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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.03.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990321026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899032102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899032102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-21
- Monat1899-03
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Mit sitt licher Entrüstung ruft das sozialistische Blatt aus: „Wenn man es wagt, im tiefsten Frieden derartige niederträchtige Maximen in einem Parlamente auszusprechen" u. s. w. Die Socialdemokraüe wird nicht müde, zu betonen, daß Deutschland eigentlich aus zwei Nationen bestehe, aus der herrschenden Classe und aus dem arbeüenden Volte. Will man diese socialistische Behauptung einmal als richtig gelten lassen, und will man dem entsprechend den socialdemokratischen Theil der Bevölkerung als eine eigene „Nation" ansehen, wer handelt dann wohl mehr nach nm vom Fürsten '.Herbert Bismarck angeführten englischen Grundsatz, als gerade die Social-demokratie? Mag Einer, der dieser „Nation" angehört, was immer auch Schlimmes gethan haben, die socialistischen Parteifreunde verwenden einen „rühren- ven" Eifer darauf, ihn weiß zu waschen. Man sieht es ja bei allen von Socia(Demokraten begangenen Verbrechen; dann ist nicht etwa der socialdemokratische Todtschläger oder Spitzbube ein Missethäter, sondern die herrschende Gesellschaftsordnung ist es, die ihn dahin gebracht hat. Nur wer gegen die Partei selbst ungehorsam ist oder sich sonst gegen sie vergeht, wird preis gegeben, wer aber an der Partei festhält, wird vertheidigt. Da heißt es stets: „ri^kt or wron§ — inz- cwuntr?". Was aber ist wohl berechtigter: daß man aus nationalem Empfinden die Volksgenossen oder die eigenen Volksinteressen fremden Völkern und Interessen gegenüber unter allen Umständen in schütz nimmt, oder daß man in verblendetem Haffe gegen die Andersdenkenden im eigenen Volke einen Parteigenossen, wenn er auch Unrecht gethan hat, unter allen Umständen schützt und so die Möglichkeit für die verschiedenen Elasten, einander in ihren sittlichen Auffassungen überhaupt zu verstehen, immer mehr vernichtet? Es ist für Herrn Stöcker bezeichnend, daß er in Bezug auf den vom Eentrum zur lex Heinze beantragten „Arbeitgeber paragraphen" sich weit radikaler zeigt als ein Theil der socialdemo'ratischcn Presse. Während z. B. die „Sächsische Ar beiterzeitung" den klerikalen Antrag nicht entfernt ohne Weiteres berücksichtigt, sondern ihn nur erwogen sehen will und durch die Empfehlung „äußerster Vorsicht" bei der Fassung eines solchen Paragraphen andcutet, wie sehr sie fürchtet, daß der fragliche Paragraph schwere Nachtheile im Gefolge haben könnte, schreibt das Organ des Herrn Stöcker, die „Deutsche Eoange - liehe Kirchenzeitung" in ihrer neuesten Nummer u. A. Folgendes: „Es heißt, der Dcnunciation und Erpressung würde Thür und Thor geöffnet werden, wenn der Arbeitgeberparagraph Gesetz würde. Wir glauben das nicht; man will vielmehr die Quellen der Verführung nicht verstopft wissen; es ist so der Brauch, den man selber in seiner Jugend vielfach befolgt hat, und eine Aenderung wird für unmöglich gehalten." — Bekanntlich hat der Staatssekretär des Reichsjustizamics im Namen der verbün - orten Regierungen erklärt, daß letztere „auf die Bestim mungen des Arbeitgeberparagraphen sich unter keinen Umständen einlaffen werden." Die „Deutsche Evangelische