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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.03.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990316023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899031602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899031602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-16
- Monat1899-03
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miß benrtheilt werden. Es geht, wie schon telegraphisch im Wesentlichen mitgetbeilt, dabin, daß das Ccntrum eine Reso lution einbringt, ungefähr des Inhalts, daß die Negierung verpflichtet wird, die zur Sicherung des Reiches und zur Ent wickelung der zweijährigen Dienstzeit nothwendige Ver mehrung der Infanterie noch vor Ablauf des mit dem l. April beginnenden OuinguennatS zu verlangen. Die Ne gierung wird diese Verpflichtung als ein das Centrum bindendes Versprechen festlegen und für dieses Jahr auf die abgelchnten 7000 Mann verzichten. Voraussichtlich wird der preußische Kriegsminister die Erklärung der Negierung dabiu ergänzt baben, daß die Zusage des Centrums nicht als eine auf 7000 Mann beschränkte aufzufassen sei und anfgefaßt werden könne. Das Dementi bezüglich der „Post"-Meldung über eine Audienz deö Kriegsministers beim Kaiser ändert bei seinen offensichtigen Motiven kaum etwas an der Lage. Formell und in gewisser Auffassung materiell hat also das Centrum gesiegt. Das „später" des Herrn Lieber bedeutete nicht die dritte Lesung, sondern das Etatsjahr 1901/1902. Das moralische Gewicht des Mißerfolges der Regierung erscheint aber noch stärker als das deö sub stantiellen militärischen. „Genosse" Bernstein hat seine von den herkömmlichen Auf fassungen der socialdemokratischen Partei grundsätzlich ab weichenden Anschauungen soeben als Buch unter dem Titel „Voraussetzungen des Socialismus und die Aufgaben der Social demokratie" erscheinen lassen. Wir greifen daraus nur Dasjenige heraus, was zwei grundlegende Puncte des heute immer noch giltigen Erfurter Parteiprogramms über den Haufen wirft. Das Erfurter Programm beginnt mit dem Satze: „Die ökonomische Entwickelung der bürgerlichen Gesellscl/ast führt mit Naturnothwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes." — „Genosse" Bernstein aber weist statistisch nach, daß die Mittel- und Kleinbetriebe nicht so leicht und nicht so schnell von den Großbetrieben ausgesogen werden. In vielen Gewerbs zweigen erwiesen sich kleinere und mittlere Betriebe als durchaus lebensfähig; ähnlich sei es im Handel, der Großbetrieb wachse neben dem Kleinbetrieb in die Höhe; noch weniger sei in der Landwirthschaft eine Bewegung zum Großbetrieb festzustellen. — Das Erfurter Programm sagt weiter: „Der Abgrund zwischen Besitzenden und Besitzlosen wird noch erweitert durch die im Wesen der kapitalistischen Productionsweise begründeten Krisen, die immer umfangreicher und verheerender werden." — „Genosse" Bernstein aber meint, daß durch die Aus dehnung des Weltmarktes und die Ausbildung des Transport- und Nachrichtenverkehres, sowie durch die Elasticität des Kredit wesens und das Aufkommen der industriellen Cartelle ein weit gehender Ausgleichder geschäftlichen Störungen herbeigeführt werde, und daß wenigstens für längere Zeit allgemeineGe- schäftskrisen überhaupt als unwahrscheinlich zu betrachten seien. — Wenn auf solche Weise grund legende Puncte des Parteiprogrammes von einem der hervor ragendsten geistigen Führer der Socialdemokratie zum alten Eisen geworfen werden, so muß man die Unverfrorenheit be wundern, mit der den urtheilslosen Massen noch immer das Erfurter Programm als Inbegriff aller Völkerbeglückung vor geführt wird. Nach den „Daily Mails" soll England die kleine Gruppe der Miao-tau-Insel» an der Nordküste von Schantung be setzt haben. Wenn sich, fügt das Londoner Blatt hinzu, die Nachricht bestätigt, so wäre das eine Antwort Englands auf die Besetzung der Elliottgruppe durch Rußland. Wäh rend die Elliotts an der Küste von Liaotung liegen und Ruß lands Besitz in Port Arthur sichern, sind die Miao-Jnseln am Eingänge der Bucht von Petschili gelegen, beherrschen den Golf und sind für die Schifffahrt in dem Gebiete von großer Wichtigkeit. Die größte Insel ist Tschang-schan, felsig, zur Anlage eines Forts geeignet und etwa zehn Kilometer lang. Der chinesische Hafen Teng-schau und weiter östlich Tschifou liegen gegenüber. Nordwärts liegt Port Arthur. Die neue Er werbung dürste einen heftigen Protest Rußlands zur nächsten Folge haben. Die Beziehungen des englischen Botschafters zum russischen sind gespannt. Herr v. Giers pflegt zweifellos gute Beziehungen zum Hofe in Peking, scheint es aber nicht für nöthig zu erachten,mit seinen diplomatischen Collegen nähere Berührung zu suchen. Der englische und der deutsche Botschafter, Herr von Heyking, welche beide im Begriffe waren, in Urlaub zu gehen, haben ihre Abreise verschoben, da ihre Anwesenheit sehr er wünscht scheint. Die Lage spitzt sich in einer Weise zu, daß ein geordnete Vertretung der meist interessirten Mächte unerläßlich ist. Uns intereffirt bei der Sache vornehmlich die Bemerkung der „Daily News", da Deutschland Rechte auf Schantung geltend mache, deute das Vorgehen Englands auf gewisse Ab machungen zwischen dieser Macht und Deutschland hin. Wir halten das für eine den Thatsachen nicht entsprechende Kom bination dec als unzuverlässig bekannten „Daily Mails", in die Welt gesetzt zu dem Zwecke, Deutschland an der Seite Englands gegen Rußland zu zeigen und so Zwiespalt zwischen der ersteren und letzteren Macht zu säen. Diese Hetze treiben die englischen Blätter systematisch und consequent, und zwar trotz der deutsch englischen Entente. Wir entnehmen daraus, daß diese nicht so umfassend ist und Deutschland weit weniger verpflichtet, als es die englische Presse wünscht. Das ist — hoffentlich täuschen wir uns nicht — sehr erfreulich. Nichtsdestoweniger sind der artige englische Ausstreuungen nur zu geeignet, Rußlands Miß trauen zu erwecken und es muß ihnen von berufener Seite ener gischer, als es bisher geschehen ist, entgegengetreten werden. Die Seine-Geschtworenen haben unter dem lauten Beifall des Publikums Urbain Gohier, den Verfasser des Buches „Die Armee gegen die Nation", und seinen Verleger Natanson von der Beschuldigung der Verleumdung und Be leidigung des Heeres f re i g e sp r o ch e n. Das ist ein Er- eigniß, dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden darf in einer Zeit, wo in Frankreich jede noch so begründete Anklage gegen einen einzelnen Officier als Beleidigung der nationalen Armee ausgeschrien wird, in einem Lande, wo der Rus „Es lebe die Armee!" ein undurchdringlich sicherer Schild für die erbärmlichsten Spitzbuben geworden ist. Urbain Gohier (sein eigentlicher Namen ist Degoulet) hat in seinem die