Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.03.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990330026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899033002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899033002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-30
- Monat1899-03
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis tn der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten AuS- qovestellen ab geholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hous 5.50. Durch die Post bezogen für Dcutjchland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaclion und Erpe-ition: JohanniSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: Ott« klemm'» So.tim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum). Louis Lösche, Katharinenslr. 14, pari, und Königsplatz 7. Abend-Ausgabe. KipMer TaMM Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Ratyes und Nolizei-Amtes der Ltadt Leipzig. AnzeigenPreiS die ü gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich Ego spalten) 50-H, vor den Familiennachrichten (bgejpalteni 40-H. Größere Schriften laut unjeren, Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ttO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig. 163. Donnerstag den 30. März 1899. 93. Jahrgang, politische Tagesschau. * Leipzig, 30. März. Die „Köln. VolSzeitung" beschäftigt sich heute ausführlich uni der Abwuudcrnttg Ser polnischen Arbcitcrbcvölkcrnng des Lstcns nach dem öcntschen Westen uud kommt dabei zu folgendem Ergebnis: „Jedenfalls werden die Polen in Rhein land. Westfalen und Sachsen, weil sie zerstreut zwischen einer großen dentschen Mehrheit leben, dort viel eher ger- manisirt werden, als in Posen und Oberschlesien." Diese Ansicht ist vor kurzer Zeit von einer Seite widerlegt worden, welche die „Köln. VolkSztg." sehr gern als Autorität wird gelten lassen wollen: nämlich von der „Köln ischen VolkS- zeitung" selbst. Am 21. November v. I. hat die „K. V.-Z." die Poleugefabr für Westdeutschland in der un zweideutigsten Weise anerkannt. Sie erklärte, aus der An stellung polnischer Arbeiter in Rheinland und in West falen sei „schon eine Art Kalamität entstanden", nnd fügte wörtlich hinzu: „Es wäre eine starke Selbsttäuschung, wenn die Regierung meinen sollte, die so verpflanzten Polen würden leichter germanisirt". — Nun, die Regierung ist hoffentlich in dieser starken Selbst täuschung nicht befangen, wohl aber ist das, wie man siebt, die „Köln. Bolksztg"! Daß das rheinische Eentrumüblatt sich dieser „starken Selbsttäuschung" bingiebt, ist um so sträflicher, als wi cd er um gerade die „K.V.-Z." eine sehr drastische Be gründung für die bedauerliche Thatsache gegeben hat, daß die Polen in Westdeutschland nicht germanisirt werden. Am I. December 1808 war in der „K. V.-Z." wörtlich das Nachstehende zu lesen: „Kommen diese polnischen Arbeiter nach dem Westen, so läßt mau sie untereinander ruhig sprechen, wie sie wollen und ist überhaupt froh, Arbeiter zu haben . . . Uns sind sogar Gutsbesitzer und Inspektoren in Sachsen bekannt geworden, welche etwas polnisch gelernt haben, um mit den Leuten zu reden, die Sonntags ihren Leuten Lectüre in polnischer Sprache verabreichen lassen u. s. w. Die fortwährenden Germanisirungsversuche, die gerade in Westpreußen an den Leuten so häufig vorge nommen werden. .. fallen in der Fremde weg". — Der selbe Gewährsmann der „K. B.-Z", der so lichtvoll ausein andersetzt, weshalb die Polen in Westdeutschland Polen bleiben müssen, versickert mit der einem Ultramontanen eigenen Treu herzigkeit trotzdem, daß die Polen „wenigstens in der zweiten Generation" sich „ganz von selbst" gernianisirten! Zu seinem Schaden und zum Nutzen für die Aufklärung des denkenden deutschen Zeitungslesers illustrirt der kundige Thebaner der „K. B.