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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.03.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990302025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899030202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899030202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage« (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition z« richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. m Donnerstag den 2. März 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. März. Kaum ist der Triumph bekannt geworden, den der JesuitiSmu» übtr Professor Schell davongctragen bat, und schon weiß die „Köln. Bolksztg." zu berichten, anch in Sachen de» JesnitengcsetzeS stehe den Freunden und Ber- lheidigern des IesuitismuS und also diesem selbst ein Erfolg in naher Aussicht. Da« klerikale Blatt schreibt nämlich: „Zu den Anträgen de» Reichstages, betr. das Jesuitengesetz, wird der Bundesrath voraussichtlich schon in nächster Zeit Stellung n hnien. Gutem Vernehmen nach begegnen die Anträge aus Bc- seitigung des 8 2 Les Jesuitengesetzes bei der Mehrheit der Bundes- regierungen keinem Bedenken mehr; ferner soll die Bundes- rathSverordnung, welche noch die Lazaristen und den Orden vom uaore cosur ausschlleßt, aufgehoben werden." Der „Nat.-Lib. Corr." wird allerdings diese Meldung von gutunterrichteter Seite al« eia „Fühler" bezeichne:, aber wenn dies auch zutrifft, so erfährt man doch zugleich aus der „Germania", wie gut das Centrum sich bewußt ist, eventuell bei der Weiterberathung der Militärvorlage ein Zwangs mittel in Anwendung bringen zu können. Die „Germania" führt nämlich auS: „Die parlamentarische Lage wird von einem Theil der Militär- freundlichen Presse als kritisch betrachtet, nachdem das Centcum bei der ersten Lesung der Militärvorlage in der Commission nicht für alle Forderungen zu haben gewesen ist. Tie zweite Lesung in der Commission steht noch auS. Was die Stimmung in Len Kreisen der Militärverwaltung anbetrifft, so tritt die Infanteriewaffe nur mit mäßigem Eifer für die geforderte Vermehrung der Cavallcrie ein (?) — das ist bekanntlich der Hauptgegenstand LeS Streites —, dagegen interessirt sich die maßgebendste Stelle gerade nach dieser Richtung hin und soll Anfangs mit Rücksicht auf die zahlenmäßige lieber- legenheit der russischen Cavallerie viel mehr als zehn Schwadronen gefordert haben. Dem Kriegsminister sei cs gelungen, diese Wünsche im Interesse LeS Zustandekommens der ganzen Vorlage herabzu stimmen. Es wird geltend gemacht, daß bei der heutigen mili tärischen Beschaffenheit unserer langgestreckten Ostgrenze russische Cavallerie an einem Tage nach Danzig gelangen könne, aber schließ- lich werden zwei neue preußische Cavallerieregimcnter dagegen auch nichts Entscheidendes auSrichten können." Man sieht: der Weg für die Bewilligung wie für die Verweigerung dessen, was „die maßgebendste Stelle" wünscht, wird trotz einer Versicherung der „Freis. Ztg.", zwischen der Regierung und der CentrumSpartei sei ein Coinpromiß wegen der Militärvorlage bereits abgeschlossen, offen gehalten, so lange die Entscheidung des BundeS- rathS über das Jesuitengesetz noch ausstehk. Wir können uns freilich kaum denken, daß die hohe Körperschaft gerade jetzt sich zwingen lassen werde, den Jesuiten und ihren Rachbetern einen neuen Triumph zu bereiten; daß aber im preußischen Ministerium Neigung vorhanden ist, dem UltramontaniSmu» noch weiter als bisher «ntgeaenzukommen, gehl aus einer Berliner Correspondenz der „Münchner All gemeinen Ztg." hervor, in der über die Gesichtspunkte, die bei der Wiederbesetzung der am 1. April durch Ausscheiden des UnterstaatSsekretärs im Cultusministerium v. von Weyrauch frei werdenden Stellung Folgendes er wogen wird: „v. v. Weyrauch steht gleichzeitig der Abtheilung für geistliche Angelegenheiten vor, die Aufbesserung und Neuregulirung der Pfarrerbcsolbungen ist wesentlich sein Werk. Es ist erwogen worden, ob cs angezeigt erscheinen möchte, bei Neubesetzung der Stelle auf einen Katholiken zurückziigreifen. Jeden falls würde dies als eine große Concession an das Centrum aufgesaßt werden müssen. Ob die Idee sich be- reits zi> einem festen Plan verdichtet hat, oder wieder fallen gelassen worden ist, läßt sich augenblicklich schwer sagen. Es werden aber auch nichlkalbolische Candidaten für den Posten genannt, u. a. der Regierungspräsident Hegel in Gumbinnen, der früher in der geistlichen Abtheilung des Ministeriums tbätig war und ebenso wie der jetzige UnterslaalSsekretär längere Zeit den parlamentarischen Vertretungskörpern als Mitglied der coujervativen Partei angehörle. Tie Stellung de: Unterstaatssekretärc in Preußen wird im Allgemeinen weniger als eine politische, vielmehr als eine geschäftliche angesehen." Selbst wenn die Stellung der Unterstaatssekrctäre in Preußen so unpolitisch wäre, wie es bier dargestcllt wird, würde die Besetzung dcS llnterstaalssckretariats gerade im CultuSministerium mit einem „Katholiken" ein überaus werth volles Zugeständnis; an die preußischen Ultramontaucn sein. Denn einen Mann von der Richtung Schell's dürfte man natürlich nickt wählen; ein solcher würde vom Centrum nicht als „Katholik" angesehen. Und ein Mann, dessen Ernennung das Centrum vollends „versöhnen" und vielleicht sogar eine Weile zum Verzicht aus das Drängen nach völliger Beseitigung des Jesuitengesetzes veranlassen könnte, würde seinen ganzen Einfluß ausbietcn, der Wissenschaft in Preußen den Kappzaum anzulegen. Man wird daher der weiteren Entwickelung der kirchenpolitischen Fragen mit größter Span nung entgegensehen müssen. In Bayern hat die Angelegenheit des Professors Schell in Würzburg natürlich große Bewegung hervorgerusen. lieber die Kundgebungen, die am 27. Februar, nach dem Bekannt werden der Verweisungen seiner Schriften auf den Index, in der Universität stattfanden, bringen die bayerischen Blätter lange Berichte. So meldet man der „Augsb. Abendztg." aus Würzburg: „Eine stürmische Ovation wurde heute zu Beginn des Collcgs von seinen zahlreichen Hörern dem gemaßregelten Professor der Theologie vr. Schell dargebracht. Schell dankte und führte dann aus, daß das Breve des Papstes über den Amerikanismus nicht in Widerspruch stände mit den Anschauungen, wie er sie immer vertreten habe, namentlich, daß keine kirchliche Lehre preis gegeben werden dürfe. Schell betonte, daß er immerdar die Wahrheit über die Opportunität setze, La die persönliche Ucberzeugung der einzige Weg zur Wahrheit und auch zur Glaubenstreue sei. Er schloß mit den Worten: „Für die Wahrheitssorschung, meine jugendlichen Freunde, werden Sie mich immer auf dem Plane finden. Ich habe mir den Spruch der heiligen Schrift erwählt: Streite dein Lebtag für die Wahrheit und der Gott der Wahrheit wird für dich streiten. Wie er es thun will, das sei nicht untersucht und bezweifelt. Aber nehmen Sie das Eine mit von hier fort: Ich habe streiten wollen für die ! Wahrheit und will nach ihr streben mein Leben lang." Lebhaftes „Ge- trampel" lohnte den Redner. Eine zweite Kundgebung er folgte beute Abend vor Beginn seiner Publice-Vorlesung. Lange vor 6 Uhr war der Saal, in dem Schell zu lesen pflegt, jo voll, daß man gezwungen war, den großen Vorlcsesaal zu öffnen. Aber auch dieser erwies sich als zu klein, und jv mußten viele mit einem Stehplatz in den Gängen vorlieb nehmen. Beim Erscheinen Schell's brach das nach Hunderten zählende Publicum, welches sich aus allen Stünden zusammensetzte, in begeisterte, nicht enden wollende Bravorufe aus. Gerührt dankte der Professor für die Ovation. In einftündigem Vortrage, aus welchem zu ersehen war, daß Schell seine Anschauungen in vollem Maße aufrecht erhält, brachte er die Forderungen zur Sprache, welche die neue Zeit an die Religion stellte und welchen sich die Kirche nicht verschließen dürfe noch verschließen könne. In höchster Erregung — die Thränen rollten ihm über die Wangen — versicherte Schell, daß er als deutscher Man», Priester und Gelehrter nur der Wohrbeit gedient habe, nichts zurücknehme und nichts widerruse. All seine Arbeit und Mühe, die er aus Liebe zur Kirche gelhan, das werde ihm nun so vergolten! Er werde aber ein Diener der Wahrheit bleiben, Unterwerfung wäre Feigheit! Der Beifall war un beschreiblich. Tie Aufregung an der Universität ist groß. Die Studentenschaft will Schell einen glänzenden Fackclzug bringen. Die theologische Facultät hat sich, wie man hört, mit nur einer einzigen Ausnahme für Schell erklärt." Ter ultramoutcmen Presse imponirten diese Ovationen und Versickerungen aber nickt. DaS neue Centrunisorgan für Bayern, die „Reue Bayer. LandcSztg.", deutele dein Professor Schell an, wie er seine Versicherungen mit der Unterwerfung in Einklang bringen könne: „Wenn", so schrieb sie, „ein katholischer Priester erklärt, er wolle der Wahrheit dienen, so wird er mit der Kirche gehen, die die göttliche Sachwalterin der Wahrheit ist. DaS entnehmen wir aus den Worten des Herrn Or. Sckell." Und gegenüber der Erwartung eines liberalen Blattes, daß der bayerische C n l t u S m i n i st e r von Lanvmann eine „kraftvolle Stellung" einnebmen werde, wenn etwa die kirchlichen Behörden Prof. Schell'S in Folge des Spruches RoniS ein Colleginnisvcrbot an Theologie- studirende ergehen lassen sollten, schrieb das klerikale Organ: „Wir trauen dem jetzigen Herrn Cultusminister Verschiedenes zu, aber die „kraftvolle Stellung" n i ch t. Wenn eS zu einem solchen Schritte der kirchlichen Behörden, wie ihn schon Herr Stadtpsarrer Huhn-München im ersten Stadium der Schcll'jchen Erörterungen prognoslicirte, käme, dann würde Herr Cultusminister Vr. v. Land mann dafür sorgen, Laß er auch Erfolg hätte. Erinnert sich die „Abendzeitung" nicht der Münchener SchulrathS-Nssaire 1894? Ein Cultusminister in Bayern wandelt nicht mehr Lutz'jche Bahnen! Tie „Abendztg." kann „ruhig Gift darauf nehmen", daß Herr v. Land- mann sehr „schwach" sein würde, wenn Las Collegiumsverbot käme. Warum? Darum!" Und siehe, heute berichtet die „Germania": „Professor vr. Schell unterwirft sich. Aus Würzburg kommt uns soeben die erfreuliche Nachricht, welche wir bei der uns bekannten lauteren Gesinnung Schell's nicht anders erwartet haben. Professor vr. Schell, so schreibt uns unser Gewährsmann, wird seine Lehren dem llrtheile Roms entsprechend mit den Kirchcnlehren in Einklang setzen. Er hat dies heute (Dienstag) den Professoren der theologischen Facultät gegenüber erklärt und will es morgen dem Bischof gegenüber förmlich zum Ausdruck bringen. Bravo I Die Hoffnungen der liberalen Presse, welche Professor Schell so gern als Sturmbock gegen die katho- lische Kirche mißbraucht hätten, sind also in nichts zerflossen. Professor Schell hat die schwere Probe bestanden. Sei» Ver halten der kirchlichen Autorität gegenüber verdient die höchste An- erkenn un g." ES ist zwar die „Germania", die daS meldet, aber trotz dem Kat eS die Wahrscheinlichkeit für sich, denn Prof. Schell ist kein Döllinger und weiß sehr genau, daß der jetzige bayerische Cultusminister Lutz'sche Bahnen nicht wandelt. Und wenn er seine Unterwerfung öffentlich erklärt, so wird rr nicht minder stürmische Ovationen von Denen ernten, die sich mit ihm unterwerfen; dem Cultusminister v. Landmann wird ein schwerer Stein vom Herzen fallen und aus die Bewegung der letzten Tage wird eine tiefe Stille folgen — die Stille des Friedhofs. Neber die Erkrankung dcS Pa-steS Leo XIII., der heute in sein 90. Lebensjahr tritt, liegen neuere Meldungen vor, auS denen sich ergiebt, daß die Operation, welche nötbig wurde, um eine durch Erkältung entzündete alte Fistel an der linken Hüfte zu beseitigen, glatt von Stallen gegangen und daß daS Befinden deö Patienten den Umständen an gemessen befriedigend ist. Unsere Nachrichten besagen im Einzelnen Folgendes: * Nom, I. März. Die Aerzte Mazzoni und Lapponi ver ließen die Gemächer des Papstes um 5 Uhr Nachmittags und äußerte» sich befriedigt über den Zustand desselben. Die Körper temperatur betrug nach ihren Messungen 37,5. Im Vatican stellen sich zahlreiche Besucher ein, welche über den Zustand des Papstes Erkundigungen einzichcn. Ter Verlauf der Krankheit wird in alle» Kreisen, auch in den Hoskreisen, mit ausrichtigem Interesse verfolgt. Im Vatican ist Alles ruhig. Der Cardinal - Staatssekretär Nam pol la machte Nachmittags wie gewöhnlich seine Spazierfahrt. Auch der Arzt des Papstes, Lapponi, ging nach der Operation aus, wird aber heute Nacht im Vatica n schlafen. Während der Operation sprach der Papst den Wunsch aus, daß sein Caplan Angeli eine Messe celebrire. Nach der Operation scherzte der Papst mit den Aerzten. Im Laufe des Tages schlief er zwei Stunden. * Rom, 1. März. (Abends.) Angesichts der Schwäche des Papstes übten die Aerzte nur eine locale Betäubung mit Cocain auS. Ter Papst seufzte bei der Operation, stieß aber keinen Schrei aus und zeigte nach dem 12 Minuten dauernden Eingriff eine ruhige Heiterkeit. Er sagte zu Mazzoni: „Sie hatten viel Muth, einen Mann in meinem Alter zu operiren .." — Die „Italic" meldet, daß die Dyssenterie den Aerzten eine gewisse Sorge bereite, La die Schwäche des Papstes eine Blutvergiftung befürchten lasse. Wenn indessen die Nacht gut vorübergehr, so sei eine baldige Heilung zu erwarten. Tie Aerzte empfehlen, den umlaufenden Gerüchten aller Art keinen Glauben zu schenken, sondern sich nur an die amtlichen Bulletins zu halten, welche peinlich genau seien. — Ganz Rom spricht von dem Befinden des Kranken, das Aussehen der Stadt ist indessen normal, abgesehen von der großen Bewegung in den beim Vatican liegenden Stadttheilen. —Den ganzen Tag, bis 7 Uhr Abends, fuhren Equipage» mit Personen vor, welche Erkundigungen einzogcn. Bor dem Bronze-Thor Les Vatikans standen Schaaren von Geistlichen und Laien. Die Pferdebahnen waren von Fremden überfüllt, die nach dem Petcrsplatze fuhren, nm sich das Zimmer zeige» zu lassen, in dem der Papst schläft. — Abends war Alles ruhig, auch vor dem Vatican. — Der König und die Königin, der Minister- Präsident Pelloux und der Minister deS Auswärtigen Canevaro haben Anordnungen getroffen, welche schnelle und häufige Infor mationen über Len Zustand des Papstes gewährleisten. In den Regierung»- und diplomatischen Kreisen ist man auf alle- gefaßt. Die Minister des Auswärtigen und des Krieges waren bis ties in die Nacht mit dem Erlaß von Anordnungen und Anweisungen für Len Fall der Erledigung des päpstlichen Stuhles beschäftigt. — Mehrere auswärtige Souveräne haben sich nach dem Be- finden des hohen Patienten erkundigt. * Rom, 2. März. (Telegramm.) Die „Voce della Verita" und der„Osservatore Romano" melden, daß der Gotlesd ienst, der in Gegenwart des Papstes gelegentlich LeS Jahrestages seines Amts- antritteS abgehaltcn werden sollte, auf den nächsten St. Leo-Tag verschoben worden ist. Gräfin Marie. hgj Roman von Woldemar Urban. NaLeruck «rbotm. Don Antonio erhob sich. Er war ein geschickter Redner. Tein Vortrag war frei, leicht ansprechend, glatt und fliehend, klar und bündig, seine Stimme warm und llangreich, jede innere Bewegung widerspiegelnd. „Meine Herren", sagte er, „Ihrer Beurtheilung untersteht heute ein Vorfall, wie er vielleicht noch keinem Gerichtshof der Welt zur Aburtheilung vorgelegen hat. Ein junges Mädchen hat durch die Thatsachen, die Ihnen durch die Zeugen mitgetheilt worden find, gezwungen, ihre Schwester getödtet. Sie hat es ge lhan, nachdem sie erkannt, daß diese Schwester die Ehre ihrer Familie besudelt, ihre eigene Ehre verkauft und die Angeklagte selbst an den Pranger gestellt hat. Keine anderen Motive liegen vor. Ich bitte inständigst, das s«ist>zuhalten. Die That der An geklagten ist eine nothgedrungenc Vertheidigung und Wieder herstellung ihrer Familienehre. Diese That hat faktisch die Wiederherstellung ihrer Ehre zur Folge, denn Niemand, auch Herr de Mattia nicht, wird es wagen, jetzt noch die weibliche Ehre 'der Angeklagten in Zweifel zu ziehen. Die That charak- terffirt sich also in ihrem Erfolg als etwa» Gutes, als etwas Reinigendes, das Blut, das im Palazzo Aquaviva geflossen, hat den Schandfleck weggewaschen, den eine Verworfene auf sich und ihre Familie gebracht. Und DaS, meine Herren, soll ein Mord fein? Ebenso wenig wie Sie den Soldaten, der im freien Felde zur Vertheidigung seines Vaterlandes, seiner Unabhängigkeit, feiner Ehre und der Sicherheit seiner Familie tödtet, einen Mörder nennen dürfen, ebenso wenig ist meine Clientin eine Mörderin!" Ein lebhaftes Beifallsgemurmel, kurzes Bravorufen und eine aufathmende Bewegung machte sich im Publicum hörbar. Don Antonio machte eine kleine Pause. Der Präsident klingelte Ruhe, und erst al» diese hergesiellt, fuhr der Dertheidiger fort: „Die Achtung vor un» selbst, meine Herren, die Achtung vor der Moral im Menschen nimmt meine Clientin in Schutz, spricht sie frei von Schuld. Schließlich ist der Mensch doch ein moralisches Geschöpf, trotz alledem. Sein Gefühl empört sich unwillkürlich der Unmoral gegenüber. Der Inhalt seiner Natur ist ursprünglich harmonisch, den Verstöße gegen Moral und Sitte beleidigen. Nur eigene Verkommenheit oder eine gewisse moderne Schwäche, eine Verloddcrung, die man gern als vorgeschrittene Erkenntniß von Zeit und Menschen hinstellen möchte, die aber nichts Anderes ist, als Verfall der Grunvpfeiler der mensch lichen Existenz, kann schon das gesunde Gefühl abstumpfen, hier aber, in meinem Fall, stellt sich die ursprünglich« Reinheit, der streng sittlich« Urbegriff als Motiv der That dar. Und das wollen Sie strafen? Was hätten Sie denn gemacht, meine Herren", fuhr Don Antonio plötzlich schärfer und eindringlicher fort, „oder was hätten Sie denn gewünscht, daß meine Clientin zur Wieder herstellung ihrer Ehre thun solle? Sollte sie denn das Gericht anrufrn? Kein Gesetz hätte ihr geantwortet. Oder sollte sie die Oeffentlichkeit benutzen, um ihre Ehre wieder herzustrllen? Man hätte sie ausgclacht. Nein, meine Herren, die Ehre kennt nur einen Richter und der ist sie selbst, und wo die Ehre spricht, schweigt das Gesetz. Der Staat, der dem Individuum verbietet, seine Ehre zu schützen, und wenn sie verletzt ist, sie wieder her- zustellen, ist reif zum Verfall, denn der Staat und das staatliche Gesetz basirt auf der Moral, auf dem reinen Ehrgefühl. Da alte kanonische Recht, wenn auch nicht mehr verlautbart in dem Paragraphen unseres modernen Gesetzbuches, ist doch der Grund pfeiler unserer Justiz und dieses räumt ausdrücklich dem in seiner Ehre Verletzten das Recht der Wiederherstellung unter allen Umständen ein. Ich beantrage Freisprechung der An geklagten." Ein donnernder Applaus im Zuhörerraum folgte diesem Wort. Es war, als wenn es dem jungen Anwalt in seiner zündenden klaren Beredtsamkeit gelungen wäre, den Funken zu wecken, der in jeder Brust schlummert. Jeder, der ihn hörte, wünschte offenbar, daß seinem Antrag Folge gegeben würde, daß die schwer Geprüfte, im Drange ihres Herzens, in der Ver zweiflung ihrer ehrlichen Existenz Handelnde als rin armes Menschenkind in ihrem Menschenrecht bestätigt und außer Schuld und außer Verfolgung gefetzt würde. „Meine Herren, fern sei eS mir", fuhr Don Antonio mit erhobener Stimme fort, „die Majestät de» Gesetzes zu beugen, im Segentheil, hoch erheben will ich sie, ich will Ihr Gefühl, Ihr Mitleiden mit der Angeklagten Wecken, damit Die ihr gerecht werden und das Gesetz nicht mißbrauchen an einer reinen Seele. „Denn Mitleid ist die Lugend der Gesetze Und nur Tyrannen brauchen » zur Gewalt!" Don Antonio hatte geendet und setzte sich etwas erschöpft mit einer leichten Verbeugung gegen den Richtertisch nieder. Aber wenn er noch im Zweifel über den Eindruck, den er ge macht, gewesen wäre, so hätte ihn die tiefgehende Bewegung, die durch das Publicum ging, belehren können, daß er sein Bestes, sein Meisterstück geleistet hatte. Kein lautes, jubelndes Gejohle ließ sich vernehmen, verschwunden war alle nach Pikanterien haschende Begierde, er hatte sein Publicum gepackt, rmporgetragen nach der reinen Höhe des Gefühls, wo sich der Mensch mit dem Menschen fühlt. Anunziata, die gleich unter halb seines Sitzes saß, richtete sich, als er geendet, rasch auf. Ihre Augen standen voll Thränen und mit zuckenden Händen griff sic nach seiner Hand, die wieder auf dem kleinen Pult vor ihm lag, um ihre Lippen fromm darauf zu drücken. Er wehrte ihr rasch. „Beruhige