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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.02.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189902192
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990219
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990219
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-19
- Monat1899-02
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.02.1899
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Die Morgen-Ausgabe erscheint nm '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-aclion und Expedition: Iohannisgasse 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ltt« Klemm'» Sortim. (Alfred Hühn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und KönigSplatz 7. Bezugs-Preis in her Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus- vobestellen abgrholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hous 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Krruzbandiendung i«S Ausland: monatlich 7.50. Sl. ripMer Tageblatt Anzeiger. ÄmlsliM dös Kömgttchen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Vottzei-Amtes der Ltadt Leipzig. Sonntag den 19. Februar 1899. Anzeigeu-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfq. Reklamen unter demRedactionSstrich (4qe- spalten) 50^z, vor den Familiennachrichleu (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Zissernfap nach höherem Tarif. i-rtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung ./L 60.—, mit Postbeförderung ./L 70.—. Ännahmeschluß für Anzeige»: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die (rrpeditian zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 83. Jahrgang. Aus der Woche. Neber die Ausschließung der Oesfentlichkeit im Löbtauer TodtschlagS- und FrievenbruchSprocesse waren die Meinungen in der Bevölkerung anfänglich getbeilt. Mehr und mehr hat sich aber da- Verständniß für jene Maß regel des Dresdener Gerichts verbreitet und daS Berliner Blatt, das rasch bei der Hand war, einen „zweifellos" be gangenen Fehler festzustellen, wird sich hüten, diese» Urtheil heute zu wiederholen. Gewiß hat die geheime Durchführung der Verhandlung der Socialdemokratie die irreführende Ausbeutung des Erkenntnisses erleichtert. Aber der Justiz steht nicht das Recht zu, sich von Rücksichten auf die Stimmung, welche ihre Sprüche etwa erregen könnten, leiten zu lassen. Für sie darf es sich nur darum handeln, innerhalb des Gesetzes Alles zu thun, wa» zur Ermittelung der Wahrheit dient, und Alles zu unterlassen, was ihr im Wege steht. Daß im Löbtauer Falle die Oesfentlichkeit der Gerichtsverhandlung der Erforschung deS ThatbestanveS hinder lich gewesen wäre, wird nicht nur indem amtlichen „Dresdener Journal" dargelegt, auch „DaS Volk", eine Zeitung, die bekanntlich nichts weniger als ein „Unteroehmerorgan" ist, veröffentlicht den Bericht eines Dresdener Correspondenten, in dem cs heißt: „Der Ausschluß der Oesfentlichkeit hat meines Wissens nur deshalb stattgefunden, nm die Zeugen vor der Rache der Socialdemokraten zu schützen." DaS ist wohl nicht ganz zutreffend. Das Gericht hatte sich jedenfalls von der Absicht bestimmen lassen, eine Beeinflussung der Zeugenaussagen durch die Furcht vor der Rache der Social demokratie hiutanzuhalten. Wie notbwendig die Rücksichtnahme auf die Furcht vor Aus flüssen dersocialdemokratischenSchreckenSherrschaft über die Arbeiterwelt ist, darüber ist dieser Tage im preußischen Abgeordnetenhaufe wieder einmal unheimliches Licht verbreitet worden. Der Abg. Ring machte Mit- theilung über die Art, wie die socialdemokratischen gewerkschaft- licken Organisationen gehandhabt werden. Er zeigte Mit gliedsbücher und