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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.07.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960703025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896070302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896070302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-03
- Monat1896-07
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Nrclamen unter dem RedactivnSstrich (»ge spalten) äO^Z, vor den Familirnnachrlchten (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Optra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung ^ll 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 UhQ Morge n-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. vri den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets au die Expedition zu richten. -- — Druck nnd Verlag von E. P olz in Leipzig 9«. Jahrgang. Nach der Vertagung des Reichstags. Während der nach der Vertagung des Reichstags in der inneren Politik voraussichtlich nunmehr anbrechenden stillen Zeit wird man oft zu hören und zu lesen bekommen, daß der Reichstag von 1893 eine arg verkannte Größe gewesen sei, die aber in der gestern bis zum 10. November unter brochenen Session ihr herrliches Wesen herrlich offenbart habe. Die Ncclamc wird sich hauptsächlich auf das Zustande- bringen des Bürgerlichen Gesetzbuches stützen, und da der unlautere Wettbewerb im Parteiwesen von dem vorgestern in Kraft getretenen Gesetze nicht berührt wird, so kann es nicht auSblciben, daß das genannte Gesetzgebungswerk unter falschem Stempel in den politischen Handel kommt und den firmirenden Inhabern dieses Reichstags gntgeschrieben wird. Ucbcr die Bedeutung, die das Bürgerliche Gesetzbuch in unseren Augen besitzt, brauchen wir kein Wort zu ver lieren. Es ist der mächtigste und, wie wir hoffen, frucht barste unter den Bäumen, deren Samen die natioual- liberale Partei in den siebziger Jahren in die Erde gesenkt hat. Aber der Leumund der Mehrheit des gegen wärtigen Reichstages kann nach der Fertigstellung des Gesetzbuches als ein gebesserter nur Dem erscheinen, der in dem Verzicht ans eine grobe Pflichtverletzung ein Verdienst zu erblicken vermag. Kommt noch hinzu, daß die Leistung nicht aus dem Verantwortlichkeitsgefühl heraus, sondern von der einen Präsitialpartci in der Hoffnung auf Lohn von oben, von der andern ans Furcht vor dem Unwillen der Wähler gewährt worden ist, so besteht erst recht kein Grund, diesen Reichstag nalionalpolitisch beute anders zu beurtheilen als im vorigen Jahre nach der Vereitelung der Finanzreform. Das Kennzeichen einer correctcn Auffassung der Abgeord- netcnpflicht ist und bleibt die von den „Miltelparteien" jederzeit bekundete Bereitwilligkeit,nötbigenFalles den Mandatsertbeilern Opfer aufzuerlegeu, also auf Kosten der eigenen Popularität zu votiren. Solche Selbstüberwindung hat weder der Abschluß der Angelegenheit des Bürgerlichen Gesetzbuches, noch sonst ein Gegen stand ter langen, seit dem 3. Dccember v. I. währenden Tagung gefordert. Die Umwandlung der vierten Bataillone, eine nahezu kostenlos sich vollziehende Verbesserung des Heer wesens, durfte eine ausschlaggebende bürgerliche Partei, die ernst genommen sein wollte, nicht hintertreiben; die Bewilligung einer Summe zur Verstärkung der Schutztruppe in Südwestafrika siel in den Nahmen einer vom Centrum in seiner Eigenschaft als konfessioneller Partei unterstützten Politik, und die in engen Grenzen gehaltene