Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.07.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960704026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896070402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896070402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-04
- Monat1896-07
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis d« Hauptexpedition oder den im Stadt« deetrk und den Bororten errichteten Aus« oadestellen ab geholt: vierteljährlich ^lL.öO, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- Hau- b.üO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche KreuzbanLsendung tu- Ausland: monatlich 7.50. Di« Morgen-AllSgabe erscheint um '/,7 Uhr. di« Abeud-Ausgabe Wochentag» um 5 Uhr. Redaclion und Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen »Sffuet vou früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: DU» Elemm's Gortim. (Alfred Hahn). Uviversitätsstraße 3 (Paulinum), LouiS Lösche, kathartnenstr. 14, Part, und König-Platz 7. ^° 336. Abend-Ausgabe. U'chMcrTagcblatt Anzeiger. Ältttsvlatt des königlichen Land- und Änitsgerichles Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Neclamen unter dem Redactionsstrich (-ge spalten) 50^. vor den Famtliennachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Zifsernsatz »ach höherem Tarif. Extra-Veilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne PostbesVrderung KO.—, mit Postbrfvrderang ^l 70.—. Annahmeschluß filr Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Druck lind Verlag von E. P okz in Leipzig Sonnabend den 4. Juli 1896. 90. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Juli. Unsere gestrige Voraussage, daß der StaatSsecretair vr. Boetticher infolge seiner Erklärung über die Stellung des Bund es rat Hs zu den von den Agrariern und ihren Verbündeten in das Mnrgarincgesetz hineingebrackten Be stimmungen über das Färbeverbot und die Trennung des Feilhaltens von Butter und Margarine bald wieder die bekannten agrarischen Angriffe auszuhalten habe, die sich gegen Jeden richten, der nicht ein willenloses Werkzeug in den Händen der Ploetz und Genossen ist, hat sich rasch erfüllt. Das Organ des Bundes der Landwirthe, die „Deutsche TageSztg.", giebt sich zunächst den Anschein, als lege es auf jene Erklärung des Staatssecretairs gar kein Gewicht und erwarte vom Bundesrath, daß er Herrn v. Boetticher desavouire, nötigenfalls gegen die Stimme Preußens, aber dann fährt das Blatt fort: Herr v. Boetticher, der sich sonst so manches Mal als „Schlau meier" gezeigt hat, hat mit seiner Stellungnahme gegen das Margarincgejetz nach Form, Inhalt und Zeitpunkt seiner Er klärung eine große Unklugheit begangen. Sein erst erstauntes und dann betrübtes Gesicht, als er die gänzliche Wirkungslosigkeit seiner Deklamationen auf die Conservativen und das Centruin erkannte, forderte für den Bielgewandlen zum ersten Mal, so lange er vom Bundesrathstische spricht, ein gewisses Mitleid heraus. Auch der LandwirthschastSminister hat wieder wenig gut ab geschnitten, und er hat es eigentlich nur der Gutmüthigkeit der rechten Seite des Hauses zu danken, daß es ihm, um mit dein Berliner zu reden, „nicht noch mehr in die Bude geregnet hat".... Der Abg. vr. Bachem hatte es leicht, die gänzliche Uuhalt- barkeit der Deduktionen Les Herrn von Boetticher sestzustellen, und er that es, wie uns schien, nicht ohne Anflug berechtigten Spottes. Herr von Boetticher wagte denn auch nicht zum zweiten Mal den Mund auszuthun. Er ließ Herrn von Hammerstein „in seinem (des Herrn von B.) Namen" die Trennung der Verkaufs räume als unannehmbar bezeichnen. Herr von Ploetz ließ die Herren vom Regierungstisch nicht lange darüber im