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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.03.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990327026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899032702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899032702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-27
- Monat1899-03
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Böse Menschen batten sich schon die Umstände ausgemalt, unter denen Delbrück, ein Strafprofessor im passiven Sinne, in eine andere Universität als ordentlicher Professor hätte eiaziehen muffen. Auf der andern Seite ist es nicht unbefriedigend, daß die Eigenart des akademischen Lehramts und der akademischen Stellung Delbrück nicht gegen eine Repression einer unter erschwerenden Umständen begangenen strafbaren Handlung geschützt hat. Er hatte bekanntlich Ausweisungen, die von den Lebensintereffen deS Deutschthums in Nordschleswig ge boten erschienen, eine „brutale" Politik genannt und dies, ob wohl er sich bewußt sein mußte, dadurch einer gegen Kaiser und Reich gerichteten notorisch hochverrätherischen Propa ganda Waffen zu liefern. Auf die von ihm in einer Zeitschrift verübte schwere Beleidigung und aus die gezeigte Unbesonnenheit in patriotischen Dingen brauchte der Grundsatz: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei", deshalb, weil Delbrück in seinem Amte der Wissenschaft und ihrer Lehre dient, keine Anwendung zu finden. Freilich wäre e» correcter gewesen, ihn vor den ordentlichen Gerichten wegen Beleidigung zur Verantwortung zu ziehen, anstatt ein mit der Amtsstellung begründete» Verfahren einzuleiten. Ursprünglich war übrigens, was wir zu w»ffen glauben, weder der eine noch der andere Schritt beabsichtigt gewesen. DaS preußische StaatSmiaisterium dürste unter der Einwirkung einer vis major ge bandelt haben, als eS die Disciplinarverfolgung gegen Delbrück beschloß. Von demselben Staalsministerium, da-, da eS für die Verwaltung deS Herrn v. Köller die Verantwortung trägt, also der Beleidigte und deshalb Partei ist, kann Berufung gegen daS ergangene Unheil eingelegt werden. Die „Nationalzeituna" räth beiden Theilen, davon Abstand zu nehmen, und sie hat hierin Recht. Nicht beitreten kann man ihr aper, wenn sie die Erwartung aus spricht, der Zwischenfall werde Herrn Delbrück zur Warnung dienen. Die geistige — E^lusivität deS Herrn Professors ist zu entwickelt, als daß dieje Hoffnung gerechtfertigt erschiene. Die Frage des Mittellandcanal», mit der sich da preußische Abgeordnetenhaus nach den Osterferien zu befassen haben wird, besitzt wirthschastlich, wie auch politisch für da übrige Deutschland eine nicht geringe Bedeutung. BiS vor Kurzem hatte eS den Anschein, als könnte eS dem Freisinn gelingen, die Bekämpfung deS Widerstandes gegen den Canal bau zu einer parteipolitischen Sache, zu einem Krieg gegen die „Junker" zu gestalten. Der Einfluß, den eine solche Ent wickelung auf Vie Gruppirung der Parteien hätte nehmen müssen, braucht nicht geschildert zu werden. Nun aber stellt sich heraus, daß der Freisinn in dieser Frage zum Tdeil den selben Standpunkt wie die östlichen Agrarier eianimmt. Ein frischer, fröhlicher Krieg zwischen Industrie und Handel einerseits und der Landwirthschaft andererseits ist also nicht mehr zu befürchten, wenn ihn auch Berliner Zeitungen noch zu schüren bemüht sind. Der freisinnige Abgeordnete Gothein bekämpft den Canal gerade im Interesse der schlesischen Industrie