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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960627021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896062702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896062702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-27
- Monat1896-06
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Reclamen unter dem Redactionsstrich l4qe- spalten) 50-^, vor den Familiennachrichien (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verjeichniß. Tabellarischer und Ziffernsaß nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderung »l 60.—, mit Postbeförderung 70 — Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Volz in Leipzig so. Jahrgang. Volttische Tagesschau. * Leipzig, 27. Juni. Der Reichstag hat gestern die inhaltschwerste der für diePlenarberathung des Bürgerliche» Gesetzbuches verbliebenen Streitfragen, leider im reactionairen Sinne, entschieden. Die Regierungsvorlage hatte im H 1552 die Bestimmung enthalten: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte in Geisteskrankheit verfallen ist, die Krankheit während der Ehe mindestens drei Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist." Dieser Paragraph ist von der Commission gestrichen worden und das Plenum hat den Beschluß in namentlicher Abstimmung mit 125 Stimmen gegen 116 Stimmen aufrecht erhalten. Mit dem Centrum und den ihm affiliirten Gruppen bildeten die Conservativen, der größere Theil der Neichspartei und die National liberalen v. Heyl und Graf Oriola die Mehrheit. Der Beschluß schafft einen Nechtszustand, der dem Denken und Empfinden der großen Mehrheit unseres Volkes derart entgegen ist, daß in dritter Lesung der, wie die Ziffern der gestrigen Abstimmung zeigen, keines wegs aussichtslose Versuch einer Aenderung energisch wieder holt werden muß. Es erleidet keinen Zweifel, daß die Entscheidung gestern dadurch herbeigefübrt worden ist, daß eine Anzahl von Abgeordneten die Frage von einem bei der Gesetzgebung unzulässigen Standpunct betrachtet hat. Wenn ein Privatmann, wie ein Redner ausdrücklich bekundete, es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, eine bestimmte Handlung zu vollziehen, so ist er darum als Gesetzgeber noch nicht berechtigt, sie der Gesammtheit zu verbieten. Für die Gesetzgebung muß das öffentliche Gewissen bestim mend sein; dieses findet seinen Ausdruck in der Sitte, und die Sitte stimmt in Deutschland mit der im größten Theil des Reiches bestehenden Gesetzgebung darin überein, daß sie die Ehe, in der ein Theil unheilbar geistiger Um nachtung anheimgefallen ist, als zerstört betrachtet und den Zwang, eine solche aufrecht zu erhalten, als Grausamkeit ver wirft. Es war in dem vorliegenden Fall umsoweniger ge rechtfertigt, dem persönlichen Empfinden Einfluß auf die gesetz geberische Entscheidung zu gestatten, als ß 1552 cs in daS Belieben des gesunden Gatten stellt, bei "dem erkrankten Lebensgefährten auszuhalten. Die Ehe kann wegen Geistes krankheit geschieden werden, sie muß es jedvch selbstverständ lich nicht. Dem privaten Gewissen war Genüge getban durch die Statuirung der Freiheit, der ausgesprochene Zwang hingegen ist im Stande, neben einem unerträglichen äußeren Schicksal auch Gewissensbedrückungen herbeizuführen. Die Vorstellung, daß der gesunde Theil den kranken, wie gestern gesagt wurde, „aufs Pflaster wirft", ist eine durchaus falsche. Der Erstere wird für den Letzteren nach Vermögen sorgen und er wird hierin eher mehr als weniger leisten können, wenn er