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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960626020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896062602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896062602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-26
- Monat1896-06
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Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentag» um 5 Uhr. Nedaction «nd Expedition: JohanneS-asse 8. Die Expeoition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Ubr. Filialen: Dtt» Klemm's Eortim. (Alfred Hahn). Uviversitätsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche. Kathartnenstr. 14, Port, und KönigSvlatz 7. Bezugs-Preis dtr Hauptexpedition oder den im Stadt- t«irk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich^ 4.50, vri zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus 5.50. Durch dir Post bezogen jur Deutschland und Oesterreich: viertcstährtich 6.—. Directe tägliche lkreuzbandsendung in» Ausland: monatlich 7.50. 321. Abend-Ausgave. WpMer Tagtblall Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Polizei-Amtes der Stadt Leipzig. Freitag dcn 26. Juni 1896. Auzeigen-PreiS ' die k gespaltene Petitzeile 80 Psg. Neclamen unter dem Redactionsstrich (4ge. spalten) 50 vor den Familiennachrichten (6gespalten) 40^- Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und giffernjap nach höherem Tarif. Hextra-Beilagen (gefalzt), nur Mil oer Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesorderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig SO. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. Juni. Man muß eS der socialdemokratischen Partei des Reichstags lassen, daß sie nicht nur redlich bemüht ist, daS Bürgerliche Gesetzbuch zu Stande zu bringen, sondern auch Anträge stellt, von denen manche nicht nur in ihren eigenen Augen als Verbesserungen erscheinen. Das ist auch gestern bei der Fortsetzung der Berathung des Eherechts zu Tage getreten. Die Beschlüsse wurden, mit einer einzigen Aus nahme, nach dem Regierungsentwurfe gefaßt, und diese Aus nahme erfolgte zu Gunsten eines socialdemokratischen An trags. Nach dem Regierungsentwurfe sollte die Eingehung einer Ehe bis zum 25. Lebensjahre von der Einwilligung des VaterS bezw. der Mutter abhängig gemacht werden; der Reichstag setzte dafür auf Antrag des Abgeordneten Auer das 2l. Lebensjahr. Längere Erörterungen knüpften sich dann an Anträge zu tz 1337, welcher dem Mann die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Fragen znspricht, jedoch unter Sicherung der Frau gegen den Mißbrauch seines Rechts. Socialdemokra- rische Anträge, die von Freisinnigen unterstützt wurden, wollten die „Gleichberechtigung" beider Gatten statuiren. Geh. Natb Planck führte in lichtvoller Auseinandersetzung aus, daß die Gleichberechtigung nicht in Frage stehe. In der Ehe müsse aber, wie in jeder anderen Gemeinschaft, eine gewisse Organisation bestehen, Einem müsse die Entscheidung zusallen, und das könne nur der durch den PaffuS über den Mißbrauch in den Grenzen der Vernunft und Billigkeit gehaltene Mann sein. Der Antrag wurde hierauf abgelehnt. Noch lebhafter als in dieser Debatte gestaltete sich die Discussion der „Frauenfrage" bei dem ersten Paragraphen des Capitels „Eheliches Güterrecht". Er bestimmt, daß das eingcbrachte Vermögen der Frau und das von ihr während der Ehe erworbene der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen wird. Ein Antrag des Abg. v. Stumm (Reichöp.) und ein solcher desAbg.Bebel (Soc.) wollten, daß statt dieser Gütergemeinschaft, wenn durch Ehevertrag nicht anders bestimmt sei, Gütertrennung Platz greifen solle. Abg. v. Stumm befürwortete seinen Antrag sehr energisch in Ausführungen, die den ungetheilten Beifall des Abg. Bebel fanden, denen der Gcheimrath Planck, der persönlich gleichfalls den Gedanken der Gütertrennung bevorzugt, im Hinblick auf die Rechlsauffassung des überwiegenden TheileS des deutschen Volkes nur theoretische« Werth beimcssen zu können erklärte. Es handele sich nur um die Frage, wie die ehelichen Lasten am zweckmäßigsten getragen werden. Wohl könnten beide Gatten zu diesen Lasten materiell beitragen, formell trage sie der Mann, der deshalb ein gewisses Recht an dem Vermögen der Frau besitze. Diese deutsche Auffassung, der es widerstrebe, den Mann nur als gebenden, die Frau nur als nehmenden Theil zu betrachten, habe bis auf den heutigen Tag in Deutschland der entgegengesetzten römischen widerstanden. Als Vormund schaft würde das Verfügungsrecht des Mannes bei uns nicht empfunden. Uebrigens sei das letztere durch die Bestimmungen des Gesetzbuchs über Verwaltung und Nutznießung erheblich eingeschränkt. Daß der Mann das Vermögen der Frau „durch bringen" könne, sei ausgeschlossen, die Sicherheit des ein gebrachten Gutes stehe hinter der bei der Gütertrennung gewährleisteten nicht zurück. Die Abstimmung ergab die Ab lehnung der Anträge Stumm und Auer gegen eine nicht un erhebliche Minderheit. Vor Schluß der Sitzung wurden einige Anträge auf Vermehrung der Ehescheidungs gründe abgelehnt; der Antrag auf Wiedereinreihung unheilbarer Geisteskrankheit unter die Scheidungs gründe kam nicht mehr zur Berathung. — Nach dem Verlauf der gestrigen Sitzung wird, wie verlautet, darauf gerechnet, daß für die Beendigung der zweiten Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuches noch zwei Sitzungen beansprucht werden. Der Gedanke, mit Hilfe von Abendsitzungen die Berathung so zu beschleunigen, daß die Vertagung des Reichs tages am Sonnabend eintreten könnte, ist wegen des Wider spruchs der Socialdemokraten aufgegeben. Am Montag ist katholischer Feiertag, auch am Dienstag soll eine Sitzung nicht abzehalren werden, so daß die drille Lesung des Bürger lichen Gesetzbuches erst am nächsten Mittwoch beginnen wird. Die Berathung des Margarinegesetzes wird dann erst vor genommen werden; das Zustandekommen dieses Gesetzes wird vielfach bezweifelt. Die Vertagung dürste bis zum 10. No vember dauern. Die letzten Tage haben Meldungen über zwei Reden des GroszhcrzogS von Baden gebracht; die eine wurde bei einem Kriegervereinsfeste gehalten, die andere bei der Tafel, an der der Großherzog die Landtagsabgeordneten nach Schluß der Session nm sich versammelt hatte. Man ist von diesem ehrwürdigen Fürsten, dessen Verdienste in dem Werdegang Deutschlands die Geschichte mit goldenen Lettern verzeichnet, gewohnt, daß er von Zeit zu Zeit seine Stimme erhebt, um die jüngeren Generationen zu mahnen, in Treue, Hingabe und Ehrfurcht die Güter festzuballen, die die Aelteren mit schweren Opfern errungen haben. Diesmal aber wohnt seinen Worten eine besondere Eindringlichkeit und Kraft bei; cs ist, als ob dieser deutsche Fürst von Neuem Zeugniß für die Kraft des Neichsgedankens seinerseits ablegen und seine Landes kinder darauf Hinweisen wollte, daß ohne Opfer niemals ein großes Werk geschaffen und erhalten werden könne. Ob der Großherzog, wie die „Nat.-Ztg." annimmt, die Absicht hatte, die Wirkung der Moskauer Rede des bayerischen Thron folgers abzuschwächen, kann dahingestellt bleiben. Jeden falls wird der Großherzog im Stillen Alles, was in seinen Kräften stand, gethan haben, um in München die Stimmung zu verbessern, aus der jene Rede hervorging, und in Berlin auf die Vermeidung solcher Gewohnheiten hinzuwirken, die solche Stimmungen erzeugen und nähren. Die öffentlichen Kundgebungen des Großherzogs für den Nationalstaat werden besonders jenseits der Vogesen Beachtung finden. Uebrigens sei bemerkt, daß ebenso, wie unlängst der „Temps" so jetzt der „Figaro" die Franzosen davor warnt, auf die Meldungen von particularistifchen Strinnungen ihre Hoffnungen zu bauen. In einem Artikel von Whist (de Valfrcy), der sich „Duo öruption äs Laviöre^ betitelt, werden zwar all die zum Theil längst widerlegten Mittheilungen und Gerücht« von den „Tbaten" des bajuvarischen Particularismus aufgezählt, zum Schluß aber meint der Verfasser doch: das sei Stroh feuer, nichts weiter. Unberührt bleibe davon das deutsche Nationalgefühl und die Bundesverfassung. So lange es aus wärtige Gefahren für Deutschland gebe, würden die „Elemente der Auflösung" erstickt werden. „Falls morgen das Gespenst des Auslandes vom Horizont des neuen Reiches verschwände, dann allerdings würden für Preußen Schwierigkeiten ent stehen, die vielleicht unentwirrbar sein würden." Wollen die Franzosen — sie haben den Vortritt! — die „Gefahr" ver schwinden lassen? Sie würden dann die Ueberzeugung ge winnen, daß auch noch andere kräftige und zarte Bande die Deutschen in unlösbarer Einheit Zusammenhalten, als das „Gespenst deS Auslandes"! Die französisch-spanische» Ltcbängelcicn werden fortgesetzt. So lange sie in tcm harmlosen Stadium des Austausches von Sympathiekundgebungen verharren, können sie auf die Bedeutung eines tagespoiitischen Ereignisses keinen Anspruch machen; es genügt, wenn man sie als Zeichen der Zeit registrirt. Spanien hat sich angesichts der wachsenden Bedrängniß, in welche es durch seine transatlantische Politik gerathen ist, auf einmal seiner Zugehörigkeit zu der europäischen Völkerfamilie erinnert, und Frankreich, das grundsätzlich keine Gelegenheit zu einer seiner nationalen Eitelkeit schmeichelnden politischen mise-ou-scöue verpaßt, bat sich beeilt, Spanien gegenüber den Liebenswürdigen zu spielen. So ist es freilich nicht immer gewesen. Die neuere Geschichte zeigt uns Franzosen und Spanier viel öfters als erbitterte Gegner denn als Freunde und Bundesgenossen, und regelmäßig ist es die französische Händelsucht und Ueber- hebung, welche die Pyrenäenhalbinsel nicht zur Ruhe kommen ließ. Noch bis tief in unser Jahrhundert hinein reichen die Bestrebungen Frankreichs,fick zum Leiter der spanischen Entwickelung aufzuwerfen. Wenn sie nunmehr durch längere Zeit pausirt haben, so ist die Ursache dessen wohl weniger in einem grundsätzlichen Verzicht der französischen Politik aus Jahrhunderte alte Ueberlieferungen, als darin zu suchen, daß Frankreich anderswo mit dringlicheren Sorgen sich abgeben und Spanien sich selbst überlasten mußte. Die ganze Sache hat mehr die Bedeutung eines Versuchsballons, wenigstens auf spanischer Seile. Es ist eine dem spanischen Nationalstolz wohlthuende Empfindung, zu mal nach den vielfachen Nackenschlägen, die er im Laufe der cubanischen Krise erhalten, baß Frankreich gerade jetzt seine Visitenkarte bei ihm abgiebt und dem despectirlichcn Auftreten der Vereinigten Staaten Spanien gegenüber erhält dieses, da gleichzeitig hinter Frankreich wieder Rußland steht, einiges Relief, zumal manweiß,daßRußland mit derHallungder Vereinigten Staaten keineswegs einverstanden ist. Weiter gehende politische Conseguenzen aus der augenblicklich fran zösisch-spanischen Anfreundung zu ziehen, liegt wie gesagt kein Grund vor. Selbstverständlich bleibt sie in der politischen Welt nicht unbemerkt, und es ist auch keineswegs unwahr scheinlich, daß Versuche zu ihrer politischen Fructificirung gemacht werden. Jnveß dürfte dies schwerlich zwischen heute und morgen geschehen, da die Eombinationen, in denen Spanien als politischer Factor zur eventuellen Mit wirkung berufen wäre, noch geraume Zeit zu ihrer Reife be dürfen, wenn es überhaupt je zu ihrer Perfcctwerdung kommt. In den türkischen Wirren ist noch immer keine Wendung zum Bessern zu verzeichnen, ja es hat den Anschein, daß die Dinge zur Katastrophe treiben. Bekanntlich verlangen, was Kreta betrifft, die Mächte, oder wenigstens Oesterreich- Ungarn, Rußland und Frankreich von der Pforte, daß sie zur Beruhigung der Insel folgende Maßregeln treffe: so fortige Einstellung der Feindseligkeiten, Einberufung der Nationalversammlung, allgemeine Amnestie und Wieder herstellung des Vertrages von Haleppa, einschließlich der Er nennung eines Christen zum Gouverneur der Insel. Von diesen Forderungen sind die beiden ersten bereiis formell bewilligt worden, d. h. der Sultan bat die Einstellung der Feindseligkeiten an besohlen, aber die Soldaten brandschatzen die Bevölkerung weiter, und er hat die Einberufung der Nationalversammlung auf nächsten Montag angeordnet, allein die Versammlung wird, falls sie wirklich zusammentritt, sehr unvollständig sein, da ein Theil der Abgeordneten auS den insurgirten LandeS- theilen nicht nach Canea kommen kann und ein anderer sich nicht dorthin jbegeben will, weil türkische Versprechungen ohne europäische Garantie nichts Werth sind. Und kommt wirklich ein beschlußfähiger Landtag zusammen, so ist zu besorgen, daß die durch den Beweis ihrer Widerstandsfähig keit und durch die Hilfeleistung aus griechischen Quellen ermuthigten christlichen Kretenser nunmehr höhere Forderungen erheben, beispielsweise Autonomie, wie in Samos, verlangen werden, wenn nicht etwa gar der Anschluß an Griechen land proclamirt werden sollte. Nur durch eine rasche Annahme sämmtlicher Vorschläge der genannten Mächte durch die Pforte läßt sich noch eine entscheidende Wendung zum Bessern auf der Insel berbeiführen. Allgemein herrscht die Ueber zeugung, daß ein Pacificalionsversuch mit rein militairischen Mitteln dieses Mal sich bedeutend schwieriger erweisen werde, als 1889, da die Stimmung der Kretenser gegenwärtig in Folge des damaligen Privilegien-VerlusteS und der seitherigen Verwaltungssünden weit stärker erregt ist. Das Schlimmste ist, daß die türkischen Behörden nicht im Stande, vielleicht auch gar nicht Willens sind, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten. Deshalb wird es kaum zu vermeiden sein, auf Kreta eine andere Autorität als diejenige deS Sultans zur Geltung zu bringen. Inzwischen mehren sich die Berichte über Unruhen in der asiatischen Türkei in solcher Weise — namentlich der Drusen aufstand in Hauran und das Wiederaufleben der armenischen und jungtürkischen Bewegung geben zu denken —, daß man sich des Eindruckes nicht erwehren kann, es breite sich der Aufstand über alle nichtcuropäischen Gebiete der Türkei aus. Nach Be richten aus Konstantinopel ist man dort der Meinung, daß nicht nur eine Wiederholung der vorjährigen Ereignisse zu befürchten sei, sondern daß sie einen noch bedenklicheren Charakter annehmen könnten. Mit jedem Scharmützel steigert sich die Erregung sowohl unter den Christen, als unter den Muhammedanern; die Pforte sieht sich genöthigt, irreguläre Truppen zu verwenden, und was dies zu bedeuten hat, weiß Jedermann. Dabei kann jeden Augenblick die male do nische Bewegung in Fluß kommen und so die Lage sich für die türkische Regierung unerträglich gestalten. Jetzt sucht sie sich noch dem Drängen der Mächte zu entziehen, aber die Dinge können sich plötzlich dahin zuspitzen, daß die Pforte genöthigt ist, selbst die Hilfe der Mächte anzurusen. Tann aber dürfte es zu spät sein, um den Bestand des Reichs intact zu halten Auf dem Gebiet der britischen Südafrikanischen (Gesell schäft geht wieder etwas vor, man weiß nur noch nicht recht, was. Nach Londoner Blättern sind die Matabele wieder aufgestanden und hat die Empörung auch das Maschona- Land ergriffen. Fort Salisbury soll bereits gefallen sein, die Eingeborenen sollen sich schauderhafter Metzeleien schuldig gemacht haben, und die Lage der Weißen wird als eine ver zweifelte geschildert. Ob hier Uebertreibungcn vorliegcn, läßt sich noch nicht sagen. Eine directe Bestätigung der erwähnten Nachrichten ist noch nicht einzetroffen, und in der gestrigen Sitzung des Unterhauses war nur von „ernsten Ruhestörungen" die Rede, obwohl die Hiobspost über Salisbury schon in London eingetrofscn sein müßte. Man weiß, daß der Matabeleaufstand aller Wahrscheinlichkeit nach von England bestellte Mache war, da d,e Matabele erschienen und verschwanden, je nachdem man es nöthig hatte. Der ganze Zweck, welchen die Machination verfolgte, war anscheinend der, so viel wie möglich englische Truppen nach Südafrika zu Wersen, um mit dem „renitenten" Transvaal ein ernsteres Wort reden zu können. Man bauschte irgend einen Versuch von Unbotmäßigkeit bei den Ein geborenen zu einem Aufstand auf, und es kann nun wohl sein, daß die Geister, die man rief, stärker wurden, als man beabsichtigte, und daß man sie schließlich nicht wieder los wird. Die Wahrscheinlichkeit spricht indessen auch beute dafür, daß neue Truppensendungcn motivirt werden sollen, da man sich nach den energischen, fast wie ein Ultimatum lautenden Depeschen des StaatssccretairS Leyds auf einen Waffengang mit Transvaal gefaßt macht. Sollten aber wirklich die Dinge so schlimm stehen, dann hätte sich Cecil Rhodes' Meisterschaft in der Bekämpfung der Ein geborenen sehr schlecht bewährt und die englische Negierung thäte besser, ihn nach London zu berufen, um ihm ernstlich den Proceß zu machen. Tann würde Ruhe in Südafrika einkehren, dennTransvaalwäre befriedigt.Ja das Cabinet Salisbury würde geradezu unverantwortlich handeln, wenn es nicht Alles tbäle, um die in Folge der Johannesburger Verschwörung und des Jameson'sckcn Flibustierzuges zwischen dem niederländischen und dem britischen Bevölkernngselemente in Südafrika entstandene Spannung zu beseitigen. Nur durch festes Zusammensteben aller Weißen würde der immer weiter um sich greifenden Jnsnrrection der fanatisirtcn Matabele ein hinreichend starker Damm entgegengesetzt werden können. Nach Allem freilick', Feuilleton. Im kleinen Hause. Novelle von E. Reinhold. Nachdruck verkeim. ES Waren beunruhigende Gedanken, denen sie sich hingab, denn das Wiedersehen mit dem Vetter hatte sie tiefer erregt, als sie sich hatte merken lassen. Er war — cs war dies das unschuldige Geheimniß ihres Lebens — ihre Jugendliebe, eine Liebe, die, obwohl hoffnungslos, ihr Herz doch so erfüllt hatte, daß es ihr lange unmöglich geschienen, je einem Andern anzugehören. Erst als ihr seliger Mann um sie geworben, ein ehrenwerther, gereister Mann, der selbst eine schmerzliche Enttäuschung in feinem Liebesleben erfahren, und der nichts begehrte als herzliches Vertrauen zur gemein samen Pilgerfahrt durch das Leben, da hatte sie ihre Hand in die eines Anderen gelegt, nicht ohne vorher ein Bekenntniß abzulegen dessen, waS ihr als verbotene Frucht erschien. Sie hatte wacker gekämpft gegen die Erinnerung und glaubte auch im Laufe der Jahre Frieden gefunden zu haben; nun aber war der Geliebte mit einem Male zurückgekehrt, und sie sollte ihn täglich sehen! Ruhig war sie ihm entgegen getreten. Erst als er so seltsam bewegt, wenn auch nur wenige, bedeutungslose Worte zu ihr geredet, begann ihr Herz wieder zu pochen. Sie wußte, so stolz und wohlgemuth er vor ihr gestanden, ein süßes Glück hatte auch er nicht gefunden. Suchte er noch danach? — Thorheit! Wie alle verzagten Gemüther suckte auch die Pastorin sich hiermit zu beruhigen, aber sie sah der nächsten Zukunft doch mit Bangen entgegen. Sie hatte eine Ahnung, als stehe ihr ein Kampf bevor, und müsse sie sich mit Stärke wappnen. Am anderen Tage kam ja nun wirklich der Vetter mit verschiedenen Kisten und Koffern im kleinen Hause an, die Giebelzimmer wurden gefüllt mit Büchern, Skeletten und zoologischen Präparaten und gewannen bald das Aus sehen, wie es sich für die Studirstube eines gelehrten Pro fessors schickt. Als Alles auSgepackt und untergebracht war, begab sich der Professor zu seiner Cousine. Er befand sich in auf geräumtester Stimmung; die kleine sentimentale Anwandlung vom Abend vorher war verflogen. „Ich acclimatisire mick gut!" rief er vergnügt der Pastorin zu. „Deine Zimmerchen habe ich in die aller schönste Professorenhöhle verwandelt, und ich verspürte schon die größte Lust, mich in Schlafrock und mit langer Pfeife an den Schreibtisch zu setzen. Schade, daß ich gerade fort muß, wo ick solche Arbeitslaune habe." „Du willst verreisen?" „Auf einige Tage nur, nach der Hauptstadt, um mich dem Minister und anderen hohen Thieren vorzustellen. Aber, liebes Kind, ich hätte noch eine Bitte an Dich: Möchtest Du mir auch die andere Giebelseite vermiethen?" „Wenn Du sie brauchst?" „Nicht für mich, aber für meinen Famulus, einen jungen Studenten, der mir bei meinen Arbeiten Handlangerdienste leistet. Den möchte ich gern dort hineinsctzen." „Was ist es denü für ein junger Mann?" „O, ich habe noch Niemanden. Ich denke eben, es ist am praktischsten, Du hängst wieder einen Zettel heraus, und kommt Jemand, so sagst Du ihm, unter welchen Bedingungen er hier wohnen könnte. Gefällt er unS, so nimmst Du ihn in Dein Haus aus." So kam cS, daß, als der Professor abgereist war, wieder ein Zettel an der Garteuthür prangte mit der Inschrift: Möblirtcs Zimmer an Studenten abzugeben. In Wahrheit war der Pastorin der Eintritt eines neuen Elementes in ihren Haushalt nicht unwillkommen. Zwar hatte sie ihre Ruhe wieder gefunden, und es war ihr nicht mehr bang bei dem Gedanken, den Geliebten ihrer Jugend täglich sehen zu müssen; sie war ja kein verliebtes junges Ding, und traute sie sich schon so viel Selbstbeherrschung zu, dem Vetter nie zu verrathen, was er ihr einst gewesen, und — WaS er ihr vielleicht noch sein könnte. Aber die An wesenheit eines Dritten würde jede unangenehme Aufmerk samkeit von ihr selbst ablenken, und so war ihr der neue Zuwachs nur recht. Kaum eine Stunde hatte der Zettel ausgehangen, da hörte die Pastorin die Hausthüre gehen. Eine Stimme mit aus ländischen Accent fragte nach dem möblirten Zimmer. Eilig ging die Hausherrin hinaus, denn sie hatte erkannt, daß die Stimme einer Dame angehörte. Natürlich mußte die Mieth- lustige sofort abgewiesen werden. Aber das war leichter ge dacht als gethan. Die Pastorin sah vor sich eine junge, schlanke, ausfallend hübsche Dame mit schwarzen Augen und kurzgeschnitlcnei», schwarzen Haar. „Eine Schülerin des ConservatoriumS und eine Ameri kanerin", stellte die Pastorin bei sich fest, und machte sich daran, dem Fräulein begreiflich zu macken, daß — Aber sie kam nickt weit mit ihrer Auseinandersetzung. „Ihr sein das Wirthin? Ihr sprechen englisch?" fragte die junge Dame, so recht von oben herab, uno dann folgte ein Schwall von englischen Worten. Die Pastorin verstand nichts und wußte nicht gleich zu antworten, denn ihr Schulenglisch batte sie längst vergessen. Doch sagte sie schließlich in der Hoffnung, verstanden zu werden, mit besonderem Nachdruck und lauter als sie gewöhn lich zu sprechen pflegte: „Nur für Studenten, mein Fräulein!" ,.^Il riglit.", entgegnete die Miß mit Seelenruhe, „ich studiren hier music." Noch einmal machte die Pastorin einen Versuch, sich Gehör zu verschaffen, aber die Miß, der eS unmöglich scheinen mochte, daß man sie nicht aufnehmen wollte, schnitt ihr da« Wort kurz ab: a momeut, ich holen meine Sachen." Und fort war der exotische Bogel, Herrin und Dienerin deS kleinen Hause« in ärgerlicher Aufregung znrücklasseud. Eine halbe Stunde später fuhr die Miß mit Sack und Pack in einer Droschke vor, und trotz des energischen Protestes der Pastorin und auch der alten Magd schaffte der würdige Nofselenker Koffer und Kisten in das HauS. „Ich bin von dem Fräulein hierher bestellt, da werd'- woll richtig sein", meinte er mit dem gewöhnlichen Droschken- kutscherphlegma. Die Miß hörte dem Disput mit erstauntem Gesicht zu. Sic verstand offenbar kein Wort, aber sie hörte soviel heraus, daß der Droschkenkutscher ihr recht gab, und das genügte ihr. Sie fühlte sich in ihrem Rechte. Hier war ein Zimmer zu vermiethen, sie miethcte es, sie war nun hier zu Hause. So ging sie auch gleich ungenirt nach dem Oberstock, wo die zu vermiethenden Zimmer liegen sollten, während die alte Magd ihr folgte, sie mit mißtrauischen Blicken beobachtend. Die Pastorin blieb unten stehen und überlegte, wie sie am schnellsten und sichersten den unwillkommenen Eindrin.' ling wieder lvswerden könnte. Da hörte sie oben eine» e> schreckten Schrei, dann die scheltende, murrende Stimme der Magd, und dann wieder Helles Gelächter. Unheil ahnend stieg die Pastorin eilig die Treppe hinauf. Da stand die Ameri kanerin in der geöffneten Thür von dem neuhergerichtelea Zimmer des Professors. ..Ob look ut bim!" rief sie der Pastorin zu und deutete auf das sauber abgeschälte und kunstvoll zusammengesetzte Knochengerüst eines Riesenaffen, um das sich in malerischer Gruppirung die Schädel der verschiedensten Affenarten reihten. Aber die Pastorin konnte sich zu einer komischen Auf fassung dieser Situation nicht verstehen. Des Vetters Arbeite zimmer war ein Heiligthum, das auch sie in seiner Ab wesenheit nicht zu betreten wagte. Mit selbst für eine amerikanische Miß verständlicher Miene zog sie die junge Dame aus dem Rahmen der Thüre, schlug dieselbe zu, schloß ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. „Gehen Sie dort hinein", sagte sie, auf das gegenüber liegende Zimmer deutend, „da mögen Sie meinetwegen lns morgen bleiben, weil Sie mit Sack und Pack einmal da sil^p. Aber suchen Sie sofort eine andere Wohnung oder ick wende mich an Ihren Consul." Nach dieser energischen Meinungsäußerung ging die Pastorin die Treppe hinunter. Die Miß aber blieb sebr betreten zurück. Sie hatte doch so viel begriffen, daß die MissiS sehr böse auf sie war. „>Vhat ckick ske say?" fragte sie kleinlaut die alte Dienerin. Da die Alte nur mürrisch die Achseln zuckte, ging die neue Bewohnerin des kleinen Hauses in ihr Zimmer. Man
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