Bewilligung von Schiffen war die Consegueuz eines längst genehmigten Flottengründungs planes. Einige politische Bedeutung kommt noch dem Beschlüsse zu, U cber schü s s e aus dem vorigen Finanzjahre zu einem Theil auf die Schuldentilgung zu verwenden. Ein weiteres, aus der Initiative des Reichstags bervor'gegangenes Gesetz ist dasjenige, welches die Verbindung von politischen Vereinen untereinander gestattet. Es dürfte das seltsame Schicksal erleben, in den — Einzelstaaten verabschiedet zu werden. Erwähnen wir außer der in ihrer Weitschweifigkeit und Unfruchtbarkeit schon im Frühjahr allseitig gewürdigten Etatsdebatte noch die in der Commission durchberathene Insliznovelle, wegen deren der Reichstag nur vertagt und nicht geschlossen worden ist, so sind alle wichtigeren Be- ralhungSgegenstände nicht wirthschaftlichen Charakters ge nannt worden. Die Gesetzgebung wirthschaftlicher Art giebt dem Sessionsabschnitt die Signatur. Es ist eine vielgestaltige und um- sassende Action zur Kräftigung nothleidenderErwerbsstände zum Abschluß gekommen und dabei die schon früher beobachtete Er scheinung zu Tage getreten, daß vernünftige, durchführbare Wirthschaftsreformgedanken allgemeiner und specieller Art bei einer sehr großen Mehrheit grundsätzlich Anklang fanden. Das Manchesterthum zeigte sich keinem lebensfähigen gesetz geberischen Unternehmen mehr gefährlich, die Bedenken wurden vornehmlich nur erweckt durch Uebertreibungen und durch eine Politik, die die Wirthschaftsfragen zu Machtzwecken miß brauchen oder die Pflicht der Rücksichtnahme einer Erwerbs gruppe auf die Summe der anderen nicht anerkennen will. In den zum Margarinegesetz beschlossenen Verboten des Färbens und des Verkaufens von Butter und Margarine in denselben Räumen tritt die auf Prohibirung eines legitimen Wettbewerbs gerichtete Tendenz besonders stark hervor. Sie hat sich der Bekämpfung unlauteren Handels mit Speisefetten geradezu feindlich gezeigt, nach den Er klärungen der Regierungen hat das vom Reichstag in letzter Stunde beschlossene Gesetz keine Aussicht auf ihre Zustimmung. Sonst kann das Urtheil über die WirthschaftSgesetzgebung der Session, von Einzelheiten abgesehen, ein billigendes sein. Der Gesetzentwurf über den unlauteren Wettbewerb, bestimmt, dem gewissenhaften Geschäftsmann Schutz gegen den scrupellosen Eoncurrenten zu gewähren, ist in Bezug auf diesen Zweck vom Reichstag erweitert und nur in seinen berechtigtes wirthschaftliches Streben ungebührlich hindernden Bestimmungen über die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen eingeschränkt worden. Ausdehnung hat auch das mit einem von den Nationalliberalen seit Jahren verlangten Depot gesetz vorgelegte Börsengesetz erfahren und zwar nach mehrfacher Richtung. Wenn wir recht sehen, hat man sich zur Zeit bereits mit allen seinen Bestimmungen auSgesöhnt, ausgenommen das Verbot des börsenmäßi^en Termin handels in Getreide dort, wo diese Geschaftsform ihre einzige Stätte in Deutschland hat. Diese Stelle repräsenlirt nicht den deutschen Getreidehandel, der vielmehr als der Urheber des Verbots angesehen werden darf. Wenn man heute, noch ehe es in Kraft getreten ist, natürliche üble Wirkungen des Verbots behauptet, so empfiehlt sich jene Ruhe, die sich gegenüber den ersten Schilderungen der Folgen der Besteuerung des Börsengeschäfts bewährt hat. Auch von dem Zuckersteuergesetz, mit dem der Reichstag nach unserer »«erschüttert gebliebenen Ueberzeugung eins der wichtigsten Gewerbe vor einer