78 Gerald Kolditz Sowjetische Kriegsgefangene und »Ostarbeiter« zwischen 1941 und 1945 in Sachsen Einleitung Im nationalsozialistischen Deutschland entstand im Zuge der Aufrüstung bereits Mitte der 30er Jahre in der Industrie ein Arbeitskräftemangel. Mit Beginn des Krieges und seiner Ausweitung 1940/41 wurden immer mehr deutsche Land- und Industriearbeiter, Bergleute und Angestellte zur Wehrmacht einberufen. Die dadurch entstandenen Lücken wurden zunächst überwiegend mit freiwillig angeworbenen Ausländern aus verbündeten Ländern wie Kroatien, Italien und der Slo wakei sowie mit dienstverpflichteten Polen und Kriegsgefangenen geschlossen. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion und dem Scheitern der Blitzkriegsstrategie Ende 1941 konnten die wachsenden Anforderungen der Kriegswirtschaft und der steigende Bedarf an Arbeitskräften durch die Anwerbung Freiwilliger allein nicht mehr gedeckt werden. Das NS-Regime ging daher in den besetzten Ländern zu restriktiveren Maßnahmen wie der Erfassung, Dienstverpflichtung, Zwangs rekrutierung und Verschleppung von arbeitsfähigen Männern und Frauen über. In Nord- und Westeuropa erfolgte dies mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung und die internationale Presse weniger repressiv als in Polen und den besetzten Ostgebieten. Hier kam es ab 1942 vielfach zu offe nen Zwangs- und Terrormaßnahmen bis hin zu Massendeportationen und Menschenjagden, um die erforderliche Zahl an Arbeitssklaven für die deutsche Kriegswirtschaft aufzubringen. Mit der Einsetzung des Thüringer NSDAP-Gauleiters Fritz Sauckel als Generalbevollmäch tigter für den Arbeitseinsatz im März 1942 und mit der Ausrufung des »Totalen Krieges« Anfang 1943 wurde die Anwerbung und Verschleppung ausländischer Arbeitskräfte nach Deutschland weiter intensiviert. Mit fast 6 Millionen Zivilarbeitern, 1,9 Millionen Kriegsgefangenen und rund 500 000 KZ-Häftlingen erreichte der überwiegend zwangsweise »Arbeitseinsatz« von Ausländern in der deutschen Kriegswirtschaft im Herbst 1944 seinen Höhepunkt. Damit war faktisch jeder vierte Beschäftigte in Deutschland ein Ausländer. Nur durch ihre Arbeitsleistung konnten die Kriegsproduktion und weite Bereiche des öffentlichen Lebens seit 1943 aufrecht erhalten werden. Sachsen hatte sich im Verlauf des Krieges nicht zuletzt durch die zunehmende Verlagerung größerer Rüstungsbetriebe aus luftkriegsgefährdeten westlichen Reichsgebieten sowie durch den Ausbau eigener Produktionskapazitäten zu einem bedeutenden Standort der deutschen Kriegs wirtschaft entwickelt. Dies zog auch hier spätestens seit 1942 einen ständig wachsenden Arbeits kräftebedarf nach sich, der nur durch den verstärkten Einsatz von Ausländern kompensiert wer-