Zweifel, daß auch diese „Erklärung" auf die Stellungnahme der Conservativen keinerlei Wirkung ausüben konnte.... Aber was wird die Regierung thun? Eine Ablehnung des Margarinegcjctzes würde sie aus das Schwerste bloßstellen, eine Annahme des Gesetzes würde nur Herrn von Boetticher bloßstellen. — Aber Herr von Boetticher hat sich selber und die Regierung schon dermaßen bloßgestellt, daß ihn die Annahme des Margarinegesetzes durch den Bundesrath nicht mehr schwer berühren kann. Also fort mit dem „bloßzestellten" Herrn v. Boetticher und fort gleichzeitig mit dem Landwirtbschaftöminister von Hammerstein, die es wagen, nicht der Meinung der Herren von Ploetz, vr. Bachem u. s. w. zu sein und die Ueberzeugnng ihrer preußischen Ministercollegen zu ver treten. Welche Sprache würde das Organ des Bundes der Landwirthe wobt führen, wenn m i t l e l p a r t e i - licke Blätter in solcher Weise über eine ihnen nicht genehme Stellungnahme der Minister sich ergehen und dem Köniz von Preußen Borschriften über die Wahl seiner Minister machen wollten! Und die „Deutsche Tageszeitung" sollte überdies doch wissen, daß an maßgebender Stelle gerade solche Anmaßung sehr unangenehm empfunden wird. Wenn also die Herren vr. v. Boetticher und v. Hammerstein nicht aus anderen Gründen amtsmüde sind, die „Deutsche Tagesztg." wird sie mit solchen Angriffen sicherlich nicht vom Platze bringen! Bei der dritten Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuches war es der Abg. vr. Sigl, welcher dem Zentrum aus seiner Stellung zur Civilchc den Borwurf der Verletzung katholisch kirchlicher Grundsätze machte. Der genannte Abgeordnete erklärte es für unglaublich, daß „Nom" durch ein tolernri PO88S gegenüber der Civilehe die Stellungnahme des Centrums sanctionirt habe. Rom könne und werde die katho lischen Principien nicht so verleugnen. Heute theilt die „Ger mania" mit, daß das Centrum in dieser Angelegenheit lhatsäch - lich von kirchlicher Seite des ..tolerari p08ss" sich versichert habe. Dasselbe sei durch „kirchliche Autoritäten" Denjenigen, die es zunächst anging, kundgegeben worden. Unter den letz teren sind jedenfalls die Führer des Centrums, unter den kirchlichen Autoritäten wohl die deutschen Bischöfe und die römische Congegration für kanonisches Recht zu verstehen. Die Thatsache, daß Nom hier sein tolsrari xo886 aus gesprochen hat, bestätigt die Richtigkeit der von liberaler Seite von Anfang an betonten Voraussetzung, daß das Centrum keinen Anlaß habe, der Aufrechthaltung der Civil ehe wegen das Bürgerliche Gesetzbuch zu verwerfen. Die Aeußerung Rudini's über die „Verbesserung des TrctbundverlragcS" erfährt durch den mitgetheilten Wort laut der cfficiösen „Agenzia Stefani"-Note, welche mit dem kategorischen Satze schließt: „Jede Auslegung, die glauben macken will, es sei eine Abänderung deS Ver trags beabsichtigt, ist durchaus unbegründet," eine viel bestimmtere Abschwächung als durch den lückenhaften Auszug, welcher unö gestern vorlag. Danach hätte es sich nur nm eine rein theoretische Deduktion über die Möglichkeit gehandelt, die Drcibundabmachungen irgend einmal, wenn es sich als vorteilhaft erweisen sollte, zu ver bessern, woran dann der Ministerpräsident die abwehrende Schlußbemerkung geknüpft hatte, jetzt aber denke Niemand an eine Aenderung, da der Dreibund gegenwärtig „voll und ganz" die Interessen Italiens garantire. Wir wollen nicht urgiren, daß — was nicht unwesentlich ist — der Gedanken gang Rudini'S der umgekehrte war, daß er nämlich erst sagte, es sei eine unbedingte Notwendigkeit für Italien, im Dreibünde zu verbleiben, welcher „seine größten Interessen garantire" und dann „theoretisirend" bemerkte: einer Ver besserung der Abmachungen aber stebe nichts entgegen — was wir auch jetzt nock an der ofsiciösen Note auszusetzen haben ist dies, daß sie sich mit einer Umschreibung der Worte Rudini's begnügt, statt den Wortlaut des betreffenden Passus wieder zugeben. Nur durch die Veröffentlichung der verda ip8i88ima des Ministerpräsidenten könnte der jetzt immer noch bestehende Verdacht beseitigt werden, daß man eS mit einer ofsiciösen Bemäntelung zu tlmn habe. Wo es sich uni eine so hoch politische Aeußerung deS ersten Staatsmannes eines der Drei- bundstaaien handelt, deren Eindruck im AnSlande unberechen bare Folgen nach sich ziehen kann, hätte man unbedingt jeden Zweifel abscknciden müssen. Uns ist ein solches Verhalten ebenso unbegreiflich wie der Umstand, daß der Berichterstatter deS ofsiciösen Telegraphen sich bei dem wichtigsten Passus der Rudiui'schcn Rede so total verhört und dem Redner ganz positiv klingende, bestimmt - prononcirte Worte in den Mund gelegt haben soll, die zu gebrauchen diesem nicht eingefallen wäre. Aber auch angenommen, der Minister präsident hätte nur die abstrakte Möglichkeit der Verbesserung der jetzt„vollgcnügenden"Verträge erörtert, sobleibt auch das im Hinblick darauf, daß die Opposition der italienischen Depu- tirtenkammer auf eine solche Verbesserung leidenschaftlich hin drängt, ein bedenkliches Manöver. Rudini glaubte die Oppo sition dadurch beschwichtigen zu können, daß er ihr ein Stück Weges entgegenkam und das war im gegenwärtigen Falle ein großer Fehler, mindestens aber eine für einen Staats mann in so exponirter Stellung unverzeihliche Taktlosigkeit. So peinlich diese Erörterungen auch sind, wir konnten sie uns nicht ersparen. Im klebrigen schließen wir nnS dem an, was die „Münchner Allgem. Ztg." über die Angelegenheit sagt: „Man wird aus deutscher Seite von der Richtigstellung mit Befriedigung Act nehmen, denn im Vereine mit dem Communique in der „Nordd. Allg. Ztg." beweist sie dem Gutgläubigen, daß an eine Modifikation des Dreibund-Abkommens, sei es in beschränkendem, sei es in erweiterndem Sinne, an maßgebender Stelle zunächst nicht gedacht wird, daß also der Marquis di Rudini sich von dem Abgeordneten Fortis nur dazu verleiten ließ, die Frage der Möglichkeit einer Abänderung bezw. Ber- besserung des Vertrages rein theoretisch oder grundsätzlich zu er örtern. Wie die Sache außerhalb des Kreises der Gut gläubigen, der Italien und dem Dreibunde Wohlgesinnten, beurthcilt werden wird, dürsten in den nächsten Tagen vor Allem die Commentare der französischen Presse nnS zeigen. Wir glauben nicht dcsavouirt zu werden, wenn wir jetzt schon die Vermnthung aussprechen, daß man in Paris die Gelegenheit, von schlimmen Absichten Italiens oder von Divergenzen inner halb der leitenden Kreise der Tripel-Allianz zu fabeln, nur allzugern benutzen wird. Zum mindesten aber wird man dem gegenwärtigen italienischen Ministerium den Vorwurf nicht ersparen, daß es eine bedenkliche Neigung zu haben scheine, gerade den befreundeten Cabiueten Verlegenheiten zu bereiten und sich infolge dessen unliebsamen Rektifikationen auszusetzcn. In London glaubte man unlängst die Opportunität gewisser Veröffentlichungen im italienischen Grünbuch und die Correctheit der Berichte des Botschafters General Ferrero in Zweifel ziehen zu müssen, und nun verbreitet der osficiöse italienische Telegraph eine hochpolitische Erklärung des Marquis di Rudini in einer Fassung, die man in Berlin nicht unbeanstandet lassen konnte. Etwas mehr Vorsicht mag also in der That angezeigt erscheinen." Schließlich darf noch darauf hingewiesen werden, daß Rudini's Zweck, die Opposition günstig zu stimmen, durch seine „Richtigstellung" selbstverständlich