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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189904236
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990423
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990423
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-04
- Tag1899-04-23
- Monat1899-04
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.04.1899
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Lebensjahr und wurde doch mit der Feier dieses beglückenden Ereignisses die veS 25jährigen Regierungsjubiläums deS Monarchen verbunden, der durch die schlichte Größe treuer Pflichterfüllung den deutschen Fürsten zum Vorbilve geworden ist. Aber es war nicht das Zusammenfalle» zweier seltener Anlässe zur be- besonderen Prüfung und dankbaren Anerkennung der Verdienste eines gekrönten Hauptes allein, waS heute vor einem Jahre die überwältigende Mehrheit deS deutschen Volkes, seinen Kaiser an der Spitze, zu außergewöhnlichen Beweisen der Freude und der Verehrung hinriß; eS kam noch ein Anderes hinzu, da- einer der Leipziger Festredner in die Worte faßte: „König Albert ist hinsichtlich der Popularität und VolkSgunst der Nachfolger deS ersten Kaisers geworden." Daß eS so ist, ist im Laufe deS ganzen hinter unS liegenden Jahres überzeugend zu Tage getreten, so weit die deutsche Zunge klingt, und tritt zu Tage auS all den Vorbereitungen, die zu der heutigen Feier getroffen sind. Wann und wo nur Köniz Albert'S Name genannt wurde, geschah eö mit der gleichen innigen Liebe und Verehrung, mit dem gleichen un bedingten Vertrauen, die Kaiser Wilhelm I. sich erworben; und heute beherrscht, obwohl die besonderen Anlässe des Vor jahre» Wegfällen, dieselbe Stimmung, die damals so mach- ligen Ausdruck fand, die Gemüther diesseits und jenseits deS MaineS und heute wachen mit Ausnahme der Wehmuth alle jene Empfindungen wieder auf, die am 100. GebuxtStag de- großen Kaiser- sein Volk beseelten. Ja, König Albert ist hinsichtlich der Popularität und Volksgunst der Nachfolger des ersten Kaisers geworden. Und er mußte es werten. Vereinigt er doch in sich die größten und schönsten Eigenschaften, die Wilhelm I. ebenso wir seine Thaten zierten. Wenn ihm an seinen» Doppelfeste nachgerühmt wurde, er habe die Mahnung seines weisen VaterS: „Sei treu und beharrlich", alle Zeit, auch in Noth und Gefahr, beherzigt und befolgt; wenn man seine Größe in der Ruhe, sein sicheres Herrscherwalten ohne den leisesten Wunsch, mehr als irgend nothwendig an die Oeffentlichkeit zu treten, sein zur zweiten Natur gewordenes Streben, immer der erste Diener Les Staates zu sein, und seine besondere Gabe prie-, ohne besondere Kunst allen Bürgern deS Staates die Ehrfurcht vor der Majestät des KönigthumS immer zu erneuern und zu festigen: rief dieses Eharakterbild trotz seiner Treue nicht die Erinnerung an jene greise Heldengestalt wach, die am 9. März 1888 zur ewigen Ruhe eingegangcn war? Und mußten nicht diese Treue und Beharrlichkeit, diese Ruhe in der Größe, dieses stetige und zielbewußle Herrscherwalten, dieses stärke Pflichtbewußtsein bi» ins hohe Aller, diese Unermüdlichkeit im Sorgen für deS Reiches und des Lande- Wohl, dieses Zurückstellrn der eigenen Lieblingswünsche hinter die Bedürf nisse der Allgemeinheit und di« mit berechtigtem Selbstbewnßt- sein verbundene Schlichtheit und Bescheidenheit ihn zum Erben der Volksgunst und Popularität machen, die Kaiser Wilhelm I. genoß und genießen wird, so lange sein Bild lebendig vor der Seele de- deutschen Volkes steht? Vielleicht doch nicht, wenn ihn» Eines fehlte, was dem, dessen kostbarstes