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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189904236
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990423
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990423
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-04
- Tag1899-04-23
- Monat1899-04
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.04.1899
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«en virä ein , äer Lotrieds tt« ocksr »»cd lvräUedss Vor- Ur LrrellLuv^ iebtrrutbes ein Lrälicben Vor- > Zinsen seiner is desteksnäeu Irntdo üll Lio- cd ckis 2ivseo äis Rücllsxen zzerSToung uv n ein ^worti- mns äer L»du orxesedriedeve üoxevinv äer . ferner sivä ravLcbst äis suälied io äev moäsrttllotxi^- lmmluog. -escdükkjedres üoke LebLnol- mwluvx muss begtimmelläev der einer äer äis Statuten vveräen äiese oäestens rveei dlatt deülläeu dar>ntinaedul>L inet resp. er es oäer äured etiollsroitirUeä uristeo uoter- kts-6asse, dei äi»ruott neuer äie ^.usüdun^ ;r dötro6°euäe :ere destiwwt atd. Vorstaui ) als Sollens äe vsoewder »8SlV«. « 4 500 000.- , 325 — « 4 500 325 - relisN. >«i» ILIetn- näel unä rur wllitr uoä 3. LeilUk M ÄWW tMbktt mi> AWMr Nr. Mi, Eomillili, M. April 1!!W. Processe. Eia Proceß hat in der letzten Zeit große Aufmerksam keit in ganz Deutschland erregt, daS war der Proceß gegen die Frau Rosengart in Königsberg, der bekanntlich mit einem, Freispruch der der Anstiftung zum Morde ihres Ehemannes Angeklagten endete und der in seiner weiteren Folge nun auch ihre Verheirathung mit dem Referendar Wolf gezeitigt tat. In diesem Processe spielte sich ein Familiendrama ab, wie es glücklicher Weise selten vorkommt; die eigenen Ge schwister, die eigenen Kinder zeugten gegen die Angeklagte, und das Zünglein an der Waage schwankte manchmal bin und der, ehe eS den Bertheidizern gelang, eS auf die Seite der Unschuld zu neigen. Als der Proceß so weit vorgeschritten war, nahm auch das Publicum Partei, nickt nur das Publicum im Gerichtssaale, sondern das große Publicum, das aus den Zeitungen den Stand des Processes ersah, und wie erlöst athmete eS auf, als ihm der nächtliche Freispruch der Geschworenen mit den Morgenblättern servirt wurde. Das große Interesse, daS die Menge an den SensationS- vrocefsen nimmt, wird vielfach mit der Oberflächlichkeit der Menge, die sich um trockene Dinge nicht kümmert, er klärt, indessen diese Erklärung trifft nicht den Kern der Sacke. Abgesehen von dem Unterhaltungsbedürfniß, das Processe im reichsten Maße befriedigen, ist es ein gewisser Zug im Menschen, das Wahre zu ergründen und für die Unschuld rinzustehen, der die Antbeilnahme an solchen Vorgängen erklärt. Kein Wunder, daß diese Antbeil nahme fructisicirt wird, und so haben sich eine Anzahl Be richterstatter-Firmen gebildet, die in Deutschland umher reisen lassen und durch ihre Angestellten Berichte über alle möglichen Processe in die Presse bringen. Es liegt auf der Hand, daß nicht alle diese Berichte ein psychologisches oder rechtliches Interesse bieten, aber darauf kommt es auch gar nicht an. Stellt es sich heraus, daß der Proceß nicht im Geringsten den Erwartungen entspricht, so muß aus ihm mehr gemacht werden, als er ist, und cs wird den Redaktionen, die gar nicht in der Lage sind, die Wichtigkeit der sich tausend Kilometer entfernt abspielenden Processe zu prüfen, nunmehr ein mit sensationellem Aufputz versehener Vor bericht geliefert, der gewöhnlich Ausnahme findet. So war »S mit dem Proceß Egloffstein, der angeblich die Spielwuth und die Verworfenheit reicher Berliner Kreise enthüllen sollte und der schließlich in einen ganz gewöhnlichen Betrugsproceß auSging. Was daher der Inhalt nicht zu bieten vermag, daS muß die Form geben, und so wird immer weiter in Sensation gemacht. Kein Blatt kann sich einer wenn auch wesentlich gekürzten Berichterstattung entziehen, denn das Publicum hat das Recht zu verlangen, von dem was in der Welt vorgeht, schlechtem oder Gutem, unterrichet zu werden. Es ist nun leider eine Thatsache, daß oft der Grad der Sensation, der Aufregung mit der Menge des aufgewühlten Schmutzes, mit seiner Verdickung steigt und es nimmt daher nicht Wunder, daß auch die beiden jüngsten Processe, der gegen die Ehefrau Sei Werth in Köln und der gegen den Schneider Guthmann in Berlin, die weitgehendste Berück sichtigung der verschiedenen Berichterstatter-Compagnien fanden. Wird sind nicht weiter aus die Dinge im Speciellen ein gegangen, aber es ist doch nöthig, über beide Processe noch etwas zu sagen, weil sie einen Blick thun lassen in das dunkelste Leben, in das Leben, wo der Mensch nicht mehr Mensch ist, sondern sich dem Vieh gleich stellt. Der Proceß Seiwerth ist beendet. Der Seiwerth, ein Arbeiter in Köln, war ein Trunkenbold und litt es, daß seine Frau mit andern Männern Verhältnisse hatte. Die Frau, trank und elend, versammelte in ihrer Wohnstube am Tage und manchmal bei Nacht eine Menge Anbeter, um dabei den hp.rauszusuchen, den sie grade bevorzugte. Der Mann wußte da- und doch wurde er seinem College» Uhde, einem allgemein al-frischer, tüchtiger Arbeiter geschilderten Manne unbequem. Uh'ne und sein Freund Nolte icklugen eines Tages den Seiwerth beim Kartoffelstehlen tobt. Sie bequemten sich schließlich zu einem Geständniß und suchten die Frau, die der Anstiftung angeklagt war, nach Kräften zu entlasten. Das ist ja auch ge schehen, sie erhielt nur ein Iabr, Uhde fünfzehn, Nolte vier Jahre Zuchthaus. Die Zustänt'e, die in »jenem HauS- kalt geherrscht haben, spotten der tlleschreivung, aber was schlimmer ist, ist, daß sie wahrscheinlich nicht vereinzelt dastehen. AuS den Aussagen der Zeugen, die sich sehr knapp hielten, um nicht sich selbst zu belasten, geht hervor oder man kann eS wenigstens daraus lesen, daß eine Frciu Seiwerth nicht ver einzelt existirt und daß in den ärmeren Volksclassen, die so oft als rein und engelhaft den reicheren gegenüber gestellt werden, das Laster vor dem leeren Brodschrank nicht Halt macht, im Gegentheil erst recht seine Arme öffnet und in seiner größeren Oeffentlichkeit um so abstoßender wirkt. Das ist daS unendlich traurige, daß man den Fall verallgemeinern kann. Wir gehen an ein em Morast vorüber und wissen es nicht, oder nur wenige wissen es, und erst der Stich eines Dolches, der Schnitt eines Messers, der Hieb eines Schraubenschlüssels, macht unS auf den Abgrund neben uns aufmerksam. Der Schnitt eines Messers, er spielt e ine große Rolle in dem Proceß Guthmann, der jetzt ganz; Berlin und einen Tbeil Deutschlands, nämlich dort, wo man die Proceßberichte abdruckte, in Athem erhält. DaS Interesse, das dieser Proceß erweckt, ist sehr erklärlich. Der unbefangene Leser findet sich einer >zanz neuen Welt gegenüber. Von solchen Zuständen, von solchen wider natürlichen Lastern, von der Leibeigenschaft der Dirnen, hat wohl kaum Jemand, gehört. Bis jetzt galt daS als AmtS- geheimmß der Polizei und Erfahrung der Pvlizeiärzte. Die stinke und ausführlicke Berichterstattung macht dieseKenntniß zum Gemeingut aller Deutschen, der Männer, der Frauen, Mädchen und Kinder. ES ist schlimm, daß eS soweit ge kommen ist, schlimm, daß man die Stille und den Frieden seines HauseS, die Keuschheit der deutschen Frauen nicht mehr schützen kann, weil die gefräßige Presse in jedes Zimmer dringt, weil sie die Gifttropfen ihrer Berichterstattung in jedes Gemüth träufelt; und völlig todtschweigen darf sie auck die widerlichsten Fälle nicht, denn was da an daS Tageslicht kommt, sind eingewurzelte Schmarotzerpflanze»!, die man kennen muß, wenn man sie unschädlich machen will. Freilich dieser Proceß Guthmann vermittelt solche Kenntniß in der ausdringlichsten Weise. Das gesammte Berliner Prostitutionswesen mit seinem Zuhälterthum erscheint auf der Bildfläche, jeder zweite Zeuge ist bestraft oder erfreut sich der Aufmerksamkeit der Polizei, kurz eS ist eine höchst widerlicke Gesellschaft. Man hat lange nachgeforscht, wer der Mörder der Bertha Singer, die man am 5. Juni mit durchschnittenem Halse in ihrer Stube fand, gewesen sei, bis man aus den Schneidergesellen Guthmann ver ¬ fiel, der schon oft Zuhälterdienste geleistet hat. Guthmann leugnet natürlich und behauptet, um die Zeit de» Mordes in Frankfurt an der Oder bei seinem Vater gearbeitet zu haben. Es bandelt sich nun darum, ob er am Montag nach Pfingsten am 5. Juni früh um 8 Uhr in Frankfurt war oder nicht. Kann er eS nachweisen, so ist sein Alibi bewiesen und die Polizei, die in dem ganzen Processe keine glückliche Hand gezeigt hat, hat einen falschen Mann verhaftet; kann er es nicht, so scheinen genug Zeugenaussagen vorhanden, um ihm einen Strick drehen zu können. Die Polizei, der es darum zu thun ist, einmal ihre frühere Schneide zu zeigen, sammelt Belastungsmaterial nach allen Richtungen und trotzdem scheint eS, als ob sie gerade gleich nach der That mancke Unterlassung begangen hätte. Vielleicht bietet sich Gelegenheit, nach den PlaidoyerS des Staatsanwalts und tcs Vertheidigers darauf zurückzukommen. DaS Alibi des Guthmann scheint zum Theil bewiesen, wenn man Len Zeugen »eicht ihre Unwahrhaftigkeit Nachweisen kann. Eine Frau erklärt bestimmt, daß er am 5. Juni in ihrer Rcstanration- Ikuchen gegessen habe, und ein Frauenzimmer giebt Nach richt über seinen Verbleib in der Nacht vom 4. zum 5». Juni. Die Belastungszeugen wiversprechen sich stark und gehen in der AgnoScirung der Personen sehr aus einander. Sei dem, wie ihm sei, das Interesse concentrirt sich nicht auf den Angeklagten, sondern auf das Beiwerk, auf die Zustände in Berlin, aus die Prostitution und das Zu hälterwesen, aus die Urksickerheit, die der Oeffentlickkeit er wächst, und aus das Eindringen des Lasters in die Familie. Die Reichstagsbolen können den Proceß aus nächster Nähe verfolgen, sie können auch sonst das Leben kennen lernen, wie cs sich ans der Straße und in den NachtcafsS abspielt; hoffentlich lernen sie erkennen, daß die Aenderung Les Nebels nur in seiner Casernirung gefunden werden kann. Kunst und Wissenschaft. Musik. „Mudarra." Große Oper in einem Prolog und vier Acten vonFernandLeBorne. Text von Tiercelm und L. Bonne- möre. Deutsche Uebersetzung von A. Brunnemann. Erstauffüh rung am königl. Opernhaus zu Berlin. Dienstag, den 18. April 1899. Wenn man schon, nachdem die Jungitaliener auf dem Spielplan der deutschen Opernbühnen endlich abgewirthschaftet zu haben scheinen, unseren Nachbarn jenseits der Vogesen durch Aufführung eines specifisch französischen Kunstwerks in der deut schen Reichshauptstadt eine Aufmerksamkeit erweisen wollte, s> hätte man sich doch wohl bester an die Schöpfung irgend eines in seiner Heimath schon erprobten Componisten, eines Mastenet, Saint-Saens, Bruneau, Vincent d'Jndy u. A. m., gehalten, als dem Erstlingswerk eines noch keineswegs bewährten Tondichters zu einem sehr zweifelhaften, höchstens als Höflichkeitsbeweis aus zulegenden Erfolge zu verhelfen. Wie das „Journal des Döbats" zu melden weiß, verdankt die Oper Le Borne's ihre Annahme durch die Berliner Intendanz nur einem Zufall, indem sich die Einsendung der Vartitur des Werkes durch den Componisten und der Wunsch des deutschen Kaisers, eine französische Oper auf der Hofbühne bargestellt zu sehen, gerade begegneten. Genug — „Mudarra" wurde zur Aufführung angenommen und in vor trefflicher Besetzung und geradezu glänzender Ausstattung und Jnscenirung zur Darstellung gebracht. Die Librettisten des Herrn Le Borne, die Herren Tiercelin und Bonnemsre, haben den Stoff zu ihrer Dichtung aus der heimischen Geschichte, dem um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in der Bretagne sich abspielenden Erbfolgestreit der Häuser Blois und Montfort entnommen, es indeß nicht verstanden, ihre Personen sympathisch zu gestalten und mit innerem Leben zu erfüllen. Der Titelheld Mudarra, ein maurischer Ritter, hat sich, übersättigt von den Reizen der Weiber des Orients, „wo die Sonne die Sinnen- gluth entfacht, wo die Frauen sich darbieten" (Prolog), dem französischen Gestade zugewändt, „wo das Herz erwacht, wenn die Sinne noch schweigen, wo die Frau, frei in ihrer Wahl, ge worben werden will". Unserem heidnischen Don Juan fliegen denn auch im Abendlande gar bald die Herzen aller Mädchen zu. Erst gewinnt er die Gunst einer hübschen Zigeunerin; doch auch sie ist ihm nichk das langersehnte Ideal des Weibes, das ein Traumbild im sonnenreichen Lande ihm vorgegaukelt. „Wohl sehn Alle ihr gleich, doch niemals ist es die Eine", so klagt er und verläßt seine Mikla, um flugs in Liebe zu der schönen Alienor, des Grafen von Penmarck Tochter und Angelobte des breto nischen Edelmannes Baron d'Avaugour, zu entbrennen. Daß er in dem zukünftigen Gatten Alienor's einen früheren Bekann ten, mit dem er «inst auf dem Felde der Ehre zusammengetroffen war, erkennt, hindert den maurischen Wüstling nicht daran, die Frau des Freundes, die ihm zwar Gegenliebe geschenkt, sich aber doch ihrer Pflichten dem Gemahl gegenüber zur rechten Zeit bewußt geworden, mit Gewalt zu entführen. In einer wilden Felsenschlucht sehen wir die beiden Liebenden vereint. Da er scheint sehr zur Unzeit als Rächer seiner Ehre der betrogene Ehe mann. In dem Streit, der alsbald zwischen den beiden Gegnern entbrennt, obsiegt Mudarra. Doch als er den tödtlichen Stoß gegen die Brust des Feindes führen will, befällt ihn plötzlich eine recht unwahrscheinliche Anwandlung von Großmuth; er schenkt seinem Gegner das Leben und wäre nun selbst von diesem zu Boden gestreckt worden, wenn nicht Mikla, die seinen Schritten gefolgt war, im kritischen Augenblicke seinem Bedränger ihren Dolch tief in den Rücken gebohrt hätte. Mudarra, dem jetzt die Wahl zwischen seinen beiden Geliebten offen steht, entscheidet sich indessen für keine, sondern giebt sich selbst den Tod in der richtigen Erkenntniß, daß keine seiner unseligen Leidenschaften von dauerndem Bestand sei: „Meine unselige Liebe blüht und welkt am selben Tag!" — Diese flüchtige Skizzirung des Textes wird zur Genüge klarlegen, daß es sich hier lediglich um die lose Vertiefung handelt. Dabei schreitet die Handlung nur äußerst Aneinanderkettung verschiedener Vorgänge ohne jeden drama tischen Grundgedanken, ohne einheitliches Band und psychologische langsam vorwärts. Endlose Reflexionen beeinträchtigen den Fluß derselben und 'sind auch eine gefährliche Klippe für den Componistcn geworden. Die meisten Charaktere erscheinen zudem mehr als unglaubwürdig. Welches Interesse vermag z. B. der rohe und freche Wollüstling Mudarra, welchen Antheil kann die wankelmüthige, haltlose Alienor bei dem Publicum wecken? Die einzige Figur der Dichtung, die sich als theatralisch wirksam, wenn auch durchaus nicht neu erweist, ist die Zigeunerin Mikla. Alle anderen Gestalten sind blutlose Schemen der Opernmachr und Theaterschablone. Das Auge freilich kommt dabei auf seine Kosten. An Scenerien und äußerem Prunk, wie Aufzügen, Märschen, Tänzen, Gelagen, Kirchgängen u. dergl., fehlt es nicht. Die Zeiten Mcyerbeer's scheinen wiedergekehrk zu sein, aber der Geschmack unseres Publicums ist, Gott sei Dank, doch so ge läutert, um den Schimmer bunten Flittergoldes nicht für echtes Metall zu wcrthen. Nach alledem erscheint es schwer begreif lich, daß Le Borne an der Composition gerade dieses Textes Ge fallen finden tonnte. Man pflegt ja allerdings heutzutage bei Mißerfolgen von Opernnovitätcn die Hauptschuld immer auf den unglücklichen Librettisten abzuwälzen. In diesem Falle mag sich aber der Componist getrost mit Jenem darein theilen. Ein Schüler Massenct's, besitzt er — rein äußerlich — sehr wohl die Vorzüge der modernen französischen CompositionSweise. Er in- strumentirt geschickt, wenn auch oft grell und sckreiend, malt die Gluth der Sinnlichkeit und die Raserei der Leidenschaft mit düsteren, brennenden Farben und zeigt sich in den vielfach ge- theilten, durchweg höchst undankbaren Ensemblesätzen als ge wandter Contrapunctiker. Diesen wenigen, fast zum Gemein gut aller componirenden Musiker unserer Tage gewordenen Vor zügen stellen sich aber 'Schattenseiten an dem inneren Gehalt des Le Borne'schen Werkes gegenüber, die ihm seine Lebensfähigkeit völlig rauben. Wie trübselig und mühsam schleicht bei ihm die Quelle der Erfindung daher! Welcher Mangel überall an schöpferischer Kraft, an thematischer Verarbeitung, welche Arm seligkeit an melodischem Reiz und musikalischer Charakteristik! Rastlos und unaufhaltsam fluthet daS Orchester dahin, während sich die Singstimmen in einem beständigen, wenig erfreulichen Arioso darüber hinbewegen. Nirgends ein Ruhepunct, kaum e i n Recitativ, eine Wüste der Oede und Langeweile, aus der nur wenige Ansätze zu lebendigem Aufschwung und ein Paar gute musikalische Einfälle, wie Mikla's Lied und die Traumscene Alienor's, gleich lieblichen Oasen hervorleuchien. Hätte Herr Le Borne seine zur Zeit noch bescheidenen Kräfte vorerst an einer leichteren Aufgabe versucht, so wäre Nachsicht am Platze gewesen. Dem werdenden Künstler gegenüber wird diese stets und gerne geübt. Er aber erschien auf dem Plane gleich als ein Fertiger mit einer „Großen Oper", die trotz ihrer dreieinhalbstiindigen Dauer, trotz ihres künstlich aufgebauschten Inhalts dennoch deut lich den Stempel musikalischer Dürre und dramatischer Hin fälligkeit trägt, und das an dem vornehmsten Operninstitui unse res Landes, welches sich den Werken der wahrhaft bedeutenden lebenden einheimischen Componisten, der Schillings, o'Albert, Urspruch u. A. —leider! — bisher fast immer verschloß. „Hier renn' er uns Nichts über'n'Haufen!" rufen wir ihm oa mit Sachs zu. Ob „sein Glück ihm anderswo erblüht", ist sehr zu be zweifeln. In „deutschen Landen" wäre dies nur zu bedauern, zu bedauern, wie der ganz außerordentliche Aufwand an Zeit, Geld und Mühe, den die Jnscenesetzung und das Studium des Werkes erforderten. Das königl. Opernhaus hat wahrlich an diesem Abend den aus Frankreich 'herbeigeeilten Anhängern des Componisten den Beweis geliefert, daß es über ungewöhnliche technische wie künstlerische Mittel verfügt. Die musikalische Lei tung führte Hofcapellmeister Richard Strauß, der seine ganze künstlerische Individualität in die Waagschale warf, um dem Werke zu dem ihm erreichbaren Erfolge zu verhelfen. Das Orchester bewältigte seine schwierige Aufgabe musterhaft. Die sehr umfangreichen Chorpartien der Oper, welche an die Sänger in Bezug auf Stimmführung und Rhythmik ganz unerhörte An forderungen stellen, gelangten klangschön und mit nirgends ver sagender Sicherheit zu Gehör. Die Titelrolle gab Herr Ernst Krausmit edlem Anstand und der nöthigen Dosis Leichtfertig keit und ungestümer Sinnlichkeit. Seinem herrlichen Organ, das er allerdings technisch noch nicht einwandfrei und zu seinem Besten zu verwerthen weiß, bot sich in der Bewältigung der Hoch liegenden Partie eine sehr dankbare Aufgabe. Ihm gebührt der Hauptantheil an dem Erfolge der Novität. Die sanfte Alienor stattete Fräulein D e st i n n, ein jüngeres, sehr talentvolles Mit glied der Berliner Hofoper, mit gewinnenden Zügen aus. Ihr Heller Sopran macht diese Künstlerin zu einer sehr schätzens- werthen Vertreterin jugendlicher Rollen, für die sie auch eine hohe, schlanke Erscheinung mitbringt. Eine höchst temperament volle, nach darstellerischer und gesanglicher Seite gleich bedeut same Leistung bot Fräulein R oth a u s e r als Zigeunerin Mikla. Carmen's Gluth und Mignon's Lieblichkeit sprachen aus dieser Gestalt. Den ritterlichen Baron d'Avaugour ver körperte Herr Bachmann vornehm und maßvoll, von seinem prächtigen Barytonorgan wirksam unterstützt. Die übrigen Mitwirkendcn, die Damen Pohl,Reinisch, Gradl und die Herren Mödlinger, Philipp, Berger und Alma fügten sich in ihren Rollen vortrefflich in das Ensemble. Bilder von selten gesehener Pracht bot die dekorative Einrichtung des Ober-Jespectors Brandt. Das fcenische Arrangement des Oberregiffeurs Herrn Tetz lass verdient nicht minderes Lob. Die theils sehr bedeutenden mimisch-choreographischen Aufgaben, welche der der Oper voraufgehende Prolog (Pantomime) ent hält, wurden von dem Corps de Ballet, an dessen Spitze die Damen dell' Era und Ilrbanska standen, mit viel Grazie und Anmuth ausgeführt. Das Kaiserpaar wohnte der Vor stellung bis zum Schluss« bei und applaudirte lebhaft. Der Componist erschien nach jedem Aufzuge, von mäßigem, mit un zweideutigen Kundgebungen des Mißfallens vermischtem Beifall empfangen. Im Publicum herrschte eine gezwungene Stim mung. Künstlerische Ansichten und Ueberzeugungen lassen sich eben nicht gewaltsam octroyiren. Der Kaiser verlieh dem Com ponisten für seine Verdienste den Kronenorden vierter Classe. Carlos Droste. * Das Concert im „Heim des Hausväter-Ver bandes" (Marienstraße 7, Tauchauer Straße 6) am Montag, den 24. d. M., verspricht hohe Kunstgenüsse, wofür auch schon die Namen der mitwirkenden bewährten Kräfte: Frl. Gertrud Fritzsch, Frl. Lotte Demuth, Herr Professor Julius Klengel, Herr Fritz v. Bose, und das ganz vorzüglich ge wählte Programm bürgen, und es ist deshalb auch sehr be greiflich, daß der größte Theil der zur Verfügung stehenden besseren Plätze schon vergeben ist, und es rathsam erscheint, sich noch rechtzeitig einen guten numerirten Sitz zu sichern, und zwar bei den bekannt gemachten Vorverkaufsftellen, da an der Abendkasse wohl schwerlich noch gute numerirke Plätze zu erhalten sein werden. Wir wollen noch erwähnen, daß Las Concert pünctlich um 8 Uhr Abends beginnt. * Die Matinöe im Kaufmännischen BereinShause, auf die wir wiederholt hingewiesen haben, findet heute Vormittag lltz Uhr statt. Mitwirkende sind Carl Sontag, Erika Wedekind, Georg Anthes und Ernst Wachter. Die Klavierbegleitung hat Herr Capellmeister Max v. Haaken aus Dresden freundlichst übernommen. * Die VShnenfestsptele in Bayreuth 18SS (22. Juli bis 20. August) bilden das Tbema der sechs Vorträge, die Herr vr. Arthur Prüfer, Docent an der Universität Leipzig, im hiesigen Kaufmänniscken Verein demnächst halten wird. DaS Programm dazu ist folgendermaßen festgestellt: 1. Vor trag (DienStag, den 25. April): Einleitung. Aestbetische Hin weise der Klassiker auf das Bayreuther Kunstwerk. 2. Vortrag (Freitag, den 28. April): Der Festspielgedanke bei Richard Wagner und Schicksale seiner Verwirklichung bis zur Grund- keinlegung des Festspielhauses in Bayreuth. Die ersten Festspiele von 1876 und 1882. 3. Vortrag (Donnerstag, den 4. Mai): Die Kunstanschauung Wagner'S und der Bayreuther Stil. 4. Vortrag (Montag, den 8. Mai): Der Ring des Nibelungen und Wagner'S Weltanschauung. 5. Vortrag (Freitag, den 12. Mai): Parsifal und der Culturgedanke der Regeneration. 6. Vortrag (Montag, den 15. Mai): Die Meistersinger von Nürnberg. Die Vorträge beginnen r/r9 Uhr Abends. Der Verkauf der Eintrittskarten ist aus dem heutigen Inserat ersichtlich. Bemerkt sei noch, daß der Ertrag dieser Vorträge für die zur Gewährung von Stipen dien zum Besuche der Festspiele begründete Richard Wagner- Stipendien-Stiftung in Bayreuth bestimmt ist. * Fran Rosa Tücher von der Berliner Hofoprr wird ihre große Gesangs- und Gestattungskunst, die sich am hervorragendsten in der Verkörperung Wagner'scher Frauengestalten bewährt hat, nun auch den jüngeren nachstrebenden Talenten zu Gute kommen lasten. Soeben hat sie sich entschlossen, vom 1. Oktober de- laufenden Jahres ab die Ausbildung der begabten und soweit vorgeschrittenen Opernschüler des ConservatoriumsKliudworth-Scharwenk» zu übernehmen. Das Conservatorium gewinnt in der gefeierten, unübertroffenen Künstlerin eine Kraft von größter Bedeutung. Selbst unter des Meisters persönlicher Leitung in der Bayreuther Schule gebildet und groß geworden, werden ihre künstlerischen Traditionen vor Allem für solche Sängerinnen und Sänger von unschätzbarem Werthe sein, die ihr Studium schon soweit abgeschlossen haben und sich noch über Wege und Mittel zur bühnenreifen und bühnenwirksamen Gestaltung belehren lassen wollen. Blätter für Haus- und Kirchenmusik, herauSgegeben von Pros. Ernst Rabich. Verlag von Hermann Beyer L Söhne in Langensalza. Dritter Jahrgang. Preis des Jahrganges (12 Hefte L 16 Seiten Text und 8 Seiten Musikbeilagen) 6 ^i, des halben Jahrganges 3 Das vorliegende Heft vom III. Jahrgang ent hält im Haupttheil einen Artikel von vr. Max Zrnger : „Urber Gesang und Gesanglehre vom praktischen Standpunkt", der in anregender Weise sein Warnwort an Jene richtet, die ihr LebenSglück der allverlockenden Circe, Bühne genannt, anvertrauen wollen: „Wie manche geträumte Elsa oder Elisabeth war froh, den ersten Versuch als Brautjungfer im Freischütz zu machen oder imTannhänser, Wolfram von Eschenbach beginne" mitsingen zu dürfen, jagt der Verfasser — drum prüfe, wer sich ewig bindet." Karl v. Jan setzt seine Be leuchtung der dorischen Tonart fort, während der Artikel: „Clara Schumann und ihre Zeit" von Elsbeth Friedrichs manches neue Schlaglicht auf die dahingeschiedene berühmte Künstlerin und ihre Umgebung wirst. Die Losen Blätter bringen Interessantes uad Lehrreiches über Weber und den Singunterricht Sechsjähriger. Einen wahren Bienenfleiß hat vr. Storck in feinem Aussätze „Die Oper im deutschen Bühnenjpielplan des Jahres 1897—98" ent wickelt. Die Musikberichte aus unsern Musikcentren sind von aner- kannten Musikreferenten geschrieben und dürfen deshalb auf Beachtung Anspruch machen. In den Musikbeilagen bringt Ignaz Brüll ein reizendes Scherzo für Clavier, Jos. B. Forrster eine originelle „Serenade" für eine Singstimme und vr. Herzog eia Präludium im strengen Kirchenstil für Orgel und Harmonium. Bildende Künste. Wilhelm Ttetnhausen und Heinrich Zügel. Berlin, 22. April. In demselben Saale sind gegenwärtig bei Schulte in Berlin die Collectiv-Ausstellungm von Wilhelm Steinhaufen aus Frankfurt und von dem Mün chener Heinrich Zügel untergedracht. Ein Zufall, der aber — wie Der Zufall so oft — sein Lehrreiches hat. Nicht, al» ob man die beiden Künstler miteinander vergleichen dürfte. Man würde Beiden, besonders aber Zügel, damit Unrecht thun. Ein Thiermaler wird gegen einen Künstler, der religiöse Stoffe behandelt, immer sehr im Nachtheil sein, selbst wenn er, wie Zügel, zu den besten Vertretern seines Faches gehört. Uebrigens ist Zügel durch die Bezeichnung als Thiermaler nicht aus reichend charakterisier, er ist säst eben so sehr Landschafter. Das eigentliche Thierpvrträt behandelt er seltener; <r setzt die Thiere in die Landschaft, in das Spiel des Lichtes und der Atmospäre hinein. Darin liegt seine Stärke. Wir sehen die schweren Berg stiere im dämpfenden Morgennebel den Pflug ziehen, sehen im Lichte des Mondes die Schafheerde durch das schweigende Land heimwärts trotten oder sie im Vorfrühling auf der Wiese weiden; wir sehen im abendlichen Dämmer die Kühe bedächtig der Tränke zuschreiten. Mit der vorzüglichen Kenntniß des Thier leibes und Thierlebens verbindet sich eine ausgesprochene colo- riftische Begabung; mehrfach ist die Stimmung ganz ausge zeichnet getroffen, die Technik virtuos — aber zu virtuos, da der breite, moderne, zum Dekorativen neigende Farbenovrtraz gelegentlich die Aufmerksamkeit auf Kosten der Gesammtwirkung über Gebühr in Anspruch nimmt. Alles in Allem: Zügel ver dient seinen Ruf ganz gewiß und findet in seiner Art bei uns gegenwärtig vielleicht kaum einen Rivalen. Aber wenn diese Arbeiten, deren Schwerpunkt in der brillanten modernen Technik liegt, zufällig, wie hier, den Werken eines Künstlers gegen - llbergestellt werden, der als Techniker viel bescheidener ist, aber geistige Fülle und eine starke Persönlichkeit besitzt, da drängt sich dem Unbefangenen doch die Wahrnehmung auf, daß der Glanz der Technik in diesem Falle recht sehr verblaßt, „k'ist lux!" hat R. Muther triumphirend das Capitel genannt, in dem er den Sieg der modernen Farbencmschauung darstellt, und ich bin der Letzte, die Bedeutung dieser Sache für die Entwicke lung unserer Kunst zu verkennen. Uber die Ausbildung der Technik, ja selbst das Wichtigere, was ihr zu Grunde liegt, die Entwickelung unseres Gesichtssinnes überhaupt, schaffen das Licht noch nicht. Es ist bisher fast einseitige Arbeit grthan worden, und diese Einseitigkeit hat die moderne Kunst in die Sackgasse geführt, in der sie sich jetzt abquält. „Hut lux!" ist noch heute nur ein Wunsch; vom Geiste, nicht von der Hand wird und muß schließlich das Licht kommen. Wilhelm Steinhaufen wird gewöhnlich mit Thoma zusammen genannt, dem er an Schlichtheit und Innigkeit des Empfindens, an Tiefe des religiösen Gefühls, an Abneigung gegen alles Gemachte, Aeußerliche, Blendend« eng verwandt ist. Thoma ist wohl kühner und tiefer in der Erfindung, über Haupt vielleicht der weiter fassende Geist; dafür decken sich aber bei Steinhaufen Wollen und Können vollständiger. Das Müb- same, das bei Thoma sich öfters findet, fehlt seinen Werken; er hat es leichter gehabt — leichter mit sich und mit der Welt, di« ihn nicht, wie Thoma, erst fanatisch angriff, um ihn dann zu vergöttern. Steinhaufen durfte ganz still und sicher seinen Weg gehen, der ihn stetig aufwärts führte und auf dem er schließ lich eine Gemeinde von Freunden gefunden hat, die treu an ihm festhält und sich dauernd vermehrt. Hat er aber den eigentlichen Kampf- und Tummelplatz der modernen Bewegung gemieden, so ist er doch ihren eigentlichen werthvollen Errungenschaften nicht fremd geblieben. Seine Landschaften zeigen feine Luft- und Lichtstimmungen, aber dir sorgsame Durcharbeitung, die wohlbedachte Composition zeigen zugleich auch dir Einwirkung der älteren Muster unv Meister, in deren Jgnorirung die jüng« ren und jüngsten Himmelsstürmer so leicht di« heiß cmgestrebte bmckws, plu« in L»»r oäer sei». Wien MentkoLfer MM Müler ............. 8 8. o. k. k. rio. 85676. »UN ru dvrisken liunoti momo fLdnik Lotpris-LivävvLu ollen llsneo VenllLukgeeoksfls: Üoek8to ^usreietmunx: l^iprix 1897, Lülüßl. 8ivds. StLLt8wväLlIIv.
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