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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.07.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960706010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896070601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896070601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-06
- Monat1896-07
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernjatz nach höherem Tarif. Extra-Veikagcn (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung ^ll 70.—. Annahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morg« n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. vrt den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pol; in Leipzig Montag den 6. Juli 1896. Jahrgang. Amtlicher Theil. Bekanntmachung. Wegen Reinigung der Geschäftsräume können in unserem Meldeamte, Wächterstraße Nr. 5, am 7. dieses Monats in Abthcilung I, Buchstabe LI—2 (für bleibende Einwohner), sowie Abtheilung III (für Dienstboten), am 8. dieses Monats in Abthcilung II (für Fremde), ferner am st. dieses Monats Nachmittags und am Ist. dieses Monats in Abtbeilung I, Buchstabe L, (für bleibende Einwohner) nur dringende (Geschäfte erledigt werden. Leipzig, am 3. Juli 1896. Tas Polizeiamt der Stadt Leipzig. In Stellvertretung: O. U. 3289. vr. Schmid. Hiersemann. Bekanntmachung. Tie Bibliothek der Handelskammer bleibt während der zweiten Hälfte des Juli geschlossen. Alle entliehenen Werke sind bis zum 14. Juli zurückzugeben, bez. deren Ausleihesrist durch Aus fertigung neuer Bücherqnittungen zu verlängern. Leipzig, den 3. Juli 1896. Tic Bibliothckvcrwaltnng der Handelskammer. ^us dem Briefwechsel einer sächsischen Landesmntter. Die Oriqinalbriefe befinden sich auf Herzog!. S. Bibliothek zu Gotha. I. Unter den vielen edlen Frauengestalten auf sächsischem Tbrone ist die Erscheinung der Kurfürstin Am na, Ge mahlin des mächtigen Kurfürsten August, eine der lieblichsten und anmuthigsten. Ihre Volksthümlichkeit war einst so groß, daß sie das Andenken des dankbaren sächsischen Boltes bis auf diesen Tag feiert als die „Mutter Anna". Sie war von Geburt eine Königstochter aus dem Stamme Dänemark und blieb ihr ganzes Leben hindurch eine königliche, echt deutsche Fürstin. Und mehr als das. Sie war eine muster hafte Gattin, eine treue Mutter, eine aufrichtige Freundin, eine dcmütkige Dulderin, ja bis zum Sterben eine überzeugte, lebendige Christin. Sie war im schönsten Sinn eine Mutter ihres Volkes. Ihr Lebensbild ans der Meisterhand des Malers Lucas Kranach, heule im tönigl. Museum zu Dresden befindlich, erinnert uns an ihre belauernde jungfräuliche Erscheinung. Aber die Güte ihres Herzens, die Reinheit ihrer Sitten und die Festigkeit ihres CbarakterS lassen die edle Landesmutter in noch glänzenderem Lichte erscheinen. Sie lebt fort im Herzen ihres treuen Volkes, und die Geschichte mag nicht müde werden, ihr Lebensbild auch fernerhin zu verherrlichen. In neuerer Zeit hat Kurt von Weber auf Grund des im ncrzogl. sächf. Haupt- und Staatsarchiv zu Dresden befindlichen Actenmaterials ein Gesammtbild des Lebens und Wirkens der Kursürstin Anna entworfen.