Erbe er, ohne eS zu erstreben, antrat, zu allem Ausgezählten noch zu eigen war und den Zauber er klärlich macht, der von ihm auSging, seitdem eS ihm vergönnt war, nach heißem Ringen und harten Kämpfen sein ganzes Wesen zu offenbaren. Noch auS den schon erlöschenden Augen deS mächtigen Kaisers leuchtete eS heraus, auS Tausende»» seiner Handlungen ging eö hervor, daß seine treue, unermüdlich« Sorge, feine Stetigkeit und sein Opferwille nicht nur dem Reiche und dessen Theilen galt, daß seine Schlichtheit und Bescheidenheit nicht nur auf die Einsicht in die Unvollkommen heit alle» Menschlichen sich gründete, sondern daß sein großes Herz von innigster allgemeiner Menschenliebe schwoll und auch den geringsten seiner Unterthanen umfaßte; daß er schlicht und bescheiden war auch deshalb, weil er im einfachen Manne des Volkes bei» Mitmenschen achtete und ehrte und sein königliches Ansehen nicht durch Herabdrückung deS bürgerlichen Selbstgefühles wahren und festigen mochte; daß er, wenn eS irr seiner Macht gestanden, jedes Leid gemildert, jede Thräne getrocknet, jeden Irrenden auf den rechten Weg geführt und die Freude jedes Glücklichen erhöht hätte. „Wenn der Kaiser das wüßte'." — mit diesen Worten sprach jeder, den eil» Druck belastete, von dem Niemand ihn befreien mochte, seine Einsicht in die edelste menschliche Eigenschaft des Trägers der deutschen Kaiserkrone auS, dessen Herrschergaben und Herrschertugenden erst durch die Verbindung mit dieser HerzenSgüle den Eigner zum ebenso verehrten, wie geliebten Vater seines Volkes machten. Und weil er auch in dieser Hinsicht das Ebenbild deS großen Kaisers ist, konnte und mußte König Albert der Nach folger deS Vielbeweinten hinsichtlich der Popularität und VolkSgunst werden. Und weil er das ist, sind di« Empfin dungen, die heute wie im Vorjahre Ausdruck suchen, so innig verwandt mit denen, die am 100. Geburtstage Wilhelm'S I. daS deutsche Volk beseelten; nur daß an die Stelle der Weh muth hohe Freude und inniger Dank an den Lenker der Welten dafür treten, daß Sachsens König noch in un geminderter Frische des Geistes, Wärme deS Herzen- und physischer Kraft seines hohen Amtes im Rathe der deutschen Fürsten und als Lenker der Geschicke des Sachsenvolkes waltet. Mehr als irgend etwas verbürgen daS Gewicht seines Ein flüsse- im Reiche und die Verbindung seiner Herrschergabea und -Tugenden mit seiner edelsten menschlichen Eigenschaft die Abwendung von Gefahren für da« Reich, die Einzel staaten und ihre Bürger, wie den Gang einer inneren Reichspolitik, die jede vermeidbare Benachtheiligung einzelner Classen und Schichten zu Gunsten Anderer ausschließt. Ist sich dessen da» ganze deutsch« Volk bewußt, so weiß eS am besten da« treue Sachsenvolk, da« seine« König« Ver dienste um Kaiser und Reich und seine Herrschertugenden mindestens ebenso zu schätzen weiß, wie jeder andere deutsche VolkSstamm, seine HerzenSeigenschaften aber selbstverständlich noch genauer kennt. Deshalb gesellt sich auch bei unS der dankbaren Verehrung und der innigen Liebe noch der Stolz auf das Oberhaupt des Staates, der in der Reihe der deutschen Staaten erst die dritte Stelle einnimmt und dessen Herrscher trotzdem in» großen deutschen Vaterland« mit Recht als der Erbe Kaiser Wilhelm'S I. an Popularität und Volks gunst gilt und gefeiert wird. Und deshalb dringt heute auch beißer als ans Deutschlands anderen Gauen au- allen Theilen Sachsenö der Wunsch zum Himmel, daß er noch lang« zu des Reiches und seine- sächsischen Volke« Wohl, zur Stärkung der Zuversicht auf eine gedeihliche Weiterentwickelung des ganzen deutschen Volke- schirmen und erhalten möge drn Stolz der Sachsen, ihren König Alberti Äus der Woche. Ob er Erfolg haben wird oder nicht, jedenfalls gereicht eS Professor Ludwig Aegidi zum Verdienst, daß er der demnächst zusammentretenden FriedenScvnferEttz eine Reform des Seekrieg-recht« mit dem Ziele „Frei Schiff unter FeindeSflagge" als erste, wenn nicht einzige da»kd»re Aufgabe empfoblen hat. Von diesem Vorschläge darf gesagt werden: Man sieht doch, „wo und wie", und seine Annahme könnte der FrievenSconferenz einen Platz in der Enltar- geschichte sichern, während sie wohl nur unter die Eurivsa ein gereiht werden würoe, wenn sie, wie e« jetzt in Aussicht gestellt wird, die Einsetzung eines Schiedsgerichts für internationale Streitigkeiten al« Hauptaufgabe verfolgte. Freilich, nur die Anrufung de« Schiedsgerichts ist obli gatorisch gedacht, nicht die Unterwerfung unter seinen Spruch. Wie aber, wenn ein zur Friedensstörung entschlossener, aber noch nicvt hinlänglich vorbereiteter Staat «men easus belli schaffte oder das zum Gegner auserkorene Laad zwange, einen solchen zu schaffen, und die Zeit, die da» Schiedsgericht zur Untersuchung und Entscheidung zu benöthigen glaubt, zur Herstellung der KriegSbereilSschaft benützte? Jedenfalls müßte ein Vertrag, der ein solche- Schiedsgericht eiasetzte, Vorschriften für die Dauer der Thätigkeit de« Gerichts in einem Streitfälle geben und zu diesem Behuse den Begriff der „Mobilisirung" festlegen. Im anderen Falle würde da« Gericht bäufig ein Werkzeug der Diplomatie de- kriegs lustigen StaaieS werden können und die vernunftgemäße Fest legung jenes Begriffs wäre ein Beginnen, da« schon an der Verschiedenheit der DiSlocation der Truppen in FriedenSzeitrn scheitern müßte. Fenilletsn. Der Freund. Novelleite von Emma Merk (München). Nachdruck verboten. Nach den Osterferien war vr. Hans Tanner nach München gekommen und hatte an der Universität seine Vorlesungen als Privatdocent der Physik begonnen. Anfang Mai war er zum ersten Male bei dem Professor und Geheimrath v. Brückner ein geladen und zu Pfingsten mußte er sich schon eingestehen, daß er in dessen schöne, blonde Tochter „wahnsinnig" verliebt sei. Kein verrätherischer, sich toll geberdender Wahnsinn; nein, ein stiller, gedämpfter, heimlicher, der ihm seine Nachtruhe störte und den jungen Wissenschaftler, der bisher nie ein Gedicht vej^ krochen hatte, plötzlich in die Lyrik hineintrieb. Vor seinen sich läglich mehrenden Zuhörern fühlte er di« größte Sicherheit im Reden; in seinem Laboratorium, wenn er die überraschenden und räthselvollen Kräfte der Elektricität erforschte, entwickelte er eine Geistesgegenwart, eine Denkschärfe, eine Kühnheit, die ihn leider in einem Salon mit Damen, besonders vor den muthwilligen Augen der schönen Anita v. Brückner, vollständig im Stiche ließen. Sie war liebenswürdig gegen ihn; es schien ihr nicht zu mißfallen, wenn er bei den Gesellschaften, in denen er sie, trotz der vorgerückten Jahreszeit, noch zuweilen traf, zu ihrein Tischnachbar bestimmt wurde; sie plauderte recht niedlich und schien trotz seiner schwerfälligen Schweigsamkeit ganz amüsirt. Aber weiter kam er nicht. Einmal, als er gerade in eifriges Beobachten einer neuen interessanten Lichterschrinung vertieft war, wurde an seiner Thüre geklopft. „Was giebt es denn?" fragte er ärgerlich. Man sollte ihn doch nicht bei der Arbeit stören. Wie oft müßte er das denn noch sagen? „Weiß schon, weiß alles!" rief eine lustige Stimme vor der versperrten Thür. „Weiß, daß man nicht herein darf, und daß Du mich am liebsten elektrisch hinausbefördern möchtest. . . Du, das wär' übrigens eine neue nette Erfindung: eine Hinauswurf maschine. . . . Aebr ich kam halt doch! Weil ich es bin" — „Wilhelm! Du! Ja dann freilich! . . . Gleich! Gleich! Im Moment!" In freudiger Hast schob er den Riegel zurück, und mit warmer Begeisterung schüttelte er die ihm entgegengestreckten Hände. „Ja, wo kommst Du denn her? Das ist ja famos! Endlich einmal sieht man Dich wieder!" ' „Ja, gelt — drei Jahre ist es her! Jetzt komme ich auS der Schweiz, frisch vom Matterhorn; darum ist meine klassische Nase auch so vom Sonnenbrand verunziert. Aber wie geht's Dir denn, Alter? Wie «in Kind hab' ich mich darauf gefreut, Dich in Deiner Hexenküche zu überraschen!" Es waren rin paar feurige, lachende Augen, die aus dem hübschen, von Luft und Sonne gebräunten Gesicht hervorblihten, mit einer Lebenslust, einer Kraft, als müßten vor ihnen alle Schatten zerstieben, alle» "Grau sich klären. Hans fühlte sofort den Einfluß dieses prächtigen Naturells. Als er dann mit dem Freund bei einer Flasche Wein beisammen saß, da fiel plötzlich seine niederdrückend« Schüchternheit von ihm ab: ein heiteres Selbstbewußtsein durchströmt« ihn, und er konnte mit einem Riesenmuth an den Abend denken, an dem er Anita Wiedersehen sollte. Schämen mußte er sich ja vor dem flotten Gesellen, der ihn wohl wie einen Feigling auslachen würde, wenn er wüßte, wie lange er nun schon mit seinem Geständniß herumdrückte, wie albern er die schönsten Gelegenheiten verpaßte. „Du, HanS! Ich bleibe jetzt eine Weile hier, will München studiren. Du hast doch hoffentlich hier allerlei Beziehungen an geknüpft, kannst mich einführen. Nur bei netten Leuten natür lich. Man kann keine Mopserei vertragen, wenn man aus der vornehmsten Natur kommt und sich nur an seine eigene an genehme Gesellschaft gewöhnte." „Nun, die Zeit ist jetzt gerade nicht günstig. Die meisten Münchener find auf dem Land. Aber die Professoren müssen ja noch hier aushalten bis Anfang August. Bei Geheimrath von Brückner kann ich Dich z. B. gleich heute Abend einführen. Sie haben am Mittwoch ihren z'our." „Schön, gut! Machen wir! Sind da auch nette Damen?" Hans bückte sich, um den herabgefallenen Kork aufzuheben, mit dem er nun nervös spielte. „Gewiß, die Frau des Hauses, eine gute Erscheinung; zwei Tochter, eine ältere und ein Backfisch, und" — „Herrlich! Backfisch« liebe ich", unterbrach ihn Wilhelm lachend. „Den kleinen Mädchen kann man noch am leichtesten imponiren. So eine ältere Geheimrathstochter ist mir zu ge- scheidt und zu selbstbewußt." Hans lächelte verlegen. Sollte er dem Freund seine Ver liebtheit gestehen? Ihn anflehen: Du bist «in solcher Frauen kenner und Weltmann! Hilf mir, daß ich sie gewinne! . . . . Doch nein! Ein Frriwerber! Das machte sich schlecht. DaS war wirklich nicht mehr modern! Er fügte deshalb diplomatisch hinzu: „Nimm Dich nur des Backfischs an. Ein lieber, kleiner Fratz mit drolligen Einfällen." — Aber es kam anders. Wilhelm sah di« kleine Edith kaum, obwohl sie ihn mit neugierigen, großen Augen anstaunte; denn Wilhelm — im bürgerlichen Leben Assessor Wahlbrück — hatte ein paar sehr hübsche Novellen geschrieben und die Kleine fand eS entzückend, einmal einen lebendigen Dichter kennen zu lernen. Auch Anita war ungewöhnlich angeregt, gesprächig und lebhaft. HanS hatte sich noch nie so herrlich mit ihr unterhalten, und er sang im Stillen schon rin dankbares Loblied auf seinen Freund, der einen so frischen Luftzug mit herein brachte. Wilhelm widmete sich anfänglich ganz dem Geheimrath. Aber nach Tisch wurde muficirt. Anita sang das feurige Lied: Und als endlich die Stunde kam, Da vom Liebchen ich Abschied nahm. Wollt' mein Rößlein nicht weiter gehn Und es wiehert' und bäumt' sich." Nun schien Wilhelm erst ihre Schönheit zu bemerken. Er starrte sie an, hingerissen, glühend, fassungslos. Aber ihm ver sagte die Red« nicht, wenn ihn «ine tiefe Empfindung packte. Mit hinreißender Liebenswürdigkeit fand er den rechten Ausdruck für seine Bewunderung. Der arme Hans! Er mußt« nun all« die wechselnden Stim mungen des stürmisch verliebten Freundes mitdurchleben. Erst Wilhelm'S wilder Freiheitstrotz, in dem er sich gegen den mäch tigen Eindruck wehrte, die Ehe einen Unsinn nannte und hoch und heilig schwor: Er werde abreisen, heute noch! Morgen ganz sicher. Dann die allmähliche Wandlung: wie er immer elegischer, weicher, sanftmüthiger — mürber wurde, bis er eines Tages — als die geheimräthliche 'Familie die Stadt verlassen hatte und er von dem Lebewohl am Bahnhof zurückkam — die Hand des Freundes fast zerdrückte in wildem Ungestüm, mit dem Sehn suchtsschrei: „Ich kann nicht leben, wenn ich ihr süßes Gesicht nicht mehr sehe! Sie muß mein werden! Ich hab' das Mädel ja furchtbar lieb!" Von Berchtesgaden kam dann ein paar Wochen später die Verlobungs-Anzeige. . . . Hans hatte längst in Entsagung das Haupt gebeugt. Gleich das erste Mal, als sie nach jenem Lied vor Wilhelm's Gluth- blicken so heiß erröthete, sagte er sich wie zerschmettert: „Nun ist alles vorbei! Nun ist sie für Dich verloren!" Neben dem flotten, glänzenden Freund, neben diesem Pracht menschen, der ihm schon auf der Schule wie das Urbild eines siegreichen Helden, wie ein junger Achill erschienen war, und drn er in allen Qualen seiner Eifersucht immer noch liebt« und be wunderte, gab es für ihn nur ein stummes, wehmüthiges Ver zichten. Er litt, während Anita's Brautstand, während ihrer Hoch zeitsreise, wie nur die Einsamen leiden, die ihren Schmerz in sich verschließen und die befreiende Wohlthat des Vertrauens nicht kennen. Das junge Paar zog nach Würzburg. So ward es ihm leichter, ihnen aus dem Wege zu gehen. Allmählich fand er wieder Trost und Vergessenheit in seiner Arbeit und das Glück kam zu ihm, nicht in Gestalt eines Weibes, sondern als ein großer, wissenschaftlicher Erfolg, der den bisher unbekannten Privatdocenten zu einer Berühmtheit machte. Er erhielt einen Ruf nach Berlin und pchörte nun zu drn Persönlichkeiten, deren Namen einen Salon zieren. Seine Schüchternheit hatte er end lich abgestreift. * Ungefähr drei Jahre nach Anita's Verheirathung las er in der Zeitung eine Nachricht, die ihn auf das Tiefste erschütterte. — Wilhelm Wahlbrück war bei einer Besteigung der „Denk, bianoüs" verunglückt, mit seinem Führer in einen fünfhundert Meter tiefen Abgrund gestürzt. Ihm selber war's, als sei die Welt grau geworden, seit diese sonnigen Augen sich geschlossen hatten. Er konnte sich mit einem so heißen Mitleid in den Gemüthszustand der Frau ver setzen, di« diesen lieben, einzigen Menschen geliebt und.verloren, daß er nur mit Entsetzen an eine Begegnung mit der Unglück lichen dachte. Ja, er vermied auf seiner nächsten Sommer reise, München zu berühren, wo sie wieder im Hause ihre» Vater» lebte. Aber im darauffolgenden Frühjahre —- also nicht ganz zwei Jahre nach Wilhelm'» Tod wurde der sechzigste Geburtstag de- Geheimrathi von Brückner gefeiert und er sollte al» Dele- girter der Berliner Universität dem namhaften Gelehrten die Glückwünsche der norddeutschen Kollegen überbringen. Mit bangem Herzen betrat er das Haus. Die Geheim räthin war mittlerweile gestorben. Edith hatte sich verheirathet. Anita mußte wohl dir Mutter ersehen und dem Vater bei dem Empfang und der Bewirthung der Gäste bristehen. Wie schön 'sie noch immer war und wie leid sie ihm that unter den vielen Menschen, di« ihren brennenden Schmerz nicht aht.en konnten, die ein liebenswürdiges Lächeln von ihr forderten! Er hielt sich anfänglich in scheuer Entfernung, au» zarter Rücksicht, aus Schonung. Vor dem Freund« des Todten mußte es ihr wohl schwerer werden, ihre Fassung zu bewahren. Aber sie kam ihm herzlich mit warmem Willkommensgruß entgegen und zog ihn in den intimeren Kreis heran, der bei dem officiellen Diner an der Tafel des Geheimraths saß. Er war ja an gesell schaftliche Auszeichnungen gewöhnt; diese nahm er mehr von der Gemüthsseite auf. Vielleicht wollte sie gerade einen Menschen an der Seite haben, der ihre glücklich« und traurige Vergangen heit kannte, der einen Einblick in ihr schweres Herz haben konnte. Manchmal fürchtete er bei einem theilnahmsvollen Blick, den er auf sie richtete, es könnten Thränen in ihren schönen Augen auf steigen. Er hatte eine namenlose Angst, sie weinen sehen zu müssen. Ach, er fühlte ja — dann war's um seine Selbst beherrschung geschehen. In dem Mitleid, das er mit ihr em pfand, stieg di« alte Gluth wieder in ihm empor — «in« weh müthige, ernste, dunkle Flamm«. Nach dem großen Empfang fand eia« kleine Gesellschaft statt und er wurde herzlich gebet«», sich auch gemüthlich zur Thee- stunde «inzufinden. Anita war riesig liebenswürdig gegen ihn. Sie war geradezu kokett. Er konnte sich's bei all seiner Be scheidenheit nicht verhehlen: sie wollte ihm gefallen. Es wurde ihm heiß im Herzen, heiß im Kopf. Dieses Mal ging die An näherung nicht auf der Schneckenpost, wie «inst; nein, mit Schnellzugsgeschwindigkeit vorwärts. Ein einziges ernstes Wort noch! — Und das Wort schwebte förmlich in der Luft! — Bei dem nächsten kurzen Alleinsein! Wer weiß! — Vorläufig waren noch Gäste da. Man bat die junge Frau um ein Lied. Sie setzte sich bereitwillig an das Clavier. Hans erschrak, als sie die Tasten anschlug. Wahrhaftig! Diese alten, nie vergessenen Klänge, die für ihn einen unermeßlichen Schmerz, für sie unermeßliches Glück wachgezaubert hatten. „Und als endlich die Stunde kam. Da vom Liebchen ich Abschied nahm" — Sah sie denn die Gestalt nicht, die vor ihm emporstieg, so lachend und liebenswürdig, als wäre es nicht auszudenkrn, nicht zu glauben, daß all« diese überschäumende Lebenslust nun unter einem Grabhügel ruhte! Und kein Zittern in der glockenhellen Stimme! Kein feuchter Schimmer in den hellstrahlenden Augen! . . . Am nächsten Tage war beim Thee ein junger Oesterreicher anwesend, einer jener wüthenden Alpinisten, für die eS auf der ganzen Welt nichts Nennenswerthes giebt, als steile Berggipfel, die man genommen haben muß. Hans mußte an sich halten, um dem taktlosen Renommisten, der gleich von seinen Leistungen in der Schweiz und in den Dolomiten zu erzählen begann, nicht mit zorniger Heftigkeit Schweigen zu gebieten. Mit angstvoller Besorgniß richtet« er seinen «lick auf Anita. Aber sie lacht« ihn an, ganz seelrnvergnügt — erinnerungs los. Also kein Schmerz mehr in ihrem Herzen, keine Trauer, keine Lück«! Sein armer Freund so spurlos vergessen! . . . Das verzieh er ihr nicht. Er hätte ringen können mit einem geliebten Schatten an ihrer Seite. Di« Leere neben ihr machte ihn eiskalt. „Ich darf mich Ihnen empfehlen, gnädig« Frau", sagte er aufstehend. „Ich muß heute noch abreisen." Er sah erst den Ausdruck zorniger Enttäuschung, al» sie ihm die Hand reichte. Aber ihm graute nun vor ihrem schönen Gesicht.
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