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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.04.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990426010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899042601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899042601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-04
- Tag1899-04-26
- Monat1899-04
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Von anderer Seite ist dieses Gerücht bekanntlich dahin eingeengt worden, daß lediglich die Absicht besteh«, die Vororte Berlins zu einem Regierungsbezirke zu vereinen, ohne damit der Selbstständigkeit der ReichShaupt- stadt in irgend welcher Weise zu nahe zu treten. Wenn von fortschrittlicher Seite auch der letzterwähnte Plan als ein Zeichen der Abneigung der Regierung gegen die Stadt Berlin angesehen wird, so geht man damit entschieden zu weit. Die Stadt Berlin ist selbst schuld daran, wenn dieser Plan über haupt entstehen konnte. Wenn sie sich anfangs der neunziger Jahre als die Eingemeindungsfrage sehr lebhaft erörtert wurde, dieser Frage ernsthaft angenommen hätte, so könnte „Groß-Berlin" schon heute eine Thatsache sein. 'Die Stadt hätte aber gern die wohlhabenden Vororte einverleibt und die ärmeren Vororte, wie Rixdorf, Weißensee u. s. w., zurückgestoßen. Daß die Regierung damit nicht einverstanden war, kann nur als billig angesehen werden. Ist die Einverleibungsfrage vollkommen versumpft, so liegt es im Interesse der Vororte Berlins, wenn ein neuer Regierungs bezirk gebildet wird. Denn diese Vorort« mit ihrer rein städtischen Bevölkerung haben ganz andere Interessen, als die überwiegend ländliche und kleinstädtische Bevölkerung des Re gierungsbezirks Potsdam. ES mag sein, daß der Sitz einer Regierung unmittelbar vor den Thoren Berlins der Berliner Demokratie und Sozialdemokratie etwa» unbequem ist, aber schließlich kommt eS doch bei einer Neuorganisirung der Berliner Vorort« auf das Interesse der eine halbe Million zählenden Ein wohner dieser Vororte an und nicht auf das Interesse der Ber liner Demokratie. Etwas ganz anderes wär« es, wenn man durch die Bildung einer Provinz Berlin die kommunale Selbstständigkeit der Reichs- Hauptstadt einschränken wollte. Weder au« wirthschaftlichen, noch aus politischen Gründen erscheint eine derartige Beschränkung nothwendig unv angemessen. Die Stadt Berlin hat sich wirth- schaftlich auch unter der städtischen Verwaltung vorzüglich ent wickelt und ist den Anforderungen, die in socialer Beziehung an ein großes Gemeinwesen gestellt werden können, leidlich nach gekommen. Daß sie darin noch mehr hätte leisten können, soll nicht bestritten werden. Aber leisten denn die staatlichen Ver waltungen Alles, was sie ihrer Organisation und ihren Mittest, nach leisten könnten? Man hat auch vielleicht nicht Unrecht mit der Behauptung, daß Berlin sich noch besser entwickelt hätte, wenn nicht eine gewisse Vetternwirthschaft und ein politischer Ring be ständen. Wenn aber an Stelle dieser Mängel das bureaukratische Wesen staatlicher Organisationen getreten wäre, so würde wahr scheinlich der Nachtheil kein geringerer geworden sein. Auch aus politischen Gründen wäre eine onpiti« äsminutio der Reichshauptstadt nicht berechtigt und nicht erwünscht. Die Berliner Stadtverordneten haben sich nicht immer tactvoll be nommen und nicht selten die ihnen zugewiesenen Schranken über schritten. Aber man kann auf der anderen Seite nicht bestreiten, oaß sich die preußische Regierung der Stadt Berlin gegenüber auch nicht gerade immer zuvorkommend gezeigt hat. Es sei nur an die Angelegenheit des Botanischen Gartens, an die Auf rechterhaltung der Conststorialordnung von 1L73, an die Zuruck setzung der städtischen Körperschaften bei festlichen Anlässen, an das Verhalten des Polizeipräsidenten gegen die städtischen Körper schaften und schließlich an die Verzögerung der Bestätigung des Bürgermeisters Kirschner als Oberbürgermeister erinnert. Es fördert gewiß keinen von beiden Theilen, wenn Regierung und Reichshauptstadt wie Katze und Hund zu einander stehen, aber lediglich den einen Theil für dies unleidliche Derhältniß bestrafen zu wollen, geht doch nicht an. Man muß aber auch bedenken, daß es dem Ansehen des Reiches nicht förderlich sein könnte, wenn in der Reichshaupt stadt das Bürgerthum nichts zu sagen hätte. Der Ausländer wird die Verhältnisse eines Landes meist nach den Zuständen in der Central« des Landes Leurtheilen, und er würde von der politischen Selbstständigkeit des Bürgerthums in Deutschland keine hervorragende Meinung haben können, wenn das Bürger thum der Hauptstadt nicht über seine Angelegenheiten selbst ständig sollte bestimmen können. Es ist wohl möglich, daß ein die Selbstständigkeit Berlins einschränkender Gesetzentwurf im preußischen Landtage gute Aussicht auf Annahme hätte. Die beiden conservativen Fraktionen, die für sich allein nahezu die Mehrheit im Ab geordnetenhause haben, sind naturgemäß mit der politisch radikalen Richtung der Berliner Stadtväter und des über wiegenden TheilrS der Bürgerschaft ebenso unzufrieden, wie mit den wirthschaftlichen Anschauungen, denen der Durchschnitts- Berliner huldigt, ganz abgesehen davon, >daß die Anziehungs kraft, welche die immer mehr wachsende Großstadt mit ihren Erwerbsgelegenheiten und Vergnügungen auf die ländlich« Be völkerung ausübt, die Stimmung der Agrarier und ihrer poli tischen Freunde gegen die Reichshauptstadt zu einer freundlichen nicht werden läßt. Das Centrum hat der Abneigung gegen Berlin durch das geflügelte Wort seines Parteiangehörigen Julius Bachem vom „Wasserkopf Berlin" deutlich genug Aus druck gegeben. Dieser Partei ist die zu neun Zehnteln prote stantische Stadt, in der das Centrum auch nicht einmal «inen dem katholischen Zehntel entsprechenden Anhang gewinnen kann, naturgemäß zuwider. Die Regierung sollte aber nicht die Wahr scheinlichkeit eines parlamentarisches Erfolges zum Anlässe gesetz geberischer Aktionen nehmen, sondern dir Zweckmäßigk-it ünd innere Gerechtigkeit der beabsichtigten Maßregel. Die afrikanischen Eisenbahnpläne. Aus London gehen der „Nat.-Ztg." von zuverlässiger Seite Mittheilungen zu, welche vie Eisenbahnpläne des Herrn Cecil Rhodes betreffen. Manches davon ist schon in eng lischen Zeitungen aufgetaucht, ohne daß es viel Beachtung fand; durch die Bestätigung von einer Seite, wo man über dir RhoveS'schen Bemübungen um die Beschaffung de« CapitalS für die afrikanische Nord-Süd-Bahn unter richtet ist, gewinnen diese Angaben erhöhte Bedeutung. Obgleich Rhodes bisher keinerlei Zusage betreffs einer Garantie von der englischen Regierung empfangen hat, ist eS ihm doch gelungen, von den 2 Millionen Pfund, die er zunächst beschaffen will, den größten Theil — eS ist von I 600 000 bis 1 700 000 Pfund die Rede — von eng lischen Finanzmännrrn zugesichrrt zu erhalten. Er will 800 000 Pfund auf den vollständigen Ausbau der Strecke von SaliSburh nach dem Hafenplatze Beira, von der bis jetzt nur Anfänge vorhanden sind, 300 000 Pfund für die Verbindung des Minengebietes von Govanda mit Buluwayo verwenden; eine Million aber ist für die zunächst in Aussicht genommene Fortführung der Nord- Süd-Bahn bis an die Südspitze deS Tanganylka bestimmt. ES wird angenommen, daß RhodeS^ sobald ihm die zu nächst verlangten 2 Millionen Pfund Sterl. gesichert sind, be vor er dann zur Ausführung seiner Pläne nach Afrika zu rückkehrt, der deutschen Regierung neue Vorschläge wegen deS Baues der deutsch-afrikanischen Strecke der Nord-Süd-Bahn machen werde. Der Berichterstatter der „Nat.-Ztg." fügt übrigens hinzu, daß NhodeS sich aufs Schärfste gegen das englische Verhalten in der Samoa-Angelegenheit aus gesprochen habe, dessen Verkehrtheit Angesichts großer gemein samer Interessen und Aufgaben in Afrika er überall hervor gehoben habe. Das genannte Blatt weist seinerseits, wie uns telegraphisch gemeldet wird, darauf hin, daß das nächste deutsche In teresse bei allen diesen Eisenbahnplänen die Herstellung der d e u tsch - o sta f r i a n i sch e n Centralbahn vom Meere nach dem Gebiete der großen Seen ist; ist sie gesichert, dann wird auch die Durchführung der NhodeS'fchen Nord-Süd- Bahn durch daS deutsche Gebiet werthvoll für dasselbe sein. „Wir würden es sehr bedauern, wenn die ReichSrcgierung sich nicht vom Reichstag noch vor dem Schluffe der gegen wärtigen Session die Vollmacht zur Gewährung einer Zins garantie wenigstens für den ersten, auch als selbstständige Bahn wichtigen Abschnitt der deutsch-ostafrikanischen Central bahn, von Bagamoyo oder Dar-es-Salaam nach der Land schaft Ugami, ertheilen ließe. Mit einer solchen Vollmacht ausgerüstet, könnte die Regierung die Verhandlungen mit den zur Finanzirunz geneigten Instituten ungleich wirksamer führen als wenn in Unsicherheit über die Gewährung oder Nichtgewährung der Garantie verhandelt würde, ohne welche deutsches Capital zu Eisenbahnbauten in Afrika schwerlich in absehbarer Zeit zu erlangen ist. Die Kosten für jenen ersten Abschnitt der Bahn sind seiner Zeit auf etwa 12 Millionen Mark veranschlagt worden; eine Garantie von höchstens 3 Procent Zinsen für eine solche Summe, also von etwa 360 000 .6 jährlich, ist für das deutsche Reick gewiß keine ins Gewicht fallende Leistung, wenn vie deutsche Colonialpolitik dadurch in den Stand gesetzt wird, in die mittelafrikanischen Entwickelungen maßgebend mit ein zugreifen, statt unthatig abzuwarten, wie von englischer Seite und vom Congostaate die Verkehrübeziehungen zum Nachtheil deS deutschen CvlonialgcbieteS umgestaltet werden." In dem vor mehrere» Jahren an den Reichskanzler erstatteten Bericht des Comitös für die veutsch-ostafrikanische Centralbahn, welcher in einer vor einigen Wochen erschienenen Oechel- häuser'schen Broschüre abgedruckt ist, wurde über den Bauabschnitt bis Ukami Folgendes gesagt: Der Baukosten- wie der Betriebskostenanichlag basiren auf der Annahme, daß sich zunächst täglich in jeder Richtung «in Zug bewegt. Derselbe würde im Stande sein, schon daS 100- bis LOOfache der jetzigen, durch den Karawanenverkehr nach der Küste geschafften Lasten zu transportiren In dem großen, vielleicht von zwei Millonen Menschen bewohnt«» Land« zwischen dem Ocean und den großen Binnenseen, welchrS die Eentralbahn aufschließen wird, sind alle Grundlagen für «ine großartige wirthschaftliche Entwickelung vorhanden, und ganz besonders bietet der erste Bauabschnitt in Lieser Beziehung die beste Gewähr. Nach der BetriebSkostenberechnung entfallen bei täglicher Abtastung eine» gemischten Güter- und PersonrnzugeS nach jeder Richtung (aus größere Transportmengen wollen wir vorläug nicl:t rechnen) auf den Tag an Unkosten 1962 und auf den Zug- Kilometer 3,16 .41. Um diese Kosten zu decken, müssen also die Ein nahmen mindestens den gleichen Betrag abwerfen, welcher aber schon erreicht wird, wenn mit jedem Zug eine Person zum Satz von 10 (etwa der deutsche Satz der ersten Elaste), fünf Per- sonen zum Satz von 2 «.dem Normalsatz der vierten Classe auf den preußischen Staatsbahne») und 100 Doppelcentner Güter zum Durchschnittssatz von 3 Pfennig pro Kilometer (etwa LaS drei fache der deutschen Stückgütertarife) über die ganze BahnlLnge befördert werden. Um eine Verzinsung der Bahn von z. B. 3 Procent zu erzielen, brauchen die Einnahmen pro Tag nur um 946 zu steigen. Es dürste keine übertriebene Erwartung sein, daß solche Einnahmen schon nach sehr kurzer Betriebs- zeit, vielleicht schon von der vollständigen Eröffnung des Bau abschnittes, ab, erreicht werden. Außer allem Zweifel wird auch der Eisenbahnbetrieb wesentliche Erhöhungen der Ein- und Ausfuhrzölle im Gefolge haben; es wäre indes müßig, sich in Behauptungen oder Vermuthungen zu ergehen, wie hoch und wie rasch sich diese Steigerung der Zollcinnahmen vollziehen wird. Auch kommen noch die Ersparnisse in Betracht, welche der Colonial verwaltung aus der Eisenbahn, im Vergleich mit den jetzigen hohen Trägerlöhnen, der Postbeförderung u. s. w. erwachsen werden. Bei Erörterung der Rentabilitätsfrage ist insbesondere im Auge zu behalten, daß man eS unter den dortigen Verhältnissen durch die Fracht- und Personentarife in weit ausgiebigerer Weise in der Hand hat, die Einnahmen mit Len Ausgaben ins Gleich gewicht zu setzen und darüber hinaus zu steigern, wie bei Len Concurrenzverhältnissen und Anforderungen, Lenen die meisten europäischen Eisenbahnen unterliegen. Die Anziehungskraft und wirthschaftliche Fruchtbarkeit der Eisenbahn wird durch die Differenz ihrer Frachtsätze und Personentarife gegen die bisher im Karawanen- verkehr aufgewandtcn Kosten bedingt. Wie groß aber dieser Unter- schied sich Herausstellen wird und wie weit der Spielraum ist, inner- halb dessen sich die Tariffestsetzungen bewegen können, crgiebt sich aus der Vergleichung mit den jetzigen Trägerlöhnen der Karawanen. Nimmt man an, daß «In Träger allerhöchste»» 30 Kilogramm in einem Tage 20 Kilometer weit tragen kann und dafür mindestens 60 bezieht, welche Kosten sich für den Unternehmer noch um mehr als die Hälft« durch die Aussicht, Mitsührung der Lebensmittel, Verluste aller Art, Aufenthalt rc. steigern, so ergiebt sich ein Frachtsatz sür 100 von etwa 15 pro Kilometer, oder wenig unter Lein lösachen des durchschnittlichen Frachtsatzes sür Stückgüter in Deutsch land. Bei solchen enormen Unterschieden zwischen Karawanen- und Eisenbahnbesörderung muß sich mit Naturnothwendigkcit der Güter verkehr mit der Zeit außerordentlich steigern, indem zahllose Güter tranSport» und exportfähig werden, die eS zur Zeit nicht sind, auch enorme Bod«nslächen dem zur Zeit nicht lohnenden Anbau er schlossen werden. Die Eisenbahn ist daS in der heutigen Colvuialpolitil entscheidende wirthschaftliche Machtmittel. Bei seiner An wendung muß man gerade so etwas riskiren, wie der Colonial politiker deS Zeitalters der großen geographischen Entdeckungen, wenn sie mit ein paar kleinen Segelschiffen nach unbekannten Meeren aufbrachen. Das Risiko von ein paar Hunderttausend Mark ZinSgaranlie ist für das deutsche Reich doch wohl kein allzu großes. F-ttiHetsn. Das amerikanische Jingothum. Von Rebackur Schaffmayr (New Uork). »lachtruck verboten. Dor dom spanisch-amerikanischen Kriege stand alle Welt unter dem Eindruck, daß die Amerikaner «in glückliches Volk seien, zufrieden mit dem ungdhouren Besitz, den da« Schicksal ihnen gewährt hat, ohne Gelüste nach fremden Schätzen, beneidenSwerth, weil keine Feind« an ihren Grenzen lanerten und ihr« Ruhe de- drohten. Wenn Europa in Waffen starrt«, wenn im europäischen Concert fortwährend Discorde erklangen und dir großen Künstler der Diplomatie ihre ganze Geschicklichkeit aufbitten mußten, um den ewig bedrohten Frieden, das Schmerzenskind der alten Welt, am Leben zu erhalten, so hatte man von Onkel Sam die Vor stellung eines M-anneS, der in der Lage ist, sich seelrnvergnügt die Hände zu reiben und sich glücklich zu preisen, daß er im Concert der Nationen nicht mttMsplelen braucht, der sein« ganze Energie und Schaffenskraft der Entwickelung seines Landes widmen darf, unbeneidot und ungehemmt. Und eines Morgens erwachte dieses selbe Volk und sieh« da, das Evangelium war wi« fortgeblaftn; ein neuer Pharao war ge kommen, der wußte nicht« von dem alten Pharao. Nachdem der Pulverdampf der Seeschlacht von Manila verraucht war, stand das Jingothum plötzlich in doller Btüch« vor Aller Augen. Im Namen der Humanität hatte man den Krieg mit Spanien zur Befreiung der Cubaner vom Zaun gebrochen; nachdem Admiral Dewey das Sternenbanner Über di« Philippinen aufgepflanzt, gerieth die Humanität in Vergessenheit, man berauscht« sich an dem neuen Gefühl — Expansion, und rin ganz neue» Wort, ein gar merkwürdiges Wort für eine hundertjährige Republik wurde geprägt und gewann eine gewaltige Popularität: Imperialismus. Lin politischer Blaustrumpf macht« damals di« Bemerkung, man Müsse die Insel behalten, die man in Wirklichleit noch nicht erobert hatte, um den Filipino« di« Segnungen amerikanischer Civilisation beizubringen. Und Oberst Roosevelt, der „Rauhe Anter", den die KriegSlorbeeren seitdem auf den GouverneurS- vosten des Staate» New York gehoben, hat erklärt: Da» Volk bedarf neuer Gebiete für seine Thcrtkraft, um nicht in Stagnation zu versinken. Auch eine seltsame Ansicht, wenn man bedenkt, daß die Vereinigten Staaten noch Raum für ungezählt« Millionen bieten und da» Volk auch für die größte Thatkraft unermeßliche Gebiet« innerhalb seiner «igemn Grenzen findet. Es trat nun freilich bald, von besonnenen und hervor ragenden Männern geleitet, eine energische Agitation gegen den Imperialismus ins Leben, die auch nicht ohne große Erfolg« ge blieben ist, allein dir Stimmung der Masse, der „verfluchten, compacten Majorität", wie Ibsen sagt, bleibt doch auch heute noch entschieden zu Gunsten der Expansion. Es ist dies eine Neuentwicklung im amerikanischen Lolkscharakter, mit dem man aller Voraussicht nach, auch in der Zukunft, wird rechnen müssen. Ein alexandrinischer Zug, neue Weltrn zu erobern, im Rath der großen Nationen mitzureden, hat sich im Volk erzeugt, und wer di« 'Abrntsurernatur »der Amerikaner kennt, wird das Symptom nicht unterschätzen. Diese Wust am blutigen Krieg mit ihrem Gefolge von Er- oberungsgelüsten und die hysterische Aufregung, in di« der Kampf mit einem durchaus unebendürtigen Gegner das ganze Land ge stürzt hatte, waren in der That Erscheinungen, auf die man jetzt, wo die willdbewegtrn Wogen sich beruhigt haben, nicht ohne tiefe» Erstaunen zurücMicken kann. Der Aufwand patriotischer Ekstase, der an «ine alle Fesseln brechende Sturmfluth gemahnte, stand außer jedem Verhältnis» zu den dem Land« drohenden Ge- fahren und zu der Bedeutung des Krieges; nie hat der Hang der Amerikaner zur Uebertreibung sich in markanterer Weise kund gegeben. In manchen großen und in hundert kleinen Zügen trat dies« maßlose patriotisch« Aufwallung hervor, die freilich auch ebenso rasch in ihre Ufer wieder zurückgotreten ist. Ganz besonder» in der Presse. In seinem notorischen „gelben Journalusmu»" besitzt der Amerikmr heute ein« Presse, die systematisch alle Volksvernunft in Sensation ersäuft. Durch sie erklärt sich Manches, was sonst bei einem ruhig denkenden und nicht durch ungewöhnliche Heißblütigkeit auSgezeichn«t«n Volke ganz unerklärlich wär«. Diese Presse, deren Lebensadern die Sensation ist, der nichts heilig gilt und die vor nichts zurück schreckt, übt« Uber die Masse, trotz de» Achselzucken« der besseren Elemente, eine Macht au», die gewaltig und unberechenbar ist. Sie war es, die mit wilder Gier da» Feuer schürt«, di« Leiden schaften der Meng« entfesselte, den Krieg fordert« — um de» Krieges willen, da sie, hungrig nach Sensationen, hier di« große Gelegenheit say, sich selbst zu entfalten. Und wahre Orgien hat sie gefeiert, so lang« die beiden Mächte einander feindlich aegen- uberstandkn. Eigen« Exveditionen nach kubanischen Gewässern wurden von einigen dieser Blätter au»g«rllstet, und von den Correspondenten ward nun geschrieben, depeschirt, Kritik geübt, Geheimnisse preisgegeben, wie e» wohl nie zuvor geschehen ist, bi» dies« Berichterstattung endlich so alle» Maß überschritt, daß die Militärbehörden sich gezwungen sahen, die Censur ein zuführen. Hatten dir New Korker T«nsation»blätt«r bi» dahin drei und vier Au»gab«n täglich au»gegeb«n, so wuch» dir Zahl jetzt zu einem Dutzend, oftmals erschienen die Blätter in den roth- weiß-blauen Farben des Landes oder ein großes colorirtes Sternenbanner glänzte aus der ersten Seit«. Es kam diesen Zeitungen nicht 'darauf an, heute eine schreiende Illustration eines Seegefechtes, eines UöberfalleS oder einer anderen Begebenheit zu bringen, die am Tage zuvor tausend Meilen entfernt sich er eignet hatte. Die Überschriften der Sensa-tionsartikel, die schon in Frisdenszeiten eine ansehnliche Größe erreichen, erschienen jetzt nur noch in Placatgröße. Ein einziges Wort erstreckte sich über die ganz« Seite. Wenn die New Uorker Morgenzeitungen gegen drei bis vier Uhr in der Früh« die Pressen verlassen hatten, so begannen di« Abendblätter ihre Thätrgkeit; oft hatte man schon um neun oder zehn Uhr deren erste Ausgabe und manchmal um Mitternacht noch wurden die letzten Ausgaben von den Zeitungsjungen auf den Straßen ausgerufen. Und Tag für Tag, Monate hindurch daS gleiche Schauspiel, und Hundert tausende von Exemplaren täglich verkauft und verschlungen — darf man sich da wundern, wenn das Volk in hysterische Auf regung verfällt und wie im Rausche lebt? Gin großer Rausch schien alle Gemüther gefanaen zu halten und trieb gar wunderliche Blütchen. Beim Ausbruch des Krieges sah man New Aork und andere Großstädte, wie von Zauberhand hervorgerufen, plötzlich in «in«m Flaggenschmuck erglänzen, wie man ihn sonst kaum an den größten Gedenktagen erlebt hatte, und dieses wogende Fahnenmeer verschwand erst wieder, als di« Friedensverhandlungen zum Abschluß gediehen waren. Bei Svurm und Regen, bei Gewitter und Sonn«ngluth blieben diese Fahnen auf allen öffentlichen und GeschäftSgebäuden, Tag und Nacht, Wochen und Monate, hier und dort wohl auch mit den Farben von Cuba libre vermischt, die aber seltener wurden, als die Expasionsgelüste mächtiger hervortraten. Und wie jedes Gebäude sein patriotisches Gewand anlegte, so fühlte sich auch der Einzelne, ob Männlein, ob W«iblein, be- wogen, seiner Gesinnungstüchtigkeit öffentlich Ausdruck zu geben. Die Herrenwelt begann ihre Röcke mit kleinen Boutons zu schmücken, auf denen irgend «in Kriegsheld, Dewey, Hobson, Schley und Sampson, in selteneren Fällen auch Präsident Mac Kinley inmitten der Sterne und Streifen abconterfeit war; die Damen trugen roth-weiß-dlaue Schleifen, Bänder und Schärpen al» Documente ihre» PatriottSmu». Nachdem da» „Rauhe Reiter" - Regiment mit seiner Cowboy - Tracht gebildet war, da» viele Söhn« der reichsten Familien in seine Reihen lockte, wurde diese Tracht, soweit e» anging, nachgeahmt, besonder» die breit- randigen grauen Filzhilte mtt breitem, gelbem Lederriemen al» einzigem Schmuck wurden von der Damenwelt stark bevorzugt. Man sah sie überall, wie man noch jetzt die gewöhnlichen Soldatenhü«, au» grauem Filz mit schmalem Lederband und vorn mit zwei gekreuzten Miniaturgewehren als Zierrath viel fach gewahrt. Die Kinder wurden in die Uniformen der Marine ooer der Landarmee gesteckt, und jeder Junge mußte seine Marinekappe haben mit dem Namen irgend eines Schlachtschiffes oder eines Admirals und sonstigen Kriegshelden. Es entstanden Dewey-HotelS über Nacht, Hobson-Restaurants und Schley-Kneipen; d«m Sieger von Manila zu Ehren wurde eine neu« Whiskey-Marke Dewey Whiskey getauft und hat ver- muthlich manchen Rausch erzeugen helfen. In den großen Schau fenstern der Riesenbazar« New Jorks gab eS patriotisch« Farben symphonien und in den Spiekwaarenläden tauchten die un heimlichen Formen der Kriegsschiffe als Krnd«rspielzeug auf. Auch in den Sommertheatern und Tingeltangeln schäumte der Patriotismus über und schlug seine Wellen. Allabendlich wurde das Nationallied „Mrs star vpausleä Lanner" vom Orchester gespickt und bei den ersten Tönen erhob sich in der rauch.z - schwängerten Atmosphäre da» ganze Publicum und hörte stehe:-.' vie Melodie mit an. Ein« Zeit lang übte auch das „Oock so v,' tbs tzneen" der Engländer dieselbe Wirkung auS; man war den alten Feinden plötzlich Hergenssreund geworden. Findige Fabri kanten brachten BriefcouvertS in den Handel, deren Vorderseil: eine genaue Nachbildung des Sternenbanners war; sie fanden reichen Absatz für ihr« Waare, die noch jetzt nicht aus dem Mark: verschwunden ist. Die Pferde der Lastwagen, die Schiffe auf den Flüssen und Strömen waren mit den LantnSsarben geschmück:, und kaum ein Bicycle war ohne ein rokh-weiß-blaues Fähnchen oder Bändchen. Und dieses Uebermaß patriotischen Stolzes und Selbst - bewußtseins bei einem Kriege, dm man aus HumanitätSrücksich- ten begonnen hatte und dessen siegreiches Ende Jeder vorauSse-hen muhte, der mit klarer Ueberlegung di« Ding« maß. Ein reiches Bolt von siebzig Millionen Einwohnern im Kampfe mit einer Nation, bi« mit dem kleinen Cuba nicht hatte fertig werden können. Seltsame Erscheinung in der Psychologie kx» Amerikaner- thumt! Man wird hinfort nicht mehr dem Glauben huldigen dürfen, daß Onkel Sam's Herzen die Freude am Krieg und Kriegs- geschrei fern liegt, und daß Eroberung »gelüste ihm nicht im Blute stecken. Die Legende ist zerstört. Man weiß jetzt, was man bis her nicht vermuthet hatte, daß auch er «in Eroberer ist, und daß auch er, wenn der Taumel ihn packt, wie ein Spieler bereit ist, Alles preiSzugtben. Der Amerikaner nach dem Kriege ist ein Anderer, al« der er vor dem Kriege war. Sein Wortschatz hat eine ungeahnte Bereicherung erfahren, durch ein Wort, da» der Krieg erzeugt hat: Jmperialilmu»!
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