in Gemeinschaft mit einem gesunden Gefährten er werben oder diesem die Sorge für Haushalt und Kinder überlassen kann. Gerade die sittlich höchste Rücksicht auf die thatsäcklich verwaisten Kinder läßt der Reichstagsbeschluß außer Acht, er zerstört die Familie, um eine Ehe aufrecht zu erhalten, aus der Alles entflohen ist, was der Ehe den stempel aufdrückt. Das Bedenken, daß ärztliche Gut achten irrthümlich eine Krankheit für unheilbar erklären könnten, ist völlig gegenstandslos. Im ganzen großen Preußen hat sich noch niemals der Fall ereignet, daß eine Person, die wegen Geisteskrankheit geschieden worden war, wieder gesundet ist. Dieser und andere nickt minder ge wichtige Gründe sind von dem Iustizminister Sckönstcdt, den Abgg. Lenzmann (fr. Vp.), Osann (nat.-lib.), Gamp lNp.) u. a. dem Hause auf das Eindrücklichstc, zunächst jedoch ver gebens, vorgesührt worden; eine um ein Weniges geänderte Zusammensetzung des Hauses in dritter Lesung kann jedoch, wie schon bemerkt, das Ergebniß in sein Gegentheil ver wandeln. Aus der Debatte ist noch hervorzuheben, daß ein Vertreter der bayerischen Regierung die Streichung des 8 1552 willkommen hieß und Herr Schönstedt hierauf nach drücklich betonte, die Mehrheit des Bundesraths würde die Beseitigung der Bestimmung aufs Höchste bedauern. Dem preußischen Handelsminister v. Berlepsch, der nach der „Nat.-Ztg." um seine Entlassung nachgesucht hat, widmet die „Köln. Ztg." bereits einen Nachruf, woraus man schließen darf, daß die von anderer Seite be zweifelte Nachricht der „Nat.-Ztg." richtig ist. In dem Nach ruf werden zunächst die Symptome ausgezählt, die auf den Entschluß des Ministers hindeuteten: Schon im Laufe der Wintertagung des Landtags war mehrfach im Anschluß an einzelne Ereignisse der bevorstehende Rücktritt, allerdings vorzeitig, gemeldet worden. Vor vier Wochen etwa meldete der Hosbericht, daß Herr v. Berlepsch dem Kaiser auf der Eisenbahnfahrt von Berlin nach Potsdam Vortrag gehalten habe. Dann fiel die außerordentlich scharfe Haltung und Erklärung des Frhrn. v. Berlepsch gegenüber dem conservativen Anträge auf Zurücknahme des Backerei-Erlasses in der Sitzung des Abgeordnetenhauses am 15. Juni auf, sowie daß am folgenden Tage der Unterstaatssecretair Lohmann die Abwesen, heit des Ministers bei der Weiterberathung dieses Antrags damit entschuldigte, daß er vom Kaiser nach Potsdam besohlen war. Zwei Tage darauf reiste er zu Verwandten nach Pommern. Sein Ausbleiben auf dem letzten parlamentarischen Feste des Fürsten Hohenlohe am Montag wurde in Abgcordnetenkreisen mehrfach er örtert. Alle diese äußeren Erscheinungen scheinen Ankündigungen des bevorstehenden und jetzt von Herrn v. Berlepsch vollzogenen Rücktritts gewesen zu sein. Auch über die Gründe des Rücktritts scheint der Ge währsmann des rheinischen Blattes vollständig im Klaren zu sein. Er schreibt nämlich: „Frhr. v. Berlepsch ist, um es mit kurzen Worten zu sagen, offenbar einOpser der sprichwörtlichen parlamentarischen Wetterwendigkeit. Von ;eher ein Freund activer staatlicher Socialpolitik, hatte er aus den Beschlüssen der großen Reichstags mehrheit im Anschlüsse an die kaiserlichen Februar-Erlasse vom Jahre 1890 die Ermunterung für weitausschauendr socialpolitijche Pläne auf de» mannigfachen Gebieten des Gewrrbelebens, der Arbeiterschutzgesetzgebung, der Handwerker-Organisation, der Reform der Handelskammern entnommen. Ein Theil dieser Gebiete wurde von ihm auch mit wachsendem Erfolge durch pflügt; aber die großen Aenderrngen und Erschwernisse, die daraus vorübergehend umserem Erwerbsleben im Wettbewerb mit dem Auslande erwuchsen, ließen sehr schnell eine wesentliche Er nüchterung unserer parlamentarischen Körperschaften wie der öffent lichen Meinung erkennen; immer mehr brach sich das Gefühl Bahn, der in Kraft getretenen Arbeiterschutzgesetzgebung ruhige Zeit zur Eingewöhnung zu überlassen und alle überstürzten Neuerungen zu vermeiden. Herr v. Berlepsch wollte dieser Strömung keine Rechnung tragen; er hielt sich an die ältern parlamentarischen Beschlüsse, ohne Rücksicht auf die eingetretene Ernüchterung, und so mußte er er leben, daß eine Anzahl von Fragen, deren Lösung er im Sinne früherer parlamentarischer Beschlüsse vorschlug, zumal in der conser vativen Mehrheit des preußischen Landtags nunmehr eine schroffe Ablehnung fand. Die Vorlage, betreffend daS Handelskammer gesetz und die Einführung eines Maximalarbeitstagrs für das Bäckereigewerbe, sowie der Vorschlag, betreffend den 8 Uhr-Ladenschluß, müßten in dieser Hinsicht jedem Un- befangenen die Augen öffnen. Auch stellte sich bald heraus, Laß der Reichskanzler Fürst Hohenlohe, an sich ein warmer Freund vernünftiger, maßvoller staatlicher Socialpolitik, ein scharfer Gegner jeder Uebertreibung sowohl nach der Seite des Tempos wie der Ausdehnung war, und daß der Fürst zwar nicht die Hand zu einem Rückschritt auf diesem Gebiete leihen, wohl aber sorgsam darauf achten wollte, daß die guten zuverlässigen Bahnen der ausgleichendcn mittleren Linie nicht verlassen würden. Unter diesen Umständen wird Frhr. v. Berlepsch cingesehen haben, daß die Zeit dankbarer Erfolge für ihn vorbei sei, daß er einer Kette un erquicklicher parlamentarischer Niederlagen ausgesetzt sei und daß es für ihn dankbarer sei, der Entwicklung der Dinge ans der Ferne des Landlebens zuzusehen." Dieser Hinweis auf das „Landleben", dem Herr v. Berlepsch sich künftig widmen werde, bestärkt den Eindruck, daß die Darlegung der „Köln. Ztg." auf genauen Informationen be ruhe. Zweifellos bandelt es sich nun um einen Nachfolger, der, gleich dem Reichskanzler, „ein warmer Freund ver nünftiger, maßvoller socialer Staatspolitik", aber auch „ein scharfer Gegner jeder Uebertreibung sowohl nach der Seite des Tempos wie der Ausdehnung" ist. Am 5. Juli werden in Belgien die Neuwahlen zur Teputirtenkammer stattfinden und zwar wird die Hälfte der Kammermandate erneuert werden. In diesem Jahre werden die Neuwahlen in den Provinzen Brabant, Antwerpen, Namur, Luxemburg und Westflandern vorgenommen, welche gegenwärtig in derKainmer von 66 Klerikalen, 10 Liberalen und 1 Socialisten vertreten sind. Die bevorstehende Wahl spitzt sich immer mehr zu einem Zweikampf zwischen dem Klerikalismus und dem Socialismus zu. Die Klerikalen greifen die Socialisten als ihre gefährlichsten Gegner mit der größten Erbitterung an und die Socialisten beantworten diese An griffe mit wilden Hetzereien gegen die Bourgeosie. Der Haupt kampf tobt in Brüssel, das 18 Deputirte zu wählen hat. Fünf Candidatenlisten mit 75 Candidaten sind aufgestellt. Die der vereinigten Klerikalen und Conservativen, die der Doctrinär-Liberalen, die der verbündeten Fortschrittler und Socialisten, die der vlämischen Heißsporne, die der Gegner der cooperativen GenossenschastSbewegung. Nur die drei ersten Listen verdienen Beachtung, doch bewirkt diese Zersplitterung vorweg, daß die Stichwahl unvermeidlich ist. Bedauerlich ist, daß die gemäßigt Liberalen noch immer nichts gelernt haben, daß sie noch immer die Gegner der staatlichen Ein mischung in die sociale Bewegung und aller ernsten Arbeiter reformen sind; es ist daher begreiflich, daß diese Liberalen, nicht nur die Fortschrittler und Socialisten, sondern auch die Klerikalen angreifen, weil diese sociale Reformen durch geführt haben und als „verkappte Socialisten" anzuseben sind. Diese engherzige Politik ebnet gerade allen radicalen Elementen die Bahn, bewirkt aber zugleich, daß die Doktrinären bei der Wahl vollständig zerrieben werden. Uebrigens sind diesmal die Aussichten auch für die Klerikalen weniger günstig, denn mehr und mehr treten die Anzeichen eines tiefen Zwiespalts in ihrem Lager zu Tage. Die katholischen Arbeiter wollen sich nämlich nicht mehr den conservativen Klerikalen unterwerfen und von nun an ihre eigenen Wege gehen. So baden die katholischen Arbeiter bereits in Brüssel im Gegensatz zu der einst allmächtigen conservativen Parteileitung mit Woeste an der Spitze, welcher sich bemüht hatte, die Wiederwahl der vier früheren Arbeiter-Vertreter zu sichern, zwei ausgesprochene Gegner deS Woeste's als Candidaten aufgestellt und diese baden auch die besten Chancen, gewählt zu werden. Aehnliche Vorgänge spielen sich in den meisten vlämischen Wahlbezirken, wie in Antwerpen, Brügge, Courtrai, Ostende und Löwen ab, wo die katholischen Demokraten direct die Wiederwahl der früheren conservativ-klerikalen Abgeordneten bekämpfen. Möglicherweise werden auö diesem Zwiespalt der Klerikalen die Liberalen einigen Nutzen ziehen, wenn auch angesichts dcr Spaltung die seit dem Jahre 1894 zwischen gemäßigten Libe ralen und der Fortschrittspartei eingetreten und bei dem jetzigen Hinneigen der Letzteren zur Socialdemokratie vor der Hand dazu noch wenig Aussicht vorhanden ist. Wen» es Spanien danach gelüstet, im europäischen Concert als bündniß fähige Macht eine Rolle zu spielen, muß es sich auck gefallen lassen, daß man sich in seinem militairischen Haushalt etwas umsieht. Wer das eben veröffentlichte Kriegsbudget für das Etatsjahr 1896 — 97 durchgeht, kann sich einbilden, daß Spanien auf den Einfall gekommen sei, mit Heer und Marine ein gleichwerthiger Rival der großen europäischen Militairmäckte zu werden. Früher be zifferte sich die spanische Armee, einschließlich der in den Colonien stehenden Abteilungen, auf 70 000 Mann. Nach der neuen Militairvorlage wird die in Spanien selbst verbleibende Armee auf 100 000 Mann erhöht. Mit den in Cuba und auf den Philippinen operirenden Heer körpern kommt die für Spanien unerhörte Zahl von 300 000 Mann heraus, so daß das stehende Heer — so kann man es nennen, da die Beendigung des kubanischen Auf standes ja in weiter Ferne liegt — in der kurzen Spanne eines einzigen Jahres vervierfacht worden ist, und es ist kein Zweifel darein zu setzen, daß diese 300 000 Mann tatsächlich vorhanden sind. Um so fragwürdiger ist dagegen der Bestand dec Flotte, welche sich auf dem Papier auSmacht, als wenn sie mit England rivalisire» könnte. Da werden als mobiles Material nicht weniger denn fünf Panzerschiffe, 1 Monitor, 10 Kreuzer erster Classe, 12 Kreuzer zweiter, 6 Kreuzer dritter Classe, 7 Fregatten, 51 Kanonenboote, 40 Kanonen schaluppen, 4 Torpedojäger, also im Ganzen 136 Schiffe aufgefiihrt; dazu noch eine Menge Torpedoschiffe, Ver- nicfiungSschiffe, Transportschiffe u. s. w. Diese nicht kleine Flotte ist bemannt mit 16 484 Mann. Es ist ausfallend, daß die Schiffe in der amtlichen Aufstellung nicht mit Namen genannt sind. Vielleicht ist es deshalb geschehen, weil die meisten noch gar nicht existiren und daher doch noch keine Namen haben können, vielleicht aber auch deshalb, weil das Marineministerium nicht verrathen will, daß es das in den Arsenalen von Cartagena, Cadiz und Ferrol sich herum treibende Gerümpel, welches vielleicht bis zur Schlacht von Trafalgar zurückdatirt, unter die modernen spanischen Schlacht schiffe zählt. Uebrigens hat man auch die gecharterten armirten Handelsdampfer Kreuzer erster Classe genannt. Jedenfalls fehlt noch sehr viel, um Spanien zu einer Macht zu gestalten, auf die im Falle der Noth sicher zu zählen wäre. Die Kriegs tüchtigkeit seiner Heerführer und Truppen hat sich in Cuba wenig bewährt und die finanziellen Hilfskräfte des Landes gehen auf die Neige. Was Spanien braucht, wenn cS Cuba einmal pacisicirt haben sollte, ist eine gründliche, auf Generationen bemessene finanzielle Erholung, dann erst kann es an eine durch greifende militairische Reorganisation und nachher vielleicht an die Werbung von Bundesgenossen denken. Fürst Nicolaus von Montenegro trifft heute beim Köuig von Serbien in Belgrad zum Besuch ein und seine Anwesenheit wird aufs Neue erwünschte Veranlassung geben, für den gegenwärtig beliebten Gedanken einer unter Ruß lands Schutze zu vollziehenden Vereinigung der Balkanvölker zu demonstriren. Unter Milan herrschte stets heftige Feindschaft zwischen Belgrad und Celtinje. Nach dem Sturze Milan's aber boten die Regenten Alles auf, um den jungen Alexander mit Nicola zn versöhnen. Am Prunkmahle in Kruschewatz erhob sich dann der wenige Stunden vorher gesalbte 16jährige Feirilletsn. Im kleinen Hause. Novelle von E. Reinhold. Nachdruck verdotm. „Frauenzimmer sind merkwürdige Geschöpfe", dachte er, „sie können eS alle einmal nicht vertragen, wenn man vor ihnen andere lobt. Die Cousine mag im Uebrigen recht gut sein, aber sie ist doch ein wenig hausbacken." Kaum hatte er in Gedanken diese- Urtheil festgestellt, da fühlte er Gewissensbisse. Er mußte daran denken, wie lieb und freundlich seine Base immer zu ihm gewesen, und wie zufrieden und behaglich er sich am ersten Abend seiner Heim kehr bei ihr befunden. Die Nacht brachte dem Professor einen gesunden und tiefen Schlaf, und beim Erwachen waren die hausbackene Cousine sowohl als die interessante Miß vergessen. Der Professor dachte nur an seine Studien, und zu früher Stunde schon ging er nack dem kleinen Hause in sein Zimmer und vertiefte sich alsbald in seine Studien. Die Ruhe dauerte indeß nicht lange. Der Professor hatte gerade die Feder angesetzt, um einen eben auSgereiftrn Gedanken auf dem Papier zu fixiren, da klopfte e« an die Thür, und ohne auf «in „Herein" zu warten, trat die Miß al« anmuthige Störerin ein. „Kommen Sie mit spazieren? Es ist so schön draußen." Unwillig drehte sich der Angeredete herum, aber die im ersten Augenblick beabsichtigte Abweisung unterblieb; einer so reizenden Versucherin Widerstand zu leisten, wäre ja geradezu sündhaft gewesen. So gingen die Beiden zusammen spazieren, und die Pastorin mußte diesmal die Suppe auf eine halbe Stunve warm setzen. Da gab e« nun wieder verdrießliche Gesichter und gestörte Laune, kurz, eS war dasselbe unbehagliche Mittags mahl wie am Tage zuvor. Heute aber kam noch ein kleine- Nachspiel. „Ich werde der Miß doch schließlich sagen müssen, daß sie nicht in unser HauS paßt", erklärte die Pastorin, als die Amerikanerin sich entfernt hatte, „sie wirft die ganze Haus ordnung über den Haufen und stört Dich auch in Deinen Arbeiten." DaS war eine gefährliche und unbedachte Aeußerung, denn die Pastorin mußte von früher her wissen, daß der Vetter eS absolut nicht vertragen konnte, wenn sich Jemand um sein Thun und Lassen kümmerte. Er entgegnete auch hörbar kühl: „Ich habe meine Zeit so eingetheilt, daß ich einige Stunden des Tages sehr wohl dem Vergnügen widmen kann. Uebrigens bist Du ja die Herrin im Hause. Gefällt Dir die Miß nicht, so setze ihr den Stuhl vor die Thür. Und wenn ich Dir etwa auch Deine Hausordnung über den Haufen werfe, so mache es nur mit mir getrost ebenso. Ich nehme nichts übel." Die Pastorin schwieg, aber sie batte ihre eigenen Gedanken, und diese trieben ihr beinahe die Thränen in die Augen. Wenn eS nur eine Andere gewagt hätte, auch damals, als diese Andere noch jung und hübsch war, den hohen Herrn bei seinen Arbeiten zu stören! Der Professor, ohne gerade Gedankenleser von Profession zu sein, mochte doch Wohl, theilweise wenigstens, erratyen, was in seiner Cousine vorging. DaS war ihm unbequem und er erhob sich, um sich in seine Gemächer zurückzuziehen. In dem Zimmer der Amerikanerin wurden gerade, als der Professor an dessen Thür vorbeiaing, einzelne Accorde auf dem Clavier angeschlagen, die sich dann zu einer Melodie zusammenfüzten. Der Professor blieb stehen und lauschte. „Das ist ja der abscheuliche Gassenhauer, den alle Schuster buben pfeifen", dachte er, unangenehm berührt. Da wurden perlende Variationen über dieses an und für sich wenig ansprechende Thema vernehmlich, und der Professor war schnell wieder versöhnt. „ES steht ihr doch Alles ausgezeichnet", meinte er, „selbst au- so geschmacklosem Zeug versteht sie etwa« zu machen." Als es am andern Morgen Zehn schlug, schaute der Professor in seiner ArbeitSclause von seinen Büchern auf. „Jetzt wird sie bald kommen und mich zum Spazieren gehen abholen", dachte er und machte sich zum Au-gehen fertig. Aber sie kam nicht und in ihrem Zimmer blieb e» auch ganz still. Da ging er um elf selbst hinüber. Ob ihr etwas fehle, fragte er die Miß. „Ob nein", antwortete sie, aber die Misst- habe ihr ver boten, ihn zu besuchen, e« wäre so etwa- unpassend in Deutschland. Dazu lächelte sie spöttisch. Der Professor wurde ernstlich böse. Was fiel denn der kleinen Cousine ein? Was kümmerte sie sich um Dinge, die sie nicht« angingen, und von denen sie nicht- verstand? Er fragte den kleinen schwarzen Lockenkopf, ob er mit ihm spazieren gehen wolle. „Olr -es, mit Vergnügen." Und, war es Zufall, war es die sich regende Opposition, beute kamen sie eine ganze Stunde zu spät und Beide hatten sich mit trotzigen Gesichtern gewappnet, nm einen Angriff der Hausfrau energisch zu begegnen. Die Vorsichtsmaßregel war umsonst; die Pastorin sagte kein Wort, sie steckte nur eine äußerst rescrvirte Miene auf. Das war nun für ihre Tischgenosscn nicht gerade ermuthigend, sie in die Unter haltung zn ziehen, und so kam es, daß der Professor, wenn er höflichkeitshalber das Wort an seine Cousine richtete, dies in verbindlichem, aber so kühlem Tone tbat, daß seine zu nehmende Entfremdung der Gefährtin seiner Kinderjahre gegenüber klar zu Tage trat. Und wie dies eine mittägliche Beisammensein, so verliefen nun auch die übrigen. Zur Gemüthlichkeit trug das entschieden nicht bei, und der Professor mochte Wohl manchmal denken, daß da- kleine Hau- doch nicht für ihn ein buon rotiro geworden sei, wie er am ersten Abend gehofft. Aber er machte sich keine Sorge deswegen. Er und die Miß, sie unterhielten sich vor trefflich: sie trieben Beide mit vollen Segeln auf dem Ocean eines yochst amüsanten „flirt.". Die Einzige, dir unter diesem ungemütblicken