*) Die umfang reiche Correspondenz Anna's bot dem Forscher eine Fülle der wichtigsten und interessantesten Mittheilungen ans jener Zeit. Und so entstand durch die geschickte Arbeit des Ver fassers eine Art Mosaikbild der Kurfürstin, zusammengestellt aus den einzelnen Gaben und Angaben ihres eigenen intimsten brieflichen Verkehrs. Dies Bild der Kurfürstin Anna ist freilich lange noch nicht abgeschlossen. Zur Ergänzung seiner Vielseitigkeit und Mannigfaltigkeit liefern die erst kürzlich von uns aufgefundenen Original-Briefe — etwa 160 an der Zahl — auf Herzog!. S. Hofbibliothek zu Gotha befindlich, einen weiteren cultur- nnd sittengeschichtlich höchst werthvollen Beitrag. Die Briefe sind fast ausschließlich an die Herzogin Dorothea Susanns, Gemahlin des Herzogs Johann Wilhelm von Sachsen- Weimar, gerichtet und fallen in denjZeitraum von 1564—1584. Auch für die politische Geschickte des Hauses Sachsen bietet der umfangreiche Briefwechsel der beiden fürstlichen Damen neue interessante Gesichtspuncte, die nm so ungetrübter und freier sind, als ihnen jede Kunst geheimer und perfider Diplomatie fremd und unbekannt ist. "Jene Epoche bedeutet für die Geschichte des Vaterlandes die Zeit des an haltenden Ringens der Ernestiner und Albertiner um die Führerschaft im Hause Sachsen. Seit 1557 — nach der Schacht bei Mühlberg auf der Lochauer Heide — war die Kraft des ernestinischen Sachsen zersplittert, aber noch nicht gebrochen. Hier hatte der Vater des oben ge nannten Johann Wilhelm, Joh. Friedrich der Großmütbige, die Kurwürde und den größten Theil seiner Länder an Kurfürst Moritz von Sachsen verloren. Erst zwanzig Jahre später empfing die ernestinische Linie unter Johann Friedrich dem Mittleren, dem Bruder Johann Wilhelm's, nach der Capitu- lation zu Gotha (1567) durch Kurfürst August den Mäch tigen den Todesstoß. So waren alle Jntriguen und Mühen, das Verlorene wiederzuerlangen, vergeblich gewesen. Durch diesen Verlust war aber auch das ernestinische Haus Sachsen bis zu gänzlicher Ohnmacht in politischer Hinsicht herab- gesunken. Seit 1567 führte Kurfürst August der Mächtige die Obervormundschast über die noch unmündigen Söhne des Herzogs Johann Friedrich. Erst 1572, am 6. November, kam die Landestheilung zum völligen Abschluß: Herzog Jo hann Wilhelm erhielt den weimarischen, die «söhne des Bruders den eisenach-coburgiscken Theil der Lande. Aber schon wenige Monate nach der Landestheilung starb Herzog Johann Wilhelm (2. März 1573) und Kurfürst August riß als nächster Agnat trotz des Widerstrebens der Herzogin Dorothea Susann» auch diese Vormundsckaft an sich. Erst nach dem Tode des mächtigen Oheims (11. Februar 1586) gelangten die mündig gewordenen Söhne Johann Wilhelm's, Friedrich Wilhelm nnd Johann, zur Regierung. In der Thal bedeutet die letzte Hälfte des Reformations jahrhunderts für das ernestinische Sachsen eine Zeit fort währender Zerrissenheit auf politischem wie kirchlichem Gebiet und geschärfter Gegensätze zwischen den beiden Linien des sächsischen Hauses. *) Anna, Kursürstin zu Sachsen, Ein Lebens- und Sittenbild aus dem 16. Jahrhundert. Nach archiv. Quellen von vr. Earl von Weber. Leipzig, Verlag von Beruh. Tauchnitz, 1865. Um so wohlthuender berührt es, trotz der Spannung aus beiden Seiten, den Briefwechsel der beiden Fürstinnen als einen höchst friedlichen, verwandtschaftlichen und in herzlicher Weise vermittelnden geistigen Verkehr zu beobachten. Offenbar trug die Aufrichtigkeit und eine im Gründe der Gemüther vorhandene gleiche Seelenstimmung der beiden Damen das Beste dazu bei. Auch Dorothea Susann« war eine aus gezeichnete Fürstin ihrer Zeit: geboren als eine Pfalzgräfin bei Rhein, eine Tochter des wahrhaft edlen Kurfürsten Friedrich. Wie Kurfürstin Anna aus ihrer nordischen Hei- matb Dänemark, so war Herzogin Dorothea Susanns aus der schönen Pfalz vom Rhein her in die thüringisch-sächsischen Lande gekommen. Beide aber hingen noch mit vollem ganzen Herzen an ihrer lieben alten Heimath. Längere Zeit scheint indeß verstrichen zu sein, bis sich die beiden fürstlichen Damen brieflich näherten. Und zwar scheint die Kurfürstin Anna in ihrer herzgewinnenden, überall ansprechenden Weise den Anfang gemacht zu haben, und eS st charakteristisch genug, die Art zu beobachten, wie sich aus dem anfänglich ziemlich spröden und osficiellen Verkehre nach und nach die intimste und treueste Freundschaft entwickelt. Wenn Anna im Jahre 1564 beispielsweise die Anrede „hoch geborene Fürstin" von ihrem Secretair anwenden läßt und eine eigenhändige Unterschrift dem Schreiben versagt, so fügt sie später, in den 70er Jahren, dem Titel „freundliche herz liebste Schwester" eigenhändig hinzu und unterschreibt sich nicht mehr „Anna Cburfürstin zu Sachsen", sondern „Ew. Liebden getreue Schwester, dieweil ich leb". Gleichwohl hielt sie streng und fest an dem ihr ererbten Titel von Hause aus und an ihren kurfürstlichen Ehren, in gleicher Weise wie ihr mächtiger Gemahl. Ihre Unterschrift lautet in allen durch den Privat-Secretair geschriebenen Briesen: Von Gottes Gnaden, Anna, geborene aus Königlichem Stamme zu Denne- mark, Herzogin und Churfürstin zu Sachsen, Landgrefin zu Düringen, Markgrevin zu Meißen und Burggrcvin zu Magdeburg!". Aber dennoch versäumte sie es nur selten, unter diesem Titel ihre eigene Namensunterschrift hinzu zufügen. Aber auch dann läßt sie sich in einer besonderen Nachschrift durch den Schreiber entschuldigen, wie zum Bei spiel im Brief, ä. 6. 3. März 1570, aus Prag: „Wir bitten Ew. Lieb, auch freundlich, sie wolle uns nicht verargen, daß wir diesen Brief nickt mit eigenen Händen unterzeichnet. Dann wir gleich zu der Römischen Kaiserin, unserer aller gnädigsten Frauen, gefordert werden und doch Ew. Lieb. Boten nicht aushalten wollen." Nicht gering ist die Serie der Briefe, welche die Kurfürstin mit eigener Hand allein geschrieben hat. Sie tragen natürlich einen streng vertrau lichen Charakter, da, wo es sich um die intimsten Beziehungen familiärer Natur bandelt, oder auch des weiblichen Geschlechtes, wo nur das Weib zum Weibe sich frei aussprechen kann. Aber auch da entschuldigt sich die edle Schreiberin, „und ob wir Wohl unbillig tun, daß wir E. L. nicht wiederum mit eigenen Händen schreiben, so vertrauen wir doch unserer Freundschaft, E. L. werde uns solches freundlich zu gute halten". Häufig bekennt sich Anna, besonders nach ihrer Krankheit, „daß ihr das Schreiben nur langsam und schwer von statten gehe", und „daß sie einen bösen Briefdichter und Schreiber gebe" oder „daß ihr das Schreiben ganz übel von statten gehe. Das Herz aber ist und bleibt gegen Ew. Lieb. allzeit gut." Jenes Bekenntniß ist aber Wohl nur Bcscheidcn- )eit, denn die Handschrift Anna's ist durchaus nickt chlecht und unleserlich, es sind feste, regelmäßige und deutliche