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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.04.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990422010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899042201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899042201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-04
- Tag1899-04-22
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Gröbere Schriften laut unserem Pktis- verzeichnib- Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. 0rt»a«Beilagen (gefalzt), nur mit dkl Morgen - AuSaab», ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbrsörderung 70.—. Druck und Verlag von L. Pol- in Leipzig Äonahmeschlnß für Anzeigen: Ab end-Au«gabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag« 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je eine halbe Stunde fruher. Anzeigen sind stet« an di« Expedition zu richten. M. Sonnabend den 22. April 1899. 93. Jahrgang. Organisation und Coalition. Unter den mancherlei Schlagwörtern, welche auf dem Ge biete der socialen Frage im Schwange gehen, steht das Wort „Organisation" in erster Reihe. Zwei Reichstage, der von 1898 und der von 1899, haben sich, jedesmal fast zwei Sihungen hin durch, mit der Feststellung dieses Begriffes und mit dem Für und Wider der „Organisation" der Arbeiter beschäftigt, ohne daß man gleichwohl behaupten könnte, es sei dadurch eine größere Klarheit in diese Frage gekommen. Von der einen Seite verlangte man eine „obligatorische", „reichsgesetzliche", „staatlich anerkannte" Organisation der Be rufsvereine oder Gewerkschaften; man behauptete sogar, ohne eine solche sei das Coalitionsrecht keine Wahrheit, sondern nur Schein. Von der anderen Seite hält man die Freiheit des einzelnen Ar beiters für gefährdet durch die Organisation, denn diese, wird ge sagt, „ende stets in der Socialdemvkratie". Was ist davon das Richtige? Wie verhalten sich „Organisa tion" und „Coalition" zu einander? Feder Verein ist eine „Organisation", denn er faßt die einzel nen Mitglieder zu einer Einheit zusammen, unterstellt sie dem gemäß einer einheitlichen Leitung, mag diese durch einen nach dem Statut gewählten Vorstand oder Ausschuß, mag sie durch eine nach Mehrheiten beschließende Generalversammlung ausgeübt werden. Die Minderheit hat sich, wofern nicht etwa im Statut darüber etwas Abweichendes bestimmt ist oder durch eine laxere Fassung des Mehrheitsbeschlusses bestimmt wird (wie das jetzt in dem Streit der sächsischen Socialdemokraten wegen der Theil- nahme an den Landtagswahlen geschah), -dem zu unterwerfen. Dagegen kann sic und kann jedes einzelne Mitglied (bezw. unter gewissen Voraussetzungen, wie einer Kündigungsfrist u. s. w.) aus dem Vereine austreten. Dieses natürliche Recht der Minderheit, das wohl in allen politischen und sonstigen Vereinen geachtet wird, ist für die mit Corporationsrechten ausgestatteten oder „eingetragenen" Vereine ausdrücklich gewährleistet in § 39 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Hier aber beginnt schon der Streit um die Wirkungen der „Organisation". Die Wortführer der Socialdemokratie und Solche, die ihnen mehr oder weniger nahestehen, scheinen unter der „obligatorischen" oder „gesetzlichen" Organisation zu ver stehen (wenn sie es auch nicht direct aussprechen), daß durch eine solche Organisation eines Berufsvereins alle Mitglieder des Ver eins gezwungen seien, nicht blos an jeder von der Mehrheit be schlossenen Arbeitseinstellung Theil zu nehmen, sondern auch da bei so lange auszuharren, als die Mehrheit dies verlangt. Dem steht jedoch das Coalitionsgesetz