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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.03.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990318012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899031801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899031801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-18
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Tie Morgen-Ausgab« erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentag» um 5 Uhr. Ne-artion und Expedition: JohanntSgasfe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: ktt» Klemm'S Tortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstraßr 3 (Paulinum), LoniS Lösche. jtatharineustr. 14, part. und Königsplatz 7. Bezugs Preis k der Hauptexpedition oder den km Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus- .^.bestellen abgeholt: vierteljährlich ^>4.50, t»i zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5^0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsenvung ins Ausland: monatlich 7.50. lltt. Morgen-Ausgabe. Wp.rigcr TmMall Anzeiger. Amts blatt -es Königlichen Land- im- Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nnd Molizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. Sonnabend den 18. März 1899. Auzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Neclamen unter dem Redactionsstrich (4ge spalten) 50/>z, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis« verzeickniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. 0xtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung X 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Änuahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde frnher. Anzeigen stad stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Sauer und Sildung. Bon Johannes Corvey. Um die socialen Nebel der Zeit zu heilen, sucht man oft sehr merkwürdige Wege einzuschlagen. So will man die in einigen ländlichen Gegenden bestehende Leutenoth jetzt plötzlich der Schule zur Last legen: die dörfliche Bevölkerung wird zu ge bildet, deshalb widerstreben ihr die landwirthschaftlichen Ar beiten. Der „verkehrte Schulunterricht" muß daher geändert, das Ziel der Dorfschule zurückgestellt werden. Nach dieser jüngst im preußischen Abgeordnetenhaus« bekanntlich weit schärfer aus gedrückten Meinung muß man von der Dorfschule ein ganz falsches Bild erhalten. Es scheint, als werde dort der Hans zum Gelehrten erzogen und die Grete mit einer Höheren-Töchter- Bildung ausgestattet. Ein derartiger Unterricht würde aller dings seinen Zweck vollständig verfehlen. Das preußische Kultus ministerium hat denn auch nicht gezögert, gleichfalls im Ab geordnetenhause diese eigenartige Anschauung über den Unter richt in Dorfschulen sehr nachdrücklich zurückzuweisen. Der Ministerialdirector Kügler betonte dabei: „Es ist falsch, wenn behauptet wird, daß den Kindern in den ländlichen Schulen des Ostens Sternkunde, Mathematik und vergl. hergebracht wird. Davon ist keine Rede. Die ländlichen Schulen sind Halbtags schulen; sie sind sehr überfüllt, der Unterricht wird im Interesse oer Landwirthschaft häufig verkürzt. Nur das Allernoth- wendigste wird den Kindern beigebracht. Gerade in der Volks schule steht die Vorbereitung für das praktische Leben im Vorder grund. In den siebziger Jahren ist der Handarbeitsunterricht auch auf dem Lande eingeführt worden. Wer diesen Unterricht kennt, der weiß, daß den Kindern nicht feine Handarbeiten bei gebracht werden. Wenn das Mädchen heirathet, dann soll es als Frau fähig sein, die Kleider des Mannes zu flicken." Eine Beschränkung der Volksschulbildung widerstrebt der artig dem allgemeinen Culturbewußisein und den Anforderungen oer Zeit, daß sie selbst in entlegenen Ackerbaugegenden nicht durchzuführen ist. Aber es zeugt auch von wenig Einblick in sie eigentlichen Ursachen der „Leutenoth", wenn man annimmt, ourch eine Herabdrückung der Schulbildung der ländlichen Be völkerung sei es möglich, diese vor dem Sachsengehen und dem Abwandern in die größeren Städte zu bewahren. Woher kommen denn die Sachsengänger? Am meisten sind die aus Ostelbien stammenden Arbeiter betheiligt; also Leute aus jenen Theilen des Reiches, in denen die allgemeine Schul- und Volks bildung um ein Erkleckliches unter dem deutschen Normalmaß steht. Der Grund der „Leutenoth" ist ein wirthschaftlicher und ein, wir möchten sagen, ethischer. Die landwirthschaftlichen Arbeiter kehren sich von der heimischen Scholle ab, weil sie glauben, in der Fremde und in den Städten nicht nur ein besseres Fortkommen, sondern auch mehr Achtung zu gewinnen, sich in ihrer Lebenshaltung den allgemeinen Culturansprüchen mehr nähern zu können. Abgesehen von rein wirthschaftlichen Zuständen, von kärglichsten Löhnen, längsten Arbeitszeiten und sehr magerer Kost wird in manchen ländlichen Gegenden vom Arbeitgeber gegen die Bediensteten ein Ton angeschlagen, der an die Zeiten des Feudalrechts sehr lebhaft erinnert. Aber auch im entlegensten Winkel Deutschlands wissen die ländlichen Arbeiter, daß diese Zeit vorüber ist. Viele von ihnen ertragen oas ländliche Ungemach nur so lange, als sie keinen Weg zu besseren Zuständen kennen. Sie machen es wie die Arbeiter mancher sinkenden Industrien und viele andere Leute, die zum Zwecke des besseren Fortkommens Beruf und Wohnort wechseln. Das ist ein berechtigter Selbsterhaltungstrieb. Die „Leutenoth" auf dem Lande kann nicht gegen die Schule überwunden werden, sondern m i t der Schule, durch eine Heraufschraubung des allgemeinen Culturstandpunctes der land- wirthschaftlichen Bevölkerung; die Arbeitgeber natürlich inbe griffen. Wie ist es denn eigentlich mit dieser Bildung auf dem Lande beschaffen, die nachder von Vertre ern des Großgrundbesitzes im preußischen Abgeordnetenhause ausgesprochenen Meinung die Dorfarbeiter von der Scholle vertreiben soll? — Das ist, trotz der allgemeinen Schulpflicht, ein sehr traurig stimmendes Kapitel. Wir vermeiden es absichtlich, die in ostelbischen Dörfern herr schenden Verhältnisse als Beispiel heranzuzichen, wir gehen in das Land der fast sprüchwörtlich gewordenen guten Schulen, und zwar nicht etwa in einen entlegenen Winkel der Lausitz, sondern in die Nähe von Dresden, wo die Dörfer zahlreiche Beziehungen zur Hauptstadt haben. In Sachsen ist auch die männliche landwirthschaftliche Bevölkerung bis zum 17. Lebensjahr zum Besuch der Fortbildungsschule verpflichtet. In Sachsen giebt es auch, wenn man der allerdings nicht vom Statistischen Bureau aufgenommenen Statistik glaubt, so gut wie keine Analphabeten. Man kann also annehmen, daß die Schulbildung unter der ländlichen Bevölkerung eine verhältniß- mäßig gute, jedenfalls nicht schlechter als in irgend einer ande ren ländlichen Gegend Deutschlands, thatsächlich aber besser als in den meisten landwirthschaftlichen Bezirken ist. Trotzdem trifft die Statistik über die