StreiksondSkarten vom Centralverbande der Maurer in Deutschland. Diese sind genau nach dem Muster der QuittunzSkarten deS Invalidenversicherungsgesetzes mit CarreauS für Marken und jede Marke ist, mit einem Quittungs stempel versehen. Jedes Verbandsmilglied muß in das Buch allwöchentlich Marken von 20, 40 bis zu 1 einkleben, was peinlich controlirt wird. Diese Controle fällt aber zugleich mit einer Ueberwachung des Lebens der Arbeiter zusammen. Ans zwei gleichfalls im Besitze des Herrn Ring befindlichen Quittungskarten über gezahlte Beiträge zum Streikfonds fehlen an vielen Stellen die Marken, aber auch diese Stellen sind abgestempelt und mit dem Vermerk versehen, daß der Inhaber an den Tagen, für die Marken nicht eingeklebt sind, ohne Arbeit gewesen. Das Datum der Arbeitslosigkeit ist genau angegeben, die Controle ruht also niemals. Dafür, baß eS sich bei diesem System nicht um eine socialdemokratische Polizeispielerei bandelt, gab der Abg. Ring ein drastisches Beispiel. Er erzählte: „Im August wurde mir als stellvertretendem AmtSvorsteher (in der Umgebung Berlin-) eines Tages vom Gendarmen gemeldet. Laß in einer Ortschaft ein Streik ausgebrochen wäre. Ich begab mich z« dem leitenden Maurermeister, um ihn zu fragen, wie er sich verhalten wolle. Er war nicht anwesend. Während ich in seinem Bureau stand, traten zwei Maurergesellen rin. Diese hielten mich für den Meister und fragten mich, ob ich ihnen keine Arbeit geben könnte. Es war mir kurze Zeit vorher gesagt worden, daß für die Controle dieser Quittungskarten da- Wort maßgebend sei: „Hast Du auch reine Wäsche?" In Folge dessen antwortete ich den Leuten: „Gewiß sollt Ihr Arbeit haben. Hast Du auch reine Wäsche?" Hierauf erwiderte der befragte Mann: „Selbstverständlich l" zog seine Ouittungskarte und reichte sie hin. Ich stellte mich ihm jetzt als AmtSvorsteher vor und machte ihm Vorhaltungen, daß er seinen sauer verdienten Lohn für diesen Zweck hingäbe und seiner Familie entzöge. Ich sprach ziemlich eindringlich auf ihn rin und was war die Folge? Der Mann erklärte unter Thränen: .So wie ihm, ginge es einer großen Zahl von gewerblichen Arbeitern. Er wäre gezwungen, dieser Organisation beizutreten. Wenn er nicht beiträte, so wäre rS ausgeschlossen, daß er überhaupt noch Arbeit fände. Und seine wiederholte Frage, die er an mich richtete, war immer die: „Können Sie mir helfen, wollen Sie mir helfen? Sie können mir al- AmtSvorsteher doch nicht Arbeit geben. Ich bin der Zwangs organisation mit Haut und Haaren unterworfen. Ich bekomme in der Berliner Gegend auf keinem Bau mehr Arbeit, weil die Anderen mit mir zusammen nicht arbeiten würden, oder ich werde in einem finsteren Winkel halb todt geschlagen, die Kleider werden mir mit einem Messer zerschnitten und der Balken, auf dem ich stehe, wird durchgesägt." Dieser Maurer bekannte das ganze Elend, das auf ihm und Tausenden lastet, und gerieth zuletzt ganz außer sich." Unter dem Eindrücke dieser und verwandter Mittheilungen hat ein Minister der Hoffnung Ausdruck gegeben, ein Gesetz zum Schutze der Arbeitswilligen möge zu Stande kommen. Dies wird ihm von einer Zeitung deshalb verargt, weil die Erörterung im Landtage stallfand und die Gewerbe- und Strafgesetzgebung Reich-fache ist. Die hier zu Tage tretende affectirte „Correctheil' ist immer noch nicht so schlimm wie die Gedankenlosigkeit eines andern Blattes, da- seinen Lesern die Meinung vorsetzt, der gerichtliche Abschluß der Löbtauer Vorfälle beweise offenbar, daß eS unnötbig sei, die Strafen wegen Terrorismus gegen Arbeitswillige zu verschärfen. DaS heißt mit anderen Worten: Kein Arbeiter hat Anspruch auf den Schutz des Gesetzes, wenn er arbeiten will und