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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.07.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960710010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896071001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896071001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-10
- Monat1896-07
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Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne PostbesörLeruuz -6 60.—, mit Postbesürderung 70.—. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Natljes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Freitag den 10. Juli 189tz. Annahmeschlnß für Anzeigen: Abrnd-Au-gabe: Vormittag» 10 Uhr. Margen-Au-gabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von T. Polz in Leipzig SV. Jahrgang. Sächsischer Ntramonlanismus. Das „Leipziger Tageblatt" vom 25. Juni d. I. brachte an der Spitze eines von Herrn v. Buchwald über Benno und Luther gehaltenen Vortrags als zeitgemäße Einleitung zu diesem einen Artikel aus dem „Katholischen Kirchenblatt für Sachsen" über St. Benno. Zur Kennzeichnung ultramon taner Dreistigkeit und zur Belehrung der protestantischen Sachsen über diese seien einige Stellen jener literarischen Leistung nochmals abgedruckt. Der letzte Vers eines zum Bennoseste verfaßten, barbarischen Gedichtes lautet: Hilf, heiliger Benno, und rette die Fluren, Die segnend und heiligend einst Du durchschrittst, Die jetzt noch erfüllt sind vom Glanz Deiner Spuren, In denen Du lebtest und wirktest und littst. Gedenke der Deinen, die Treue Dir schwuren, Gerettet sind wir, so Du ein für uns trittst: Erweck' einen Ritter Georg uns in Sachsen, Der siegreich dem Drachen sich zeige gewachsen! Die Ausführungen über Benno, der im Widerspruch mit geschichtlichen Thatsachen als ein hervorragender Mann ge feiert wird, enden mit folgendem Satz: So wollen wir denn am kommenden 16. Juni von Neuem recht innig zu unserem Schutzpatron flehen, daß er bei Gott sich für uns verwende, damit die sächsischen Lande unter dem segensreichen Scepter des Hauses Wettin recht bald wieder zur Glaubenseinheit gelangen möchten, und daß in 10 Jahren, am 16. Juni 1906, das 800 jährige Jubiläum des seligen Hinscheidenö des hl. Benno von dem im Glauben wieder geeinten ganzen Sachsenvolke mit dankbarem Jubel begangen werden könne. Sanct Benno, bitte für Sachsen! Es müssen dem Verfasser die augenblicklichen, doch mehr blendenden als wirklichen Erfolge des Eentrums sehr zu Kopfe gestiegen sein, daß er seine dem Benno zur Fürsprache vertrauten Wünsche auch vor der Oeffentlichkeit laut aus spricht. In zehn Jahren soll Sachsen katholisch werden; wie eilig hat es der Bennoverehrer! Welche Ueberzeugungskraft traut er dem religiösen Betrieb deS modernen Ultramon- taniSmus zu! Meint er wirklich, die Unfehlbarkeit des Papstes, die Wasser zu LourdcS, die Mirakel zu Philipps- dorf, die Ausstellung des Rockes in Trier und der Windeln in Aachen, meint er, die wissenschaftlichen und polemischen Leistungen der Vaticaner, der rohe Ton, der in der Caplans- presse gegen die Protestanten angeschlagen wird, meint er, der Zustand der Völker, die unter dem ausschließlichen Einfluß der römischen Priester stehen, dies alles sei für uns Sachsen so verlockend, daß wir dem St. Benno zu Gefallen Hals über Kopf unsere evangelische Wahrheit und Freiheit, unseren wahrhaft christlichen Glauben aufgeben würden, Len wir so zähe festgehalten haben und dem unser fleißiges, tüchtiges Sachsenland alles verdankt, was ihm bisher zur Ehre und zum Segen gereicht hat? Sonderbarer Schwärmer! Indessen um dieses wüsten Traumes willen, der jedenfalls einem engen Kopfe entsprang, würden wir nicht zur Feder greifen. Wir wollen den Verfasser nur wegen der Mittel, von denen er die Romanisirung Sachsens erwartet, öffentlich zur Rechenschaft ziehen. „Die sächsischen Lande sollen unter dem segensreichen Scepter des HauseS Wettin recht bald zur Glaubenßcinheit gelangen." Heißt daS, unser Herrscherhaus soll die Pläne des Vatikans aus Sachsen fördern? Gewiß, daß dies geschehe, ist der geheime Wunsch der Römlinge. Der Bennokalender 1889 läßt errathen, was diese an einflußreicher Stelle begehren. In einer Biographie der sächsischen Kurfürstin Maria Antonia — 1724—1780 — wird aus einem Briese, den sie an ihren Bruder, den Kurfürsten von Bayern, richtete, folgende Stelle abgedruckt, womit sie sich gegen den Vorwurf vertheidigt, als thäte sie nicht genug für die Römischen: „Die Liebe und das Vertrauen der Unterthanrn haben wir durchaus nöthig — zum Nutzen der Religion. Je mehr man uns liebt, um so weniger mißtraut man uns in Sachen der Religion, um so weniger wird man den Versuchen entgegen sein, die wir gelegentlich zu Gunsten der Katholiken machen. Um Menschen zu gewinnen, muß man deren Schwäche schonen. Die lutherische Religion ist im Lande die herrschende; diese Erwägung darf man nie auS den Augen verlieren. Die Stände besitzen Privilegien, welche durch den Eid ihrer Fürsten gewährleistet sind; diese schmälern, hieße die Interessen ter Religion (d. h. der römischen) für immer untergraben. Man muß die Lutheraner gewöhnen, mit Katholiken zu leben, mit ihnen Verbindungen einzugehen und sie als Glieder der selben Gemeinschaft anzusehen. Daher habe ich unter die 12 Hofdamen 4 protestantische Fräulein ausgenommen und ich sehe mit Vergnügen, daß der Erfolg meiner Absicht entspricht." ES ist uns ja nicht unbekannt, daß der Ultramontanismus seine Ziele meistens durch staatliche Gewalt zu erreichen suchte. Das ist ja daS Bequemste und kostet den wenigsten religiösen Geist, mit dem man drüben nicht operiren kann. Als Beispiel für diese Taktik sind die Rathschläge Muster- giltig, die JgnatiuS von Loyola 1554 durch den Jesuiten EanisiuS dem österreichischen Ferdinand übermittelte und die alle darauf hinauslaufen, die Evangelischen brutal nieder- znschlagen; jeder Ketzer solle ehrlos und zu jedem Amte un tüchtig sein, ja mit Verbannung, Oefängniß, selbst mit dem Tode bestraft werden; schon wer die Ketzer al« Evangelische bezeichne, müsse einer Geldbuße verfallen, denn es sei eine be sondere List deS Teufels, sein Gift mit einem schönen Namen zu verhüllen. Die Winke deS schwarzen Generals sind seiner Zeit in Oesterreich pünktlich befolgt worden; mit rücksichtsloser Gewalt wurden die Protestanten ver folgt und unterdrückt. Hat dem Bennoverehrer, als er seine Werke niederschrieb, etwa jene geschichtliche ReminiScenz vor Augen geschwebt? Aber die Zeiten sind andere geworden; mit dem Grundsatz: cujus regio, ejus religio erzielt Rom keine Erfolge mehr m Deutschland; vor kein Gewissen hört die Macht der Fürsten auf. Bor der Glaubens- und Gewissensfreiheit steht ein unbeugsames: voll me tougere! Es ist mehr als dreist, wenn der Verfasser deS Bennoartikels etwa den Beistand unseres Herrscherhauses für römische Zwecke angerufen haben sollte. Weiß er denn nicht, daß dieses in loyaler Weisheit stets das evangelische Bekenntuiß der Sachsen respeclirt hat? Daß gerade dadurch das Ver trauen zu unseren Fürsten gestärkt und befestigt wurde? Daß um deswillen der Wunsch, es möge ein Kronprinz wieder in der evangelischen Kirche erzogen werden, zurückgehallen wurde? Um der Ultramontanen willen sollte unser Königshaus dies bewährte Verfahren aufgeben und wider unseren Glauben Stellung nehmen? Weiß denn der Römling des Benno- blattes nichts davon, daß die Verfassung vom Herrscher beschworen wird? Denkt er etwa, Rom könne von solchen Eiden entbinden? Kaum ist eine schwerere Beleidigung denkbar, als wenn der Bennoverehrer etwas Derartiges im Sinne gehabt hätte. Ueberhaupt wäre ihm ein näheres Studium der sächsischen Geschichte dringend anzurathen. Er mag sich über das Verhalten unserer Stände gegenüber August dem Starken, über die Verhandlungen zur Ver fassungsurkunde und über die Debatten zum Gesetz vom 23. August 1876 orientiren; vielleicht dämmert es dann vor seinem wohl etwas schwachen Auge mit der römischen Brille auf, daß die Sachsen ihr protestantisches Bekenntniß als ihren kostbarsten und heiligsten Besitz über alles hochhalten und für nichts prcisgeben. Was sollte auch die Wettiner bestimmen, unseren Glauben antasten zu wollen? Sie sehen, ein wie tüchtiges Volk ihr Volk unter der Fahne des Evangeliums geworden ist; sie können stolz auf ihre Sachsen sein. Diese haben unentwegt ihren Fürsten Treue gehalten, auch in schweren, versuchungsreichen Zeiten, wie z. B. in der Zeil nach 1813, in der es ihnen nahegelegt wurde, um des abweichenden Be kenntnisses willen von ihrer Dynastie abzufallen. Treue um Treue! Es ist ein frevelhaftes Treiben, wie es der Bennover- ehrer im „Katholischen Kirchenblatt" übt. Er säet dadurch Mißtrauen in das Herz des Volkes, das doch so gern ver trauen möchte. Diese Saat wird reichlich aufgehen, wenn die Regierung dem Wühlen der Ultramontanen ruhig zusieht. Vielleicht ist es ihr noch erinnerlich, welch' eine Entrüstung einst ein von dem jetzigen Bischof als Caplan verfaßter Ar tikel in dem katholischen Blatte bervorries, der sich über die Ver weigerung des Placet zur Bekundigungdes Unfehlbarkeitsdognvs dreist binwegsetzt. Diese Erregung damals nöthigte zum Erlaß des Gesetzes von 1876, die Oberaufsicht des Staates über die römisch-katholische Kirche betreffend. Der jetzige Artikel des BennoblalteS ist viel gefährlicher; seine Wirkungen schneiden tiefer in die Volksseele ein, als man oben annimmt. Es ist nöthig, daß diesem Römling ein entschiedenes: quem ego! entgegengerufen werde. ES ist gerade jetzt um so nvthiger, als die Meinung um sich greift, daß man zu sehr den Ultramentanen entgegen komme. Man hat den katholischen Katechismus mit seiner Unfehlbarkeitslehre und mit seinem die Protestanten schnöde verleumdenden kirchenhistorischcn Anhang genehmigt. Man hat viele graue Schwestern in Sachsen zugelassen, viel mehr, als das Be- dürfniß der Katholiken erfordert. Daß an solche Thatsachen sich der völlig ungehörige Artikel des Bennoblatles anschließt, kann in der Bevölkerung die Beunruhigung nur vermehren, zumal da ein anderes Ereigniß auf weileraussehende Absichten Roms gegen Sachsen schließen läßt. In RomS Gedächtniß scheint der Cardinal von Sachsen festzusitzen. Vickeant con- sules, ne quick cketrimeuti res publica capiat. LI. Deutsches Reich. ^2 Berlin, 9. Juli. Das die Schuld Wehlan's ein schränkende Erkenntniß des Leipziger Disciplinarhofes vermag das Urtheil, das diesem Mann vom menschlichen Standpunkte gesprochen werden muß, nicht zu mildern. Da rüber sind die Preßorgane, die sich über den Fall nochmals ausgelassen haben, einig. Wir schließen uns von dieser Ein- müthigkeit nicht aus, obwohl es nicht nach unserem Geschmack ist, wenn ein Blatt sagt: „Unseres Erachtens kann es für Wehlan nur noch einen Ausweg aus diesem Verhängniß (die öffent liche Verurtheilung) geben, nämlich, daß er seinen Abschied erbittet und sich irgendwo in einem entlegenen Winkel der Welt verbirgt. In der civilisirten Gesellschaft ist für ihn keine Stätte mehr!" Ter Rath, den Abschied zu nehmen, ist offenbar ein guter, im Uebrigen klingt uns der Bannfluch, der da im Namen der Civilisation gegen einen unter ab normen Verhältnissen schuldig Gewordenen geschleudert wird, zu Pfäsfisch oder, vielleicht treffender gesagt, zu orientalisch. Doch wie gesagt, das ist Geschmacksache. Bemerkenswcrther ind die sozusagen processualenBetrachtungen, zu denen dieFort- chrittSblätter durch die Leipziger Verhandlungen sich gedrängt ühlen. Da sehen wir vor Allem dem Staatsanwalt eine Autorität zuschreiben, die sonst zu leugnen dieser Presse als heilige Berufspflicht erscheint. So weiß sich z. B. die „Voss. Ztg." vor Bitterkeit nicht zu fassen darüber, daß die Leipziger Richter „mild und nachsichtig" waren, obwohl — das Blatt stellt dies Argument in die erste Reihe — der Vertreter des Auswärtigen Amtes (also der Staatsanwalt) „versichert hat, Weblan sei unwürdig, ferner ein Amt zu bekleiden". Gewohnheitsmäßig wird der „verhängnißvolle" starke Einfluß beklagt, den der Staatsanwalt auf die Urtheils- sprechung „thatsächlich" anSübt. Hier werden Richter ge tadelt, weil sie ein subjektives Urtheil deS Vertreters der Anklagebehörde sich nicht zu eigen gemacht baden. Warum soll auf einmal der „abhängige" Justizverwaltungs beamte besser wissen, was die Beamtenwürdr erfordert, als die nur ihrem Gewissen verantwortlichen Nechtsprechenden? „Das war doch sonst nicht." Freilich, ganz einverstanden ist die „Boss. Ztg." mit dem öffentlichen Ankläger im Processe Wehlan auch nicht. Er hat sich in einem anderen Punkte ihrem ack Koc genommenen Standpunkte nicht ausreichend genähert. Sie schreibt: „Der Ankläger in Leipzig meinte, daS Urtheil der ersten Instanz setze sich mit dem Urtheil der öffentlichen Meinung in Lirecten Widerspruch, und wenn man auch der öffentlichen Meinung ein nicht zu großes Gewicht beilegen solle, jo muffe man doch, nachdem die Blätter aller Parteien das Urlheil des ersten Richters getadelt, sagen, Las nationale Rechtsgefühl habe keine hinreichende Sühnt gefunden. Weshalb soll man der öffentlichen Meinung in diesem Fall kein entscheidendes Gewicht beilegen- Wer ist die öffentliche Meinung? Wird sie nicht geschaffen durch die Mei- nung der Einzelnen, durch das Urtheil der besten und tüchtigsten Männer des Volkes?" Wir versagen es uns, die „Voss. Ztg." zu fragen, wo gerade sie die Anhaltspunkte für die Auffassung gewonnen bat, die öffentliche Meinung werde durch die „Besten und Tüchtigsten" gemacht. Die „Voss. Ztg." bespricht — um der Objcctivität kalber ein ausländisches Beispiel zu wählen — sehr häufig die politischen Zustände Wiens, wir haben aber noch niemals gelesen,daß sie die Ursprungsstätte der dortigen, sehr unzweideutig zum Ausdruck gelangenden öffentlichenMeinung bei den „Besten" gefunden hat. Im Gegentheil! Und wenn die Wiener Gerichte in gewissen Processen der öffentlichen Meinung entscheidenveß Gewicht beilegten, also thäten, was das Fortschrittsblatt verlangt, wir zweifeln keinen Augenblick, die „Voss. Ztg." würde schreiben, in Oesterreich sei die Gerechtigkeit schlafen gegangen. * Berlin, 9. Juli. Unter der Ueberschrift „Die Frauen und das nationale Werk des Jubeljahres" ver öffentlicht Or. jur. Emilie Kemp in, der über daS nunmehr vom Reichstage verabschiedete Bürgerliche Gesetzbuch ein beachtenswertheres Urtheil zustcht, als den meisten jener Frauen, die in Versammlungen das Wort führen, einen sehr verständigen unv beachtenswerthen Artikel, dem wir Folgendes entnehmen: „In die allgemeine Freude, welche nun trotz allem über die Vollendung des großen Gesetz