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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.04.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990419015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899041901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899041901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-04
- Tag1899-04-19
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198 Die Morgen-Au-gabr erscheint um '/«? Uhr. di« Abeud-AuLgab« Wocheutags um - Uhr. Le-actto« vnd LrpedMo«: Luhu»»1«iuff« S. Li« Expedition ist Wochrntag» nnnutttbrochai gebffuet »«» früh 8 bi» Tb«»d» 7 Uhr. Bezugs-Preis tu d« Hauptexpedition od«r den im Stadt, bezirk und deu Bororteu errichtete» Aus- uaoeftellra abgeholt: vierteljährlich ^14^0, bet zweimaliger täglicher Zustellung in» t au« ^l kchL Durch di« Poft bezogen für Deutschland «nd Oesterreich: vieri,ftührlich 6.—. Direkte tägliche Ikreuzbandsendnag tu» Ausland: monatlich 7üO. Filialen: ktt» Klemm'» Sortt». (Alfred Hühn), Uuiversitätsstrab« 3 (Pauliumn), Laut» Lösche, Katharinen irr. 14, Part, und Königsplatz 7. Morgen-Ausgabe. MMerIaMM Anzeiger. Mlsölatt -es Homgüche« Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Notizei-Ämtes -er Lta-L Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50^, vor den Familiennachrichtea (6 gespalten) 40^. Gröbere Schristen laut unjereur Preis- verzrichnib- Tabellarischer und Zissernsap nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Poslbesürderung 60.—, mit Postbeforderuug 70.—. Anuahmrschlnß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Margeu-AuSgabe: Nachmittag- 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Mittwoch den 19. April 1899. 93. Jahrgang. Los von England. vr. 2. Wer die PolM der Engländer in den letzten Jahren genau verfolgt Hut, der mutz doch erstaunt sein, daß der schlaue Brite immer wieder Nationen findet, welch« er heuchlerisch um stricken kann, um ihnen dann bei der ersten paffenden Gelegenheit sas Netz über das Haupt zu werfen, bezw. das Fell über die Ohren zu ziehen. Mr erinnern an die Behandlung, welche ec Frankreich aus Anlaß von Faschoda hat angedeihen lassen, dann an Italiens Aerger, nachdmn England das Hinterland von Tripolis Frankreich garantirtr, dann weisen wir auf den geheimen Vertrug hin, den England mit Deutschland über afrikanischen Besitz abgeschlossen hat, zugleich aber auch auf die Verdächti gungen der deutschen Haltung aus Anlaß deS amerikanisch-spani schen Krieges Amerika gegenüber, deren Früchte nicht zum Min desten in den Samoa-Wirren gereift sein mögen. B«i allen Geschäften, in denen der Engländer seine Hand hat, weiß er immer den Vortheil aus fein« Seite zu bringen, ohne um die dabei anzuwendenden Mittel verlegen zu sein. Dor Samoa tritt eigentlich immer nur der Amerikaner handelnd hervor, die trei bende Kraft ist der Engländer; es ist der alte Kniff der Vor schiebung eines Dritten, welcher immer seine Zugkraft noch nicht ringevüßt hat. Die bisherigen Vorfälle in Samoa wären aber für uns Deutsch« nicht zu theuer bezahlt, wenn ihr Resultat wäre ein: „ L o s vo n E ng l a nd ". Derart vertrauensvolle Personen wird es ja wohl nicht mehr in Deutschland geben, welche glauben, daß vor 1903 der Abschluß eines Handelsvertrages mit England noch möglich sein werd«, Uns war es schon bei der Kündigung deS deutsch-englischen Han delsvertrages klar, -daß England erst danach trachten würde, Er fahrungen hinsichtlich der differentiellen Behandlung seiner und der deutschen Maaren in Canada zu sammeln, anderweit sich größere Dortheile zu sichern, ohne dabei die Meistbegünstigung Deutschlands zu verlieren. In Canada scheint England nun wenig Dank zu ernten, man fühlt sich dort schon unbehaglich durch die deutschen autonomen Zollsätze mit ihrer Einschränkung des Getrriderxports nach Deutschland berührt. Sodann wird in der amerikanischen Union der Gedanke sich immer weiter Bahn brechen, daß nicht Deutschland es ist, welches es nicht gut mit den Bereinigten Staaten meint, sondern England. Die Erkennt nis! dieser Thatsache kann den Engländern theuer zu stehen kom men, ein „LoS von England" würde die Sympathien der De ichen in der Union unterstützen, es wird uns eher zu einem Han delsvertrag verhelfen, als das sonst geschehen würde. Auf den Abschluß eines ReciprocitütSvertrages mit den Vereinigten Staa ten können wir vhnehin unter der jetzigen Präsidentschaft nicht mehr rechnen, da das Mandat hierfür in einigen Monaten ab läuft, demnach können wir nur durch äußerst correcte Haltung oafür sorgen, daß die gewünschte handelspolitische Verständi gung unter dem neuen Präsidenten zu Stande kommt. Eng land muß dann durch dir Union, was Canada angeht, in Schach gehalten werden, durch Rußland, was Indien anlangt. Und so Englands schädliche Politik lahm zu legen, dazu kann Deutsch land durch starke Hinneigung zu Rußland nicht wenig beitragen. Bedenkt man, daß im Jahre 1892 der deutsch-österreichische Handelsvertrag für die weiteren gewissermaßen vorbildlich wurde, daß Aehnliches sich auch 1903 wiederholen wird, so muß man wünschen, daß der künftige deutsch-russische Vertrag hier das Muster wird, schon deshalb, weil durch di« Hilft des Zollbeivaths der bisherige den deutschen Interessen besser entspricht, als der deutsch- österreichische. Sehen wir unS z. B. die Entwickelung des Exports in unserer Maschinen-Jndustrie an, so betrug die Ausfuhr von 1891 1898 Mill. Mark Mill. Mark. Lokomotiven 6,2 9,9 Gußeisenmaschinen.... 42,2 87,0 Schmivdeeisemnaschinen . . 8,6 22,6 Nähmaschinen ..... 6,4 16,3 Im Durchschnitt der Jahre 1892 bis 1898 betrugen die Ausfuhrziffern dieser Maschinen 9 bezw. 60 bezw. 13,2 bezw. 10 Mill. Mark. Der Versandt nach Rußland stieg bei den Loko motiven und Locomobilen von 1891 bis 1898 von 0,2 auf 0,7 Mill. Mark (im Durchschnitt 1892 bis 1898 3,6 Mill. Mark), bei den Gußeisenmaschinen von 6,2 auf 22,6 Mill. Mark (im Durchschnitt 1892 bis 189813,6 Mill. Mark), bei den Schmiede eisenmaschinen von 1,6 aus 6,6 Mill. Mark (im Durchschnitt 1892 bis 1898 2,7 Mill. Mark), bei den Nähmaschinen von 0,6 aus 3,3 Mill. Mark (im Durchschnitt 1892 bis 1898 1,7 Nkill. Mark). Nach Oesterreich betrüg der deutsche Versandt an: 1891 Mill. Mark 1898 Mill. Mark Loco-motiven, Locomobilen . 0,5 0,8 Gußeisenmaschimn . . . . 8,1 11,9 Schmiedeeisemnofchintn . . 0,9 2,1 Nähmaschinen .... . 0,3 1,1 Auch hier sonach ein« stattliche Steigerung, aber nicht an nähernd derart, wie bei Rußland, und wie Rußland weiter Ab nehmer deutscher Maschinen zu sein verspricht. Wir betonen dann noch, daß der deutsche Export 1897 verglichen mit 1891 zugenommrn hat nach England um 6,6 Mill. Mark, nach den Vereinigten Staaten um 40 Mill. Mark, nach Oesterreich-Ungarn um 97 Mill. Mark und nach Rußland um 110 Mill. Mark, um die Vortheil« auszuzählrn, welche wir von einem „Los von Eng land" in handelspolitischer Beziehung gewinnen können. Dir augenblicklichen vereinzelten Aeutzerungen der englischen Presse über dir sympathische Aufnahme der Bülow'schen Rede im Reichstag können nur wenig nachdenkende Gemächer darüber hinwegtrösten, daß sie einem Backenstreichekn gleichen, nachdem dem Gegner «in starker Schlag versetzt wurde, unter Ver- sicherungsbezeugungru, daß ihm ja eigentlich nichts geschehen sei. Deutsches Reich. ^Berlin, 18. April. (Eine neue Erklärung des Pro fessors Schell. Professor Schell veröffentlicht jetzt in den in München erscheinenden „Hochschul-Nachrichten" die bereits an gekündigte Erklärung, die auf ibn ein bezeichnendes, leider keineswegs günstiges Licht fallen läßt. Denn eS geht auS ihr hervor, daß dieser katholische Bekämpfer deS ZefuitismuS ebenso wie die theologische Facultät in Würzburg und der Würzburger Bischof über ein verblüffend beträchtliches Maß jesuitischer Dialektik verfügt. Professor Schell schreibt: „ .... Es wurd« seitens der theologischen Facultät von Würz burg ausdrücklich festgestellt, daß die gesorderte G«bocsau<«erllüru:ig ein LoyalitätSact und eine Kundgabe kirchlicher Gesetzlichkeit sei, aber weder unmittelbar noch mittelbar die Preisgabe ei« er Wissenschaf tlichenUeberzeugung oder ei neu Wider ruf in sich enthalte... Aus Grund dieser Klarstellung und deren Annahme selten- des Bischofs von Würzburg lag für mich kein Conflict zwischen Wahrhaftigkeit und Kirchlichkeit mehr vor, und ich konnte die al- nothwendig gesorderte GehorsamkeitSerkläruug abgeben." " Erinnert man sich, daß die Congregation des Index vier Bücher Schell'S, nämlich die „Dogmatik", „Die göttliche Wahrheit des CbristenthumS", „Der KatholiciSmuS als Princip des Fortschritts", „Die neue Zeit und der alte Glaube", auf den Index gesetzt hat, so begreift man nicht, wie Schell der Congregation sich hat unterwerfen können, ohne unmittelbar oder mittelbar wissenschaftliche Ueber- reugungen preiszugeben. Nach unwidersprochen gebliebenen Meldungen haben die Würzburger Tbeologiestudirenden die verbotenen Bücher berauSgeben müssen und liefert der Verleger der Schell'schen „Dogmatik" dieses Werk nur noch an Nicht-Katholiken. Fährt nun Prof. Schell selbst, wie seine neueste Erklärung vermuthen lassen könnte, unbekümmert fort, seine wissenschaftliche Ueberzeugung auf Katheder und Kanzel im Sinne seiner verbotenen Bücher kundzuthun? Wäre das der Fall, dann hätte die Unter werfung Schell's unter das Decret der Congregation „mit allem Gehorsam und aller Ehrfurcht" gar keine Bedeutung. Damit aber verstieße Schell gegen den Absatz 2 der soeben bekannt gewordenen Ansprache der bayerischen Bischöfe — also auch des Bischofs von Würzburg — an den bayerischen Klerus: „Alle wahrhaft guten Katholiken, umsomehr alle Priester, müssen den Entscheidungen der Kirche vollen und innerlichen Gehorsam leisten". Daß Schell dieseu Gehorsam leistet, geht auS dem sonstigen Inhalt seiner neuen Erklärung klar genug hervor. Schell schreibt weiter: „Daß bei einrm katholischen Theologen die Uebereinstimmung mit der unfehlbaren Glaubenslehre die Voraussetzung seiner Wirk» samkeit ist, darf wohl als selbstverständlich gelten. Die Maßnahmen der Index-Congregation können indeß nicht als Kundgebungen deS unfehlbaren kirchlichen Lehramtes gelten weil als leitende Gesichtspunkte für das Verbot von Büchern und Sätzen nicht nur die kirchliche Correctheit, Richtigkeit oder Unrichtig- keit gelten, sondern fast noch öfter die Rücksicht der Opportunität, wie Anstößigkeit für fromme Ohren, Verwegenheit, Bedenklichkeit: kurz jene Wirkungen, welche neue Auffassungen fast naturnothweudig für gewisse konservative Kreise haben. Daß ein katholischer Theologe nichtsdestoweniger die Maßnahmen der kirch lichen Behörden in ernster Weis« brachten wird, ergiebt sich aus der Pflicht gewissenhafter Wahrhaftigkeit, welche Allem, wa- irgend ein Recht aus Würdigung hat, dieselbe in dem gebührenden Maße zu Theil werden läßt." Die Congregation des Index würde drn Katholiken ein Gegenstand des Spottes werden, wenn die geistlichen Autoren von ihr verbotener Bücher wohl formell sich unterwerfen müßten (bei Strafe der Suspension, der Amtsentsetzung und der Excommunication), thatsächlich aber von ihren wissen schaftlichen Ueberzeugunge» weder unmittelbar noch mittelbar etwa- preiszugeben brauchten. Was bleibt also von den großen Worten der neuesten Erklärung Professor Schell'» übrig? Nichts weiter, als daß mit der Unterwerfung unter das Decret ver Index-Congregation ein förmlicher Widerruf nicht verbunden ist! Daß Professor Schell in holder Eintracht mit der Würzburger theologischen Facultät und dem Bischof von Würzburg auf diesen wesenlosen Schein öffentlich sich beruft, kennzeichnet ihn und in ihm die „katholische Wissenschaft". /S. Berlin, 18. April. (Zur Einführung der Prügelstrafe.) Eine Versammlung in Breslau hat letzhin in der Frage der Prügelstrafe eine Anschauung vertreten, die man als «in Kompromiß zwischen den 'inb-dingtcn Anhängern und den unbedingten Gegnern der Prügelstrafe ansehen kann. Ein praktischer Jurist, Staats anwaltschaftsrath Keil, hielt einen Vortrag über die körperliche Züchtigung und sagte dabei, daß bei Erwachsenen die Prügelstrafe ein« Reihe von Nachtheilen habe, daß aber bei jugendlichen Verbrechern die Frage ganz anders stehe. Hier könne man nicht von einer Vernichtung des Ehrgefühls sprechen, denn ein Knabe werde auch von seinem Vater, seinem Lehrer, und nach vollendeter Schulzeit von seinem Lehrherrn gezüchtigt. Diese Scheidung zwischen erwachsenen und jugendlichen Verbrechern ist eine voMommen richtige. Bei dem erwachsenen Verbrecher wirkt die Prügelstrafe leicht verrohend, sowohl auf denjenigen, der die Schläge empfängt, wie auf denjenigen, der sie verabreicht. Daß aber ein Knabe körperlich von Denen gezüchtigt wird, die eine Autorität für ihn sind, ist noch von keiner Seite beanstandet worden. Warum sollte man nun nicht auch das auf «ine Strafe er kennende Gericht als eine ebensolche Autorität ansehen, wie den Schullehrer oder den Lshrherrn? Wer in der Praxis gestanden hat, einerlei, ob als Richter, Staatsanwalt oder Vertheidiger, weiß, daß «ine zweckmäßige Bestrafung auf der Basis des be stehenden Gesetzes oft ganz unmöglich ist. Auf einen Ver weis kann nach 8 67 Nr. 4 nur „in besonders leichten Fällen" erkannt werden. EineAbänderung dieser Bestimmung empfiehl sich auch durchaus nicht, denn die sehr milde Strafe des Verweises, die kaum als «in Nebel angesehen wird, kann bei einer schweren Strafthat kaum als genügende Sühne erachtet werden. Auf Geldstrafe zu erkennen wäre sinnlos, denn diese Strafe wird nicht von dem Missethäter selbst, sondern von seinen Eltern ge tragen. Die UeberweisungzurZwangserziehung hat ohnehin ihre Bedenken und sie. wäre vollkommen unange bracht und eine ganz ungeheuerliche Härte in allen Fällen, in denen di« Strafthat keineswegs aus einem verwahrlosten und ver derbten Charakter, sondern aus einer raschen Wallung des Zorns oder aus Leichtsinn hervorgegangen ist. Bleibt also die G e - fängnißstrafe. Dies« ist zwar nach 8 67 Nr. 6 „in beson deren, zur Verbüßung von Strafen jugendlicher Personen be stimmten Anstalten oder Räumen zu vollziehen", aber diese Vor kehrung 'hat nichts daran ändern können, daß jugendliche Ver brecher durch die Gefängnißstrafe nicht gebessert, sondern in ihrem Charakter verschlechtert werden. Nur mit Mderstreben erkennt deshalb der Richter auf Gefängnißstrafe und er würde es als eine Entlastung seines Gemiiths betrachten, wenn er in geeigneten Fällen, z. B. bei Körperverletzungen, Sachbeschädigung, leichtem Diebstahl u. f. w. auf Prügelstrafe erkennen könnte. Hat ein Junge aus einem Dorfe oder einer kleinen Stadt einmal im Ge- fängniß gesessen, so weiß es natürlich der ganze Ort; er wirv von seinen Altersgenossen verhöhnt und gemieden und dadurch zum Umgang« mit schlechten Elementen geradezu hingedrängt. Hat er aber vom Gerichte eine Prügelstrafe zudictirt erhalten, so braucht diese Thatsache nicht allgemein bekannt zu werden. Außerdem sehen ihn darum dieAltersgrnossen noch nicht als einen verächtlichen Menschen an, denn sie bekommen ja selbst von ihrem Vater oder ihrem -Lehrer Prügel. Selbstverständlich wird die Prügelstrafe im Sinne des „mäßigen Züchtigungsrechtes" der Eltern, Vormünder, Lehrer u. s. w. auszuüben sein, d. h. so, daß sie keinesfalls dauernde körperliche Nachtheilr im Gefolge haben kann. Dabei kann und soll sie natürlich auch noch immer so gründlich sein, daß sie als «in wirkliches Uebel empfunden wird. 6. II. Berlin, 18. April. (Die Lohnbewegung.) Die Lohnbewegung hat, wie augekimdrgt, nach Ostern eingesetzt, und wenn auch bis jetzt, abgesehen von dem Crefelder Weber streit und demjenigen der Schneider in Hamburg, Altona und Harburg, Arbeitseinstellungen großen Umfanges noch nicht zu verzeichnen sind, so ist doch die Thatsache bemerkenswerth, daß zur Zeit in mehr als 400 Orten die Arbeiter sich in Gährung be finden, d. h. entweder streiken oder in eine ernste Lohnbewegung eingetreten sind. Maurer st reiks zählen wir zur Zeit 18; ausgesperrt sind die Maurer in 3 Orten, Lohnbewegungen haben begonnen in 7 Orten (darunter Nürnberg), Sperren haben die Maurer in 9 Orten verhängt. Di« Zimmerer streiken in 9 Orten, in 3 Orten, darunter Braunschweig und Mainz, hat -die Lohnbewegung begonnen. Ganz gewaltig ist die Lohn bewegung bei den Tis chlern; die Dau- und di« Möbeltischler haben ihre Gewerkschaftsgenossen ersucht, den Zuzug nach 29 Orten, darunter Berlin, Bielefeld, Erfurt, Chemnitz, Wies baden, Fürth, Mannheim, ftrnguhalten. Die Former er suchen, den Zuzug nach 24 Orten zu unterlassen (darunter Kiel, Bielefeld, Dortmund, Essen, Halle, Berlin, Frankfurt a. M., Heilbronn). Es giebt kein Gewerbe, das nicht mindestens in 2 Orten in Deutschland in den Streik getreten ist oder einen solchen vorbereitet. Einen solchen Umfang dürfte die Streik bewegung in unserem Waterlande noch niemals angenommen haben. Zu ernster Besorgniß giobt das allerdings noch keinen Anlaß, sofern nur die Arbeitgeber ernstlich und geschlossen zu verstehen geben, daß sie sich maßlose Lohnforderungen nicht ab trotzen lassen. Vielleicht wird der demnächst zu erwartende Aus gang des Crefelder Streiks aus die von socialdemokratischen Agitatoren erhitzten Köpfe ernüchternd wirken; das Endresultat des Hamburger Hafenarbeiterstreiks hatte die Wirkung, daß mehrere Monate nach demselben alle geplanten Lohnbewegungen in unserem Vaterland« zum Stillstände kamen. Die Hamburger Schauerleute hätten vor einigen Wochen bei der Errichtung des Arbeitsnachweises der Stauer sicherlich nicht eingrschwenkt, 'wenn nicht di« Lehren des Haftnarberterstreiks zu bitter« gewesen wären. (-) Berlin, 18. April. (Telegramm.) Der Kaiser besuchte heute Morgen da- Atelier deS Bildhauers Professor- Schott, um dort ein für daS Schlachtfeld von St. Privat bestimmte- Denkmal zu besichtigen, und begab sich darauf nach dem Zeughaus zur Besichtigung der Fahnen und Standarten der ehemaligen deutschen Legion. Im Schlosse hörte der Kaiser sodann die Vorträge des Chefs deS Militär- cabinetS, des KriegSministerS und deS Chefs deS Adiniral- stabeö, Contre-AdmiralS Bendemann. Um 12*/r Uhr empfing der Kaiser den Frhrn. vonRrchenberg, Consul für Zanzibar, und den General der Infanterie z. D. von Seb eck, der seinen Wohnsitz nach Potsdam verlegt hat. Die Linder großer Männer. Don vr. Ernst WilmS. - MaLdniS verbot«». Große Söhne großer Väter sind in der Geschichte ein« seltene Erscheinung. Warum? Diese Frage hat, obwohl sie ein hohes psychologisches Interesse besitzt, bisher noch keine befriedigende Lösung erfahren. Wenn man an der Hand von Beispielen über dieselbe nachgrübrlt, so möchte man fast zu dem Resultate kom men, daß die Darwinsche Theorie von der Vererbung hier ver sagt. Und doch muß man sich auch wieder hüten, rin allzu schneller Urlheil zu fällen. Denn wir müssen mit dem nicht zu leugnenden Umstande rechnen, daß die Menschheit nur zu leicht geneigt ist, an die Söhne großer Väter weitergehend« Ansprüche zu stellen, al» an die Kinder gewöhnlicher Sterblichen. Der nor male Maßstab geht in ersterem Falle verloren, die Verdienste d«S VaterS werfen Ihren Schatten auf diejenigen deS Sohnes. So lann derselbe an sich ein recht tüchtiger, talentvoller Mensch sein, da er aber da» Unglück hatte, «inen durch Gaben auSgez«:chneten Vater zu besitz«», wie sie nur bei wenigen begnadeten Sterblichen vorhanden sind, so wird er un» immer im Vergleich zu seinem großen Vater unbedeutend und klein erscheinen. Wenn wir also gerecht sein wollen, so dürfen wir einerseits nicht vergessen, daß wir auch berühmte Künsilerfamrlien besitzen, in welchen eine bestimmte Begabung sich durch Generationen hindurch fortgeerbt hat, andererseit», daß un» nicht» berechtigt, ven für den großen Vater geltenden Maßstab auch an den Sohn anzulegen. Wir müssen letzteren vielmehr stets mit dem normalen Maße, da» für un» Alle gilt, messen, denn nicht» kann wohl natürlicher sein, als die Erscheinung des vereinzelten Auftretens des Genies. Würde sich dasselbe von Sproß zu Sproß verpflan zen, so würden wir bald eine ganz besondere Geistes- oder viel mehr Geniearistokratie haben, deren Existenz der gleichmäßigen Entwickelung txr Menschheit sicherlich nicht förderlich sein könnte. Vorläufig ist trotz der eingehenden Untersuchungen moderner Forscher — wir nennen nur Lombroso! — das Wesen deS Genies noch zu wenig ermittelt, als daß wir uns zu einer auch nur hypothetischen Lösung der aufgeworfenen Frage entschließen möchten. Gewinnt solche doch sofort «in anderes Bild, wenn wir die umgekehrte Maxime befolgen und statt zwischen großen Männern und ihren Kindern einen Vergleich zwischen ersteren und ihren Eltern ziehen. Wir treffen dann in sehr vielen, viel leicht in den meisten Fällen auf, wenn auch nicht genial«, so doch in vieler Hinsicht intelligente Personen, in welchen häufig ver wandte Eigenschaften und Neigungen, w«nn auch in unvolMom- mener oder doch unvollkommenerer Entwickelung, schlummern. Schiller's Vater z. B. vererbte seinem Sohne nicht nur di« rastlose Energie und den gewaltigen Ehrgeiz, sondern er besaß auch selbst ein nicht zu unterschätzendes schriftstellerisches und poetisches Talent. Wir wissen, daß er mehrere Bände über Baumzucht und Landwirtschaft schrieb, und rin von ihm noch erhaltene» Gedicht, ein Morgengobet, zeugt von hohem poetischen Empfinden und einer gewandten Behandlung der metrischen Form. Noch weniger kann Goethe den erblichen Einfluß der elterlichen Charaktere verleugnen. Die „Frohnatur und Lust zu fabuliren" erhielt er von der Mutter, „die Statur und de« Leben» ernstes Führen" vom Vater. Im Vater Rousseau'S begegnen wir einer ganzen Reihe derjenigen Züge, welche den Charakter de» Sohnes zusam mensetzen, nur der Grad ihrer Entwickelung ist verschieden, vor Allem sind hier die krankhafte Unstetheit und Sentimentalität zu nennen. Auch die Mutter war eine Frau von Geist uno Talent, sie zeichnete, sang, musicirte und machte häbsche Verse. Wir könnten diese Beispiele nach Belieben vermehren, glauben aber für unseren Zweck genug gesagt zu haben; die Frage der Erblichkeit, der Eigenschaften, Neigungen und Talente steht jeden falls nach alledem außer Zweifel, nur scheinen für die Entwicke lung de» Genies noch besondere Momente in Betracht zu kommen, welche sich bisher unserer Kenntniß entziehen. Rechtfertigt schon obige Ausführung die Behandlung unseres Themas, so kommt noch das natürliche Interesse hinzu, welches jeder Gebildete an den Kindern von ihm verehrten Geistes größen und Helden nimmt. Wie oft hören wir die Frage: „WaS ist denn eigentlich aus Schiller's (oder Goethe'», Luther's u. s. w.) Kindern geworden? Existiren überhaupt noch Nach kommen von ihm oder ist die Familie erloschen?" Soweit es im Rahmen einer kurzen Skizze möglich ist, wollen wir darauf antworten. Um mit dem Lieblingsdichter der Deutschen zu beginnen, so ist bekannt^ daß er bei seinem am 9. Mai 1806 in Weimar erfolgten Tode 4 Kinder hinterließ: den elfjährigen Karl, den neunjährigen Ernst, die fünfjährige Karoline und die erst neun Monate alte Emilie. Sämmtliche Kinder erwuchsen zu äußerst tüchtigen und intelligenten Menschen, wenn auch des Vater dichterische» Grnie mit ihm selbst zu Grabe ging. Karl Schiller (geboren 1793) bekleidete den Posten eines württem- bergischen Oberförster» und den Rang eine» weimarischen Kammerherrn, er starb 1867 in Stuttgart im Alter von 64 Jahren. Der zweite Sohn, Ernst (1796 zu Jena geboren), erreichte nur da» Aller des Vater», sein Todesjahr war 1841, er nahm die Stellung eine» Appellationsgerichtsraths ein. Von den beiden Töchtern schied Karoline ebenfalls schon im Alter von 51 Jahren (geboren 1799 zu Jena, gestorben 1850 zu Würzburg) aus dem Leben; sie war dir Gattin de» sächsischen Bergraths Junot, nach dessen Ableben (er starb 1846) sie in Rudolstadt ein Erziehungsinstitut leitete. Emilie, die jüngst«, welche nie das Antlitz ihres berühmten Vater» geschaut und ihm doch äußerlich am ähnlichsten war, vermählte sich im 24. Lrben»- jahre (ihr Geburtstag war der 26. Juli 1804) mit dem Frei- Herrn Heinrich Adalbert von Gleichen«Rußwurm, den Schiller einst selbst aus d«r Taufe gehoben hatte. Sie pflegte in pietäi- vollstcr Weise das Andenken des von ihr hochverehrten Vaters; ihr Wohnsitz, Schloß Greifenstein in Franken, wurde durch sie nicht nur zur Versammkungsstätte von Künstlern und Gelehrten, sondern auch zum Ausgangspunkt des Schillercultus, und die hochbegabte Frau selbst schenkte der deutschen Literatur mehrere treffliche Bücher über das Verhältniß und Leben ihrer Eltern („Schiller und Lotte, 1866", „Charlotte von Schiller und ihre Freunde, 1860" u. s. w.), auch gab sie den Schillerkalender uno deS Dichters hinterlassene, bis dahin noch unveröffentlichte Frag mente und dramatischen Entwürfe heraus. Von allen Kindern Schiller's brachte sie ihr Lebensalter am höchsten, nämlich aus 68 Jahre (sie starb am 20. November 1872), wie auch durch ihre Familie der Name Schiller's noch allein, und zwar dadurch erhalten wird, daß immer «in männlicher Nachkomme derselben auf den Namen Schiller getauft wird. Der letzte männliche Sproß Schiller's war der Sohn seines Sohnes Karl, Friedrich Ludwig Ernst von Schiller, der am 8. Mai 1877 als öster reichischer Rittmeister zu Stuttgart starb. Ernst und Karoline hinterließen keine Nachkommen; Emilie dagegen einen Sohn, Heinrich Ludwig, geboren 1836, dessen 1865 geborener Sohn Heinrich Adelbert Konrad Karl Alexander Schiller von Geichen- Rußwurm gegenwärtig der Träger des Schiller'schen Namens ist. Goethe behielt von mehreren Kindern nur seinen erst geborenen Sohn August (geboren 1789 in Weimar), der sich 1817 mit der liebenswürdigen und geistvollen Ottilie von Pog wisch vermählte und zu des Vaters ungeheurem Schmerz be reits im Alter von 41 Jahren (1830) auf einer Reise durch Italien starb, wohin er sich zur Wiederherstellung seiner Ge sundheit begeben hatte. In Folge der gehässigen Ausstreuungen der Frau von Stein begegnet man noch jetzt öfters der Ansicht, al» sei Goethe'S Sohn ein aller Fähigkeiten entbehrender Mensch gewesen. Nichts kann irriger sein. Heinrich Voß, der mehr jährige Hausfreund Goethe'» und Lehrer seines Sohnes, ver sichert wiederholt, daß der Knabe ihm viel Freude und oute
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