-Z." die obige Behauptung dadurch, daß er in un mittelbarem Anschluß an dieselbe mit köstlicher Selbstironie er zählt: „Schreiber dieses kam vor mehreren Jahren einmal nach Merseburg a/S., Hörle inder dortigen katholischen Kirche pol nischen Kirckengesang, trat in die Kirche ein und fand lauter polnische Sacksengänger". — Der hier berichtete Borfall ist typisch für die „Germanisirung" der Polen im deutschen Westen. Die immer zahlreicher werdenden polnischen Vereine sorgen dafür, daß es bei dieser Art „Germanisirung" sein Bewenden bat, und die CentrumSpartei wie die CentrumS- presse in Westdeutschland trägt wahrlich nicht das Geringste dazu bei, hierin Wandel zu schaffen. Die von der freisinnigen Bolkspartei nicht mißbilligte Beschimpfung von Kriegcrvcrcincn durch ihr Mitglied, den Abg. Müller-Sagan, macht bereits ihre Folgen bemerkbar. Herr Richter befürchtet, von den Trümmern seiner Partei wieder ein Stück einzubüßeu. Aber nach seiner Art sucht er, durch Uebertrumpfung der begangenen Fehler seine Situation zu verbessern. Er läßt der ersten Beleidigung eine zweite folgen, indem er in der „Freis. Ztg." zwischen ehrlichen und unehrlichen Kriegervereincn unterscheidet nnd mit der Gründung neuer Kricgervereine, „freier, unabhängiger", durch die — Volkspartei droht. Die ehemaligen Soldaten freisinniger Richtung sind sehr dünn gesät nnd die von ihnen, richtiger mittels der selben gebildeten Hirsch-Richter'schen Kriegervereine würden nichts Anderes sein als Eadres für socialdemokratische For mationen. Ans diesem Grunde wird, falls Herr Richter zur „Thal" schreitet, Wachsamkeit geboten sein. Auf der andern Seite sollte seine Drohung einen Ansporn bilden, jeden Mißbrauch von Kriegervereinen durch Parteipvlitiker hintan zuhalten und die gute Wirkung des Schimpfwortes deS Herrn Müller nicht durch Gesinnungsschnüffelei und Ueberlreibungen abzusckwäcken. Kein deutscher Kriegerverein ist ein Kriecher verein, es soll aber auch keiner ein Riecherverein werden. Die „K re u z z e i t u n g" will aus Auslastungen der „Köln. Bolksztg." über die konservative Partei den Nachweis führen, daß die Behauptung, die konservativen suchten sich dem kcutrum anzunähern, aus der Luft gegriffen sei. Dir Argumcntirung der „Kreuzztg." erscheint etwas sonderbar. Wir können darauf verweisen, daß wir bereits vor etwa Wochen frist dargethan haben, daß die "konservativen bei ihrer An näherung an das kentrum eine Enttäuschung erleben müßten, weil die klerikale Presse, insbesondere die „K. V.-Zt.", den Gegensatz der Haltung zwischen Centrum und conservativer Partei in socialpolitischen Fragen und auch in der Agrarfrage scharf betone. Wir haben also längst auf das aufmerksam gemacht, was die „Kreuzztg." jetzt zu unserer Widerlegung an führt. Die Ansicht aber, daß conservativrrseits Fühlung mit dem Centrum zu gewinnen versucht würde, wird doch wohl nicht dadurch widerlegt, daß auf Seiten der Klerikalen ein: gewisse Abneigung gegen ein solches Bündniß herrscht. Wenn sich das Centrum bis jetzt ablehnend verhält, so beweist es mehr staatsmännischen Sinn als die konservativen, denn es müßte den offenen Anschluß an die konservative Partei mit der Zer trümmerung der eigenen Partei bezahlen, da ein erheblicher Theil der Centrumsmitglieder die Heeresfolge versagen würde, besonders wenn es sich um agrarische Ueberlreibungen handeln sollte. Wie bekannt, ist den Mitgliedern der französischen Kammer der Text des englisch-französischen Abkommens unterbreitet worden. Derselbe lautet folgendermaßen: Die Unterzeichneten, von ihren Regierungen in gehöriger Weise bevollmächtigt, haben folgende Erklärung unterzeichnet: Der Artikel 4 der Convention vom 14. Funi 1898 wird durch folgende "Bestimmungen ergänzt, die als dazu gehörig angesehen werden. 1) Die Regierung der französischen Republik verpflichtet sich, weder Gebiet noch politischen Einfluß im Osten der im folgenden Paragraphen fest gesetzten Grenzlinie zu erwerben, und die Regierung Ihrer britischen Majestät verpflichtet sich, weder Gebiet noch politischen Einfluß im Westen derselben Linie zu erwerben. — 2) Die Grenzlinie läuft von dem Puncte aus, wo die Grenze zwischen dem freien Congostaate und dem französischen Gebiete die Wasserscheide zwischen dem Nil, dem Kongo und dessen Neben flüssen begegnet. Sie folgt im Grundsatz dieser Wasserscheid- bis zur Kreuzung mit dem 11. Grad nördl. Breite. Von diesem Puncte an wird sie vom 15. Breitengrad an in der Weise ab gesteckt, daß sie im Grundsatz das ganze Reich von Wada', von dem trennt, was 1882 die Provinz von Darfur war. Diese Linie kann aber auf keinen Fall im Westen den 21. Grad östlicher Länge von Greenwich (18° 40' östl. von Paris) noch im Osten den 23. Grad östlicher Länge (20 ° 40' östl. von Paris) überschreiten. — 3) Es gilt als im Grundsatz abgemacht, daß im Norden des 15. Breitengrades die französische Zone im Nordostcn und Osten durch eine Linie abgegrenzt wird, die von dem Kreuzungspunct des Wendekreises des Krebses mit dem 16. Grad östlicher Länge ausgeht und die Richtung nach Südosten bis zur Begegnung mit dem 24. Grad östlicher Länge (21 ° 40' östl. von Paris) und dann den 24. Grad bis zu seiner Begegnung im Norden des 15. Breitengrades mit der Darfurgrenze ver folgt, wie sie später festgesetzt wird. — 4) Die beiden Regierungen verpflichten sich, Kommissäre zu bezeichnen, die damit betraut werden, an Ort und Stelle eine Grenzlinie entsprechend den Angaben des 8 2 der vorliegenden Erklärung abzustecken. Das Ergebniß ihrer Arbeiten wird der Genehmigung ihrer Re gierungen unterbreitet. Es ist ausgemacht, daß die Bestimmungen des Art. 9 des Abkommens vom 14. Juni 1898 sich auf die Ge biete erstrecken werden, die südlich von. 14 ° 20' nördl. Breite und nördlich vom 5. Grad nördl. Breite zwischen 14 ° 20' östl. Länge (12 ° östl. von Paris) mit dem Laufe des oberen Nil belegen sind. Gez. Paul Cambon, Salisbury. — Dieser Erklärung ist eine Karte beigelegt. Der in dem Vertrag er wähnte Artikel 4 der Konvention vom 14. Juni 1898 enthält die Bestimmung, daß innerhalb der kommerziellen Zone die Bürger und Unterthanen beider Staaten während 30 Jahre nach der Vollziehung des Abkommens dieselben Rechte für ihre Person und ihr Eigenthum genießen sollen und daß diese Abmachung auch noch weiter in Kraft bleiben soll, wenn sie nicht 12 Monate vor Ablauf des erwähnten Zeitraumes gekündigt wird. Gerade jetzt kommt eine sachkundige englische Stimme über die Verhältnisse auf Samoa zureckt, die obendrein den Kreisen der englischen Missionsgesellschaft angehört und darum einer Parteinahme für die Deutschen gerade nicht verdäcktig ist. Ein Mitarbeiter des Londoner „Morning Leader" hat den Capitän Roger Tur Pin, der als einer der Führer der Schiffe der Londoner Missions gesellschaft eine vierzigjährige Bekanntschaft mit den Südsee- hat und Samoa genau kennt, auSgefragt. Def Capitän sagte: „Nach vierzigjähriger Kenntniß des südlichen Stillen Meeres glaube ich nicht, Laß es dort ein Gemeinwesen von Insulanern giebt, das im Stande ist, sich selber zu regieren, und cs würde ein wirklicher Wohlthätigkcitsact sein, wenn zwei der Regierungen (Deutschland, Amerika und Großbritannien) aus die Seite treten und zu der anderen sagen würden: „Regiere Du die Samoaner." Die Regierung könnte sicher irgend einer der drei Regierungen an- vertraut werden, aber niemals wird irgend etwas wie eine Wohl fahrt vorhanden sein, bis eine Regierung allein die Zügel ergreift. Der Vertrag hat trauriges Fiasko gemacht. Drei Regierungen be- deuten, daß drei Vertreter vorhanden sein müssen, und diese sind Rivalen im Handel und jeder versucht einen unziemlichen Ein fluß über die klebrigen zu erlangen Für mich ist es klar, daß Mataafa König sein muß. Er ist ein Mann, der weiß, was er will, und er ist im Stande, seinen Willen durchzusetzen. Ich kannte Malietoa auch, aber er war eine bloße Puppe — seine Herrschaft war nur nominell. Ich sehe, daß Mr. Chambers, der Oberrichter von Samoa, seine Entscheidung zu Gunsten von Malietoas Sohn als König abgegeben hat, aber er ist ein junger Mann. Wer immer herrschen soll, wird einfach unter einer einzigen europäischen Regierung zu herrschen haben Persönlich bin ich dafür, daß Deutschland das Scepter führe. Deutschland ist, soweit der Handel in Betracht kommt, die Pflegemutter von Samoa ge wesen. Ich kann mich gut der Zeit erinnern, wo nur die deutsche Flagge im Hafen von Samoa sichtbar war. Bor dreißig Jahren war Las Geschäft thatsächlich in den Händen der Deutschen, und alle crwähncnswerthen Pflanzungen wurden durch deutsche Ge schäftsfähigkeit auf ihren jetzigen Zustand gebracht. Meinem Dafürhalten nach würde es für Großbritannien ein Act des ehr lichen Spieles sein, zu sagen: „Wir sehen keinen Grund, warum die deutsche Flagge nicht über Samoa wehen sollte." Ich wieder hole, daß es im Interesse von Samoa gebieterisch ist, daß zwei von den drei Regierungen sich gänzlich zurückziehen." Leider befleißigt sich der größte Theil der eng lischen Presse nicht der gleichen Unbefangenheit und Aufrichtigkeit wie Capitän Roger Turpin; vielmehr benutzen angesehene englische Blätter gerade die Samoa- An zelegenbeit, um von Neuem zwischen Deutschland uno den Bereinigten Staaten zu Hetzen. So meldete be kanntlich „Daily Chronicle", daß in Amerika über den Bot schafter White in Berlin große Unzufriedenheit herrsche, weil Lieser die Samoafrage vorwiegend vom deutsche» Stand- punct behandle. „Es hieße", bemerkt hierzu die „Köln. Ztg", „dem „Daily Chronicle" zu viel Ehre erweisen, wenn wir den amerikanischen Botschafter gegen diesen durch nichts bewiesenen Borwurf schwerer Pflichtvernachlässigung in Schutz nehmen wollten. Es genügt für uns, abermals festzunageln, mit welcher Erbitterung und mit welcher Erfindungsgabe die englische Presse jeder Parteischattirung alles verfolgt, waS auf eine Förderung guter und freundschaftlicher deutsch amerikanischer Beziehungen hinauslaufen könnte." Wir freuen uns, die „Köln. Ztg." auf demselben Wege zu finden, den wir leider schon geraume Zeit begehen müssen. UebrigenS scheint der englischen Liebe Müh' umsonst zu sein, denn die folgende Meldung spricht dafür, daß man in Washington jetzt einer ruhigen Verständigung unter Anerkennung ver deutschen Rechte zuneigt. Die Nachricht besagt: * London, 29. März. Eine Berliner Depesche des „Bureau Reuter" besagtz e« Erwiderung ter V«stcll»'.<,cir der-d»U)sehe- Regierung wegen der angeblich dem amerikanischen Admiral in Apia ertheilten Instruction, gemäß der Entscheidung einer Mehrheit der Vertreter der drei Mächte zu handeln, ging ein freundliches Schreiben der Regierung der Vereinigten Staaten ein, dem zufolge sie die Nothwcudigkeit der Einhelligkeit der be- theiligten drei Mächte als Bedingung für eine ständige Action an erkennt. Ferner sagt sie, sie habe den amerikanischen Vertreter auf Samoa angewiesen, dem deutschen Vertreter dec deutschen Inter essen auf den Inseln gegenüber eine versöhnliche Politik ein- zuschlagen. Hiernach scheint man in Washington doch einzusehen, daß die Schuld an den letzten Wirren auf Samoa nicht den deutschen, sondern den amerikanischen Beamten beizumessen ist, sonst würde mau so gelinde Saiten unter keinen Umständen aufspannen. Das Vorgehen Rußlands in Finlanv hat das allgemeine Interesse für den finnifchen Stamm geweckt, und so dürfte denn die in dem neuesten Hefte des Braun'schen Archivs erschienene Arbeit von Or. H j e l t - Helsingfors augenblicklich allgemein interessircn. Finlands ganze Rechtsordnung basirt heute noch auf dcni skandinavischen Recht, wonach eine Schuld im eigent lichen Sinne nicht erforderlich ist, um eine Haftung für Entschädigung eintreten zu lassen. Hinsichtlich der Leistung eines Schadenersatzes an Arbeiter galt der Grundsatz, Fenilletsn. 42j Zenzi. Roman von M. Immisch. Nachdruck verboten. Die beiden Damen im Fond des Wagens waren die beiden schönen Schwestern klärchen und Bertha, während Hofrath Bergau mit Senzi den Rücksitz einnahm. „Es ist zu reizend, daß wir wieder einmal Alle beisammen sind", sagte klärchen Guckenheim, die zwar reifer, aber noch ebenso schön, rosig und muthwillig aussah wie vor zwölf Jahren, zu ihrer Schwester Bertha, während sie den herrlich entwickelten Körper mit koketter Nachlässigkeit in die Polster zurücklehnte; „aber wahrhaftig, ich staune, wie wohl und munter Du aus- sishst, man sollte meinen, Du wärst jünger geworden, seit wir uns zuletzt gesehen." „Nicht wahr, das sage ich auch", meinte der Hofrath erfreut. „Der lange Aufenthalt im Süden ist ihr vortrefflich bekommen und auch von unserer kleinen Freundin kann man dasselbe be haupten." Er warf Senzi einen freundlichen Blick zu und dann breitete er sorgfältig di« seidene Rcisedecke über die Knie seiner Frau, auf deren schönem Antlitz in der That ein rosiger Hauch der Gesundheit lag. „Nun, ich muß sagen, Senzi hätte ich nicht wieder erkannt", fuhr klärchen fort, während sie die ihr gegenüber sitzende, so überaus zart erscheinende junge Frau mit erneuter Verwunderung betrachtete; „aber die Blässe und Ruhe stehen Dir gut und geben ein geradezu vornehmes Air." Senzi lächelte ihr zu, und dann traf ihr Blick Bertha's Augen und ein warmes Leuchten stieg darin auf, eine stumme, aber deutlich« Sprache, die diese wohl verstand. „Ich freue mich, wieder ins eigene Heim zu kommen und ich hoffe, daß es auch Senzi hier gefällt", sagte Bertha. „Und Ihn seid also erst seit drei Wochen aus Egypten zurück? Wie gcht es Deinem Mann? Und was machen die Kinder? Hoffent lich sind sie wohl und munter!" „Munter und unartig", erwiderte klärchen lachend, „Du wirst sie kaum wieder erkennen, so groß sind sie geworden. Seit drei Jahren haben wir uns nicht gesehen. Großer Gott, wie alt man wird! ich mag gar nicht daran denken." „Nach Ihren Briefen zu schließen, ist das Klima in Egypten Ihrem Mann nicht so gut bekommen, als erwartet wurde", sagte der Hofrath. „Ja, der arme Moritz ist recht leidend", gab klärchen zurück. „Ich glaube nicht, daß noch viel zu hoffen ist; seine Krankheit scheint immer mehr Fortschritte zu machen. Sie würden mich sehr verbinden, lieber Schwager, wenn Sie ihn einmal unter suchten. Ich habe zuweilen eine gräßliche Angst vor der An steckungsgefahr, und wenn Sie mich darüber beruhigen könnten, wäre ich sehr froh." Der Hofrath gab eine zustimmende Antwort, aber er sah die schön« Frau dabei mit eigentümlich verdüstertem Blick an. Sie fuhren immer noch am See entlang; dann bog der Wagen links ab und hielt vor dem Eingang einer herrlichen Villa, deren große Spiegelscheiben im Reflex der Sonne feurig erglänzten. Der Hofrath half seiner Frau und Senzi aus dem Wagen, während klärchen darin zurückblieb. „Auf Wiedersehen morgen! Nein, danke, heute will ich nicht stören", sagte sie auf eine Ein ladung Bertha's, „es würde auch zu spät; ich habe Moritz ver sprochen, um acht Uhr mit ihm zu speisen." Dann rollte der Wagen davon, während die Drei ins Haus gingen, wo zum Empfang der Herrschaft Alles aufs Beste vor bereitet war. „Ich wünsche, daß Du Dich hier wohl fühlst", hatte Bertha gesagt, als sie Senzi selbst nach dem für sie bestimmten Zimmer führte, das mit der einfachen, aber gediegenen Eleganz aus gestattet war, die das ganze Anwesen charakterisirte. Vom Fenster aus bot sich ein weiter Blick über den See und die dahinter wie riesige, übereinander geschobene Zacken emporragenden Berge. Senzi hatte vorerst keine Zeit, sich Beobachtungen hin zugeben. Sie reinigte sich vom Reisestaub, um dann an dem bereitgehaltenen Souper theilzunehmcn, denn der Hofrath liebte PUnctlichkeit. Doch die zwölfstündige Fahrt hatte den jetzt 74jährigen Mann, der allerdings noch äußerst frisch und stattlich für sein Alter aussah, immerhin angegriffen, und er zog sich daher früh zurück. „Laß uns ein wenig in den Garten gehen", sagte Bertha, „die Luft ist köstlich rein nnd mild. Der heimathliche Frühling erschien mir noch nie so schön als heute, wahrscheinlich weil ich ihn so lange entbehrt." Dann wandelten die beiden schlanken Frauengestalten Arm in Arm _durch die verschlungenen Wege des Gartens, der in vollem Schmuck des Frühlings prangte. Maiglöckchen und Flieder verbreiteten einen süßen Duft; am Seeufer flammten die Lichter und aus den vorbeifahrenden Booten erklang dann und wann fröhlicher Gesang. „Wie schön ist es hier", sagte Senzi. „Man sollte meinen, hier könnte cs nur Glückliche geben." Bertha erwiderte nichts darauf, nur ein tiefer Seufzer hob ihre Brust. Vielleicht dachte sie an die finsteren Stunden, die sie hier verlebt, damals als ihr junges Herz sich noch hart näckig sträubte gegen die ihm auferlegten Fesseln, als die finsteren Dämonen sich ihrer immer mehr bemächtigten und sie stumpf machten gegen das Gute, das ihr doch immerhin in vollem Maße geboten wurde. Ein nervöser Schauer überrann sic plötzlich, eine dumpfe Furcht, als habe sic doch nicht wohlgethan, zuriick- zukehren, als könnte hinter diesen Büschen und Sträuchern tief versteckt das Verhängniß lauern, das sie schon einmal ereilt. „Nicht wahr, Du bist mir eine aufrichtige und treue Freundin?" sagte sic plötzlich unvermittelt zu Senzi. „Uns Beiden hat das Leben Schweres auferlegt; vielleicht passen wir jetzt so gut zusammen. Versprich mir, mich nie zu verlassen und bei mir auszuharren in guten und bösen Stunden." „Ich verspreche es Dir", sagte Senzi. „Ich habe Dir viel zu danken, und ich werde nie im Stande sein, meine Schuld an Dich abzutragen." „Sprich nicht von Schuld", gab Bertha zurück, „würde es ab gewogen, so wäre der Vortheil auf meiner Seite mindestens eben so groß. Das Interesse und die Sorge für Dich gaben meinem Leben einen Zweck und einen Inhalt und lehrten mich erst die materiellen Güter gebührend schätzen. Es hat auch dazu beigetragen, mir die Güte meines Gatten in vollem Um fange zu zeigen, so daß ich ihn jetzt besser zn würdigen verstehe, als dies früher der Fall war." Die Freundschaft der beiden Frauen war weit verschieden von derjenigen, die sic einst als Mädchen verbunden. Die zurück haltende, verschlossene Bertha halte überhaupt dem Bunde, der klärchen und Senzi verband und in dem Senzi allein die Kosten zu tragen hatte, ziemlich fern gestanden. Nach Bertha's Ge nesung hatte diese mehr in eigensinniger Laune nach der Jugend freundin, deren Schicksal sie intereffirte, verlangt, und als Senzi nach dem Tode ihres Kindes nichts mehr von sich hören ließ, hatte Bertha den Hofrath bestimmt, mit ihr nach Dresden zu reisen und unterwegs Senzi zu besuchen, um womöglich durch eine Ueberraschung ihren Willen, sie als Gesellschafterin zu ge winnen, durchzusetzen. Es war dann allerdings eine große Ueberraschung gewesen, aber mehr für Bertha als für Senzi, die viel zu krank und zu unglücklich war, um für Alles, was ihr da noch begegnete, mehr als Gleichgiltigkeit zu empfinden. Es war die höchste Zeit, daß Senzi aus ihrem Elend heraus gerissen wurde. Die von Natur großmüthige und herzensgute Bertha war tief erschüttert von dem Anblick dieses Wesens, das sic nur in holvester Jugendfrische gekannt, und das von über mäßigen seelischen Leiden und herbsten Entbehrungen zweifellos einem frühen Tode in die Arme getrieben wurde, wenn nicht eine starke Hand sie davon zuriickriß. Und Bertha, kräftig unterstützt von ihrem Manne, that denn auch Alles, was möglich war. um sie dem Leben und dem Frohsinn zurück zu gewinnen. Was erst eine Laune war, wurde zu einem Herzensbedürfniß, und der Lohn für ihre gute That machte sich bald fühlbar in dem eigenen neu erwachenden Lebensintercsse und in dem eigenen Gesunden, über der Sorge um das Fremde. Drei Jahre waren seitdem verflossen. Die düstere Vergangen heit glich für Senzi nur noch einem schweren Traum, und auch der Schmerz um ihr Kind hatte einer sanften Resignation Platz gemacht. Allerdings hatten die empfundenen Schmerzen unv Leiden ihren Stempel zurückgelassen. Wohl war sie neu erblüht, aber das schöne, jetzt wieder zart gerundete Antlitz war von durch sichtiger, elfenbeinfarbener Blässe, die großen, dunkelblauen Augen hatten «inen ernsten, seltsam stillen Blick, und der fein- geschnittene Mund, dessen srischrothe Lippen den, Antlitz ein eigenartig jugendliches Gepräge gaben, verzog sich nur selten zu einem wirklich frohen Lachen. Aber klärchen hatte Recht, Liese Blässe und Vie Ruhe ihres Wesens standen ihr gut und erhöhten noch das Liebliche und Sympathische der ganzen Erscheinung. Natürlich wurde durch Bertha oder den Hofrath auch manch mal Bernhard's erwähnt, auch Senzi Wehrte sich nur noch schwach gegen den Zauberklang dieses Namens. Er war noch immer in Genf. Bertha selbst hatte ihn seit mehr als sechs Jahren nicht mehr gesehen. Er hatte sich als Rechtsanwalt eine geachtete Stellung errungen, war aber noch immer unoerhcirathet. Der Hofrath war nicht frei von Gewissensbissen, wenn er daran dachte, daß er einst selbst dazu beigetragen hatte, Vie beiden Menschen zu trennen und Senzi's Leben in eine so rauhe Bahn zu lenken. Dieser geheime Borwurf hatte vielleicht dazu beigetragen, daß auch er fick mit dem lebhaftesten Interesse ihrer angenommen hatte. Aber auch er hatte oen woyllhätigcn Einfluß, den sie auf Bertha übte, längst erkannt und war ihr von Herzen dankbar dafür. Ihre Stellung im Hause de» Hofratbs war nicht die einer bezahlten Gesellschafterin, sondern einer gleichberechtigten Freun din, und klärchen, die darin abweichende Ansichten hatte, be merkte dies bald mit großem Erstaunen. Die schön« Frau brachte
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite