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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990216022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899021602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899021602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-16
- Monat1899-02
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Man hat keine Ruhe. Wie wollen Sie, saß ich mir auch noch merken soll, was kommt und geht? Und wann er kommt und geht? Ich Hin eine arme, alte Frau, Signorina, und habe einen schwachen Kopf. Ich bin froh, wenn ich das alte schwere Thor auf- und zugesperrt habe. Alles andere geht mich nichts an." Das war nun nicht war. So naiv war Anunziata auch nicht, daß 'sie nicht hätte wissen sollen, daß Donna Caroli eine alte verschlagene Person war, die wie so viele Andere immer eine Menge Redensarten machte, wenn sie nichts sagen wollte. Aber die junge Dame fühlte instinctiv heraus, daß es ganz unnütz war, die Hausfrau nach etwas zu fragen, was diese nicht sagen wollt«. „Selbstverständlich, natürlich", bekräftigte der Commenoatore die leeren Redensarten der alten Caroli, „man ist auch ein rechter Pinsel, wenn man sich um die Klatschereien kümmert, die den Anderen beliebt, auszustreuen." „Eh, Herr Commendatore", fuhr die alte Caroli immer sicherer, daß sie nichts wußte, fort, „sie reichen Leute können ruhig in ihren Betten schlafen, während unser Einer die ganze Nacht die Thüre auf- uno zusperren muß. Was wollen Sie? Das ist 'Schicksal. Die heilige Madonna droben hat cs so be stimmt. Wie ich noch jung war " Anunziaia ging. Wenn die alte Caroli erst anfing, von ihrer Jugend zu er zählen, so wußte >sie ganz bestimmt, daß sie nie erfahren würde, was am Montag Nacht geschehen war. 'Ihr Vater holte sie ein, als 'sie langsam die Treppe wieder hinaufstieg. „Du könntest auch etwas Gescheidteres thun, als Dich auf solchen Tratsch einzulassen", sagte er ihr ärgerlich. Tie antwortete nicht. Als sie wieder in den Salon kamen, saß Santa Pia noch ge nau so wie vorher in ihrem Sessel und stickte, als ob sie sich die ganze Zeit nicht vom Flecke gerührt hätte. „Nun?" fragte sie lässig. „Ach, das schwatzt hin und her, wie dienten Weiber", polterte ihr Vater unwirsch. „Die alte Caroli weiß natürlich von nichts. Und sie hat Recht. Der Teufel mag sich um solche Sachen kümmern. Damit ging er in sein Zimmer. VII. Die Zeit schlich hin, „im Diebesschritt", wie der große Brite in seiner genialen Gedrungenheit sagt, Tag für Tag, stahl den Menschen einen Theil ihres Lebens, ihrer Leistung. Dem Einen ging's zu rasch, dem Anderen, von den Flügeln seiner Wünsche getragen, zu langsam, als ob er die Lösung des Räthsels, die be kannten sechs Bretter und zwei Brettchen nicht erwarten könne. Zu diesen Letzteren gehörte die Justizräthin Wasmuth. Sie stolperte sozusagen über ihre Tage weg, ohne sie auch nur ober flächlich zu besehen. Immer hastete sie vorwärts, immer rechnete sie in- der Zeit weit voraus, als ob sie blind geworden wäre für die Gegenwart. Uno in gewisser Weise war sie es auch. Sie war geblendet von ihrem großen Ziel, das hieß: „Gräfin Maria di Montesanto e Boscorealc." Sie sah nicht rechts noch links, sie machte Dummheiten über Dummheiten, übersah all die kleinen Tagesbegebenheiten und Zufälligkeiten, die ihr im Laufe der Zeit Licht hätten geben müssen, die sie hätten aufklären müssen über ihre wahre Situation. Sie