vereitelt ist. Die letzte Enchklica Lco'S Xlll. über die Wieder vereinigung der Kirchen ist speciell an die anglika nische Kirche in England gerichtet. Die Bewegung inner halb der anglikanischen Kirche zu Gunsten einer Anlehnung an Rom ist nicht neu. Sie tritt allemal hervor, wenn die Kampflustigen der freien protestantischen Gemeinden an der Herrschaft der englischen bischöflichen Kirche rütteln. Die nach Rom blickenden Anglikaner träumen dann von einer englischen Autonomie innerhalb der römischen Kirche, wie sic etwa die russische, rumänische und serbische Kirche dem griechischen Patriarchen gegenüber besitzen. Sie möchten dem Papste gern den Primat der Kirche gönnen, aber nicht unter seiner Jurisdiction stehen, denn die anglikanische Kirche bestreitet bekanntlich dem römischen Bischofsstuhle die Nachfolge Petri und die päpstliche Jurisdiction. Haupthinderniß für die Anlehnung an Rom erscheint diesen Schwärmern die Frage der Giltigkeit der englischen Weihen, welche in der katholischen Kirche zumeist bestritten werden. Es wird nämlich von römischer Seite viel fach behauptet, während der englischen Reformation sei die Reihenfolge gütig geweihter Bischöfe unterbrochen worden, wes halb die heutige anglikanische Hierarchie ohne priesterlichen Charakter dastede, somit nickt in der Lage sei, Sacramente zu spenden. In Nom ist seit einiger Zeit eine kirchliche Commission mit der Prüfung dieser Frage beschäftigt. DaS neuliche offene Schreiben Gladstone's an Leo XIII. hatte den Zweck, in der Frage der Weihen den Papst zu Gunsten der Anglikaner zu stimmen. Auf dieses Schreiben ist nun die jüngste Enchklica die ebenso höfliche als ent schiedene Antwort. Der Papst erklärt einfach, die Vereinigung der Kirchen sei keine Sache politischer Verhandlungen und Ausgleiche, sondern eine Frage des Glaubens und der Untere werfung. Wer in die rönnsche Kirche eingehen will, mnß den Papst rückhaltlos als Nachfolger Petri anseben. So macht die Enchklica reinen Tisch mit den hochkircklichen Phantastereien in England, und die „Times" hat wohl Recht, wenn sie hervorbebt, es sei ein Wahn, sich mit Rom ver söhnen und zugleich ein Mitglied der englischen Staatskirche bleiben zu wollen. Auch die übrigen Londoner Blätter vcr halten sich ablehnend gegen eine Vereinigung mit Rom und geben dem Gedanken Ausdruck: Wie konnte es überhaupt unter Anglikanern und Nonconformisten Männer geben, die sich einfallen ließen zu glauben, daß Rom mit etwas Anderem als bedingungsloser Unterwerfung zufrieden sein würde! In Belgien werden morgen die Kamm erwählen vor- genommen. Bon Len 152 Kammermitzliedern sind 77, und zwar 06 Klerikale, lO Liberale und l Socialist, der Neu wahl unterworfen. Die Wahlen finden in den 22 Wabl- kreisen der 5 Provinzen Brabant, Antwerpen, Westslandern, Namur und Luxemburg statt. Das allgemeine Stimm recht, modificirt durch daS Mehrstimmensystem, das den Bemittelten und Gebildeten 2 oder 3 Stimmen sichert, wird zum zweiten Male sprechen; die Stimmen abgabe ist geheim und obligatorisch. Um die 77 Sitze bewerben sich 222 Candidaten, und zwar 66 aus scheidende Deputirte und 166 neue Candidaten. In Brüssel, welches 18 Deputirte wählt, sind 68 Bewerber, in Ant werpen für 11 Sitze 40 Candidaten aufgetreten. Die Klerikalen streiten in allen Wahlkreisen mit 77 Candi- daken, die Christlichen-Demokraten in fünf Wahlkreisen mit Candidaten, die Liberalen aller Richtungen in 13 Wabl kreisen mit 46 Candidaten und die Socialisten in zwölf Wahlkreisen mit 42 Candidaten. Außerdem haben die verbündeten Fortschrittler und Socialisten in den drei Wahl kreisen Brüssel, Namur und Dinant 13 Fortschrittler und 11 Socialisten als Candidaten