gebungswerkes fast überall zu Tage tritt, darf auch die Frauenwelt froh mit ein st im men. Auch sie hat alle Veranlassung, über die Vereinheitlichung des Privat rechtes ihre Befriedigung auszudrücken. Angesichts der Protestversammluug der Frauen vom vorletzten Montag mag diese Behauptung freilich paradox erscheinen, aber es scheint nur so. . . . Die Zukunft ist den Forderungen der Frauen mit Annahme des Entwurfs keineswegs, wie vielfach geklagt wurde, abgescknitten. Viel mehr ist jetzt erst der Boden geschaffen worden, auf welchem das Gesetzesgebäude seine innere Ausgestaltung er fahren kann. Jetzt erst können die Fortl'chxittötenbenzen sich ausbreiten Kein Lanvestbeil kann sich über das neue Gesetz in seiner jetzigen Vorlage beklagen, daß eS dem Leben irgend einer Bevölkernngsschicht vorausgeeilt sei und ihm dadurch ein Sprung ins Ungewisse zugemuthet werde. Das künftige Privatrecht ist in der Hauptsache, in seinen Grundgedanken, nichts weiter als eine Zusammen fassung der bisher anerkannten Nechtsideen und, wo es neues enthält, wird erst die Rechtsprechung, die Anwendung und Interpretation der gesetzlichen Bestnnmungen dem Neuen Ziel und Richtung geben. Daß diese gerade im Familien recht sich mit den Wünschen der Frauen decke, liegt in den Händen der daran Jnteressirten selbst. Wenn die Mehr zahl der Frauen in gleichgiitiger Theilnahmlosigkeit zusieht, wie ihre weniger glücklichen Mitschwestern immer und überall den Männern gegenüber benachtheiligt werden, so wird das neue Gesetz, so viel sein Wort laut zuläßt, zu Ungunsten der selbstständigen Stellung der Frau ausgelegt und angewandt werden. Unter dem Einfluß einer starken, zielbewußten und doch maßvollen Gegenströmung aber, die nur von den Frauen selbst aus gehen kann, wird jeder Uriheilsspruch von den gleichmäßigen Gesichtspunkten für beide Geschlechter dictirt werden. DaS Urtheil deS Menschen, also auch dasjenige deS Richters, ist ein Product der Anschauung des Lebenskreises, in dem er steht. Die Anschauungen der heutigen Gesellschaft umzugestalten, Richter und Beamte auf eine größere Berücksichtigung der weiblichen Interessen hinzuleiten, ist die große Aufgabe der Frauen in den nächsten Jahren. In dieser Weise können sie fort und fort eine Aendernng des Inhalts des Gesetzes zu ihren Gunsten bewirken, ohne daß dessen Wortlaut geändert wird. Bei derartiger Beein flussung wird dann die Revision deS Gesetzestexles mit un erbittlicher Nothwendigkeit den thatsäcklichen Verhältnissen und den herrschenden Lebensanfchauungen nachfolgen. Freiherr von Stumm hat in seiner Rede über das eheliche Güterrecht bei der dritten Lesung sehr richtig darauf hingewiesen, daß es nunmehr von den Frauen ab hänge, die vertraglich erlaubte Gütertrennung zum gesetzlichen Güterrecht zu erheben. Benutzen sie die Vertragsfreiheil und wird die Gütertrennung im ganzen Lande zur Gewohnheit, so dauert es nicht lange, bis sie auch für die Fälle eingeführt wird, in denen keine Eheverträge vorlicgen, bis also die eine große Forderung der Frauen erfüllt ist. Aehnlich verhält es sich mit. anderen Begehren. Mir ist für die Erfüllung derselben keinen Augenblick bange, wenn nur die Frauen in den Ruhesitz deS iaissvr tairc und laisscr aller nicht mehr zurücksinken. In dieser Hoffnung freuen wir uns über daS neue Gesetz rückhaltlos und ohne Bitterkeit über unerfüllte Wünsche. Denn cs bringt unserem Geschlecht doch eine ganze Reihe von lies eingreifenden Besserungen. Man bat dieselben in der letzten Zeit nnr nicht recht gewürdigt, weil die AbändcrungSanträge für andere Punkte im Vordergründe der Interessen standen und sich darauf die ganze Kraft und Aufmerksamkeit con- centriren mußte. Aber wenn wir näher zusehen und nament lich, wenn wir den heutigen RechtSzustand in allen Landcs- theilen deS Reiches berücksichtigen, so dürfte» wir doch sagen: Die deutschen Frauen werden nach dem Jahr 1900, wenn das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft getreten sein wird, anders, viel besser da stehen als unter dem heutigen Recht... Die Bestimmungen, welche schon im ersten Ent wurf den heutigen Verhältnissen, der heutigen größeren Selbstständigkeit der Frau Rechnung getragen haben, können wir nicht hoch genug an sch la gen. Ihre ganze Trag weite wird erst in der Praxis offenbar werden. Sie sind naturgemäß bei Bcrathung Les zweiten Entwurfs nicht mehr erörtert worden und darum dem Gedächtniß Vieler ent schwunden. Heute ist e« an der Zeit, daß wir uns ihrer wieder erinnern, und indem wir das thnn, theilen wir die allgemeine Gcnuglhuung, daß daS große Werk vollendet." Berlin, 9. Juli. (Telegramm.) Einer Meldung der „Post" zufolge dürfte das Verbot des Bcreins des Zeug- und FruertverkspersoualS in Lpandau nicht vom Kriege Ministerium, sondern von der vorgesetzten Behörde, welche auch über das außerdienstliche Verhalten der ihr unterstellten Mililair- personeu zu Wachen hat, ergangen sein. Der Grund für das Verbot sei der, daß die von dem aufgelösten Verein veranstalteten Festlichkeiten die Vereinsmitglieder zu einem Aufwand verleitet hätten, der auf die Dauer der vorgesetzten Behörde bedenklich erschienen sei. II. Berlin, 9. Juli. Seit der Vertagung des Reichstags stehen die (sonservativen mit dem Ecntrnm fortgesetzt in gereizter Auseinandersetzung über die Haltung des letzteren bei der Civilehe im Bürgerlichen Gesetzbuck. Auf die Einzelheiten näher einzugehen, ist unnöthig; es wiederholt sich in den Artikeln, daß aus dem klerikalen Lager aus die wenig geschickt formulirten konservativen Vorhaltungen mit beißendem Hoh" geantwortet wird. Neuerdings hat auch Abgeordneter Graf Roon in den Streit eingegriffen, indem er eine Erklärung veröffentlichte, worin er dem Centrum die Verantwortung für den Fortbestand der fakultativen Civilehe zuschiebt und ihm Verletzung seiner Principientreuc vorwirft. Da die klerikale Presse von einem Jesuiten sich bereits das Gegentheil hat bescheinigen lassen, so fühlt sie sich zu folgender Drohung an die Conscrvativen ermuthigt: „Die verletzende Sprache, welche neuerdings nickt bloS die Poltrons der „Deutschen Tageszeitung", sondern auch ernsthafte konservative Stimmen, sogar in der Partei- Correspoudenz sich gegen das Cenlrum erlauben, zwingt uns zur Wahrung der Würde des Centrums. Wir können auch ohne die Conservativen fertig werden, wenn eS sein muß." — Die Broschüren über den „Fall Kotze" schießen jetzt wie Pilze aus der Erde. Die wenigsten aber enthalten mehr als alten Klatsch, längst widerlegte Behauptungen, kühne Combinationen und pikante, der Skandalsucht eines gewissen Leserkreises fröhnende Ausmalungen bekannter Vorgänge. Wahrscheinlich gehen sie, obwohl sie einander widersprechen, von Verfassern auS, die den gemeinsamen Zweck verfolgen, nicht nur viel Geld zu verdienen, sondern auch die Spuren des wirklichen Verfassers der anonymen Schmähbriefe zu verwischen. — Der RedactionSwechsel im „Volk", der bereits zur Zeit deS „Hinaustrittß" Stöcker's aus der konservativen Partei als bevorstehend angekünvigt wurde, scheint sich nun zu vollziehen. Wie die antisemitische „Hann. Post" mit- theilt, tritt der jetzige Chefredakteur H. Oberwinder zurück und wird nur noch christlich-socialer Partei se cretair bleiben; Herrn von Gerl ach ist gekündigt worden, er wird von dem Urlaub, den er augenblicklich hat, nicht wieder zurückkehrcn. Da die Zeitung selbst, welche die „Nächste dazu wäre", sich gegen die Mittheilunz des hanno verschen Blattes nicht verwahrt, wird es Wohl seine Richtig keit mit der Meldung haben. Der politiscke Sinn der Sache ist der, daß das „Volk" in Zukunft nicht mehr gegen die konservative Partei ins Zeug gehen wird. — Eine versteckte Drohung richtet die „Germania" gegen den Staatssecretair v. Stephan anläßlich eines Artikels in der „Verkehrs-Zeitung". Dieser scheint das klerikale Blatt so stark verletzt zu haben, daß cs Herrn v. Stephan zuruft: „Wir wissen jetzt, woher der Wind weht und der Staatssecretair v. Stephan wird dies bald inne werden." Schrecklich! — Die deutsche Socialdemokratie besitzt, wie das beute erschienene ofsicielle Berzeichniß ergiebt, an politischen Blättern gegenwärtig 41 Tageszeitungen, 24 drei-, bezw. zweimal wöchentlich erscheinende Blätter und 9 Wochenblätter, unter letzteren das einzige polnisck-socialistische Organ, die „Gazeta Robotnitza", die in Berlin erscheint. Die social- demokratisch-gewerkschaftliche Presse Deutschlands zählt 47 Organe. — Eine merkwürdige Mittheilung findet sich in einem längeren, dem „Hannov. Cour." über einen zwischen dem Vicekönig Li tz ung-Tsckang und dem chinesischen Botschafter in Berlin be- stehenden iatenten Krieg zugehenden Artikel. Bekanntlich sollte Li-Hung-Tschaug sich gelegentlich geäußert haben, es habe zur Zeit des japanijch.chinefischen Krieges an einem seiner Aufgabe gewachsenen Diplomaten in Berlin gemangelt, eine Bemerkung, die später von Seiten der Botschaft in der Form deinentirt wurde, der Bicekönig könne so ungeheuerliche Worte nicht gesprochen haben. Wer die Personen kennt, wird nicht daran zweifeln, daß die Worte Li-Hiing-Tschang's thatsächlich gefallen sind, meint der Brief- schreibe! Les „Hannov. Cour." und fügt dann hinzu: „Aber ebenso sicher ist eS auch, daß Lofengluh (der Attacks der chinesi- scheu Botschaft) gegenüber seinem Vorgesetzten, dem Gesandten Hsü-Tsching-Tscheng, die Unterredung dementiren mußte. Jin Streite zwischen Li-Hung-Tschang und Hsü-Tsching-Tscheng befand sich Lofengluh in um so schlimmerer Lage, als er sich gewiß Les Umstandes erinnerte, daß vor einigen Jahren der gestrenge Hsü- Tsching-Tscheng (der Botschafter) einigen Herren von seinem Per sonal, die durch ungebührliches Betragen an einem öffentlichen Orte in höchst peinlicher Weise von sich reden gemacht hatten, so sürch- tjerliche Stockprügel ertheilen ließ, daß das Wehgeschrei der Söhne des hinnnlischen Reiche- der Mitte in den der Gesandtschaft benachbarten Häusern eine halbe Stunde lang gehört wurde." k. Hamburg, 9. Juli. (Privattelegramm.) Tie „Hamburger Nachrichten" leitartikeln über den Dreibund und legen dar, daß Fürst Bismarck mit seiner großen Reichs tagsrede vom 6. Februar 1888 den rein defensiven Charakter des Bündnisses in größter Ausführlichkeit nach gewiesen und begrüntet habe. Die Monarchen Oesterreichs und Deutschlands versprachen feierlich, dem Abkommen eine aggressive Tendenz nach keiner Richtung jemals beilegen zu wollen. Es sei anzunehmen,' daß mit Italien analoge Abmachungen getroffen seien. Menschlicher Voraussicht nach erscheine die Tripelallianz gegen jede Eventualität gesichert. Nicht ganz so günstig sei es mit der östcrreichisch-italienischen Allianz bestellt. Oesterreich würde, wenn Italien durch irgend welche Umstände gezwungen würde, vom Dreibund zurückzutretcn, verhindert sein, Len Artikel l deS Vertrage« mit Deutschland zu erfüllen, d. h. Deutschland „mit seiner gesaniinten Kriegsmacht" beizustehen.
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