Katastrophe bewahrt hat, wird behauptet, es habe nicht nur die erwarteten Wirkungen noch nicht geübt, sondern geradezu geschadet. Die letztere Angabe ermangelt des Beweises, die erstere besagt etwas Selbstverständliches. Es war nicht vorausgeseden, daß die Erhöhung der deutschen Ausfuhrprämie den Wegfall der Prämien der anderen Staaten unmittelbar nach sich ziehen werde. Vielmehr war der leitende Gedanke der, daß es mit der Prämienwirthschast der Cvncurrenzländer nicht besser werden könne, ehe es nicht noch schlimmer geworden sei. Die Novelle zur Gewerbeordung ist ein zu vielgestaltig Ding, als daß man die Zuversicht aussprechen könnte, sie werde sich durchaus bewähren, zumal da man den Umfang ihrer wichtigsten Bestimmung, das Verbot des Detailreisens, erst kennen wird, wenn die Maaren, auf die sie keine An wendung finden soll, vom Bundesrath bekannt gegeben sein werden. Unsere Auszählung der erledigten Gesetzgebungsangelegen heiten wird vollständig, wenn wir außer dem vom Reichstag genehmigten Handelsvertrag mit Japan die Novelle rum Genossenschafts gesetz nennen, die in der Haupt sache die Waarenabgabe an Nichtmitglieder verhüten will und die Consumanslalten den Consumvereinen in dieser Hin sicht gleichstellt. Ein Handwerkskammergesetzentwurs ist bekanntlich zu Beginn der Session im Hinblick auf den von Herrn v. Berlepsch aeplannten Bau in der Commission verworfen worden. Möglich, daß er nach dem Personen wechsel, der dieser Tage sich vollzogen hat, im nächsten Winter zum Eckstein wird. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Juli. Der Reichstag hat vor seiner gestern eingetretenen Ver tagung seinen Wählern noch eine Ueberraschung bereitet; er hat das Margarincgesctz in dritter Lesung zwar angenommen, aber in einer Form, der nach der Erklärung der Minister v. Boetticker und v. Hammerstein der Bundesrath seine Zu stimmung versagen wird. Das Gesetz muß also nach diesen unzweideutigen Erklärungen als gescheitert gelten. Ganz unvorbereitet sind unsere Leser auf diesen AuSgang aller dings nicht, denn wir haben schon gestern darauf hingewiesen, daß die Agrarier an dem in zweiter Lesung beschlossenen Be stimmungen, betr. das Färbeverbot und die Trennung des FeilhaltenS von Butter und Margarine, fest halten würden und die Mehrheit des Bundesratbs nicht ge neigt scheine, auf diese die Tendenz der ursprünglichen Vor lage völlig verändernden Bestimmungen einzugehen. Trotz des vorauszusehenden Einspruches vom Regierunzstische fanden die Agrarier für ihre Forderungen ausreichende Unterstützung. Der das Färbeverbot enthaltende Paragraph, den der Reichs tag in zweiter Lesung gegen den Willen der Regierung be schlossen bat, lautet: „Der Zusatz von Färbemitteln zu Margarine oder Margarine käse, welche zu Handelszwecken bestimmt sind, sowie das gewerbs mäßige Verkaufen und Feilhalten von Margarine oder Margarine käse mit Zusatz von Färbemitteln ist verboten." Das Verbot erstreckt sich nur auf die Margarine, nicht auch auf die Butter, die ebenso und mit demselben Mittel gefärbt wird, wie die Margarine, damit sie ein besseres Aus sehen oder auch den Anschein besserer Qualität erlangt. Gegen das Färbeverbot für Butter, das genau so berechtigt wäre wie das für Margarine, sind die Agrarier schon um deswillen, weil die Exportbutter fast aus nahmslos auf das Aussehen der beliebten Gras-iMai-) Butter gefärbt wird. Die Regierung hatte ihren Stand punkt dem gegenüber schon in den Motiven zum Gesetz entwurf festgelegt, indem sie anerkannte, daß die Margarine ein wohlfeiles und gesundes Nahrungsmittel sei. Sie konnte sich deshalb an der Politik des Hasses gegen dieses Volks nahrungsmittel und an dem unlauteren Wettbewerb, den man ihm im Namen der Butter durch das Gesetz machen wollte, unmöglich betheiligen. Herr von Boetticher batte die Stellung der Regierung zu vertreten und er wird dafür alsbald wieder die bekannten agrarischen Angriffe auszubalten haben, die sich gegen Jeden richten, der nicht ein willenloses Werkzeug in den Händen der Ploetz und Genossen ist. Seine Erklärung war deutlich genug; die Regierungen lehnen „in ihrer Mehr heit" aus in ver Sache selbst liegenden Gründen das Färbe verbot rundweg ab. Ebenso deutlich war die Erklärung des Landwirtdsckaftsministers, daß die Regierungen die Vorschrift getrennter Verkaufsräume für Butter und Margarine verwarfen. DieseTrennung hätte gerade die kleineren Gewerbetreibenden ge schädigt, die nicht in derLage sind, getrennte Verkaufsräume herzu stellen oder zu miethen. Sie hätten auf den Verkauf eines der Produkte und natürlich auch auf den Verdienst daraus verzichten müssen, während der Butter mit dieser vcratorischen Bestimmung schwerlich genützt worden wäre. Tie ReichStagS- mehrheit hatte es in der Hand gehabt, das Gesetz durch Ver zicht auf diese sachlich ungerechtfertigten Bestimmungen zu retten. Sie hat es nicht gewollt. Es wäre möglich gewesen, auf Grund der Regierungsvorlage ein brauchbares Gesetz zu Stande zu bringen, das einen Fortschritt gegen den heurigen Zustand bedeutet hätte. Für die Vereitelung dieses Zieles ist einzig und allein die agrarische Mehrheit verantwortlich, da die Regierung schwerlich eine zweite Vorlage an diesen Reichs tag bringen wird. Don einer beabsichtigten „Verbesserung" des Dreibundes, wie sie dem italienischen Ministerpräsidenten di Rudini vorschwebt, ist nach der im heutigen Morgenblatt mitgctheiiten ofsiciösen Note der „Nordd. Allg. Ztg." in Berlin nichts bekannt und die auffallende Raschheit, mit welcher diese Verlautbarung erfolgt ist, sowie die Annahme der maß gebenden Berliner Kreise, di Rudini könne sich so nicht ausgedrückt haben, es müsse eine fehlerhafte Uebermittelung der Worte des leitenden Staatsmannes vorliegen, lassen deutlich erkennen, daß man in Berlin eine solche „Verbesserung" auch nicht wünscht. Um so bedauerlicher ist eS, daß eine „fehlerhafte telegraphische Uebermittelung" — schon ter ganze Zusammenhang des Kammerberichts schloß eine solche aus — nicht vorliegt. Wir erhalten aus Rom, 3. Juli folgende Drahtmeldung: Die officiüse „Agenzia Stesani" meldet: In der Sitzung der Deputirtenkammer vom Mittwoch bemerkte der Ministerpräsident die Rudini auf die Ausführungen des Abgeordneten Fortis, der gesagt hatte, man müsse den TrcibnnLsvertrag verbessern, der Verbesserung stehe nichts entgegen. Rudini versicherte auch, daß der DreibundSvcrtrag jetzt voll und ganz die Interessen Jtatiens sichere. Das soll offenbar ein „Dementi" sein, bestimmt, die Worte Rudini's abzuschwächen. Thatsächlich aber bestätigt tiefer unglückliche Vertuschungsversuch nur, daß der Telegraph correct berichtet hat. Die Absicht, eine Aendcrung der Drci- bnndabmachungen zu beantragen, liest jeder Unbefangene auch aus dieser all iioo zurechtgemachten Version bcrans, so unklar sie absichtlich gefaßt ist. Aber wie kommt Rudini zu einer solchen Ankündigung'? Man hat sofort vermutbet, daß sie den Eintritt Englands in den Dreibund protegiren solle. Das halten