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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990228027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899022802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899022802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-28
- Monat1899-02
- Jahr1899
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Di« Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Nr-action Erpe-Mon: JstzanniSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: vtt« Slemm'S Sn.tim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum). Louis Lösche. Latharinenstr. 14, Part, und KSnigSplatz 7. Bez«gSPreiS i» der Hauptexpedition oder den im Stadt, bezirk und den Bororten errichteten Aus- gabeslellen ab geholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus X 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich ^ll 6.—. Dirrcte tägliche Kreuzbandsendung ms Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. KiPMr.TagMlÄ Anzeiger. Amtsblatt -es Königliche» Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes «n- Volizei-Ämtes -er Hta-t Leipzig. 1V8. Dienstag den 28. Februar 1899. Anzeigen'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile SV Pfg. Rrclamen unter dem RedactionSstrich (4go» spalten) 50/H, vor den Familieanachrichten (6 gespalten) 40 .H. Größere Schristen laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit dec Morgen »Ausgabe, ohne Postbeförderung X 60 —, mit Postbefürderuog 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end «Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halb« Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz kn Sekpzkg. 93. Jahrgang. Sano-sranMsche Umtriebe. Aus Berlin schreibt man uns von unterrichteter Seite unterm 27. Februar: Das Moltte'sche Wort, daß Deutschland leine Freunde habe, ist zwar durch die seit zwei Jahrzehnten bestehenden Bündnisse modificirt, aber an Feinden fehlt es dem Reiche wahrlich nicht. Seit einiger Zeit sind die Elemente, die Deutschland „uvilir, pui-, la cköuiolir" möchten, besonders eifrig an der Wühlarbeit und es ist von besonderem Interesse, daß diese unterirdische Arbeit sich gleichzeitig gegen das russische Kaiserpaar richtet. In welchem Zusammenhänge diese Arbeit „nach zwei Fronten" steht, sei nachstehend erörtert. Bor einigen Tagen brachte (wie gemeldet) die bedeutende dänische Zeitung „Politiken" die Nachricht, derrussische Kaiser nehme seit Monaten an der Regierung nicht Theil, einmal, weil seine Gesundheit geschwächt sei, zweitens, weil, wie angedeutet wurde, seine Umgebung Schritte gcthan habe, die eine wirkliche Herrscherthätigkeit ausschlössen. Zur Sache sei kurz bemerkt, daß, wie wir erfahren, die Nach richt vollständig erfunde n äst. Der russische Kaiser hat seinen Herrscherpflichten seit seinem Regierungsantritte un unterbrochen genügt und er widmet sich ihnen heute ebenso, wie er es im November 1894 gethan hat. Die russische Kaiserin hat ebenfalls, soweit der Gattin eines Monarchen aus ihrer Stellung staatliche Pflichten erwachsen, diesen Pflichten stets genügt. Es ist also eine Infamie, das russische Kaiserpaar durch Ausstreuungen falscher Nachrichten bei Seite schieben zu wollen. Welchen Zwecken dient diese Infamie? Einmal einem, wenn man so sagen darf, internen skandinavischen, Deutschland nicht interessirende Zwecke. Der Panskandinavismus hat dem russischen Kaiser die von ihm inaugurirte nationalrussische Politik in Finland gewaltig verübelt. Die norwegischen, schwedischen und dänischen Zeitungen hallen von Entrüstung Uber die „Vergewaltigung der Finländer" wieder. Die „Ent mündigung" des 'Zaren, die „Politiken" aus eigener Macht vollkommenheit verfügt, ist die Quittung für die finländische Politik des russischen Kaisers. Zum Zweiten steht der Groll der Dänen gegen das russische Kaiserpaar in engem Zusammenhänge mit den deutsch feindlichen Jntrigucn, die in Dänemark seit Jahr zehnten gesponnen werden. Man hat sich in Kopenhagen in den Hoffnungen, die man auf den jungen Kaiser gesetzt hatte, bitter getäuscht. Kaiser Alexander III. war ein zärtlicher Gatte, aber auch ein gewissenhafter Mann, der, obwohl er die Abneigung der Kaiserin gegen Deutschland vollauf theilte, sich doch nicht zu unbesonnenen Schritten hinreißen ließ. Man hatte gehofft, in dem jungen Zaren ein Muttersöhnchen zu finden, der weiches Wachs in den Händen der deutschfeindlichen Politiker und politisirenden Damen sein würde. Nun hat der Kaiser gezeigt, daß man ein treuer Sohn und doch ein selbstständiger Mann sein kann. Darüber ist man empört. Und ganz besonders nimmt man es dem Kaiser übel, daher die liebe dänische Eitelkeit verletzt. Hatte Kaiser Alexander III. auch nicht die dänischen Rachegelüste befriedigt, so hatte er doch alljährlich monatelang in Kopenhagen bezw. Fredensborg residirt und die ganze Welt hatte nach dem kleinen dänischen Staate hingeblickt. Kaiser Nikolaus aber liebt es, russische Politik inRußlandzu machen Und da man nun sieht, daß die dänischen Intriganten, denen es ja früher einmal (1887) beinahe geglückt wäre, einen Conflict zwischen Rußland und Deutschland herbeizuführen, „nix mehr to seggen" haben, so dreht man den Spieß um und behauptet, Kaiser Nikolaus habe „nix mehr to seggen". Die Fäden dieser Jntrigue ziehen sich aber, wie nicht anders zu erwarten, auch nach Frankreich hinüber. Ganz ähnlich wie jetzt der „Politiken" den russischen Kaiser „entmündigt", hat vor wenigen Wochen das officiöse französische Regierungsorgan, der „Temps", in zwei kurz aufeinanderfolgenden Artikeln der russischen Kaiserin zu verstehen gegeben, daß nicht sie, sondern nur die Kaiserin-Mutter etwas zu sagen habe, und den Kaiser geflissentlich gelobt, daß er ein „sehr gehorsamer Sohn" sei, also mit anderen Worten ihm gesagt, daß er hübsch zu thun habe, was seine Mutter gebiete. Der Zweck dieser kecken Jntrigue» ist klar. Man stützt sich auf die Thatsache, vaß das, was man ein Dutzcntmal immer mit der gleichen Unverfrorenheit sagt, dadurch gewissermaßen zur Wahrheit wird. Man möchte also den russischen Kaiser, der schon wegen seiner Friedensliebe Jntrigue» abhold ist, lahm legen und an seine Stelle Einflüsse setzen, die sich für die dano- französische Revanchepolitik ausnutzen lassen. Rußland ist aber glücklicherweise nicht China, und der russische Kaiser ist nicht wie der chinesische Monarch, der sich einfach forkschieben ließ. Man wird in Deutschland gut thun, den Fortgang des zwar nichi direct, aber mittelbar gegen Deutschland gerichteten Jntriguen- spieles aufmerksam zu verfolgen. Politische Tagesschau. Leipzig, 28. Februar. Vor einigen Tagen veröffentlichten Münchener Blätter unter Hinweisung auf den hundertjährigen Geburtstag Döllinger s zwei Briefe, die König Ludwig II. von Bagern in der Zeit des Kampfes um das Unfehlbarkeitsdogma an den unerschrockenen Vorkämpfer gegen dieses Dogma richtete und die angesichts der Thatsache, daß die bedeutendsten Schriften des katholischen Professors Schell in Würzburg auf den Index gesetzt sind, besonderes Interesse erwecken. Am 28. Februar 1870 richtete König Ludwig II. folgendes Schreiben an Döllinger: „Mein lieber Stistsprobst v. Döllinger! Ich hatte die Absicht, Sie heute zu besuchen, ward ober leider durch Unwohlsein verhindert, mein Vorhaben auszusühren. Ihnen perjönlich zu Ihrem heutigen Geburtssestc meine herzlichsten Glück« und Segenswünsche auszusprechen; ich sende sie daher auf diesem Wege. Ich hoffe zu Gott, er möge Ihnen noch viele Jahre in ungetrübter Frische des Geistes und der Gesundheit verleihe», auf daß Sie den zu Ehren der Religion und der Wissenschaft über» nommenen Kampf zur wahren Wohlfahrt der Kirche und des Staates glorreich zu Ende führe» können. Ermüden Sie nicht in diesem so ernsten und folgenschweren Kampfe und mögen Sie stets von dem Bewußtsein getragen werden, daß Millionen vertrauensvoll zu Ihnen als Vorkämpfer und Hort der Wahrheit emporschauen und der sicheren Hoffnung sich hingeöen, es werde Ihnen und Ihren unerschrockenen Mitstreitern gelingen, die jesuitischen Umtriebe zu Schanden zu machen und dadurch den Sieg des Lichtes über die menschliche Bosheit und Finsterniß zu erringen. Das walte Gott, und darum will ich ihn bitten aus Grund der Seele. Unter Erneuerung meiner aufrichtigen nnd innigen Wünsche für Ihr Heil und Wohlergehen sende ich Ihnen, mein lieber Stistsprobst v. Döllinger, meine freundlichsten Grüße und bleibe mit den Gefühlen des steten Wohlwollens nnd unerschütter lichen Vertrauens stets Ihr sehr geneigter König Ludwig." Auch im nächstfolgenden Jahre schrieb König Ludwig unter demselben Datum an Döllinger einen Brief, der also lautet: „Mein lieber Stistsprobst und Reichsrath vr. von Döllinger! Ich kann Ihr heutiges Geburtssest nicht vorüber- gehen lassen, ohne Ihnen durch Ueberseudung meiner besten und innigsten Glückwünsche ein Zeichen meiner besonderen Gewogenheit zu gebe». Gleich dem Lande bin ich stolz, Sie den Unsrigen neunen zu können, und hege die srohe Zuversicht, daß Sie wie bisher als Zierde der Wissenschaft und in erprobter Anhäng lichkeit an den Thron noch lange Ihr ruhmreiches Wirken zum Besten des Staates nnd der Kirche bethätigen werden. Kaum habe ich nöthig, hervorzuheben, wie hoch mich Ihre so entschiedene Haltung in der Unfehlbarkeitsfrage erfreut; sehr pein lich berührt mich dagegen, daß Abt Haneberg seiner inneren rich tigen Ueberzeugung zum Trotz sich blindlings unterworfen hat. Er that es, wie ich vermuthen darf, aus „Demuth". Dies ist meiner Ansicht nach eine sehr falsch verstandene De- muth; es ist eine niedrige Heuchelei, osficiell sich zu unterwerfen und nach außen eine andere Ueberzeugung zur Schau zu tragen als jene, von welcher das Innere erfüllt ist. Ich freue mich, daß ich mich iu Ihnen nicht getäuscht habe; ich habe es immer gesagt, daß Sie mein Bossuct, er mein FönSlon ist. Jammervoll und wahrhaftig mitleiderweckend ist die Haltung des Erzbischoss (Schcrr), der sobald schon in seinem ölan nachlicß. Sein Fleisch ist eben stark und sein Geist ist schwach, wie er aus Versehen einst selbst in einem seiner Hirtenbriefe verkündet hat. Sonderbare Ironie deS Zufalls! Stolz bin ich dagegen auf Sie, wahrer Fels der Kirche, nach welchem die im Sinne LeS Stifters unserer heiligen Religion denkenden Katholiken in unerschütterlichem Vertrauen mit hoher Verehrung blicken dürfen. Ich versichere Sie, mein lieber Herr Stistsprobst, der steten Fortdauer meines Wohlwollens und bleibe, Ihnen meine freundlichsten Grüße sendend, Ihr sehr geneigter König Ludwig." Von dem Professor Schell erwartet das neue Organ de» Centrums für Bayern ebenfalls die „Demuth", welche von dem König Ludwig so scharf gekennzeichnet wurde; Da» Blutt schreibt, indem cs die Verweisung der Schell'schen Schristen