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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.02.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189902263
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990226
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990226
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-26
- Monat1899-02
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.02.1899
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BezugS-Preis ftt ß« Henrptttzpiditton oder den n» Stadt. b«ttrk «d d« Vororten errichtete« AoS» gabestelle» abgeholt: vierteljährlich X4bO, bei zweimaliger täglicher Zu fiel lang in* Hau» S.bO Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6 —. Direkte tägliche Kreuzbaudiendung in» Ausland: monatlich 7.Ü0 Dir Morgen-Ausgab« erscheint am '/,? Uhr. die Abend-Ausgab« Wochentag» um ü Uhr. Ne-artio« und Erpeditiou: 2ohanni»gaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen gröffurt von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Ltk» Ak««» » Sarit«. (Alfred Hahn), Universitüt-skrabr 3 (Paulinum), Lani» Lösche, Katharinenstr. 14, pari, und König-Platz 7. UchMerTageblatt Anzeiger. Ämtslikatt des Königliche» Land- und Amtsgerichtes Leipzig, ded Nathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Arizeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile LO Pfg. Reclame» unter dem RedactioaSftrich (4g— spalten» 50^, vor den Familiennachrtchtra (S gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis.' Verzeichnis Tabellarifcher uud Ziffer ns», tz nach höherem Tarif. Extra»Vetlageu (gefalzt), nur mtt der borgen-AuSgab«, ohne Postbesörderung 60—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgab«: Bormittag» 10 Uhr. Morgeu-AuSgabr: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» find stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pvlz in Leipzig- 83. Jahrgang. M Sonntag den 26. Februar 1899. Aus -er Woche. Wüßte man es nicht längst, daß die Socialoeniolrarie die Parlamentarische Thätigkeit nicht als einen Weg zu praktischer politisier Arbeit, sondern als ein Mittel zur agitatorischen Bearbeitung der Massen ansieht — „Genossin" Rosa Luxemburg hat diesen socialdemotratischrn Grundsatz noch am letzten Mitt woch in der „Leipz. VolkSztg." mahnend in Erinnerung gebracht —, so hätten die ReichStagsoerhandluugen über das Dresdener Urthril auch dem Unkundigsten hierüber die Augen geöffnet. Die Scenen, die namentlich in der Donners- taassitzung des Reichstages sich abspielten, rufen die Stürme des französischen Convents ins Gedächtniß zurück. Wenn eine Reihe socialdemokratischer Abgeordneter deni sächsischen Bundesrathsbevollmächtigten Rüger, während ec sprach, nn eigentlichen Sinne des Wortes auf den Leib rückte, so hätte man zunächst aus eine unbewußte, dem Mangel an Erziehung entsprungene Belästigung schließen dürfen. Daß die Herren aber Schlimmeres im Schilde führten, daß sic den Generalstaatsanwalt Rüger mit der Absicht, ihn zu verwirren und einzuschiichtern, umdrängten, zeigten sie durch die unerhörte Behandlung, die sie dem Aicepräsidenten Schmidt zu Theil werden ließen, als er sie aufforderte, ihre Plätze einzunehmen. Man beachte wohl: ein Mitglied der freisinnigen Partei war rS, der als Präsident jene Anordnung traf — ihm wird man Voreingenommenheit gegen die Socialöemokraten nicht nachsagen können. Hätte Herr Schmidt ein Eingreifen des Präsidiums nicht für unerläßlich gehalten, so würde er davon Abstand genommen haben. Und hätten die sorialdemolratischen Ab geordneten ganz absichtslos neben dem Platze des General- staatsvnwalts Rüger Posto gefaßt, so wären sie der Auf forderung des Dicrpräsidenten ohne Weiteres nachgetommen. Sie thatrn es nicht, widersprachen, brüllten, beschimpften den Vice präsidenten und haben sich dadurch derrathen. Der Reichstag wird hoffentlich hieraus die Lehre ziehen, daß das Präsivium die Prfugniß zu wittsamer Ahndung von Beschimpfungen haben muß, die ihm entgegengeschleudert werden, während es Maß nahm«« für die Aufrechterhaltung des parlamentarischen An- standeS und der Redefreiheit der Regierungsvertreter trifft. Vom Präsidium wird man wohl erwarten dürfen, daß eS von dieser Befugniß rücksichtslosen Gebrauch selbst seinen Wählern gegen über machen werde. Der Abg. Heine hat sich die größte Mühe gegeben, den Zusammenhang des Löbtauer Excesses mit der socialdemokratischen und der gewerk schaftlichen Aufhetzung in Abrede zu stellen; er l-at eine derartige Behauptung zwar nicht direkt als Lüge, aber Loch alS der Lüge sehr nahe kommend bezeichnet. Das war um so dreister, als von socialdemokratischer Seite selbst un antastbare Zeugnisse für das Gegentheil vorlirgen. In der Stummer 6 drS „Correspondenzblattes der Generalcommission der Gewerkschaften Deutschlands" erschien ein Artikel, unter zeichnet „Die Generalcommission der Gewerk schaften Deutschlands", in dem wörtlich gesagt wird: „Zeder Gewaltthat abgeneigt, können wir das Verhalten der Arbeiter nicht gut heißen, aber es ist zu berücksichtigen, daß dieM otive, die sie let teten, von dem Arbeiterstandpuncte auL betrachtet, alles Andere eher alS schlecht und gemein waren. Sie wollten die schwer errungene Arbeitszeitregelung nicht durchbrochen wissen. Wer den Arbeitern das Recht zu- gcsteht, gemeinsam die Arbeitsoerhältnissr in einem Gewerbe zu regeln, der muß die Moiive, welche die Verurtheilten bei der unglückseligen Handlung leiteten, als strafmildernd ins Gewicht fallend betrachten. . . . Die Abschreckungstheorie har noch nie Erfolge gehabt, am allerwenigsten in den socialen Kämpfen der Gegenwart. Die Arbeiter lassen sich nicht schrecken, weil sie durchdrungen sind von dem Bewußtsein, ihre Rechte zu erkämpfen und zu vcrtbeidigen. Die Opfer werden beklagt, die Wunden, die Einzelnen geschlagen sind, zu heilen versucht werden, aber seinen Platz im Kampfe ums Recht wird kein Arbeiter verlassen. Im Gegenrheil, das Bewußtsrin, vielleicht morgen ein Opfer der Classenherrschaft zu werden, wird die Arbeiter so eng aneinander ketten, daß sie die Grund vesten der auf der Gewalt des Besitzes aufgebauten gegenwärtigen Gesellschaft erschüttern werden." Hiernach steht fest, daß die Generalcommission der Gewerk schaften Deutschlands in offiriellstcr Form die Motive dec in Dresden Verurtheilten, eben weil jene Motive gewerkschaftlicher Natur waren, sich vollkommen zu eigen gemacht hat. In dem selben Sinne hat sich der Abg. „Genosse" I>r. Gradnaurr in der Donnerstagssitzung des Reichstages ausgesprochen. Dem „Vorwärts" zufolge sagte er: „Soweit gttverkschaftliche An gelegenheiten mitsprechen, bilden sie gerade den allererl-eblichsten Milverungsgrund- Wenn die Arbeiter darauf bedach! waren, die Ueberarbeit zu bekämpfen, so war das «ine edle Aufgabe. Wenn trotz der vorstehenden, von der Linken mit „Sehr richtig" begrüßten Worten „Genosse" I)r. Gradnauer unmittelbar vorher behauptete: „Uebrigens handelte es sich hier gar nicht um eine Gcwertschaftsang«legenheit, denn die Arbeite: sind ja gar nicht wegen Vergehens gegen 8 153 der Gewerbe- Ordnung verurtheilt worden" — so ist eine solche Behauptung nichts weiter als eine Finte; sonst wäre von „Gewerkschaftsange- legenheiten" nur in Bezug auf die Bedrohung, Beleidigung, Verrufsrrklärung und Mißhandlung Arbeitswilliger zu reden, uns jede Gewerksckwftsaction gegenüber einem Arbeitgeber wäre leine Gkiverkschaftsangelegenheit! Im Gegensätze zu derartigen Winkelzügen hat das „wissenschaftliche" Organ der Socialdemo kratie, die „Neue Zrit " , in «inem Berliner Briefe den Zu sammenhang der Ausschreitungen selbst mit der „Arbeitersache", d. h. mit der socialdemokratischen Agitation, unumwunden ein geräumt. Die „Neue Zeit" schrieb wörtlich: „Sich auf den Standpunkt stellen: nein, das ist nicht wahr, die Ausschrei- tungen der verurtheilten Arbeiter hatten nichts mit der A r b e i t e r s a cd e zu thun, heißt jene verhängniß volle Taktik befolgen, die Lassalle schon mit herben Worten als das Gegentheil einer erfolgreichen revolutionären Politik gegeißelt hat. Man täuscht dadurch nicht die Feinde, aber wohl die Freunde. Die herrschenden Classen werden, und wenn man ihnen mit Engelszungen das Gegentheil versichern würde, immer dabei bleiben, daß Ausschreitungen, wie sie in dem Dres dener Proceß abgeurtheilt worden sind, die Früchte der Arbeiter bewegung seien. Wohl aber wird die Auffassung der Freunde der Arbeiter selbst irre geleitet, wenn man bis zum Ueberdruß wieder holt, es habe sich nur um eine gewöhnliche Rauferei gehandelt, die dann freilich ein sehr schlechtes Licht auf die Rohheit der verurtheilten Arbeiter werfen würde. Nein, man vkrurtheile die Rohheit, die sich wirklich gezeigt hat, so scharf, wie man will . . . ober man vergesse darüber nicht, daß die verurtheilten Arbeiter so furchtbar büßen müssen, nicht wegen ihrer persönlichen Fehltritte, die sonst verhältnißmäßig leicht bestraft worden wären, sondern weil die letzte Ursache dieser Fehltritte, hr durchaus berechtigtes C la sj e n b e w u ß 1 sei n w a r." Die socialdemokratische „Neue Zeit" ist also, um die gewählte AuLdrucksweise des „Genossen" Heine zu gebrauchen, der Lüge ebenso nahe gekommen, wie Generalstaatsanwalt Rüger. DaS „Berliner Tageblatt" hat Briese des Grafen von Caprivi veröffentlicht, die an einen seiner Redakteure in den Jahren 1895—98 gerichtet waren. Das genannte Blatt irrt in der Annahme, mit seiner Veröffentlichung tem Andenken des Grasen von Caprivi einen Dienst geleistet zu haben. Nicht ein mal die Verehrerbes zweiten Reichskanzlers dürften der Meinung sein, daß die in den Briesen niedergeleztrn Aeußerungen „die Ver ehrung für seine achtunggebietende Persönlichkeit nur noch zu steigern vermögen". Der Historiker aber wird die Publikation auch dann willkommen heißen, wenn er der Meinung ist, sie hätte noch nicht zu erscheinen brauchen. Denn ohne Zweifel sind die Briefe für den Grafen von Caprivi im höchsten Grade charak teristisch, ja, man kann sagen, der Brief vom 25. Februar 1895 enthält den Schlüssel für seine innere Poli- t i k. Das Gegentheil von dem thun, was Fürst Bismarck in der inneren Politik gethan —, diese Maxime ergab sich für den Grafen von Caprivi aus der schon vor dem Eintritt ins Kanzler amt gewonnenen „Erkenntniß", vaß Fürst Bismarck, „wie ja schon oft ausgesprochen ist," den sittlichen Siandaiv" der Nation gefährde! Von wem derlei ausgesprochen wurde, das kümmerte den Grafen von Caprivi nicht: die Polen, Welfen, Socialdemo- kraien und Demokraten „versöhnend", wollte er die Nation „ihre alten Tugen!:«::" wicderfinden lassen. Welch eine Selbst täuschung, welch eine Verblendung! Derselbe Mann, der die wichtigsten Ueberzrugungen, wie er selbst sagt, „erst als Reichs kanzler mühsam erwarb", der achtete die Menschenkenntniß eines Wilhelm l. für nichts, sah in dessen treuem deutschen Diener einen Menschen, der den sittlichen Standard der Nation gefährde. Da? Schicksal hat dem' Grafen von Caprivi die Buße für diesen schweren Irrthum nicht erspart: er hat die Umkehr zu Bismarck scher Politik von Etappe zu Etappe miterlebt. Ein Irrthum Caprivi's ist es auch, ivenn «r meint, die deutsche Nation habe sich dadurch erniedrigt, daß sie «inen Mann, den sie viele Jahre als Kanzler „ertragen", als so „iverthlos" hinstelle. Graf von Ca privi selbst hat am 15. April 1890 im Abgeordnetenhaus?, wo er sich durch ein« Ansprache einführte, aus seinem Gefühle 4es persön lichen Deficits kein Hehl gemacht und hinzugefiigt, daß Kaiser Wilhelm II. geeignet sei, die vom Fürsten Bismarck gelassene Lücke „zu schließen und in den Riß zu treten". Indessen, wir verargen dem Grafen von Caprivi die Bitterkeit nicht, die durch die ihm widerfahrene Geringschätzung in ihm genährt wurde. Daß es aber «in Angestellter des „Berliner Tageblat tes" ist, vem er sein Herz ausschüttele, dafür würde uns das Verständnis fehlen, wenn es für ihn nicht so bezeichnend wäre. Der Gedanke, dem großen Vorgänger des Grafen durch die Errichtung eines Bismarck-Hauses ein Denkmal deutscher Treue zu errichten, hat auch in Berlin Anklang gefunden — unter der Voraussetzung natürlich, daß dieses Denkmal in Berlin scincn Platz finde. In einer an die „Nat.-Ztg." gerichteten Zu schrift wird diese Forderung folgendermaßen begründet: „Hier, wo BiSmarck mehr als eia Menschenleben hindurch sein großartiges Wirken entfaltete, wo das nur durch dir C:ni„un^ Deutschlands ermöglichte, fast beispiellose Aufblühen der Stadi, die Denkmäler, die öffentlichen Bauten, ja schon die Straßen neunen immer an sein Werk gemahnen werden, hier ist die Stätte, wo auch das Bismarck-Hau» seinen Platz finden muß. Ein Monumentalbau, nicht zu groß, in einfachen uud, bei dem Wesen des Titanen, doch grandiosen Formen, soll daS Bismarck Haus werde», in welchem Alles, waS der groß« Führer und Einiger der Nation selbst gedacht, gesprochen uud gethan, waS Wissenschaft, Kunst, Publicistik über ihn und sein Werk geschaffen und geschrieben, Gemälde, Statuen, Bücher, Archivpublicatione», Zeitungen, Humorisrica, zusammengetragen werden soll zu einem großen Ehren- denkmal für den Gefeierten. Auch da» jetzt in dem abgelegenen Schönhausen säst versteckte Bismarck-Museum würde die Pietät des Sohnes und Erben zweifellos gern dem BiSmarck-Haus zur Verfügung stellen." Wer bürgt denn dem Herrn Einsender dafür, daß in Berlin 'sie Errichtung eines rerartigen, große historische Walwheilln kündenden Denkmals für den „Märzgefallenen" von 1890 ebenso bewilligt wird, wie die Errichtung einer stummen Statue von Erz, oder daß sich die Bewilligung nicht wenigstens ebenso der zögert, wie die Bestätigung des „Oberbürgermeister" Kirschner / Wer bürgt im besten Falle dafür, daß ein Bismarck-Haus in de. Reichshauptstadt Wittlich ein „Monumentalbau, nicht zu groß, in einfachen und, bei dem Wesen des Titanen, doch grandiosen Formen" werden darf und nicht vielmehr ein Bau im moder nen Empirestil werden muß? Wer bürgt dafür, daß seine Schätze durch die Wissenschaft stets ungestört gehoben werden können, und wer mag bei solcher Unsicherheit den Besitzern werth voller Bismarck-Reliquien ansinnrn, sie nach Berlin zu liefern? Wer endlich wird sich dem naiven Glauben hingebrn, daß Geld spenden zur Verwirklichung des Planes, namentlich au- Süd- deutschland, in genügender Zahl uns Höhe eingehen würden, wenn das Bismarck-Haus wirklich seinen Platz in Bersin haben müßte? U. A. w. g. Deutsches Reich. KK Berlin, 25. Februar. Der Entwurf eines Ge setzes, betr. di« Patentanwälte, welcher dem Bun desraih zur Berathung vorliegt, bestimmt Folgendes: Wer, ohne Rechtsanwalt zu sein, vor dem kaiserl. Patent amt in Angelegenheiten, welche zum Geschäftskreise de» Paten: amts gehören, andere Personen für eigene Rechnung gewerbL mäßig vertreten will, hat bei dem Patentamt seine Ein tragung in die Liste der Patentanwälte nachzusuchen. Dem Gesuche ist eine Darlegung des Lebens- und Bildunge ganges mit den darüber lautenden Nachweisungen beizufügen. Die Einwägung darf nur Personen gewährt werden, welche das 25. Lebensjahr vollendet haben und im JnlaNde wohnen. Die Eintragung in die Liste ist zu versagen, wenn der Antragsteller in Folge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über sein Vermögen beschränkt ist, oder wenn er sich eines Verhalten» schul dig gemacht hat, oder eine Beschäftigung betreibt, welche mit dem Beruf eines Patentanwalts nicht vereinbar ist. Der Patent Liautschauer Allerlei. n. Der Landweg nach dem so berühmt gewordenen Kiau - tschau selber erfordert btt den aller Beschreibung spottenden miserablen Wegen zu Pferd mindestens anderthalb Tage, wes halb v. Hesse-Wartegg den Seeweg über die Bucht vorzog. Dabei kam er aber erst recht schlecht weg, denn alle hundert Schritte weit blieb die Dschunke im Schlamm stecken, rin Beweis, daß erst noch viel gethan werden muß, ehe Kiautschau auf den Namen Wttt-HafenplatzvollenAnspruch erheben darf. Kiautschau galt bis in die Mitte dieses Jahrhunderts als Großstadt, wurde aber in dem schrecklichen Taipingkrieg verwüstet und verlor auch in Folge der Versandung des Hafens seinen Handel; es wird sich kaum wieder zu seiner früheren Blüthe emporheben. Immerhin sind di« Rrst« der einstigen Großstadt noch recht beachtenswerth, es hat zahlreiche ansehnlich« Gebäude, viele Kaufläden und rein lich« Straßen, di« mehrfach von schönen Stttnbogen überspannt werden. Das Mandarinshotel ist in jeder Stadt Chinas das größte und reinlichste, bestimmt, nur Gäste von hohem Range auf- zunehmen. So dient es denn auch den deutschen Officieren als Wohnung. Man darf aber nicht glauben, daß sich dieser Tsain- san mit irgend einem europäischen Hotel auch nur deS be scheidensten Ranges vergleichen ließe, obschon der gute Mandarin Lo r» für den Empfang v. Hesse-Wartegg's, der über hohe Empfehlungen deS Pekinger Ministeriums verfügte, auch noch festlich auSgeschmückt hatte. Ein ebenerdiges Gebäude, mehr einem Stalle al» einer Wohnung ähnlich, wurde ihm und seiner Begleitung angewiesen. Einige Stufen führten in einen Raum mit Lehmwänden und Lehmboden, in welchem sich als einzige Möbel ein wackliger Tisch und zwei Stühle befanden. Zwei Feaster, mit zerrissenem Papier überklebt, ließen spärliches Licht eia. Di« hölzerne Thür hatte weder Schloß noch Klinke und war nur von innen durch einen schweren Holzritgel zu ver schließen. Zu beiden Seiten de» Saale» befanden sich Schlaf zimmer, d. h. finstere feuchte Löcher mit je zwei Holzpritschen, auf welchen Strohmatten lagen. Das war Alles. Nicht viel, aber doch uoch mehr, al» man in dielen anderen Städten China» findet, denn die Räume waren wenigstens reingefegt und zeigten nicht fingerdicken Staub, Schmutz und anderen Uarath. Wer gewöhnt ist an die Art d«S Reisen» im Reich der Mitte, bringt sich gleich Kerzen, Waschzeug, Feldbett, Nahrungsmittel, Kochgeschirr und bei kalter Jahreszeit einen kleinen Ofen mit, wenn er sich irgend behaglich fühlen will. Am anderen Morgen macht« v. Hesse-Wartegg feinen Besuch bei d«m Mandarin. Unter großem Ceremoniell betrat Lo den Empfangssaal und wies dem Besucher einen Platz zu seiner Linken an, das ist der Ehrenplatz, setzte ihm mit beiden Händen selbst den Thee vor und ließ sich nieder. Lo ist ein älterer Herr von gutmüthigem Aussehen, den der Mandarinshut mit blauem Knopfe und daS lange dunkelblaue Mandarinökleid mit buntgesticktem Brustschiko vortrefflich kleidet. Er war voll deS Lobes über die deutschen Officiere, deren Namen er sogar, aller dings in chin«sisch«r Aussprache, nannte. Er hoffte auf rin friedliches und frrundschaftliches Zusammenwirken mit dem neuen Nachbar und war hocherfreut, zu hören, daß die sieben ihm zwei Tage vorher entsprungenen Verbrecher schon von den Deutschen eingefangen seien. Lo ist voll Enthusiasmus für die kommende Eisenbahn, von der er sich viel für die weit über 50000 Ein wohner zählende Stadt verspricht. Eine halbe Stunde darnach «rwidette Lo den Besuch mit allem Mandarinspomp. Er ist ein sehr redseliger Herr und wäre gewiß über eine Stunde in v. Hesse-Wartegg's „Wohnstall" fitzen geblieben, hätte dieser nicht seine Theetaffe an die Lippen geführt, was als Zeichen dafür gilt, daß man einem Besuch ein Ende machen will. Wer Herrn Lo in ettixie sehen will, findet ihn in dem schon Eingangs gewür digten neuesten Wette unseres Gewährsmanns: „Schantung und Deutsch-China im Jahre 1898" mitten unter seinen Beamten in vortrefflicher Abbildung. Als v. Heffe-Wattegg am andern Morgen durch das nördliche Stadttchor weiter zog, gewahrte er in demselben, nahe der Decke, drei hölzerne Käfige, in welchen sich ebenso viele Paare einst weißer Mandarinsstiefel befanden. Sie rührten von guten, be liebten Mandarinen her, welche die Bewohner dadurch ehren wollten, daß sie sich in großer Procession zu ihnen begäben und ihnen die Stiefel von den Füßen zogen, um die hohen Beamten symbolisch zu hindern, daß sie jr die Stadt verließen. Wahr scheinlich ist zu diesen drei Käfigen bald ein vierter gekommen, welcher die Stiefel Lo's enthält, denn Lo ist wirtlich ein guter Mandarin. In den Dörfern deS deutsch-chinesischen Gebietes zeigte sich größere Reinlichkeit und auch meist größerer Wohlstand, als in denen mancherGeb'tteAltdeutschlands. Di«Häuser sind fast durch weg aus Stein gebaut, mit Strohdächern und kleinen ummauerten Vorhöfen, in denen man nicht selten Obstbäume, hohe Bambus stauden, ja große Camelienbäum« gewahrt, deren rothe Blüthen aus dem dunkelgrünen Laub hervorleuchten. An den Ettben der Hauptstraße erheben sich gewöhnlich schmucke kleine Tempelchen mit «in paar Götzen, in der Straße selbst zuweilen gemauerte offene Altäre mit kleinen Buddhafigürchen. Die Feldfrllchte werden in steinernen Mohlmühlen zerkleinert, die gewöhnlich von Frauen bedient werden, welche daS Getreide auf den unteren Stein schütten, den Esel antrribrn, Säcke hrrbeitragen re., trotz ihrer winzigen verkrüppelten Füße, die selbst bei den niedrigsten Fabrikarbeiterinnen in ganz niedlichen gestickten Schuhen stecken. Kommen Fremoe in ein Dorf, was sich bisher wohl noch sehr selten ereignet hat, so läuft gewöhnlich die ganze Bevölkerung zusammen, um sie anzustaunen, mitunter auch freundlich zu be grüßen; die Frauen aber laufen davon und kehren den Fremden den Rücken zu, ebenso die kleinen Kinder und die zahlreichen Hunde. In den Städten ist man dreister. In Wei-Hsien, daS jenseits der neutralen deutschen Zone liegt, konnte v. Hesse-Wattegg sich der Zudringlichkeit der Einwohner kaum erwchrrn. Während er am Brückengeländer stand und das Stadtbild aufmerksam in sich aufnahm, bemerkte er gar nicht, daß er selben allmählich zum Gegenstand der Neugier aller Passanten wurde. Als er sich um sah, stand ein dichter Volkshaufen vor ihm, zögernd, stumm, mit weitgeöffneten Augen und Mäulern. Schritt er rasch durch die Straßen, ohne sich umzu sehen, so «wurde er weniger brachtet, blieb er nur einen Augenblick stehen, so saßen ihm die Neu giengen schon auf den Fersen, und wiederholte er das mehrere Male, so wurde die Straße überhaupt nicht mehr paffirbar. Zeigte er die geringste lächelnde Miene, so brachen alle in lautes Gelächter aus, schienen höchst amüsirt und wurden zutraulich. Zog er die Stirn zusammen, und Hob dabei etwa plötzlich die Hand oder machte eine rasche Vorwärtsbelvegung, so stob Alles entsetzt auseinander, wie vor einem entsprungenen Raubthier. Um sich Platz zu schaffen, schwenkte er seinen aufgespanntrn Schirm mit Stahlrippen, diese drückten sich in das Oelpapier der bunten Schirme der Umstehenden ein und krackS, kracks, gab es überall Löcher, und alle Schirmträger suchten unter dem Riesen gelächter der übrigen Menge das Weite. Die Neugierde der Chinesen ist überhaupt unbezähmbar, hierin sind sie di« reinen Kinder. Ein Beispiel! vr. Crawsord, ein Baptisiemniffionar, ist mit seiner Gattin bereits seit 44 Jah ren in China thätig und hat fast ebensoviele Jahre chinesische Kleidung und den chinesischen Zopf getragen. In der ersten Zeit seiner Thätigkeit hielt er die» unter seiner Würde. Ja, die euro päische «Kleidung schien ihm auf seinen ersten Mission «Wande rung en entschieden von Vortheil, denn kaum wurde die Ein wohnerschaft der verschiedenen Orte, in denen er predigen wollte, seiner ansichtig, so strömte sie auch schon um ihn zusammen, und er brauchte sich seine Zuhörer nicht erst herbeizutrommeln. Alle waren begierig, zu erfahren, WaS der Mann mit dem hohen Filzhute, den engen Beinkleidern und Lederstiefeln — die Chi nesen kragen Filzschuhe — ihnen zu sagen hatte, noch begieriger aber warrn sie, seine seltsamen Kleidungsstücke zu befühlen und zu untersuchen. Mitten in den Predigten wurde er von den Neu gierigen unterbrochen, di« direkt auf ihn zukamen, um ihn zu fragen, aus was für Stoffen seine Kleider gemacht seien, oder in welcher Weis« man Vie Lrderstiefel an- und autziehe. Der Gott, von dem er predigte, interessirte die Leute viel weniger als die Fragen, wie er denn ihre Sprache gelernt, wichrr er käme u. s. w. Sie ließen nicht nach, Jeder wollte etwa» er fahren und vr. Crawsord kam niemals zu einer zusammen hängenden Predigt. Da kam er auf den Gedanken, jedes Ma' alle die zu erwartenden Fragen im Voraus zu beantworten, indem er feine Predigt etwa folgendermaßen einleitete: „Meine Brüder, ich stamme aus Amerika, meine Hosen sind au» Woll stoss, den Ihr in Shanghai zu 2 Tiau die Elle beziehen könnt, meine Stiefel sind aus Kalbleder und werden gerade so über die Füße gezogen, wie Eure Strümpfe. Eure Sprache habe ich in Peking gelernt und ich komme, um Euch von dem einzigen, wahren Gott zu erzählen u. s. w." Das befriedigte di« meisten der Zuhörer. Geduldig hörten sie seine Rede zu Ende, aber statt daß sie dann über dieselbe nachgodacht hätten, begannen sie da-; Fragen von Neuem. Da sah unser Missionar ein, daß es da- Einfachste sei, sich ganz so zu kleiden wie die Chinesen und wie die katholischen Missionare es thun. Seitdem hatte er Ruhe und konnte ohne Unterbrechung und mit Erfolg predigen. Ueber die geplanten Eisenbahnen denken nicht Alle so, wie der aufgeklärte Kiautschauer Mandarin, Lo, Manche bezweifeln die Rentabilität und der Eine und der Andere meint, die Bahnen könnten für das Land nicht segensreich sein, weil durch sie vielen Tausenden von Schubkarrenfahrern ihr Erwerb entzogen würde. „Der größte Theil der Provinz", sagt« ein Schantungrr Man darin, „wird jetzt auf Schubkarren vermittelt. Passagiere una Frachten werden auf solchen von Karrenziehern befördert; jeder Karrenzieher legt mit seinem Karren täglich etwa 50 lcia zurück und erhält einen Tagelohn von durchschnittlich einem tTiao (90 Pfennige). Wir haben vielleicht eine Million Korkenzieher in der Provinz. Wenn die Eisenbahnen kommen, WaS soll aus den Leuten werden?" Ganz so, wie einst auch bei uns in Deutschland! Bald aber wird das Volk rinsehen, daß die Eisenbahn ihm nicht nur den Verdienst nicht nimmt, sondern ihm sogarVettehr bring:, den sie von den einzelnen Stationen ins Innere und umgelehrt von diesem nach den Stationen doch zu bewältigen haben werden. Der Chinese ist Geschäftsmann durch und durch. Er wird den Dortheil bald wahrnehmen, den er von den deutschen „rothhaa- rigen Barbaren" hat. Jetzt herrscht noch Mangel an Häfen und Verkehrsmitteln in Schantung. In den Bazaren der verschiedenen Städte, auf dem Markt« u. s. w. findet man keine europäischen Maaren. Mi: Ausnahme englischer Baumwollstoffe sieht man nur kleine ameri konische Gebrauchsartikel, Petroleum, schlechte japanische Streich Hölzer und noch viel schlechtere japanische Cigaretten. In der Nähe von Tschifu und Tsingtau werden in den Dörfern und auf den Wochenmättten in den Städten leere Bier- und Weinflaschen, alt« Pettoleumkannrn und leere Zinnbüchsen feilgebotrn, aus Japan billige Gewebe, Handtücher und Stoffe. Scbantuna bietet also ein geradezu jungfräuliches Felo für die Einfuhr deutscher Maaren, ein« günstig« Aussicht für unseren deutschen Handel! - —
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