalten der bayerischen „Patrioten" wird Niemand in Erstaunen setzen. Doch wes halb verliert die „K. V.-Z.", die Herrn von Kröcher wegen seiner Schweigsamkeit beim Tode Caprivi's so energisch an faßt, über daS „Christenthum" und die „Roblesse" der bayerischen Klerikalen keine Silbe? Ist etwa Has rheinische Centrums blatt mit der ultramontanen „Neuen Bayerischen Zeitung" der Meinung, di« Abtrennung Oester reichs von Deutschland, die im Jahre 1866 gefallenen Bayern, die Abtretung bayerischer GebietStheile und die Zahlung einer KriegScontribution an Preußen gäben dem bayerischen Centrum das Recht zum Hasse über das Grab hinaus? Wenn daS der Fall sein sollte, so hätte sich daS preußische CentrumSorgan eine sehr eigenartige Qualität „nationaler", „christlicher" und „nobler" Gesinnung zugelegt. Für wahrscheinlicher halten wir indessen, daß die Haltung deS NeichStagScentrumS lediglich auf taktischen Er wägungen beruhte, nämlich auf dem Wunsche, sich nach außen hin möglichst „national" zu präsentiren. Die Herzensmeinung deS CentrumS über den verstorbenen Fürsten BiSmarck haben ohne Zweifel die bayerischen „Patrioten" und die württem- bergischen Klerikalen in Ravensburg zum AuSdrucke gebracht. Dieses Doppelspiel ist zwar nicht christlich und nicht nobel, aber es ist echt jesuitisch and deshalb vom Centrum hoch geschätzt. Es läßt sich ja nicht bestreiken, daß auf absehbare Zeiten die englische Sprache in Japan den Vorrang behalten wird, zumal da sie auch die Sprache Nordamerikas ist, doch steht die deutsche Sprache ebenso unbestritten schon heule dort an zweiter Stelle, und sie gewinnt mehr und mehr an Einfluß m wissenschaftlichen Kreisen wie im wirthschaftlichen Leben. So hat z. B-, wie die vortreffliche, in Berlin von dem Japaner Kisak Tamai herausgegebene Zeitschrift „Ost- Asien" mittheilt, Mitte September vorigen IahreS I)r. Gra- matzky, von Berlin aus berufen, seine Thätigkeit als der erste deutsche Sprachlehrer am Gymnasium zu Aama- guchi begonnen; zwei weitere, die Herren Erdmanns- dörffer und Kirchhoff, für die Gymnasien zu Kumamoto und Tokio sind ihm bereits gefolgt. An der Universität von Tokio lehren nur noch zwei Engländer, ein Amerikaner und ein Franzose, dagegen nicht weniger als neun Deutsche. Vom nächsten Semester ab soll an dieser Universität die deutsche Sprache als pflichtmäßiger und nicht mehr nur als wahlfreier Gegenstand in den Lehrplan der literarischen Facultät ausgenommen werden. Die meisten Professoren oder Doctoren, die an der neuen Universität zu Kioto angcstellt sind oder werden sollen, wurden nach Deutschland geschickt; einige derselben sind schon nach Japan zurückgekehrt, über zehn weilen noch in Deutschland und andere werden ihnen folgen. Die Errichtung einer deutschen Buchhandlung in Tokio ist in der Vorbereitung begriffen, kurz, eine Menge von Anzeichen dafür, daß sich ein reger geistiger Austausch zwischen dem deutschen Reiche und Japan vollzieht, hinter dem der wirthschaftliche gewiß nicht zurück bleiben wird. — Wir begrüßen diese „Congenialität" mit auf richtiger Freude und erinnern unsererseits nur noch daran, daß auch der letzte Jahresbericht deS „Vereins der Bnch- händler zu Leipzig" hervorhebt, Japan werde für den deutschen Buchhandel ein immer besseres Absatzgebiet. Gewiß eine wichtige Thatsache von nationaler Bedeutung. Die „Pachtung" eines Hafens am Golf von Oman durch Frankreich wird in der Presse noch lebhaft besprochen, namentlich regen sich, wie begreiflich, englische Blätter darüber auf. Bei der ungeheuren Wichtigkeit, die Ostasien in den letzten.Jahren erlangt hat, muß jeder Macht daran gelegen sein, in den südasiatischen Gewässern Stütz punkte zu besitzen, sowohl für