Kirchenzeitung" des Herrn Stöcker wirft demnach den verbündeten Regierungen vor, daß sie die Quellen der Verführung nicht verstopft wissen wollten. Als solche Quellen der Verführung 'sieht die „Deutsche Evangelische Kirchenzeitung" das Arbeus- oder Dienstverhältniß an. Wenn -das genannte Organ im Anschlüsse an seine Unter stellung von dem „Brauche" spricht, „den man selber in seiner Jugend vielfach befolgt hat", so liegt in diesen Worten eine Verdächtigung der Ausnutzung eines Dienstverhältnisses zu Unsitllichkeiten, und eine derartige Sprache erscheint doch selbst in einem von Herrn Stöcker herausgrgebenen Blatte unge wöhnlich. Es ist schier unglaublich, welche Nachrichten über Samoa von der deutschfeindlichen Presse verbreitet werden; dahin ge hört auch die Nachricht, daß auf Anweisung der amerikanischen Behörden unser Kreuzer IV. Classe „Falke" Sumoa habe verlassen müssen. „Falke" befindet sich noch dort, und seinem Com- mandanten Corvetiencapitän Schoenfelder ist für sein bisheriges Verhalten die Anerkennung seiner vorgesetzten Behörden zu Theil geworden. „Cormoran" (Corvetiencapitän Emsmann) ist von der ostasiatischen Station, wo er durch das Kanonenboot „Iltis" ersetzt wird, Wohl noch nicht vor Apia eingetroffen; daß der „Falke", wie jetzt der „Bussard", mit dem er die deutschen Interessen so vorzüglich vertreten, in nicht allzu langer Zeit zurückberufen werden wird, ist ja schon be kannt, aber während des Sommers wird es nach den letzten Anordnungen unserer Marinebehörden (erlassen am 6. März) noch nicht geschehen; im Nebligen kann sich doch jeder normal construirte Mensch denken, daß die Amerikaner die Nückbeorderung des „Falke" nicht veranlassen können. Es sei darauf hingewiesen, daß unsere maßgebenden politischen Kreise daran festhalten, nach wie vor im besten Einvernehmen mit der amerikanischen Regierung die samoanischen Verhältnisse zu ordnen; und nach den letzten Nachrichten dürfte auch drüben immer mehr die Ueberzeugung sich Bahn brechen, daß es ebnso, vielleicht noch mehr, im Interesse Amerikas liegt, Hand in Hand mit Deutschland zu gehen, als Deutschlands Wege zu kreuzen. Eine gewisse Hetzpresse mag wohl für eine Zeit die Geister haben verwirren können, aber für immer kann dies nicht Vorhalten, die gesunden Anschauungen haben sich Bahn gebrochen und werden schließlich — wie zu hoffen ist — vollständig die anderen in den Hintergrund drängen. „Der Papst kann", so bemerkte jüngst sein Leibarzt Mazzoni, „noch fünf Jahre leben und in fünf Minuten todt sein. Er ist wie eine alte Uhr, ein enziges Stäubchen genügt, ihr Räder werk zum Stillstand zu bringen. So lange es der Zufall will, tickt sic recht und schlecht weiter." Nach einer anderen Meldung ist des Papstes Zustano der einer langsam erlöschenden Oellampe. Seine außerorocntliche körperliche Rüstigkeit begann ungefähr ein Vierteljahr vor der Operation nachzulassen. Seither schreitet der Verfall der Kräfte fort, ohne -daß die ärztliche Kunst dem- . selben hätte Einhalt thun können. Allerdings hat die Operation dieses allmähliche Sinken nicht -beschleunigt. Niemand wagt aber daraus besonders günstige Folgerungen zu ziehen. Der Schwächezustand ist so groß, daß der Papst Donnerstag Nacht während kurzer Augenblicke irre redete. Er erholte sich zwar eini germaßen, nachdem man ihm Stärkungsmittel verabreicht hatte, verbrachte aber auch den folgenden Tag in einem Zustande seeli scher Abspannung, die man an ihm noch niemals bemerkt hatte. Neberwindet er diese Krise noch einmal, so rückt das Conclave wieder ia weitere Ferne, sonst ist es eine Frage von zwei oder drei Monaten oder vielleicht schon wenigen Wochen. Jedenfalls verrathen vieler« -Zeichen, daß die Curie 'sich mit der Noth- wendigkeit eines Conclave vertraut zu machen beginnt. Hält Leo kein Consistorium ab, so wird, wie -die „Tagl. Rundsch." bemerkt, das Conclave unter sehr eigenihümlichen und unge wöhnlichen Umständen zusammentreten. Das Collegium der Cardinäle ist auf 56 zusammcngcschrumpft. Sechs der 56 sind durch körperliche Gebrechen verhindert, an der Papstwahl theil- zunchmcn. Den Australier wird die Entfernung abhalten, und vielleicht wird auch Cardinal Gibbons von Baltimore aicht recht zeitig eintreffen. So würde ein Conclave aus 48 Hüten zusam- mentretcn, wovon auf die Italiener nur 26 Stimmen gegen 22 Stimmen entfielen. Hinsichtlich des Nachfolgers haben sich manche Blätter in Weissagungen gefallen, die mindestens sehr kühn genannt werden müssen. Die Cardinäle schweigen, weil sie heute noch die Macht Leo's fürchten. Cardinal Gotti, den der Pariser „Figaro" den Schützling einer Staatengruppe nennt, ist nicht beliebt, er spielte zu sehr den „Papeggiante", als daß er nicht die Sympathien seiner College» verscherzt hätte. Unmög lich wäre seine Wahl indessen trotzdem nicht. Aus Brüssel wird gemeldet, daß Cecil Nho-e- mit dem König Leopold über die Durchführung der Transafrikabahn durch den C o n g o st a a t sich verständigt habe. Angesichts der jüngsten Verhandlung mit Berlin, über deren Abbruch schlechter dings nichts Bestimmtes verlautet hat, muß diese Meldung natürlich überraschen, und man könnte sie sich nur so erklären, daß Cecil Rhodes, ungeduldig über die zögernde Vorsicht der maßgebenden Berliner Persönlichkeiten, sich durch einen raschen Abschluß mit der Regierung des Congoftaates für diesen Mangel an Entgegenkommen gerächt habe. Dazu würde stimmen, was dieser Tage die „Times" meldeten, daß Cecil Rhodes nach Berlin gekommen sei, den fertigen Entwurf eines Vertrages mit dem Congostaat in der Tasche. Jedenfalls läge für uns kein An laß vor, uns über diesen Verlauf der Dinge, wenn er Thatsache sein sollte, sonderlich aufzuregen, sondern nur ein starker An sporn, unverzüglich an den Bau einer ost afrikanischen Central bahn zu gehen, um einer Ablenkung des Handels verkehrs aus der ganzen inneren Hälfte unseres Schutzgebietes nach der künftigen Bahn vorzubeugen. Jn-deß zweifeln wir mit - dem „Hamburger Corresp." vorläufig noch an der Richtigkeit der Brüsseler Nachricht. Die Lon doner Blätter bestätigen, daß Rhodes Deutschland „nicht ganz befriedigt" verlassen hat. Er soll ärgerlich gesagt haben, Vie Herren, mit denen er zu verhandeln hatte, seien keine dusi- nc>88nwn. Hat er sich wirklich so geäußert, so wird er vermuthlich -damit haben andeuten wollen, daß dcks drminoss für ihn nicht so -oortheilhaft ist, wie er gehofft hatte. Denn daß das Geschäft sein Lebenszweck ist, und die Politik ihm nur Mittel zum Ziel, wer den nur die leugnen, die in Herrn Rhodes einen Wohlthäter der Menschheit englischer Zunge sehen, der aus eigener Tasche in Afrika die Kreuz- und Quer-Bahnen und Telegraphen baut, blos um die Größe und Macht seines geliebten Vaterlandes zum Nachtheil Deutschlands zu fördern. Der Mann, der die Seele der Chartered Company ist, denkt etwas weniger patriotisch, aber erheblich nüchterner. Im klebrigen ist es in den letzten Tagen in den englischen Zeitungen sehr still geworden. Die Londoner "litt-r beschranken sich aur Anführung deutscher und französi scher Preßstimmen. Man scheint danach in den officiellen deut schen Kreisen vorsichtig zu Werke zu gehen, was wir selbstver ständlich nur billigen können. Deutsches Reich. */» Leipzig, 21. März. Der Börsenverein der deutschen Buchhändler zu Leipzig hat zu dem Entwürfe eines Gesetzes, betr. einige Aende rungenoonBestiinmungenüberdasPostwesen, eine Eingabe an den Reichstag gerichtet, in der darauf hinge wiesen wird, daß die in dem Entwürfe -oorgeschlagenen gesetzlichen Bestimmungen geeignet seien, den deutschen Buchhandel erheblich zu beeinträchtigen. Durch die in der Vorlage zum Beschluß ge stellten Acnderungen des Postgesetzes entstehe für den Buchhand/' die Gefahr, daß ihm der Vertrieb der nicht politischen Zeitunge i (der unter den Begriff „Zeitschriften" fallenden wissenschaftlichen und Fach-Zeitungen, der illustrirten Familien- und Nnterhai tungs-Zeitungen, der Modenzeitungen, Monatsschriften u. s. w.), di« in Deutschland dem Vertrieb durch den Buchhandel unter lägen und deren Vertrieb den Sortiments- (Klein-) Buchhandel im Wesentlichen mit erhalte, von der Post allmählich entzogen werde. Da sich aus oer beantragten Tarifänderung eine schwere Beeinträchtigung de» Buchhandels ergebe, so bitte der Börsen verein in der Eingabe, der Reichstag wolle beschließen, daßvie Acnderungen, welche in dem Entwürfe Art. 1 unter III, dieZeitungsgebührbetreffend,oor gesehen sind, nur er st reckt werden auf die po - litischenZeitungenunddaßeshinsichtlichder nichtpolitischen Zeitungen bei dem gegen wärtig geltenden P ost zeitungs-Tarif sein Bewenden haben möge. Eine weitere Gefährdung er blickt der deutsche Buchhandel in -den im Art. 3 des Gesetzen: Wurfs enthaltenen Bestimmungen, wonach Anstalten zur gewerbs-- mäßigen Einsammlung, Beförderung oder Vertheilung von un verschlossenen Briefen, Karten, Drucksachen und Waaren proben, die mit der Aufschrift bestimmter Empfänger versehen sind, im Reichsgebiet nur mit Genehmigung des Reichskanzlers u. s. w. errichtet oder weiter betrieben werden dürfen. In dec Eingabe wird -daher gebeten, eine Bestimmung in das Gesetz aufzunehmen, daß derArt. 3sich auf den buchhänd- lerischenGeschäftsbetrieb nicht beziehe. Berlin, 20. März. (V o n d e r n a t i o n a l l i b e r a l e n Partei.) Wie schon unter den nach Schluß der Redaction gebrachten Nachrichten kurz gemeldet (übrigens irrthümlich au» Leipzig, statt aus Berlin), constituirte sich gestern im Reichstags gebäude der Ccntralvorstand der nationallibe ralen Partei und wählte zunächst seine Vorsitzenden und die Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses. Die Zu Wahl landwirthschaftlicher Vertreter ist für einige wenige Be zirke noch nicht endgiltig zum Abschluß gelangt; ihre Erledigung bleibt der nächsten Sitzung des Centralvorstandes vorbehalren, die bald nach Ostern stattfinden soll. Den ersten Beschluß, den der neuconstituirte Centralvorstand einmüthig faßte, ging dahin, Herrn Or. v. Bennigsen zum Ehrenmitglied des Central Vorstandes zu ernennen. Dann erstattet« Generalsekretär Patzig Namens des geschäftsführcnden Ausschusses den -Bericht über das verflossene Jahr, insbesondere die Wahlbewegung. Der Bericht erstatter war in der Lage, festzustellen, Laß in erfreulicher Nach wirkung des bei den Reichstagswahlen zu Tage getretenen Ver trauens der deutschen Wähler der Pessimismus gewichen ist, der geraume Zeit vorgeherrscht und sich nunmehr überall im Lande eine rege Betheiligungsfreude zeigt, zu weiterer Arbeit im Dienste des Ausgleiches und der warmen Vertretung wirthschaft licher Interessen, der socialen Aufgaben und der nationalen Pflichten. — Nachmittags vereinigten sich um 5 Uhr im „Kaiser hof" die Mitglieder des Centralvorstanves beider Fractionen uns viele Freunde aus dem Lande zu einem gemeinsamen Mahle, Feuilleton. «, Seu,i. , Roman von M. Immisch. Nachdruck SnchoUn. Mißtrauisch und verständnißvoll betrachtete Clärchen die leuchtenden Augen und die erregten Züge des jungen Mannes. Sie konnte sich denken, was ihn zurückgehalten hatte, und was die Ursache des glücklichen, sorglosen Lächelns war, mit dem er dir leisen Vorwürfe seiner Mutter anhörte, oder vielmehr über hört». — Bald darauf führte der Medicinalrath die Hausfrau zu Tische, und BerthU erhielt den Platz neben ihm. Bernhard schob den Rollstuhl seines Vaters, und Clärchen machte sich das be sondere Vergnügen, den jungen Priester, von dessen stolzen, ein wenig hochmütbigen Augen sie sich nicht im Geringsten ein schüchtern ließ, durch allerlei, anscheinend harmlose Bemerkungen in Verlegenheit zu bringen. Nach dem Essen setzte sich Clärchen ans Tlavier und sang ein paar hübsche, einfache Lieder. — Bertha weigerte sich, sie zu be gleiten, obschon sie eine reine und überaus liebliche Stimme be saß. — Der Medicinalrath ergriff die günstige Gelegenheit, um Bertha in der dämmerigen Ecke, in die sie sich zurückgezogen hatte, aufzusuchen und ihr von seinen Wünschen und Hoffnungen zu sprechen und zum hundertsten Male zu versichern, daß sie wie »in Stern in seinem Leben aufgegangen sei, und daß ihr Besitz ihn zum glücklichsten Menschen machen würde. Stephan saß in einem der tiefen Sessel. Da» Licht der Lampe lag voll auf seinem dunklen, lockigen Haar und dem schönen, strengen Antlitz. Er beantwortete I)r. Rainer'» Fragen über die letzter» Wochen und über die Weihe, die er im Dome von St. Peter erhalten hatte. Er blickte voll Kraft und Muth in die Zukunft, und man sah ihm an, daß ihn bei aller Frömmig keit auch »in heißer Ehrgeiz erfüllte. Er wollte nicht am Boden bleiben, sondern aufwärt» zur Höh«, und man fühlte unwill kürlich, daß er jene unsichtbaren Schwingen besaß, die den be sonders Begabten und Ehrgeizigen eigen sind. Nicht einmal suchte sein Blick das schöne Mädchen, das ihn mit brennenden Augen und allmählich erglühenden Wangen betrachtete. Sie hörte nur zur Hälfte die huldigenden Reden des Medicinalraths, der ganz entzückt war, daß sie ihm so willig zu lauschen schien. Und al» er endlich immer dringender um ihre Antwort bat, da fuhr st» ganz erschreckt empor. Und dann lachte st» so sonderbar, und mit glänzenden Augen und heißen, trockenen Lippen sprach sie endlich das so lange ersehnte, so oft erbetene „Ja". Dann kam ein Freudensturm, ein Glückwünschen, ein Küssen und Händeschütteln; dabei war es immer, als geschähe das Alles in weiter Ferne und als ginge es sie selbst eigentlich gar nichts an. Und irgend Jemand — sic wußte nicht, wer — reichte ihr ein Glas, und sie trank es aus bis auf den letzten Tropfen. Die officielle Verlobung solle am Sonntag gefeiert werden, hatte sie bestimmt, an dem Tage, wo Stephan die erste Messe las. Niemand widersprach ihr; nur Stephan machte ein finsteres Ge sicht; eine so heilige und eine so weltliche Handlung paßten seiner Ansicht nach sehr schlecht zusammen. Endlich gingen die Gäste. Der Medicinalrath küßte zum Ab schiede Bertha's schlanke, eiskalte Finger, und sein Blick umfaßte gleichsam in trunkener Freude die liebreizende Gestalt, die nun bald sein Eigenthum war. — Sie stand am offenen Fenster und beugte sich weit hinaus. Sie dachte, wie es wohl wäre, wenn man tief und immer tiefer hinuntersänke und die laue Nachtluft dabei die pochenden Schläfen kühlte, so lange, bis man nichts mehr zu denken, nichts mehr zu empfinden brauchte. Und dann stand plötzlich Bernhard neben ihr. Er streichelte ihr Haar und sein Arm legte sich liebkosend um ihre Schultern. „Mein liebes, armes Berthchen" — flüsterte er ihr leise ins Ohr. Sie wußte nicht, warum und weshalb, aber sie warf sich an seine Brust wie eine Versinkende, die in Todesangst nach einem Halt sucht, und ihr ganzer Körper bebte in thränenlosem, Kon vulsivischem Schluchzen. Viertes Capitel. Brennend lag die Sonne auf Stadt und Land. Es war einer jener schwülen Nachmittage, wie sie nur im Hochsommer vorkommen. In Hemdärmeln oder in einer dünnen Kattunjacke gingen die Leute aufs Feld. Im Hofe deS Schlosses führte eine große Gluckhenne ihre Küchlein spazieren, die sich im Sonnen brände äußerst wohl befanden, und auf dem Mauerstms zur Seite der hohen steinernen Treppe lag eine schlafende Katze. Lange hatte sie sehnsüchtig nach der jungen Brut geschaut, aber diese war zu treu behütet und die Mordgelüste konnten ihr nichts nützen. Resignirt hatte sie die Augen geschlossen und, sich lang ausstreckend, ließ sie die Sonne behaglich auf ihr weiches Fell scheinen. Auf der langgestreckten, ziemlich tief hängenden Dach rinne deS StallgebäudeS, da» leider zum Holzschuppen degradirt war, saßen träge, nur manchmal ein wenig mit den Flügeln schlagend, eine Anzahl Tauben. Nicht» störte ihre beschauliche Ruhe; selbst als Clärchen eilig und leichtfüßig zum Hause heraus und die nach dem Garten führenden Stufen hinuntersprang, blieben sie gleichmüthig sitzen; nur die Katze hob ein wenig den Kopf und blinzelte verdrossen der Davoneilenden nach. Clärchen huschte graziös und flink wie eine Gazelle durch die von hohen Zierbäumen und Sträuchern beschatteten Gänge. Dann blieb sie lauschend stehen und ein schelmisches Lächeln überflog ihr junges, blühendes Antlitz. Mit ein paar Sätzen sprang sie die Stufen zu einem ganz von Schlingrosen um wucherten Gartenhäuschen hinan, und der leise Schreckensruf, der ihr entgegentönte, erhöhte ihr Vergnügen noch wesentlich. Das wahrscheinlich in wichtigen Auseinandersetzungen gestörte Pärchen, das erschrocken von der Bank aufsprang, erschien ihr zu komisch. Der junge Mann drehte verlegen an seinem braunen Bärtchen und bemühte sich vergeblich, eine gleichgiltig-abweisende Miene anzunehmcn, während das schlanke Mädchen an seiner Seite eifrig die entfallene Häkelarbeit zusammrnsuchte, um der übermiithigen Störerin die Gluth zu verbergen, die verrätherisch Gesicht und Nacken bedeckte. „Hast Du mich aber erschreckt, Clärle, mir zittern alle Glieder!" sagte sie beklommen, während die bebenden Finger mechanisch das Häkelgarn verwirrten. Clärchen lachte. „Ja, ja, das kann passiren bei so inter essanter Unterhaltung", sagte sie mit leichtem Spott. „Uebrigens verlasse Dich darauf, Senzi, eS wird Ernst. Denke Dir, er ist schon wieder da. Ich wekre, heute wird es etwas geben; er sah so feierlich aus, daß man den Freier schon auf hundert Schritte daraus erkannte." „Wer ist wieder da? Was habt Ihr für Geheimnisse?" mischte sich der junge Mann erregt ein. „Was ist das für ein „Er", Senzi? Hoffentlich kommt er nicht Deinetwegen." „Nun, ihrer Muhme wegen kommt er auch nicht, das kannst Du Dir denken", übernahm Clärchen an Senzi's Stelle die Antwort. „Die Liese ergeht sich schon seit ein paar Tagen in Andeutungen über die gute Partie, Pie ihrer Nichte offen steht. Wenn Du nicht so in Ungnade bei ihr ständest, hätte sie Dich wahrscheinlich auch schon eingeweiht. Paß auf, in allernächster Zeit wird Senzi als „Frau Hofvergolder" nach Dresden über siedeln und ihre Freunde haben daS Nachsehen." „Das geschieht nie", sagte Senzi fest, während ihre schönen Augen in verhaltener Zärtlichkeit denen des jungen Mannes be gegneten. » „Was nie? Sei gescheidt, Senzi! Du wirst doch Dein Glück nicht vergessen wollen, jetzt, wo sich eine so schöne Gelegen heit bietet", fuhr Clärchen unbeirrt fort. „In diesem jämmer lichen Neste, wo sich nur alle Jubeljahre einmal ein paar an ständige Heirothscandidaten vorfinden, wäre dies geradezu ein Frevel. Oder willst Du vielleicht eine alte Jungfer werden wie Deine Muhme, als ihre Erbin Bänder, Socken und unechte Spitzen verkaufen, in jeder Weise die Nachfolgerin der Lumpen liefe werden?" Senzi war ganz blaß geworden, und ein hilflos-zagenoer Ausdruck verdüsterte einen Moment ihr liebliches Gesicht. Scheu, in stummer, angstvoller Frage huschte ihr Blick zu dem jungen Manne hinüber, der zornig und nervös die weißen Rosen von ihren Stengeln riß und sie unbarmherzig zerpflückte. „Einem so jungen Geschöpf wie Du steht solche Altweibrr- klugheit sehr schlecht", sagte er grollend. „Vorläufig ist Senzi noch weit davon entfernt, an die Unannehmlichkeiten des Alt- jungfernthums denken zu müssen; und da Du die Aeltere, so wird es zweckmäßiger sein, wenn Du auf Deinen eigenen Freier bedacht bist, anstatt Deine Weisheit über Leute zu .ergießen, die ihrer nicht bedürfen." „Natürlich, nun bin ich in Ungnade bei meinem Herrn Bruder! Es ist immer die alte Geschichte: Wer die Wahrheit spricht, muß statt der Arme Flügel haben", recitirte Clärchen pathetisch. „Nun meinetwegen, Kinder, macht, was Ihr wollt. EL wird sich ja zeigen, wer Recht hat. Uebrigens kannst Du ganz außer Sorge sein, Bernhard, mein Freier hat sich eben falls schon gesunden, und ich werd« in Kürze auch das Vergnügen haben, meine Verlobung zu feiern." „Du?" — es klang ebenso überrascht als zweifelnd. „Ick wäre wirklich neugierig, wo plötzlich ein Bräutigam für Dick bei kommen sollte." Clärchen lachte. Sie war gar nicht beleidigt über den aus gesprochenen Zweifel, und sich mit siegessichcrer Miene bebaglich in einen tiefen Korbstuhl niederlaffend, sah sie ihren Bruder mit überlegenen Blicken an. „Weisheit und Altweiberklugheit sind manchmal gar nicht zu verachten", fuhr Clärchen mit einem spöttischen Ernste fort, der in seltsamem Widerspruche stand mit der blüthenhaften Jugend frische ihrer ganzen Erscheinung. „Was sollte aus uns Allen werden, wenn ich auch noch in schwärmerisch-sentimentalen Ge fühlen schwelgte: Seit ich an PapaS Stelle die Bücher führe, ' ist e» mir außerordentlich hell vor den Augen geworden. Ohne die nachgerade nur noch mit Widerstreben gegebenen Gelder des alten Guckenheim wäre da» wackelige Gebäude unserer wirth- schaftlichen Existenz längst zusammengebrochen, und wenn sich sein Sohn nicht sterblich in mich verliebt hätte, so wäre auch dies« Quelle längst versiegt. — O, Du brauchst nicht so entsetzt
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