Analphabeten nicht zu. Es giebt auch in den sächsischen Dörfern noch immer zahlreiche Personen, die weder lesen noch schreiben können; viele Gemeindevorstände werden das für den Bereich ihres Wirkens bestätigen sonnen. Manchen Bauern fällt es schwer, nur ihre Namen leserlich zu schreiben; auch sehr viele jüngere Personen haben vom Schreiben so geringe Kenntnisse, daß diese, wenigstens für den geschäftlichen Verkehr, gleich Null gelten müssen. Mit dem richtigen Deutsch steht es über alle Maßen traurig. Der Verfasser hat häufig Gelegenheit, bäuerliche Stilübungen zu sehen; oft ist Orthographi? und Grammatik so, daß die demsche Sprache nur noch schwer zu erkennen ist. Aehnlich ist es mit allem anderen Schulwissen bestellt. Ein nicht eben alter Bauer, der in Dresden Soldat gewesen war, fragte den Verfasser einst, ob Magdeburg noch in Deutschland liege; daß seit 1866 ein Königreich Hanno ver nicht mehr besteht, war ihm unbekannt. Soweit wir urthci- len können, ist, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, einige Jahre nach dem Schluß des Schulbesuchs bei der männlichen landwirthschaftlichen Bevölkerung das Gelernte nahezu vollstän dig vergessen. Nur wenige kümmerliche Reste sind übrig ge blieben, die noch dunkel an den obligatorischen Schulunterricht erinnern. Am Besten erhalten sich gewisse Fähigkeiten, die man euphemistisch als Schreiben un!d Lesen bezeichnen kann. Schrei ben und lesen muß nicht nur der Bauer, sonldern selbst der landwirthschaftliche Arbeiter von Zeit zu Zeit; die Fähigkeit kann also seltener ganz verloren gehen. Nur eine Minderheit kann wenigstens leicht und fließend lesen; mit dem Schreiben hapert es jedoch fast überall und selbst bei manchen Gemeindevorständen. Das Uebermaß von Schulbildung ist es also ganz gewiß nicht, das den Zug nach den Städten verschuldet, eher die Un wissenheit. Denn diese ist auch aus dem Lande vielfach die Ursache der materiellen Noch. Die Enge des Gesichtskreises, die Schwerfälligkeit, mit welcher der Durchschnittsbauer sich auf jedem geistigen Gebiet bewegt, während doch gleichzeitig auch die Landwirthschaft immer mehr geistige Arbeit beansprucht, kommt auch rein wirthschaftlich zum Ausdruck. Es ist ganz natürlich, daß Landwirthe von einer derartigen geistigen Beschaffenheit auch in ihrem Beruf nicht auf der Höhe der Zeit stehen. Sie kleben am Althergebrachten, an veralteten Wirth- schaftsmerhoden; sie nutzen nur die Hauptzweige des landwirth schaftlichen Betriebes aus, so gut sie es nach ihrer Einsicht ver mögen, lassen aber die sogenannten landwirthschaftlichen Neben betriebe, die dem klugen Bauer ein nennenswerthes Stück Geld in das Haus bringen, fast unbeachtet. Der Obstbau ist voll ständig vernachlässigt, die Geflügelzucht ist kaum der Rede Werth, für Gemüsebau hat der Bauer „keine Zeil", selbst wenn er in der nahen Großstadt aus ihm dreimal so viel als aus jeder anderen Feldfrucht lösen könnte. Schlecht ist es auch vielfach mit der Viehzucht und mit der Milchwirrhschaft bestellt. Der Bauer sieht nicht ein, daß er heute mit anderen Grundsätzen wirthschaften muß, als sein Vater und Großvater. Und derartige Verhält nisse bestehen, trotz des engen Netzes landwirthschaftlichcr Ver eine, trotz der allerdings erst in den letzten Jahren emporblühen- ben landwirthschaftlichen Genossenschaften und obgleich hervor ragende Freunde und Förderer der Landwirthschaft in Wort und Schrift für die Einführung besserer