mit allem Nachdruck und erklärt, ohne „Ausgleich für Schlesien" sei dem Bau nicht zuzustimmen. Hinter ihm scheint die ganze Industrie seiner Provinz und die freisinnig wählende Stadt BreSlau zu stehen. Da läßt sich die Meinungsverschiedenheit kluger Weise nicht mehr partei politisch auSbeuten und Herr Richter, immer noch klüger als andere freisinnige Zeitungsleiter, hat auch seine aus diesem Anlaß gegen die Conservativen gerichteten Angriffe eingestellt. So darf man hoffen, daß die wirthschaftliche Angelegenheit schließlich unter lediglich wirthschaftlichem Gesichtspunkte be- urtheilt werden wird. Unbedingt gegnerisch scheint die ost elbische Landwirthschaft sich nicht verhalten zu wollen, während umgekehrt auch die westliche nicht frei von Bedenken ist; auch dort stößt man auf die Befürchtung, der Canal werde die Einfuhr von landwirthschaftlichen Erzeugnissen fremder Länder „in daS Herz von Deutschland" bedrohlich begünstigen. Die agrarische Presse verräth Neigung, ein bejahende- Votum zu befürworten, wenn der Landwirthschaft Compensationen in wirksamen Schutzzöllen gesichert werden. Diese Be dingung erkennt eine von Herrn v. Miquel inspirirte ZeitungScorrespondenz als berechtigt an, worüber die Berliner Nur - Handelspresse natürlich sehr ungehalten ist. Man sollte meinen, daß die Frage der lanvwirth- schaftlichen Schutzzölle aus den bestehenden Verhältnissen heraus zu beurtheilen wäre und die Zölle nickt als Com pensatio» für eia neu zu schaffendes, vielleicht auch der Industrie nicht unbedingt nöthigeS Verkehrsmittel in Betracht kämen. Die „Kreuzzeitung" findet scharfe Worte der Abwehr gegen die Antisemiten, welche den (konservativen einen Vor wurf aus der Zustimmung zu dem Compromiß über die letzte Militärvorlage machen. Soweit kann das Blatt auf die Zustimmung aller nationalen Kreise rechnen. Es geht aber von dem Beweise, daß eine Reichstags-Auflösung im März von Nebel gewesen wäre, zu der Behauptung über, daß auch eine künftige Auslösung wegen der Abstriche diese- JabreS, also wenn daS Centruin seine Zusage nicht einlöste, keinen Erfolg verspräche. Wir sind im Gegentheile der festen Ueberzeugung, daß Neuwahlen aus solchem Anlaß die Gewähr deS Gelingens für die National gesinnten biete. Die Parole würde dann nicht lauten: „Für die 6000 Gestrichenen", sondern: „Fort mit der ausschlag gebenden Stellung deS Centrums!" Das „zöge". Vielleicht ist eS aber gerade diese Entwickelung, was die „Kreuzig." nicht will. Denn von einer konservativ-klerikalen Coalition könnte nach einer derartigen Wahlbewegung lange nicht mehr die Rede sein und das konservative Organ sucht diese Coalition durch Angriffe auf die „Kirchenfeindlichkeit" der Nationalliberalen seinen Parteigenossen wünschcnSwerth zu machen. Die angebliche Kirchcnfeindlichkeit soll ver- rathen worden sein bei der Abstimmung über die — Feuerbestattung. Die „Kreuz-Ztg." ist zwar auch der Meinung, daß „die Form der Bestattung den christlichen Glauben nicht ohne Weiteres berührt", aber die National liberalen haben „Hintergedanken", sie wollen, so möchte die „Kreuz-Ztz." glauben machen, in den LeichenverbrennungS- öfen die Kirche, die Religion zu Asche werden lassen. Das klingt ganz nach dem Caprivi von 1892 und wird auch ganz so viel Erfolg haben wie die damalige Action deS späterhin auch von den Conservativen nicht gerade für einen Staats mann mit glücklicher Hand und glücklichen Einfällen taxirten zweiten Kanzlers. Seit einigen Tagen sind den Bestimmungen der neuen lex Dupuy gemäß die vereinigten drei Kammern des Pariser Taffatton-hoseS versammelt, um nunmehr, wie zu hoffen ist, cndgiliig über das Revisionsgesuch der Frau DreyfuS zu ent scheiden. Am Freitag hat, wie gemeldet, dieser also neugebildete Gerichtshof den Antrag der Gattin des Verbannten, drei Richter abzulehnen, verworfen und die Antragstellerin kraft der Be stimmung, daß in Strafe verfällt, wer sich zu Unrecht an den höchsten Gerichtshof wendet, zu einer kleinen Geldbuße ver- urtheilt. Die drei Caffationsräthe Cröpon, Petit und Lepelletier hatten bekanntlich im vorigen Jahre dem berathenden Ausschuß angehört, dem der Justizminister Sarrien die Frage unterbreitet hatte, ob es räthlich sei, mit dem Revisionsgesuch an den Cassationshof heranzutreten. Der Ausschuß war die Antwort auf diese Frage schuldig geblieben, aber es war bekannt, daß jene drei Richter sich in ihrem Gutachten gegen die Revision ge äußert hatten. Im Grunde war es also die juristische Form- und Doctorfrage, ob ein Richter, der schon einmal in derselben Angelegenheit thätig gewesen, nun auch bei deren Beurtheilung mitwirken könne, die am Freitag zu lösen war. Aber diese Form frage war von den beiden Parteien alsbald wieder zu einer politischen Haupt- und Staatsaction aufgebauscht worden und ein heftiger Streit war darüber entbrannt. Der Cassations hof war daher in einer schwierigen Lage; lehnte er nach dem Anträge des Generalstaatsanwaltes die Richter ab, so entfesselte er die Meute, die die Criminalkammer zu Fall gebracht, gegen sich selbst, er ging der sicheren Aussicht entgegen, daß er voraus der Parteilichkeit für Dreyfus beschuldigt wurde und daß er endete, wie die Criminalkammer als selbstständiger Gerichtshof geendet hat. Vielleicht fürchtete der Lassationshof auch, daß, wenn er die drei Richter abgelehnt habe, dann von anderer Seite der Antrag gestellt würde, nun auch die vierzehn Richter der Strafkammer, welche die Enquete durchgeführt haben, von der Schlußoerhandlung auszuschließen. Es wäre schwer gewesen, die Drei auszuschließen und die Vierzehn zu behalten; nun, da man die Drei behält, muß man wohl auch die Vierzehn behalten. So sollte man meinen. Der Cassationshof kann aber anderer Meinung sein und die Drei behalten, während er die Vierzehn ausschließt. Man muß also das Weitere abwarten. Durch die jetzige Entscheidung ist anscheinend nicht viel gewonnen und nicht viel verloren worden. Die drei Räthe haben als Begutachtungs commission keine Einsicht von den geheimen Dossiers genommen, sondern sie haben nur die Frage geprüft, ob in den Anträgen auf Revision das vom Gesetze verlangte neue Factum enthalten sei, und diese Frage haben sie verneint. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie jetzt, wenn sie Einsicht in alle Acten nehmen, eine andere Anschauung gewinnen. Aehnlich ist es mehreren Rathen der Strafkammer gegangen; als Gegner der Revision gingen sie an die Enquete, und als Anhänger der Revision schlossen die die selbe. Jedenfalls haben die Anti-Revisionisten noch keinen An laß zu den Triumphen, die sie bereits feiern zu können glauben. Wie schon erwähnt, hat in der Tamoa-Angelcgenheit der deutsche Botschafter v. Holleben in Washington eine neue Note überreicht. Eine halbamtliche New Dorker Mittheilung besagt, Deutschland bestreite, daß der Admiral Kautz oder irgend rin Schiffscommandeur das Recht zu einer politischen Maßnahme habe. Er habe sich daraus zn beschränken, das auszuführen, waS die drei Tonsuln einstimmig beschlossen Hütten, da der Vertrag verlange, daß die drei Consuln einstimmig vorgehen und nicht nach einem Mehrheits beschlüsse. Für den Fall, daß ernste Folgen rinträten, würde Deutschland diejenigen dafür verantwortlich machen, die das Vorgehen des Admirals Kautz veranlaßt hätten. Der Bericht sagt ferner, Admiral Kautz habe den Ober richter Chambers vollständig unterstützt, indem «r den An- chauungen des englischen Consuls Osborne und seines amerikanischen College» Maxse, sowie denen des Befehlshabers des Kriegsschiffes „Porpoise" beigetreten sei, vier Zeugen, die vereint gegen den deutschen Generalkonsul Rose gewesen seien. Die Ver einigten Staaten und England konnten also ihre Vertreter nicht desavouiren. Deutschland könne die Bereinigten Staaten ersuchen, Chambers zurückzuberufen; werde dies jetzt abgrlehnt, so müsse es sich die Zustimmung Englands sichern, die sehr unwahrscheinlich sei. Diese Verhältnisse sührten zu der Gefahr, daß der Berliner Vertrag von irgend eiurr der drei Mächte nicht innegehalten werde. Wenn unsere ReickSregierung sich thatsächlich zu einer so ernsten Vorstellung entschlossen hat, findet sie unsere ganze Zustimmung. Sie stellt sich damit nur auf den Boden der Samoa-Acte, welche ihrem ganzen Wesen nach auf dem Princip eines gemeinsamen Vorgehens beruht und die Ma- jorisirung deS deutschen Consuls als vertragswidrig erscheinen läßt. Eine solche steht aber auch im direktesten Widerspruch mit den thatsächlichen Verhältnissen auf Samoa, wo die Interessen der Deutschen die England- und der Vereinigten Staaten weit überragen. Die Londoner „Morning Poft"' kann nicht umhin, Folgendes zuzugestehen: Ter Apiaer LandrSausschuß von 1894 zum Beispiel bestätigte den Deutschen bereits den B«sitz von 30000 da, während auf britische Eigenthümec nur 14 LOO und auf Amerikaner etwa 8400 da kamen. Und der Handel der Insel ist rbrnsall- in der Hauptsache in deutschen Händen vereinigt. Unter solchen Umständen scheint auf den ersten Blick manches sür die Gleichheit der Vorrechte zu sprechen, welche die deutschen Bewohner beanspruchen. Es ist in begreiflichem Maße unzuträglich, daß der Oberrichter ein Amerikaner ist, wo in der Mehrzahl der Rechtsfälle Deutsche die streitenden Parteien sind, und der Satz, daß die unter dem Vertrag ernannten Beamten mit der deutschen Sprache vertraut sein sollten, ist augenscheinlich nicht unberechtigt. Auch in London und Washington wird zugegeben, daß die Samoaacte einer gründlichen Revision bedarf. Wie behauptet wird, hätte Deutschland eine Tbeilung der Inseln vor geschlagen und zwar rn der Weise, daß der werthvollfte Theil, die Upolu-Jnsel, uns zufiele. Wie die beiden anderen Mächte sich zu diesem Vorschlag stellen, ist noch nicht sicher. Während einerseits aus Washington gemeldet wird, die Vereinigten Slaaten-Regierung stehe der deutschen Proposition günstig gegenüber, sagt ein andere- Washingtoner Telegramm, der Plan einer Tbeilung Samoas sei undurchführbar, weil die Vereinigten Staate» oder England kaum annebmen werden, WaS Deutschland ihnen überlassen wolle. Deutsch land aber würde, wenn eS nicht den Löwenantbeil bekäme, den Verlust wettmachen können durch da» unter dem Berliner Vertrage gewonnene Handelsübergewicht. Die „New Aorker Tribüne" bespricht die Samoafrage in versöhnlichem Geiste. Sie bezweifelt, daß die Berliner Acte länger haltbar sei und ist geneigt, zu glauben, Deutschland Werve Vorschlägen, alle Streitpunkte einem Schiedsrichter zu unterbreiten. Heber die französische Expedition in der Süd-Sahara verbreiteten in jüngster Zeit englische Blätter sehr ungünstige Nachrichten, worauf bereits hingewiesen worven ist. Im fran zösischen Ministerrath machte nun Unterrichtsminister Leygues seinen Eollegen die Mittheilung, daß er eine Depesche vom II. Februar erhalten habe, die aus Jnazua abgvgange.r war und meldet, daß die Mission Foureau-Lamy seit dem FrrrrHetsn. 