von 1867 und der da mit gleichlautende § 152 der Gewerbeordnung entgegen, die zwar in Absatz 1 verordnen: „Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbe treibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrik arbeiter wegen Verabredungen und Vereinbarungen zum 'Behuse der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeits bedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, -werden aufgehoben." „Jedem Theilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Verab redungen frei und es findet aus letzteren weder Klage noch Einrede statt." DaS Coalitionsgesetz und die Gewerbeordnung wollten eben keinen Coalitionszwang, sondern nur eine Coali- t i o n s f r e ih e i t, d. h. für jeden einzelnen Arbeiter die Frei heit, sich einer Coalition anzuschließen oder nicht, dabei auszu harren oder nicht. Die Socialdemokraten berufen sich hiergegen auf die „Soli darität" aller Arbeiter. Gewiß wird das natürliche Gemein gefühl der Arbeiter und das gleiche Bedürfniß einer Verbesse rung ihrer Lage, wie sie durch die Coalition und eventuell durch eine gemeinsame Arbeitseinstellung erreicht werden soll, in der Regel alle Arbeiter eines Gewerbes zu einer solchen Gemein samkeit oder Solidarität des Handelns 'veranlassen. Allein im einzelnen Falle kann es doch Vorkommen, daß manche Arbeiter eines Gewerbes entweder die Lage ihrer Lohn- und Arbeitsverhältnisse nicht als so unbefriedigend ansehen, daß zu deren Verbesserung alsbald zu dem äußersten Mittel, dem Aus stande, gegriffen werden müßte, oder daß sie etnen solchen Aus stand unter den gegebenen Umständen für aussichtslos halten, für einen, der muthmaßlich nur große und fruchtlose ökonomische Opfer heischen, ja Roth und Elend über sie und ihre Familien bringen werde. Soll man diesen Arbeitern zumuthen, wider ihre Ueberzeugung und mit Gefahren für sich und die Ihren an einem Streike theilzunehmen, -den eine, vielleicht von gewissen Führern irregeleitete Mehrheit des Vereins ins Werk richten und ihnen aufdrängen will? Man vergesse nicht, daß erfahrungsmäßig von den zahlreichen Streiks der letzten Jahre nahezu zwei Drittel erfolglos gewesen sind, also den Streikenden nur Nachtherle ge bracht haben! Man -vergesse nicht, daß die Socialdemokratie, welche die meisten „Organisationen" beherrscht oder doch beein flußt, bei solchen Streiks viel weniger das Interesse der Arbeiter, als ihr eigenes Parteiinteresse im Auge zu haben Pflegt, daß sie bisweilen Streiks angestiftet oder ermuthigt hat, wo ein irgend wie dringendes Bedürfniß fehlte (wie bei dem Hamburger Hafen- arbeiterstrcik), blos um eine sogenannte „Kraftprobe" an zustellen, d. h. den Willen der Arbeiter den Unternehmern auf zudrängen! Insoweit also eine „gesetzliche" oder „anerkannte" Organisa tion nur zu dem Zwecke verlangt wird (wie das von socialdemo kratischer Seite geschieht), um die im Coalitionsgesetz und in der Gewerbeordnung gewährte Coalitionsfreiheit in einen Coali tionszwang zu verwandeln, kann einem solchen Verlangen un möglich nachgegeben werden. Denn das hieße, das Coalitions- gesctz von 1867 (welches, beiläufig bemerkt, unter dem damals noch vorherrschenden Einflüsse der Manchesterschule zu Stande gekommen ist), seines wahren Charakters, der im rechten Maß halten zwischen der Freiheit nach der einen und der anderen Seite hin besteht, entkleiden, ja es geradezu in sein Gegentheil ver kehren. Roch zwei andere Forderungen werden unter der Firma einer „Anerkennung des Organisationsrechts" erhoben, nämlich: 1) Aufhebung des Verbots der Verbindung der Vereine unter einander; 2) Zuertheilung des Corporationsrechtes an die Berufs vereine. Die erste dieser Forderungen erscheint als durchaus be rechtigt. Das fragliche Verbot ist im Königreich Sachsen und noch in anderen Bundesstaaten bereits aufge hoben, für Preußen ist diese Aufhebung vom Reichskanzler Fürsten Hohenlohe dem Reichstage versprochen worden. Das Verbot erging 1854 von dem wiederhcrgestellten alten Bundes tage und richtete sich damals gegen die politischen Vereine, welche in der stürmischen Zeit 1848/49 durch ihre Verzweigungen über das ganze Land eine Art von Nebenregierung gebildet hatten. Für die Berufsvereine liegt die Sache anders. Das Coalitions gesetz gewährt allen Arbeitern eines Gewerbes das Recht, sich be hufs Verbesserung ihrer Lohn- und Arbeits-Verhältnisse zu ver einigen und zu verabreden. Es beschränkt auch dieses Recht nicht auf die Arbeiter einer einzelnen Fabrik, sondern spricht ganz all gemein von „Arbeitern" bestimmter Gewerbszweige und von „Vereinigungen" solcher. Allerdings erhalten dadurch unter Um ständen die Koalitionen eine größere moralische, die Streiks eine größere materielle und ökonomische Gewalt. Allein die gleich« Möglichkeit, sich durch Vereinigungen zu verstärken, haben auch die Unternehmer, und sie können sogar leichter, als die Arbeiter, von derselben Gebrauch machen. Die Forderung wegen Ertheilung der Corporationsrechte an die Berufsvereine wäre an sich nicht nur unbedenklich, sondern auch wahlberechtigt, insofern die freiere Bewegung, welche da durch ein Verein erhält — in Bezug auf die Sammlung, Ver waltung und Verwendung eines Vereinsvermögrns, auf die Gründung gemeinnütziger Anstalten u. s. w. —, dem Wohl seiner Mitglieder zu Gute kommt. Nur Eines erscheint dabei bedenk lich. Ueber das Vermögen und die wohlthätigen Anstalten des Vereins haben die durch Statut eingesetzten Gewalten, der Vor stand und beziehungsweise die Vereinsversammlung, zu verfügen. Dieselben Faktoren sind es nun aber, welche den Eintritt des Vereins in eine Coalition und eventuell in einen Ausstand be schließen. Hier liegt die Gefahr nahe, daß diese Factoren eine Minderheit, welche sich ihren Beschlüssen nicht fügen will, dadurch ihrem Willen gefügig zu machen versuchen möchten, daß sie ihr im Weigerungsfälle die aus dem Vermögen und den damit unter haltenen Anstalten -des Vereins für seine Mitglieder fließenden Vortheile (z. B. die Betheiligung an Kranken-, Sterbe-, Spar kassen u. s. w.) entziehen. Dagegen müßte Fürsorge getroffen werden durch eine in das Corporationsstatut aufzunehmende, möglichst klare und präcise Clausel, welch« einen derartigen Zwang gegen die Minderheit wirksam ausschlösse. Die Worte in 8 152 „Es findet keine Klage oder Einrede daraus statt", genügen nicht dafür. In eben dieser Clausel müßte eine Trennung des Vereins-Vermögens von einem etwaigen „Streikfonds" und die gesonderte Verrechnung beider vorgesehen werden. Fasse ich die obigen Erörterungen über das rechte Vcr- hältniß zwischen Organisation und Coalition zusammen, so er- giebt sich mir folgendes Resultat: 1) Die im Coalitionsgesetz und in der Gewerbeordnung (8 152) den einzelnen Theilnchmern an einer Coakition gewähr leistete Freiheit, davon zurückzutreten, darf durch keinerlei „Or ganisation", auch keine „obligatorische", beschränkt werden. 2) Eine Verbindung verschiedener Berufsvereine mit einander steht mit dem Coalitionsgesetze nicht in Widerspruch. Dasselbe Recht der Vereinigung und der Bildung von Verbänden steht den Arbeitgebern zu. 3) Die Verleihung von Corporationsrechten an die Berufs vereine ist unbedenklich und als Vorbedingung der leichteren An- sammleung eines Vereins-Vermögens und der Gründung wohl- thätiger Anstalten nützlich; nur muß Fürsorge getroffen werden, daß die in die Hände eines Vorstandes oder einer Mehrheit ge gebene Verfügung über die Benutzung dieser Anstalten nicht etwa dazu mißbraucht werde, um auf die Mitglieder einen Zwang im Widerspruch mit dem Coalitionsgesetze zu üben. Karl Biedermann. Deutsches Reich. -8- Leipzig, 21. April. Aus Anlaß der Bildung des siebenten Civilsenates beim Reichsgericht sind vom Kaiser auf Vorschlag des BundesrathcS folgende Herren ernannt worden: Reichsgerichtsrath Matzmann zum Staatspräsidenten; Rcichsanwalt Schumann, Landgerichts präsident vr. vonSchwarze- Freiberg, Oberlandesgerichts rath vr. Tändler-Dresden, OberlandeSgerichtsrath Hof mann-Nürnberg, Oberlandesgevichtsrath vr. Hagens- Hamburg, Oberlandesgerichtsrath Schneider- Bamberg und Miltner, Rath im Ministerium der Justiz in München, zu Reichsgerichtsräthen; Hilfsarbeiter beim Reichsgericht Or. Nagel zum Reichsanwalt und OberlandeSgerichtsrath Treutlein-Mördes zum Hilfsarbeiter bei der Reichs anwaltschaft. Welchen Senaten die neuernannten Reichs- gerichtsräthe < zugeordnet werden, ist noch nicht bestimmt. X. Reichenbach i. B, 21. April. Nachdem hier b«i den Arbeitern der Textilbranche nach trüben Erfahrungen mit Streiks einige Jahre eine gewisse Ruhe geherrscht hatte, die wohl auch darin ihren Grund hatte, daß der Geschäftsgang meist ein schleppender war, taucht jetzt, obwohl keine goldenen Zeiten zurückgekchrt sind, die Nachricht auf, daß man hier und in den benachbarten Orten bei Nichterreichung gewisser Forderungen, die sich auf Lohnerhöhung, Verringerung der Arbeitszeit u. dgl. richten, eine Arbeitseinstellung zum 18. Mai d. I., einen Generalstreik, der die Textilbranche ganz Sachsens umfassen soll, plane. Es verlautet, daß man, um diesen Streik möglichst wirksam zu gestalten, auch die in ver wandten Betrüben, wie Färbereien, Appreturanstalten, sogar Maschinenfabriken, beschäftigten Arbeiter veranlassen wolle, in die Bewegung einzutretcn. Soweit man die jetzt herrschenden Verhältnisse beurtheilen kann, haben sich die an der Spitze einer solchen Unternehmung stehenden Agitatoren eine sehr ungünstige Zeil für ihre Pläne ausgesucht. Zunächst sollte dabei berück sichtigt werden, daß eine Anzahl von Firmen, welche frühere Abmachungen mit den Arbeitern nicht gebrochen und stets aus kömmliche Löhne gezahlt haben, zu Unrecht von einem solchen Vorgehen betroffen würden, und ferner, daß die Geschäftslage augenblicklich gar nicht dazu angethan ist, die Fabrikanten nach dieser Richtung einem Entgegenkommen geneigt zu machen; es könnte leicht der Fall eintreten, daß der Spieß umgedreht würde und daß die Fabrikanten mit in einen Streik einträten. Es würde dann wahrscheinlich eine große Anzahl von Arbeitern auch solch«, die arbeitswillig sind, und namentlich ält«r« Leute, ihre Stellungen verlieren, in vielen Familien die Noth ihren Einzug halten. Zunächst würde wahrscheinlich schon vor sein Streik den sogenannten Wochenlöhnern, die oft nur aus Rück sichten beschäftigt werden, gekündigt werden. ES ist deshalb wohl ein ernstes Wort der Mahnung an die arbeitenden Tlaffen am Platze, sich ganz energisch gegen diejenigen zu wehren, die Feiiillrton Die Hausapotheke. Lin heiteres Geschichtchen von Wilhelm Frerking. Nachdruck vnbotcn. Wenn Frau Dippelmann die Anschaffung irgend eines neuen hübschen Stuckes für die Zimmereinrichtung oder eines ihr prak tisch erscheinenden Geräthes für Küche oder Hauswirthschaft bei ihrem Mann nicht durchsetzen konnte, so Pflegte sie diesen Gegen stand bei der nächsten Gelegenheit dem Gatten als Angebinde zu Weihnachten oder zum Geburtstage zu verehren. Das ist eine sehr empfehlenswerthe Manier, die in konsequen ter Durchführung dem Dippelmann'schen Haushalte schon man chen ansehnlichen Inventar-Zuwachs eingetragen hat. So sind die Portieren zwischen der guten Stube und dem Eßzimmer ein Geburtstagsgeschenk, das -die liebrnde Gattin schon vor Jahren ihrem Eheherrn machte, der Servirtisch hat seinerzeit als Gabe für den Mann unter dem Weihnachtsbaume gestanden, und auf dieselbe Weise sind viele andere nützliche Jnventarstücke in den Besitz der Familie gekommen. Herr Dippelmann freute sich bei solchen Ueberraschungen natürlich immer ungeheuer, gab der auf des Hauses Zier be dachten besseren Hälfte einen herzlichen Dankeskuß und bezahlte ganz im Stillen die Rechnung, die ihm nach der üblichen -Frist von dem betreffenden Geschäfte über das Geschenk zugeschickt wurde. In der allerjüngsten Zeit hatte sich nun in der Dippelmann- schen Familie ein Mangel bemerkbar gemacht, der von der Haus frau mehr und mehr als drückender Uebelstand empfunden wurde. Es fehlte nämlich eine Hausapotheke. In den abgelaufenen 15 Jahren der Ehe hatte man unbegreif licher Weise ein solches Möbel gar nicht vermißt. Die Gläser, Büchsen, Schachteln und Tüten, worin der eiserne Bestand an Pfefferminzthee, Wurmkuchen, Choleratropfen und allen den übrigen zahlreichen Hausmitteln, die in einer mit Kindern geseg neten Familie immer zur Hand sein müssen, verwahrt wurden, hatten bisher an verschiedenen Stellen der Wohnung ihr Domizil, die Theetüten im Kllchenschranke, die Pulver- und Pillenschachteln im oberen AuSzuge des Nachtschränkchens, die Gläser und Fläsch chen auf dem Borte des Waschtisches. Zur Hand waren sie dort immer gewesen, und diese Ordnung der Dinge würde wohl auch für die Zukunft noch vollständig befriedigt haben, wenn nicht eines Tage» eine Freundin der Frau Dippelmann bei einem Damen- Kaffee eine Anwandlung von Migräne bekommen und diese gün stige Gelegenheit benutzt hätte, den versammelten Damen einen Einblick in ihre nagelneue und reizend eingerichtete Hausapotheke zu gewähren, der sie nun ein Migräne-Pulver zur Bekämpfung ihre« Leiden» entnahm. Die Migräne schwand sofort, so daß Frau Dippelmann i nachträglich allerhand Zweifel an -der Echtheit des Anfalles aufstiegen. Dafür aber empfand Frau Dippelmann seit dieser Stunde eine Sehnsucht nach dem Besitze eines ähnlichen Apothekenschränkchens, und diese Sehnsucht wuchs von Taz zu Tage. Schade nur, daß der Gatte so gar kein Verständniß für die Zweckmäßigkeit eines solchen Möbels besaß! Als sie ihm, anknüpfcnd an die Vorlesung einer sehr lehr reichen Auseinandersetzung aus „Klenke's Hauslexikon", zuerst mit dem Gedanken vertraut zu machen suchte, vertheidigte er zunächst hartnäckig die bisherige Gepflogenheit des Hauses und schlug dann vor, das eine der oberen Schränkchen im Buffet den Apothekerwaaren einzuräumen, wenn diese durchaus ganz unter sich bleiben sollten. Der Barbar! Als ob eine Hausfrau ihr Buffet zu der gleichen Zwecken hcrgeben würde! Vergeblich blieb es auch, daß Frau Dippelmann ihren lieben Kurt in den nächsten Wochen mit großer Beharrlichkeit vor die Schaufenster der Möbelmagazine führte und ihn dort durch den Anblick allerlei niedlicher Schränkchen zur Sinnesänderung zu verlocken suchte, und so griff sie denn schließlich zu ihrem alten, oft erprobten Tric: Herr Dippelmann bekam die Hausapotheke zum Geburtstage. Eigentlich hatte er diesmal Gardinen für die gute Stube erhalten sollen, aber damit hatte es zur Noth auch Zeit bis zum Weihnachsfeste. Anfangs hielt Herr Dippelmann in seiner Harmlosigkeit dar in der That sehr niedliche Möbel für einen Cigarrenschrank, und daher war seine Freude zunächst aufrichtiger als gewöhnlich. Als er aber probeweise ein Kistchen seiner Londres hineinstellen wollte, zeigte der Raum zu wenig Tiefe; und auf die Be merkung, daß man den Schrank wohl werde umtauschen können, erhielt er nun erst von der Gattin über den Zweck desselben di« rechte Aufklärung. Seine Stimmung wurde dadurch wesentlich gedämpft, wenn er sich das auch nicht merken ließ. Am nächsten Tage war «s da« erste Geschäft der Hausfrau, die neueHausapotheke einzuweihen. Natürlich gehörte sie ins Wohn zimmer, und weil dort sonst keine paffende Stelle an den Wänden verfügbar war, so mußte der Regulator seinen Platz, an dem er nun schon 15 Jahre der Familie gute und böse Stunden ge schlagen hatte, aufgeben und wurde an die Fensterseite gehängt. Freilich hatte er da eine sehr ungünstige Beleuchtung, man mußte immer ganz nahe herantreten, um das Zifferblatt erkennen zu können; dafür aber hing die Hausapotheke nun sehr wirkungsvoll über dem Servirtische. Die ganze Familie betheiligte sich am Einkramen deS Schränkchens. Alle alten, längst ausrangirten Medicamente wurden hervorgesucht, sogar das verstaubte Gläschen mit Jakobsöl, da» der Hausherr mal vor zehn Jahren zum Ein reiben der erkälteten Schulter benutzt hatte und dessen Inhalt jetzt zu einer zähen, braunen Kruste zusammengetrocknet war, und ebenso der defecte Jnhalirapparat, von dem der Instru mentenmacher schon im vorigen Winter erklärt hatte, -daß das absolut unbrauchbar gewordene Ding auch nicht wieder reparirt werden könne. Die Marubium-, Pfefferminz- und Brustthee- Tüten mußten natürlich auch heran, und so war das Schränkchen bald stattlich gefüllt. Trotz des vom Hausherrn erhobenen Ein wands, daß die Geier-Apotheke ja im Nachbarhause sei, man also jeden Augenblick alles Nothwendige erhalten könne, holte Max noch am selbigen Vormittage zur Completirung des Schrankinhaltes eine Rolle Heftpflaster, ein Packet Verband watte, einige Gazebinden und ein Fläschchen Carbolwasser, und schon am Nachmittage constatirte Frau Dippelmann beim Oeffnen der Hausapotheke mit Genugthuung, daß es darin schon gerade so röche, wie in einer richtigen Apotheke. Da sie sich bei dieser Gelegenheit dem nasalen Genüsse etwas lange hin gegeben hatte, so th«ilte sich der widerliche Geruch auch dem ganzen Zimmer mit, und man mußte gleich nachher eine Weile Fenster und Thüren aufsperren, wobei Herr Dippelmann sich einen Schnupfen zuzog. Zum Glück war Mentholin in der Hausapotheke vorhanden, und so wurde Herr Dippelmann der erste Patient seiner Frau, die sich von nun an mit wahrem Fanatismus der Heilkunst be mächtigte und stets nach neuen Opfern auf der Suche war. Die Ostertage selbst lieferten schon günstige Gelegenheit in Fülle. Bekanntlich hat der Reichthum an allerlei Gebäck und Zuckerwerk, -den diese Tage mit sich bringen, für Kinder und Erwachsene leicht Beschwerden zur Folge; diesmal aber war Mama Dippel mann mit ihren Marzipaneiern, mit dem schweren Osterkuchen und sogar mit gefüllten Chocoladensachen so freigebig, daß schon am Adcnd des ersten Festtages alle drei Kinder Veranlassung gaben, mit Magnesia und doppeltkohlensaurem Natron aus der Hausapotheke einen Feldzug gegen die deutlich bemerkbare Magen- verdcrbniß zu beginnen. Am andern Morgen nahm die Haus frau selbst ein Antipyrin-Pu'ver und rieth dem Gatten zum Gurgeln mit übermangansaurem Kali, da sie bei ihm eine Hals entzündung im Anzuge glaubte. Auch die Kinder mußten gurgeln, um der Ansteckung vorzubeugen. Als am dritten Feiertage Mathilde, die geschäftige Haus magd, beim Gläserspülen, dem diesmal -des Hausherrn schönes Specialglas mit dem Monogramm zum Opfer fiel, sich eine kleine Hautwunde au rechten Daumen zuzog, wurde auch sie sofort in Behandlung genommen. Zur Auswaschung mit Carbol wasser und einem Arnikaverbande waren alle Vorbedingungen vorhanden, und obwohl Mathilde mit aller Energie gegen ein solches Verfahren protestirte und erklärte, daß sie Arnikatinktur an Wunden durchaus nicht vertragen könne, setzte Frau Dippel mann ihren Willen durch, und acht Tage lief das Mädchen mit einem so umfangreichen Verbände an der Hand umher, daß von Hausarbeit gar keine Rede sein konnte. Dann zeigte sich — nach Mathilde's Ansicht in Folge der Tinctur — die kleine Wunde so bösartig, daß man zum Arzte schicken mußte, der kopf schüttelnd den Finger schnitt und die Sache in weiteren acht Tagen wieder glücklich in Ordnung brachte. Wenn diese Erfahrungen den Curireifer der Frau Dippel mann auch nicht gerade anfeuerten, so dauerte doch die Lust zum Quacksalbern noch eine geraume Zeit fort, Niemand war vor ihren Medikamenten sicher, und die Kinder ergriffen schon die Flucht, sobald sie die Mutter eine verdächtige Bewegung nach dem verhängnißvollen Arzneischränkchen machen sahen. Da ereignete sich bei einer „kalten" Abendgesellschaft im Dippelmann'schen Hause, daß der Hausherr einer seiner vielen Lieblingsspeisen — diesmal waren es in Gallert gekochte Ripp chen von jungem Wildschwein — reichlich viel Ehre angethan hatte; selbst das von Herrn Dippelmann sofort angewandte Hausmittel, nämlich ein nicht zu kleines Gläschen „Hennessy" mit drei Sternen, wollte dagegen nicht anschlagen. Das war nun etwas für die Hausfrau. Mit Begeisterung eilte sie an ihre geliebte Hausapotheke und kam mit einem Büchschen zurück, dessen Inhalt sie als Pepsin-Magnesia be zeichnete. Herr Dippelmann machte gute Miene zum bösen Spiele, sperrte gehorsam seinen Mund auf und bekam einen Kaffeelöffel voll des Pulvers auf die Zunge geschüttet und einen Schluck Wasser nachgegossen. Die Cur hatte eine unerwartete Wirkung. Wie wahnsinnig sprang Herr Dippelmann empor, lief räuspernd, hustend und pruftvnd im Zimmer umher und drohte, nachdem Athem und Redekraft nach und nach wiedergekehrt waren, mit sofortiger Andieluftsetzung der ganzen vermaledeiten Hausapotheke, wenn ihm von deren Inhalte noch einmal irgend etwas nahe gebracht würde. Selbstverständlich war Frau Dippelmann nicht wenig ge kränkt, und mit Recht. Seine besten Absichten so mißverstanden zu sehen, ist schmerzlich, und zudem wußte sie ganz gewiß, daß Herr Dippelmann sich irrte, wenn er das ihm kunstreich applicirtc wohllhätige Pulver für eine Mischung von Ziegelmchl und Torf streu erklärte. Es war Pepsin-Magnesia und nichts andere-, dabei blieb sie, bis der in der Gesellschaft anwesende Droguist Müller die Schachtel zur Hand nahm und deren Inhalt schnell als Zahn pulver feststellte. Diesem fachmännischen Urtheile gegenüber konnte Frau Dippelmann ihre Behauptung, daß sie noch niemals Zahnpulver in ihrer Hausapotheke aufbewahrt habe, nicht lange aufrecht er halten; kleinlaut mußte sie schließlich die Möglichkeit eines Ver sehens zugeben. Seitdem ist die wackere Dame in der Wahl ihrer Cur-Objecte sehr vorsichtig geworden, beschränkt ihren medicinischen Eifer fast ausschließlich auf die wehrlosen Kinder und hort eS ungern, wenn man, war im Kreise ihrer Bekanntschaft merkwürdig häufig ge schieht, von dem Nutzen der Hausapotheken im Allgemeinen und der sanitären Wirkung des Zahnpulvers al» innerliches Mittel im Besonderen spricht.
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