01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.02.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990218010
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899021801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-18
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Größere Schriften laut unserem Preis» vcrzeictmiß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. bptra-Bcilagcn (gefalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbesörderung -4 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschlnß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sonnabend den 18. Februar 1899. 93. Jahrgang. Die erste Lesung -es Invalidenverficherungsgesehes. L Der Reichstag hat vier Tage an die erste Lesung der Novelle zum Invalidität«- und Altersversicherungs gesetz verwandt, ein Zeitverbrauch, der an sich durch Vie Wichtigkeit des Gegenstandes gerechtfertigt erscheint. Aber die ungeheuere Schwierigkeit, der vielgestaltigen Materie Herr zu werden, mußte den Bemühungen einer ernsten Be- rathung spotten, zumal da die Vorlage alsbald nach ihrer Ein bringung auf die Tagesordnung gelangt war. Man darf denn auch sagen, daß diese Debatte die Sache so gut wie gar nicht gefördert bat, ja, daß sie, je länger sie dauerte, desto werth loser wurde. Gleicht die Vorlage, die an den verschiedensten Puncten des bestehenden Invaliditätsversicherungsgesetzes — dieses der für die Zukunft in Aussicht genommene Name — mit Aenderungen einsetzen will, einem Kaleidoskop, so gilt dies von dem Bilde dieser viertägigen Verhandlungen erst recht. Der Reichstag bätte Wohl daran getban, in dieser Angelegen heit zu handeln wie am lO.d.M.daS preußische Abgeordnetenhaus, das zwei Aussührungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuch nach kurzer erstmaliger Erörterung durch Sachverständige an eine Commission verwies. Beim ZnvaliditätSgesetz hingegen kamen, vielleicht nur, weil der schlechte Besuch des Parla ments einen rechtzeitigen Schluß der Debatte unmöglich machte, gänzlich Unberufene zum Wort, und die mit Sachkenntniß ausgestatteten Redner verkennen selbst nicht, daß sie mit ihren Ausführungen in diesem Stadium die Angelegenheit nicht weiter gebracht haben. Ob die nun beginnenden Commissionsberathungen ein positives Ergebniß liefern werden, steht aber auch noch dahin. Wegen der unzweifelhaften Verbesserungen, die die Vorlage enthält, wäre ein vollständiges Mißlingen sehr zu bedauern. Aber der Hauptpunkt des Entwurfs, die vor geschlagene neue Art der Rentenvertheilung, kann leicbt ein Bleickgcwicht werden, daS das Ganze zu Boden zieht. Es bandelt sich bekanntlich um einen „VermögenSausgleich" unter den Versicherungsanstalten. Die östlichen Anstalten, dazu die von Niederbayern, sind durch eine große Anzahl von Altersrenten, zum Theil vielleicht auch durch den starken Abfluß junger Leute in eine üble Lage geralhen. Um ihnen, namentlich den ostpreußischen, aufzuhelfcn, sollen alle Anstalten gemeinsam zur Zahlung aller Altersrenten herangezogen werden. Es wäre hiermit natürlich eine starke Mehrbelastung derjenigen Anstalten verbunden, bei denen die Invalidenrente die Haupt rolle spielt. Vielen dieser Anstalten würde dadurch die Ge währung von Leistungen, die über die gesetzliche Grenze hinauS- reichen, erschwert oder unmöglich gemacht. Kein Wunder daher, daß nicht-socialdemokratische Bergarbeiter des Westens die ihren Anstalten angesonnene Verpflichtung, mit ihrem Vermögen für den Osten einzuspringen, als einen „Raub" bezeichnet haben. Für den vorgeschlagenen Modus sind im Reichstag denn auch fast nur Agrarier eingetreten. Aber auch die Gegner der in Aussicht genommenen Aenderungen baben in der Mehrzahl die Nothwendigkeit eines Ausgleichs anerkannt nnd namentlich von nationalliberaler Seite sind andere Wege zum Ziele der Entlastung der nothleidenben Anstalten angedentet worden. So wünschte der Abg. Hilbeck die Bildung eines AusglcichSfonds, und der Hauptredner! der Partei, der Abg. Hofmann, gab drei verschiedene! AuSkunstömittel der Erwägung anheim. Er bezeichnete die I Erleichterung der überwiegend ländlichen Anstalten durch Er höhung des Reichszuschusfes für die erste Lohnclasse als einen Ausweg; er wies ferner auf die Möglichkeit hin, durch Rück versicherung der Anstalten Abhilfe zu schaffen; endlich nannte er die Aufstellung eines HeimalhSprincips, wonach die Landes angehörigen lebenslänglich bei der Heimathsanstalt versickert bleiben. Den technisch einfachsten Vorschlag machte der Abg. Frhr. v. Stumm: das Zurückgrcifen auf die bei der Schaffung des Gesetzes in Aussicht genommene Errichtung einer einzigen Anstalt für daS ganze Reich. An die Verwirk lichung dieses Gedankens ist auS politischen Gründen leider nicht zu denken; ob sich eine der andern Anregungen frucht bar erweist, steht dahin. Der AuSgleichsmoduS des Regierungsentwurfs dürfte aber kaum accepNrt werden, obwohl Graf Posadowöky von seiner Annahme dasZustanvekommen der übrigenTheile des Gesetzes abhängig macken zu wollen schien. Er beschwor die liberalen und klerikalen Gegner sehr heftig, indem er seine Ausgleichsart ein „Correlat der Freizügigkeit" nannte. Sollte in diesem Worte etwa eine Drohung liegen, so würde die an der Freizügigkeit festhaltende Mehrheit nach der guten Regel handeln: „Bange machen gilt nicht." Felix Faure —C. Die Tbeilnabme an dem tragischen Ende des Prä sidenten der französischen Republik ist eine allgemeine, bei allen Parteien in Frankreich, was viel heißen will, wie auch außerhalb deS Schallens der Tricolore. Von ganz besonderem Interesse ist die Beileids-Kundgebung des deutschen Kaisers, der wieder der ersten einer unter den fürstlichen Condolenten ist und sich bei der Beisetzung Faure's durch eine eigene Mission vertreten lassen wird. Nicht min deres Aussehen wird es machen, daß auch unser Reichs kanzler , Fürst Hohenlohe, im Reichstage Gelegenheit genommen hat, dem verewigten Präsidenten einen sehr warmgehaltenen, die französische Nation hoch ehrenden Nachruf zu widmen, und daß der Reichstag sich dabei von den Sitzen erhoben hat. DaS wäre vor Faschoda nicht wohl möglich gewesen. Die englische Presse wird sich den Anschein geben, dieses neue Anzeichen einer französisch-deutschen Annäherung als im Interesse deS Welt friedens zu begrüßen, aber man wird zwischen den Zeilen das immer rege Mißtrauen gegen Deutsckland lesen können, welches noch nicht zu der Einsicht gelangt ist, daß seine Mission eS in daS Kielwasser Großbritanniens und sonst nirgend hin verweist. Wir versprechen uns von einem Zusammengehen Frankreichs und Deutschlands, wie man eö sich jenseits der Vogesen denkt, nicht eben viel für unS — schon neulich äußerten wir unS in diesem Sinne —, aber mir Rücksicht aus die Vorgänge in dem verbündeten Oesterreich ist es klug, die uns enigegengestreckte Hand nicht brüsk zurückzustoßeu. Dazu baben wir gar keine Veranlassung. Dürften wir in den Kundgebungen des Kaisers und des Reichstages noch eine Andeutung dafür erblicken, daß unsere bmteuto corclialv mit England eine nicht zu corbiale ist und uns vollste Bewegungs freiheit nach allen Seiten läßt, so heißen wir das Verhalten unserer ersten Reichsvertrctung doppelt willkommen. Die französische Presse äußert sich über die etwaige Rück wirkung des TodeS Felix Faure'S auf die innere Lage der Republik nicht allzu pessimistisch, und in der Thal ist auch noch kein Prätendent auf der Bildfläche erschienen. Der große Moment scheint im royalistischen Lager ein kleines Geschlecht zu finden. Allein ohne heftigen, leidenschaftlichen Kampf wird die Neu wahl im Congreß nicht vorübergehen, und daS Staatsschiff wird schwerlich ohne heftige Erschütterung auS dem anhebenden Sturm bervorgeben. Wie vorauszusehen war, wird der Name Dreyfus die Parteien in zwei Lager theilcn und daS Feld geschrei wird sein: Hie Recht und Gerechtigkeit, hie Armee und StaatSraison! Wir lassen nun die weiter eingelaufenen Nachrichten folgen: * Paris, 17. Februar. (Telegramm.) Der deutsche Kaiser wird sich bei der Leichenfeier für den Präsi denten Faure durch eine besonder« Mission vertreten lassen. — Prof. Lannelongue theilte einem Redacteur des „Echo de Paris" Folgendes mit: Als ich in das Zimmer trat, ging es dem Präsidenten bereits sehr schlecht. Er war sich deS Ernstes seines Zustandes bewußt. „Mir geht eS sehr schlecht", sagte er. Darauf traten Aphasie und linksseitige Lähmung ein. Der Kranke verfiel in vollste Bewußtlosigkeit. Um */,11 Uhr hauchte Faure seinen letzten Seufzer aus. Ich hatte bisher keinerlei S ysm ptome bemerkt, die auf ein solches Ende hätten schließen lassen können. Ich habe den Präsidenten, dessen Freund ich seit langer Zeit war, häufig gesehen. Er hatte nur eine unbedeutende Indisposition, eine einfache Abnahme des Appetits verspürt, die Niemanden beunruhigen konnte. Ich weiß nur, daß die Faschoda-Angelegenheit ihn tief bewegt hatte, und daß sie ihn mit wirklichem Kummer erfüllte, der noch durch die Dreyfussache verschärft wurde. Die innere und äußere Lage des Landes machten ihm große Sorge. — Die nationalistischen Organe treten für eine Candidatur Cavaignac's für den Präsidentenposten ein, doch erklären sie selbst, daß diese keinerlei Aussicht aus Erfolg habe. — Der „Jntransigeant" bemerkt: „Es ist schwer, vorauszusagen, welche Wahl der Congreß treffen wird, aber daS können wir ver sichern, daß sich in der Wahl keine Mehrheit für einen Dreyfus freundlichen Präsidenten finden wird. Die Lebelgewehre würden dann von selbst los gehen." — Der Polizei- präfect traf noch gestern Abend umfassende Maß- nahmen, um etwaigen Versuchen, die Ruhe zu stören, vorzubeugen. Sümmtlicke Polizeicommissare von Paris und der Vorstädte haben hierauf bezügliche strenge Weisungen erhalten. — Ministerpräsident Dupuy äußerte zu einem Mit- arbeiter des „Figaro": „Die Todesnachricht Hot mich wie ein Blitzschlag getroffen. Ich wurde vom Sekretär Le Gall verständigt, daß der Präsident sehr krank fei. Wenige Augenblicke später war er todt, er, den wir am Vormittag im Ministerrath so wohlauf und heiter, so aufmerksam für alle Fragen gesehen hatten, ein so ausgezeichneter Mann von Herzlichkeit für seine Mitarbeiter, so loyal von seiner Mission, von seiner ver söhnenden, ausgleichenden Rolle durchdrungen. ES ist ein großes Unglück!" * Paris, 17. Februar. (Telegramm.) In politischen Kreisen ist man überzeugt, es seien keinerlei Schwierigkeiten zu befürchten, und die Wahl des Präsidenten werde zu keinerlei ernsten Zwischenfällen Anlaß geben. Unverbürgten Gerüchten zufolge wollen die Nationalisten zwar für die Candidatur eines Generals agitiren, man hält jedoch alle hierauf bezüglichen Bemühungen für völlig aussichtslos. Es heißt ferner, daß die Bonapartisten im Congreß zu Versailles einen Antrag auf Revision der Ver fassung stellen wollen, doch werde der Präsident des CongresseS Loubet einen solchen Antrag sofort zurückweisen. — Am Sonntag wird eine bonapartistische Volksversammlung abgehalten werden, diese war jedoch von den plebiscitären ComitöS schon vor dem Tode Faure's einberufen worden.— Mehrere Blätter erscheinen mit Trauerrand. — AuS der Umgebung Faure's wird erzählt, seine letzten Worte seien gewesen: „Ich verzeihe allen Denen, die mich gekränkt haben". * London, 17. Februar. (Telegramm.) Alle Morgenblätter besprechen den Tod Faure'S in Ausdrücken lebhaften Bedauerns. Die „Times" sprechen die Hoffnung ans, daß die unerwartete Krisis die Leidenschaften der Stunde eher müßigen als schüren werde und daß die vereinigten Kammern mit Beiseitesetzung aller unwürdigen Ränke und Berechnungen unter den ernsteren verantwortlichen Candidaten einen Mann wählen werden, der Frankreich unter den Nationen würdig vertreten werde. Die irischen Abgeordneten, die gerade Sitzung hielten, als die Todesnachricht eintraf, faßten den Beschluß, der französischen Nation als alten Freund und Bundes genossen Irlands ihr Beileid auszudrücken. (Boss. Ztg.) * Rom, 17. Februar. (Telegramm.) Die Nachricht von dem Tode des Präsidenten Fa ure bat in Italien schmerzlich be rührt. — Die Ministerien, die öffentlichen Gebäude und die Kriegs schiffe haben die Flaggen auf Halbmast gehißt und werden auf Anordnung der Regierung dieses Zeichen der Trauer drei Tage beibehalten. — Ministerpräsident Pelloux hat sich heute früh in die französische Botschaft begeben, um dem Botschafter Barröre das Beileid der Regierung auszujprechen. Alle übrigen Minister und Unterstaatssekretäre gaben dort ihre Karten ab. — Ter Minister des Aeußeren Canevaro beauftragte den italienischen Botschafter in Paris, Grafen Tornielli, telegraphisch, die Theilnahme der italienischen Regierung dort zum Ausdruck zu bringen. — Tie Blätter betonen, daß der Tod Faure's bei der gegenwärtigen Lage der Dinge in Frankreich rin besonders ernstes Ereignis; sei, und sprechen den Wunsch aus, daß Frankreich die uöthige Weisheit und Energie besitzen möge, um aus der schwierigen Lage einen Aus weg zu finden. Deutsches Reich. L. Berlin, 17. Februar. (Die socialdemotratischeu Gewerkschaften und das Dresdner Urtheil.) Tu bestritten wird, daß bei dem Löbtauer Exceß gewerkschaft liche Motive mitgespielt haben, erscheint cs angezeigt, von einem Artikel des „CorrespondenzblatteS der Generalcommission der Gewerkschaften Deutschlands" Kennlniß zu gebe», der unterzeichnet ist: „Die Gcneralcoinmission der Ge werkschasten Deutschlands", mithin in osficiellsler Form die Stellung der socialvemokratischen Gewerkschaften zum Ausdruck bringt. In diesem Artikel heißt eS wörtlich: „Es bandelt sich nach unserer Auffassung um eine Prügelei, wie sie oft und nicht nur bei Arbeitern vorkommt. Jeder Gewalttbat abgeneigt, können wir das Verhalten der Arbeiter nicht gut beißen, aber eS ist zu berücksichtigen, daß die Motive, die sie leiteten, von dem Arbeiterstandpuuct auS betrachtet, alles Andere eher, als schlecht und gemein waren. Sie wollten die schwer errungene Arbeits zeitregelung nicht durchbrochen wissen. Wer den ! Arbeitern das Recht zugesteht, gemeinsam die ArbeitS- I Verhältnisse in einem Gewerbe zu regeln, der muß die I Motive, welche die Verurtheiltcn bei der unglückseligen Fenilletsn. Von Felix Fanre. Um keinen Präsidenten der französischen Republik spinnen sich so viel Anekdoten wie um Faure, und wenn man sagt, daß er dem Zufall seine Präsidentenwürde verdanke, so bat er sie Loch in einer Weise getragen — andere, wie Casimir Perier, würden sagen ertragen —, die in ihm nicht den Präsidenten einer Republik durch Wahl» sondern eher durch Erblichkeit vermuthen ließ. Unter die Präsidentschaft Faure's fallen einige für Frankreich sehr wichtige Staatsbandlungen, die dem Lande ohne Zweifel viel nützten, und wenn vielleicht auch nicht Faure, sondern Hano- taux an dem Bündniß mit Rußland der Hauptantheil ge bührt, Faure hat jedenfalls die meisten Ehren eingeheimst und hat sich in dem Rubine seines bedeutendsten aus wärtigen Ministers selbstgefällig bespiegelt. Und selbst gefällig ist Herr Faure gewesen von der Stunde seiner Er wählung an bis zu seinem Tode. Die Franzosen schwärmen gewiß für die Form und ein Mann, der etwa» aus sich macht, ist ibnen lieber als einer, der sich zurückziebt, aber Fanre tbat ihnen zuletzt zu viel des Guten und schon erhoben sich Stimmen, die ihn lächerlich zu macken suchten, und das Lächer liche tödtet in Frankreich wie überall. Man sagt, daßFaure früher ein Handlungsgehilfe gewesen sei, daß er dann in eine Gerberei einhcirathcte und diese mit einer Lederhandlung verband, durch welche er sich ein Vermögen erwarb. Also der LebcnSgang eines Bourgeois, ruhig, gleichmäßig, erfolgreich. Da wurde er 1881 mit 40 Jahren ins Parlament gewählt, und nun wurde auS dem Präsidenten der Handels kammer von Havre, dem ehemaligen Tapeziererssohn, ein Politiker. Er hatte schon 187l kriegerische Lorbeeren gepflückt, war Commandant eines Bataillons Mobilgarde ge wesen, batte für Gamdetta Waffen in England angekauft und zeigte sich nun auch in der Abgeordnetenkammer sehr praktisch. In Marinefragen war er eine Autorität, wie als Minister und Unterstaatssekretär, und als sich die Radicalen und die Gemäßigten wegen ihrer Candidaten zur Präsidentschaft stritten, ging er als tortius gauckons l7. Januar 1895 aus der Urne hervor. Dieses Glück genoß nun Felix Faure, der den Namen in der Thal hat, in vollen Zügen. DaS Glück heftete sich an seine Fersen. Er konnte den mächtigen Kaiser von Rußland zweimal, in Paris nnd in Petersburg, umarmen, er empfing Briefe der mächtigsten Souveräne und wie ein Souverän beantwortete er sie. Die höchsten Orden wurden ihm zu Tbeil, und um seinen Nacken schlang sich das Goldene Vließ. Kein Wunder, daß er den Kopf hock trug. Er schwoll an, sagen die Fran zosen, und das gefiel ibnen nicht. So populär er zur Zeit Ler Pariser und Kronstädter Tage war, so sehr versuchte mau später ihm seine Popularität zu rauben. Jeder französische Ministerpräsident hat etwas, was dem Volke als eine gewisse Eigenheit gilt. Perier hatte schöne Pferde, Carnot hatte das berühmte steife Hemd und Felix Faure batte die Weißen Gamaschen und das Monocle. Die Witzblätter brauchten nur ein Monocle über einem Paar Gamaschen abzubilden und Jeder wußte, daß diese Faure darstellen sollten. Populärer kann man Wohl kaum sein. Allein Faure stieg diese Popularität zu Kopfe. Wen der Kaiser von Rußland geküßt hat, den hat nach französisch-chauvinistischer Anschauung die Sonne geküßt. Faure richtete sich auch kaiserhaft ein und daS Lächer lichste, was er einfübrte, war das „Protokoll". Das Protokoll ist daS Ccremvniell am Pariser „Hofe". Ein bischen BureaukratiSmuS steckt jedem Franzosen im Blute und Napoleon nahm eS auch schon als Consul mit dem Cerimoniell sehr genau. Aber die Zeiten am Ende deS Jahrhunderts sind andere geworden, als am Anfang, und auch durch die französischen Lande weht ein volkStbümlicker Zug. Napoleon hatte da- Vaterland gerettet und groß gemacht, Faure hat die- eigentlich nicht getban, man verzieh ihm nicht, daß er vergaß, daß er ein Mann von ParlamentSgnaden war, daß sein Vater Tapezierer und er Lederhändler war. DaS Volk kann auf die Dauer die Herrschaft von Seinesgleichen nickt ver tragen. Nun die Urberbebung deS Präsidenten;! Wenn er zur Jagd nach Rambouillet fuhr und als Sckloßberr dieser alten WeidmannSruhe austrat, trat er auch als Selbst herrscher auf. Einem Depntirten, der ibn einmal an sprach, wurde bedeutet, daß der Präsident nicht angesprochen werden dürfe, daS „Protokoll" ließe das nicht zu. Wenn er zurückkehrte, wurden die Straßen von Pari« abgesperrt und die Pariser mußten in ihren Omnibussen war'en, bi« der Präsident mit Gefolge und seinen Cürassieren vorbeigesahren war, die Droschken mußten einen anderen Weg nehmen und da- Volk sich ehrerbietig ver halten. Rambouillet war ihm überhaupt anS Her; gewachsen. Fontainebleau liebte er nicht, e« war ihm nickt sympathisch wegen des Abschieds Napolcon'S I. von seinen Garden am 20. April 1814. Versailles gefiel ibm schon, aber der Aufenthalt war für ibn dort zu kostspielig. So ging er nach Rambouillet. Er hat eS geschmückt und auf Staats kosten in jeder Beziehung auSgestattet. Man sagt ibm nach, daß er damit dem Staate große Summen gekostet bat und daß er trotzdem die meisten Kunstgegcnstände, die er auS Rußland mitbrachte, in seiner Villa in Havre aufspcickern ließ. Was mag Wahres daran sein? Seine Feinde sink nicht müde geworden, ihm Böses nachzusagen und er gab ihnen leider nur zu ost den Borwand. In frischer Erinnerung ist noch, daß, als die Großfürstin Wladimir bei ibm zu Gaste war, er sich auck, gleich einem Souverän, zuerst bedienen ließ, ehe der Großfürstin die Schüssel gereicht wurde. Es mag sein, daß er klingelte, wenn er den diensttbuenden General sprechen wollte, und daß er nicht gerade höflich war; daß er sebr anmaßend und unhöflich sein konnte, da« bat er selbst documentirt, als er auf seinem Todtenlager seinen Haushofmeister wegen der ihm wider fahrenen Behandlung um Verzeihung bat. Wer immer in die Sonne schaut, wird blind! Man erzählt, daß er die Gewohnheit der Monarchen annabm, sich selbst bei seinen Freunden einzuladen, in welchem Falle dir ernstesten Familien oder sonstigen Rücksichten nicht ausreichten, um dies« höchste Gunst abzulehnen. Wenn dann der Sohn de- Hause- artig vortrat, um den vornehmen Gast willkommen zu heißen, runzelte dieser die Stirn und sagte, indem er ihm auf die Wange klopfte: „Mein junger Freund, lernen Sie, daß man, um mit dem Präsidenten der Republik zu reden, warten muß, bi« man gefragt wird. Geben Sie!" Der Knabe errötbrte vor Scham und Herr Felix Faure warf sich in die Brust. Allen Botschaftern hatte er durch Vermittelung de« Herrn Le Gall seinen Wunsch mittheilrn lassen, di« Mit glieder deS Diplomatischen Corps, di« nach riner neuen Formel nicht mehr bei der Regierung der Republik, sondern bei der de« Präsidenten beglaubigt sind, möchten den Em pfängen im Elysöe nur im Galaanzuge beiwobnen. Der deutsch« und der englische Botschafter waren fast die einzigen, die sich dieser seltsamen Zumutbung entzogen, aber die Ver treter der südamerikanischen Republiken trugen Costüme zur Schau, die glänzender al- die Kronleuchter und reicher ver goldet al- die Sessel waren. Der Wunsch de- Präsidenten wurde B«f«hl für die französischen Beamten, und so war«n der Seine- und der Polizeipräfect, die nie Uniform gehabt haben, genöthigt, sich mit Weißblech (tbr-blauo) zu bekleiden. Um der Nachwelt Lauernd erkalten zn bleiben, ließ er ein Buch über Rambouillet drucken, das mit vielen Bildern versehen ist ,und in Lein Herr Felix Faure in allen Stellungen, zu allen Zeiten, in allen Moden zur wirklichen Geltung kommt, lieber jeden Tag seines Aufenthaltes finden sich Aufzeichnungen, über seine Gäste im Schlosse, seine Jagden, seine DincrS. Das Buch soll angeblich nur in 150 Exemplaren gedruckt und an die „Höfe" gegangen fein. Man könnte noch Hunderte solcher Anekdoten erzählen, wenn man die Boulevardblätter und die ihm feindliche „Aurore" danach durchstöbern wollte, aber eS sei genug. Schwächen bat jeder Mensch und böse Zungen wissen immer da« Schlimmere zu erzählen. Wer so auf die Höben des Glücke« gehoben wurde, wie ver todte Präsident, der konnte wobl noch mehr Eigenschaften haben, die sich im stillen Familienleben als Eigenheiten zeigen, im öffentlichen Leben aber als Schwächen auSgelrgt werden. Eines konnten ibm aber auch die bösesten Zungen nicht rauben: den Ruf seiner Ehrenhaftigkeit. Man hat versucht, au seiner Ehrenhaftigkeit zu rütteln, indem man alte Geschichten von seinem Schwiegervater und dessen finanziellen Bedränge nissen auftischte, La« bat jedoch nicht gewirkt. Faure konnte sich rechtfertigen und die Verleumder zogen ab. Zudem war er ein musterhafter Gatte und ein zärtlicher Pater. Madame und Mademoiselle Faure waren immer dabei, wenn eS galt, dem Glanze de- Mannes ein neue« Glühlicht einzusügen. Er war rin Mann, nehmt Alles nur in Allem! Er war thälig und fleißig, tüchtig und gewissenhaft. Er mag nicht bedeutend gewesen sein, e« war auch nicht nöthig, dafür hatte er seine Minister. Daß er aber muthig war, daS hat er in seiner Todes stunde bewiesen. Er sah dem Tode ruhig inS Gesicht, er jagte, als ihm der Sensenmann winkte, ruhig: ich komme. Sein Tod war schmerzlos, auch hier war er glücklich. Schwierige Verhältnisse nnd Aufgaben erwarteten ihn, viel leicht wäre er ibnen nicht gewachsen gewesen, vielleicht hätte er an der Bewältigung dieser Schwierigkeiten seinen Ruf «ingebüßt, vielleicht bätte ihn da- Glück verlassen. Es tbat r< nickt, «- war ibm bi« zum Ende gnädig gesinnt, denn F«lix heißt der Glückliche!
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