leidenschaftlichste Liebe zu Vaterland und Armee athmenven Buche einige krasse Uebel- st'ände in Heer und Marine aufgedeckt; da er als „Dreyfusard" gilt, genügte, das, ihn zum Gegenstand eines strafgerichtlichen Verfahrens zu machen. Die Schwurgerichtsverhandlung bot ihm Gelegenheit, den Wahrheitsbeweis anzutrctcn, und dieser ist so überwältigend ausgefallen, daß Vie Geschworenen trotz ihrer „armeefreundlichen" Gesinnung Gohier freisprechen mußten. Eine lange Reihe von Zeugen, Officiere des Heeres und der Marine, Militärärzte, Schriftsteller und Politiker bestätigten übereinstimmend, daß 'Gohier, ein Vaterlandsfreund von un antastbarer Redlichkeit, in seinem Buche die Wahrheit geschrieben habe, und daß in Heeres- und Marineoerwaltung eine un geheuerliche Mißwirtschaft herrsche. Glücklicher als Emile Zola, stand Gohier vor (Geschworenen, die sich durch die „armeefreund lichen" Tiraden des öffentlichen Anklägers nicht in ihrem Urtheil beirren ließen und durch ihr Verdict bestätigten, daß auch nach ihrer Ueberzeugung Vieles faul sei in Armee und Marine. Vielleicht, meint die „Voss. Ztg.", bezeichnet dieses Geschworenen- Erkenntniß einen Wendepunct in der Strömung des öffent liehen Geistes überhaupt, der nur allzu lange in dem hypnotischen Bann der nationalistischen Schlagworte und der Hetzereien der Generalstabspresse gelegen hat. Die anglo - amerikanische» Verbrüderungs schwärmer sind durch den Gang der Ereignisse des letzten Jahres so wenig verwöhnt worden, daß sie jedesmal in Verzückung gerathen, wenn irgendwo ein kleiner Zwischenfall zu registriren ist, der sich für ihre Zwecke verwerthen läßt. Ein solcher Zwischenfall hat sich, wie nachträglich bekannt wird, unlängst in Nicaragua zugetragen, wo der Ausbruch der letzten, in zwischen schon wieder unterdrückten Revolution das zeitweilige Ausschissen von britischen und amerikanischen Marine Mannschaften der dort ankernden beiden Kreuzer „Jntrepid" (englisch) und „Marietta" (amerikanisch) nothwendig machte. Es wurden zwei Wachccommandos, jedes aus britischen und amerikanischen Matrosen zusammengestellt, formit, und alter nirenv unter den Befehl eines britischen bezw. amerikanischen Lcutnanis gestellt. Die Leute tranken Brüderschaft und tauschten ihre Uniformknöpfe aus. Auf den beiderseitigen Konsulaten wurden die Landesflaggen nebeneinander gehißt und von den Patrouillen beim jedesmaligen Vorbeipassirrn militärisch salutirt. Diese Fraternisirungsbegeisterung wird als „Record brecher" in überschwänglichen Worten gefeiert, unrer besonderer Hervorhebung des Umstandes, daß in Nicaragua zum ersten Male ein amerikanischer Officier britische Mannschaften commandirl habe. Deutsches Reich. sf Berti», 1Ö. März. Die dem Reichstage vorliegende Gewerbeordnungs Novelle enthält auch, was bisher nicht hcroorgehoben ist, eine Neuerung, welche die Gemeinden, und zwar betreffs Ser Schlachthäuser, angeht. Nach der bisherigen Fassung der betreffenden Bestimmung in der Gewerbe ordnung oarf das der Landesgesehgebung vorbehaltene Verbot der ferneren Benutzung vestehender und der Anlage neuer Privat schlächtereien nur für solche Orte erlassen werden, in welchen öffentliche Schlachthäuser in genügendem Umfange vorhanden sind oder errichtet werden. Einzelne Gemeinden haben nun ihren Angehörigen die ausschließliche Benutzung des in einer Nachbar gemeinde vorhandenen, infolge Vereinbarung ihnen zur Mit benutzung überlassenen öffentlichen Schlachthauses auferlegt. Die gesetzliche Zuläfsigkeir einer solchen Auflage ist von Gerichten höchster Instanz verschieden beurtheilt wovven. Nach dem jetzigen Wortlaute der betreffenden Gewerbeordnungsbestimmung erscheinen die Bedenken gegen die Zulässigkeit berechtigt. Da aber andererseits anerkannt werden muß, daß die thatsächlichen Ver hältnisse eS erwünscht erscheinen lassen können, die Benutzung von Prioatschlächtereien auch in solchen Orten zu untersagen, für welche zwar nicht im Orte selbst, wohl aber in unmittelbarer Nachbarschaft ausreichende Gelegenheit zur Benutzung eines öffentlichen Schlachthauses sich bietet, so schlägt die Novelle eine Fassung ver Bestimmung vor, durch welche diese Möglichkeit zweifelsfrei gewährt wird. * Berlin, 13. März. In der Zeit vom 6. bis 9. Februar hat im kaiserlichen Gesundheitsamte eine Versammlung von Sachverständigen auf dem Gebiete der Weinerzeugung, des Wein handels und der Nahrungsmittelchemie unter Zuziehung von Regierungsoertrelern über eine Abänderung des Wein gesetzes berathen. Ter Zweck der Verhandlungen war die Information der Reichsbehörden über die Wünsche der be- sich hin, dann rief er zornig: „Ich selbst werde die Verant wortung tragen für Das, was in meinem Auftrage geschehen ist." „Wir aber, Hocherhabener, werden Dir nachweisen, daß er Dein Vertrauen mißbraucht hat", entgegnete Jo-lu. „Gestatte Deinem im Staube ersterbenden Sclaven nur so nebenher die Frage, ob Wang's Vollmacht auch Dein Frauenhaus mit ein schließt?» „Wie meinst Du das?" fragte der Kaiser streng, eine brüder liche Schändlichkeit ahnend. „Deine Dienerin Dhsia ist im Einvernehmen mit dem Aben teurer zu demselben entflohen. Mir, dem rastlosen Wächter Deiner Ehre, war es Vorbehalten, ihre bodenlose Arglist zu durch schauen. Auch mich suchte sie in ihre Netze zu locken —" „Du lügst", unterbrach ihn der Kaiser außer sich. „Hier, ein Dir bekanntes Zeichen ihrer Gunst", erwiderte ver Prinz gelassen, zog aus der Tasche seines Obergewandes eine Perlenschnur, rutschte auf den Knicen an den Thron heran und reichte sie Chen-Tsung. Dieser ließ sie prüfend durch die Hände gleiten. Er kannte sie wohl, die wundervollen Perlen aus dem blauen Flusse, mit dem kunstreichen Verschluß, den der größte Meister des Reiches auf sein Geheiß verfertigt hatte, und entsann sich der Stunde, wo er sie der Geliebten um den Hals geschlungen und ihr geboten hatte, sie bis in den Tod zu tragen. „Dennoch lügst Du", sagte er, dem Bruder fest in die Augen sehend. Dieser fuhr unbeirrt fort: „Sie wiegte sich im thörichten Glauben, in mir ein williges Werkzeug zu besitzen und bat mich mit tausend Schmeichelreden, sie nach meiner Festung Tschei-fu- tschcu bringen, und ein süßes Wiedersehen mit ihrem herzaller liebsten Schatz feiern zu lassen, von dem sic unbemerkt heimzu kehren hoffte. Ich willfahrte, damit Du nie darüber in Zweifel sein möchtest, daß Du eine Schlange an Deinem kaiserlichen Busen wärmtest." Hörte er, oder hörte er nicht? Wie zu Stein verwandelt saß er da auf seinem goldenen Thron, und der knieende Verkläger redete weiter: „Fürchte nicht, o Erhabener, daß ein so un geheurer, an Deiner Majestät und au Deinem Herzen verübter Frevel auch nur eine Stunde das himmlische Reich ungestraft entehre. Hong-di, mein treuer Tchloßoerwalter, ist beauftragt, den Verräther vor den Augen seiner Schuldgenossin ;u tödtcu, und ehe die Sonne sinkt, hoffe ich sein fluchbeladenes Haupt zu Deinen Füßen niederzulcgcn. Das Weib aber, das Du Deiner Liebe würdigtest, und das schlimmer als eine Mörderin an Deinem Vertrauen handelte, soll tausend Martertode sterben, so wahr ich der ergebenste Diener Deines Thrones, bin." Beifälliges Gemurmel erhob sich. Nur der weise She-ma- Kuang sah bekümmert in das marmorbleiche Antlitz des jungen Herrschers und mit Mißtrauen auf den ränkevollen Prinzen. Noch kniete dieser demüthig an den Stufen des Thrones, als sich der Kaiser erhob und mit unheimlich funkelnden Augen rief: „Weser Deinen Worten glaube ich, noch Deinen Beweisen. Schasse sie mir Beide zur Stelle, sich selbst zu verantworten. Beim Haupte meines Vaters, wenn ihnen ein Leid geschieht, so sollst Du es fürchterlich büßen." „lieber der kaiserlichen Ehre wacht ein urehrwürdiges Gesetz. Nach diesem Gesetz müssen sie sterben", entgegnete der Prinz, aber der Kaiser hörte ihn nicht. Sein Athem stockte, seine Augen schienen aus ihren Höhlen zu treten; dann überflog ein seliges Lächeln seine Züge, und mit ausgestreckten Händen wies er wortlos nach der Thür. Aller Blicke wandten sich dorthin, und auf allen Gesichtern malte sich starres Entsetzen. Die Großen des Reiches schlotterten in ihren Pantoffeln, denn da stand Wang-Hgan-Ch«'- im weißen, blutbefleckten Mantel. Oder war es sein Geist? So abgezehrt und bleich war er, so furchtbar streng sein einst von Güte und Milde strahlender Blick. An seiner Seite stand eine verschleierte Frauengestalt. Auch ihr Gowand war blutbefleckt. Sie rührte sich nicht, während er mit viöhnender Stimme zur Versammlung sprach: „Nicht Rechenschaft zu geben, sondern zu fordern, stehe ich hier. Des Kaisers Stellvertreter, ging ich in die Provinzen, die Befehle Eures Gebieters zu voll strecken. Ich sehe hier Männer unter Euch, die in ihren Distrikten dem Willen des Gebieters, die Reformmaßnahmen betreffend, getrotzt haben. Man wird sie zur Verantwortung ziehen. Ihr seid hier zusammengetrcten, mich anzuklagen und zu oerurtheilen. Ihr wißt, daß nur ein vollzähliges Nei-ko-Schlln-tschi-schu-Colle- gium beschlußfähig ist. Prinz Jo-lu, welchem es zukam, die Versammlung zu berufen, hat die Anhänger der Reform über gangen. Er nannte eine stattliche Anzahl hoher Würdenträger und Beamter mit Namen. „Warum fehlen diese Alle? Das ist Ver gewaltigung der Verfassung. Man wird sie strafen." Der Prinz versuchte sich zu entschuldigen, aber der Kaiser befahl ihm zu schweigen, und Wang fuhr fort: „Wäre Eure Sache eine gerechte gewesen, Ihr hättet nicht nöthig gehabt, mich und diese Schuldlose", er wies auf seine Gefährtin, „deren einziges Verbrechen Treue gegen ihren Kaiser ist, durch Meuchelmord aus dem Wege zu schaffen." Einige Stimmen erhoben sich, diese Anklage abzuweisen. Aber wieder gebot der Kaiser Schweigen und befahl Dhsia näher zu treten und sich zu verantworten. Wang führte die verhüllte Gestalt bis an die Stufen des Thrones. Dann schlug sie ihren Schleier zurück und kniete, ein Bild unbeschreiblicher Änmuth und Schönheit, vor ihrem Kaiser nieder. Chen-Tsung vergaß Thron und Nei-to-Schün-tschi-schu Collegium und wollte die Stufen hinabeilen, sie an sein Herz zu schließen. Allein sie war aufgesprungen und wehrte ihm mit hoheitsvoller Demuth: „Nicht dem Zuge Deiner edlen Seele folgend, nimm mich in Gnaden an, o mein Gebieter, sondern nachdem Du vernommen, weh man mich anklagt und wie man an mir gehandelt hat." Und mit rührender Einfachheit erzählte sie den ganzen Hergang vom ersten Besuch des Prinzen bis zur gegenwärtigen Stunde. In des Kaisers sanften Rehaugen entfachte sich bei ihren Worten eine schreckliche Zornesgluth, und als sie geendet, rief er mit schneidendem Hohne: „Ja, mein kluger Prinz, unermüdlicher Eiferer für Ehre uns Gesetz, ein fluchbeladenes Haupt soll heute fallen, wie Du es wünscht." Ein Wink dem Hauptmann der Leibtvache, der am Eingänge des Saales mit zwölf Lanzenträgern stand, und der todtenbleiche Jo-lu wurde ergriffen und zur sofortigen Vollstreckung des Ur- theils hinausgeführt. Um ihr Leben zitternd, warfen sich die Anwesenden zur Erde. Nur der alte Shö-ma-Kuang, welcher an ihren Ränken keinen Theil hatte, erhob sich gleich wieder aus seiner gebückten Stellung, als der Kaiser hinausgetragen war und erwiderte den ehrerbietigen Gruß des mit Dhsia nachfolgenden Wang ernst, aber frcimüthig. Beide wußten, daß sie gegen seitiger Achtung werlh waren. A ch t u n d z wa n z i q st e s Capitel. Jahre verstrichen. — In ver rosigen Dämmerung seines Gartenkiosks träumte sich Chen-Tsung weit, weit fort, aus einer Welt, die er fürchtete und verachtete und nie verstanden hatte. Sein Herz, das einst so mitleidsw'arm für die Kinder des himm lichen Reiches schlug, hatte sich, tausendfach enttäuscht, im Ge fühle eigener Ohnmacht von ihnen abgewandt. Vergeblich hielt ihm die alte Kaiserin das Gebot des großen M vor, ein Kaiser müsse Kaiser sein. Er war nicht zum Herrscher geboren. Das Scepter lag wieder in den Händen seines Günstlings, aber zwischen ihm und diesem bestand nicht mehr dos frühere, innige Derhältniß. Für Dhsia Ivar sein Gefühl ebenfalls ein anderes geworden. Hatte seine Liebe sich auch nicht verringert, so lag sie doch unter dem Schleier einer tiefen Sckwermuth, der ihm das Leben verdüsterte. Chen-Tsung sagte sich, wenn Dhsia und Wang auch edel genug waren, ihm Treue zu halten, so mußten sie einander doch grenzenlos lieb haben. Diese zwei, in Geistes» Abend-Ausgabe ripMer Tageblatt Donnerstag den 16. März 1899. 21«,— rs« Sokvseti Fettilleton ii Kurs Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr. dir Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. 101.75 134.72 158,10 ll-Lsssu/LuI-r. udr". rck vsrdotso.) «»n ll.-1'r. r mm 8r.-kr. vtiia 100.40 142.70 110.70 88,2o 4». fSokW«rlii, » kür >»u I»dt>Lkr Lrikmeii lovc! ickstk. »eiüc 198.25 312.50 84.75. 155.75 344 50 301.80 143.75 187 50 180,40 238,25, 170.25 178.75 178.50 147.25 224.50 90,50 183.25 110 80 351,10 530,— 21'8 25 148,— 182.50 320.25 152,— 123,— 586 443 480 022 Filialen: Otto Klemm S So.tim. (Alfred Hahn). Universitätsstraße 3 (Paulinum). Lo»iS Lösche, -atharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. Ne-actior» und Expedition: JohailtttSgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Bezugs-Preis in der Hauptexpkdition oder den im Stadt- bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich » k—. Directe tägliche Kreuzbandsendung in- Ausland: monatlich 7.50. 10«,40 ss, 100,40 os,7 5 85.80 58,00 82.25 80. - 91.80 t 93,— ! 418,— 180,— 245 60 100.10 114,SO 225.10 194,25 182.75 191,20 114,70 118 10 82,50 58,40 Wang-hgan-Che. Roman von Sylva Testa (L. Frsr. von Stael-Holstein). Nachdruck rcrdot.i!. Endlich verkündeten sieben dumpfe Gongschläge die Eröffnung der Versammlung. Der Kaiser, von zwölf Jünglingen vor nehmster Herkunft getragen, wurde in seinem goldenen Sessel an den Stufen des Thrones niedergesetzt. Langsam stieg er hinan und sank kraftlos in die gelbseidenen Kissen. Er sah sterbens müde aus. Die Noth seines Volkes und die Qual des Regierens konnte er nicht mehr ertragen. Man ängstigte ihn mit Rache geistern, an die er, Wang's aufklärenden Lehren zum Trotz, doch noch mit geheimem Schauder glaubte. Man zwang ihn, in an gelernten Worten den kaiserlichen Himmel, bei dem er sich nichts denken konnte, anzuflehen. Man hieß ihn den Allmächtigen und entriß ihm die einzigen Wesen, die er liebte, wie man einem Kinde ein gefährliches Spielzeug nimmt. Nicht genug, jetzt wollte man ihn auch noch zwingen, den Freund, den einzigen Menschen, den er als wahr und gut erkannt, dem wllthenden Hasse niedriger Seelen preiszugeben. In ohnmächtiger Verzweiflung fühlte er sich in ein zermalmendes Räderwerk von Lügen, leeren Gebräuchen und hinterlistigen Anschlägen verflochten, — und noch ahnte er das Schlimmste nicht. Die hohen Würdenträger lagen auf ihren Angesichtern. Er gab ihnen kein Zeichen, sich zu erheben. In finsteres Sinnen versunken, schien er ihre Gegenwart vergessen zu haben. Endlich wagte es der Prinz, hob sein von der gebückten Stellung blau- rothes Gesicht und fragte: „Willst Du nicht, 0 Sohn der Sonne und Herr der großen Reinen, Dein göttliches Ohr den Reden Deiner am Abend geborenen Knechte erschließen?" Chen schrak wie aus einem Halbschlafe auf. Er hätte den fürwitzigen Prinzen auspeitschen lassen können, aber er erwiderte nur gleichgiltig: „Beginnt." Und wie in jeder Rathsversammlung, so auch heute, Huben sie der Reihe nach an, alle Plagen und Nöthe des unglücklichen Landes zu schildern und Wang zur Last zu legen. Diesmal nicht nur die Zurücknahme der kaiserlichen Vollmacht, sondern auch seine unbedingte Unterwerfung unter ihr einstimmiges Ur- theff fordernd, ein Gesuch, das der Kaiser nicht verweigern konnte, weil er selbst dem gesummten Nei-ko-Schiin-tschi-schu- Tollegium gegenüber verantwortlich war. Rathlos starrte er vor -r- Ws,' 87-, ISO», ss', SO', Anzeiger. Amtsblatt des Königliche» Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Notizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. skorckosld vluoob. irickloosld iiosrkitdn Nmplao ckweonk U«» l-«w FAm d.r.ÜotUit ?rloe. .odio.Lol. cko. cko. Solckrsor» Lroosor. ne»r. Lol. -leisod-kr k»eiüo üsld.vrioi. rck. »>>..- erokrciac s«d ur»- »Uo Nr tt >»1^ (14,8) 1« lorlr cksr Loz-sl Politische Tagesschau. * Leipzig, t6. März. Im Lause dieses Nachmittags dürfte sich das Schicksal der Mililärvorlage entschieden baben. Gewiß ist dies nicht, denn die Herren Bebel und Richter, alle zwei sür die schweben den Differenzen völlig glcichgiltige Persönlichkeiten, haben lauge Reden für die dritte Beralhuug angckiiudigt. Eine Hinausschiebung der Abstimmung aus den morgige» Tag ist also nicht ganz ausgeschlossen. Die eigentliche Enncheidung ist aber schon gestern gcsallen. Sie mußte nach Lage der Dinge in einer Verständigung zwischen Regierung und Ceutrum oder in der Auflösung des Reichstages bestehen. Die Auf lösung aber wollte lein für sich ausschlaggebender Factor. Im BundeSrathe würde sich keine Mehrheit sür den Schritt gesunden haben, schon deshalb nicht, weil eine etwa die Auflösung dort beantragende preußische Regierung den Fürsten Hohenlohe kaum mehr an ihrer Spitze gesehen haben würde. Ebensowenig wünschte irgend eine mögliche Reichs- mehrbeit Neuwahlen mit einer aus der Angelegenheit der Militärvorlage herausgeborenen Parole. Das Centrum, das so hübsch an der Welle sitzt, könnte bei cineni Couslict nur verlieren. Dabei muß man nicht an die Reichstagssitze denken, sondern an unausbleibliche, wenn auch wahr scheinlich nur vorübergehende Trübung des lucrativen Ver hältnisses zu den Berliner Spitzen. Die „Germania" deutete denn auch gestern Morgen ihre KampseSunlust an, indem sie hervorhob, daß ter KriegSmiuister zwar die zu Budgetconnuissionsbcschlüssen gewordenen Centrums- anträge für unannehmbar erklärt, nicht aber die Negierungö- sorderung als das Mindestmaß des nach Ansicht der Regierungen Nothwendige» bezeichnet habe. Und der „Wests. Merkur", ei» anderes klerikales Blatt, kleidete in weniger deutliche, aber doch nicht mißzuverstehende Worte den Gedanken: „Wenn wir gewußt hätten, daß die Kriegs verwaltung unsere Anträge nicht aceeptirtc, so hätten wir in der Commission nicht auf ihnen bestanden." Das war nicht die Sprache dcS Krieges, den übrigens die ehemaligen Cartellparteien ebensowenig wollten, wie daö Centrnm und die BundeSrathsmehrhert. Es ist mehr, als man nach ihrer Haltung am Schluffe der vergangenen Woche er warten durfte, wenn die „Nationalzeitung" trocken sagte: „Eine Auflösung würde wahrscheinlich keine» besseren, sondern einen schlechteren Reichstag bringen; die Gesammt- Politik der Regierung ist nicht danach, daß eine Mehrheit der Wähler sich begeistert um sie sammeln sollte." Das schreibt ein Blatt, das zu der auswärtigen Politik der Regierung lautes Vertrauen kundgiebt und Herrn Cecil Rhodes freudig begrüßt hat. Um wie viel mehr muß seine Feststellung von denjenigen Wählern gelten, die sich auch nach dieser Richtung nicht für die Negierung begeistern können. Für die nationalliberalen Wähler insbesondere würde durch die Auflösung ein geradezu widernatürliches Verhältniß geschaffen worden sein. Sie sollte mit der mehr und mehr ten Klerikalismus begünstigenden Regierung die klerikale Partei bekämpfen. Die Abneigung der liberalen Mittel partei gegen Neuwahlen wird von den Conservativen zetheilt, das hat Herr v. Kardorss deutlich genug am Dienstag im Reichstag verrathen. Und was die Deutsch- consrrvativen angeht, so schmieg zwar die „Kreuzztg." bebarrlich, die der Partei politisch aus'S Engste befreundete „Deutsche Tagesztg." aber meinte: „Der Grund zur Auflösung genügt nicht . . . Die Auflösung ist undenkbar." Nack diesen Stimmungen und Meinungen will das abgeschlossene Compro- Strsssd. .kfsrcksd. ki-»»,sllb .Lkrsssb. ckstioa os»s!«kl r 8a«»sr. . llsrev. vbönis VINisIm cistilr-X i-Llellti-. >.?1erckb. . Lissad. !ck>soll r.-74u»t sb.-8sck. l- Srlld. ösrev. sr^b.-O. 1 Msvti orrstl. oro Illckust. , iks.s.» 1,2,25 247,— » »Nll. aasick, -rwro-Lot. >»ck» kLvtüe Usv.-kissIlV. tli«rll k»c. lckwia«» cp1o«so 85'z »ck» kscltle I 87?, rcklsoollt I 2'^ ist. »10. nossa I — dsrcksL l — io»r>d«QL 1570,— 7-wto 1977.— ,sv»L»I-Leti«ii 3075 ».) aeissso l 27,10 »icklsooLt I 2'. st. - Laukwst Lll«s so »io 1-illto uni sil-1«. kortueissru Lliusosctiou resk >t. SIr.1. Lm. f. »usv.ltckl. »oU. t)oiu.-8. »Voll cko. )di. v. 1883,90 150 »llkix '.Osutr-Let.j 131', :v«rok»oIUcj 78>, o 8.15/16. 6«Ick ! 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