Leben wirk lich litt, war di« Pastorin. Ihr galt «S bald al« eine aus gemachte Sache, daß der Vetter in unbegreiflicher Ver blendung sich in den unheilvollen Irrwisch, die Miß, bis über beide Ohren verliebt hatte, denn er arbeitete nicht, sondern bummelte zwecklos umher. Er ließ sich von dcr Miß in ihren ganzen Bekanntenkreis einfübren und trieb sich mit der amerikanischen Sippe herum, al« gehöre er zu ihr. Da« erfüllte die Pastorin mit Schmerz und Sorge, und sie mußte Wohl einmal unvorsichtig etwa- von ihren Gefühlen und Empfindungen verrathen haben, denn bald hieß eS in der Nachbarschaft: „Die liebe Pastorin ist eifersüchtig, weil ihr Detter Vie amerikanische Miß heirathcn will." Da- war «ine bittere Stunde für die arme Frau, al« so vorwitzig in di« gehrimsten Winkel ihres Herzen« geleuchtet wurde. Und war nicht doch ein Körnchen Wahrheit an dem Geschwätz? War sie nicht «ifrrsüchtia? Ach, für sich begehrt« sie doch nicht den Geliebten; sie wußte e« ja längst, daß sie ihm zu unbedeutend war. Aber das wollte sie nicht, daß er sich wegwürfe an ein unreife« Geschöpf, da« ihn nicht ver stand, daS ihn unglücklich machen würde. Denn davon war sie überzeugt, daß die kleine Satanella nicht zu ihm paßte Mußte sie sich nicht deswegen sorgen? Und da kamen die unbarmherzigen guten Freundinnen und erklärten mit schonungsloser Schadenfreude, sie wäre eifersüchtig. Es war unter Liesen Umständen nicht zu verwundern, daß das liebe Gefickt der Pastorin seinen freundlichen Ausdruck verlor und einen herben Zug annahm. Der Professor übrigens blieb einstweilen von all den Gerüchten, die über ihn in Umlauf waren, verschont, denn er verkehrte nur noch mit seinen Amerikanern und mied jede andere Gesellschaft. Drei Monate waren bereits das kleine Haus und seine Bewohner Gegenstand de« regsten Interesses für nähere und weitere Nachbarschaft gewesen. Der Sommer war vorüber, und man fing schon an, die Tage, an denen man noch im Freien sitzen konnte, eifrig auszunutzen. So waren auch an einem schönen, sonnigwarmen Nachmittage die Pastorin und ihre beiden Miether im Garten unter dem Kastanienbanme am Kaffeetisch versammelt. E« war eine Ausnahme, Laß man um diese Zeit überhaupt beisammen war, aber die Miß war einmal zu Hause geblieben, und da hatte es sich so gefügt. Die alte Dienerin hatte da« Kaffeegeschirr abgeräumt, und man war eben im Begriff, sich zu trennen, da trat der Briefbote in den Garten und brachte zwei Briefe, einen für die Pastorin von ihrer Tochter, den andern an die Miß von ihrem Vater aus Amerika. Die Wirkung der Briefe auf ihre Empfängerinnen war eine sehr verschiedene. Der Pastorin verklärte ein glückliche» Lächeln während de« Lesens da« Gesicht, während bei der Miß eine steigende, offenbar durch äußerst unangenehme Nach richten hervorgerusen« Erregung sich bemerkbar machte. Sic la« den Brief kaum zu Ende, sondern warf ihn auf Len Tisch, nahm ihn wieder auf und zerriß ihn in tausend Fetzen. Und nun kam eine Fluth von Invektiven gegen die Deutschen im Allgemeinen und gegen einen Angehörigen der geschmähten Nation im Besonderen. Die Epitheta, die dem Unglücklichen hier beigelegt wurden, waren, falls siegerechtfertigt, nickt ge eignet, in den Hörern eine hohe Meinung von dessen geistigen Fähigkeiten zu erwecken. Mit den. Gesichte des Professor« ging eine deutlich wahr nehmbare Veränderung vor sich, e« zog sich stark in die Länge. — „Es steht ihr doch nicht Alle- ausgezeichnet", murmelte er vor sich hin.
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