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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.06.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960627014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896062701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896062701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-27
- Monat1896-06
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Inmitten der Friedensstimmung der ungarischen Millenar- feste ist von der unter dem Vorsitz des Cardinals Berga stehenden Congregation für die Angelegenheiten der Bischöfe und Regulare in Rom an die ungarischen Bischöfe eine „Instruction" erlassen worden, welche eine neue Provocation der Staatsgewalt und das Aufgebot des ungarischen Klerus gegen das Magyarenthum bedeutet. In dieser Instruction wird beklagt, „daß nicht Wenige die Mühe scheuen und vor dem Kampfe (mit den Feinden der Kirche) zurückschrecken", die Bischöfe werden angewiesen, eine schärfere Disciplin gegen den Klerus zu handhaben, strengere Anordnungen und Einrichtungen für die Priester-Erziehung zu treffen und dem Klerus die Gründung jener Vereine und Bruderschaften anzubefehlen, auS welchen sich die rührige Schar der Agitatoren recrutiren soll. Die Bischöfe werden weiter aufgefordert, darüber zu wachen, daß in den Gymnasien die Lehrer beim Unterrichte in den profanen Gegenständen dem Gei st e der Kirche gebührend Rechnung tragen und sich das Recht ver schaffen, bei der Wahl der Lehrbücher der profanen Gegenstände mitzusprechen. Während das ungarische Staats recht Kraft des ckus »uxremas iuspectiouis, des obersten Aufsichtsrechtes des Königs, dem Staate das Recht wahrt, auf die Einrichtung der konfessionellen Mittelschulen den weitestgehenden Einfluß zu üben und die Be dingungen vorzuschreiben, unter welchen die Staatsgewalt den konfessionellen Mittelschulen das Oeffentlichkeitsrecht und das Recht, giltige Zeugnisse auszustellen, einräumt, wird hier von kirchlicher Seile ein Aufsichtsrecht über die staatlichen Mittelschulen, ja ein Recht, dieselben zu leiten und ihre Richtung zu bestimmen, beansprucht. Es ist ein förmlicher Einbruch in die Sphäre eines zweifellosen Hoheitsrechtes des Staates. Und genau so verhält es sich mit der Forde rung, daß die Pest er Universität der Kirche zurückgegeben und der Leitung der Bischöfe unterstellt werde. Endlich wird den Bischöfen aufgetragen, darüber zu Wachen, daß die Pfarrer und Katecheten in den nicht magyarisch en Gegenden den Religionsunterricht nicht eher in magyarischer Sprache ertheilen, als bis die Kinder diese Sprache vollkommen erlernt haben, ferner daß die Pfarrer nicht eher magyarisch predigen, als bis die Gläubigen des Magyarischen ordentlich mächtig sind. Außerdem werden die Bischöfe angeeifert, sich die Vermehrung katholischer Zeitungen, aber nicht bloß magyarischer, sondern auch in den anderen Sprachen geschriebener, angelegen sein zu lassen. Man ist in Rom gut darüber unterrichtet, wie man den Magyaren recht wehe thun kann. Die päpstliche Instruction setzt den Hebel dort an, wo das Magyarenthum am empfindlichsten ist. Die Magyarisirung der Nicht magyaren ist die LieblingSidee der Magyaren, die sie zu Zeiten mit harten Gewaltmitteln am liebsten aber geräusch los und unauffällig zu verwirklichen bestrebt sind. Zum guten Theil war der Klerus bisher hierbei ihr stiller und erfolgreicher Mitarbeiter. Die meisten ungarischen Kirchen fürsten sind magyarisch gesinnt, und durch ihre Vermittlung haben die Pester Regierungen einen großen Theil deS Klerus zum Werkzeug der Magyarisirung gemacht. Die päpstlichen Weisungen an die Bischöfe droben nun, die Magyaren um die werthvolle Mithilfe des Klerus bei der Ma gyarisirungsa rbeit zu bringen. Wer gerecht urtheill, muß Genugthuung darüber empfinden, daß es die Absicht der Curie ist, die kirchlichen Machtmittel nicht mehr zur Entnationalisirung der Nicht Magyaren brauchen zu lassen. Was freilich die Beweggründe betrifft, welche die Curie dazu bestimmen, so liegen diese auf anderem Gebiet. So lange das Magyarenthum den Machtbereich der katholischen Kirche respectirte, wurden ihm in Rom alle Versündigungen gegen die Gebote der Gerechtigkeit vergeben. Mit denkircken- politischen Reformen hat es sich die vatikanische Gunst verscherzt, und nun ist man in Rom nicht faul, aus Allem Waffen zu schmieden, um das Magyarenthum zu strafen. Seit dem parlamentarischen Abschlüsse der kirchenpolitischen Kämpfe und dem InSlebentreten der aus denselben hervor gegangenen Gesetze hatte in Ungarn allmählich eine ruhigere Stimmung Platz gegriffen; die Erregung hat hüben und drüben nachgelassen, und nur die kleine Schaar von De sperados, die Graf Ferdinand Zichy unter der Fahne der „Volkspartei" vereinigt, bat den Guerillakrieg fortgesetzt, Bundesgenossen bei den Wiener Antisemiten werbenv. Die ungarischen Bischöfe aber sind nicht nur Fürsten der Kirche, sondern wie gesagt, aucb treue Söhne ihres Vater landes, und als solche haben sie sich vor dem legal zu Stande gekommenen Gesetze gebeugt. Die ungarischen Bischöfe lieben, um ein Wort Deak's zu variiren, ihr Vaterland mehr, als sie ihre politischen Gegner hassen, und darum haben sie nach energischem Kampfe für die Sache der Kirche Ungarn die Convulsionen ersparen wollen, welche die Fortsetzung und Ausweitung deS kirchenpolitischen Kampfe« heraufbeschwören könnte. Die Kundgebungen der Bischöfe anläßlich der nationalen Feier, die Ungarn eben begeht, athmeten Frieden, und jene große Rede, welche der Cardinal Fürst-PrimaS VaSzary bei der kirchlichen Feier deS Millennium- in der Krönungskirche an seinen König und seine Nation richtete, wies auf das Streben hin, zwischen Staat und Kirche wieder die volle Harmonie herzustellen. Der kaum eingekehrte Friede wird nun durch die vatica- niscbe Instruction jählings gestört, der Klerus w-rd zu den Waffen gerufen und der Natzonalitätenhaß mächtig angefacht. Die Seele deS kirchenpolitischen Widerstandes in Ungarn war bekanntlich der Wiener Nuntius Agliardi. Sein Conflict mit dem ungarischen Ministerium Banffy, der den Rücktritt des Ministers des Aeußern, Grafen Kalnoky, nach sich zog, nöthigte die Curie, eine Gelegenheit zu seiner Abberufung zu schaffen, was mit der Erhebung zum Cardinal geschah. Agliardi scheidet aber nicht von seinem Wiener Posten, ohne sich den Ungarn aus das Unangenehmste in Erinnerung zu bringen. Man geht gewiß nicht fehl, wenn man die „In struction" der Curie als den Partherpfeil des scheidenden Cardinals auffaßt. Deutsches Reich. * Leipzig, 26. Juni. Vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenat des Reichsgerichts findet am kommenden Donnerstag, den 2. Juli, Verhandlung gegen den in letzter Zeit wiederholt erwähnten Schmidtkonz aus Stadtamhof in Bayern wegen Verraths militairischer Geheim nisse statt. Die Anklage stützt sich, wie wir erfahren, ins besondere auf H 3 des Gesetzes gegen den Verra th militairischer Geheimnisse vom 3. Juli 1893, der folgende Fassung hat: „Wer vorsätzlich den Besitz oder die Kenntniß von Gegenständen der rn H 1 bezeichneten Art (Schriften, Zeichnungen oder andere Gegenstände, deren Geheimhaltung im Interesse der Landesvertheidigung erforder lich ist) in der Absicht sich verschafft, davon in einer die Sicherheit deS deutschen Reiches gefährdenden Mittheilung an Andere Gebrauch zu machen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft, neben welchem auf Geldstrafe bis zu zehntausend Mark erkannt werden kann." — Der tz 12 (Schlußparagraph) enthält folgende Bestimmung: „Für die Untersuchung und Entscheidung in erster und letzter Instanz in den Fällen der in den Paragraphen 1, 3 vorgesehenen Verbrechen ist das Reichsgericht zuständig. Dir Milltair- gerichtSbarkeit wird hierdurch nicht berührt." 6. U. Berlin, 26. Juni. Die Lohnbewegung kann wohl in diesem Jahre als abgeschlossen gelten. Zwar hat noch eine ganze Anzahl von Gewerkschaften (Steindrucker, Lithographen, Mützenmacher,Schuhmacher) in großsprecherischen Resolutionen eine allgemeine Lohnbewegung angekündigt, durch die nicht nur der Lohn erhöht, sondern auch die Arbeitszeit verkürzt werden soll, aber bei dieser Ankündigung wird eS bleiben, denn die gewerkschaftlichen Führer sehen die Mög lichkeit nicht ein, auch nur die geringfügigste Summe für die ev. neu in den Streik tretenden gewerkschaftlichen „Genossen" lüssig zu machen; sie sind nicht einmal im Stande, für zwei Wochen die streikenden 1500 Hutmacher, 500 Metallarbeiter, 3—400 Weber im Eulengebirge, 700 Messer-Neider (Zusammenseher der einzelnen Messertbeile) im Kreise Solingen durch zuschleppen. Die Metallarbeiter streiken bereits acht Wochen und haben 40 000 .il verbraucht. Die Hutmacher haben sicherlich schon daS Doppelte verpulvert. 200 Cottbuser Textilarbeiter und 400 Musikinstrumentenmacher in Berlin sind immer noch nicht «ntergebracht und auf Congressen und in Volksversammlungen ist erklärt worden, daß die Kräfte der Arbeiter erschöpft seien. Es giebt — abgesehen von der der Buchdrucker — keine Casse mehr, die nennenswerthe Betrage abgeben könnte, und sicherlich sind in diesem Jahre weit über 500 000 Strrikgelder auSgegeben und in Folge der Streiks 1 500 000 an Löhnen verloren gegangen. Dieser Ausfall ist nicht wieder einzuholen. An gesichts der Thatsache, daß die Saison vorüber ist und jeder (streik unter diese» Umständen ins Wasser fallen müßte, suchen die Gewerkschaftsführer die Streiklust zu dämpfen; nur die gewerbsmäßigen Agitatoren schüren noch das Feuer, umbekümmert um die Folgen, welche bei der Lage der Dinge neue Ausstände für die Bethörten haben müssen. * Berlin, 26. Juni. In der gestrigen Sitzung deS Reichs tags bekämpften bekanntlich die Befürworter einer günstigeren Rechtsstellung der Frau besonders den Abschnitt über daS eheliche Güterrecht (88 1346 und ff). Mit Recht weist heute dir „Nat.-Ztg." darauf hin, daß die Anfechtung der durch eine Einschaltung der Commission ergänzten Vor schläge des Entwurfs in wesentlichen Punkten auf Miß- verstandniß beruhte. Zum besseren Verständniß druckt daS Blatt die Paragraphen, auf die es hauptsächlich ankommt, ab; der tz 1348a ist Einschaltung der ReichstagS-Commission in die im Uebrigen unveränderten Vorschläge des Entwurfs: 8 1346. Das Vermögen der Frau wird durch die Ehe schließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). Zum Angebrachten Gute gehört auch daS Vermögen, das dir Frau während der Ehe erwirbt. 8 1348. Die Verwaltung und Nutznießung deS Mannes er streckt sich nicht auf da- Vorbehaltsgut der Frau. 8 1348 a. Vorbehaltsgut sind die ausschließlich zum versönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere Kleider, Schmuck sachen und ArbeitSgeräthe. 8 1349. Vorbehaltsgut ist, was die Frau durch ihre Arbeit oder durch den selbstständigen Betrieb eines Er werbsgeschäfts erwirbt. 8 1350. Vorbehaltsgut ist, was durch Ehevrrtrag für Bor- behaltsgut erklärt ist. 8 1351. Vorbehaltsgut ist, was die Frau durch Erbfolge, durch Vermächtniß oder alS Pflichttheil erwirbt (Erwerb von Todes wegen) oder wa- ihr unter Lebenden von einem Dritten unent geltlich zugewendet wird, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, daß der Erwerb Vorbehaltsgut sein soll. 8 1352. Vorbehaltsgut ist, waS die Frau auf Grund eines zu ihrem Vorbehaltsgute gehörenden Rechte- oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu dem Vorbehaltsgute gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich aus das Vorbehaltsgut bezieht. 8 1353. Aus das Vorbehaltsgut finden die bei der Gütertrennung für das Vermögen der Fran geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung; die Frau hat jedoch einen Beitrag zur Bestreitung des ehelichen Auf wandes nur insoweit zu leisten, alS der Mann nicht schon durch die Nutzungen des eingebrachten Gutes einen angemessenen Beitrag erhält. Hiernach ist eS klar — und Or. Planck hat cs ins ixsondere gegenüber Ausführungen des Aba. Prinzen Schönaich Carolath festgestellt —, daß gar keine Rede davon sein kann, diese Bestimmungen gäben einem verkommenen Ehemanne das Recht, daS geringe, nicht durch besonderen Ebe vertrag geschützte Besitzthum der Frau oder den Erwerb derselben durchzubringen. Thatsächlich kann der gleichen unter allen ehelichen Güterrechts - Systemen Vorkommen, auch unter dem von Herrn von Stumm beantragten System der Güter-Trennung; rechtlich ist eS durch da- System des Entwurfs ausgeschlossen, denn Alles, worüber Herr von Stumm, Prinz Schönaich-Carolath, die Socialdemokraten und Herr Rickert, denen auch der neuge wählte Aba. Conrad sich anschloß, der Frau die Verfügung sichern wollen, fällt unter den Begriff deö „VorbehaltSguts", auf das die Verwaltung und Nutznießung deS Ehemann- sich nach dem Entwürfe nicht erstreckt. * Berlin, 26. Juni. Die Gemeinderathswahlen, die am letzten Sonntag in sämnitlichen Gemeinden deS Rcich-lande- rum Abschluß gekommen sind und die von jeher in Elsaß- Lothringen einen politischen Charakter getragen haben, geben u. A. auch ziemlich sichere AnhaltSpuncte über die gegen wärtige Stärke der politischen Parteien im Reichslande. Zunächst hatte bei diesen Wahlen die vor Jahresfrist ge gründete elsaß-lothringische Volkspartei, die zur Fahne des Protestlers Preiß schwört, Gelegenheit, zu erproben, ob sie in weiteren Volksschichten feste Wurzel gefaßt habe. Die Probe fiel kläglich auS. In Münster fiel sie ganz durch, und in Colmar brachte sie mit Mühe und Noth von ihren 33 Can- didalen einen einzigen durch. Sie hat es also noch nicht einmal zu einer localen Bedeutung gebracht, obwohl sie, wie ihr Name besagt, ihre Organisation auf das ganze Land auszudehnen beabsichtigte. Vielleicht hat auch die offene Ver brüderung der Partei mit den Socialdemokraten Manchem die Augen geöffnet. Die Socialdemokraten haben nur in Mül hausen und Straßburg eine nennenSwertheStimmenzahl aufzu weisen, und auch dazu stellten die Protestler einen ansehnlichen Tbeil. Der Plan, auch unter dem Landvolk festen Fuß zu fassen, ist bis jetzt noch nicht geglückt. Als die einflußreichste Partei hat sich die klerikale erwiesen. Man geht kaum zu weit, wenn man annimmt» daß sie in »/, der Gemeinden die Wahlen „gemacht" hat. In den kleineren Landgemeinden gilt es als selbstverständlich, daß eine „PsarrhauSliste" in Umlauf gebracht und in den meisten Fällen auch mit Hilfe der Ver quickung von religiösen, politischen und communalen Gesichts punkten durchgesetzt wird. Mit Ausnahme von Mülhausen haben die Klerikalen auch in den größeren Städten durch schlagende Erfolge erzielt, so namentlich in Metz und Colmar. Selbst in Straßburg hat ihr geschlossenes Auftreten bewirkt, daß die Recht-liberalen, um nicht an die Wand gedrückt zu werden, sich nothgedrungen mit ihnen verbünden mußten. Schon jetzt gehören von den 15 ReichStazSabgeordneten 7 der klerikalen Partei an. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß schon die nächsten Wahlen ihnen weiteren Zuwachs bringen werden, zumal wenn die anderen Parteien müßig zusehen. 6. tt. Berlin, 26. Juni. (Privattelegramm.) Der „Nat.-Ztg." zufolge hat der HanvelSminister ».Berlepsch ein Entlassungsgesuch eingereicht; man nimmt an, daß es gewährt werde. (Wiederholt.) L Berlin, 26. Juni. (Telegramm.) Heute Vormittag fand im Kaiserhofe der X. ordentliche BerufSgenoffenschaftS- tag statt. Als Ehrengäste wohnten demselben bei: Präsident Bödicke, Gebeimrath Woedtke, StaatSsecrrtair vr. von Bötticher und Andere. Ferner waren anwesend: die Ver treter der Gewerbedeputation, des Berliner Magistrats, des Ministeriums der Oeffentlichen Arbeiten rc. Commerzienrarb Rösicke als Vorsitzender eröffnete die Verhandlungen mit der Begrüßung der Erschienenen und gab einen Urberblick über die Thätigkeit der deutschen BerufSgenossenschaft seit ihrer Gründung. Er schloß, indem er auf die Verdienste der Hohenzollern bei dem humanen Werke der Unfall-, Fei-ill-tsir. Stine Ändresen. Stine Andresen ist eine friesische Bauersfrau und Pro fessor Carl Sckrattenthal in Preßburg hat ihre gesammelten Gedichte herauSgegeben. Also abermals eine dichtende Bäuerin nnd Schrattenthal — natürlich — ihr Impreffariol Seit der Mädchenschuldirrctor a. D.» Albrecht Goerth, der Verfasser von „Studium der Lyrik", von „Erziehung oder Ausbildung der Mädchen" u. f. w. in seinem epochemachenden Werke „Lyrik- Schwärmerei, Asterlyrik und Blaustrumpfthum" der von Schrattenthal in die Literatur eingefübrten ostpreußischen Bäuerin Johanna Ambrosius, deren Gedichte jetzt Wohl in 26. Auflage die weite Welt durchwandern, den Lorbeerkranz vom Haupte gerissen und kritisch zerpflückt hat, muß man auf solch' ablehnend-despectirliche Interjektion schon gefaßt fein. Aber gemach! Ganz abgesehen von der Controvrrse über Johanna Ambrosius, die noch nicht abgeschlossen ist — in Stine Andresen haben wir es nicht mit einer Poetin zu thun, die der Preßburger Literarhistoriker erst entdeckt hätte, sie ist der deutschen Leserwrlt bereit» vortheilhaft bekannt durch die erstmalige Edition ihrer Gedichte, welche Vr. Gerber im Jahre 1893 besorgt hat, sie ist beifällig von der Kritik begrüßt worden und Schrattenthal nimmt nur da» Verdienst in Anspruch, die nöthig gewordene zweite Ausgabe ihrer Ge dickte, welche er durch einzelne Nummern vermehrt hat, mit dem Bildniß der Dichterin und ihre« Wohnhauses, sowie mit stimmungsvollen Textillustrationen hat schmücken lassen, ge wissenhaft besorgt und damit einen echt menschenfreund lichen, von edler Gesinnung zeugenden Zweck verbunden zn haben. Wer da« schön» Talent der nordischen Dichterin bereit hat sckätzen lernen, aber auch wer vorläufig nur auf Treu und Glauben unsere Versickerung hinnimmt, daß sie thatsäch lich eine Dichterin, und nicht der schlechtesten eine ist, wird zweifellos mit aufrichtiger Theilnabme von dem schweren Ver- hängniß hören, daS über Vie einst so schaffensfrob und zu kunftsfreudig den Pilgerstab vorwärtSsetzende Poetin ge kommen ist, ein Loo«, daS ihr durch den pekuniären Ertrag ihrer Geistesprodnctionen etwas leichter gestaltet werden soll. Schon dieser eine Zweck rechtfertigt ein nähere- Eingehen auf die dichterischen Gaben der talent- und charaktervollen Friesin. Stine Andresen ist am 23. September 1849 auf der kleinen Insel Föhr, jenem winzigen, wogenumbrandeten Eiland an der Küste der jütischen Halbinsel geboren, auf einem Flecken Erde, der fruchtbar und freundlich, von echt deutschem Menschen schlag bewohnt, von uralten Sagen umwoben, gleich den be kannten Halligen, in absehbarer Zeit von den nagenden Fluthen der Nordsee verschlungen sein wird — kommenden Ge schlechtern selbst nur eine Sage, eine dämmernde Erinnerung! Eines ihrer schönsten Lieder, ja da« schönste vielleicht bat die Dichterin, deren ausgeprägter Heimatbsinn und schwärmerische Vaterlandsliebe zu ihren so ungemein sympathisch berührenden echt deutschen Charaktrrzügen gehört, dieser schon halb zerfallenen Scholle gewidmet. Sie singt ebenso schlicht wie tiefrrgreifend von ihrem Heimathlande: Heut stand ick wieder dort am Strand und schaute Hinaus aufs Meer und lauscht« seinem Klang, DaS, unterbrochen auch von keinem Laut», Mir seine schwermuthsvolle Weise sang. Da srb' ich — mich beschlichen bange Schauer — Um mich nur Bilder der Vergänglichkeit, Da- Ländchen, ach! — ich denke dran mit Trauer, Datz schutzlos es dem Untergang geweiht. Sein User ist zerklüftet und zerrissen, Di« Welle rollt in'« Land mit gier'grr Lust, Ais sehn» sich das Meer, e« zu umicklirhen Und wild binabzuzied'n an seine Brust Wie lange noch? — Wer löst der Zukunft Siegel Dem Fragenden, daß sie ihm Antwort beut! Denn unaufhaltsam regt die nrächt'gen Flügel Di« große Weltenwandlerin, die Zeit! Aber mit welcher Innigkeit, mit welch anklammernder Liebe und eckt nordischer Zähigkeit hängt die Friesin an diesem Bischen „Hallige Hoog"! Wir können uns nicht ver sagen, ihren Heimaths-HerzenSerguß hier wiederzugeben: Dem Weltmarkt fern nnd seinem bunten Leben Liegt, im Gewände unscheinbar und schlicht, Ein Land, der Meereswelle preisgegeben, Die schäumend sich an seinen Usern bricht. Treu werd' ich meine Liebe stet- bewahren Dem kleinen, meerumrauschten Inselland, ES ist das Land, wo einst vor vielen Jahren Die Wiege meiner thenren Mutter stand. Wo ihr des Leben- schönster FrühlingSmorgen Gelacht, wo Elternliebe sie umfing, Und wo in Särgen sie ihr Gluck geborgen, Al» heimathlos sie in die Fremde ging. Scheint auch ein Fleckchen Erd« so verlassen, So klein und unbedeutend unsrem Blick, Es kann da- tiefste Menscheneiend fassen Und tragen kann'- da- höchste Erdenglück. StineS erste Jugend war, wenn auch nicht von lauter Sonnenschein umflutbet, dock auch nicht von den Sorgen der Armutb umdüstert. Ihre Eltern erfreuten sick einer gewissen Wohlhabenheit und lhaten nach Kräften für dir Kinder. Der Vater Jürgen Erich Jürgen- war ein tüchtiger Land- wirtb, der sich gcbörig rührte, aber durch Fleiß und eiserne Ausdauer es auch zu etwa» brachte. Dabei war er, »rotz schwerer Tagesarbeit, guter Lektüre an langen Winterabenden nicht abhold, ja, er galt al« sehr belesen und dir Führer Nachbarn wußten, daß, wenn sie rinmal ein gute- Buch lesen wollten, sic nur zu Erich Jürgen» »u .'eben braucht« Kein Wunder, daß die geistig regsame, sichtlich begabte Stine bald heimisch in der „Bibliothek" des Vaters wurde, daß sie besonderen Gefallen an Gedichten fand und die Luft in ihr erwachte, zu singen und zu sagen, was sie empfand nnd WaS ihr Innerstes, daS von jeher auf einen ernsten Accord gestimmt war, bewegte. Früh schon hat sie den Ernst deS Leben» kennen gelernt. Erst sechzehn Jahr war sie alt, als man ihre geliebte Mutter zur ewigen Nulw bettete; es war ein harter Schlag für die Familie, obwohl der gute Vater ihr noch bis zum Jahre 1887 erhalten blieb. Sie hat fest an beiden gehangen, sie innig verehrt und geliebt, das zeigt ihre Frage an einen der Heiinath untreu Gewordenen. Umschwebt Dich nie in jenen fernen Zonen Ter Mutter Bild, der besten aller Frauen? Ist Liebe Dir und Pflichtgefühl erstorben, Bist Du verdorben? DeS Vater- Wesen, edel, schlicht und bieder, Tas treue Herz der Freunde und der Brüder, Die »inst mit Dir am trauten Hrerd gesessen, Hast Du's vergessen? Aber zu noch ergreifenderem Ausdruck kommt die Mutter liebe in dem kaum übertroffenen „Mein Talisman", aus dem nur folgende wenige Strophen mitgetheilt seien: Ein einzig Dulden war Dein Lebe»; Stet- sah ich, wie Du littest auch, Ein Lächeln Deinen Mund umschweben, Ten schon berührt de» Tode» Hauch. Und al» Du schied'st aus uns'rer Mitt«, Und wir umstanden Dich so trüb, Da war noch Deine letztt Bitt«: O habt Euch immer, immer lieb! Die ist mir tief ins Herz aedrunaen, O Mutter, die» Dein letztes Wort; Und mir im Leben oft erklungen, Mich sctiützeud, wie ein treuer Hort. — —
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