daran verhindert wird; er kann sich der socialdemokratischen Gewalt fügen, wie der oben erwähnte Maurer thut, und fügt er sich nicht und erleidet er deshalb Schaden an Leib und Leben, so werden die Schädiger ja schon nach dem bestehenden Gesetze bestraft. Diese Behandlung einer Frage des Rechtsschutzes der Gesellschaft steht juristisch auf der Höhe des Urtheiles einer socialen Zeitschrift, die befindet, das Dresdner Urtheil „überschreite weit jedes zulässige Maß". Wenn sich die socialdemokratische Presse auf diese Jurisprudenz beruft, so geschieht eS in Ermangelung von Besserem. Sie sieht ihre ungeheueren Anstrengungen, die Ansicht zu verbreiten, daß in Dresden Unrecht geschehen sei, und aus diesem Irrthum Capital zu schlagen, mit geringem Erfolge gelohnt. Wenn sie Beiträge für die Angehörigen der Verurtheilten erhält, so zeigt das vom Abg. Ring geschilderte Verfahren, wie dergleichen gemacht wird. Kein Arbeiter, der um Demonstrations-Groschen „angegangen" wird, wird sie auf die Gefahr hin verweigern, fern Brod, wenn nicht gar seine gesunden Glieder aufs Spiel zu setzen. Für die Socialdemokratie aber ist die Sammlung ein Neclame- mittel, auf das sie um so weniger verzichten möchte, als das Agitationsmaterial spärlich und spärlicher wird. Das falsche Pathos deS Aufrufs der Parteileitung verräth auf das Deutlichste, daß es ihr nicht um das Menschliche, sondern um das Geschäftliche zu thun ist. Und Geschäfts zwecken dient auch die unerhört aufreizende Sprache der Presse, deren Zweck, die befürchtete abschreckende Wir kung der in Dresden verhängten Strafen zu paralysiren, unverkennbar ist. Neue Unthaten wie die Löbtauer, neue harte Strafen, neuer Hetzstoff! Was kümmert Wohl und Webe der Arbeitermasse und der einzelnen Arbeiterfamilie die Olympier der Socialdemokratie! Die heftige Abkanzelung, die eine von den CentrumS- blättern benutzte Correspondenz von der Partei leitung erfahren hat, bedeutet einen weiteren Schritt auf dem Niedergange — Eugen Richter'-. Jenes Organ ist bisher durchaus im Geiste und im Stile deS freisinnigen Führers gehalten gewesen; diese Uebereinstimmung namenllich in der Beurtheilung von Heeresangelegenheiten war ein der Centrumspartei oft gemachter und stet-mit dem Schweigen der Verlegenheit hingenommener Vorwurf. Jetzt ist mit ihr gründlich aufgeräumt und zwar eben a»S Anlaß ^iner Militärfrage und noch dazu mit den Unterschriften der Süd deutschen Gröber und Schädler. Es ist Abend geworden, und weder die Heldenthaten eines Blell, noch die Klugheit des Adepten Wiemer, der eben dem Herrn v. d. Recke in der Angelegenheit des SchießerlafseS zu einem billigen Triumphe verhalfen hat, werden daS Hereinbrechen der Nacht über den alten Fortschritt und seinen letzten Führer verzögern. Auch der andere Trümmerrest, der sich Freisinnige Vereinigung nennt, dachte sich dadurch über Wasser ,u halten, daß einer seiner Angehörigen, der Abg. Hanei, am Freitag mit Herrn Liebknecht in Dänenanbetung rivalisirte. Herr Hänel, der in Holstein und nicht in Schleswig lebt, hatte kein Wort übrig gegen die dänische LosreißungS- prvpagaada, dafür appellirte er wegen der Ausweisungen an die Furcht vor dem Auslande. Der bürgerliche Profeffor übertrieb kaum weniger, als Liebknecht, der ver sicherte, Ludwig XIV. habe dem Elsaß die Freiheit gebracht und die deutsche Herrschaft habe sie ihm wieder genommen. Den Dritten im Bunde machte der Abg. Herr Lieber, der die Ungenauigkeiten seiner Gesinnungsgenossen u. a. durch die Behauptung vermehrte, man wolle den Däuischredenden in Nordschleswig die Muttersprache nehmen. Wir bedauern, daß diese Anwälte feindseligen fremden Volksthums von Seiten der nationalen Parteien auS Rücksicht auf das Ausland der Erwiderung gewürdigt werden mußten. Nur dadurch ist eS möglich geworden, daß eine solche Debatte sich auf einen zweiten Tag hinüberspinnen konnte. Hätte man die Herren gar nicht angehört, so würde sie die Furcht vor der Lächerlichkeit bald zum Schweigen gebracht haben. Der in Gmunden residirende Herzog von Cumber land hat seinen Bediensteten verboten, Mitglieder eines nationalen Vereins der Deutschösterreicher zu werden. Cs ist durchaus erfreulich, daß der Welfenprinz sich um politische Angelegenheiten des Reiches, in dem er lebt, zu kümmern be ginnt. Es deutet dies auf seine und seiner Familie Absicht dauernden Verweilens in dem schönen Oesterreich, und falls diese Vermuthung irrig sein sollte, so ist es (weil klärend- doppelt erfreulich, daß der Prätendent auf einen deutschen Thron seine politische Wirksamkeit mit einem Acte der Feind seligkeit gegen daS Deutschthum eingeleitet hat. Der neue Präsident in Frankreich. Mit 483 Stimmen ist der Präsident des Senates, Loubet, zum Präsidenten der Republik gewählt worden, sein Gegenkandidat Msline erhielt 270 Stimmen. Da mit tritt Frankreich in eine neue Phase seiner RcgierungSpolitik. Loubet gehört zu den Radikalen und ist gemäßigter Freihändler; in Bezug aus die Revision hat er noch nicht klare Stellung genommen, doch kann man nach den Vorwürfen, die von den Antisemiten gegen ihn er hoben werden, darauf schließen, daß er der Revision, wie seine Parteigenossen, nicht unfreundlich gegenübersteht. Heutzutage dreht sich nun einmal Alles um die Dreyfussache in Frank reich und nach ihrem Stande sinkt oder steigt vas politische Barometer. Obgleich Loubet mehrere Male Minister und einmal Ministerpräsident war, hat er doch noch nicht viel Redens von sich gemacht. Diese Thatsache verträgt sich mit seinem gestrigen Ausspruche, daß er, wenn er gewählt würde, ein Präsident für das Volk sein und nicht immer nach oben schielen würde. Auch sonst wird Loubet als ein gerader, ehrenhafter, tüchtiger Mann geschildert. Loubet ist jetzt 52 Jahre alt. Er vertauschte 1876 die Laufbahn eines Advocaten mit der deS Politiker- und ließ sich in die Kammer wählen, später kam er in den Senat unv bekleidete den Posten eine- Ministers für öffentliche Arbeiten im Ministerium Tirard 1887 bis 1888. Im Jahre 1802 befand er sich im Ministerium Freycinet, als diese» mit oe. Kirche in Streitigkeiten gerieth. Am 18. Februar 1892 wurde daS Ministerium Freycinet gestürzt und eS kostete Sadi Carnot große Anstrengungen, ein neues Cabinet zu bilden. Erst am 28. Februar gelang ihm daS und Loubet wurde Ministerpräsident. Er übernahm darin das schwierigste Portefeuille, das deS Innern, daS vor ihm Constans innegehabt hatte. Man prophezeite damals dem Cabinet Loubet ein schnelles Ende, allein es hielt sich doch bis zum 28. November 1892. In diese Zeit fällt der Anfang des Criminalverfahrens gegen die Leiter des PanamacanaleS und es fallen darein die Attentate der Anarchisten; Ravachol wurde am 11. Juli hingerichtet. In seine Zeit fällt auch der Selbstmord des Bankiers Neinach, dessen Leichenexhumirung man verlangte, die aber der Iustizminister Ricard nicht be willigte. DaS Cabinet machte die Weigerung Ricard's zur Cabinetsfrage und als die Kammer darauf bestand, dankte es ab. Es fiel über die Leiche Reinack'S. Man kann nickt behaupten, daß daS Cabinet Loubet ruhige Tage gehabt habe, und sein Leiter hat sich in jenen Tagen des Sturme- und Dranges gut bewährt. Loubet wird als ein offener gerader Charakter geschildert. Feirrll-tsn. Wein und Weinverfiilschung. Sin reitgcmätzeS Capitcl aus der Nahrungsmittellehre. Von Vr. Georg Duncker. So weit die Laute deutscher Sprache erklingen, erfreut