wir für sehr unwahrscheinlick. England bindet sich nie durch eine» Vertrag, wie der des Dreibundes. Das haben die englischen Ministerien wie dw englische Presse zu jeder Zeit mit aller Bestimmtheit erklärt. Eine Bündnißpolitik widerspräche direct den englischen Traditionen wie dem englischen Charakter. Allein, das; Eng land seine Hand trotzdem im Spiele hat, scheint auch uuö so gut wie sicher. Es war immer britische Gepflogenheit, Andere ini englischen Interesse vorzuschicken, damit sie Englands Ge schäfte auf eigene Kosten besorgten. So hofft man, daß Italien im Mittelmeer und in Nordafrika — bei Kasfala hat man > schon angefangen — für England reines Feld macht, Frank- I reich in Schach hält und namentlich Egypten seinem jetzigen i „Protector" sichern hilft. Einen iinponirenden Charakter ' kann aber das Auftreten Italiens nur dann erhalten, wenn Jim Pinkerton und ich. Roman von R. L. Stevenson und Lloyd OSbourne. Ls Nutorisirte Bearbeitung von B. Kätscher. Nacktruck verboten. Dies War ein Brief, wie ibn kein junger Mensch allein verdauen kann. Er gehörte zu jenen kritischen Ereignissen, die man unbedingt einem Vertranten mittheilen muß und der auöerwählte Vertraute war diesmal kein Anderer als Jim. Ich hatte eine besondere Vorliebe für ibn gefaßt, ich lachte ihn aus, schalt ihn und — liebte ihn anfrichtig nnd wahr. Er hingegen brachte mir eine hündisch-ergebene Be wunderung entgegen nnd blickte zu mir empor, wie zu Einem, der in reichem Maße all' jene „Vortheile der Erziehung" ge nossen, die ihm versagt geblieben. Er folgte mir wie mein Schatten, hieß alle meine Handlungen gut. In Folge dessen gaben ibm unsere College» den Spottnamen „Trabant". Pinkerton »nd ich lasen die famose Neuigkeit und lasen sie noch einmal: er, ich Ian» es beschwören, mit weit größerer und lauterer Freude als ick. Die Statue war beinahe voll endet und einige Tage fleißiger Arbeit genügten, um sie für die Prüfung fertig zu stellen. Der Meister zeigte sich gnädig und sagte sein Erscheinen zu. Ein wolkenloser Maitag fand eine ansehnliche Gesellschaft in meinem Atelier versammelt. Der Meister, mit der vielfarbigen Rosette, dem Abzeichen der Ehrenlegion geschmückt, kam in Begleitung von zweien seiner Schüler, mir befreundeten Franzosen, die jetzt an gesehene Pariser Bildbauer sind, der liebe, alte Romney war aus mein besonderes Verlangen ebenfalls erschienen. Wer, der ibn kannte, hätte ein Vergnügen ohne seine Theil- nahme für vollständig gehalten oder eine Enttäuschung nicht leichter ertragen, wenn er da war, uni Trost zu spenden? Der Kreis wurde noch durch die Engländer John Myner, die Brüder StenmiS — zwei schottische Springinsfelde — und dem unvermeidlichen Jim vergrößert, der, weiß wie ein Leintuch nnd von Angstschweiß bedeckt, da stand. Mir selbst gings nicht besser, als ich den Genius von MuSkegon entschleierte. Der Meister schritt ernst nm ihn herum, dann lächelte er: „Es ist schon nickt so schleckt", bemerkte er in seinem komischen Englisch, auf welches er sich sehr viel einbildete. „Nein, wirklich schon nicht so schlecht". Wir Alle athmeten erleichtert ans und einer meiner an wesenden Freunde erklärte dem Gewaltigen, daß die Statue für ein öffentliches Gebäude, eine Art Präfectur, in Amerika bestimmt sei „O, schon sehr gud, sehr gud!" sagte er darauf. Nun hieß cs noch, sich das gewünschte Zeugniß verschaffen. Wir mußten ihm die Sache so darstellen, als ob es sich um die Laune eines amerikanischen Nabob handle, der nicht viel