Bewirthschaftungsmethoden eintreien. So hat in Sachsen namentlich ein hervorragender Fachmann, Herr Oekonomierath von Langsdorfs, Groß grundbesitzern und Kleinbauern schon vor Jahren als Richtschnur empfohlen: umsichtiger zu wirthschaften, nicht planlos große Summen für minderwerthige Futter- und Düngemittel zu ver schleudern, sondern die von den landwirthschaftlichen Kreis vereinen gebotenen Controluntersuchungen fleißig zu benutzen, die Maaren in ganzen Wagenladungen, um an Kaufpreis und Fracht zu sparen, zu beziehen, mit Konsumgenossenschaften in Verbindung zu treten, Baarzahlung, Verbindung mit sickeren landwirthschaftlichen Darlehnscassen, sorgfältige Viehzucht, Obst und Gemüsebau zu pflegen, Versuche mit neuen landwirthschaft lichen Kulturen und kluge Vorsicht bei Anschaffung von Maschi nen und Ackerbangeräthen. Ganz ohne Erfolg sind diese Er mahnungen bekanntlich nicht geblieben, aber auf den Durch schnittsbauern haben dieselben bisher wenig Eindruck gemacht. Er kann sich geistig in neue Bewirthschaftungsmethoden schwer hineinfinden. Greift er zu einer Neuerung, so geschieht sie nicht selten unvollständig oder gänzlich verkehrt und bringt ihm Nach theil statt Nutzen. Für landwirthschaftliche Nebenbetriebe weiß er sich keinen Absatz zu erschließen. Er ist mißtrauisch, unbe holfen; vor Allem fehlt seinem Betriebe die Buchführung, die recknerische Ueberlegung und zahlenmäßige konlrole. Ohne Buchführung ist heute ein landwirthschaftlichcr Betrieb, der auf der Höhe der Zeit steht, gänzlich unmöglich. — Aber die wenig sten Bauern wissen, was das ist. Meistens halben sie kaum ein Stückchen Schreibpapier im Hause und nach ihrer Ansicht ist das aach nicht nothwendig. Sie schreiben selten. Sie können kaum schreiben; w.e sollten sie eine regelrechte landwirthschaftliche Buckführung begreifen oder gar selbst unterhalten! Hier wird der Mangel an Schulkenntnissen zum Hemmniß der wirthschaft lichen Fortentwickelung, er wird zum volkswirthschaftlichen Uebel, zum socialen Problem. Ein Landwirth mit rückständiger Le- wirthschaftungsmcthode hat dürftige Einkünfte, aus dürftigen Einkünften lassen sich jedoch nur niedrige Arbeits löhne zahlen; auch im klebrigen läßt sich die Wirkung auf das Gesinde nicht verkcnnen. Es wird eine Magd oder ein Knecht weniger gehalten, die Arbeit ist daher hart, die Arbeitszeit auch außerhalb der Erntemonate lang, ungeregelt, die Nahrung ärm lich. Daß der landwirthschaftliche Beisitzer kaum besser lebt als sein Gcsinve, macht dieses nicht zufriedener. Es sehnt sich nach besseren Zuständen, lernt ein Handwerk — meistens Maurer und Zimmermann — ort selbst noch im 18. Lebensjahre und später, geht in die Fabriken und wendet oft dem Landlöben gänzlich den Rücken. Wir kennen dagegen tüchtige Landwirthe, die ihr Gut den Anforderungen der Zeit genügend bewirthschaften, daher guten Lohn zahlen können, die Leute nicht überanstrengen, der schweren Arbeit entsprechend nähren und niemals Über „Leute- noth" zu klagen haben. Im Allgemeinen ist es mit den Schul kenntnissen der weiblichen landwirthschaftlichen Bevölkerung noch übler bestellt als bei den Männern. Das ist auch wirthschaftlich nicht glcichailtig. Die Bauerfrau leitet einen wichtigen Theil deS landwirthschaftlichen Betriebes fast selbstständig. Sie hat der Milch- und Viehwirlhschaft vorxustehrn und meistens auch die landwirthschaftlichen Nebenbetriebe, wie Obst- und Gemüsezucht, Geflügelhaltung zu pflegen. Sie ist also im sehr hohen Maße miterwerbend. Ragt sie über den Durchschnitt hinaus, ist sie einsichtsvoll, überlegend, weiß sie zu rechnen, so gelingt es ihr leicht, aus vielen Dingen Geld herauszunehmen, die eine minder tluge Frau kaum beachtet. Das Bauernmädchen braucht heute ebensogur eine tückiige Schulbildung, wie das auf die eigene Kraft angewiesene Stavtfräulcin. Bei diesem können die erwor denen Schulkenn.nisse nach der Verheirathung meistens zurück treten, bei dem Landmädchcn sollen sie eigentlich erst zur vollen Geltung kommen, wenn cs Bäuerin geworven ist, denn diese tritt mit der Verheirethung nicht vom wirthschaftlichen Kampfplatz ab. Es harren ihrer neue, größere wirthschaftlichc k'lufgaben, die sie selbstständig lösen soll und durch die sie zu zahlreichen, rein geschäftlicken Dispositionen gezwungen wird; -Aufgaben harren ihrer, die sie um so besser lösen wird, je tüchtiger ihre Schulbildung war und je mehr sie von Lieser behalten hat. Eine intelligente Frau, schon für den Städter ein Segen, ist in der bäuerlichen Wirthschaft so unerläßlich, daß ohne diese ein Ge deihen meistens ausgeschlossen ist. Doch wie groß ist auch auf dem Lande cie Zahl jener Frauen, die kaum eine Ahnung von weiblicher Tüchtigkeit und .Klugheit besitzen. Weit entfernt da von, zu erkennen, welche wichtige wirthschaftlich« Aufgaben sie zu erfüllen haben, arbeiten sie oft wie Lastthiere, um die Wirthschaft nur im alten -Gleise zu erhalten, während ihre Unwissenheit und Einsichtslosigkeit sie, ebenso wie den Mann, hindert, die Einnahmequellen des Gutes voll zu erschließen. Auch die Uicküch.igkeit dec Bauernfrauen ist nicht ganz unschuldig an landwirthschaftlichen Uebelständea; mittelbar ist sie eine der Ur sachen der „Leutenoth". Wir wiederholen, daß die Agrarfrage nicht gegen, sondern nur mit der besseren Bildung und Erziehung der landwirth schaftlichen Bevölkerung gelöst werden kann. Nur durch die all gemeine Erhöhung des Culturstandpunctes lassen sich auf dem Lande auch bessere wirthschaftlichc Zustände schaffen. Land wirthschaft ist nicht mehr nur grobe Handarbeit, sie ist heute eine Wissenschaft. Selbst was früher an ihr gröbste Hantirung war, wird heute immer mehr zur complicirten Arbeit, die eine weit über das frühere Durchschnittsmaß emporragenoe Intelligenz verlangt. In einer Zeit, in der die Bovenbewirth- schaftung im natürlichen Laufe ihrer Entwickelung immer mehr zur Maschinenarbeit übergehen muß und zur Bedienung der empfindlichen und theueren Maschinen anstelliger und um sichtiger Arbeiter bedarf, liegt eine Beschränkung der Schul bildung sehr wenig im landwirthschaftlichen Interesse. Tic Statistik zählte in Deutschland landwirthschaftliche Betriebe mit Anwendung von 1882 1895 Dampfpflügen .... . 836 1695 Säemaschinen . 63 842 20 673 Mähmaschinen .... . 19 634 35 084 Dampfdrcschmaschinen . . . 75 690 259 069 anderen Dreschmaschinen- . . 298 367 596 869 Die Säemaschine war 1896 bereits stark durch die praktischere Drillmaschine verdrängt, die in 140 192 landwirthschaft lichen Betrieben angewendet wurde. Die Zahl der Dampf- masch inen hat sich in der deutschen Landwirthschaft in Proccnten ausgedrllckt weit stärker als in der Industrie und im Bergbau vermehrt. Es gab 1879 in Preußen 2731 feststehende und bewegliche Dampfmaschinen in der Landwirthschaft, Vie 24 310 Pferdestärken besaßen. Diese Zahl hatte sich 1897 auf 12 866 Dampfmaschinen mit 132 806 Pferdestärken vermehrt. Das ist eine Steigerung der landwirthschaft lichen Dampfmaschinen um 470 Procent und eine Steigerung der Pferdekräfte um 546 Procent! Im Bergbau und in der Industrie Preußens be trug 1879 die Zahl der Dampfmaschinen — abgesehen von Dampfschiffen und Eisenbahnlocomotiven — 32 606 mit 910 674 Fenrlletsir. Genuß- und Putzsucht der Leipziger in früherer Zeit Von vr. Richard Markgraf. SiaLtruck Veristen. Die Genuß- und Putzsucht der Leipziger in früherer Zeit hat der Stadtbehörde große Noth gemacht, wie die zahlreichen Verordnungen und Verbote beweisen, die dagegen erlassen werden mußten. Diese alten Verordnungen sind jetzt werthvollc Bei träge zur Volkskunde und Sittengeschichte Sachsens. Eine gedruckte Kleider- und Wirthschaftsordnung für di« Stadt Leip zig hat man schon aus dem Jahre 1506, in welcher cs heißt: „Kein Rathsherr, oder der, so ihm gleich geachtet wird, und oeren Weiber sollen ein Kleid tragen, welches über vierzig Gulden werth ist; Zobel und Hermelin wird ihnen zu tragen verboten! Zur Kleidung mögen sie brauchen Chamlot, Sattyn und Karto- syk, aber keine Seide, außer zu Joppen und Wamms. Sie sollen keine güldenen Ketten, Halsbänder und Perlen, kein vergllldetes Silber und Kupfer tragen. Güldene und silberne Stücke sind ihnen gänzlich untersagt, nur zu den Hauben wird ihnen ein: Unze (gleich 2 Loth) Gold gestattet. Den Jungfrauen werden vier Loth Perlen, das Loth aber nur zu vier Gulden, erlaubt. Bürger und Handelsleute sollen kein Kleid haben, das höher als zwatnzig Gulden zu stehen kommt; den Bürgerfrauen werden Kleider, die mehr als achtzohn Gulden kosten, alle Edelsteine, Seide, Reiher- und Straußenfedern verboten, nur Perlen, sechs Gulden an Werth, bleiben ihnen gestattet. Die Leinwand, die sie tragen, soll nicht kostbarer sein, als daß man vier Ellen für einen Gulden kaufen mag. Da» Hochzeitsgeschenk soll sich nicht über zehn Halbgroschen oder einen Gulden belaufen, bei einer Strafe von drei Gulden. Ebenso hoch und nicht höher soll auch das Pathengeld kommen." Da» Verbot scheint sehr wenig befolgt worden zu sein, da schon 1544 in einer Taxe für die Handwerker, nämlich Schneider und dergleichen, eine große Menge Kleidungsstücke al» modisch angeführt werden, z. B. für Weiber und Jungfräulein Röcke von Sammet, Damast, Seiden- atlaS, Tobin, Zindeldort, Karteck, Schaubrrvcke, Harrissen- und Satinrnunterröcke, Umnehmeröcke, sammtne Koller, hoch und weit zu Halse, kurze Mäntelchen, weit und durchaus gefüttert. Auch von den E ß s i t t e n erfahren wir aus dieser Ordnung. Um 6 Uhr nahm man die Frllhsuppe ein, d. h. das Frühstück, welches gewöhnlich aus einer Suppe, bei wohlhabenden Leuten aber noch aus Fleisch, g. B. kaltem Braten, bestand. Schon um 6 Uhr begannen damals die öffentlichen Geschäfte, selbst in den Expeditionen der Behörden. Um zehn Uhr wurde das Mittags essen eingenommen, das man auch Morgenessen nannte. Nach mittags folgte ein Vespertrunk, um fünf Uhr die Abendmahlzeit und vor Schlafengehen endlich der Schlaftrunk. Im Winter um acht, im Sommer um neun Uhr Abends wurde die Cavete- glocke geläutet, so genannt, weil sie den Einwohnern ein: „Nehmet Euch in Acht!" zurusen sollte; denn wer nach diesem Lauten auf der Straße erschien, mußte eine Laterne bei sich haben; ein Jeder, den man ohne Laterne antraf, wurde ver haftet. Bereits im Jahre 1580 sah sich der Rath von Neuem ge- nöthigt, gegen die Kleiderpracht und Gastereien einzuschreitrn. Er verbot selbst den Weibern der vornehmsten Bürger und tapfern Kaufleute Sammt, güldene oder silberne Stücke zu tragen. Es wurde ihnen nur gestattet, die Kleider mit Sammt zu verbrämen, jedoch genau bestimmt, wie viel sie dazu verwenden durften. Den Jungfrauen waren Damast, Tobin und Zindeldort bis zu ihrem Hochzeitstage zu tragen verboten, doch gestattete man ihnen Koller von Sammt. An Hauben und Lätzen durften die Fraun und Jungfrauen zwar Gold tragen, aber an einer Haube nicht über zwei, an einem Latze nicht über «ine Unze. Edelsteine waren gänzlich verboten, goldene und silbern« Ketten nur bis zu einem gewissen Werthe erlaubt, nämlich bis 25 Thaler, doch sollten si« auf einmal wicht mehr als eine umhängen. Mehr als vier Loth Perlen (das- Loth zu sieben Gulden) durften sie an Hauben und Lätzen nicht verwenden, nur am Hochzeitstage war ein werth vollerer Perlenschmuck gestattet. Zobel und Hermelin blieb ganz verboten. Die Frauen und Töchter der aemeinen Bürger und Handwerker wurden natürlich noch mehr beschränkt; sie durften kein Kleid tragen, das mehr als zwanzig Gulden kostete, zur Ver brämung war nur eine Elle Sammt gestattet, der Haubcnschmuck durst« nicht mehr als 15 Gulden kosten, und d«r Perlcnschmuck höchstens acht. In Bzug auf Hochzeits- und Kindtaufsschmäuse wurde den Vornehmen gestattet, an zehn resp. zwölf Tischen Hochzeiten oder Kindtaufen auSzuiichten. D«n Gästen wurde zweierlei Bier oder Wein, aber kein süßer vorgesetzt, es sei denn „Makvesier, Rheinfall oder Felkeliner". Die gemeinen Bürger durften nur Landwein und einerlei fremdes Bier geben. In Bezug auf dirSpeisen war verboten, des Morgens mehr als sechs Essen, außer Käse und Kuchen, und Abends mehr als fünf Gerichte zu bringen. Die Hochzeits- und anderen festlichen Tänze wurden auf dem großen Ralhhaussaale gehalten, und in Hinsicht auf das Tanzen zeigte sich der Rat-H nachsichtig, da er das „Schludern, Vordreyen und Ummcschlingern" oder Walzen nicht verbot, obgleich es an vielen anderen Orten bei ziemlich hoher Straf« untersagt war. Der Karneval oder, wie man sonst sagte, die Fastnacht» - mummereien scheint man in Leipzig in ausgelassener Lustigkeit gefeiert zu haben, da 1609 ein scharfes Verbot dagegen vom Rath- erging, in welchem es h«ißt: „Wir haben mit Schmerzen gesehen, daß solch gräulich und abscheulich Verlaroen und Umlaufen über hand genommen, in dem das wüst« Volk sich haufenweise und in großer Anzahl züsammenrottiret, theils Mit gar abscheulichen Larven, theils in Weiber- und garstiger Kleidung, allerseits aber mit Rappiren, Säbeln und anderen mörderlichen Waffen armiret und gerüstet, zu Tag und zu Nacht herumgezogen, dabei denn eines T-Heiles sich ganz ärgerlicher Gebcrden und anderer Schand possen gebrauchet, daß «s für züchtige Augen und Ohren zu sehen uwd zu hören ganz abscheulich und mehr barbarischem epikuräi- sch«n Leben und Wesen gleich gesehen, als daß es von einem ge tauften Christenmenschen gedacht, geschweige vorgenommen und getrieben werde." So wurde denn befohlen, sich des Verlandens, Vermummens und Umlaufens, es geschähe haufenwöife oder ein zeln, in welcher Kleidung es auch s«i, bei Tag und bei Nacht auf den Gassen, auf dem Markt« od«r auch in und bei der Stadt, zu enthalten. Trotz aller Verbote, trotz Noth, Theuerung und Kriegsleiden dauerten die Mummereien fort, und der Luxus stieg höher und höher. So heißt es in einer Gasterei- und Kleiderordnung von 1626: „Sichet man di« Tracht und Kleidung an, deren sich das Mannsvolk ohne Unterschied des Standes zu gebrauchen pflegt, da muß die Kleidung Alles Sammt und Seide sein. Alles rein zerhackt und zerstochen und mit seidenen Schnüren zum statt lichsten und prächtigsten belegt; eS müssen lauter seidene Strümpfe und zwar mit die b:sten sein. Das Weibsvolk, Frauen und Jungfrauen, di« machen vollends den GarauS, «s ist nicht genug ein seidener Rock, sondern es muß dabei sein ein stattlicher lieber- und Umhang, und solche Kleidung von allerlei hohen Farben und gvldenen Schnuren und Zanken und auf das präch tigst: verbrämt, von dem höchsten seidenen Zeuge, nicht auf ehr bare deutsche, sondern auf fremde und ausländische Art und Manier. Der Kopsputz ist nicht allein >vi« vor Zeiten ein gül denes Borten und eine güldene Haube, sondern es -muß Alles Gold und Perlen sein, die Unterlagen unter die Hauben selbst, welche die Weiber tragen, pflegen mit stattlichen Perlen, Gold- rosen und Goldstangen behestct, die Jungfrauen Bänder, die man um das Haupthaar zu flechten pflegt, von lauter Perlen zu sein; si« dürften auch so hochmü.hig sein, Ringe mit Edelsteinen darein zu flechten, die Kränze nicht mehr von schönen wohl riechenden Blumen, sondern gleichfalls von lauter geschlagenen Gcldrosen und Perlen; durch das Haar sind ferner Schwerter uno Dvlche gezogen, abermals nichr allein silbern und vergülvet, son dern gar von Gold. Kein silbern oder gülden oder seiden Vor band ist nicht mehr gut genug, sondern güldene Panzerkcten und Armbänder werden in dersclbigen Statt gebraucht, keine gül dene Keitr ist zum Schmucke genug, sondern es müssen derselben etliche sein, wohl mit Kleinodien behängt. Die Handschuhe sind mit Gold und Perlen durchstickt, die Mützen, so das Weibsvolk trägt, sind nicht blos mit Goldrosen und Perlen belegt und ver brämt, sondern selbst di« Schuhe mit lGold und Perlen gestickt." Zehn Jahre später erschien wieder ein Patent, in welchem dec Rath gegen den furchtbaren Luxus rn damaliger Zeit vorging. Es half Alles nichts, selbst als an die Kirchrhiiren Rathsdiener gestellt wurden, di« den Weibern den übertostbaren Schmuck und Putz abrissen. Reisende und Andere, die über Leipzig geschrieben ha ben, bestätigen das Haschen nach neuen Moden, di« Kleider - Pracht und Genußsucht in der wohlhabenden Stadt. Goethe sagt in „Wahrheit und Dichtung" bei der Schilderung seines Leipziger Sudentenlebens: „Ich hielt mich in meinem Anzug für geputzt genug, allein es währt« nicht lange, so überzeugten mich meine Freundinnen, erst durch leichte Neckereien, danw durch vernünftige Vorstellungen, daß ich wie aus einer fremden Welt hereingeschneit aussähe. Als dann Herr von Masuren einst auf dem Theater in einer ähnlichen Kleidung auftrat und herzlich be lacht wurde, faßte ich Much und wagte meine sämmtliche Gard« robe gegen eine neumodisch«, dem Orte gemäß« auf einmal einzu- taüschen"; und gleich in den ersten Tagen nach seiner Ankunft in Leipzig, 1765, schrieb er an Freunde: „Das geht köstlich her, aber auch kostspielig. Ich habe kostbaren Tisch. Merkt einmal unseren Küchenzettel: Hühner, Gänse, Truthähnen, H«chl, Fasa nen, Schnepfen, Feldhühner, Hasen, Enten, Austern u. s. w. Das erscheint täglich; nichts von anderem groben Fleische, als da sind: Rind, Hammel, Kalb u. s. w. Das weiß ich nicht mehr, wie eS schmeckt."
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