Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.03.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990329023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899032902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899032902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-29
- Monat1899-03
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/«? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaction und Erve-ition: JohauniS«affe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Filialen: kttn Klemm'- Eo.ttm. (Alfred Hahn), Universität-straße 3 (Paulinum). Louis Lösche, Aatharinenstr. 14, part. und König-Platz 7. Bezugs-Preis in der Hauptrxpedition oder den im Stadt- bezirk und den Vororten errichteten Aus» oabestrven abgeholt: vierteljährlich 4.5V, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- 5.50. Durcki die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Dirrcte tägliche Kreuzbandsendung in- Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. UtipMer TagMM Anzeiger. Ätnisblatt des Äönigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rattjes «nd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnzeigeU'Preis dir 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Neclamen unter dem Rcdaclionsstrich (4 ge spalten) 50/H, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Zissrrnjap nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbrfördrrung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgaör: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. l«l. Mittwoch den 29. März 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. März. In dem hannoverschen Wahlkreise Melle-Diepholz ver sucht bekanntlich die für die Provinz Hannover neugebildete konservative Partei das dort erledigte Mandat zum Reichs tag zu erlangen. Ihr Candidat ist der Landratb des Kreises Melle, von Pestrl. Für diesen wird in dem Wahl kreise ein Flugblatt verbreitet, in welchem nach Mittheilung verschiedener Blätter folgenver Satz vorkommt: „Wir bekämpfen mit aller Energie dir deutsch-hannoversche (welfische) Partei, die in ihrer blinden Wuth gegen alle unsere großen nationalen Errungenschaften ein Schutz- und Trutzbündniß mit der Socialdemokratie ringrgangen ist und, statt durch eine entschlossene Versöhnung mit den jetzigen Verhältnissen dem welsischenFilrsten- hause wenigsten- zu dem Throne Braunschweigs zuver- helfen, die- edle Filrstengeschlecht durch ihren völlig nutzlosen Kampf gegen die preußische Regierung vielleicht für immer von deutschen Thronen verdrängen wird." ES ist von nationalliberaler Seite von vornherein her- vorgehoben worden, daß bei der neuesten conservativen Parteibildung in Hannover die braunschweigische Erbfolge frage mit verdächtiger Zweideutigkeit behandelt wurde; um welfische Elemente zu gewinnen, wurde den wclfischen Hoff nungen auf Zulassung deS Sohnes deS Herzogs von Cumber land in Braunschweig geschmeichelt. Jetzt ist man mir dieser Taktik schon so weit, daß die Wahl des preußischen Landraths eines hannoverschen Kreises in den Reichstag als ein Mittel dargestellt wird, zu verhüten, daß daS „edle" WelfenhauS für immer von den deutschen Thronen verdrängt würde. Was sagt man denn eigentlich in Berlin zu dieser neuesten Entwickelung der Dinge in Hannover? — Inzwischen ist auch der welfische Candidat aufgestellt worden; be- merkenswerther Weise wird derselbe aber nicht als rein- welfisch, sondern als klerikal-welfischer Com- promiß-Candidat charakterisirt, wie aus folgender Notiz der „Köln. VolkSztg." hcrvorgeht: „Die deutsch hannoversche und die Centrumspartei haben als ReichstagScandidaten Baron von Bär-Langelaze auf gestellt." Diese Bezeugung der Intimität zwischen Welfen und Centrum wird den hannoverschen Conservativen vielleicht noch zum Tröste gereichen, wenn in Folge der conservativen Quertreibereien weder der nationalliberale noch der konservative, sondern der welfische Candidat zum Siege gelangen sollte. Die preußische konservative Partei ist ja jetzt dem Centrum in vielen Dingen „treu, hold und gewärtig". Auch im preußischen Herrcnhause dürfte es allmählich dämmern, wie verkehrt es war, bei der (Lharsreitagsvorlagc, die doch nur die äußere, der staatlichen Regelung zustchende Heilighaltung dieses Tages zu regeln bezweckt, den Eultus- minister zu veranlassen, sich vorher mit den Bischöfen ins Be nehmen zu setzen. Wie nach dem Essen der Appetit wächst, bekundet eine Beschwerde, die heute von „hochgeschätzter Seite" in der „Germania" darüber erhoben wird, daß die Regierung, ohne die „kirchlichen Oberen zu fragen", über die kirchlichen und wohlthätigen Stiftungen durch die Bezirksbehörden Unter suchungen anstellen läßt. Der fromme Mann legt den Stifts verwaltungen dringend nahe, zumal da keine gesetzliche Ver pflichtung zur Antwort auf solche Anfragen bestände, „keinerlei Verpflichtung anzuerkennen, diese Arbeiten zu leisten"; in wortgetreuer Umschreibung der Verpflichtung: Sei unterthan der Obrigkeit, — die Gewalt über Dich hat. Wenn auch nach den bisherigen Erfahrungen abzuwarten ist, wie es sich mit dieser Beschwerde thatsächlich verhält, so verdient sie doch ver zeichnet zu werden, als ein „Zeichen der Zeit", als Material, wessen sich die staatliche Autorität bei dem Klerikalismus zu versehen hat. Der „Budapesti Hirlap" bringt anscheinend officiös über das V e r h ä l t n i ß Ungarns zuderNationalitätrn- bcwegung in Lcsterrcich eine Auslassung, welche darlegt, daß die maßgebenden Politiker Ungarns nicht die Auffassung von Stefan Tisza theilen, wonach es für Ungarn gleichgiltig sei welche Nation in Oesterreich herrscht. DaS Blatt erinnert daran, daß allerdings eine Einmengung Ungarns in die inneren Angelegenheiten Oesterreichs nicht zur ungarischen Ueberlieferung gehöre. Ein Anderes sei jedoch Einmengung und ein Anderes die Geltendmachung berechtigten Einflusses. Andrassy habe sich ebenfalls nicht in die inneren Angelegenheiten Oesterreichs ge mengt, jedoch auf ausdrücklichen Wunsch des Königs an den Berathungen über die Fundamentalartikel Hohenwart's theil- genommcn und den Standpunct vertreten, daß dies eine födera listische Sache der Monarchie sei. Die Sprachrnfrage in Oesterreich sei keine gemeinsame Sache der Monarchie, sie biete daher für Ungarn kein legitimes Einflußgebiet. Bei Anwendung des 8 auf das Ausgleichsprovisorium in Oesterreich konnte Ungarn keine zur Mehrheit in Oesterreich gegensätzliche Haltung einnehmen, weil Ungarn den Mehrheitsgrundsatz und damit denParlamentarismus in Oesterreich nicht stürzen konnte. Darüber jedoch sollten die Deutschen Oesterreichs gegen Ungarn nicht schmollen, denn daraus, daß Ungarn sich in die inneren An gelegenheiten Oesterreichs nicht einmengt, folge keineswegs, daß es nicht seinen legitimen Einfluß an wenden würde, falls die föderal! st ischen Bestrebungen ihre angemessenen Schranken überschreiten wollten. Der „Budapest! Hirlap" glaubt zu wissen, der gegenwärtige ungarische Ministerpräsident würde eintretenden Falles Ungarns Einfluß ganz in demselben Geiste und derselben Richtung wie Andrassh aufbieten. Zu dem englisch - russischen tz'hina Abkommen wird uns von gut unterrichteter Seite aus Petersburg geschrieben: Man darf als sicher annehmen, daß das neue zwischen England »nd Rußland getroffene China-Abkommen Nichts enthält, was für die übrigen in Ostasien betheiligten Mächte eine unangenehme Neber« raschunz bieten würde. Der Hauptinhalt ist die Beilegung der beiden, seit Langem bekannten Eisenbahn st reit fragen; doch ist hierbei nur ein moäuz viveväi gefunden und kann die weitere Entwickelung leicht zahlreiche neue Streitfragen zu Tage fördern. Deshalb hat das Abkommen gewisse Normen gesetzt, nach denen derartige neu anstretende Streitpunkte künftig behandelt werden sollen. Dies ist an sich recht lobenswerth; aber es ist doch mehr wie fraglich, ob man solche allgemeine Vorschriften auch thatsächlich befolgen wird. Von den großen politischen Machtsragen ist dagegen nach Len Versicherungen ringeweihter Per sonen in dem Vertrage gar keine Rede, vielmehr habe es die russische Regierung wohlweislich vermieden, sich nach irgend einer Richtung hin die Hände binden zu lassen. Man wird daher in London wenig Berechtigung haben, Las Abkommen als einen großen diplomatischen Triumph Englands auszugeben. Tas entspricht vollkommen unserer erst letzter Tage Lar- gelezten Auffassung des russisch-englischen Abkommens, das sehr leicht auch dadurch wieecr in die Brüche geben kann, daß Rußland, während es im Rordosten Chinas anscheinend etwas zurückwcicht, im äußersten Südwesten des Riesenreiches, am Pamir, sich ru neuen Avancen anschickt. So hat kürzlich der russische Consul in Kaschgar (in Ost- Turkestan) erklärt, Rußland beabsichtige in Tagarma einen Militärposten einzurichtcn. Daraufhin wurde eine kleine chinesische Truppenabtheilung nack Tagarma beordert, um den Ort zu besetzen. Weiter erhält sich in Kaschgar noch immer daS Gerücht, Rußland beabsichtige, das Sarykol-Gebirge zu besetzen. Gerüchtweise ver lautet ferner, in Fort Murgbabi seien russische Vcr- stärkungen eingetroffen. Diesem zielbcwußten Vorrücken Ruß lands nach den nördlichen EinfaÜSthoren Vorderindiens kann England natürlich nur mit Mißtrauen und Beunruhigung Zusehen, und die Londoner Diplomatie wird es diesrrhalb in Petersburg an Vorstellungen nicht fehlen lassen. Die Nachrichten von den Philippinen, namentlich die Meldung von den langsamen Fortschritten der Amerikaner, werden in Madrid mit offener Schadenfreude vernommen. In einem Berichte aus Madrid heißt es: Man lächelt über die Ver sicherungen der Unionsgencrale, sie würden mit der Tagalenbande schnell fertig werden. So leicht ist die Kriegführung auf den Philippinen keineswegs, und Spanien hat darin Erfahrungen gesammelt. Ein altgedienter Oberst, der jahrelang auf Manila gestanden hat und den ich gestern im Caf« Fornos traf, ver sicherte mir, daß den Amerikanern der Sieg über die Filipinos nicht leichter werden dürfte als den Spaniern, die doch lange Erfahrung und zudem Landeskenntniß hatten. Wir waren in starker Zahl, verfügten über eine gute Truppe, unsere Leute waren an das Land, das Klima, das Leben in den Tropen gewöhnt, waren äußerst brauchbar — aber das half uns doch nicht zum Siege. Dutzendmal sind unsere Leute in einen Hinter halt gefallen — was übrigens den Amerikanern auch schon zu gestoßen ist. Wo wir nicht entfernt an die Möglichkeit eines Angriffes glaubten, befanden wir uns mitten im Feuer. Die Filipinos besitzen eine unheimliche 'Gewandtheit. Sie erscheinen, feuern ihre Munition mit großer Schnelligkeit ab und ver schwinden wieder in dem undurchdringlichen Bambusdickicht, das alle Wege umrahmt. Und wir vermögen in diese Dickichte nicht einzudringen, ohne unsere Leute geradezu zu opfern. Ruhig hat die Truppe den Marsch durch schlechtes Gelände begonnen. Vom Feinde weit und breit keine Spur. Wer aber durch die Büsche sehen könnte, würde da Dutzende von geschmeidigen Ge stalten sehen, die, von Busch zu Busch springend, der Truppe folgen. Und mit einem Male, dort, wo die Leute am meisten durch das Gelände ermattet werden, vernimmt man das leise Pfeifen der Späher und einen knallenden Ton, wie wenn eine der großen Schlangen mit den Kinnladen klappt, wie cs die Thiere im Mittagsschlafe zu thun pflegen. Dann hört man bald ein dumpfes Trommeln — und im Nu ist der Wald lebendig. Von oben, unten, von allen Seiten wird geschossen, und unsere Leute fallen rechts und links, bis ein Schnellfeuer in den Busch den Feind verjagt, der sich zurückzieht, um an einer anderen Stelle den Neberfall aufs Neue zu versuchen. Müssen weite offene Flächen überschritten werden, so suchen die Tagalen immer Deckung hinter schnell aufgeworfenen Schanzen und in Gräben und verstehen es sehr gut, dem Feinde durch solche Hindernisse den Weg zu verlegen. Da sie sich meist einer Neberzahl gegenüber befinden, ziehen sie sich ge wöhnlich schnell zurück, ohne das Gefecht auszudehnen. Ihr bester Schutz ist der Wald, der ihnen immer wieder gestattet, sich zu sammeln und ihre Kräfte neu zu formiren. Die Ameri kaner werden, so wie sie es jetzt thun, „Sieg auf Sieg" davontragen, aber sie werden den Feldzug verlieren. Die Filipinos sind im Stande, die Feind seligkeiten so lange fortzusetzen, als es ihnen gefällt und so lange sie Munition haben. Selbst wenn die Unionstruppen morgen den Sitz der Tagalenregierung, Malolos, besetzen, haben sie wenig erreicht. Aguinaldo wird dann eben irgend ein anderes Dorf im Innern zu seiner Residenz und zum Hauptquartier machen, und die Dinge werden sich nicht ändern. In einigen Wochen beginnt der Regen, und dann ist es den Amerikanern einfach unmöglich, den Kampf forizusetzen. Wenn sie nicht alsbald be- ginnen, die Hälfte ihrer Mannschafren noch vor Eintritt der schlimmen Zeit durch neue Mannschaften zu ersetzen, dir noch volle Widerstandskraft gegen das Klima haben, so wird Ruhr Cholera, Berri-Berri und Fieber bald mehr Opfer fordern, als Krankheiten selbst auf Cuba hinweggerafft haben. Deutsches Reich. -o- Leipzig, 29. März. Nach dem in Broschürenform vor liegenden Bericht des Centralcomit4S der sächsischen Social demokratie für die in den ersten Tagen des April in Crim mitschau stattfindende Landesversammlung sind im verflossenen Jahre 83 allgemeine Wablflugblätter in zusammen 2 950 000 Exemplaren, andere Wahldruckschriften in 460 000 Exemplaren und 11 locale Wahlzeitungen in 53 Nummern mit 750 000 Exemplaren verbreitet worden. DaS macht in Summa 4 160 000 Exemplare an Wahldrucksachen für die Reichstagswahl deS vergangenen IahreS. Neben dieser umfangreichen schriftlichen Agitation lief eine ebenso rege mündliche Agitation. In zwanzig sächsischen Wahl kreisen wurden nicht weniger als 459 Versammlungen ab- gebalten. Die Wahlkosten betrugen für alle 23 Reichstags wahlkreise 83 481 .äl; sie schwankten in den einzelnen Kreisen zwischen 1395 und 6382 An den GemeinverathSwahlcn im Herbst 1898 war die sächsische Socialdemokratie nach einer unvollständigen Ausstellung in 220 Orten belheiligt und brachte 268 Candidaten durch. Auf Grund einer Um frage stellt der Bericht fest, daß zur Zeit in 314 Gemeinde- rätben 736 socialistische Vertreter sitzen. Trotz der für die Reichstags- und die GemeinderatbSwahleu aufgewandten erheblichen Mittel sind noch rund 8600 an die Parteicasse in Berlin abgeliefert worben. — Die aus diesen wenigen Zahlen scharf bervortretende Opferwilligkeit der sächsischen Socialdemokratie für ihre politischen Parteiintereffen erklärt in erster Linie mit ihre Wahlerfolge. Eine straff durch geführte Organisation, die nicht nur zu Zeiten der Wahlen ins Leben tritt, sondern mit ihrer großen Zahl von Vertrauens männern Tag auö Tag ein unausgesetzt an der Arbeit ist, sich in sich selbst festigt, ermöglicht es der Socialdemokratie, ihre wohldiSciplinirten und einexercirten Anhänger mit größerer Aussicht auf Erfolg in den Wahlkampf zu bringen, als da» leider bei den sog. bürgerlichen Parteien der Fall ist. Wirb eine solche Organisation noch durch eine finanzielle Opfer willigkeit unterstützt, wie sie vorhildlich für jede andere Partei in den oben angeführten Zahlen erneut zu Tage tritt, so wächst die Wahrscheinlichkeit der Wahlerfolge in demselben Maße, wie die Geldmittel eine ausgedehnte Agitation in Wort und Schrift durchzuführen gestatten. Die Nutz anwendung, welche sich für die bürgerlichen Parteien hieraus ergiebt, gipfelt in den Forderungen: Einigkeit und Opfer- w rlligkeit. 6. H. Berlin, 28. März. Die neuen militärischen Personalveränderungen, welche mit dem 1. April 1899 in Kraft treten, insofern sich dieselben auf Aenderungen des Etats und die Neuformationen gründen, sind nun amtlich bekannt gegeben worden. Znm XVIII. Armeecorps in Frankfurt a. M., welches der General der Infanterie Frnilletsn. ns Zen;i. Roman von M. Immisch r'i.'.chfinck tvil'ct ii. Wieder war es Weihnachten. Wieder hatte Senzi ihrem Knaben die Lichter am Christbäumch^n angebrannt. Sie hatte ihn diesmal reichlicher beschenkt als jemals; sie wollte ihn gleich sam entschädigen für Da-, was ihm durch ihr Zögern von anderer Seite entging. Seit Wochen hatte sie sich's am Munde abgespart, hatte sie täglich noch eine Stunde länger als sonst gearbeitet, um ihm Dies und Jenes, wonach fein Herz verlangte, dafür kaufen zu können. Da war vor allen Dingen «in hübscher Schulranzen mit einem Deckel aus weichem, silbergrauem Fell und eine Schiefer, täfel mit bunt beklebten Stiften, die er sich besonders gewünscht hatte. Er wollte so gerne malen und schreiben lernen, denn er konnte die Zeit, wo er in di« Schule kam, kaum erwarten. Senzi war sehr enttäuscht, alr er jetzt so seltsam still und freudlos dabei stand. Er beachtete die hübschen Dinge kaum, und wenn sie ihn auf Einzelnes besonders aufmerksam machte, nahm er es wohl zur Hand, aber durchaus nicht mit dem erhofften Jubel; er sah es nur an und legte es bald wieder gleichgiltig bei Seite. Er sei so müde, sagte er, und der Kopf thue ihm so weh. Aengstlich faßte Senzi nach seiner Hand; ja, sie war heiß; er hatte sicher Fieber. Sie entkleidete den Knaben und brachte ihn zu Bett. Während sie aufgeregt nach Wasser und Handtuch lief, um Ihm einen kalten Umschlag zu machen, erfaßte ihn ein plötz licher Schwindel. Ihm wurde dunkel vor den Augen; die Lichter des ThrlstbaumeS schossen wie feurige Pünktchen vor ihm um her, und nach jähem, heftigem Erbrechen sank sein Köpfchen tödt- lich ermattet in die Kissen. Senzi war außer sich. Mit zitternden Händen brachte sie Alles wieder in Ordnung, und als der Knabe in einen unruhigen Schlummer verfiel, als auch sein blasses Gesichtchen sich fieberhaft zu rvthen begann, rannte sie in ihrem leichten Hauskleid wie ge sagt nach dem nächsten Arzt, der glücklicher Weise nur ein paar Häuser entfernt wohnte, drückte an der Klingel seiner im ersten Stock gelegenen Wohnung, daß es gellend durch das Haus scholl, und als er zufällig selbst öffnete, bat sie ihn mit vor Aufregung halb erstickten Worten, daß er sogleich mit ihr gehe. Es war ein älterer Mann; er hatte sehr wenig Lust, den Abend noch fort zu gehen; drinnen im gemllthlichen Zimmer war bei brennendem Christbaum eine heitere Gesellschaft ver- ämmelt, und