9i Senzi. Roman von M. Immisch. Nachdruck v«rdoten. Tenzi blieb indessen niedergeschlagen zurück. Da hatten sie nun gearbeitet, willig und unverdrossen, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. Keine Mühe war ihnen zu groß ge- wesen, keine Entsagung zu herb, und Alles sollte nur dazu dienen, um sie noch tiefer ins Unglück zu bringen; denn Senzi wußte ganz genau, daß es ihnen nicht möglich war, die Wechsel zu decken. Es schnitt ihr ins Herz, als sie ihr Kind betrachtete, das, in der Werkstatt sitzend, jauchzend mit den kleinen Händchen im Ab fall des Blattgoldes wühlte uttd die blitzenden Stückchen vergnügt über sein Kleidchen streute. Sie erfaßte das Kind und trug es hinaus in die Küche. Es fest in den Armen haltend, setzte sie sich mit ihm auf die Küchenbank, preßte ihr Antlitz auf die blon den lockigen Härchen und weinte bitterlich. Es war spät am Nachmittag, als Martin Auer zurückkam. Senzi hatte die Spuren ihrer Thränen verwischt. Mit an scheinender Gelassenheit, aber mit gespanntem Blicke empfing sie ihn. Er sah etwas erleichterter aus als am Morgen, und sie schöpfte neue Hoffnung. „Nun, wie war's", sagte sie, „ist es geregelt?" „Noch nicht", gab Martin zurück, „aber ich denke, es wird sich machen." „Du denkst, daß er das Geld schafft?" „Der? Keinen Pfennig. Aber ich denke, ich werde noch ge deckt. Das Papier geht zu Protest, und dann lasse ich die Schuld auSklagen und den Kerl auspfänden, so viel wird schon noch da sein, daß der Schaden — wenigstens in der Hauptsache — gedeckt wird." „Und wer bezahlt nun den Wechsel?" fragte Senzi. „Ich natürlich", sagte Martin. „Das war eine Hetze! Hun dert Mark hat Bertram herausgerückt, und für da- Uebrige habe ich von M . . . . «inen Wechsel bekommen." „Bon M . . . .? Ist er Dir denn so viel schuldig?" sagte Senzi verwundert. „Das nicht", meinte Martin, „für die Maaren habe ich es auch nicht bekommen. Er war gerade gar nicht bei Casse, und so machte er mir den Vorschlag, daß wir uns gegenseitig helfen. Für di« mir fehlende Summe stellte «r mir «inen Wechsel au-, und als Gegenwerth mußte ich ihm für dieselbe Summe eben falls ein Accept geben. Wenn die drei Monate um sind, bezahlt Jeder das seine und wir sind quitt. Dadurch haben wir Beide für den Augenblick Geld; wir gewinnen Zeit, und bis dahin wird sicherlich auch wieder Rath." Senzi dachte nicht weiter darüber nach. Sie war froh, daß die ärgste Gefahr beseitigt war, und erleichtert athmete sie auf. Sie ahnte nicht, daß dies der Anfang vom Ende war. Zwar mehrten sich einerseits die Sorgen und Beängstigungen, als von den ausgestellten Wechseln einer nach dem anderen unbezahlt zurückkam; aber in seiner vollen Schwere wurde es doch nicht empfunden, so lange der gute Freund immer wieder bereit war, sein Gefälligkeitsaccept, natürlich in Höhe der Gegenleistung, aus zustellen, und so lange der Bankier diese Papiere, die er selbst verständlich als Deckung für Maaren ansah, discontirte. Der sonst so ehrliche und pflichtbewußte Martin taumelte anfänglich mit geschlossenen Augen dem unvermeidlichen Abgrund entgegen. Er hatte den festen Willen und die sichere Hoffnung, alle diese Verpflichtungen pünktlich zu decken; aber er hatte leider zu allem Anderen eher Talent als zum Kaufmann. Sein Handwerk verstand er gründlich, aber weiter nichts. Zu den für ihn großen Verlusten kamen nun noch die hohen Zinsen, welche diese Wechselreiterei erforderte. Die Hoffnung, durch AuSklagen der Wechsel bald gedeckt zu werden, erfüllte sich nicht. Der Mann hatte die Rahmen zu Schleuderpreisen verkauft, das Geld dafür eingesteckt und sah nun mit Ruhr den Auspfändungen entgegen. Die beschlagnahmten Maaren mußten fämmtlich wieder frei gegeben werden, da sie nur kommissionsweise in seinem Besitze waren, und zu den direkten Berlusten gesellten sich noch die recht ansehnlichen Gerichts- und Advocaturkosten. Es war kaum ein halbes Jahr vergangen, als Martin sich bei allem zeitweiligen Optimismus der Wahrnehmung nicht mehr vrrschließen konnte, daß er unter der Last, die er sich ausge bürdet, in absehbarer Zeit zusammenbrechen mußte. Schon fing der Bankier an, mißtrauische Bemerkungen zu machen, und eines schönen Tages verweigerte er die Discontirung des vor gelegten Wechsels mit der Begründung, daß das Conto Martin's und seine« HaUptacceptanten überlastet sei und erst wieder etwas reducirt werden müsse. Martin's Muth und seine Zuversicht waren dadurch völlig ge brochen. Wie ein erdrückendes Gespenst lastete der Betrug und der Gedanke an seine möglichen Folgen auf ihm. Er sah sich schon im Gefängniß, seine Frau und sein Kind in Elend und Schande, und in der unsäglichen Bedrückung, die sich seiner immer mehr bemächtigte, sagte er sich, daß er außer Stande sei, eine solche Schmach zu überleben. Dann wieder machte er allerhand verzweiflungsvolle Pläne. Sein Lebensdrang überwog immer wieder seine Erschlaffung. Er wollte fort, irgend wohin, wo ihn Niemand kannte, wo er sein Leben von vorn beginnen konnte, ohne unter dem Schandfleck, der auf seinen Namen fiel, zu leiden, am liebsten nach Amerika. Wie Diele hatten dort schon ihr Glück gemacht, weshalb sollte es ihm, der mit so herben Erfahrungen und mit dem festen Willen, dort wo ihn Niemand kannte, sich keiner Arbeit zu scheuen, hin käme, nicht ebenfalls gelingen? Ja, Amerika, das Ziel so vieler verfehlter oder schiffbrüchiger Existenzen, das Eldorado aller Europamüden, es kam nicht mehr aus seinen Gedanken; es lockte ihn, wie ein Helles Licht den verirrten Wanderer, wie eine rettende Hand den Versinkenden; es erschien ihm wie ein verheißungs voller Stern in finsterer, stürmischer Nacht. Senzi war die Theilnehmerin aller Sorgen, Befürchtungen und Pläne. Sie sah wohl ein, daß sie sich nie wieder von ihren Schulden erholen konnten. Die Aermsten schämten sich un säglich vor der Veröffentlichung ihrer traurigen Verhältnisse, hegten aber zuversichtlich die Hoffnung, in Jahr und Tag ihre Schulden bezahlen zu können, wenn es Martin gelingen würde, in Amerika sich eine neue Existenz zu gründen. Jetzt, wo diese Pläne von Tag zu Tag ernsthafter ferwogen wurden, erwachte neben der Hoffnung auch seine Energie wieder, und ihm war, als strömte durch seine Adern neue Jugendkraft. Nur eins schmerzte und beunruhigte ihn aufs Höchste; er mußte sich auf längere Zeit von Senzi und dem Kinde trennen, mußte sie zurücklassen in den trostlosen Verhältnissen des wirth- schaftlichen Zusammenbruchs. Denn so groß war in ihm das Bewußtsein begangenen Unrechts, so lebhaft sein Schuldgefühl und die Furcht vor der Strafe, daß er nur in größter Heim lichkeit seine Vorbereitungen zu treffen wagte. Nach seiner Ab reise sollte Alles ruhig weiter gehen, bis er „drüben" war. Mochte auch der Anfang schwer sein, so hoffte er doch, daß Senzi spätestens in einem halben Jahre mit dem Kinde nachkommen könnte. Sein Trost dabei war, daß sie an Liese immer eine Stühe haben würde. Denn Liese zeigte sich in diesen Zeiten schwerer Noth wahrhaft großmüthig und selbstlos. Martin hatte ihr Alles offen bekannt, sie von allen Befürchtungen und Plänen unterrichtet, und sie hatte ihm au- freien Stücken den Rest ihres Ersparten, etwa tausend Mark, zur Verfügung gestellt, um ihm die Reise zu ermöglichen und drüben mit dem Ueberschuffe ent- weder ein neues Geschäft zu beginnen, oder ihn in die Lage zu versetzen, daß er mit mehr Ruhe eine passende Stelle suchen konnte und nicht aus Hunger und Noth nach dem ersten besten kümmerlichen Erwerb greifen mußte. Liese empfand Senzi'S Noth schwer, und sie machte sich oft die bittersten Vorwürfe, daß sie das arme Kind mit List und Gewalt in ihr trauriges Los hineingetrieben hatte, obgleich da mals Niemand ahnen konnte, daß die Sache in dieser Weise der lief. Senzi beklagte sich niemals in ihren Briefen; aber die Thatsachrn, die darin zur Sprache kamen, waren beredt genug. Sie hatte auch nie nach Bernhard's oder seiner Schwestern Er gehen gefragt; es schien, als sei die Vergangenheit für sie todt. Liese hätte allerdings auch nicht viel berichten können, wenigstens nichts, was geeignet war, Senzi einen Trost zu geben. Bernhard hatte die Bemühungen seines Vaters, durch Senzi's Beseitigung seiner Carriöre zu nützen, nicht in der gewünschten Weise gelohnt. Wie er erst aus Liebe geplant, so hatte er dann im Zorne und Groll seine staatliche Laufbahn an den Nagel gehängt. Durch Vermittelung eines Freundes hatte er in Genf eine Stelle als Beistand eines Rechtsanwalts erhalten, und Alles, was er von sich hören ließ, beschränkte sich auf die Glückwünsche zu Neujahr und kleine Summen, die er von seinem Gehalte absparte, um sie als Unterstützung an seinen Vater zu senden, obschon dieser dessen nicht mehr bedurft hätte, da seine Töchter ihn stets mit dem Röthigen versorgten. Clärchen war seit ihrer Verheiratung blos zwei oder drei Mal in M. gewesen. Ihr ging cs sehr gut. Sie entfalrete großen Luxus und erregte durch ihre glänzenden Toiletten, die ihre Schönheit noch hoben, den Neid der weiblichen Herzen von M. Weniger gut ging es Bertha. Der Medicinalrath umgab sie mit Allem, was Liebe, Luxus und Geld zu bieten vermögen; aber es war, als nage ein zehrendes Gift an ihrem Leben. Eine ourch nichts zu bannende Schwrrmuth lag wie ein Alp auf ihr. Umsonst machte der Medicinalrath kleinere und größere Reisen mit ihr, um sie zu erheitern und zu zerstreuen; Alles ermüdete sie, Alles war ihr gleichgiltig, und ihre Melancholie erreichte zu letzt einen Grad, der die ernstesten Besorgnisse wach rief. Drei Jahre nach seiner Heirath zog sich der Medicinalrath inS Privatleben zurück, um sich ganz Bertha'» Pflege zu widmen. Kurz zuvor hatte er noch den Hofrathstitel erhalten. Sie lebten im Sommer in ihrer schönen Billa am Züricher See, im Winter in Italien oder Südfrankreich; dai war Alles, was man in M. von ihnen hörte. Martin Auer'S Reisepläne erhielten eine unverhofft« Be schleunigung, al- eine» Tage« der gute Freund, der so bereitwillig seine Querschrift gegeben hatte, seinen Concurs erklärte. Nicht
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