Schriftzüge. Auch in Anna's Briefen spiegelt 'ich wieder ihr klares, gesundes und frommes Denken. Ls ist wohl kein Brief, der nickt mit dem SegenSwunsck chließt für die Empfängerin, ihren Gatten und ihre Kinder Ja selbst das Hofgesinde schließt sie in ihr Gebet ein. Henle noch athmen jene Briefe den Geist der tiefsten, aufrichtigsten Frömmigkeit und der ungefärbtesten Liebe, die jene edle Fürstin umgab. Sauber und rein geschrieben aus feinster- Kanzleipapier mit dem kurfürstlichen, manchmal auch dänischen Wappenzeicken, zart in jeder Form gebrochen, und alle versehen mit dem rothen Wachssiegel, welcher den Abdruck des Ringes der Kurfürstin trägt. Von Dresden aus ist Wohl die Mehrzahl der Briefe ge schrieben worden. Doch finden wir auch häufig andere Orts angaben, die darauf schließen lassen, daß anck Anna dem Reisen nicht unhold gewesen. Manchmal mußte sie reisen, auch wenn sie nack eigenem Wunsch lieber zu Hause bei ihrer häuslichen Hofhaltung geblieben wäre. Aus das Innigste war sie mit ihrem Gemahl verbunden. Sie begleitete ibn fast überall bin, auf den Reichstag, auf die Jagd, in den Krieg und in die Bäder. Einmal schreibt sie von Cüstrin aus: „ich bin nun des Reisens fast müde und überdrüssig, wenn die Herren ihre Lust mit Hirschen gebüßt, könnte ick Wohl leiden, daß ich wieder bei meinen Kindern zu Hause wäre." Ehe der Kurfürst am 14. Januar 1567 von Leipzig aus gegen Gotha zog, hatte sich Anna von ihm, wie aus ihrem Brief von demselben Tage aus Leipzig bervorgelst, erbeten, „mit demselben ungefäbr bis auf zwei oder drei Meilen Wegs bis ans Lager vorzurücken und entweder in Erfurt oder in Salza zu bleiben". Tie vier folgenden Briefe vom 18. Januar, 28. Januar, 5. Februar und 19. Februar sind aus dem Feldlager bei Salza datirl und alle eigenhändig gesckrieben, jedenfalls, weil der Kammer schreiber an anderem Ort nolhwendig gebraucht wurde. Ihrer Eigenart wegen werden diese Briefe zum Sckluß wörtlich veröffentlicht werden. Andere Orte ter Briefausgabe sind: Torgau, Leipzig, Plauen, Augustusburg, Stolpen, Lochau, Eckersberga, Weißensee, Lichtenwalde, Geier, Lieb stadt, Prag, Eibenstock, Ziegenhain (auf der Reise zum Schwalbackcr Sauerbrunnen im I. 1584) n. a. Angesichts des Reichthums des Briefwechsels der Kur sürstin fragt man sich unwillkürlich nach der Art und Weise der Beförderung und Bestellung. Eine Post nach unseren modernen Begriffen kannte jenes Geschlecht ja nicht. Immer hin bleibt es interessant, in einem der Briefe von einer „ge ordneten Post" zu lesen. Jedenfalls war es der regel mäßige Briefverkehr zwischen den größeren Städten, Dresden, Leipzig und Weimar, der wöchentlich vielleicht ein bis zwei Mal durch den Postreiter besorgt wurde. Die meisten der Briefe wurden, wie aus den Schreiben selbst hervorgeht, „mit Gelegenheit" bestellt. Da ist es einmal ein fürstlicher Rath, der den Brief „mitnimmt", oder ein Hofmeister, Ernst von Drasdorf, oder die „Pflugin, wittwe zum Stein", „der von Polbcim", Eberbard von ter Thann, Statthalter von Weimar, Bastian von der Gablenz und wie die Herren von hohem Adel alle beißen, welche von den aus- Fsnillstsn. Die blaue Mühe. Eine Leipziger (Scistcrgcschichtc aus alter Zeit. Von M. U. Nachdruck verboten. Tie Familie K. batte so gut ihren Hausgeist wie jedes andere etwas ans sich haltende HauS zu jener gemütblichen alten Zeit, da man eben noch an Geister glaubte, Dame Aufgeklärtheit noch nicht mit ihrem großen Flederwisch nebst anderem Spinngewebe auch den Wunderglauben zu Fenster und Thür binauSgekehrt batte. Nur halte cs mit dem K.'schen Hausgeist eine eigene Bewanktniß. Er war nickt spannenlang oder gar überlebensgroß, auch nicht ätherisch und durchsichtig, wie's sonst Geisterbrauch ist. Auch trug er keine graue oder braune Kutte, auch nicht langwallende Weiße oder schwarze Gewänder, die für gewöhnlich übliche Geister toilette. Sondern er ersckien in der Gestalt eines robusten, jungen Mannes, mit üppigem Schnurrbart und vollen Wangen, und angcthan war er mit Beinkleid, Hemd und Weste — Alles so, Anzug, Gestalt und Angesicht, wie der jüngste Sohn der K.'s es besessen in jenem Augenblick, da er zum letzten Male aus dem elterlichen Gehöft auf den Land weg getreten und seitdem verschollen geblieben war. Auf dem Weg nack Halle zu sollte ein Zigeunerlager in Brand stehen. Die Kunde davon war anch bis in die Rosenthal pflege zu den K.'s gelangt und, neugierig erregt, hatte Anton sein Werkzeug, mir dem er eben Rosenstöckc ein gegraben, bei Seite geworfen und war, wie er ging und stand, an die Stätte des Unheils geeilt. Doch znrückgekehrt war er nimmer, und nie erfuhren seine trostlosen, alten Eltern etwas von seinem ferneren Loos. Möglich, daß sie Wahrheit kündeten, die unbestimmten Gerüchte: er sei mit den Zigeunern in blutige Fehde gerathen und jene hätten den todtwnnden Mann in die helllokernden Flammen geworfen. Bei dem an der Unheilsstättc herrschenden Wirr warr nickt unglaublich — aber Bestimmtes wußte doch Keiner anzugeben. Da, etwa drei Jahre nach Anton's Verschwinden, saßen die alten K.'s eines Abends allein in ihrem Zimmer. Von draußen webte rin würziger Westwind durch daS weit geöffnete Fenster herein; ans der Bank an der HauS- tbnr, saßen der älteste Sobn und die Tochter wie deren Mann im eifrigen Gespräch mit einander, die Enkelkinder tollten mit frobeni Gejanckzc im Garten bcrnm. Die beiden Alten drinnen aber saßen stumm, in trübes Sinnen verloren, das wie immer dem verschollenen Sohne galt. Da plötzlich stand dieser, wie aus der Erde gewachsen, vor ihnen. In Hemdärmeln nnd Weste, auf dem Kopfe die Weiße Zipfelmütze, das Gesicht vollwangig und frisch — ganz so, wie er damals von ihnen gegangen. Der Alte war aufgesprungen, doch die zitternden Kniee versagten ihm den Dienst, und so klammerte er sich fest an die Armlehne seines Stuhles, um nicht dem freudigen Schreck zu erliegen. Von seinen zitternden Lippen drang kein Laut, doch die fast stier blickenden Augen sprachen von dem stürmischen Klopfen des VaterberzcnS. Die alte Mutter aber war regungslos in ihrem Stuhle sitzen geblieben; nur ihre Hände glitten in einander und falteten sich wie zum Gebet, und mit tiefem Athemznge raunte sie leise vor sich hin: „Alle guten Geister loben Gott, den Herrn!" Und ohne Bewegung haftete der Sobn an der Stelle mitten im Zimmer, wo er den Eltern zuerst sichtbar ge worden war; ohne Bewegung blieb auch das Gesicht stetig der Mutter zugewandt, mit einem wehmüthia liebevollen Blick, der von Trennnngsweh, aber auch von Hoffnung auf Wiedersehen sprach. Dann plötzlich zerflatterte seine Gestalt, wie ein Nebelgebilde vom Windhauch verweht. Der Alte siel schwer auf seinen Sitz zurück, und bang beklommen wandte er fragend das Auge nach der Gefährtin bin — sie aber lag regungslos in den Kissen, die Hände noch gefaltet wie zum Gebet, und um die erkalteten Lippen ein Lächeln der Wieder- sehenssreude. Seit jenem Abend erschien des Verschollenen Geist wieder und wieder den Hausgenoffen, so oft der Familie irgend ein Unbeil oder wenn auch nur ein heftiger Verdruß drohte. Immer erschien er in derselben kerngesunden äußeren Er scheinung, demselben Anzuge. Nur die Farbe der Zipfel mütze wechselte zwischen weiß und roth, je nach der Bot schaft, die des Geistes Erscheinen kündete. Eines Nachmittags sah ihn die verhriratbete Tockter, die wie gewöhnlich ihre Mußestunden mit den Kindern im väter lichen Garten verbrachte, plötzlich wie aus der Erde empor steigen. Laut schrie sie aus: „Anton, Anton, Du? und waS ist mit Deiner Mütze? sie ist wie in Blut getaucht?" Da neigte der Geist wie bestätigend das Haupt; schaurig wars anzusehen, so erzählte sie später, und in demselben Augen blick drang lautes Wehklagen an das Ohr der erschreckten Frau. Kunde brachte man ibr, daß am Grimm'scken Thor ihr Mann von einem schweren Frachtsuhrwcrk überfahren worden sei und der zeitlebens zum Krüppel Gewordene schmerzgesoltert ihrer Pflege und ihres Trostes harre. Und weiß war wieder des Geistes Mütze, als er ein paar Jabre später noch einmal vor den Augen des Vaters aus der Erde emporstieg. Em trübes Leben hatte der Alte seit dem plötzlichen Tode der treuen Gefährtin geführt; alle Liebe und sorgende Hingabe der Kinder und Enkel vermochte ihn nickt der Trauer um die Geschiedene zu entreißen. In der Er innerung an sie wurde er, der sonst so Starke, weich wie ein Kind, und bittere Tbränen feuchteten ihm die müden Augen, so oft er ihrer gedachte. Da begrüßte er denn die Erscheinung des Sohnes wie sehnsüchtig erharrte end liche Erlösung, und mit einem Lächeln um die Lippen, einem Lächeln in den brechenden Augen schlief er für immer ein unter dem liebevollen Blick des Todverkünders. Was fortan an Trauer und Ungemach dem Hause nahen mochte, der Hausgeist in der Mütze kündete es an: den Tod, war diese weiß, ein tieferes oder helleres Roth, je nach der Art des sonstigen Leides, das die K.'s traf. Eine alte Muhme, in Geistergeschichten wohl bewandert, batte einst er zählt: „Stehl Glück dem HauS bevor, dann ist des Geistes Mütze blau, paßt nur aus!" Ja, sie paßten aus und warteten darauf; aber nimmer war die Mütze blau, sie blieb weiß oder roth, und Tod und Unglück allein kündete der Hausgeist an. Die Generationen wechselten, das Leiv blieb dem Hause treu. Der sonst so blühende Wohlstand der Familie schwand mehr und mehr dahin, und an den Grundpfeilern des Hauses rüttelte die Sorge. Mit machtlosem Grimm empfand das auch der gebeugte Mann, der zu Ende des vorigen Jahrhunderts das Ober haupt der Familie bildete. Seinen einzigen Sohn, den Fenerkopf, hatte die Neugierde nach Paris getrieben, wo er ein Opfer seines Fürwitzes geworden sein sollte. Testen Frau hatte mit ihrem damals achtjährigen Töchterchen, als den Mann frevler Wazemuth von dannen führte, Schutz bei dem einsam lebenden Schwiegervater gesucht. Schweres Sieckthum, von Aufregung und Kummer gezeugt, hielt sie jetzt in Banden, und nur der Tod vermochte sie, wie es schien, daraus zu lösen. Und weiter traf noch den alten Mann der harte Schlag, daß das große Kaufhaus am Markt, dem er sein ganzes Vermögen anvertraut hatte, infolge der gefahrdrohenden Zeitverhältniste fallirte und er, vor der Zeit lebensmüde geworden, trotzdem noch einmal den Kampf um die Existenz aufnehmen sollte. Im Hause hatte man freilich all das Unheil schon mit Bestimmiheit erwartet, dsnn seit Monden schon war der Geist mit der Mütze, diese bald weiß, bald roth, TaH für Tag erschienen. Immer hatte er jetzt an derselben Stelle an den Rosen gestanden, von wo aus Anton damals fort gelaufen war; und immer mit dem gleichen webinüthigen Ausdruck im Auge blickte er nach dem Hause mit den niedrigen Fenstern hinüber, hinter denen ein tiefgebeugter, müder Mann hoffnungslos am Schmerzenslager der vom Tode Gezeichneten saß. Alle im Hause sahen ihn: die Kranke, der Aelteste der Familie, die alte Schaffnerin, die Mägde und die Knechte. Nur Klein-RöSchen's Auge hatte ihn noch nie geschaut, so eifrig sie auch nach dem bösen Manne ausblickte, von dem Alle mit Grauen und mit Zorn sprachen. Um so mehr aber wollte sie stets von ihm hören, und wenn auch der Groß vater streng verboten hatte, dem Kinde Schauermärchen zu erzählen, mit Bitten und Betteln drang es dock immer wieder in das Gesinde, ihm den Mann mit der Mütze zu beschreiben und ihm die Stellen zu zeigen, wo ihn Dieser oder Jener gesehen. Anch heute wieder, gerad um die Sommerwende wars, kam Röschen zur alten Brigitte, der Schaffnerin, gelaufen, die eben ein Stündchen der Nachmittagsruhe, nach der am Krankenlager durchwachten Nackt und dem arbeitsreichen Vormittage ihr Wohl zu gönnnen, genießen wollle. Aker was fragte die eifrige Kleine danach. Sie hatte einen Streck zwischen der Jungenmagd und dem Knecht über den Mann mit der Mütze mit angehört und wandte sich nun an die alte Vertraute mit der Frage: „Sag', Brigitte, ist der Mann mit der Mütze denn wirklich so bös, wie der Christian eS sagt?" „Ack freilich, Kind, sonst würde er uns doch Glück bringen, statt immer nur Leid", erwiderte die müde Alte. „Freilich, freilich", bestätigte altklug das Kind, „und das kann er nur, wenn er die blaue Mütze auf bat. Aber", setzte es dann nach kurzem Sinnen, von einem neuen Gcdanten ergriffen, hinzu, „aber vielleicht bat er gar keine blaue Mütze, vielleicht ist er zu arm " Brigitte gab nur ein undeutliches Murmeln von sich, sie war schon wieder halb im Schlaf, nnd Röschen spann mir sinnendem Ausdruck in den holden blauen Kinderaugen seine Gedanken weiter auS; bis sie plötzlich, wie zu einem großen Entschluß gekommen, von dem Bänkchen zu den Füßen der Alten aufsprang. Diese heftig am Arm rüttelnd, sprach das Kind erregt auf sie ein, daß sie wohl oder übel munter werden mußte. „Höre, Brigitte, weißt du, was ich möchte? — dem Manne eine blaue Mütze stricken. Ich kann'S schon, sollst mal sehen — wenn Du mir nur auflegen und auch Garn geben willst." Und Brigitte, um den Ouälgeift zu beruhigen, that der Kleinen den Gefallen. Sie kramte blaues Garn aus ihrem Stopfkorb hervor und Nadeln, und legte dann die Rundung zu einem Zipfelmützchen auf. Winzig würde es ja nur werden, nicht viel größer, als für einen Puppenkopf passend, aber daS eifrige Kind war doch beruhigt und zog sich glück-
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