sich der Wein seit jeher einer besonderen Werthschätzung und Hoch achtung, und auch in anderen Ländern, wo des Bacchus Gabe in unvergleichlich reicherer Fülle gedeiht, als bei uns im kalten Norden, giebt es kein Volt, welches mit gleicher Begeisterung wie das deutsch« die Spende des feuchtfröhlichen Gottes besingt. Der wehrhafte Stamm, der die Küsten der Nord- und Ostsee bewohnt, folgt zwar dem Goethe'schen Wort: „Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden"; er beherzigt aber auch die zweite Hälfte der Sentenz: „Doch seine Weine trinkt er gern", und darum gehört dort der „Rothspon", den Bordeaux liefert, zu den anerkannten Genüssen jedes Trinkverständigen. Größer noch ist der Ruhm des Gewächses, welche» an den Ufern des Rheines und seiner Nebenflüsse, Mosel, Nahe, Main, Saar, Neckar und Jll, gedeiht, und die lateinischen Verse: Lonunr vinuin I'ranconum; ückelius LlosvUavuin; Vivuin IniQSir Optimum Vinuua sst UllsuLuum, werden in ihrer Richtigkeit durch das Urtheil der ganzen Welt bestätigt, welch« dem am deutschen Strom gewachsenen Reben blut die Krone Unter den Weinen zuerkennt. Auch im stamm verwandten Oesterreich wächst kein übler Tropfen; der Steirer hält seinen Luttenberger und Jerusalemer hoch, und wer die Kaiserstadt an der Donau gesehen hat, ohne den Wiener „Hamur" beobachtet zu haben, wie er sich in den Weinorten der Um gebung unter der Wirkung des „Heurigen" entwickelt, hat einen interessanten Einblick in die Volksseele des Deutsch-Oesterreicher» versäumt. Leider wächst im mittleren Europa viel weniger Wein, al» zur Deckung de» Bedarfes der Trinker au»reicht, der billige italienische Landwein, der massenhaft zum Verschneiden gebraucht wird, mundet unserem Gaumen nicht besonder», und so ist e» kein Wunder, daß in einer Zeit, wo man überhaupt in be- bäuerlich großem Maßstabe echte Nahrung»- und Genußmittel durch billigere und mindrrwerthige Surrogate zu ersetzen bemüht ist, die Weinfälschung einen Umfang angenommen hat, welcher dem tiefen Mißtrauen der Weintrinker nur allzu sehr Be rechtigung giebt und obendrein unserem blühenden Weinbau schwere volkswirthschaftliche Wunden schlägt. Das Reichswein- gesetz für Deutschland hat den auf dasselbe gesetzten Erwartungen nicht entsprochen, und «in in Berlin zusammrntrrtender großer Ausschuß soll Maßregeln Vorschlägen, um wenigstens den un erhörtesten Unfug zu verhindern. Keineswegs besser liegen die Verhältnisse in Oesterreich und Ungarn, dessen Weine geradezu in Gefahr waren, in den ärgsten Verruf zu kommen; man hat sich da zum Erlasse eines drakonischen Weingesetzes gezwungen gesehen, auf Grund dessen, um nur ein Beispiel anzuführen, einer Fünfkirchener Firma vor Kurzem ein bereits auf der Bahn befindliches Weinquantum von 80 000 Gulden Werth confiscirt wurde, welches nur einen einzelnen der zahlreichen aus dieser Weinfabrit hervorgegangenen Posten bildete. Eigentlich verdient den Namen „Wein" nur dasjenige Ge tränk, welches aus dem Safte der Trauben ohne weiteren Zusatz auf dem Wege der natürlichen Vergährung und Klärung ent steht; wenn man dem Trinker ein mit ausgepreßten Weinbeeren schalen zusammen vergohrenes Zuckerwasser oder mundgerecht ge machten Obstmost, oder gar verdünnten, gefärbten und parfü- mirten Spiritus als Wein verkauft, so kann über die moralische Qualität dieses Geschäfts kein Zweifel sein, und nur diejenigen Manipulationen sind als erlaubt anzusehen, welche nach den Regeln der sachgemäßen Kellerbehandlung erforderlich sind, um den Wein haltbar zu machen oder zu klären oder bei übermäßigem Säuregehalt zu entsäuern. Allenfalls könnte man sich auch noch über diejenigen Operationen Hinwegsetzen, welch« zur Ver größerung der gewinnbaren Weinmenge mit unschädlichlichen Mitteln dienen. War darüber hinauSgeht, ist vom Uebel und eine Schädigung des Publikums. Sehen wir uns nun einmal einige Stadien der Weinbereitung genauer an, und folgen wir zu diesem Zwecke dem Producenten in den Keller. Ein guter Wein kann allemal nur dann erzielt werden, wenn in dem jungen frisch gepreßten Moste die einzelnen Bestandtheile, nämlich hauptsächlich Zucker und Weinsäure, in richtigem Verhältniß stehen. In ungünstigen Weinjahren ist da« nun keineswegs der Fall. Während ein mittelguter Rhein weinmost etwa 20 Procent Zucker und 0,6 Proccnt Säure enthält, weist ein saurer Most, wie er nach schlechten Sommern nur allzu häufig gewonnen wird, oft kaum 12 Procent Zucker, da gegen aber bis 1,2 Procent Säure und darüber auf; die Extraktivstoffe und aromatischen Oele, welche dem Weine sein individuelle» Gepräge geben, erleiden dabei nur eine geringe Verminderung. 8» liegt nun sehr nahe, dem Moste von 1,2 Proc. Säuregehalt auf je einen Hektoliter Most einen Hekto liter Wasser zuzusetzen. Man hat dann eine Mischung von 2 Hektolitern, welche in der That nur 0,6 Procent Säure enthält, aber allerdings nur 6Procent Traubenzucker; um nun den Zucker gehalt eine- normalen Moste» von 20 Procent wieder zu er reichen, ist weiter nichts nöthig, als auf jeden Hektoliter Mischung 14 Kilo Trouenzucker zuzusehen. Dieses unter dem Namen „Gallisiren" bekannte Verfahren wird im größten Umfange geübt; rS läßt sich gegen dasselbe nichts einwenden, weil eS, wenn guter Zucker genommen wird, absolut unschädlich ist und ganz vortrefflich« Tischweine liefert. Der Producrnt hat dabei noch den Vortheil, je nach dem Säuregehalte des Mostes eine größere Menge Wein zu erhalten, als ohne Verzuckerung sammt Wasserzusatz sich ergeben hätte. Die Weinbeeren enthalten eine solche Menge bouquetbildender Stoffe, daß dieselbe für eine bedeutend größere Menge Wein ausreichen würde, als aus einer bestimmten Menge Trauben durch einfaches Pressen gewonnen werden kann. Auf diese Eigenschaft gründet sich die nach dem Franzosen Pötiot als Erfinder benannte Methode der Weinverlängerung, das Petioti- siren, welches viel bedenklicher ist als das Gallisiren und darin besteht, daß man auf die ausgepreßten Weinschalen eines sauren Jahrganges, die sogenannten Treber, ein dem ausgepreßten Moste an Menge und Zuckergehalt gleiches Quantum Zucker wasser aufschüttet, bei etwas erhöhter Temperatur vergähren läßt und endlich wieder auspreßt. Diese Methode kann man ein zweites, drittes oder viertes Mal wiederholen, je nachdem der Säuregehalt der Trauben war. Dann werden die Resultate sämmtlicher Pressungen mit dem ersten Most zusammengegossen und unter eventuellem Säurezusatz in der gewöhnlichen Weise vergohren. In Frankreich werden ungeheure Mengen Wein, welchen man als Trester- oder Treberwein bezeichnet, auf diese Weise gewonnen; aber auch der deutsche und österreichische Wein trinker erhält sie öfter vorgesetzt als er ahnt, und wenn solcher Wein bei Verwendung guter Ingredienzien auch nicht als schädlich bezeichnet werden kann, so bleibt es doch fraudulös, dem nichtsahnenden Käufer ein Product aufzuhängen, welches nur ein Viertel oder ein Fünftel echten Traubensaft enthält. Das gegenwärtig fast nur noch in Frankreich übliche Chaptalisiren deS Weines besteht darin, daß man die allzu große Säure eines Weines durch kohlensauren Kalk, meistens Marmor pulver, abstumpft. DaS Verfahren bezweckt nur eine Ver besserung deS Weines, aber keine Vermehrung und ist überdies unschädlich. Im höchsten Grade verwerflich sind aber die zahllosen Fälschungen, bei welchen aus ganz fremden Stoffen rin mixturu compositum zusammengebraut