hielt den Blick wie ge bannt auf den strahlenden Titel, wie auf «ine Fata Morgana. Die Grafenkrone auf der Visitenkarte des Grafen Starace er schien ihr wie die Krone alles Irdischen, als Gräfin Maria di Montesanto e Boscorealc iw Berlin herumzustolziren, wie der Gipfel alles Begehrenswerthen. Der Sommer kam und mit ihm eine Glühhitze, die allen-Dunst, alle Feuchtigkeit aus der Lust aufsaugte und dadurch die Farben wunder, durch die der Golf von Neapel und seine Inseln Welt berühmtheit erlangt habe», hervorzauberte. Justizräthin Was muth sah auf ihre Trauerkleider wie auf einen alten abgetragenen Wintermantel, wenn das Frühjahr kommt. „Ei was!" hatte Graf Starace gesagt, „in Neapel trauert man nur drei Monate." Und der Justizrath war schon seit sechs Monaten todt. Also fort damit. Es verschwand immer eins nach dem anderen auf Nimmerwiedersehen, zum Theil in die großen Koffer aus der Friedrichstraße, zum Theil als Geschenk cm das Dienstpersonal. Die Neapolitaner hatten ganz recht. Wozu denn ein Jahr Trauer? Wozu auch nur ein halbes Jahr? Sie war doch in Neapel und nicht in Berlin! Die neuen Toiletten, die sie sich in den großen Magazinen von Neapel anschaffte, waren wahre Wunder -von duftiger Zartheit und leuchtender Farbenpracht. Graf Starace wurde nicht müde, sie err eros L ev detail zu bewundern, ihre Gestalt, ihren Geschmack, die Feinheit und Grazie ihrer El'cheinung zu loben. Je mehr die Trauerkleider verschwanden, desto mehr himmelte er sie an. Und auch die Justizräthin selbst hatte sich nie besser gefallen, als in diesen luftigen, etwas excentrischen Kleidern, die ihr als neapolitanische octroyirt wurden, und in denen ihre etwas- üppige Gestalt zu einer verführerischen Geltung kam. Auch die Processe des Grasen Starace nahmen, wie dieser häufig versicherte, einen raschen und befriedigenden Verlauf. Die Acten lagen jetzt in Rom an höchster Entscheidungsstelle. Diese Entscheidung konnte nicht anders als günstig ausfallen. Der Ver treter des Grafen, ein Rechtsanwals Pompeo Liselli, wie auch Commendatore Cesarini hatten ihr versichert, saß an dem schließ lichen Ausgang der Processe nicht im Geringsten zu zweifeln sei. Natürlich hatte sie dem Grafen Starace die fünftausend Lire vor geschossen, die zur lebhafteren -Betreibung dec Processe nöthig waren. Sie hielt das für eine vorzügliche Anlage, da ihr der Graf einen Revers gegeben, wodurch er sich verpflichtete, ihr siebentausend Lire zurückzuzahlen, wenn er in den Besitz seines Erbes trat. Indessen war sie innerlich der Ueberzeugung, daß der Revers wohl nie von praktischer Bedeutung für sie sein 'würde, da die Verhältnisse sich, ehe er in Kraft trat, so total ändern würden, daß er überflüssig wurde. Sie hatte ihn nur angenom men, um das Zartgefühl des Grafen nicht zu verletzen, ebenso wie sie auch die Uebergabe der fünftausend Lire so schonend wie möglich dadurch bewerkstelligt hatte, daß sie ihm einen quittirten Check in diesem Betrage verstohlen in die Hand gedrückt. Diese Scene war überhaupt rührend gewesen, und sie hatte dabei das ganze feinfühlige Herz, die ganze zarte Noblesse -Starace's kenn«» gelernt. Dieser nämlich wollte durchaus das Darlehen nicht an nehmen, und wehrte sich dagegen mit Händen und -Füßen, bis endlich durch die liebenswürdige Vermittelung des Commendatore Cesarini die Geschichte mit dem Revers aufs Tapet gebracht und dadurch die Angelegenheit zu allseitiger Zufriedenheit erledigt wurde. Auch in anderer Beziehung machie sich Graf Starace so an genehm wie möglich und versäumte keine Gelegenheit, sich ihr von der oortheilhaftesten Seite zu zeigen, besonders seitdem sich die Justizräthin durch dieses Darlehen um ihn >'o hervorragend ver dient gemacht hatte. Er kleidete sich jetzt sehr nett und geschmack voll in hübsche, Helle Sommerstoff«, trug modisch-farbige Hem den, gelbe Schuhe uno vertrödelte sein Geld — respectivc das der Justizräthin mit allerhand Nippsachen und Tand, Ringen, Broschen, Spazierstöcken, Armbändern und dergleichen, die er ihr in freigebigster Weise verehrte oder selbst trug. Außerdem ver nachläffigten sie ihre Voltsstudien nicht, und die Scenen in Dicolo Conte di Mola bei dem guten Ischia-Wein wurden immer»vrr- traulicher und zärtlicher. Schließlich, als das Weiter immer heißer wurde, suchte man die Umgebungen von Neapel ^auf, zu nächst Ischia und Casamicciola selbst, sann das kühle Sorrento und endlich das idyllische Capri, wo Vic Justizräthin ihrer Nerven halber Seebäder nahm. Daß dabei aber mehr Geld ausgegeben wurde, als sich die Justizräthin eigentlich oorgenommen hatte. Abend-Ausgabe Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Jahrgang. 86. Donnerstag den !6. Februar 1899 216.05 Feuilleton Die Morgen-Ausgabe erscheint uni '/.? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. 101.75 131.80 ISS,20 134.75 10«,25 SS,SV S8.20 86,75 60.50 8S.I0 80,70 SV,60 100,20 144^- 110.— 88,25 3-t. S4,- 181,40 242,50 101.25 114 80 222.25 18«,10 18225 180.25 11«,SO 123.20 85,25 S4.50 »r al« 8ör«« sdUskr, dsxvll- >«n «uräsll ja tv«t, 203,80 322.50 84.50 180.50 318.20 303.50 143.50 138.10 184,60 224, - 170.50 180.20 181.25 140.10 213,40 51.50 135.10 118,— 363,— 480,— 278.25 147,75 184,- 321.25 152.10 120.25 578,— 1026,- >Ur Hawdarr- killiivii kZr, 2143 »ellsckrtt", 8i>m lltdi»": in 8«I>sn v Vork <I42> cker - nnv a«r ^ncdoi c Ori«nt»ia»wpter , von XntM«rpev ro»ca»wpk«r Ii»»rdonrn« <14 2> 4 2> a«r a«ne«:l>- > <14/2) a«r OnLirÄ »novt, d««on<i«i» rirl. Oi« kl«Ikno<; »kl«, bei rollern »nt»»It«v>l ior. o.llal. . äo. trinr» nsnr. e. Uni. ind-kr 'Lkitio >.krioi. kneiac (Vued» 0,25). ll 0,02). Annahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die ^rpeNition zu richten. «vytra-Beilage» (gefalzt), nur mit dec Morgen -Ausgabe, ohne Postbeförderung .6 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. rechnen zu können. nnd sie zu ignoriren, fördern ohne Rücksicht auf dieses praktische Heminniß, ist für die Vorkämpfer der Einheit oft verhängnißvoll gewesen, namentlich bei Benutzung der günstigen Um stände der nationalen Bewegung von 1848 bis 1850". Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petilzcilc 20 Psg. Reclamen unter dem RedactionSftrich (4g«- spalten) 50^, vor den Familicnnachrichten (6gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Nedaction und Erpe-ition: Johannisgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ttto Klemms Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinuni), Louis Lösche, Ratharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. Die Lösung der ungarischen Krise ist in Wiederbolten Ministerconferenzen unter vem Vorsitz des Kaisers Franz Josef in den letzten Tagen abermals versucht worden. Osfi- cielle Mitthcilungen sind über den Inhalt der Berathungen nicht gemacht worden, aber man kann sich eine ungefähre Vorstellung davon macken. Das von der Krone angestrebte Kompromiß zwischen der Regierung und den Oppositions parteien ist bisher nicht zustande gekommen. Der Minister präsident hat sich über zwei von ihm gestellte HauptbedinzunHen mit der Opposition nicht einigen tönnen. Er verlangt bekanntlich, das; vor seinem Rücktritte ihm noch das provisorische Budget bewilligt werde und überdies eine so nachdrück liche Verschärfung der Geschäftsordnung und Vermehrung der dem Reichstags-Präsidenten zustebcnden Befugnisse, daß eine Verhinderung der parlamentarischen Tbätigkeit für die Zukunft unmöglich gemacht wird. Beides wird bisher von der Opposition standhaft verweigert. Da aber die beiden Bedingungen vom Freiherrn v. Banffy für unerläßlich erachtet werden, hat er demKaiser berichten müssen, daß es ihm nicht gelungen sei, zu einer friedlichen Verständigung mit der Opposition zu gelangen, und da unter den gegebenen Voraussetzungen auch vou einer Fortsetzung der Verhandlungen kaum ein günstigeres Resultat zu erwarten ist, bleibt ihm nichts übrig, als Anträge zu stellen, wie ohne Verständigung mit der Opposition deren Widerstand zu brechen sei. Erhalten diese Anträge die kaiserliche Genehmigung, dann ist für den Rück tritt Banffy'S kein Grund mehr vorhanden, denn der Rück tritt sollte ein Mittel sein, daS Eompromiß zu ermöglichen, das in diesem Falle aufgegeben wäre. Erhalten jedoch die Anträge LcS Minister-Präsidenten die kaiserliche Zustimmung nicht, dann kann seine Bitte nm Entlassung des Ministc riums kaum mehr einen Aufschub leiden. Die Parlaments krise hat sich in eine Ministerkrise aufgelöst. Die eine wird mit der anderen entschieden. Wie die Entscheidung lauten wird, daS hängt selbstverständlich einzig und allein von der Beurtbeilung ab, welche die Sachlage bei der Krone findet und hierüber sind die Ansichten getheilt. Einerseits glaubt mau, der Kaiser werde, nachdem er einmal auf Einleitung von Eompromißverhandlungen gedrungen, eher Banffh fallen lassen, als der Opposition gegenüber zum Aeußersteu zu greisen, andererseits wird versichert, Banffh werde den Auf trag zur Auflösung des Abgeordnetenhauses erhalten, nur solle er vorher noch einen allerletzten Einigungsversuch mit Stellung einer bestimmten Entscheidungsfrist machen. Der vor einem Jahre erfolgte Gesammtaustritt von acht rcichsdeutschen Professoren aus dem Verbände der sogen, katholischen Universität Areibura, der von Jenen in einer einläßlichen „Denkschrift" begründet wurde, steht noch in genügender Erinnerung. Und daß das ganze Borkommniß »>!, 2S-- 8^. 40>>- 81', 128-« ss> 81-^ Gräfin Marie. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck «erboiin. Ms die Beiden, der Commendatore voran, die Portierloge betraten, saß die alte Hausfrau gerade mit ihrem Sohne, einem verhauenen Camorristen-Gestcht, der bei einem neapolitanischen Spediteur in die Lehre ging, das heißt also, die Geldschneiderei aus dem ff lernte, beim Essen — Macaroni in roiher Tomaten sauce, die in der kleinen Bude, als die 'sich die Portierloge bei näherer Besichtigung ergab, einen gemächlichen Dunst ver breiteten. „Danna Caroli", begann der Commendatore, „entschuldigen Sie, daß ich 'Sie störe —" „Herr Commendatore?" fragte die alte Frau. „Es ist Jemandem eingefallen, zu behaupten, Cesina hätte am -Montag in der Nacht das Haus verlassen. Sie wissen, ich kann solche 'Schwatzerei und Klatscherei nicht leiden. Können Sie sich vielleicht besinnen, wer am Montag in der Nacht noch ausgegan-gen ist ?" Die alte Frau sah den Commendatore fragend an, dann zog sie die Mundwinkel in komischer Weise herab und reckte das Kinn, leicht emporhebend, dem Frager entgegen, sagte aber vorläufig kein Wort. „Natürlich beruhte der ganze Tratsch auf Erfindung oder günstigen Falles auf einer Verwechselung", fuhr der Commen datore in einer belehrenden, durchaus würdigen Art, aber sehr gesprächig fort, „denn Cesina ist selbstverständlich nicht aus dem Hause gekommen. Ich möchte aber doch wissen, wie sich die Sache verhält." ,,Jch weih von Nichts, Herr Commendatore", antwortete Donna Caroli. „Sie müssen ooch wissen, Donna Caroli", warf Anunziata ein, „ob in jener Nacht eine junge Dame das Haus verlassen hat, oder nicht." Die Frau lachte dumm und erwidert«: „'Sie kommen und gehen, Signorina. Was weiß ich davon? Es laufen so viele Leute ein und aus. Sie gehen in Gesellschaft, machen gegenseitig Besuche, oder kommen aus dem Theater. Was weiß ich? Ich weiß nur, daß nach Mitternacht Jeder Sperrgeld bezahlen muß. Die ganze Nacht geht es manchmal hin und her. ontod s. I.L. IS. II.Lm. lsv.N. miLrr Politische Tagesschau. * Leipzig, t6. Februar. Die Erwartung, daß die von dem Dänen Johannsen mit Hilfe der Socialdemokraten eingebrachte Interpellation wegen der Ausweisungen aus Nordfchteswig noch zur Be sprechung kommen werde, hatte gestern den Sitzungssaal des Reichstags mehr gefüllt, als er in den letzten Tagen gefüllt gewesen war. Aber diese Erwartung wurde getäuscht, weil noch eine zu große Anzahl von Rednern zum In valid cn- versicherungSgesetze auf der Liste stand und einige dieser Redner, besonders die beiden socialdemvkratiscken, die durch die Generaldebatte gebotene Gelegenheit benutzten, möglichst weit vom Gegenstände abzuschweisen. Zur Sache wurde überhaupt nicht viel Neues vorgebracht; noch nicht besprochen war lediglich der Vorschlag des süddeutschen Volksparteilers Payer, die nothleidenden länvlichen Ver sicherungsanstalten durch eine einmalige Beihilfe über ihre Verlegenheiten Hinwegzubringen. Aber auch dieser Vorschlag sand nur bei dem nationalliberalen Abg. Hilbck Gegen liebe, so daß die wichtige Frage des Vcrmögensausgleichs der Versicherungsanstalten ihrer Lösung auch durch die gestrige Debatte nicht um einen Schritt näher geführt worden ist. Da für heute der Abg. Gamp noch eine Rede gegen den Abg. Wurm in Aussicht stellte, so wird auch heute der Abg. Johannsen erst zu vorgerückter Stunde seine Inter pellation begründen können. Wie verlautet, gedenkt die Reichsregierung nicht zu antworten. Hoffentlich ist das Haus beschlußfähig, so daß es nicht gezwungen ist, eine ganze Reihe agitatorischer Reden über eine abgelhane Sache über sich ergehen zu lassen. Herr Johannsen ist Mitglied des preußischen Landtages, der allein das Forum für diese Aus einandersetzung ist. Im preußischen Abgeordnetenhause ist diese Frage soeben eingehend behandelt worden und diese Verhandlung dat gezeigt, daß die preußische Staatsregierung, zu der auch Fürst Hohenlohe als Staalsiuinister und Ministerpräsident gebürt, cinmüthig diese Politik billigt. Abgesehen von den sachlichen Gründen, ist also auch ans Gründen oer Geschäfts ordnung und der Compctenz der Reichstag völlig im Rechte, wenn er es u limino ablehnt, sich zum Exereirplatz für jedes müßige fremdnativnale Agitationsbedürfniß im vorliegenden Falle herzugeben. In unauffälligstem Druck enthält die neueste Ausgabe der „Hilfe" unter der Spitzmarke „Thronfolgefragen" eine kleine Notiz, die den nationalen und den socialen Charakter der Rationalsocialcn in der auffälligsten Weise beleuchtet. Das Organ ves Herrn Naumann schreibt: „Noch immer stießen heiße Tintentropsen aus Lippe-Biester- zeld ins deutsche Land, noch immer weiß man nicht, wem Braun schweig dienen soll, und nun kommt noch die Thronsolgefrage von Coburg und Gotha. Das ist mehr, als der geduldige Leser tragen kann. Es langweilt entsetzlich, die Stammbäume auf- und niederklappern (!) zu hören. Das Volk als Ganzes hat kein Interesse mehr daran, wie diese Staatsfragen entschieden werden. Wir sind Deutsch-Kaiserlich. Tas genügt!" Der Selbstgenügsamkeit Derer um Naumann mag die tonende Wendung „wir sind Deutsch-Kaiserlich" genügen; andere Leute werden unbefriedigt fragen, wie die National socialen den in obiger Notiz so selbstbewußt bekundeten Standpunet mit ihrer nationalen und ihrer socialen Eigen schaft verbinden können. Nm an letztere zuerst anzuknüpfen: feinen deutschen Nachbarn und Staminesgenossen mit Feuer und Schwert zu bekämpfen und persönlich zu tödten, wenn infolge von Streitigkeiten, die ihm selbst nicht verständlich sind, der dynastische Befehl dazu ergeht. Die Berechtigung und Vernünftigkeit dieser Eigenthümlichkeit zu prüfen, ist nicht die Aufgabe eines deutschen Staatsmannes, so lange sie sich kräftig genug erweist, um mit ihr Die Schwierigkeit, sie zu zerstören oder die Einheit theoretisch zu rckoitd. ionb. tioll«Id srdrNn lptoa oovt , Sstck i.OotÜL rsöLllk BezugS-PreiS in der Hauptexpedilion oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich.64.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus .6 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljälirlich 6 6.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung inS Ausland: monatlich .6 7.50. ist es social, für den Rechtsanspruch des Hauses Biesterfeld aus die Erbfolge in Lippe nichts weiter übrig zu haben, als das Gefühl „entsetzlicher Langweile" ? Wer, wie die „Hilfe" in derselben Nummer von dem bekannten Dresdner Urtheil sagt, eS sei damit das RechtSgesiihl des Volkes schwer ver letzt worden, sollte durch die lippische Angelegenheit doch nicht blos „entsetzlich gelangweilt" werden. Aber freilich, in Lippe ist cs ja nur ein gräfliches Haus, das für sein Recht kämpft, in Dresden dagegen handelt es sich um Arbeiter, und nur diese haben in den Augen der „Hilfe" Anspruch auf sociale Behandlung. Würdig dieser nichtsocialen Haltung ist die nicht-nationale Beurtheilung der Thronfolge in Braun schweig und in Eoburg-Gotha. Eine Thronfolgefrage be steht für Coburg-Gotha überhaupt nicht; vielmehr weiß man, daß nach menschlicher Voraussicht einem englischen Prinzen die deutsche Fürstenkrone zufallen wird. Gerade deshalb ist diese Thronfolge keine reine Staatsfrage, gerade deshalb hat das deutsche Volk ein Interesse an ibr. Mag cs der „Hilfe" gleichgiltig erscheinen, ob Vorsorge getroffen wird,daß jener englische Prinz bei Zeiten sich als Deutscher fühlen lernt — dem deutschen Volke darf es nicht gleichgiltig sein, ob das Ausland mittels dynastischer Beziehungen Gelegenheit er hält, zu seinem Vortheile neue Hebel anzusetzen. Und nun gar die Thronfolge in Braunschweig! Es verräth in der Thal ein beträchtliches Maß nicht-nationaler Empfindung, wenn die Rückkehr der Welfen ins Reich als eine das deutsche Volk nicht berührende Frage ausgegeben wird. „Für die welfischen Bestrebungen", schreibt Fürst Bismarck in seinen „Gedanken und Erinnerungen", „ist für alle Zeiten ihr erster Merkstein in der Geschichte, der Abfall Heinrich's des Löwen vor der Schlacht bei Legnano, ent scheidend, die Desertion von Kaiser und Reich im Augenblick des schwersten und gefährlichsten Kampfes, aus persönlichem und dynastischem Interesse." Nimmt inan hinzu, daß selbst bei einem formalen Verzichte ves WelfenhauseS auf Hannover die hannoversck-welsische Partei stets ihren natürlichen Stütz punkt am welfischen Hofe in Braunschweig haben würde, so springt das Interesse des deutschen Volkes an der braun schweigischen Thronfolge in die Augen. All das übersieht Vie „Hilfe", weil sie sich „Deutsch-Kaiserlich" suhlt, das „genügt" ihr. Für die deutsche Gesammtheit aber genügt daS nicht. Wenn die „Hilfe" vom Gegentheil überzeugt ist, so verkennt sie vollständig die Bedeutung der Dynastie in Deutschland. Hierüber schreibt ein so zuverlässiger Gewährs mann wie Fürst Bismarck in seinen „Gedanken und Er innerungen" u. A. Folgendes: „Deutscher Patriotismus bedarf in der Regel, um thätig und wirksam zu werden, der Vermittelung dynastischer Anhänglichkeit; unabhängig von Letzterer kommt er praktisch nur in seltenen Fällen zur Hebung, wenn auch theoretisch täglich, in Parlamenten, Zeitungen und Versammlungen: in praxi bedarf der Deutsche einer Dynastie, der er anhängt . . . Wenn man den Zustand fingirte, daß sämmtliche deutsche Dynastien plötzlich beseitigt wären, so wäre nicht wahrscheinlich, Laß das deutsche Nationalgesühl alle Deutschen in den Friktionen europäischer Politik völkerrechtlich zusammenhalten würde, auch nicht in der Form föderirter Hanse städte und Reichsdörfer. Die Deutschen würden fester geschmiedeten Nationen zur Beute fallen, wenn ihnen das Bindemittel verloren ginge, welches in dem gemeinsamen Standcsgefühl der Fürsten liegt. . . Welches immer der Ursprung dieser particularistijchen Zusammengehörigkeit in Deutschland ist, das Ergebniß derselben bleibt die Thatsache, daß der einzelne Deutsche leicht bereit ist, Der die Abrnftttttgöronferenz betreffende Meinungs austausch zwischen den Mächten dauert noch fort. Wie der „Kreuz-Zeitung" ans Paris berichtet wird, sind noch mehrere Cabinette mit ihren formellen Antworten auf das zweite RnnLschreibeii des Grasen Murawiew im Rückstände und es fehlt trotz der allseitigen Zustimmung zu dem russischen Vorschläge nicht an Vorbehalten mehrerer Mächte bezüglich der Umschreibung des Confereiizprogrammes. Bekannt lich hat zuerst die italienische Regierung solche Vor behalte gemacht und über die Absichten des englischen Cabinets verlautet das Gleiche. Cs handelt sich hierbei weniger darum, bestimmte Prvgrainmpuncte aufzustellen, als vielmehr außer den ohnehin ausgeschlossenen politischen Fragen noch manche andere von der Berathung auSznsch alten. Desto mehr verbreitet sich die Annahme, daß an manchen Stellen die Ab sicht obwalte, erst ans der Conferenz selbst eine Einigung darüber berbeizufübren, welche Fragen von dein Programm auSzuscheidcn seien. Jedenfalls wird aber die Vorlage eines im Allgemeinen aufgestellten und grundsätzlich all seitig angenommenen Programmes die Grundlage für diese Berathung bilden müssen. Was die Vertretung der Mächte auf der Conferenz anbelangt, so ist zwar, wie bekannt, be absichtigt, wenn cs bei der Abhaltung der Conferenz im Haag verbleiben sollte, den dortigen diplomatischen Ver tretern noch besondere Abgesandte zuzugesellen; darüber aber, von allgemeiner Bedeutung ist, erweist, so schreibt die „Tägl. Rundschau", abermals eine soeben von den acht ausgeschiedenen reichsdeutschen Professoren im Druck (Akademischer Verlag München) veröffentlichte Schrift: „Herr Python und die Universität Freiburg in der Schweiz", die sich als die „Replik" auf die von dem Freiburger ErziehnngSdireetvr gegen die Denkschrift der Professoren gerichtete Broschüre: „I-'Uuiverbitv cke iribouiz; eu Luis^o 6t 86s ckstractours" darstellt, in welcher Herr Python ver geblich versuchte, aus einem Irrgarten von, gelinde gesagt, Widersprüchen durch Phrasen sich heranSzuwinden. Zur Vervollständigung res Charakterbildes der Herren Python und DeeurtiuS, dieser Stützen des UltramvntaniSmuö in der Schweiz, bringt die „Replik" noch einige Schattirnngen, für welche man den deutschen Herren nur dankbar sein kann. Daß diese Letzteren Freiburg verließen, weil mit dem Einzüge der Dominikaner, denen die theologische Fakultät gänzlich verschrieben und das Recht ans drei Lehrkanzeln in der philosophischen Facultät verbrieft ist, der Obskurantismus mit allen seinen Neben- erscheiiningen sich einstcllte, ist ans der neuen Schrift der Professoren abermals berauszulesen, und dem gegenüber wird die jüngst erlassene famose Erklärung ihrer Nachfolger auch nicht nm einen Zoll das Maß verrücken, das für die „Frei heit" der Wissenschaft an der Freiburger Dominikaner schule in Anwendung zu bringen ist. Eine Neuheit aus der „Replik", die gar zu hübsch ist und zeigt, wie man in Freiburg für die gute Sache arbeitete, sei noch er wähnt. Um vom Papst eine materielle Unterstützung für die Universität zu erlangen, wurde ein anulicheS Dank schreiben an ihn gerichtet und darin besonders der Domini kaner lobend gedacht, und zwar deshalb, weil der Papst eine besondere Vorliebe für diesen Orden und den Thomismus habe. Man bossle, daß auf diese Weise eher etwas abfallen würde. Allein der Uoutitox ^laxiniub ließ die Leimruthe un beachtet und so versuchte Herr Puthon mit der Universitäts lotterie sein Glück. Aber auch diese zog nicht, wie sich gezeigt hat. ksrckrd. »»»«ob trassd. ttioa Lsrxv. Iiöllix lsktr-L. «Irtr.-L XNstltr. ?k«r<1b. tiisellb. liooll >b.-ösü. ,-L. 6rnb. Isrxv. ireb.-S. i LIsod orrell. aro Illckust. ikk.».» Lsrgiv. 224. .re Ir«. I«. m Kur» »so 72.-Ir. «r 7.8t..kr. Itt« ircd«> >r INovck ?«ek«tk. ksoiLe ri« kLkix isr. in u. 8«s«ll/Sudr. ornkr". lraek v«rdot«va l-LcUsn 3610 o I 27.- ollt I 2^ 705 57V 540 5351, 445 vlsdaok SIS 8tr»ww tr.-L-t.! 1371, 7S>, Lot. etSv Niv. utrv. » 87'. .ciüv ! S2', °l I 3>i, WpMcr TagrblM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Ratljes und Nokizei-Amtes der Stadt Leipzig. «7 Sslck Lrisi BO 7050 7750 — — 7050 — » 4600 70 SOSO 6075 80 3100 100 13750 13000 2525 3825 80 2725 2800 240 — 4700 400 10800 11000 MO 13500 13700 7k>0 — 12100 400 S825 8800 — - —- 3700 — 8225 — 2400 2475 120 — 3825 4b — 105 — 800 — 1600 IS40 120 — 3100 — 1475 200 2S50 2700 120 2750 800 —- 14300 2375 ISO — 10450 — 1700 1800 — 3575 3625 — 280 — — 2725 ISO 210 »00 25000 — 20 40 — - — 1850 — 2700 2750 — — 380 960 13S00 13750 — — 725 — 4275 I — — 4725 4800 — ! 7575
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