civili- sirter sei als die rothen Indianer eines F4nnimore Coopöri" — wie er's aussprach — und es bedurfte unserer vereinten Kräfte, um ein Schriftstück aufzusetzen, das allen Anforde rungen entsprach. Der Meister ließ sich aus purer Liebens würdigkeit herbei, eS mit seinem Namenszug zu versehen und ich steckte es, im Verein mit einem von den zwei Briefen — einem günstigen und einem ungünstigen Bericht an Papa — die ich in meiner Tasche für alle Fälle bereit hielt, in einen schon adressirten Umschlag. Sodann machten wir Alle uns auf den Weg zum Frückstück, Pinkerton setzte sich in eine Droschke, um den Brief rasch zur Hauptpost zu befördern. Ich hatte das Frühstück bei Savenne bestellt, wo man sich nicht zu schämen brauchte, den Meister zu bewirthen. DaS Menu hatte ich schon früher zusammengestellt, wegen der Weinfrage war ein Kriegsgericht mit sehr glücklichem Resultat abgebalten worden. Die Tafel war im Garten ge deckt und daS Gespräch wurde, nachdem der Meister das Eng lische zu radebrechen aufbörte, sehr anregend. Ein Trinksprnch folgte dem anderen. In erster Reihe mußte man natürlich den Meister leben lassen nnd er antwortete mit einer wohlgefügten Ansprache, die hübsche Wendungen über meine Zukunst nnd über die Vereinigten Staaten enthielt. Dann stießen wir nicht nur ans die Gesundheit meines Vaters an, sondern setzten auch einen ausführlichen telegraphischen Bericht über den Verlauf des Festes an ihn auf, eine Verschwendung, über die der gute Meister vor Schreck fast umgefallen wäre. Er drückte sein Erstaunen mit den ost wiederholten Worten: O'g8t burbaro! auS. Wir plauderten während der Mahlzeit übrigens auch von der Kunst und zwar plauderten wir davon so wie nur Künstler eS können. Unser Professor ließ uns bald allein und wir Alle fühlten uns durch seinen Abgang sehr erleichtert. Jetzt waren wir unter unS, die Flasche machte immer öfter die Runde und die Conversation wurde immer lebhafter. Wir batteu un« um halb Zwölf zu Tisch gesetzt und ick glaube, eS war 2 Ubr als irgend ein Bild zur Sprache- kam, eine Meinungsverschiedenheit hervorrief und der Beschluß ge faßt wurde, in den Louvre zu geben, um eS zu besichtigen. Ich zahlte die Rechnung und bald marschirten wir die Rue de Aennes hinab. ES herrschte eine Brutbitze; Paris glitzerte in jenem lichten Glanze, der auf Jeden, der sich in gebobener oder weinseliger Stimmung befindet, so angenehm wirkt. Die Bilder, die wir an jenem denkwürdigen Nach mittag besichtigten, blinkten mir die schönsten, die ich je ge sehen nnd die Meinungen, die wir gegenseitig darüber auS getauscht, hielt ich für die ernsteste, gediegenste Kritik, die je an Kunstwerken geübt worden. Als wir aus dem Museum traten, geschah eS, daß nationale Verschiedenheiten die heitere Gesellschaft trennten. Dyon schlug nämlich vor, den Nachmittag bei einem Glase Bier in einem Cafö zu beschließen; die beiden Stenni's lehnten sich jedoch energisch gegen diesen Vorschlag auf — sie stimmten für einen langen Spaziergang im Grünen. Alle englisch Sprechenden schlossen sich ihnen an und selbst mir, der ich stets wegen meiner sitzenden Lebensweise geneckt wurde, schien der Gedanke, den Tag in der freien Natur zu be schließen, sehr verlockend. Wir hatten noch gerade so viel Zeit, einen Wagen herbei zupfeifen, um den nächsten Zug nach Fontainebleau zu er reichen. Außer den Kleidern, m denen wir steckten, waren wir aller sogenannten Personaleffecten bar, und einige der College« ventilirten die Frage, ob wir nicht doch noch so viel Zeit hätten, um auf dem Wege in unserer Wohnung vorzusprechen und rasch eine Reisetasche zu packen. Die beiden Schotten verwarfen auch diese Idee. Sie wären, wie sie versicherten, vor einer Woche, nur mit ihren Ueberröcken angethan und mit Zahnbürsten in der Tasche, aus London angekommcn. Sie bekehrten den größeren Tbeil der Gesellschaft zu ihrer Ansicht, die beiden Franzosen jedoch zogen sich grollend zu einem „Bock" zurück, während der brave Ronnie», der zu arm war, um sich ans eigenen Mitteln an dem Aussing zu betbeiligcn, und zu stolz, um sich Geld dafür zu borgen, sich unauffällig entfernte. Wir klebrigen pferchten uns, so gut eS ging, in die Droschke, ein gutes Trinkgeld für den Kutscher wirkte Wunder bei dem Pferde. Wir erreichten noch rechtzeitig den Zug, athmeten in weniger als anderthalb Stunden die würzigste Waldlust und marschirten von Fontaineblau bergauf gen Barbizon. Tie Führer unserer Gesellschaft legten diese Strecke in öl Minuten zurück, ick aber blieb weit zurück. Myner, ein einigermaßen philosophischer Brite, leistete mir Gesellschaft. Der herrliche Sonnenuntergang, der köstliche Duft und da? geheimnißvolle Waldesweben wirkten so merk würdig aus mich, daß ich immer schweigsamer wurde, was allmählich auch aus meinen Gefährten ansteckend wirkte. Ick erinnere mich, daß ich aus tiefen Träumereien auffuhr, als er nach einer langen Panse wieder zu sprechen begann: „Ihr Vater scheint mir ein guter Vater zu sein. Wes halb besucht er Sie nicht?" Ich führte ibm ein Dutzend und mehr Gründe an, aber Myner richtete mit der ihm eigenen Offenherzigkeit, durch die er sich gleichzeitig verhaßt und beliebt zu macken pflegte, sein Augenglas auf mich »nd fragte: „Haben Sie ihm jemals zugeredet, berüberzukommcn?" Das Blut schoß mir in die Wangen. Nein, ick batte ihm niemals zugeredct, ihn nicht einmal ermulhigt, mich zu besuchen, und doch war ich stolz auf ibn, stolz auf sein schönes Aeußere, auf sein sanftes Wesen, stolz aus das heitere Gesicht, daS er machte, wenn er Andere glücklich sah, stolz auf seinen großen Rcichthum und seine Freigebig leit. Aber in Paris wäre er mir im Wege gewesen. Ich fürchtete mich, seine naiven Bemerkungen über Knust der Kritik meiner Freunde auszusetzen; ja, ich suchte mir ein zureden, daß er gar nicht ernstlich daran denke, mich wirklich zu besuchen und war überzeugt — ich bin cs noch — daß er sich fern von MuSkegon unglücklich fühlen würde. Kurz um, ich führte mir selber viele gute und schlechte Gründe inS Treffen, aber keinen, der auch nur ein Jota an der Tbatsache geändert hätte, daß ich wohl wußte, er warte nur auf meine Einladung. „Ich danke Ihnen, Myner, und muß Ihnen gestehen, daß ich Sie gar nicht für den so wackeren Jungen gehalten habe, der Sie wirklich sind. Ich werde ihm noch heule Nackt schreiben!" DaS waren sehr angenehme Tage und si: werden wohl nie anS meiner Erinnerung schwinden. Angenehm waren auch diejenigen, die darauf folgten und an welchen ich in GesellschaftPinkerton'SParis und dessen,Vororte durchwanderte, um ein passendes Hänschen zu finden, oder an welchen wir, staubbedeckt und mir chinesischen Göttern oder anderem alten Plunder beladen, von den Antiquitätenhändlern heimkehrten. Zu meinem Erstaunen fand ich, daß Pinkerton über alle Quellen, wo man derartiges Zeug kaufen konnte und über die Preise genau unterrichtet war, sondern auch ein gutes kritisches Urtheil besaß. Er mir
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