wird, für welches nur die Worte aus Richard Wagner's „Tristan und Isolde" an gemessen sind: „Furchtbarer Trank! Verflucht, wer dich gebraut!" Die analytische Chemie von heute ist weit genug vor geschritten, um die Bestandtheile eine» guten Weines mit ziemlicher Genauigkeit festzustellen. Da nun die chemische Industrie die meisten regelmäßig im Wein enthaltenen Sub tanzen auch auf künstlichem Wege, und zwar wert billiger, abricirt, ist es nicht schwer, ohne jede Spur von echtem Trauben ast ein Getränk zu erzeugen, bei dem der Nachweis der Fälschung sehr erschwert, oft geradezu unmöglich ist. Solch« „analysenfeste Weine" werden unter der Herrschaft der geltenden Gesetze von den Weinpantschern, den Händlern und Wirthen ganz ungenirt angrboten und entziehen sich der Entlarvung I durch den Nahrung»mitt«lch«mikrr und der gesetzlichen Ahndung. I Unbedingt verwerflich vom gesundheitlichen Standpunkte wären sie ja auch nicht, wenn der Fabrikant sie aus den reinsten und edelsten Rohmaterialien zusammengöffe. Man würde dann eben einen feinen, sehr verdünnten und parfümirten Alkohol, um es mit einem Worte auszudrücken, eine Art Spiritusbowle trinken, wie man ja auch die starken Alkohole von künstlicher Zusammensetzung, nämlich die Liköre, ohne Skrupel gcnießi. Die reinen Rohstoffe sind aber den Fabrikanten viel zu theuer, und wenn man ordinäres Material nimmt, winkt ein ganz ungeheuerlicher Gewinn von mehreren Hundert Procent, der leider nur zu oft moralische Bedenken niederschlägt. Schlecht entfuselter Spiritus, welcher den giftigen Amylalkohol enthält, wenig oder schlechten Zucker, dafür desto mehr Saccharin, dann Glycerin, ein Quantum Weinsäure, etliche Mineralsalze, ein wenig Farbstoff und zum Schluß ein Fläschchen des zur Er zeugung des Bouquets nothwendigen ätherischen Oeleü geben ein Kunstproduct, welches höchstens 12 pro Hektoliter kostet, aber dafür dem nichtsahnenden Lonsumenten, der täglich etwa 1 Liter Wein genießt, alle jene nachtheiligen Folgen und Ge sundheitsstörungen zuzieht, welche er zu gewärtigen hat, wenn er andernfalls durch längere Zeit täglich ein viertel bis ein drittel Liter jenes ordinärsten Trinkbranntweins zu sich nehmen würde, gegen den sich mit Recht eine täglich zunehmende Agitation als gegen den ärgsten Volksverderber richtet. Man braucht kein Puritaner und Temperenzler zu sein, um einem solchen Getränke den Krieg zu erklären, welches nicht nur eine enorme Schädigung des Geldbeutels ist, sondern am Marke der Nation zehrt. Der Kampf gegen die Fälschung ist ein um so schwererer, je größer die kauflustige Menge und je kleiner das bei uns producirte Quantum Naturwein ist. Andere Völker sind da weil besser daran. Während in Spanien auf den Kopf der Be völkerung 115 Liter, in Griechenland 109, in Italien 95, in Frankreich 94, in der Schweiz 60, in Rumänien 51 Liter Wein als Consumquantum entfallen, sinkt dasselbe in Oester reich-Ungarn auf 22 und in Deutschland auf 6 Liter pro Kopf und Jahr, und man kann sich daraus einen Begriff machen, welche Mengen von Kunstwein in den letztgenannten Ländern all jährlich getrunken werden. Unter diesen Umständen kann man nur der jetzt in Berlin tagenden Weinconferenz zu den Berathungen, wie der Fälschung am zweckmäßigsten entgegen zu treten sei, besten Erfolg wünschen und dem poetisch zwar wenig formvollendeten, aber um so wahreren Stoßseufzer eines Weinliebhabers beistimmen, der einst dichtete: Wenn auch kein Steinwein — Wenn nur kein Weinstein. Wenn auch kein Mainwein — Wenn nur der Wein mein. Wenn auch kein Rheinwein — Wenn nur der Wein rein. Dann will ich stets mein — Dasein dem Wein weihn.
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