Dich, mein Herz", flüsterte er ihr leise zu, „be ruhige Dich. Noch sind wir nicht am Ende." Eine kurze Pause entstand. Der Präsident that an den Staatsanwalt die üblich« Frage, ob er etwas zu erwidern habe. Er verneinte. Auch Anunziata hatte nichts mehr zu sagen. Sie hätte gefürchtet, nur ab zuschwächen, was ihr Vertheidiger eben in der echten Sprache deS Herzens gesprochen Der Gerichtshof zog sich zur Berathung zurück. Der Staatsanwalt stand auf und näherte sich dem Ver theidiger, indem er ihm die Hand reichte. „Herr Rechtsanwalt, ich gratulire", sagte rr. „Sie haben gethan, was zu thun möglich war. Wenn es nicht» nützt, wird es nicht Ihre Schuld sein. Indessen glaube ich wohl, daß Sie ein paar Jährchen herunter gehandelt haben. Wollen wir wetten? Ich kenne den Gerichtshof. Er wird den Mittelweg einschlagen, das heißt, auf fünf Jahre erkennen. Damit können wir uns Beede zufrieden geben." „Ich nicht!" erwiderte Don Antonio rasch. „Mr werden sehen." Der Vertheidiger wandte sich zu Anunziata und sprach ihr Muth rin. Er konnte ja natürlich auch nicht wissen, wie da» Urtheil auSfiel, denn seine gute Ueberzeugung war nicht maß gebend für Andere. Aber jedenfalls war er zufrieden mit sich. Er hatte gethan, was er konnte, das Andere mußte er Gott uns den Menschen da drinnen überlassen, die nicht nm über Glück und Leben der Angeklagten, sondern auch über sein Herzensglück zu entscheiden hatten. Seine Aufregung war ungeheuer und wuchs von Minute zu Minute. Die Berathung der Richter dauerte lange. Ein heißer Meinungsstreit schien dort hinter jener Thür ausgesuchten zu werden. Aber Niemand in dem übervollen Saal verließ seinen Platz. Jeder wollte daS Urtheil hören, das sich nach Antrag von Staatsanwalt und Vertheidiger in so ungeheuren Gegen sätzen bewegen konnte. Die Geduld der Anwesenden wurde auf «ine harte Probe gestellt. Eine halbe Stunde, eine Stunde verging und Niemand ließ sich von den Richtern wieder sehen. Endlich nach Verlauf von fünfviertel Stunden kam der Gerichtkhof mit dem Präsi denten an der Spitze zurück und nahm ruhig und würdig seine Sitze ein. Darauf erhob sich der Präsident und verkündete unter lautloser Stille da» Urtheil. „In der verhandelten Sache" — so sagte er mit lauter, überall vernehmbarer Stimme, „hat der königliche Gerichtshof folgende Entscheidung getroffen: Die Angeklagte, Fräulein Anunziata Eesarini, Tochter des Herrn Commrndatore Filiberto Eesarini, ist von der ihr zur Last gelegten Beschuldigung freizusprechen und sofort aus der Haft zu entlassen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatkcasse. Die Be gründung deS Urtheili wird den Betheiligtrn auf Verlangen bekannt gegeben." Ein donnernder Applaus, lautes Beifallsrufen, Händeklatschen der aufgeregten Zuschauermenge erfüllte plötzlich nack der athem- losen Stille den Saal, aber Alle» übertönend, gellte jubelnd, wie ein aus Roth und Tod bedrückter Brust uryewaltig hervor brechender Erlösungsruf, ein Schrei durch die Hobe ernste Halle und im selben Moment lag Anunziata schluchzend und zuckend an der Brust ihre» Vertheidiger». Gefunden! hallte e» in ihrem Herzen wider. Gefunden trotz Noth und Gefahr, trotz wildem Droben des Geschickes und hartem Kampf mit den Menschen, gesunden durch Kraft und Ausdauer, durch Reinheit der Gesühle und Much der Ueberzeuguny. (Schlaff folgt.)
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