aus den Index erwähnt: „So ist also die Frage, welche durch Herrn vr. Schell weniger als durch Andere so heftig er örtert worden ist, zu seinen Ungunslen entschieden. Es ist kein Zweifel, daß dieser hervorragende katholische Gelehrte den Entscheid der Kirche mit Demuth und ganzer Er gebenheit hinneh men wird". Das wird allerdings daS Ende vom Liede sein, denn Briese wie die vorstehenden wird Professor Schell nicht erhalten, die übrigens auch Döllinger vor der Excommunication und ihren Folgen nicht schützten. Wie er wird auch Schell ein classischer Zeuge dafür sein, daß unabhängiges wissenschaftliches Suchen nach der Wahr heit mit der römisch-katholischenNechtgläubigkeit unverträglich ist Bis zu welchen Ungeheuerlichkeiten die Phantasie der „roszpolnischcn Hetzpropaganda sich versteigt, zeigt der allen Ernstes in den national-polnischen Blättern genährte Wahn, die polnische Sache werde aus der geplanten FriedenS- conferenz zur Verhandlung gelangen. Der Lemberger „Dzicnnik Polski" tischt seinen Lesern das Märchen auf, der Präsident der Vereinigten Staaten Mac Kinley habe sich einem angesehenen Polen gegenüber dahin geäußert, daß bei gewissen passenden Gelegenheiten Amerika etwas für Polen thun könne, um dann fortzufahren: „Als der Zar die Friedensconferenz machte und alle Staaten im Princip derselben beistimmten, da fingen die hervorragenderen Polen in Amerika an, die Mitglieder der amerikanischen Regierung dahin zu sondiren, ob der oder die Vertreter Amerikas auf dieser Con- ereuz die polnische Frage nicht berühren könnten, welche das Haupthinderniß für die Erhaltung des europäischen Friedens und der damit zusammenhängenden Abrüstung ist. In den ameri kanischen Regierungskreisen fand dieser Vorschlag sehr bereit willige Aufnahme und Billigung, und als die öffent- liche Meinung und die amerikanische Presse sich lebhaft mit dieser Angelegenheit befaßte und von der Regierung geradezu forderte, die polnische Frage auf der Friedensconferenz durchaus zu berühren, setzte sich Mac Kinley mit den dortigen Polen ins Einvernehm.n und empfahl, eine umfassende Denkschrift in dieser Angelegenheit auszuarbeiten und diese ihm amtlich einzureichen. Er werde bei der Regierung von dieser Schrift Gebrauch machen, welche sodann ihren Vertretern Instructionen nach dieser Richtung hin ertheilrn werde." Das Lemberger Blatt giebt sich den Anschein, als nehme eS diesen Unsinn für baare Münze. Erhält eS dadurch doch einen Vorwand zur Gegenüberstellung von amerikanischen und preußischen Zuständen, wobei natürlich letzterer „Pseudo- culturstaat" mit seiner „menschenfresserischen Politik, die er ebenso bei den Negern in Afrika wie heute im Posen'schen, Westpreußen und Oberschlcsien befolgt", sehr übel wegkommt. Einen anderen als preußenketzcrischen Zweck hat die ganze Tirade des „Dzicnnik Polöki" natürlich nicht. Unter den „Letzten Nachrichten" des gestrigen Abend blattes brachten wir eine Auslassung der „Times" über Deutschlands Verhält» iß zu den vcreiuigten Staaten und England, Lic wir hier wörtlich wiederholen. Sie lautete: „Wir sind dessen ganz sicher, daß ebensowenig ein triftiger Grund zu einer Trennung der Interessen Deutschlands und der Bereinigten Staaten vorliegt, wie zu einer Jnteressenscheidung zwischen England und jedem dieser beiden Staaten. Aber Na tionen lasse» sich ebe» so sehr durch Stimmungen alt durch Logik lenken, und in Anbetracht der Größe und Schwierig keit der Ausgabe, die die Amerikaner auf den Philippinen Hoben, ist es nur eine billige Forderung, daß Unheilstifter bei Zeiten fern gehalten werden. Was nun aber auch geschehen mag, so viel ist richtig, daß der Weltsriedc aus Jahre hinaus gestört werden kann, wenn Eifersüchteleien, Beargwöhnungen und Antipathien zum Vorschein komme», die doch durch Anwendung von ein wenig Tact vermieden werden können." In dem unö zugegangencn Telegramm war nicht klar erkennbar, aus welchem Anlaß die „Times" sich diese Vor lesung geleistet. Man mnßte unter dem „Unheilstifter", der fern gehalten werden sott, den Admiral DiederichS verstehen, von dem englische Blätter behaupten, daß er Schrille gethan habe, um vom Flaggschiff „Irene" eine Abtbeiluug See soldaten in Manila zu landen, unter dem „Vorwande", seine LandSlente zn schützen, worauf Dewen gedroht habe, er werde gegebenenfalls die deutsche Pinaffe in Grund bohren. Nach dem Zusammenhang des „TimcS"-ArtikelS ist aber ein ganz anderer, nämlich der Fürst Radziwill gemeint, der eine Unter redung mit einem Milarbeiter derP a ri s er „Libcrtö" gehabt und in dieser, wie wir berichteten, gesagt haben soll, zwischen England und Deutschland existirten allerdings bestimmte Ab machungen, die aber nur specielle Interessenfragen berührten. Diese Abmachungen schlössen eine Annäherung Frank reichs an Deutschland l.-ineSwegs aus. Eine Gefahr in ökonomischer Beziehung drohe den contincntalen Machten Feuilleton. Gräfin Marie. I8j Roman von Woldem ar Urban. Nachdruck verboten. „Sehr schön", antwortete der Beamte, „aber ich bedaure, Ihrer Bitte nicht entsprechen zu können. Aber was ich thun kann, ist, daß ich Ihnen erlaube, Ihre Clientin in einem geschlossenen Wagen, den Sie zu stellen haben, nach ihrem Detentionsort zu begleiten." „Herr Procurator " „Kein Wort, Herr Rechtsanwalt. Ihre Ansicht über den Fall in allen Ehren hat doch keinerlei Werth für mich, so lange der Gerichtshof nicht über den Fall befunden hat. Ich richte mich also streng nach meiner Instruction." Don Antonio machte seine Verbeugung. Der Fall war er ledigt. „Ich werde Dich natürlich begleiten", wandte er sich wieder zu Anunziata, „und darüber wachen, daß Dir alle mögliche Erleich terung während Deiner hoffentlich nur kurzen Haft gewährt wird. Hast Du sonst noch etwas auszurichten? An Deinen Vater oder an sonst Jemand?" Sie verneint«. „So sind wir hier wohl fertig?" fragte Don Antonio weiter. Der Director de Matttia, welcher bisher nachdenklich vor sich hinblickend und ziemlich passiv die Scene beobachtet, näherte sich ihm und begann: „Herr Rechtsanwalt, ich möchte Sie noch ersuchen —" „Pardon, Herr Director", unterbrach ihn Don Antonio. „Sind Ihre Aussagen zu Protokoll genommen worden?" „Ja, soeben, als Sie eintraten." „So entschuldigen Sie mich wohl bis auf Weiteres. Wir haben Beide nichts zu verhandeln und sehen uns wohl erst im Gerichtssaal wieder", erklärte Don Antonio scharf und bestimmt. De Mattia zuckte gleichgiltig mit den Schultern und trat zurück. Vielleicht war es unklug von Antonio in seiner Eigenschaft als Vertheidiger, die Erklärungen eines so wichtigen Zeugen in der Sache zurückzuweisen, aber es war ihm in diesem Moment vollständig unmöglich, mit einem Manne zu verhandeln, dessen Rücksichtslosigkeit und Gewissenlosigkeit so unnennbare Leiden und Qualen über eine ganze Familie heraufbeschworen hatte. Don Antonio ging fort, um einen großen viersitzigen, ge schlossenen Wagen zu holen. Er fand einen solchen auch ganz in der Nähe, wo sich die großen Hotels befinden, und kehrte damit zurück nach dem Palazza Aquaviva. Die Menge, die sich vor demselben inzwischen Kopf an Kopf zusammengedrängt, wich ihm aus. Jeder erwartete, die Mörderin zu sehen, wenn sie herab gebracht wurde, ein Schauspiel, nach dem ein Neapolitaner meilenweit läuft und auf das er tagelang geduldig wartet. In dessen hatten sich die Neugierigen diesmal doch einigermaßen verrechnet. Anunziata war durch die Sorgfalt Don Antonio's dicht verhüllt und verschleiert und stieg rasch in den bis in das Thor hereingefahrenen Wagen, so daß sie kaum die zunächst Stehenden zu Gesicht bekamen. Ihr folgte der Procurator, dann Don Antonio und «in Beamter in Civil. Dann knallte der Kutscher drohend unter die Menge hinein. Es öffnete sich vor den Pferden eine Gasse und der Wagen fuhr davon XVI. Ein Ehescheidungüproceß ist die langweiligste und peinlichste Erfindung, die jemals ein Mensch gemacht hat. Niemand empfand das tiefer und bitterer als Gräfin Marie. „Gräfin Marie!" Wie lange sollte sie, mußte sic es noch sein? Der Name fing jetzt schon an, sie nervös zu machen, so oft sie ihn börte. So ändert sich der Mensch! Denn der Titel war noch Buchstabe für Buchstabe genau derselbe, den sie seiner Zeit mit der ganzen Kraft der Seele gewünscht und erstrebt, der sie die Gegenwart hatte vergessen lassen um der Zukunft willen, die nun wie ein tückisches Traumgebilde zerfloß. Don Antonio that, was er konnte, um die Sache zu beschleunigen, aber Starace that auch, was er konnte, um sie zu verschleppen. So verging Monat auf Monat, ohne daß der Proceß merklich von der Stelle gerückt wäre. Man hatte den Grafen des Diebstahls angeklagt, um dadurch einen Drücker gegen ihn in die Hand zu bekommen, aber auch das hatte seine Schwierigkeiten, Starace war nie aufzufinden, wenn man ihn suchte. In dieser schweren Zeit, die nur manchmal durch Briefe aus Berlin in angenehmer Weise unterbrochen wurden, war es für Gräfin Marie doch eine Abwechslung, in ven Zeitungen die Angelegenheit Anunziata's zu verfolgen. Natürlich kam von dieser Sache so wenig wie möglich in die Öffentlichkeit. Alle Betheiligten hatten ein zu großes Interesse daran, sich darüber auszuschweigen. Aber das genirte einen richtigen Zeitungsreporter nicht, und die kleinen neapolitanischen Klatsch blätter modelten den Vorfall nach dem Geschmack ihres Publikums mit Hilfe der freien Phantasie um. Gräfin Marie war entsetzt, was unter diesen Umständen aus der armen „Santa" gemacht wurde. Sie mochte gewesen sein wie und was sic wollte, Niemand konnte sie in Schutz nehmen. Aber was da unter den Fingern der Reporter oft nur andeutungsweise und verschleiert entstand, war ein Ungeheuer, ein Monstrum, eine Unmöglichkeit. Auch nicht im Entferntesten kennte in irgend einem anständigen Kreis erörtert werden, was sich die Reporter in Bezug auf sie leisteten. Unter diesen Umständen waren der Gräfin Marie die Besucht Don Antonio's, die ihr dieser manchmal im Hospital machte, so erwünscht wie möglich. Von ihm tonnte sie doch wenigstens positive Nachrichten über den Vorfall erhalten, der sie in tiefster Seele ergriffen und erschüttert hatte. Er sprach mit Assunta — in der Zeitung hatte sie sogar gelesen, daß sich der Vertheidiger Antonio Caruso öffentlich mit seiner Clientin verlobt habe —, war über den Fortgang der Sache aus den Acten unterrichtet und konnte sichere Auskünfte geben. „Nun, wie steht's, Don Antonio?" fragte sie bei einer dieser Gelegenheiten wieder — es war schon im März und die arme Anunziata saß schon seit Monaten in den Untersuchungs gefängnissen von Don Ferdinando — „was macht meine arme Freundin? Darf man noch immer nicht mit ihr sprechen?" „Nein", antwortete Don Antonio etwas zugeknöpft, „selbst ich muß jedesmal einen Erlaubnißschein vom Staatsanwalt haben." „Aber man kann doch von ihr sprechen, wenn nicht mit ihr?" „Mir werden Sie doch Näheres mittheilen, Herr Rechts anwalt. Sie glauben nicht, wie nahe mir das Schicksal der jungen Dame geht." „Ich glaube es, denn Sie haben selbst am eigenen Leibe die Erfahrung machen müssen, wie unterwühlt das ganze neapolitanische Gesellschaftsleben ist. Wie der Boden, auf dem eS sich entwickelt, vulkanisch ist, so ist auch die neapolitanische Gesellschaft zu plötzlichen Eruptionen vorbereitet. Wie Blitze fahren die Ereignisse hier durch alle Schichten der Bevölkerung, eine rasche That, die langsam und allmählich reift, verbreitet blendend und erschreckend eine Helle, beleuchtet Abgründe, die Niemand vorher ahnt. Ich bedaure nur, daß diese Erkenntniß für Sie so spät kommt und Sie nicht mehr vor den schweren Jrrthiimern, denen Sie hier verfallen sind, bewahren kann." „Nun. ich hoffe doch auf ein gutes Ende." „Ich will Ihnen diese Hoffnung nicht zerstören, wenn ich Ihnen auch nicht verhehlen darf, daß ich sie vorläufig nicht theilen kann. Hier sind auf jeder Etappe Ueberraschungen der ge wagtesten Unwahrscheinlichkeiten möglich, und man sieht nie das Ende, bevor es da ist." „Gott helfe uns! Aber, um wieder auf die arme Anunziata zu kommen — ist es wahr, was in den Zeitungen steht?" „Was steht in den Zeitungen?" „Daß Sie sich mit ihr verlobt haben." „Das ist ausnahmsweise wahr. Ja, ich habe meine Ver lobung mit Anunziata bekannt gegeben und bin hier, um auch Ihnen die Neuigkeit mitzutheilen. Ich hätte mit dieser Vcr iündigung auch noch warten können, das ist wohl wahr, aber ich habe mit Absicht jetzt darauf bestanden, wiewohl auch Anun ziata dagegen war, um der Welt zu zeigen, wie heiliger Ernst es mir mit der Vertheidigung Anunziata's ist. Ich fühle mich mit ihr eins und habe die feste Ueberzeugung, daß sie gehandelt hat, wie sie als ehrliches Mädchen handeln mußte, und ich werde Alles aufbieten, um sie auch in den Augen der Welt so dar zustellen, wie sie mir erscheint." „Hier meine Hand, Herr Rechtsanwalt, Sie haben doch wenigstens den Muth Ihrer Ueberzeugung. Ich bezweifle sehr, daß in irgend einem Lande sich Jemand unter gleichen Um ständen zu gleichen Schritten entschließen würde. Das muß hier in Neapel besonders überraschen." „Ich weiß, was Sie sagen wollen, Frau Gräfin, und nach den Erfahrungen, die Sie bei uns haben machen müssen, begreife ich es auch, wenn Sie die Neapolitaner schlechthin für ein ver konrmenes Volk halten. Und doch thun Sie uns Unrecht." „Mit Ausnahmen." „Auch das stimmt nicht. Die Neapolitaner sind ein hoch beanlagtes Volk. Mag man immerhin Neapel scherzweise die Stadt der Leierkästen nennen, so ist doch kein Volk der Erde musikalisch so begabt wie die Neapolitaner. Unsere Maler bilden eine besondere Schule in der Kunst, unsere Redner sind die besten von ganz Italien. Aber die Neapolitaner sind geworden, was sie unter der Jahrhunderte langen Mißregierung werde» mußten. Bedenken Sie, daß Neapel in seiner ganzen Geschichte keinen neapolitanischen Herrscher aufzuweisen hat, dagegen sind wir mit Fürsten nahezu aller Völker gesegnet worden, die Europa aufweist. Franzosen, Deutsche, Spanier, Ungarn haben sich auf dem Thron von Neapel abgelöft, nie saß ein Neapolitaner darauf. Wir waren für Alle die melkende Kuh. Das war unser Elend und das ist's in seinen Nachwirkungen noch heute." „O, ich bin überzeugt, daß es in Neapel eine Menge guter, braver, intelligenter Menschen giebt, nur giebt es auch gar zu viele Lumpen und Spitzbuben." „Leider sind wir auch darin allen anderen europäischen
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