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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990227025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899022702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899022702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-27
- Monat1899-02
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Ve-»ss»Vrets der Haupt»zp»dt1io« oder den km (Stadt, dezkrk und de« Vororten errichtete» Au», gavestellni abgeholt: vierteljährlich^l4.L0, bei zweimaliger täglicher Zustellnag in« Hanl ^l V^O. Durch die Post bezogen für Drutjchlaud nnd Oesterreich: vierteljährlich ^l -.—. Direkte täglich« Kreuzbandiendung in» AnSland: monatlich 7.Ü0. Di« Morgrn-AuSgab« erscheint um '/,? Uhr. die Abritb-AuSgabe Wochentags um b Uhr. Uüactis« «n- Expedition: J»tzanui»»asfe 8. Die lkxpeditioa ist Wocheatags uuunterbrvchen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: ktt» Nie««'» La.ti«. (Alfred Hahn», UniversitätSstrahr 3 (Panliuum). Larri» Lösche, Latharinenstr. 14, pari, mrd KSnigSplatz 7. Abend-Ausgabe. MipziZtr TaMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes nnd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. 1«ö. Montag den 27. Februar 1899. Anzeigeu-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pffl. Reclamea unter dem Redactivussirich <4g». spalten) 50 vor den Famitiennachrichreu (6gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffnniatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), »ur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesbrderung .6 60.—, mit Postbesördcrnng 70—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. Februar. Die Nachricht, daß der bereit» verloren gegebene Dampfer der Hamburg-Amerikanischen Packetfabrtgesellschaft „Vulgaria" Dank der Tüchtigkeit seine» CapitänS und der Mannschaft gerettet und glücklich auf den Azoren gelandet ist, bat im ganzen deutschen Reiche lebhafteste Befriedigung hervor gerufen: nicht nur im Hinblick auf die Erleichterung von banger Sorge um die vielen Menschenleben, die dem Schiffe anvertraut waren, sondern auch darum, weil die musterhafte DiSciplin der Besatzung vor aller Welt einen glänzenden Beweis de» Pflichtgefühl» und de» TodeSmuthes deutscher Seeleute abgelegt hat. Zn Folge dessen wird auch die Ehrung, die den Braven am Sonnabend auf Veranlassung deS Kaisers im Reichstage zu Theil geworden, bei allen Deutschen ohne Unterschied der Partei die herzlichste Zustimmung finden. Bon dieser Ueberzeugung sollte man sich auch im Aus lände, besonders aber in den Vereinigten Staaten durchdringen lassen, wo nicht nur ein Tbeil der Presse, sondern auch manche einflußreiche Persönlichkeit noch immer der Meinung zu sein scheint, nur an den deutschen Küsten nehme man wärmeren Antheil an dem Wohl und Wehe der deutschen Seeleute und an der Ehre ihrer Führer. D i e Zeiten, in denen eine solche Annahme zutreffend war, sind längst vorüber und selbst in den abgelegensten Thälern des bayerischen Hochlandes wird der Stolz auf die deutsche Kriegs- und Handels flotte und ihre pflichttreue Besatzung in den Herzen lebendig. Wie eine ihnen selbst zugesügte Beleidigung wird auch tief im Binnenland« von Millionen jede Schmähung der opfermuthigcn Männer empfunden, die den Gefahren deS Meeres Trotz bieten, deutschem Unternehmungsgeist neue Wege eröffnen und an fernen Küsten die Sicherheit deutschen Besitzes, die Ehre deS deulschen Namen» wahren. Trotzdem und trotz aller Warnungen fahren amerikanische Blätter mit ihren Begeiferungen unserer Marine nnd ihrer friedlichen Unternehmungen fort; ja beute wieder berichtet der Telegraph von einer Drohung, die der amerikanische GeneralDewey gegen den deutschen Admiral Diederichs aus gestoßen Haden soll, weil dieser Schritte zur Besckützung oer Deutschen in Manila in Aussicht nehmen zu wollen schien. Die Annahme^ daß die Regierung der Union solches Treiben auch nur im Stillen billige, ist ja ausgeschlossen; jedenfalls aber können derartige Hetzereien schließlich zu keinem guten Ende führen. DaS beginnt man auch anderwärts einzuseben, wie aus der folgenden Anschrift hervorgeht, welche die „Wes.-Ztg." anS Sydney erhält: Die amerikanische Presse stellt sich, als ob die Beurtheilung, die sie der auswärtigen Politik zu Theil werden läßt, und ins- besondere die Beurtheilung de« Verhältnisses zu Deutschland stets auf den Beifall der australischen Presse zu rechnen hätte. Wie wenig da» zntrifft, kann am besten einem Artikel entnommen werden, den der in Sydney erscheinende „Daily Telegraph" dem Zwischen fall „Berry" widmet. Dabei mag bemerkt werden, daß der „Daily Telegraph" da» angesehenste Blatt in Sydney, demokratischer Richmng, unabhängig und keineswegs voreingenommen für Deutschland ist. Es bat vielmehr bei anderer Gelegenheit auch seine Abneigung gegen Deutschland in einer Weise zu rrkeunrn gegeben, die einer Feindlichkeit nahe kommt. Da» Blatt macht in seiner Ausgabe vom 17. Januar im Anschluß an die telegraphische Meldung, daß Mr. Berry unter dem Beifall de« HauseS erklärt habe, Amerika könne vielleicht in di« Lage kommen, auch Deutschland „auSzupeitschen", zuerst einige zutreffende Bemerkungen über die Naturgeschichte des Jin- goiSmu» in der amerikanischen Presse und fährt dann fort: „Die letzte Betätigung (deS Jingoismus) ist in einer Hinsicht sehr ernster Natur. Mr. Berry, Mitglied des Repräsentantenhauses der Bereinigten Staaten, bat seine Meinung dahin geäußert, daß Amerika auch in die Notwendigkeit versetzt werden könnte, Deutschland zu verhauen, und darüber hat sich lauter Beifall im Hause erhoben. Das scheint zu bedeuten, daß die Vertreter des amerikanischen Volkes bereit sind, ohne viel Federlesen sich auf den sehr ernsten Versuch, eine der Weltgroßmüchte „auszu- peitschen", einzulassen obwohl daö ein Ding ist, merk- lich verschieden von der Unterwerfung der spanischen Macht. Wenn unvermeidliche Verhältnisse die Bereinigten Staaten zn einem Kriege mit Deutschland zwingen sollten, so würde das die ernsteste und furchtbarst« Entscheidung sein, vor die die große Republik seit ihrem Bestehen gestellt worden wäre. TS würde in der That der Gipfel» unverschämter Aufschneiderei sein gegenüber dem militärtüchtigsten Volke der Welt in geringschätziger Weise von der unangchmen Nothwcndigkeit, Deutsch land durchdreschen zu müssen, zu sprechen; und selbstverständlich- sind die Vereinigten Staaten weit entfernt davon. Solche Redensarten würden belustigend sein, wenn nicht zu überlegen wäre, daß sie der Welt eine falsche Vorstellung von der Gesinnung des besonnenen Amerikas geben und daheim nnd im Auslande Ver stimmung Hervorrufen müßten. In den Vereinigten Staaten lebt eine große Zahl Deutscher, die, obwohl naturalisirt, nicht an- genehm berührt sein werden, wenn so verächtliche Anspielungen auf ihr früheres Vaterland erfolgen. Und eS ist auch unklug, daß jetzt, wo die Vereinigten Staaten daran sind, active auswärtige Politik zu treiben, sie gleich zu Beginn Len Kaiser verletzen und gegen sich aufbringen. WaS liegt denn eigentlich vor? Während des Krieges der Vereinigten Staaten mit Spanien haben sich ein oder zwei deutsche Kriegsschiffe in der Nähe der Philippinen befunden in der offen zu erkennen gegebenen Ab sicht, dir Interessen der Deutschen daselbst zu schützen. Und die von osficitller Seite abgegebene Erklärung, daß diese Schiffe sich nicht in den Conklict eingemischt haben, entspricht unseres Erachtens durchaus der Wahr heit. Seitdem verlautete wohl, daß Deutschland Absichten auf die Philippinen hätte und in Verbindung mit den Führern der Auf ständischen stünde. Alles das ist jedoch osficiell bestritten worden. Aber ein Senatsmitglied hat versprochen, Enthüllungen hierüber zu machen. Deshalb und weil die ans den Philippinen ansässigen Deutschen erklären, sie würde» lieber unter deutschem Schutze stehen, hat man dem Gedanken, Deutschland anszuhauen, unter dem Beifall des Cougrcsses Ausdruck geben können. Das ist wirklich der Gipfel der Thorheit, allerdings einer gefähr lichen Thorheit." So das Sydneyer Blatt. Hoffentlich belehrt diese australische Stimme die Regierung in Washington, daß sie alle Ursache hat, die Friedensstörer energisch zur Ruhe zu verweisen. Mit dem vom „Osservatore Nomano" veröffentlichten Dccrete, durch das vier Werke deS katholischen Theologen Professor Schell in Würzburg auf denIndex gesetzt werden, hat ein lange vorbereitetes Unternehmen seinen Abschluß gesunden. Ende Oclobcr 1898 berichtete der „Bayerische Kurier": „Bischof Korum von Trier ist nach Rom gereist mit 40 Thesen aus Leu Schriften Les Herrn Professor Schell, um da durch einen Proc«ß gegen den deutschen Gelehrten anzuregen. Wir würden diese Nachricht kaum für glaublich halten, wenn sie uns nicht aus so guter Quelle käme." Als der „Bayerische Kurier" diese Mittbeilung gemacht !>atte,schrieb die „Germania" — eS war am 27.October 1898 — Folgendes: „Wir können uns nicht denken, daß Bischof Korum 40 Thesen aus den Schriften de» Herrn Professors vr. Schell vor- legen sollte, damit sie in Rom censurirt würden. Wir glauben die Schell'schen Schriften genau zu kennen, sind aber der Meinung, daß sie wohl vielfache Abweichungen von bisherigen Sckulmeinungen, aber nicht vom katholischen Dogma enthalten. Wäre das letztere der Fall, so würden die Gegner Schell'», vr. Köhler und vr. Braun, dies ganz gewiß nicht zu bemerken unterlassen haben. Wir halten somit den Artikel des „Bayerischen Kuriers" für «inen blinden Alarm schuß ohne fest en Hintergrund". Die „Germania" wird Wohl zu ihrem Schmerze er kennen, daß sie trotz ihrer genauen Kennlniß der Schell'schen Schriften sich geirrt hat. Wie aber war es möglich, daß die Schriften deS Würzburger Professors, dessen theologische Gegner vr. Köhler und vr. Braun in ihnen keine Ab weichungen vom katholischen Dogma entdeckt hatten, auf den Index gesetzt wurden? Die Antwort hierauf giebt der Anhang zur siebenten Auslage der Schrift Schell's: „Der KatholiciSmuS als Princip des Fortschritts." Zn diesem Anhang richtet Schell die schärfsten Angriffe auf den Zesuitenorden, indem er u. A. schreibt: „Trotz oller Angriffe in der Parteipresse hat meine Schrift thatsächlich den freudigsten Wiederhall bis in die höchsten kirchlichen Regionen hinauf gesunden, soweit man eben — Welt- und Ordensklerus wie Laicnthuiu — nicht unter der geistigen Vormundschaft des Jesuitenordens stehen will ... Die Grenzen der Gerechtigkeit soll ich auch, wie angedeutet wird, in Bezug auf den Jesuitenorden überschritten haben: denn nicht alle Jesuiten hätten den Vaughan-Schwindel mitgemacht. Ja, gerade Jesuiten seien unter den eifrigsten Vorkämpfern «gegen den Vaughan-Schwindel gewesen, nämlich P. Gruber und P. Portalit. — Allein es handelt sich nicht blos um die Vaughan-Enthüllungen, dieses Aon plus ultra von Absurdität, das schließlich auch den Naivsten hätte stutzig machen können, sondern um die ganze von Leo Toxil geleitete und genährte Action gegen die Freimaurerei und das dazu benützte mythologische Schreckbild deS Satanismus! Wer hat nun Leo Taxil'S Enthüllungen (in seinem Hauptwerk „Dreipunctebrüder") dem deutschen Publicum dargcboten und übersetzt? — P. Gruber Soc. I. (dies ist be- kannutlich die Bezeichnung Le» Jesuitenordens), der Uebersetzer und selbstständige Bearbeiter des grundlegenden Hauptwerkes von Toxil „Die Dreipunctebrüder" 1886, welches alle wesentlichen An klagen auf Satanscultus gegen die Loge enthält. Man denke auch an die Romane von P. Bresciani S. I. (Der Jude von Verona, die römische Republik)! Wer hat dem Satanismusvorwurs die wissenschasiliche Grundlage gegeben? Erzbischof Meurice S. I. — Wer hat die Satanismus - Enthüllungen als glaubhaft empfohlen? Dies geschah durch de „Civiltä catto- lica", da» Hauptorgan Les Jesuitenordens, in einer langen Reihen folge von Aufsätzen P. FrancoS. Wer hat die Taxil'schen Schreck- bilder (Dreipunctebücher, der Teufel im 19. Jahrhundert u. Lergl.) für die eucharistische Bewegung und in sonstiger Form populär ge- macht und unter dem Volk verbreitet? Wer und wessen Theologie hat es überhaupt möglich gemacht, daß ein großer Theil desKlrrus undVolke» solchen Aberglauben und mytho logischen Aberwitz als ernstlichen Gegenstand der Erwägung in Frage zieht? — Und als P. Gruber Verdacht g.- schöpft und vor dem betrügerischen Schwindler Taxil warnen wollte, wer hat dagegen so lang« alS möglich Einspruch erhoben? Angesichts dessen, was in dieser mehrfachen Hinsicht Lurch einzelne Jesuiten, durch die „Civiltü cattolica", durch die Schule und den Geist des Jesuitismus, durch deren wohldisciplinirte Jüngerschaft im Weltklerus zur Ermöglichung und Ver breitung der ganzen Taxil'schen „Weltanschauung" verschuldet worden ist, sollte man wahrlich mit dem Lob rtwnS zurückhalten und ernstlicher den inneren Gründen eines solchen Er- gebnisses nachspüren." Für so freie Worte muß Prof. Schell jetzt büßen, denn die römische Kurie steht eben unter der geistigen Vor mundschaft deS Zesuitenordens. Nach römischen Meldungen der „Pol. Corr." bestätigt eS sich, daß von einer Einladung des Papstes zur Abrüstungs konferenz definitiv abgesehen ist. Es sei Lies als die dirccte Wirkung der Haltung anzusehen, welche das römische Cabinet gegenüber der Absicht einer solchen Einladung ein genommen bat, wobei dasselbe auch von anderen Mächten unterstützt worden sei. Nach Petersburger Informationen derselben Correspondenz hätte daS dortige Cabiaet seiner seits keinerlei Bedenken gegen die Betbeiligunz deS Vatikans gehegt, cs jedoch der holländischen Regierung, von welcher die Einladungen zur Beschickung der Couserenz auSzuzebcn haben, vollständig anheimgestellt worden, hinsichtlich ter Heranziehung des Balicanö nach eigenem Ermessen eine Entscheidung zu treffen und die holländische Regierung habe sich mit Rücksicht auf Ztalien, ohne dessen Theilnahme die Conferenz überhaupt ernstlich in Frage gestellt war, gegen die Einladung deS Vatikans entschieden. ES ist gesagt worben, der Papst könne riugeladeu werden, nicht als Souverän!, wo gegen die italienische Regierung protestirt, sondern gls. Oberhaupt der katholischen Kirche, wogegen Niemand etwas einwenden dürfe. Aber mit welchem Rechte würde man nur den Vertreter deS katholischen und nicht auch die jenigen der anderen Bekenntnisse einlaten? Zudem muß doch im Auge behalten werden, daß die ganze moderne Entwick lung deS Staat-rechtes darauf abzielt, auS den rechtlichen Beziehungen daS religiöse Element auszusckeiden, und nun aus einmal wollte man in einer rein politischen Frage, wie eS die Begrenzung der Kriegörüstuugen der einzelnen Staaken ist, den Vertreter einer Religionsgescllscbast mit entscheiden lassen? Ztalien mußte sich einem solchen Versuche nachdrücklich widersetzen, da eS in erster Linie von der klerikalen Ge fahr bedroht ist nnd sich auS Gründen der Selbsterhaltung veranlaßt sieht, jede unberechtigte politische Bethätigung des VaticanS zu verhindern. Die französische» Kammern werden sich demnächst mit einer Frage beschäftige», welche die öffentliche Meinung in Frankreich auf das Lebhafteste beschäftigt hat. Es bandelt sich um Algier. Nicht die antisemitische Bewegung, die sick. dort breit macht, ist eS, welche dies Einschreiten der Gesetz zebung erfordert, gegen diese reichen die bestehenden Gesetze aus, aber die Ursachen dieser Bewegung liegen tiefer, als eS den Anschein hat. AuS statistischen Beob achtungen will man nämlich die Ueberzeugung geschöpft haben, daß in Algier das französische Element nach nnd Gräfin Marie. 17j Roman von Woldernar Urban. Nachdruck Verbote«. „Aha! Ist der Herr Graf da?" „Natürlich. Er ist drinnen. Haben Sie mit ihm zu thun?" „Ich nicht. Mein College. Ich will mich nur nützlich bei der Sache machen." Damit grüßten die Herren und gingen an einander vorüber. Starace- faß in seinem Salon, wo er gerade beschäftigt war, eine längere Desänftigungsepistel an den Commendatorr Cesarini aufzusetzen, als Doctvr Welten in seiner Eigenschaft als Se kundant und Reserveofficier mit für solche Fälle vorschrifts mäßiger Strammheit eintrat. „Herr Graf", sagte er flott und frei, „ich habe die Ehre, Sie al» Sekundant meine» Tollegen Doctor Felix Zander zu be grüßen, um mit Ihnen die Bedingungen feshzustellen, unter denen da» Rencontre stattfinden soll. Da Sie verabsäumt haben, uns Jbrrn Sekundanten zu nennen, so muß da» zwischen uns direkt erfolgen." Starace sah den Mann von oben bi» unten an. Seine erste Ide» war, ihm den Rücken zuzudrehen und ihn stehen zu lassen, wo er nun einmal wie aufgenagelt stand. Dann aber, besonders al» et die tiefe Schmarre auf der Wange de» streitbaren Herrn sah, schien ihm da» doch nicht rathsam. Er hatte natürlich die ganz» Geschichte mit dem Arzt wieder vergessen. Hundert andere unangenehme Geschäfte und Sorgen nahmen ihn in Anspruch. Er glaubte auch als echter Neapolitaner nicht an einen ernsten AuStrag der Sache. Wenn man in Neapel jede Verleumdung oder Beleidigung mit seinem Körper, ch)er wenigstens mit seinem Gesicht vertreten mußte, wohin sollte man da gelangen? Die Halde Stadt müßt« sich schlagen. Nun war er überrascht und er staunt, auch neugierig, wa» nun wohl dieser Herr in seiner Feier lichkeit aus dieser Sach« machen würde. „Nehmen Sie Platz", sagte er höflich. „Danke, es ist nicht der Mühe Werth. Wir sind gleich fertig. Ich habe Ihnen vorzuschlagen ein Duell auf gezogene Pistolen, dreimaligen Kugelwechsel, zehn Schritt Distanz. Einverstanden?" „Aber " „Zeit: heute Abend sechs Uhr, Ort: Park von Capodimonte kn der Allee, die vom Tentrum nach dem Schwanenteich führt. Mir sind dort ungestört. Einverstanden?" Starace sagte sich im Stillen, daß der Mann verrückt sei. Um ein paar Worte, die er in der Hitze hingesprochcn, sollte er sich dem sicheren Tode aussetzen? Das war nach seinen Begriffen die platte Verrücktheit. „Ich bin heute leider nicht in der Lage " begann er aus ¬ weichend. „Bestimmen Sie die Zeit", unterbrach Welten stramm, „aber bedenken Sie, daß mein Freund vor seiner Abreise nach Deutschland steht. Wir können Ihnen nicht länger als zwei Tage bewilligen." „Und wenn ich nun innerhalb zweier Tage nicht in der Lage sein sollte?" „Dann wird man die Pistole durch einen handfesten Stock er setzen, Herr Graf, wie ihn die Eseltreiber haben. Sie verstehen mich?" unterbrach ihn Welten mit nicht mißzuverstehender Deut lichkeit. Jetzt war Starace seiner Sache sicher. Der Mann war toll und solchen Leuten mußte man nach hergebrachter neapolitanischer Klugheit, so gut es ging, auS dem Wege gehen. „Gut", erwiderte er nach einigem Nachdenken, „ich nehme Ihre Bedingungen an und werde morgen Abend 6 Uhr zur Stelle sein." „Sehr wohl, Herr Graf. Auf Wiedersehen morgen Abend um 6 Uhr. Wir werden sehr pünctlich sein." „Wird mich freuen, mein Herr, auf Wedersehen." j Doctor Zander nahm die Sache sehr gewissenhaft und tragisch, war aber im Uebrigen über den Verlauf, den sie ge nommen, sehr befriedigt. Der Graf hatte ihn an seiner empfind lichsten Stelle getroffen, und es war nur natürlich, daß er ihn dafür züchtigte. Daß ihm dabei ebenfalls etwas Ernstes Pas siren konnnte, nahm er natürlich in Rücksicht, schrieb den ganzen Tag Briefe, die aber erst nach Erledigung des Duells abgehen soll ten, darunter auch einen an Gräfin Marie. Dieser machte ihm sogar am meisten Kopfzerbrechen, und als er schließlich doch damit zu Stande kam, war es doch nicht das Rechte. Aber er mußte doch wohl damit ein Ende machen, um sich noch einige Zeit einzuschicßen, um seiner Waffe sicher zu sein. Welten ging während dieser Zeit seinen Berufsgeschäften nach. Die Gräfin Maria sah ihn den ganzen Tag nicht, was ihr auf fiel. Erst am nächsten Mittag beim Essen trafen sie sich, aber nicht allein. Er sah bleich und angegriffen aus. Sie hatte ihn, obgleich er stet» ein kühles, gemessenes Wesen zur Schau trug, nie so ernst gesehen. Sie ahnte wohl, daß eine Katastrophe be vorstehen könne, aber sie glaubte sie nicht so nah« bevorstehend, hatte auch beim besten Wllen keine Gelegenheit, ihn ungestört zu sprechen. Nur beim Auseinandergehen sagte sie rasch und leise zu ihm: „Ich hoffe Sie heute noch zu sehen, Herr Doctor." „^vao wünschen Sie, gnädige Frau?" „Ich ich möchte Sie nun etwas fragen. Ich verlasse mich darauf, daß Sie heut noch zu mir kommen. Darf ich?" „Selbstverständlich. Sic haben nur zu befehlen." Dabei war er so förmlich nnd unzugänglich wie nie. Sie war sicher, daß etwas vorging, und nahm sich fest vor, das Duell zu vereiteln. Sie wollte ihm in's Gewissen reden. Es that ihr jetzt unendlich leid, die beiden Männer zusammengebracht zu haben. Schon eine gute Viertelstunde vor der festgesetzten Zeit war Zander und Welten an der bezeichneten Stelle im Park von Ca- podunonte. Keine Seele war weit und breit zu sehen, von einer Störung des Zusammentreffens keine Rede. Aber es war auch Niemand da, mit dem sie Zusammentreffen konnten. Sie warteten und warteten. Viertelstunde auf Viertekstunde verrann, eS wurde finster, kein Graf ließ sich sehen. „Ich habe es ja gleich gesagt, der Kerl kneift", sagte Welten ärgerlich, „und wir sind die blamirten Europäer." „Du meinst, er wäre absichtlich nicht gekommen?"sagteZandrr nervös. „Natürlich. Fällt ihm gar nicht ein, so eine gefährliche Sach« zu unternehmen. Er würde das nach neapolitanischen Begriffen für eine Dummheit ansehen." „Nun, dann ist es die höchste Zeit, daß wir ihm einmal deutsche Begriffe beibringen. Komm!" sagte Zander wüthend. „Was willst Du thun?" „Komm nur. Wir fahren direct nach Villa Monrepos." „Du willst ihn ohrfeigen?" „Natürlich." „Das hättest Du gleich thun sollen. Dann brauchten wir nichl binter ibm herzulaufen." „Wer denkt denn so etwas?" „In Neapel muß man an Alles denken." Als sic etwa eine Stunde später an der Billa Monrepos vor fuhren, war diese geschlossen. An dem Gitterthor hing ein Schloß, welches die Thür an die Eingangssäule kettete und an der inneren Seite der Gartenumzäunung stand an einer Tafel: Okiuso per I'autorita! *) Di« beiden Freunde sal-en sich verblüfft an. Nach einer Weile platzte Welten mit einem lauten Gelächter lo». *) Polizeilich geschlossen. „Na", meinte er, „nun kannst Du Deinen Grafen suchen — Jahre lang. Er ist wieder untergrtauchi in den neapolitanischen Schlamm, aus dem ihn di« Mumficenz seiner Frau für kurze Zeit herausgehoben hat. Ich bitt«, zu grüßen." „Du meinst " „Die Sache ist klar. Don Antonio ha! als Vertreter dec Gräfin die Villa polizeilich schließen lassen, um ihr Eigenthum zu sichern und den Grafen einfach an die Luft gesetzt." „Das sind ja fabelhafte Zustände. Aber die Gräfin muß doch wissen, wo er sich befindet. Ihr wird und muß er doch sagen, wohin sie seine Briefe beantworten soll." „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Du kannst sie ja fragen." Das war noch nicht das Tollste, was Zander in Neapel erlebte. Als er am selben Abend die Gräfin versprochenermaßen auf suchte, kam ihm diese schon mit einem schwulstigen Liebes- und Bettelbrief des Grafen in der Hand entgegen und rief entrüstet: „Denken Sie sich! Mein Mann wohnt poste restante!" „OK ckolcv Napoli!" rief Zander leise und wehmüthig. Er verbrannte in der Nacht seine schönen Briefe wieder. Am nächsten Morgen reiste er ab. XV. Der Winter machte sich immer mehr und mehr geltend und wenn er auch in Neapel verhältnißmäßig milder auftritt, so hat er doch auch hier seine Plagen wie allerwärtS. Ein Regen schauer jagte den anderen, kalte Winde pfeifen durch die engen Vicoli, wo das arme Bcttelvolk frierend und hungernd um große offene Feuer auf der Straße hrrumsitzt, um sich zu wärmen. Diese offenen Feuer, die mit allein MöglicLen, dessen man gerade habhaft werden kann, genährt werden, hüllen ganze Straßen in dicken, stänkerigrn Rauch, der tn Häuser und Zimmer dringt und da» fröstelnde Unbehagen in diesen vermehrt. Die alten Neapolitaner meinen dann superklug, das müsse so sein, damit keine Fieberluft in den engen volkreichen Gaffen entstände! Don Antonio war gerade um diese Zeit außerordentlich in Anspruch genommen. Ein« Unmenge Schcercrci und Lauferei bielt ihn in Nthcm, so daß er den größten Tbeil des Tages unter Wegs war, bald hier, bald da. Seine Praxis wucks von Tag zu Tag, eine Menge „Sachen" harrten seiner und wenn er Alles gewissenhaft erledigen wollte, so hatte er wahrhaftig nicht zu gaffen und sich zu langweilen. Unter diesen Umständen — Arbeit überwindet ja bekanntlich Alle« — war auch Anunziata für ihn etwa» in den Hintergrund getreten. Nickt, daß er sie vergessen hätte. Im Gegentheil, sie ging ihm zeitweilig so im Kopf» herum, daß er ganz mtkanchvlischen und vrrzw»if»lt»n
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