er war kaum erst von seinen Berufswegcn zurück gekommen; aber in den Augen des ärmlich gekleideten jungen Weibes lag eine solche Welt von Angst und Verzweiflung, daß er sich keinen Augenblick besann. „Ich komme gleich, gehen Sic nur voraus", sagte er, nachdem er einige Fragen gestellt, worauf Senzi schier athemloS zurück rannte. „Scharlach mit Diphtherie verbunden", sagte der Arzt, nach dem er den Knaben untersucht hatte, und auf ihren entsetzten Blick fügte er hinzu: „Die Diphtherie ist hier nicht so schlimm, die Hauptgefahr liegt im Scharlachfiebcr, aber im Allgemeinen tritt es dieses Jahr nicht bösartig auf, und ein Todesfall kommt daher nur vereinzelt vor. Erneuern Sie pünctlich die Umschläge, und geben Sie ihm von der verschiedenen Medicin; morgen sehe ich wieder nach." „Aber Sie denken, daß es nicht gefährlich ist?" sagte Senzi flehend. „Ich hoffe, daß er es überstehen wird; es scheint ja ein kräftiges Kind zu sein", gab der Arzt ausweichend zurück. — Er sagte dies nur, um sie zu trösten, denn der Knabe war viel eher zart als kräftig. — „Nur nicht den Kopf verlieren, liebe Frau, den brauchen Sie jetzt nothwendig, und dem Kinde wäre nichts damit gedient." Damit ging er. Als der Knabe wieder schlief, holte Senzi die Medicin. Sie hatte nur ein Tuch umgenommen, aber sie merkte die Kälte nicht, so aufgeregt war sie, und so schnell eilte sie über den gefrorenen Schnee. Ek waren Tage Namenloser Furcht und verzweifelter Angst, die Senzi nun durchlebte, obschon sie an das Schrecklichste, was sie treffen konnte, nicht klar zu denken wagte. Dieses Kind sterben! Das war ja nicht möglich, so grau sam konnte Gott nicht sein. Sie wies diese Gedanken von sich mit dem Trohe der Verzweiflung, um doch im nächsten Augen blick inbrünstig zu beten, daß Gott ihr nur dies Eine, Einzige nicht zufiigen solle, Mit brennenden, eingesunkenen Augen ver folgte sie jede Bewegung Les Kindes. Sie hatte ihre Näh maschine an sein DettcheN gezogen, um selbst jetzt noch zu ar beiten, denn sie brauchte Geld. O, wie wollte sie das Kind vflegeN, wenn es wieder gesund war. Nein, sie wollte nicht stolz sein. Sie wollte Mit ihm fort gehen, Wenn es nöthig war, selbst Neue Demüthigungen auf sich Nehmen, aber ihr Knabe sollte es gut haben. Bertha würde ihn gewiß lieben; er konnte spielen in einem großen Garten, unter blühenden Blumen und lachendem Sonnenscheine; sie brauchte nicht mehr jede Minute auszurechnen und sogar mit ihren Liebkosungen zu geizen, weil es ihr an Zeit hierzu gebrach. Abgerissen, vermengt mit zärtlichen Schmeichelworten, flüsterte sic dem Knaben dergleichen zu, wenn er sich unruhig umherwarf und mit halbgeschlossenen Augen so seltsam fremd vor sich hin sah. Er war fortwährend von einem ruhelosen Halbschlummer befallen, nicht ein einziges Mal hatte er sie klar und verständnißvoll angesehen. „Er scheint die Krankheit zu verschlafen", sagte der Arzt, wenn Senzi's brennende Blicke sich so flehend auf ihn richteten. Er hatte schon viel Leid, Angst und Armuth gesehen, aber daS halb versteckte und doch so sprechende Elend, das ihm in diesen vier Wänden entgegen trat, erschütterte ihn. Alle- war sauber und mit einer gewissen Zierlichkeit geordnet; hier gab es nichts Zerrissenes und Schmutziges; aber dieses junge, blasse, abge mattete Weib, dem Entbehrung, Ueberarbeitung und unzu reichende Nahrung so deutlich aus den großen, umschatteten Augen sprachen, das selbst am Sterbebett seine» Kindes ihre Angst und ihren Kummer bezwingen mußte, um das Geld zu verdienen, das sie für die nöthigen Stärkung-mittel bedurfte, er füllte ihn mit tiefem Mitleid. „Ich habe Ihnen auch «ine Medicin