die Kriegsflotte, als auch namentlich zur Kohlenversorgung. Der Golf von Oman liegt ja allerdings von der direkten Route nach Ost asien ziemlich weit ab; da aber alle anderen Punkte bereit- von England besetzt sind, so dürften sich die Franzosen gesagt haben, daß ein minderwertbiger Stützpunkt immer noch besser ist als gar keiner. In England nimmt man, wie gesagt, von dem französischen Vorgeben mit dem Gegrntbeil von Befriedigung Kennlniß. DaS Bestreben der Engländer ist in systematischer Weise darauf gerichtet, die ganze Süd küste Arabiens unter ihren politischen Einfluß zu bringen. Von Atzen auS hat der dortige Gouverneur mit allen Küsten- bäuptlingen Verträge geschlossen, die diesen kleine englische Renten auSwerfen, wogegen sie sich verpflichten, keiner anderen Nation als England irgendwelche Zugeständnisse zu macken. Von Indien auS wurde dem Gouverneur von Aden in die Hand gearbeitet, und die ganze Küste des Sultanats Maskat befindet sich thatsächlich, wenn vielleicht auch nicht rechtlich, nicht nur unter dem wirthschaftlichen, sondern auck unter dem politischen Einfluß Englands. Auch die Zoll erhebung ist, wie die „Köln. Ztg." zu wissen glaubt, in einigen der dort befindlichen Häfen an England abgetreten worden, und zu wiederholten Malen hat England die dort befindlichen kleinen schwachen Staatswesen seine mari time Kraft sehr empfindlich fühlen lassen. Insbesondere wurde der Waffenhandel in jenen Gegenden von England in einer Weise überwacht oder verhindert, als ob eS sich um englisches Gebiet handelte. Wenn jetzt der Sultan von MaScat mit Frankreich einen Pachtvertrag abgeschlossen hat, so wird das Wohl geschehen sein, weil ihm die thatfächlicke Abhängigkeit von England drückend wurde und er es vorzog, Gräfin Marie. 5j Roman von Wold em ar Urban. Nachdruck rrri-ol<n. „Ah so", sagte plötzlich ein« tiefe spöttische Stimme hinter ihnen, „ich bitte um Entschuldigung. Ich wollte nicht stören. Ich wußte nicht, daß —" „Sie stören durchaus nicht, Herr Director", erwidert« Don Antonio rasch, „wir wollten nur einen Moment frische Luft schöpfen, da es im Salon drinnen ziemlich dunstig ist." „Zn Zweien!" warf der Direktor kurz «in, noch immer spöttisch lächelnd und die Beiden mit scharfen cynischen Blicken betrachtend. Anunziata wurde verlegen und machte der Scene rasch da durch ein End«, daß sie sich hinter der breiten, massigen Gestalt des Directors de Mattia vorbei drängte und in den Salon zurücktrat. „Darf man gratuliren, Don Antonio?" fuhr der Director fort. „Ich wüßte nicht, Herr Director " „Nehmen Sie sich in Acht!" unterbrach ihn der Direcior in seiner unangenehmen, schnodderigen Art. „Der Commendotore sitzt wieder einmal mächtig im Dalles. Er wird Sie sicher rein legen, wenn Sie Geschichten machen." „Ich verstehe Sie nicht recht " „Thun Sie doch nicht so. Sie verstehen mich sehr gut. Sie sind doch kein Kind. Ich meine e- gut mit Ihnen." „Sie meinen " „Seien Sie still. AlS Director einer großen Bank, wie ich es zu sein das Vergnügen habe, sieht man eine Meng« Verhält nisse genauer und exacter als der große Hastfe, dem noch immer mit Erfolg Sand in die Augen geworfen wird — heute mehr wie je. Ich sag« Ihnen also: Nehmen Sie sich in Acht, Don Antonio Basta." Damit drehte ihm Director de Mattia ruhig den Rücken zu und kehrte nach dem Salon zurück. Nachdenklich folgt« der junge Rechtsanwalt. Der Rechtsanwall hatte sehr wohl verstanden, was der Director meinte, und kannte diesen auch sehr gut, um zu wissen, wie seine kurzen, lässig hingeworfenen Bemerkungen aufzufassen waren. Director d« Mattia war «in gerissener Geschäftsmann, wie man es nur in Neapel im Laufe der Jahre wird, im Nebli gen galt er für einen rücksichtslosen flotten Lebemann, dem nichts heilig war, ein abgebrühter, hartgesottener alter Junggeselle, der im Zwecken Stock des Palazzo Aquaviva — nicht weit von»-der Villa Nazionale — ein« splendite Wohnung hatte. Gesellschaft lich war de Mattia gleichwohl sehr angesehen und sehr r^spectirt, da man in Neapel, wie anderwärts auch, den Director eines großen Bankinstituts und seine Freundschaft wohl zu würdigen versteht. War es nun das, fragte sich Don Antonio, als er langsam wieder in den Salon zurücktrat, was ihm de Mattia in seiner kalten, geschäftsmäßigen Weise mitgetheilt, was ihm Anunziata nicht hatte sagen wollen, und weshalb er mit seiner Bewerbung noch Watten sollt«? Wollte sie ihn vor Schaden bewahren, selbst auf Kosten ihres Vaters? 'Vielleicht thaten ihr di« Mittel Don Antonio's als sein« zu künftig« Hausfrau leid, vielleicht war es «in Zeichen ihrer Liebe, oder auch ein natürliches Interesse daran, daß seine Bankbillete nicht auch in dem ewig leeren Danaidenfaß ihres Vaters ver schwinden sollten. Oder lag noch etwas Anderes zu Grunde? Vorsichtig suchten seine Augen im Salon nach Anunziata und endlich entdeckt« er sie auf einem Sopha, wo sie neben der alten Frau d«S Cavaliere Morosi saß, die halb taub war. Anunziata sah ihn verstohlen und ängstlich fragend an. Don Antonio war durch die Mittheilungen de Mattia's etwas unsicher, unentschlossen, mißtrauisch geworden. Weshalb hatt« er ihm diese überhaupt gemacht? fragt« er sich weiter. Was hatte er für einen Zweck dabei? Denn anzunehmcn, daß er ihn aus reiner Menschenliebe gewarnt habe, war bei dem cynischen, verschlagenen Director lächerlich. De Mattia und Menschenliebe waren zwei Begriffe, die sich einander auSschlossen. Was beab sichtigte er also? Schließlich aber blieben Don Antonio'- Augen doch immer wieder auf Anunziata hängen, und nach einer Weile kam er zu der in seinem Zustande durchaus natürlichen Ueber- zeugung, daß er sie unbedingt sprechen müsse, und zwar allein. Er mußte wissen, wie Alles stand. Anunznta mußte reden, mußte Alles, was sie wußte, sagen, damit er klar sehen konnte. Zu seinem großen Bedauern ließ sich daS nicht sofort ins Werk setzen. Ein junger Schriftsteller Namens Bertelli faßte ihn am Aermel und zog ihn in eine Ecke, wo er ihm sein neuestes Grdicht auf die „Santa" vorlaS, mit halblauter Stimme, mit verrücktem Augenaufschlag und sonstigen exaltirten Gesten. Ber tel!: war Rrdacteur eine» kleinen Wurstblatt», das unter dem Titel „I.a karkulla napolitirttr" wöchentlich erschien und die Poesien verkannter Geniel, an denen Neapel keinen Mangel leidet, abdruckt, natürlich auf Kosten der Autoren. Dieser Ber telli war ein «igenthümlicher Manu. Von Hause aus «ine schwär merische Natur, die den unvergleichlichen Wohltlang der italieni schen Sprache an Taffo, Dante, Alfiett und anderen Claflikern studirt und mit großem Geschick in seinen Arbeiten hervorbrachte, waren seine Ideale durch die Noth des Tages, durch den Kampf um Speise und Trank — nicht gebrochen, aber doch wesentlich verbogen worden. Ein« elegische Tragikomik, die den ferner Stehenden wie eine lächerliche Caricatur erschien, war die Grundstimmung seiner Gedichte. Er konnte die Brücke vom Ideal zur Wirtlichkeit nicht finden und irrte jammervoll hilflos am Ufer hin und her. Seine Gedichte auf die 'Santa, auf Sig- norina Cesina waren in Neapel stadtbekannt und zum Tdeil so gar in Musik gesetzt, er selbst der schwärmerischste von allen Ver ehrern dieser frommen Dame, di'e er immer, sowohl in seinen Gedichten wie im Privatgespräch, nur seine Madonna nannte. Wenn ihm Cösina einmal lächelnd einen Handkuß gestattete, so fiel er vor ihr auf di« Kni« und war acht Tage lang für alle vernünftig«» Leute nicht zu genießen, wenn sie ihm mehr erlaubt hätte, wäre er unfehlbar verrückt geworden. „Hören Sie noch diese Strophe, Don Antonio. Nur noch diese", bat der Dichter und rrcitirte mit verhimmelndem Pathos und langstieliger Begeisterung: Angelo, äal viel' äisooso, Angelo <isl mio cuor „Ein ander Mal, mein lieber Bertelli", unterbrach ihn Don Antonio unsanft, „ich habe heute wirklich keine Zeit. Ich muß mich verabschieden. Auf Wiedersehen, vielleicht nächsten Donners tag. Addis." Er lief fort, direkt durch den Salon in der Richtung, wo Anunziata saß. „Gestatten Sie, Signorina, daß ich mich von Ihnen verab schiede", sage er kalt und förmlich, „unvermeidliche Ver pflichtungen nöthigen mich, mich zurückzugichen." Rasch stand Anunziata auf und reichte ihm mit einem ver wunderten und fragenden Blickt die Hand, aber noch ehe sie etwas sagen konnte, fuhr er leiser und hastiger fort: , „Ich mußDich sprechen, Anunziata, unbedingt und ungestört. Sag« mir wo und wann. Die alte Morosi hört ja nichts." Sie wurde roth und schien einen Augenblick nachzudenken. „Donnerstag Nachmittag", flüsterte sie dann rasch, „in der Villa*) am Caf6 Dacca um 3 Uhr." *) Die villv Nazionale nennt man die große öffentliche Pro menade am Meer. Don Antonio machte «ine steife, konventionelle Verbeugung und küßte der jungen Dame zum Abschiede höflich die Hand. Eine halbe Minute später stand er vor dem Commendatore Cesarini, um sich auch von diesem zu verabschieden. „Was?" fragte dieser aufgeräumt und geräuschvoll, „Sie wollen schon fort, earissimo?" , „Es ist bald Mitternacht, Herr Commendatore, und ich habe Morgen in einer großen Vertheidigungssache zu sprechen." „Ah ja, ich weiß", warf der Commendatore lebhaft ein, „Sie vertheidigen den jungen Lovatti, der seine Schwester erstochen hat. Wie ist denn diese Geschichte eigentlich? Man hört souviel darüber reden?" „Oh, Sie werden es morgen in der Zeitung lesen", erwiderte der Advocat etwas zurückhaltend, „ein verwickelter, aber höchst interessanter Fall. Lovatti ist sozusagen ein Mörder aus Ehr gefühl. Seine Schwester hatte sich mit einem verheiratheten Officier " »Ja, ja, ich habe davon gehört. Und Sie meinen, daß der Bruder sie getödtet hat, weil " „Weil ihm nichts Anderes übrig blieb, wenn er seine Fa milienehre rein halten wollte. Ich bin natürlich davon über zeugt. Es ist erwiesen, daß seine Schwester eine leichtsinnige Creatur war." „So, so, hm, hm", machte der Commendatore plötzlich sehr nachdenklich, wie unentschlossen, als ob er über etwas nachsinne. Erst nach einer kleinen Pause fuhr er langsam und auffallend zögernd fort: „Ich wollte eigentlich noch eine Angelegenheit mit Ihnen besprechen, mein lieber Don Antonio, «in Geschäft, aber " Er stockte, und als ihn Don Antonio erwartungsvoll ansah, bemerkte er, wie der Commendatore aufmerksam hinüber schielte, wo seine Tochter Cessna im Gespräch mit dem Director de Mattia vertieft war. Don Antonio war davon fast über rascht. Was konnten diese Beiden mit einander zu verhandeln haben? Die „Santa" und der Bankdirector? „ aber", fuhr der Commendatore dann fort, „es hat wohl noch Zeit. Wir werden ja sehen. Es hat schon noch Zeit." „Also, auf Wiedersehen, Herr Commendatore." „Addio, addio, mein lieber Don Antonio." Der Advocat ging, zog in der Garderobe seinen Ueberrock an und stieg die Treppe hinab. Als er auf -ie Straße trat — dai Haus, in dem der Commendatore Cesarini wohnte, lag an der Riviera di Chiara, gegenüber der Villa Nazionale — wehte ihn eine milde, laue Luft an, die vom Meer herüberkam. Da «» schon spät war, so lagen di« Straßen und die Promenade still.
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