aufgestellt. Daneben haben sich noch auSsichtlos in vier Wahlkreisen Sondervertreter für Industrie und Landwirthschaft aufgestellt. Das Gesanimtbild des Wahltages stellt sich also: In der Kammer sind verblieben 75 Deputirte und zwar 30 Klerikale und 36 Liberale und Socialisten. Da die drei klerikalen Depu taten für Turnhout ohne Widerspruch bereits gewählt sind, so zählt die Kammer 42 Klerikale, 36 Liberale und Socialisten. Die absolute Stimmenmehrheit beträgt 77; eS fehlen den Klerikalen dazu noch 25 Stimmen. Da aber die 18 Sitze WcstflandernS, die 11 Antwerpener Sitze, die Sitze in Loewen und Mecheln — insgcsammt 39 Sitze — den Klerikalen sicher sind, so steht ihre Mehrheit fest. Der eigentliche Wahlkampf, dessen AnSgang nicht abzuseben ist, dreht sich um die 18 Brüsseler Sitze, um die 4 Sitze in der Stadt Nivelles, um die 8 Sitze der Provinz Namur und um die 5 luxemburgischen Sitze, also um 35 Sitze, die bisher 24 Klerikale, 10 Liberale und 1 Socialist innehatten. Das katholische Regiment wird hiernach fortbestehcn, da die liberale Partei zerrissen und regierungsnnfähig ist und die Socialistenpartei nicht darauf rechnen kann, zur Macht zu kommen. An Ueberraschungen wird es am Wahltage nicht fehlen, da bei den Wahlen vou 1894 die Klerikalen 915 000 Stimmen und ihre Gegner 871 000 Stimmen (die Liberalen L16000 Stimmen, die Feuilletsn. Jim Pinkerton und ich. Roman von R. L. Stevenson und Lloyd Osbourne. 6j Autorisirte Bearbeitung von B. Kätscher. Nachdruck »erbeten. „Warte nur, bis ich alle meine Eisen im Feuer habe!" entgegnete er zuversichtlich. „Ich habe mir vorgenommen, reich zu werden, sehr reich. Hier, mein Junge, thu' mir den Gefallen und nimm die erste Monatsrate aus der Hand eines Freundes. Ich gehöre gleich Dir zu Jenen, welche die Freundschaft heilig halten. Es sind bloS 100 Francs, ich werde Dir vorläufig jeden Monat so viel schicken. Sobald sich jedoch mein Geschäft drüben heht, will ich die Summe angemessen erhöhen. Du thätest mir auch einen großen Ge fallen, wenn Du mir Deine Statuen zur Verwerthung für den amerikanischen Markt anvertrauen wolltest, ich könnte sicherlich ein grandioses Geschäft damit machen!" ES bedurfte langer und peinlicher Auseinandersetzungen auf beiden Seiten, ehe es mir gelang, das edle Anerbieten Pinkerton's zurückzuweisen. Er ließ, seiner impulsiven Natur entsprechend, den Gegenstand plötzlich mit seinem stereo typen „Thut nichts, sprechen wir nicht weiter darüber!" fallen und kam auch nicht wieder darauf zurück, trotzdem wir den ganzen Nachmittag beisammen blieben und ich ihn zum Bahnhof begleitete. Als ich nach Abfahrt des ZugeS so allein auf dem Perron stand, fühlte ich mich sehr vereinsamt und eine innere Stimme sagte mir, daß ich nicht nur einen verständigen Rath, sondern auch eine helfende Freundeshand zurückgewiesen hatte. Eine trübe Stimmung bemächtigte sich meiner und ich sah, durch die belebten Straßen heimwärts schreitend, diese zum ersten Mal seit meinem Aufenthalt in Pari» mit feindlichen Augen an. Fünftes Capitel. Auf keinem Fleck der Erde ist der Hungertod eine an genehme Sache, aber man wird zugeben, daß eS zum Verhungern keinen schlimmeren Ort giebt al« gerade Pari-, wo daS Leben ein so besonder» lustiges ist. Die Häuser sind so schön, die Theater so zahlreich, die Fahrzeuge jagen so rasch dahin, daß ein in tiefe Gedanken ver sunkener oder von physischer oder seelischer Pein gequälter Mensch auf sich selbst angewiesen zu sein vermeint. Er glaubt berechtigt zu sein, sich für das einzige ernste Geschöpf zu halten, das in dieser schrecklichen Welt der Unwahrheit lebt. Die schwatzenden Leute, die aus den Theatern und Cafes strömen, die Droschken mit vergnügungssüchtigen Spieß bürgern, die herausgcputzten Straßendämchen, die reichen Auslagefenster der Juweliere — all diese bekannten Schau spiele dünken ihm jetzt wie ein Hohn auf sein eigenes Unglück, seine Noth und seine Vereinsamung. Wenn er nach meinem Muster geschaffen ist, wird ihn vielleicht eine kindische Genugtuung aufrecht halten; er wird sich sagen: „Dies ist endlich das Leben, das wirkliche Leben. Die Blase, die mich auf der Oberfläche deS großen Oceans erhalten sollte, ist geplatzt, ich bin jetzt auf meine eigene Kraft und Geschicklichkeit angewiesen und muß ent weder elend zu Grunde gehen oder siegen. Viele der Studenten und Kunstjünger leben jahrelang von sogenannten „Anleihen". Die Wenigsten denken auch nur daran, dieselben jemals zurückzuzahlen. Mich traf mein Unglück zu einer sehr ungünstigen Zeit, denn die meisten meiner Freunde batten Paris bereits verlassen und andere befanden sich selber in einer sehr notdürftigen Lage. So z. B. der brave Romney, der das Pariser Pflaster in Holz schuhen trat, und dessen einziger Anzug sich, trotz einer geradezu genialen Anwendung von Stecknadeln in einem so beklagenswerten Zustand befand, daß die Leitung des Luxem bourg ihm bedeutete, die Galerie zu verlassen. Auch Dyon saß auf dem Trockenen und sah sich gezwungen, für einen Kunsthändler Uhrständer und Gascandelaber zu zeichnen. Er war aber so großmütig, mir eine Ecke seines Ateliers ein- zuräumcn, da ich da« meinige anS zwingenden Gründen ausgeben und mich auch von dem Genius von MuSkegon für immer trennen gemußt. Um im Besitz einer überlebens großen Statue bleiben zu können, hätte ich ein Atelier, eine Galerie oder zum Mindesten die Benutzung eine« Gartens haben müssen. Bei meinem wiederholten Wohnungswechsel konnte ich sie nicht wie eine Reisetasche in einer Droschke unkerbringen, noch auch eine winzige Dachstube mit einer so gewichtigen Ge fährtin teilen. Meine erste Idee war, sie in ihrem Ent- stehungSortr ,u belasten, vielleicht vermochte sie meinen Nach folger zu großen Thaten zu begeistern, aber mein Hauswirt, mit dem ich leider kurz vorher einen Streit gehabt hatte, ergriff die Gelegenheit, um sich unangenehm zu machen, indem er mich zwang, mein Eigentum au« seinem Hause zu schaffen. Für Jemanden, der sich in einer Klemme befand wie ick, war das Mieten eines Karrens keine Leichtigkeit, aber ich würde es gethan haben, wenn ich für meine Riesendame einen Bestimmungsort hätte angeben können. Ich mußte in ein hysterisches Gelächter ausbrechen, al« ich mir ausmalte, wie der Genius von MuSkegon der öffentlichen Besichtigung des Pariser Publikums ausgesetzt sein würde, wie ihn der Karren schieber schließlich zu dem nächsten Misthaufen führen mußte, wo daS geliebte Kind meiner Erfindung zusammen mit dem Unrat der Stadt der Vernichtung anheimsiel. Dieses schreckliche Schicksal blieb ihm jedoch erspart, denn in der letzten Stunde wurde mir ein unter den Umständen annehm bares Angebot gemacht und ich trennte mit gegen eine Be zahlung von 30 FrcS. von meinem „Genius". Wo er ein Unter kommen gefunden, unter welchem Namen er bewundert und kritisirt ward, davon schweigt die Geschickte, und doch macht eS mir Freude, mir vorzustellen, daß er irgend einen hübschen Ver- anügungSgarten schmückt. Ich sehe im Geiste, wie die jungen Ladenmädchen ihre Hüte und Umhüllen auf die „Mutter" hängen und wie galante Herren das beflügelte Kind für den Liebesgott erklären. In einem ani äußeren Boulevard gelegenen SpeisehauS für Droschkenkutscher wurde mir für meinen Mittagstisck Credit gewährt. Ich machte dem Wirth weiß, daß ich all abendlich zu einem meiner reichen Freunde geladen sei. So lange mein Anzug noch anständig aussah, mochte er diese Fabel geglaubt haben, aber später, als derselbe ab getragen und fadenscheinig wurde und meine Schuhe ihre elegante Fatzvn verloren hatten, mußte ich ihm mehr al« zweifelhaft erscheinen. Eine einzige Mahlzeit im Tage — das entsprach wohl meinen damaligen Finanzen, aber mein Magen wollte sich auf die Dauer damit nicht be gnügen. Ich halte in meinen guten Zeiten dieses Speise- Hau- öfter versuchsbalber ausgesucht, um das Leben der Studenten, die schlechter gestellt waren als ich, auS eigener Anschauung kennen zu lernen; jedeSmal betrat ich eS mit Ekel und verließ eS mit Uebelkeiten. Und nun? Nun setzte ich mich mit hier zu Tisch, erhob mich befriedigt und zählte die Stunden, die mich von der nächsten Mahlzeit trennten. Hunger ist bekanntlich der beste Kock, und ick war, seitdem ich mein letzte« Baargeld ausgegeben, vollständig auf dieses SpeisehauS nud auf seltene Glücksfälle, di« lange in meiner Erinnerung nacklebten, angewiesen. Dyon verkaufte z. B. eines seiner Schmierbilder, oder ein alter Bekannter auS der Hcimath hielt sick kurze Zeit in Paris auf, lud mich zu einem Diner nach meinem Geschmack ein und bot mir eine Quartier-Latin-Anleihe an, die mich in den Stand setzte, mich eine Woche lang mit Tabak und Morgen kaffee zu versorgen. Man sollte glauben, daß der letztere mir wichtiger gewesen wäre, man sollte glauben, daß ein Leben, welches so nahe ans Verhungern grenzte, meinem verwöhnten Gaumen abgestumpft hätte, aber keine Spur! Je ärmlicher die Kost eines Menschen meines Schlages ist, desto mehr sehnt er sich nach Leckerbissen. Meine letzten 30 Francs batte ich an ein einziges famose« Diner ver schwendet, und so oft ich allein war, verbrachte ich den größten Theil meiner Zeit damit, im Geiste bei einem imaginären Festesten zu schwelgen. Nach langem, vergeblichem Hoffen und Harren lächelte mir Fortuna. Ein reicher Südamerikaner bestellte eine Büste bei mir. Der Mann war freigebig, heiter und geschwätzig, hielt mich während der Sitzungen in guter Laune, führte mick, wenn diese beendet waren, in die besten Restaurants oder ließ sich von mir die Sehenswürdigkeiten der französischen Metropole zeigen. Ich asi gut, setzte Fleisch an und bemühte mich, ein dem Manne ähnliches Bilvniß zu schaffen. DaS gelang mir auch und ich gestehe, daß ich meine Zukunft für- gesichert hielt. Als die Büste fertig war, verpackte ick sie sorgfältig und schickte sie übers Weltmeer, hörte aber nicht mehr von ihr. Dieser Schlag knickte mick vollständig und ich hätte wahrscheinlich nicht die Kraft besessen, mich wirrer aufzurichten, wenn nicht die Ehre meines Vaterlandes an gegriffen worden wäre. Dijon behauptete nämlich, Amerika sei eine Banditenhöhle ohne die geringste Grundlage von Gesetz und Ordnung, die Menschen seien lauter Hals abschneider und Schulden könne man nur mittels einer Flinte eincassiren. Ich unternahm es, ibm das Gegen- tbeil zu beweisen und legte meine Angelegenheit in rie Hand de« Advocate» meines verstorbenen Vaters. Zu meinem Leidwesen erfuhr ich von diesem, daß mein Schuldner in Key West am gelben Fieber plötzlich gestorben war und seine Angelegenheiten in sehr verworrenem Zustande hinter lassen habe. Er hatte mich wohl mit grausamer Gleich giltigkeit behandelt, aber nicht die Absicht gehabt, mich zu verkürzen. Baid nach diesem Ereigniß glaubte ich zu bemerken, daß ich in dem Kutscher-Speisehau- nicht mehr so freundlich empfangen wurde, wie sonst, und da« gestaltet« meine ver zweifelte Lage nur noch verzweifelter. Am ersten Tage suchte ich mir einzureden, daß die« nur Einbildung sei, am zweiten wurde ich eine- Besseren belehrt, am dritten blieb ich
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite