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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990217024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899021702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899021702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-17
- Monat1899-02
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Wie wir schon durch Extrablatt bekannt gaben, ist der Präsident der französischen Republik, Felix Faure, gestern Abeud um 10 Uhr in Paris ge storben. lieber sein Ableben und den Eindruck, den es auf dir Pariser Bevölkerung gemacht, wird uns Folgendes berichtet: * Pari-, 17. Februar. (Telegramm.) Vorgestern, Mittwoch, verließ Faure sein Arbeitszimmer zur gewöhnlichen Zeit, gegen 7 Uhr. Er hat seinen Piqueur Montjarret sagen lassen, daß er gegen 7 Uhr Morgen- ansreiten würde. Später zog er sich in seine Privatgemächer zurück und speiste mit seiner Familie. Er ging, wie gewöhnlich, um 10 Uhr zu Bett. Gestern, Donnerstag, Morgens stand er um 6 Uhr auf und ließ sagen, daß er keinen Spazierritt machen werd». Der Sekretär Le Gall wurde gerufen und ihm theilte Faure dann mit, daß er sich zwar nicht unwohler fühle, aber von jeder ermüdenden Leibesübung doch lieber absehen wolle. Fanre begab sich nach seinem Arbeitszimmer und nahm Kenntniß von den Nachts eingetrosfenen Depeschen, den Blättern der „Agence Havas" und den Morgeuzeitungen, um, wie gewöhnlich, den Vorsitz im Ministerrathe zu führen. Der Ministerrath trat um S Uhr zusammen. Präsident Faure führte mit ungetrübter Geistesklarheit den Vorsitz. Kein Minister hatte eine Ahnung, daß er dem Prä- sidenten zum letzten Male die Hand reichte. Faure früh stückte um 12 Uhr und begab sich um 2 Uhr nach dem ArbeitS- zimmer Le Gall's, wo er den ganze „Nachmittag, amKamin sitzend und sich mit Le Gall unterhaltend, verbrachte. Gegen 5 Uhr bat ihn Le Gall um die Erlaubniß, sich auf eine Stunde entfernen zu dürfen, und verließ ihn. Faure befand sich noch immer wohl. Um 6 Uhr kehrte L« Gall zurück und traf den Präsidenten dabei an, wie er gerade Drcrrte unter- zeichnet», dir ihm General Baillaud unterbreitete, so, wie er das jeden Abend zu thun pflegte. Nachdem die Schriftstücke unterzeichnet waren, zog sich der General zurück. Einige Minuten daraus öffnet« derPräfident die Thür seines Arbeitszimmer-, die nach dem Arbeitszimmer Le Gall'S führt, und rief diesem zu: „Le Gall, kommen Sie schnell! Ich fühle mich un wohlI" Le Gall eilte sofort auf den Präsidenten, der sich noch gut aufrecht hielt, zu und geleitete ihn, indem er ihn am Arme stützte, zu einem kleinen Sopho. Faure wiederholte, indem er sich die Stirn rieb: „Mir ist sehr schlecht." Auf die Frage Le Gall'S, was er am Sitz« des UrbelS empfinde, erwiderte der Präsident, der bei vollem Bewußtsein ge blieben war: „Es ist eine allgemeine Schwäche. Mir wird schwindlig." Le Gall ließ sofort den Chef des Militär staates, General Baillond, und den Cabinets-Unterdirector Herbei rusen und bat diesen, rasch einen Arzt holen zu lassen. Gleichzeitig hörte er, daß sich zufällig vr. Humbert bei seinem Bruder, dem Major Humbert, im Elysöe befinde. Dieser richtete die ersten Fragen an den Präsidenten, gab ihm Schwefek- üther zum Athmen und machte dem Präsidenten, dessen Zustand anfänglich nicht besonders ernst schien, eine Toffeln-Einspritzung. Der Präsident erholte sich jedoch nicht, sondern sagte wiederholt: „Mit mir geht's zu Ende, ich bin verloren, sicher verloren." Er sprach den Wunsch aus, seine Frau und seine Sinder zu sehen. Da sich seiuZustand von Minute zu Minute verschlimmerte, wurden durch Fernsprecher die Doctoren Lannelongue und Che urlot herbeigernfen. Diese, zu denen bald auch vr. Bergeron stieß, erkannten bald, obgleich der Präsident dauernd bei Be- wußtsrin blieb, daß die Lage äußerst ernst war. Erst gegen 8 Uhr Abends wurden die Gemahlin und die Tochter des Präsidenten, sowie Frau Berge durch die Aerzte von dem verzweifelten Zustande Faure'S benachrichtigt. Sie erschienen sogleich bei dem Präsidenten, der auf seinem in ein Feldbett verwandelten Sopha ausgrstreckt blieb. Wenige Minuten nach ihrem Eintreffen kam vr. Lannelongue, der Le Gall ver- traulich von seiner pessimistischen Auffassung unterrichtete. Le Gall hielt es für seine Pflicht, sogleich den Ministerpräsidenten CharleSDupuyhiervonin Kenntniß zu setzen, der sich zum sofortigen Kommen bereit erklärte. Le Gall bemerkte jedoch, daß sein Erscheinen die Familie erschrecken und ihr erst die ganz« Schwere der Lage klar machen würde. Darauf erklärte Dupuy, er werde, der weiteren Benachrich tigung gewärtig, im Ministerium des Innern bleiben, und ließ den übrigen Ministern die Nachricht zugehen. Inzwischen nahm Präsident Faure, der zu erkennen gab, daß er sich über den Aos- gang dieses Anfall- keiner Täuschung hingebe, herz lichen Abschied von seiner Frau, der er für ihre be- ständige Liebe und Hingebung dankte, sowie von seinen Kindern. Daun verabschiedete er sich von Le Gall, dem er für seine treue Mitarbeit dankte, und von seinem Haus hofmeister, den er zu vergess«« bat, daß er ihn manch mal recht rauh angifahren habe, und schließlich von seinem Kammerdiener Bridier. Um 9 Uhr sank Präsident Faure zusammen und verlor das Bewußtsein. Vergeben wurden Blutegel angelegt. Zugegen waren die Aerzte Potani, Bergeron und Che urlot. Ministerpräsident Dupuy war gleichfalls, nachdem alle Hoffnung ausgegebcn war, herbri geeilt. Trotz aller angewendeten Mittel verschied Präsi dent Faure genau um 10 Uhr, ohne das Bewußtsein wieder er langt zu haben, am Gehirnschlage. Einige Augen blicke vorder war aus wiederholtes dringendes Bitten der Gemahlin und der Familie de» Präsidenten nach einem Priester gesandt worden. Major Moreau traf einen Abbö auf der Straße, bat ihn, nach dem Elysöe mitzukommen, und dieser ertheilte dem Präsidenten der Republik die Sterbesacramrnte. * Pari-, 17. Februar. (Telegramm.) Auf dem Elysöe- Palast wurde alsbald, nachdem die erste Bestürzung gemildert war, di« Flagge auf Halbmast gehißt. Präsident Faure liegt in seinem Arbeitszimmer auf einem messingenen Feldbett aus grstreckt. Die Züge sind nicht entstellt und tragen einen heiteren Ausdruck; die Hände sind auf der Brust gekreuzt. Zwei Schwestern wachen zu beiden Seiten der Bahre. Dir Leiche wird heute früh einbalsamirt. — Erst nach 11 Uhr Nachts wurde den officiellen Persönlichkeiten der Tod des Präsidenten bekannt. Darauf trafen die Minister und zahlreiche andere politische Personen vor dem Elysöe ein, doch waren strenge Absperrung-maßrrgeln getroffen, und nur die Minister wurden ins Palais eingelassen. Ministerpräsident Dupuy ließ unmittelbar nach dem Hinscheiden deS Präsidenten Faure den Präsidenten der Kammer und des Senats, sowie den Ministern die Todesnachricht zugehen. Ferner richtete er an den Generalgouverneur vonAlgerien, sowie an diePräfecten und Unter präfect en rin Telegramm, in dem er sie aufsordrrtr, Angesichts der Umstände ihren Posten nicht zu verlassen, bez. den Beurlaubten den Befehl zur sofortigen Rückkehr zu ertheilen. * Paris, 17. Februar. (Telegramm.) Eine Note der „Agence Havas" besagt: Präsident Faure ist Abends 10 Uhr infolge eines Schlaganfalls verschieden. Minister präsident Dupuy, der beim Ableben deS Präsidenten zugegen war, theilte den Präsidenten des Senats und der Kammer, sowie den Ministern die Trauernachricht mit und richtete noch gestern Nacht an die Präfecten und Unterpräfecten folgende Depesche: „Ich habe Ihnen die traurige Nachricht von dem heute Abend 10 Uhr infolge eines Schlag, ansalls erfolgten Ablebens des Präsidenten der Republik mit- zutheilen. Ich ersuche Sie, alle Vorkehrungen zu treffen, daß die Bevölkerung unverzüglich von dem Trauerfalle, der die Republik betroffen hat, benachrichtigt wird. Die Regierung rechnet auf Ihre ganze Wachsamkeit bei dieser schmerzlichen Lage der Dinge." * Paris, 16. Februar. (Nachts 2 Uhr 20 Min.) Die Nachricht vom Tode des Präsidenten der Republik verbreitete sich sehr schnell in der Stadt. In fast allen Theatern wurde die Nachricht vor Beendigung der Ausführung bekannt und verursachte lebhafte Erregung. DaS Elysöe ist dauernd von einer sehr großen Menschenmenge umlagert. Sicherheitsbeamte halten die Ordnung aufrecht. Wagen von Würdenträgern und Privat personen fahren in ununterbrochener Reihenfolge am Elysöe vor. In Faubourg St. Honorö und den benachbarten Straßen stauen sich weitere Wagen. Um V-1 Uhr Nachts wurde die Weisung ertheilt, daß Niemand mehr da- Elysöe betreten dürfe. Um 1,45 Uhr traf Loubet ein, sein Wagen fuhr aus den Hof des Elysöe». Auf den Boulevards ries die Nachricht gleichfalls lebhafte Erregung hervor. Die Zeitungsverkäufer hielten sofort mit ihrem Verkaufe inne und begaben sich nach der Rue du Croissant, un: die Ausgabe von Extrablättern abzuwarten. Um 1 Uhr Morgens waren bereits Ausgaben von mehreren Blättern erschienen, die in kurzen Zügen die letzten Augenblicke vor dem Tode deS Präsidenten beschrieben. Di« Menge riß sich um die Blätter und las sie, in Gruppen unter den Gasflammen stehend. Die Kunde von dein Ableben des Präsidenten ist für alle Welt eine vollkommene Ueberraschung, da Faure sich stets einer guten Gesundheit erfreute und auch in der letzten Zeit nicht- Ungünstiges über das Befinden deS 58-Jährigen bekannt geworden war. Noch am 4. Februar machte er eine seiner üblichen Reisen in die Provinz, wo er der Einweihung eines HoSpizes in Bry sur Marne beiwohnte und eine Ansprache des Platzcommandanten erwiderte. Faure hatte auch, wie miS der Draht berichtet, in den letzten Tasten, da nichts seinen nahen Tod vorauSsehen ließ, in keiner Weise seine täglichen Gewohnheiten geändert. Er arbeitete und machte seinen Spazierritt, wie gewöhnlich, und schlief und aß regelmäßig. Er hatte nur mehrere Male zu seinem Sekretär Le Gall gesagt: „Wie meine Beine schwankend werden! Ich kann mich kaum aufrecht halten." DaS war daS einzige Anzeichen eines Unwohlseins. Nun ist er plötzlich, unerwartet anS der Reihe der Lebenden ge schieden: ein tragisches Ende in tragisch verwickelter Zeit! Möge» auch die Sympathien, die man in Deutschland Faure als politischer Persönlichkeit entgegenbringt, keine besonders warmen sein — auch er hat mehr als einmal erkennen lassen, daß er seit 1870 nichts gelernt und nichts vergessen hatte — die letzten Augenblicke seines Lebens haben ihn uns menschlich nahe gebracht. Niemand wird leugnen, daß der Präsident — fast bis zum letzten Augenblick war er bei vollstem Bewußtsein — vermocht bat, würdig zu sterben. Er hat dem Tode tapfer, mit Gleich- muth und männlicher Ruhe ins Auge gesehen und säst bis zum letzten Hauche den Charakterzug liebenswürdiger Höflich keit, der ihm eigen war, in rührendster Weise bewährt; jeden falls verschwindet jetzt neben diesem der andere, ver ebn als seiner hohen Würde stets mehr, als vielleicht nötbig und angemessen, bewußt gezeigt und ihm als „Felix Faure I" manches Spottwort seiner Gegner eingebracht bat. Seine Ehrenhaftigkeit stand über allem Zweifel, und alle Anwürfe, die in dieser Hinsicht gegen ihn versucht wurden, haben ihn nicht zu beschmutzen vermocht. Faure war am 30. Januar 1841 in Paris ge boren und widmete sich der kaufmännischen Lausbahn. Seine Lehrzeit machte er, wie man weiß, in einem Gerberei- und Ledergeschäft durch und begründete dann ein Rhedereigeschäft in Havre. Dort wurde er Präsident der Handelskammer und Richter am Handelsgericht. Seine politische Laufbahn begann er 1881, wo er in die Deputirtcn- kammer gewählt wurde und sich den Opportunisten anschloß. In den Cabinetten Gambetta (1881/82), Ferry (1883'85) und Tirard (1887/88) war er Unterstaatssekretär der Colonien. Im zweiten Cabiuet Dupuy (Mai 1894 bis Januar 1895) übernahm er daS Marineministerium. Bei der Präsidenten wahl, die nach dem Rücktritt Casimir-PerierS 17. Januar in Versailles stattfand, erhielt der Candidat der Radikalen, Brisson, 338 Stimmen, während auf die beiden Candidaten der Opportunisten, Faure 244, Waldeck-Rousseau 184 Stimmen sielen. Da Waldeck-Rousseau zu Gunsten Faure'S verzichtete, wurde dieser im zweiten Wahlgang mit 430 gegen 361 Stimmen gewählt. Wenn auch Faure, der sechste Präsident der Republik, nicht wie sein Vorgänger Casimir- Perier einen entscheidenden Einfluß auf die Leitung der Re gierung aulzuüben suchte, so strebte er doch dahin, etwas mehr zur Geltung zu gelangen, als Grevy und Carnot. So übernahm er z. B. bald nach seinem Amtsantritt wieder den Vorsitz im Obersten Kriegsrath und suchte sich durch häufige Reisen über die Lage des Landes zu orientiren. Im klebrigen blieb die französische Politik unter seiner Regierung in den alten Gleisen; einen großen Triumph feierte er durch den Besuch des Kaisers Nikolaus II. 1896 in Paris, den er im folgenden Jahre in Petersburg erwiderte, bei welcher Ge legenheit daS russisch-französische Bündniß öffentlich verkündigt wurde. Gegen seinen Wunsch wurde am 26. September 1898 vom Ministerrath unter dem Einfluß Brisson'S die Revision des DreyfuSprocesseS beschlossen. Faure bat nichts gethan, um der Gerechtigkeit freien Laus zu verschaffen. Die Staats-Raison war ihm oberstes Gesetz. Schon deshalb, weil er sich auf die Seite der Vertbeidiger der Ehre der Armee stellte — noch in seiner letzten Rede in Bry-sur-Marne batte er gesagt, die Armee bade nur einen Gedanken und eine Sorge, nämlich dem Gesetze gehorsam zu sein und den väterlichen Boden zu vertbeidigen — galt er als Mann de- Generalstabes, und als solchem traute man ibm zu, daß er den Gegnern der Republik ein willigeres Ohr leihe al- den Freunden derselben. Er ist sogar verdächtig! worden, entweder selbst nach dem Throne zu streben oder royalistischen Prätendenten die Wege zu Ferrillrtsn. Gräfin Marie. -j Roman von Woldemar Urban. Nachdruck derkoie«. Natürlich lag dort noch mehr. Starace wußte das sehr wohl und seine Aufregung über die Umstände, die die Justizräthin machte, wuchs immer mehr. Er hatte sich in den letzten Monaten, Dank den fünftausend Lire der Justizräthin, wieder recht an ständig in das gräfliche Leben hineingelebt. Sollte das nun wieder aufhören? Sollt« er nun wieder anfangen, Lektionen für zehn Soldi zu geben und bet Don Gaetano in Via Sant Anna dei Lombardi sich den Bauch voll Kastanien stopfen, um seinen Hunger zu stillen? Schon der Gedanke daran machte ihn wüthend. Aber vorläufig mußte er vorsichtig sein, und al- er die Justizräthin endlich auf der Hauptstraße, die von Capri nach Anacapri führt, wieder einhdlte, sagte er leise und zärtlich: „Sie Böse! Sie Grausame!" „Kommen Sie rasch, Graf", antwortete sie lachend, „e» ist die höchste Zeit. Die Etzglocke läutet schon und ich muß noch Toilette machen." Die Straße war belebt, an eine Fortsetzung ihres Gespräche» also nicht zu denken. Do gingen sie rasch und stumm neben einander her. Bei Tksche spielte Starace den Verletzten, war mit seiner Tischnachbarin sehr höflich, sehr aufmerksam und zuvorkommend, aber auch sehr kühl und sehr förmlich. Mehrere Male stch ihn die Justizräthin verstohlen von der Sette an. War er böse? Hatte er ihre unschuldige Koketterie übelgenommen? fragte sie sich. Es hätte ihr doch um die Gräfin Maria sehr leid gethan, wenn nun nach so vielen Anstrengungen nicht« au» der Geschichte geworden wäre. Die Zimmer, die sie in dem Hotel bewohnten, hatten ein« gemeinsame große Terrasse, auf der kleine Zwergpalmen, Cacteen, Agaven und andere Zierpflanzen in großen Kübeln herumstanden und von welcher man eine weite, schöne Rundsicht über das Meer und einen großen Theil der Insel hatte. Hier ging Starace nach dem Esten eine Cigarre rauchend auf und ab. Der Mond war aufgegangen und übersäte das Meer weit binau» mit unzähligen hüpfenden und tanzenden Lichterchen, ein leichter frischer Wind brachte «ine angenehme Kühlung vom Meer herein. Die Justizräthin war in ihrem Zimmer, hatte aber die Persiane Herabgelaffen. Leise hallend drang der Schritt Starace'- aus der Steinterrasse durch die offene Thür bis zu ihr hinein. Von Zeit zu Zeit flogen seine Blicke verstohlen nach ihrem Zimmer hin. Sie hatte noch Licht. Er sah es durch die Ritzen der Persiane schimmern. Endlich trat sie heraus. Er sah aus den ersten Blick, daß sie besondere Toilette gemacht hatte. Sie trug einen langen, weiffaltigen Schlafrock aus Weiher Wolle, blau gefültert und mit weißen Spitzen besetzt. Die Haare waren offen und fielen in langen, prächtigen Wellen frei über den Nacken herab. Sie sah reizend aus. Sofort stand er bei ihr und ergriff ihre Hand. „Endlich", flüsterte er leise. Sie that erschrocken. „Oh, Starace, ich wußte nicht, daß Sie noch hier sind." „Maria!" „Gewiß nicht. Ich wollte nur noch das schöne Welter ge nießen." „Allein?" „Natürlich allein." „Wünschen Sie, daß ich mich zurückziehr?" Sie sah ihn brirvssen an. „Sind Cie mir böse?" fragte sie leise. „Nein, aber Sie werden mich zur Verzweiflung bringen oder —" „Was ober? WaS wollen Sie sagen?" Sie bemerkte plötzlich, daß er furchtbar erregt war. Sein Athem ging keuchend. Mit einer heftigen Bewegung warf er sein« Cigarre über die Mauer in den Garten. „Nichts. Ich habe nichts mehr zu sagen. _Wir haben un» genug gesagt", flüstert« er mit sonderbar trockener, rauher Stimme, umschlang sie blitzschnell mit den Armen und drückte sie heftig gegen seine Brust. „Starace!" rief sie erschrocken. „Mein bist Du und bleibst Du", keuchte er und suchte sie zu küssen. Sie konnte kaum athmen, so fest hielt er sie in seinen Armen. Niemals hätte sie geglaubt, daß er eine s» fürchterliche, unwider stehlich« Kraft hab«. „Laß loS, Starace", preßte sie unter seinen wilden Küssen hervor, „Du wirst mich todt drucken." „Sage, daß Du mein sein willst, Maria, mein für immer und ewig." „Margen, morgen. Du bist so wild; Du bist schrecklich. Laß loS", antwortete sie und sucht« sich frei zu machen. Eine Thür wurde irgendwo zugeschlagen. Er horchte einen Augenblick auf. Diese Gelegenheit nahm sie wahr und schlüpfte ihm mit einer geschickten Bewegung aus:d«n Armen. Gleich darauf war sie hinter der Persiane verschwunden und Starace horte nur noch, wie sie eilig di« Thiire verschloß. Langsam ging er nach seinem Zimmer. Drei Tage später kehrten sie nach Neapel zurück. Eigentlich wollte die junge Braut noch einige Zeit länger auf der hübschen Siren«n->Jnsel bleiben; er erklärte aber, wegen der nöthigen Vorbereitungen nach dem Festland zurück zu müssen. Endlich fügte sie sich darein mit der stillen Hoffnung, später nach ihrer Verheirathung wieder nach Capri zurückzukehren, wo es ihr so „himmlisch" gefallen hatte. Als sie in Neapel anlamen, wurden sie von zahlreichen Freunden und Bekannten als Braut und Bräutigam empfangen und mit allerlei anzüglichen Redensarten überschüttet. Die Ber- lobungskarten waren schon fertig. Commendatore Cesarini war so liebenswürdig gewesen, sich darum zu bemühen. Sie sahen furchtbar nobel aus — ganz dicker Elfenbein-Carton mit einer Grafenkrone über den beiden Namen. Auch auf dem Umschlag war eine Grafenkrone und nur schade, daß man nicht auch Brief marken mit einer Grafenkrone bekommen konnte. An demselben Tage ihrer Ankunft noch flatterten sie nach allen Windrichtungen hin. Starace hatte eine Menge Bekannte unter der hohen Aristokratie. Natürlich flatterten auch einige der goldberänderten Karten nach Berlin. Sogar der Schwager Kohlenhändler auf der Schönhauser Allee und ver Bruder Tischler erhielten solche. Die junge Braut war glücklich und ihre kleinen vergnügten Augen strahlten vor Seligkeit, besonders nach dem Essen, wobei sie tüchtig trank. Die Hochzeit sollte noch in diesem Monat stattfinden — er lieh ihr ja kein« Ruhe, sagte sie hilflos seufzend zu Jedem, der es hören wollt«. Und Starace ließ ihr auch wirklich keine Ruhe. Sein „Vertreter", der Rechtsanwalt Pompes Ciselli, derselbe, der sein« berühmten Processe in Rom führte, erschien auf der Bildfläche, um die Verhandlungen be züglich des abzuschließenven Shecontrcirte» zu führen. Da» war eine wunderliche Abmachung, die schließlich darauf hinauslief, daß die beiden Ehegatten sich im Todesfall gegenseitig beerben sollten. DaS war, wie Starace sagt«, „Housgesetz in seiner Familie", und die Justizräthin ging auch schließlich daraus ein, weil ja da» HauSgesetz der gräflichen Familie st« ebenso be günstigte, wenn sie die Ueberlebende war, wie ihren Mann, wenn er sie überlebte. Freilich kam ihr manchmal die Idee, baß Starace momentan nichts besaß. Er konnte also über „sein Erbe" mit leichtem Gswiffen verfügen, während sie mit ihren armen Verwandten in Berlin doch wohl hätte rechnen sollen. Aber Starace sorgt« schon dafür, daß die Ideen, wenn sie kamen, auch wieder gingen, oder wenn nichts Anderes übrig blieb, im Bicvlo Conte di Mala mit Jschiawein fortgespült wurden. Auch im Uebrigen wurden die Vorbereitungen zur Hochzeit mit aller Hast betrieben. Die Möbel der Justizräthin wurden per Eilgut nach Neapel beordert, Vie Villa am Posillipo schließlich doch gemiethet^ zunächst auf ein Jahr, denn «in Graf Starace di Montesanto e Boscoreale konnte doch mit seiner Gemahlin nicht in einer Fremdenpension wohnen. Außerdem muhte die junge Braut „mehr Geld" von Berlin kommen lassen, und da sie schon in letzterer Zeit etwas opulenter gewirthschaftet hätte, so mußte sie jetzt schon das Capital angreifen, natürlich nur vorübergehend, wie Starace bemerkte, denn wenn die Processe erst entschieden sein würden, würde das Ehepaar auf die gräflichen Güter in Calabrien übersiedeln und Alle» wieder in Ordnung bringen. Sogar der junge Bertelli wollte sein Scherflein zu den Hoch zeitsfeierlichkeiten beitragen, indem er leinen Pegasus bestieg und sich «in Hochzeitspoem leistete, in welchem viel von der „heiligen Allianz des blonden Nordens mit des feurigen Südens braun«m Sohn" hie Rede war. Er bekam dafür von Starace fünf Lire und durfte einmal mit ihm essen. Eine schreckliche Arbeit verursachte der Umstand, daß auf alle Effecten ver Justiz räthin da» gräfliche Wappen mit ver Krone angebracht werden mußte — beim Grafen selbst war diese Arbeit bedeutend gc ringer, er hatte nichts. Auf jedem Taschentuch, jedem Hemd, jedem Teller mußte das gräfliche Wappen mit der Krone an gebracht werden. Ander- ging es nicht. Die gräflichen Ahnen hätten sich sonst im Grabe umgedreht. — VIII. In der Villa MonrepoS am immergrünen Posillipo bei Neapel, wo die Gräfin Marie seit ihrer zweiten Verheirathung wohnte, befand sic sich trotz der bezaubernden, „märchenhaften" Lage dieses Hause-, wie Commendatore Cesarini sie bezeichnete, nicht wckhl. Für sie war e» kein „MonrepoS". Sie fand keine rechte Ruhe darin. Zunächst lag daS wohl mit daran, daß ihre Berliner Möbel, die sich in der Charlottenstraße in Berlin sehr hübsch, sehr stilvoll gemacht hatten, absolut nicht in eine Billa am Posillipo paffen wollten, wo weite und hohe Hallen, freie, lang an ver Südfront hingestrecktr Terrassen, kleine Säulengänge, Balcone, GartenpavillonS und dergleichen maßgebend waren. Sie nahmen sich darin so schwer und massiv, so dunkel und ge« spensterhast au», al» ob mit ihnen ebenso viele Kobold» in da»
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