mitgebrachi", sagte er am dritten Tage zu Senzi, indem er eine Flasche alten Tokayrr aus seinem Rocke zog. „Sie strengen sich zu sehr an, und ein wenig Wein wird ganz gut für Sir sein." Senzi wurde dunkelroth, und in ihrem auch in ihrer Mager keit noch überaus lieblichen Antlitz prägte sich eine tiefe Ver legenheit aus. Aber der brave Mann fand schnell ein paar Worte, um ihr darüber hinwegzuhelfen. „Geben Sie auch dem Kinde von Zeit zu Zeit einen Löffel voll", fügte er hinzu, „bei dem hohen Fieber ist e, nöthig, um da» Herz zu stärken." Ain vierten Lage lag der Knabe viel ruhiger; er schien fast immer zu schlummern, und Senzi schöpfte daher neue Hoffnung. Als der Arzt kam, untersuchte er ihn sorgfältig. Der klein«, magere Körper war über und über mit rothen, ins Bläuliche schimmern den Pünctchrn besäet. „Denken Sie nicht, daß es nun besser wird?" fragte Senzi. „Er ist lange nicht mehr so unruhig. Soll ich ihn da heute Abend auch wieder baden?" — Der Arzt hatte verordnet, daß er zwei Mal täglich zur Bekämpfung d<» Fieber» gebadet werden sollte.— „L-chadeN kann es nichts", sagte er, nachdem tr den Knaben still betrachtet. „Sie können rhm auch EiSumschläge auf den Kopf legen, doch müssen diese alle zwei Minuten erneuert werden." Senzi erschrak. „Es ist doch nicht schlimmer?" fragte sie athemlos. Er vermied ihren Blick. „Es ist nur, damit das Blut weniger zum Gehirn drängt", sagte er ruhig, während er seinen Pelz wieder anzog. Erleichtert blieb Senzi zurück, und sich über das geröthetc, ge dunsene Gesichtchen beugend, küßte sie dasselbe zärtlich. Dann holte sic Eis, das in großen Zapfen an der tiefhängenden Dach rinne des Waschhauses hing, räumte ihre Arbeit fort und setzte sich zur Seite des Bcttchens nieder, um stundenlang unablässig die kalten Lappen auf die fieberheiße Stirn des Kinde- zu legen. Als es Abend wurde, bereitete sie rin Bad. „Der Doctor hat Recht, es verschläft die Krankheit", dachte sie, als es mit halb geschlossenen Augen und müde zur Seite geneigtem Köpfchen während des Badens auf ihrem Arm lehnte. Als sie ihm das Hemdchen angczogen hatte und nach der be reit gehaltenen Halsspritze griff, machte eS plötzlich eine sonder- bare Bewegung; es war, als wollte es aufstehen; der Kopf hob sich empor und die Augen, diese schönen, dunkelblauen Augen, öffneten sich weit und sahen die Mutter an, mit einem Blick, der ihr eisig in« Herz griff. Sie wußte auf einmal, das war der Tod, der diese» Antlitz küßte, da» sich jäh und schrecklich ver änderte. Sic schrie nicht auf, sie nahm nur hastig und behutsam da« Kind auf ihren Schooß, und Ihr Blick haftete auf ihm, als wolle sie die entfliehende Seele gewaltsam zurückhalten. Noch einmal fuhr e« empor; der Körper dehnte sich und das Köpfchen fiel schwer zurück. Ihr Liebling war lobt. Ein paar Sekunden saß Senzi stumm und starr. So plötz lich, so unerwartet kam dies Ende, daß sie wie gelähmt war. Dann betastete sie die kalten Händchen, das Köpfchen, den kleinen Körper; Alles kalt, schwer, regungslos. Nun legte sie das Kind aufs Bett zurück, kniete neben ihm nieder, faltete die schon erstarrenden Händchen, küßte den kleinen Mund, die Augen, die Stirn und streichelte zärtlich -ic blonden, lockigen Härchen. „Dir Ist wohl", sagte sie leise und sanft, mit merkwürdiger Ruhe, „ich wollte nur, Du Nähmest mich mit." Ihr Auge war schier blicklos vor Thronen. Schwer und brennend rollten sie über die blassen Wangen und tropften auf die Brüst des todten Kindes. Kaum drei Schritte davon entfernt stand noch der Sbrill- bäum mit seinem bunten Flitter, und der goldpapierne Wech-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite