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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.03.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189903195
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990319
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990319
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-19
- Monat1899-03
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.03.1899
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Bezugs-Preis ti tz« Haupteppedition od« de« im Stadt« bezirk emd de« Bororteu «richtet»» Au«- uabestellen abgrholt: vierteljährlich4.L0, bei zweimalig« täglich« Zustellung tn» HauS^iSöO. Durch di» Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: virrtrliädrlich > 8.—. Directe tägliche Krrnzbcmdsrnvung dis Ausland: monatlich 7.S0. T ie Morgen-AuSgabe «scheint um '/,? Uhr. di» Abend-AuSgab« Wochentag« «m b Uhr. Vedactioa und Expedition: 2ohauui»gafie 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: ktt» Klemm'« Sortim. (Alfred Hahn), UniversitLt-srrahr 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, pari, und KönigSplatz 7. lQ U'tipngcrTagtblall Anzeiger. Amlsölatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Ratljes nnd Notizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeüe Li) Psg. Reklamen unter demRrdactionsstrich («ge spalten) vor den Familien Nachrichten (Lgespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Posrb«sörd«ung .^i 60.—, mit Postbeförderang 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. An;eigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sonntag den 19. März 1899. 93. Jahrgang. Aus der Woche. Q Die Freisinnigen Richter'sckrr Prägung und die Social demokraten sind in ihren Zeitungen eifrig bemüht, die durch die Krisis der letzten Tage entstandene gelinde Erregung wach zu halten, dabei aber in Streit miteinander geratben und zwar darüber, wer von ihnen bei der Bekämpfung der Milirärvorlage der Eifrigere gewesen. Es bandelt sich für Beide um den politischen Lohn für ihre Heldentbaten und deshalb geht e« in dem Zank nicht fein her. Herr dichter fchreitj die Socialdemokratie, die sich rühme, wieder al« die einzige tapfere und charaktervolle Partei dazusteben, habe gar nicht« gegen die Militärvorlage geleistet, höchstens einige allgemeine Redensarten, die freisinnige Volkspartei hingegen habe allein mit dem Centrum die Heereöverstärkung wirksam und erfolgreich bekämpft. Erfolgreich — den Angehörigen der freisinnigen Bolk«partei ist nämlich auf gegeben worden, die Abstimmung vom Donnerstag als einen Triumph de« Centrums und eine materielle Niederlage der Regierung anzusehen. Die Socialdemokratie will baS Gegen- theil geglaubt wissen, und der „Vorwärts" schreibt, nur ein „politischer Narr" könne, von einer Nieder lage der Regierung sprechen, aber Angst vor der Aus lösung habe Richter bewogen, die Lieber'sche Resolution für bedeutungslos zu erklären. Dazu macht in der „Frei sinnigen Zeitung" Herr Richter die liebenswürdige An merkung: „Wie dumm!" Ganz Recht bat übrigens der „Vorwärts" auch nicht. Nicht Furcht vor der Auslösung bestimmte den Freisinn. Er mußte da« Centrum als Sieger preisen, weilseineÄnbänger im Lande e« nickt verstehen würden, daß Herr Richter ein Centrum, da« nachgegeben bat, nicht an greife. Angreisen darf er e« aber nicht, weil er zu den HauSarmen der klerikalen Partei gehört. Aber es sind komische Bewegungen, mit denen Herr Richter den CentrumSmann auf den Siegeswagen zu beben versucht. Er spielt sich al« C'vilist auf, das Wort juristisch genommen, und zwar allen Ernste«. Wir lesen in der „Freis. Ztg." von dem Eingehen einer wechselseitigen Verpflichtung durch Regierung und Centrum sei keine Neve; von einer solchen Verpflichtung könne man nur reden, wenn eine Zahlungspflicht anerkannt sei ohne Vorbehalt der Prüfung der cuu8» üedencki, also de« ZahlungSgrundeS. Das Centrum habe aber laut Resolution im nächsten Jahre nichts zu zahlen, wenn die nachweisliche Nolbwendig- keit, daß die gestrichenen 7000 Mann nicht zu ent behren seien, sich nicht ergeben sollte. Und die« Er- gebniß ist nach Herrn Richter natürlich ausgeschlossen. Wenn wir nicht sehr irren, sagt Herr Richter in leinen Erinnerungen, mit denen er wie m so Vielem dem Fürsten Bismarck zuvorgekommen ist, selbst, er sei fürs Civilrecht nicht veranlagt. Es hat übrigens wenig zu sagen, daß die freisinnige Gefolgschaft in den Traum gewiegt wird, das Centrum werde den am 16. März acceptirtea Wechsel nicht einlösen. Es wird. Wie »S aber scheint, ist ihm auch in der Tbat schon für die Ausstellung des Wechsel« Lohn zugedacht. OfficiöS wird bestritten, daß ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf über die Reform deS Gemeindewahl- rechtS in Preußen die Genehmigung deS Monarchen nicht erhalten werde. Vor wenigen Tagen glaubte man noch, der laut gewordene Widerspruch gegen den Inhalt des Entwurfs habe Eindruck gemacht. Zu verwundern wäre. dicS nicht gewesen, denn die enistanteue Beunruhigung erstreckt sich auf weite Kreise und wird auch von Leuten, ge äußert, die nicht, nach einem Aisiuarckschen Worte, „immer eine halbe Dcuteillc zu viel haben". Die Vor lage ist noch nicht veröffentlicht, aber eS scheint sich in der Thal uni nichts weniger als um die llltramon- tanisirung der Verwaltung von mindestens zwanzig Städten zu bandeln. WaS man vfsiciöS über die Absicht, dem Mittel stände eine bessere Vertretung in den Gemeinden zu geben, serviren ließ, bält der Kritik nicht Stand. Vielmehr soll dem zumeist klerikalen, manchen OrtS aber auch socialremekratisckcn Element des kleinsten Bürgcrslandes das sür die Zu sammensetzung der städtischen Vertretungen ausschlaggebend: Gewicht verlieben werden. Der Protestantismus und die Schule werden sonach die bei ter Militärvorlage aus gelaufene Zeche zu bezahlen haben. Nicht einem national liberalen, sondern einem konservativen Blatte wird vom Rhein das Folgende geschrieben: „ES ist nicht kirchliche, sondern nationale Gefahr vorhanden: da« neue Gesetz wird durch Auslieferung auch der zweiten Classe an die Ultramontanen die ganze Conimunalvcrwaltnng des Westens ultramontan macken, die „liberalen", d. h. national und antiultra montan gesinnten Bürgermeister werden dann alle hinaussliegen, auch in Köln, Düsseldorf, Bonn u. f. w. Lasten Cie sich dazu Nachricht geben, falls Cie eS noch nicht haben, von der ultra- montanen Vorherrschaft in der Provinzialverwaltung (vgl. Neu wied u. s. w.) und endlich in der Regierung. Bon den fünf rheinischen Regierungspräsidenten sind bereit« drei katho lisch, trotz „Mangels an geeigneten katholischen Bewerbern", — in der hiesigen Regierung ist bei der Cchulabtheilung nur noch rin evangelischer Rath, die neuesten Versetzungen haben eine Anzahl weiterer »atholiken hierher gebracht, z. B. auch ins Oberpräsivium einen neuen Rath, — dazu schießen die Klöster wie Pilze aus der Erde, — die Caste der tobten Hand füllt sich — und das „Ideal land" Belgien wird bald das linke Rheinuser zum gelungenen Nach- bild haben, — nun fehlt nur noch ein „Schulgesetz", dann können wir einpacken mit unserer „Westmark"! Nuck die neulich ver öffentlichte Statistik über die katholischen Mitglieder in Len Ministerien stimmte gar nicht mehr, seit 1896 hat sich eben viel verändert." Es sragt sich nun, ob die konservative Partei deS preußi schen Abgeordnetenhauses, bei der die Entscheidung liegt, einen Zustand wie den im Vorstehenden von einem der Ihren beklagten noch verschärfen helfen will. Daß die Verurtbeilung des „Amerikanismus" durch den Papst und der Sckell'schen Schriften durch die Jnver- concregation bei den Ultramontanen romanischer Zungen besonders lebhasten Beifall finden werde, war vorauszusehcn. Dennoch darf der Enthusiasmus, mit dem der Erzbischof von Paris über die jüngsten römischen Acte spricht, über raschen. Der Kirchenfürst zeigt sich in einem Brief an den Papst ganz verzückt über „das bewunderungswürdige Schreiben des heiligen Vater» (an den amerikanischen Bischof Gibbons), wecheS einerseits für die volle Integrität der Lehre ein tritt, diese wie ein heiliges Vermächlniß hütet und nicht wie eine Wissenschalt behandelt wissen will, welche einer Enlwickelnng durch den menschlichen Geist fähig ist (das gebt vor Allem auf Sckcll), und anderer seits sür die Heiligkeit der Disciplin eintritt." Dieses einerseits und andererseits ist herrlich. Hier das Verbot, zn denken, dort das Verbot, nach etwa doch Gedachtem zu ver fahren und dazwischen gar nichts. Jn gewißen Dingen wird eS übrigens mit der „Heiligkeit der DiSciplin" nicht so genau genommen. Die „Germania" bat vor Kurzem — wir haben davon Notiz genommen — bitter über Ausbreitung des „Devolionalienhankels" und seine Aus nutzung „für kirchliche Zwecke" anscheinend ernsthaft Klage geführt und auch von einem Einschreiten der Bischöfe er zählt. Wie dasselbe Blatt jetzt mittbeilt, blüht der Handel in der getadelten Weile munter fort. Der „Germania" liegt anS der Umgegend von Erfurt ein „Garantie schein" einer Verlagsanstalt vor, worauf ein biederer Mann aus dem Volke am 12. d. MtS. dem Colporteur Werner 1,50 bezahlt als Auzablung für einen 6 kostenden HanSsegen, während der Rest von 4,50 an die Firma in Cbarlottenburg abzusühren ist. Auf dem Schein finden sich auch die Vermerke: „Ter größte Tbeil deö Rein ertrages ist für den römisch-katholischen Kirchenbau in Nürnberg bestimmt." Und weiter: „Für die Ab nehmer dieses Gegenstandes, welcher zum Besten des Neubaues der katbolischen Her»'3esn-Kircke jn Nürnberg verkauft wird, wird an allen Sonn- und Feiertagen öffentlich in der Kirche gebetet und in jedem Monat eine hei lige Messe gelesen. Außerdem ist bereits ein Jahr- tagSamt gestiftet aus den 1. Juni jedes Jahres sür die lebenden und verstorbenen Wobltbäter, welche durch Ankauf eines Gegenstandes oder durch Schenkung den Kirchenbau fördern geholfen. Auch ist bereits eine Kreuzweg-Andacht für alle Wobltbäter unserer Herz-Jesu-Kirche auf die Freitage der Fastenzeit für alle Zuknnst gestiftet." Sodann: „Für 6 ist dies eigentlich nicht wenig." Jn Preußen wird bald ein heißer Kampf um den Mittel landkanal entbrennen, der Nbein, EmS, Weser und Elbe ver binden soll. Und der Streit wird, was wir übrigens für eine glückliche Fügung anscben, nicht zwischen Stadt und Land ausgesuchten werden müssen, auch städtische Interessen sehen sich von der Anlage bedrobt. Hamburg ist nicht preußisch, aber wie die Hant'astadt so befürchten auch Altona und Harburg von dem Canalban eine För derung des holländischen und des belgischen Handels auf Kosten deS deutschen, oder, was ja allerdings nicht so schlimm, eine Begünstigung Bremens auf Kosten der ge nannten Städte. Auch die Hülten-Jndustrie Schlesiens pro- testirt mit der dortigen Landwirthfchaft. Ganz geklärt scheint die mirtbschastliche und sociale Bedeutung der großen Anlage jedenfalls noch nicht zu sein. Während die Begründung des Gesetzentwurfs meint, der Canal werde die Industrie decentralisiren, weil sich Fabriken an den Wasserstraßen an siedeln werden, wird von Schlesien das Gegenlheit vorher gesagt. Die bestehenden Centren würden gefördert durch dir Verbilligung deS Bezugs von Eisen und Kohle. Deutsches Reich. l'. II. Berlin, 18. März. (Anarchistisches.) Von den Anarchisten hat man lange Zeit nichts gehört, ansgrstorben sind sie leider noch nichr. Morgen, Sonntag, soll wieder einmal im Luisenstädtischen Concerlhaus, Alte Jakobstraße 37, eine anarchistische Versammlung stattfinden, in welcher der viel genannte Anarchistenchef G. Landauer üb« den 18. März sprechen soll. Bekanntlich befinden sich in den Berliner Vor orten eine Anzahl Anarchistenclubs (sie nennen sich Lese oder Discutirclubs); sie beabsichtigen in der nächsten Zeit eine kräftige Agitation von Neuem zu entfalten. So findet eine Zu sammenkunft des Lese- und Discutirclubs „Freiheit" in Ripdorf an diesem Sonntage statt, damit, wie es in der Ankündigung heißt, „auch in Ripdorf der Anarchismus wieder festen Boden faßt". Die Polizei hat in den Geschäfts räumen des anarchistischen Organs „Neues Leben" (bei Kertzsch«. Neue Roßstraße 6) eine umfaßende Haussuchung ab gehalten; gefunden soll aber nichts sein. Für den nach Der büßung einer langjährigen Strafe aus dem Zuchthause entlaßenen Genoßen R e n n t h a l e r, der gelähmt ist, sind circa mit An rechnung der Erträgnisse einer McrtinSe 1000 eingekommen, immerhin ein Zeichen, daß der Anarchismus in Berlin bei Weitem noch nicht verschwunden ist, wenn gleich er in der letzten Zeit angesichts des energischen Eingreifens der Polizei (Verurtheilungen) in seine Schlupfwinkel sich zurück gezogen hat. Daß die anarchistischen Organe den 18. März feiern, bedarf wohl keiner Hervorhebung; die Art, wie daS ge schicht, ist die bekannte, aufreizende, verbrecherische. T Berlin, 18. März. (Telegramm.) Aus Kiau- tsckau, 18. März, wird gemeldet, daß Prinz und Prinzessin Heinrich mit den Kriegsschiffen „Deutschland" und „Irene" dort eingetroffen sind und im Namen deS Gouverneurs Wohnung genommen haben. L. Berlin, 18. März. (Privattelegramm.) Die in einem Tbeile der Presse aufgetauckte Vermutbung, dem Reichs tage werde noch in der lausenden Tagung ein Vorschlag zur Abänderung -eS WcingcsetzeS auf Grund der Verhandlungen Les sogenannten „WeinparlamentS" vom Anfang Februar unterbreitet werde», ist, der „Börsen-Ztg." zufolge, gegen stantslos. Im Reichsamt des Innern ist man der Formu- tirung eines diesbezüglichen Vorschlages bi- jetzt noch gar nicht näher getreten, da man noch eine weitere Klärung der Ansichten erforderlich erachtet. — Der Minister des Innern hat an sämmtlicke Oberpräsidenten wegen des Mitführens oon Fahnen durch die Kriegeroereine bei Begräbnissen folgende Verfügung erlassen: „Berlin, 4. März 1899. Angesichts verschiedener Ver stoße, welche oorgekommen sind, mache ich hiermit zur weiteren Mittheilung an die Nachgeordneten betheiligten Personen erneu: darauf aufmerksam, daß bei Leichenbegängnissen ihrer Mitglieder Kriegeroereine, wenn sie im Besitze einer staatlich genehmigten Vereinsfahne sind, nur diese, anderen falls aber keine Fahnen führen dürfen. I. A. Lindig." Wunderblümchen. Eine Studentengeschichte von Karl Wilhelm Geißler. »ioLdnia vndol^n- Der junge Fuchs benöthigt für den officiellen Sonntags bummel der Couleur eine neue Cravatte. Wenigstens hat ihm sein behäbiger und in solchen Dingen unerbittlicher Leibbursch mit Gründen der Logik und des Eomments bewiesen, Laß ein deutscher Student die Verpflichtung habe, auch nach außen Ein druck zu machen und die Farbensymphonie von Band und Mütze durch daS Scherzo einer munteren Halskragenflagge zu ver vollständigen. Der Fuchs sieht das ein und erbittet sich oon seinem Mentor Rath über die Quelle, aus der das in Rede stehend« Toilettenrequisit am besten zu schöpfen sei. „Das kaufst Du natürlich bei Wunderblümchen! Wir all« sind dort Kunden — da hast Du Auswahl, coulante Bedienung und — für später sei Dir's gesagt — sobald Du in meinen gesetzten Semestern sein wirst, Credit —" Der Fuchs lachte. „Wunderblümchen? Was eS doch für komische Namen giebt! — Muß sich nett im Firmenregister machen!" - . „Firmenregister?" erwiderte d« Leibfirchs fhirärunzelnd, „ich verbitte mir ernstlich jede Fachsimpelei, verstanden? Im Firmen- rcgister würdest Du unser Wunderblümchen übrigens vergeblich suchen — hm, ich selbst weiß kaum, wie die Kleine in Wirklichkeit beißt! Aber da ist ja ihr Ladens chikd — lies selbst!" „Martha Müller!" der Fuchs lachte wickder, „und sü etwas nennt Ihr „Wurrderblümchen"?" Sie traten in den kleinen, mit bescheidener Behaglichkeit ausgestatteten Verkaufsraum ein. Ein Mädchen kramte hinter dem Ladentische in Pappcarton». Es war bei der Arbeit in Eifer gekommen. Die Verwirrung, dabei durch Kundenbesuch überrascht zn werden, war ihren lebhaft sprechenden dunklen Augen deutlich abzulesen. „Morgen, Wunderblümchen!" sagte der Leibbursch: indem er es sich aus einem Stuhle bequem machte, „laß Dich nicht stören! Wir haben Zeit, und wenn Du un« erlaubst, Dir zu zusehen —" „Warum nicht gar mir helfen?" rief das Mädchen mit Munterkeit. „Allerdings", wagt« der Fuchs schüchtern zu bemerken, „daS wäre in der That ganz in der Ordnung, einer so reizenden jungen Dam« —" Der Lribbursch schmunzelte behaglich: „Wunderblümchen, nimm Dich vor dem in Acht! Da» ist zwar nur ein krasser Fuch», aber rin galant«!" Der Fuch« erröthete, besorgte seinen Einkauf, stotterte etwa«, dah er di« erstandene Cravatte wunderprächtig und dabei lächerlich billig finde, und schritt nach dem Verlassen des Laschens schweigend an der Seite seines Freundes. „Du mußt kecker mit den kleinen Mävels werden!" polterte der Leibbursch gutmüthig, „Wunderblümchen wird Dich für einen »«kleideten Backfisch gehalten haben —" „Weil ich sie nicht duzte? — Ich kann das nicht — ich finde es, offen gestanden, gräßlich banal —" „Oho, mein Kleiner! Es war wirklich Vie höchste Zeit, daß Du in meine Lehre gekommen bist!" Er konnte sich nicht entschließen, Wunderblümchen's Laden in den nächsten Tagen wieder aufzusuchen, so lebhaft er sich einredete, daß er neuer Handschuhe und ähnlicher Dinge zur äußersten Noth bedürfe. Er kämpfte lange mit sich, wobei er sich sagte, daß das Unterliegen in diesem Kampfe mit einem dummen Streiche seinerseits gleichbedeutend sein würde. Aber das Gäßchen, in dem Wunderblümchen und ihr Geschäft blühten, konnte er wenigstens besuchen. Er schritt, so oft er nur immer allein und vom Couleurdienst befreit war, auf der dem Laden gegenüberliegenden Straßenseite auf und nieder. Er bekam dabei Wunderblümchen nicht zu sehen, denn die Thür war ver hängt, das kleine Schaufenster mit allerlei bunten Herrlichkeiten dicht angefüllt. Seine Promenaden hatten eigentlich keinen Zweck, und er kam sich recht lächerlich vor, wenn er sich bei einem Erröthen ertappte, wenn er fühlte, wie er die Zähne auf die Lippen biß, sobald er irgend ein männliches Wesen in den Laden treten sah, sobald ein Student oder Philister nur um etwas länger darin verweilte, als es ihm zur Erledigung eines schlichten Kaufgeschäftes nöthig erschien. Endlich beschloß er, eI ebenso zu machen wie die Anderen, und wenigstens Kunde zu sein, da er dem liebenswürdigen Mädchen vorläufig doch nichts Anderes sein konnte. An einem regnerischen Abende, kurz vor GrschäftSschluß, raffte er sich zur entscheidenden That auf und betrat daS Lädchen, da« ihm als das Reich Wunder- blümchen'S wie ein Feenpalast erschien, zum zweiten Male. Wunderblümchen saß hinter dem Ladentische und las. Sie nickte dem Fuchs gar freundlich zu. „Sie haben sich lange nicht sehen lassen, Herr Doctor! Waren Sie mit der Cravatte nicht zufrieden — es scheint fast so — was Sie heute tragen, ist nicht oon mir —" „O bitte, mein Fräulein, ob ich damit zufrieden war! Aber Sachen, di« ich bei Ihnen kaufte und noch kaufen werde, sind mir für den alltäglichen Gebrauch denn doch zu schade!" Das Mädchen sah ihn mit prüfenden Augen treuherzig an. „Weshalb duzen Sie mich nicht, wie Ihre Commilitvnrn? Wissen Sie nicht, daß man mich „Wunderblümchen" getauft hat, und daß ick diesen Spitznamen sehr gern höre?" „Von Anderen — mag sein, mir müssen Sie schon gestatten ich finde den Namen gewiß nett, sehr nett — er sagt das, was Sie in der That sind aber daß Jeder der um etwa» zu kaufen, zu Ihnen kommt, das Recht sich anmaßen könnte. Sie mit diesem Namen zu nennen — — vielleicht, ja gewiß. Sie werden es verstehen, wenn ich aus diesem Grunde —" Wunderblümchen unterbrach ihn, indem sie mit geschäfts mäßiger Verbindlichkeit nach seinen Wünschen fragte. Er wußte selbst nicht, was er taufen sollte, musterte leichthin, was ihm gerade in die Hand kam und beobachtete dabei dir niedliche Verkäuferin, die sich vor dem schmalen Spiegel das Hütchen aufsetzte und sich auch im Uebrigen zum Fortgehen rüstete. Er bot ihr seine Begleitung an. Sie acceptirte mit lachendem Munde, obwohl sie eigentlich bis zu ihrer Wohnung nur einen Katzensprung habe. „Da Sie mir ja doch nichts abkaufen —" „Morgen! Morgen werde ich ganz bestimmt wissen, was ich will darf ich um dieselbe Zeit, wie heute —" „Aber mit Vergnügen! Ich weiß, was ich meinen Kunden schuldig bin —" „Ihren Kunden? Hm! Ich möchte — ich möchte Ihnen etwas Anderes sein —" „Wie?" „Ein Freund — oder brauchen Sie keinen?" „Freilich! Urbrigens ist Jeder, der mir etwas abkauft, mein Freund!" Der Student runzelte die Stirn. Sie betraten die Straße. Er hielt schützend seinen Schirm über Wunderblümchen, das leichten Fußes an seiner Seite marschirte. Mit Dankeswort und „Gute Nacht" wurde ihm, als nach kurzer Zeit die Wohnung des Mädchens erreicht war, ein Händchen geboten, das er mir Wärme drückte, das er geküßt haben würde, hatte er sich in dem selben Augenblick nickt erinnert, daß vor ihm gewiß schon mancher Commilitvne als Entgelt für Gelerterdienste die Hand Wunderblümchrns mit den Lippen berührt haben mochte. Die Hand? Weshalb nicht auch den Mund? Es sah ganz so auS, als ob sie gewöhnt sei, sich den Hof machen zu lassen, ohne dabei die Spröde zu spielen. Vielleicht hatte sie erwartet, daß er sie in ein Restaurant, in ein Concert führen werde? Sie hatte so eigenthümlich, halb resignirt, halb verdrießlich drein geschaut, als er sich von ihr verabschiedete. Nun war sie also doch wie di« Anderen, und er hatte nur einen Augenblick an daS Vorhandensein einer Pflicht glauben können, dieses Wunder blümchen in andere» Land, in reichere Erde zu versetzrn! So meditirte der Fuchs auf dem Wege zur Kneipe. Der Leibbursch nahm ihn in Beschlag, legte sich aufs Comment- schinden. Der arme Junge muhte trinken — sogar einen „Ganzen" auf das Wohl oon Wunderblümchen! Mißmukhig leert« er das Glas. Der Leibbursch lachte ihn au». „Pfui, Kerl, Du blutest ja, wie ein —" „Bluten" nennen die Studenten bekanntlich daS Verschütten deS BiereS während deS Trinken». Daß auch da» Herz de» gc- dänselten Fuchse» in diesem Augenblicke blutete, konnte der joviale Srercirmeister natürlich nicht sehen. * Zwei Jahre später. Der Fuchs ist zum Burschen aus gewachsen. Er führt nun seinerseits die vom Pennal gekommenen Milchgesichter zu Wunderblümchen, das womöglich noch hübsche: und duftiger geworden ist. Er hat sich daran gewöhnt, gleich giltig zuzusehen, wie sich seine Freunde überbieten, der gefälligen Verkäuferin den Hof zu machen. Er ermuntert selbst die Füchse dazu und belehrt sie, daß das ein Mädchen sei, das man duzen und bei größeren Einkäufen ohne viel Umstände auf dir Hand küssen dürfe. Daß ihn Wunderblümchen zuweilen mir einem Blicke schmerzlichen Vorwurfes ansieht, wenn er in geräuschvoller Lustigkeit feinen Recruten in ihrem Laden commandirt, bemerk! er nicht. Um so überraschter war er, als sie ihn eines Tages bei Seite zog und ihm zuflüsterte, daß er ihr wehe thue! Er lächle und rief: „Dafür kauf ich Dir auch ordentlich ab und führe Dir Kunden zu, lauter noble Kerl«! — Hahaha! Co viele Freunde! Kanns da auf einen Freund anlommen?" Wunderblümchen verfärbte sich und kämpfte mit Thränen „Ich wollte Ihnen etwas sagen — aber nun ist es ja wohl zwecklos!" Er sah das Mädchen einen Augenblick an und empfand, daß er ihm etwas abzubitten habe. Vor Zeugen mochte ers nick: thun. Er verschob'» auf passendere Gelegenheit. Ueber die Zeiten weichherziger Sentimentalität war er ja zum Glück hinaus. * * * Aus dem behäbigen Leibburschen, der den Helden dieser kleinen Geschichte zuerst bei Wunderblümchen eingeführt hatte war mittlerweile rin rechtschaffen bemoostes Hcmpt geworden Zum zweiten Male war der Brave durchs Referendarexamen „gerasselt" und er erklärte nun bei der aus diesem festlichen Anlasse zu seinen Ehren veranstalteten Trostkneipe, daß er sich nunmehr wohl oder übel einem praktischen Berufe werde zu wenden müssen. Auf die Vorschläge, die ihm zu diesem Behufe gemacht wurden, antwortete er mit einem zufriedenen Schmunzeln: „Quält Euch nicht, sorgt Euch nicht, Kinder! Ich werde meinen Leichnam weich ins Philistertum zu betten wissen!" Er hatte nicht zu viel versprochen. Er ließ die Gläser füllen und verkündete, indem er sich bierselig auf seinen ehemaligen Leibfuchs stützte, daß er sich mit Wunderblümchen verlobt habe und daß er sie heirathen werde, so wahr er ein bierrhrlicher Kerl sei, um in ihr wirklich rentables Geschäftchen als Theil- haber einzutreten. Einen Augenblick Erstaunen, Bestürzung — dann allgemeines Glückwünschen. ES war,wirklich da» Ge- scheideste, was der „Dicke" thun konnte. Wunderblümchen war auch al» Frauchen emsig im Geschäfte thätig, aber sic lächelte nur selten. Die Studentenkundschaft verlief sich allmählich. Der „Dicke" war nämlich entsetzlich eifer süchtig.
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