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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.07.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960721013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896072101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896072101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-21
- Monat1896-07
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Wir bezweifeln daher auch, daß man in Berlin an zuständiger Stelle von dem Plane des Zaren etwas gewußt hat, als man sich entschloß, die Einladung zur Theilnahme an der Pariser Weltausstellung anzunehmen. Jedenfalls ist es ein cigenthümliches Zusammen treffen, daß zur gleichen Zeit, in der das rheinische Blatt seine Meldung aus Dänemark veröffentlicht, in dem „Hamb. Corr." die folgende, zweifellos officiöseKundgebung erscheint: „In industriellen Kreisen wird hier und da die Befürchtung laut, daß die Reichsregierung, nachdem sie die Einladung Zur Theilnahme an der Pariser Weltausstellung aus politischen Gründen an genommen habe, aus eben denselben Gründen die Industrie nöthigen könnte, möglichst vollständig in Paris auszustellcn. Diese, von der einen oder anderen Seite künstlich genährte Be unruhigung beruht nach unseren, aus guten Quellen stammenden Jnsormationen auf einemMißverständniß. Deutschland hat die freundliche Einladung der französischen Regierung in diesem Sinne angenommen, vor allem weil eine ablehnende Antwort den Franzosen einen Vorwand geboten hätte, über das feindselige Verhalten Deutschlands Klage zu führen. Zugleich hat man denjenigen deutschen In dustriellen, die in Paris ausstellen möchten, den Weg dahin öffnen wollen; einenZwang auf diejenigen auszuüben, die eine Betheiligung nicht wünschen, ist in keiner Weise beab sichtigt, wenn man auch, wie selbstverständlich, regierungsseitig den Wunsch hat, daß die deutsche Abtheilung der wirthschaftlichen Bedeutung unserer Industrie entspricht. Vollends grundlos aber sind die Andeutungen, als ob die Reichsregierung die Theilnahme an der Ausstellung zugesagt habe, weil sie sich davon einen wesentlichen Einfluß auf die Verbesserung der Beziehungen zu Frank reich verspreche. Wie gering bisher die Aussicht ist, die französische Nation mit dem durch den Frankfurter Frieden geschaffenen statu» quo auszusöhnen, darüber giebt sich Niemand einer Täuschung hin. Zweifellos giebt es in Frankreich weite Kreise, die für sich anders denken als die Revanchepolitiker. Aber öffentlich gegen diese aufzutreten, haben auch sie nicht den Muth. Hat doch selbst der Herzog von Broglie kürzlich in einer sonst beachtenswerthen Kundgebung Las Eingeständniß nicht unterdrücken können, der Fehler des Dreibundes sei der, daß er auch Elsaß-Lothringen umfasse! Und was die französische Regierung selbst betrifft, so genügt es, daran zu erinnern, daß sie bis zu den letzten Tagen die Interessen Frank reichs in Transvaal verleugnet hat in der Hoffnung, daß Deutsch. land sich dort compromittiren werde — worin man sich in Paris nun freilich getäuscht hat!" Hätte jene Stelle, von der diese Kundgebung ausgeht, von vornherein geglaubt, daß die Reichsregierung weder von der Theilnahme Deutschland« an der Pariser Ausstellung einen wesentlichen Einfluß auf die Verbesserung der Be ziehungen zu Frankreich erwarte, noch einen mehr oder minder sanften Druck auf die deutschen Industriellen zur Beschickung der Ausstellung beabsichtige, so hätte sie — die Stelle — sicherlich schon früher ihre Stimme erhoben und dadurch zahlreiche Industrielle vor stiller Sorge und einige deutsche Blätter vor der Blamage bewahrt, überschwängliche politische Hoffnungen zur Schau zu tragen, welche die Negierung nicht theilt. Daß die Aufklärung über die nüchterne Auffassung der Reichsregierung und ihren Verzicht auf jeden Druck erst jetzt erfolgt, legt die Vermuthung sehr nahe, daß zwischen der Annahme der Einladung und der Aufklärung nicht nur ein Zeitraum, sondern auch ein ernüchterndes Ereigniß liegt, daS mit der Reise des Zaren wenigstens im Zusammenhänge steht. Zu dem ofsiciösen Hinweis auf die in weiten Kreisen Frankreichs herrschende Stimmung, die nur sehr geringe Hoffnung auf eine Aussöhnung unserer westlichen Nachbarn mit dem durch den Frankfurter Frieden geschaffenen Status <fuo erweckt, kommt übrigens heute in den „Hamb. Nachr." noch ein anderer. In einem „Französische Revanche kundgebungen" überschriebenen Leitartikel weist nämlich das Organ des Fürsten BiSmarck ans einen aus Bussang vom 8. d. Mts. datirten, „bin pölsriaaZo ü la. kronbiSro" überschriebenen und „Du tömoiu" unterschriebenen Artikel bin, den der Pariser „Figaro" in seiner Nummer vom 11. d. Mts. veröffentlicht und zu dem die „Straßburger Post", die ihn in deutscher Uebersetzung abdruckle, bemerkte: „Wir haben, ehe wir von dem Artikel Notiz nahmen, mehrere Tage gewartet, um zu sehen, ob der Artikel dementirt werden würde. Das ist nicht geschehen. Die Darstellung des „t4mvin" ist also zuverlässig". Er erzählt, daß beim 19. französischen Jägerdataillon am 7. Juli folgender Bataillons befehl erging: „Die Compagniechefs werden heute Nachmittag den Mannschaften über den Krieg von 1870 und dessen Folgen Vortrag halten. Sie werden ihnen die vom Feinde eroberten und besetzten franzö sischen Territorien Elsaß-Lothringen schildern; sie werden ihnen sagen, waS die Provinzen Frankreich gegeben haben; sie werden ihre großen Leute zeichnen; sie werden die elsässisch-französische Bewegung nach dem Kriege schildern, die Engagements in der Fremdenlegion; die Unterdrückung durch die Eroberer; sie werden ihnen schließlich das gegenwärtige Elsaß schildern, auch das zukünftige, wenn wir zu lange zögern. Morgen marschirt das Bataillon auf den Drumont. MNita irische Pilgerfahrt an die Grenze! Abfahrt ü*/, Uhr. Feld ausrüstung!" Am 8. setzt sich das Bataillon unter den Klängen des Marsches „vo la Xoöl", Les Befreiers, Wie die Soldaten sagen, in Bewegung. Aus dem Drumont angekommen, findet man heftigen Wind und dichten Nebel vor, aber während die Compagnien sich in Colonnen sormiren, da« Gesicht gegen das Elsaß, zerreißt der Nebelschleier. Der Wind hört auf, die Sonne dringt durch die Wolken. Das Elsaß steigt aus dem Nebel auf. Man bemerkt seine Dörfer, Thäler, ihre Einwohner und am äußersten Horizonte die Berge der Schweiz. DaS französische Banner flattert auf der Spitze deS Drumont. Der Commandeur des Bataillons ergreift daö Wort: „Jäger! Das Schauspiel, das Ihr da vor Augen habt, ist beredter als irgend eine menschliche Stimme es sein könnte. Zu unseren Füßen breitet sich unsere verlorene Provinz auS. Ihr seht vor Euch auf unsere elsässischen Brüder; eine Linie, nur eine ein» sache Linie trennt uns von ihnen und hindert uns, mit ihnen uns zu vereinen. Diese Linie, es ist uns verboten, sie zu überschreiten. Hinter ihr, um sie zu vertheidigen, steht eine Armee, die Armee, die uns geschlagen, besiegt hat. Man muß sich daran erinnern und man muß es nie vergessen. Aus jedem Unglück löst sich eine große Lehre aus. Nach dem Unglück von 1870 hat man die Armee, die französische Armee, beschuldigt. Niemals ist die Armee heldenhafter gewesen. Sie hat davon Hunderte von Proben auf allen Schlacht ¬ feldern gegeben. Sie war 10 mal so viel wcrth als die deutsche Armee. Man hat die französischen Generale beschuldigt. Auch sie haben Proben davon gegeben, was sie Werth waren, in Italien und in der ganzen Welt. Sie haben auch später noch Proben ihrer Tüchtigkeit im Felde selbst gegeben. Nein, weder die Armee, noch ihre Führer werden von jener Anklage getroffen, aber die Nation selbst war schuldig. Die Nation hatte sich um die Dinge des Krieges nicht mehr gekümmert: die Nation hatte ihre Niederlage lange vorbereitet, indem sie sich in sträfliche Gleichgiltigkeit hüllte. Sie war eingeschlafen. Jäger I Ist das heute noch der Fall? Fragt Euer Gewissen, fragt Euer Herz! Ich weiß, was sie mir antworten werden. Schaut um Euch, seht, was wir gethan haben! Meßt den Weg, den wir zurückgelegt haben, betrachtet die Arbeit, die wir geleistet haben. Ueberall in Frankreich bat man den Krieg vorbereitet, Niemand kümmert sich nicht darum. Alle habe» dazu beigetragen mit ihren Personen und ihren Gütern. Die ganze Nation ist bewaffnet und zum Kriege vorbereitet. Indem man den Säbel schleift, macht man seine Spitze schärfer; indem man ihn härter macht, macht man ihn fester. Wir haben den französischen Säbel geschliffen, wir haben ihn ge- härtet; das Volk hat gelernt, sich deS Säbel« zu bedienen; das französische Volk wird sich seiner bedienen. Jäger! Die Bajonette aufgepflanzt! Wir sind hierher gekommen unter Len Tönen eines kriegerischen Marsches, des Marsches des Befreiers: den Befreier — hier seht Ihr ihn!" Der Commandant zog seinen Degen und hob ihn in die Höhe: „Der Gewalt überlassen wir die Vertheidigung und Geltend machung unserer Rechte. Der Säsbel ist es, an den ich appellire. Säbel, heiliger Säbel, ich grüße dich! In dir, Säbel, grüße ich unsere Macht, in dir unsere Rechte zur gegen- wärtigen Stunde. Säbel, ich grüße dich! Du, du bist e- allein, zu dem wir unsere Zuflucht nehmen, du bist es allein, in den wir unser Vertrauen setzen, weil wir es verstanden haben, unsere Herzen zu erheben, unsere Muskeln zu stärken, unseren Muth aus den Krieg vorzubereiten und uns durch die Arbeit des Friedens im Kriege zu üben. Jäger! Unsere Stärke grüßt das Elsaß und ruft ihm zu: Auf Wiedersehen! ?orter les armes! iLrasenter les armes! I-a LlarseiUaise!" Eine halbe Stunde Rast; dann ertönte der „6kunt äu äeparl" und mit dem „Marsche des Befreiers" geht r- zurück. Soweit der „t6moin". Die „Hamb. Nachr." fügen seiner Darstellung das Folgende hinzu: „Auch wir haben keinerlei Neigung, die Rede des fran- zösischen CoinmandeurS als solche seriös zu behandeln, ibre Bedeutung liegt aber darin, daß die meisten höheren Officiere der französischen Armee so denken und sprechen wie ihr Kamerad von den 19. Jägern; sie finden nur nickt immer einen schriftgewandtcn .Fsmvm", der ihre Reden an den „Figaro" sendet und dadurch bekannt macht. Und die Leute, welche so angeredet und auf tcn „heiligen Säbel" und auf die „Gewait" vereidigt werten, das sind, führt die „Straßburger Post" sehr zu treffenv dazu aus, die Leute der allgemeinen Wehrpflicht, das sind die Franzosen, welche, nachdem sie ihrer militairischen Dienstpflicht genügt haben, wieder in die Reihen der Bürgerschaft zurück treten und die chauvinistischen Ideen, die man ihnen ein gepflanzt, in ihren Kreisen weiter verbreiten. Allerdings stellt dieser chauvinistischen Stimmung dir Stimmung von Millionen ruhiger Leute gegenüber, welche aufrichtig den Frieden wünschen und an den „heiligen Säbel" nickt glauben. Nur schabe, daß in erregten Zeiten, wie sie jenseits der Vogesen jeder kleine Zwischenfall Hervorrufen kann, in Frankreich nicht die Mehrzahl der ruhigen und friedliebenden Leute den Ton angiebt, sondern die Minderheit der Stürmer und Dränger! Alles das giebt uns immer und immer wieder die Lehre: Tousours en veclotte!" Daß der Besuch des Zaren in Paris kein „kleiner Zwischenfall" sein wird, brauch nicht gesagt zu werden, und ebensowenig, daß ein solcher Zwischenfall der „Minderheit der Stürmer und Dränger" auf Jahre hinaus das Ueber- gewicht über die „Mehrzahl der ruhigen und friedliebenden Leute" geben kann. Das muß nicht sein, denn es können auch andere Zwischenfälle eintreten, welche die „Stürmer und Dränger" kleinlaut machen. Aber ob Las Eine oder das Andere geschieht, kann erst Vie Zukunft Herausstellen. Unsere Industriellen werden daher vorsichtig und zugleich patriotisch bandel», wenn sie mit ihrer etwaigen Anmeldung zur Be sckickung der Ausstellung sich nicht beeilen. Einen Druck brauchen sie nicht zu besorgen, am wenigsten vor der Rückkehr des Zaren aus Paris nach seinem Reiche. Deutsches Reich. Berlin, 20. Juli. Die Bemängelung des Drei bundes und der Dreibundspolitik, so weit sie sich auf die Betbeiligung Italiens an diesem FrieLensbunde bezieht, war bisher den Franzosen und den italienischen Franzosenfrcunden überlassen. In Deutschland sind die AllerweltS - Kritckcr längst verstummt, welche dem Fürsten Bismarck die Schöpfung des Dreibundes als ein politisches Capitalverbrccken an rechneten. Die anderthalb Jahrzehnte europäischen Friedens, die der Bund ermöglicht hat, sprechen doch eine zu laute Sprache, als daß die Commentatoren der Welt- Feuillets«. Robert Lurns. Zum Gedächtniß seines Sterbetages, 21. Juli 1796. Von H. Berdrow. (Nachdruck auch im Einzelnen verboten.) An der schmälsten Stelle Großbritanniens, wo in zwei tief eingreifenden Fjorden Nordsee und Ocean einander fast die Hand reichen, liegt da« Centrum de« ehemaligen König reichs der Stuart«, daS weite volkreiche, mit Kohlenfeldern und Eisengruben gesegnete schottische Niederland. Hier er blickten die beiden größten Dichter des Landes, die be geistertsten Sänger altschottiscker Herrlichkeit, das Licht der Welt: Robert Burns und Walter Scott. Bezeichnend ist der Ort, wo jedem von ihnen die Wiege bereitet stand, symbolisch für ihr Leben wie für chr Dickten. Scott'« Eltern bau« stand in Edinburg, Schottland« Lieblingsstadt, deren stolze Königsburg von steilem Felsenrücken nach den endlosen, öden, caledonischen Hochlanden hinüberschaut, der Heimath Ossians und FingalS, aus denen auf ihres Königs Ruf die tapfer» Bergsckotten in Plaid und Tartanhosen so oft wie ein unbezwinglicher Felsenstrom hervorbracken. Hier, wo alles von Glanz und Heldenthum vergangener Tage spricht, wuchs Walter Scott zum größten und glänzendsten Epiker Schott land« heran. Am entgegengesetzten Ende de« Niederlands liegt die schöne Grafschaft Ayr, arm an großen Städten, aber schon ein Stück der anmutbigen schottischen Hügellande, die sich vom Niederland südwärts bi« zur englischen Grenze erstrecken. Ein ewiger Wechsel ragender Berghöhen und breiter Thal ebenen, smaragdgrüner Wiesen und goldener Haferfelder, weißschimmernder Birkenwäldchen und nebelbedeckter Moore, sanft murmelnder Bäche und rauschender Meereswogen ver leiht der Gegend einen poetischen Schimmer. Hier stand die baufällige Hütte, in der Robert Burn« geboren wurde, sckon in ihrem Aussehen da« in ihr hausende bekannte englische Pächterelend documentirend. Wenige Tage nach seiner Geburt (25. Januar 1759) riß ein Orkan das Häuschen zu Boden: ein Ereigniß, in dem Burn« selbst später die Vorbedeutung eine« stürmereichen Lebens sah. Doch saß sckon an seiner Wiege die Muse de« schottischen Volksliedes, verkörpert im eigenen liebreichen Mütterchen, und saim ibm ihre lieblichen Weisen ins Herz hinein, und zahllose Märchen und Sagen raunte dem frischen, wissensdurstigen Bürschchen der alten Jeany Wilson zahnloser Mund zu. Da mochte es wirklich wohl manchmal von Nöthen sein, daß der strenge und in all' seiner Armuth selbstbewußte und charaktervolle Vater der übersprudelnden Phantasie und Begeisterung die nüch ternen Forderungen de« Alltagsleben« gebieterisch entgegen stellte. Er gewohnte seinen Aeltesten an barte Arbeit, an Pflügen, Säen und Schneiden; aber er ließ auch den Geist nicht verkümmern; WaS er seiner Armuth abdarbte, wurde für Privatunterricht des Sohnes verwandt. Vor Allem aber — was Burns ihm später so hoch anrechnete — versuchte er, schon dem Knaben freie und mannhafte Gesinnung einzu flößen. Mein Vater — so sang dieser einmal — Mein Vater war ein Bauersmann Dort an des Carricks Strande; Er zog mich treu und sorgsam auf Trotz seinem nieder» Stande. Er sprach: Sri mannhaft allerwärt«, Wie schlicht Dir'« geb' auf Erden, Denn ohne wackere« Männerherz Kann aus dem Mann nichts werden. Die Geschichte der schottischen Helden Wallace, Pope und Shakespeare, ja selbst englische Philosophen wie Bayle und Locke führte ihm da« Geschick früh in die Hände, und aus ihnen sog sein reger Geist noch mehr Nahrung al« aus dem schulgerechten Unterricht. Und nun erhoben sich auch die Zwillingssterne der Liebe und der Poesie, die einzigen, die seinem Lebensgange geleuchtet, über den Horizont seines bis her in ländlicher Einsamkeit verstrichenen Daseins. Sie war eine kleine, süße, muntere Dirne und half dem Fünfzehn jährigen bei der Erntearbeit, die sie mit helltönendem Gesänge begleitete. Ihrer Liebling«melodie lag al« Text ein Lied unter, da« ein benachbarter Landjunker auf eine von seine« VaterS Mägden, die er liebte, gedichtet haben sollte. Nun konnte zwar jener junge Edelmann Schafe salben und, da sein Vater in den Moorlanden lebte, auch Torf stechen, hatte aber sonst vor BurnS keinerlei Kenntnisse Vorau« und deshalb dichtete dieser seiner Gefährtin flug« einen neuen Text; natürlich war es nickt Apoll allein, der ibn dazu begeisterte. Den schönen Volksmelodien seiner Heimath neue Gewänder in kunstlosen Gedichten zu geben, ward ihm bald ebenso zur lieben Gewohnheit, wie die Benutzung volkSthümlicher Motive zu seinen Liedern, so daß wir, wie z. B. bei Gorthe'S Haiden- röSlein, oft nicht entscheiden können, ob eins seiner Lieder ein wirkliches, ihm nur zugeschriebenes Volkslied oder ein den Geist der Volkslieder athmende« Kunstlied ist. Im neunzehnten Lebensjahre bot sich ibm eine Gelegen heit, durch ernsthaftes Studium vielleicht eine höhere gesell schaftliche Stellung zu erreichen. Er besuchte die Schule von Kirkoswald, einem Städtchen an der Meeresküste, um sich bier hauptsächlich der Mathen,atik zu widmen; aber nur kurze Zeit. Dann warfen ibn Lieb« und Leichtsinn auS der Bahn, und er hat späterhin die ehrbare und streng logische Wissen schaft nur noch zu losen poetischen Scherzen benutzt, wie wenn er mit Hilfe der Hypotenuse und der beiden Katheten zu be weisen suchte. Daß unsterblich die Maid Caledonia sei. Im Jahre 1784 starb sein Vater an der Abzehrung, eben al- der Executor mit Pfändung drohte, und nun siel ibm, al« dem Aeltesten, die Pflicht zu, für die Familie zu sorgen. Er übernabm mit feinem Bruder Gilbert eine Pachtung bei dem Städtchen Mauchline, dessen Mägdlein er so oft mit Scherz und Humor besungen bat; doch so sehr die Brüder sich auch abmübten, mehrere Mißernten ließen sie nicht auf einen grünen Zweig kommen. In diese Zeit läuternden Mißgeschicks fällt die erste große Leidenschaft, dir nach vielen leichten Liebesabenteuern sein flatterhaftes Herz berührte. Er lernte Mary Campbell, dir Tochter eines Land mannes, welche als Milchmädchen auf dem benachbarten Schlosse Montgomery diente, kennen; ihre Lieblichkeit, ihr feines, zartempfindendes Herz fesselten ihn so, daß er sie zum Lebensbunde aufforderte. Nach schottischer Sitte ver lobten sie sich, indem sie ihre Arme in da- rinnende Wasser tauchten und dann den Treueid auf die erhobene Bibel schwuren. Um die Einwilligung ihrer Verwandten im Hoch lande zu erhalten, verließ sie ihn auf kurze Zeit und — kam nie wieder. Der Tod raffte sie daheim nach kurzem Krankenlager hin. Nie bat BurnS seine Hochland-Mary vergessen; die schönsten und innigsten seiner Liebeslieder sind ihr zum Preise oder zum Andenken gedichtet, und übermächtig quoll die Erinnerung empor, so oft ihr Todestag wieder- kebrte. „An Mary im Himmel", ein Lied an solchem Tage gedichtet, zeigt, wie tief ihn diese Wunde traf. Und dennoch — so wunderbar ist das Menschenherz — sehen wir ihn schon bald darauf zu neuem Bunde bereit; diesmal war eine der Schönen von Mauchline, Jean Armour, sein „Krondiamant". Da jedoch der streng kalvinistische Vater von einer Verbindung seiner Tochter mit dem als Freidenker verrufenen Liebhaber nicht- wissen wollte, schritten die Liebenden zu heimlicher Ehe, zu der nach dem Brauche de« schottischen Landvolkes nichts al« die schriftliche Ein willigung des Bräutigams erforderlich war. Das erhöhte den Zorn des rachsüchtigen Alten, der Burns nun seine rechtmäßige Gattin mit Gewalt entzog und ihn durch un ausgesetzte Verfolgungen zur Verzweiflung brachte. Schon stand er auf dem Sprunge über den Ocean zu geben und eine ihm von Freunden angebotene Stellung als Plantagen aufseher in Jamaica anzunehmen, als ein Lichtblitz des GlückeS, so ziemlich der einzige in seinem Leben, ihn zurück- bielt: eine Sammlung von Gedichten, die er in Edinburg auf Subscription batte drucken lassen, war mit Begeisterung aus genommen und batte sogar einen für BurnS' Verhältnisse be deutenden Reinertrag gebracht. Hierdurch aufgerichtet, begab er sich nach der Hauptstadt Schottland«, deren Gesellschaft ihn al« einen Ebenbürtigen ausnahm und ehrte. An dem Grafen James von Glencairn, dessen frühen Tod er in einer ergreifenden „Klage" beweint bat. gewann er einen edlen Freund und Beschützer, der sein Möglichste« tbat, den weiteren Lebenspfad des schwer Geprüften zu ebnen. Nach etwa ein jährigem Aufenthalt kehrte BurnS, der Stadtlust müde, in die Heimath zurück, um mit seinen Ersparnissen ein kleines Gut zu pachten und seine Johanna beimzusühren, die ihm inzwischen Zwillinge geboren, und die der Vater dem ge feierten Dichter nun nicht länger vorzuentbalten wagte. Aber Gelderwerben und da« Erworbene Zusammenhalten war nun einmal nicht Sache dessen, der sich keinem Dürftigen versagen, der keinem Zirkel lustiger Gesellen entschlossen den Rücken drehen konnte. Der Sänger der Ballade vom „Hans Gerstenkorn" (John Barlevcorn), einer Perle von Humor, der „laute lustige Willie", dem das Herz angesichts des vollen Fäßchen« überging — O gut Bier kommt, nun geht es los! Für Bier verkauf' ich meine Hof', Verkauf' die Hof', versetz' die Schuh', Gut Bier giebt meiner Seelen Ruh! — er, der das Elend und die Freuden der „Enterbten" so wunderbar treu und lebendig zu schildern wußte, er war auch bald selbst der alte Proletarier wieder mit dem jungen goldenen Herzen. Der Graf von Glencairn verschaffte ihm einen Posten als Steueraufseber, eine Stelle, die wenig Gehalt, viel umherschweifcndeS Leben mit sich brachte und Burns Neigungen natürlich so wenig wie möglich zusagte. Doch brachte er eS fertig, sich selbst aufs Glücklichste als den „Mann von der Steuer" zu verspotten, mit dem der Teufel zum Entzücken de« ganzen Städtchens davontanzt. Von nun an gings äußerlich nur noch abwärts mit ihm. Das un geregelte Leben, der häufige Genuß geistiger Getränke, der wiederholte Schmerz um den Tod ibm theurer Personen, des Grafen James, seiner LieblingStochter Bessie, untergruben seine Gesundheit und warfen ihn in Dumfries, wohin er mehrere Jahre zuvor übergesiedelt war, auf das Sterbelager, von dem sich sein unsterblicher Geist zu jenen Höhen empor schwang, die er sein ganzes Leben lang zu erklimmen beiß bemüht gewesen war. Er ist nur 38 Jahre alt geworden: aber in dieser kurzen Spanne Zeit ist es ihm gelungen, das Füllhorn der Poesie bis auf den Grund auSzuleeren. Keine Saite deS menschlichen Herzens und kein Verhältniß des menschlichen Lebens, die er nicht berührt und mit dem Zauber stabe der Dichtkunst in Gold verwandelt hätte. Boll groß artiger Begeisterung sind seine Vaterlandslieder, voll demo kratischen Stolzes sein „Trotz allem" und „Zufrieden mit wenig", voll einfacher, rührender Schönheit seine Lieder zum Preise der Natur: nirgend« etwa« Kaltes, Gemachte-, Nichl gefühltes, überall reine, edle Natürlichkeit und Schönheit, Deutschland verdankt dem großen Schotten viel, und unter unser» Dichter» lebt ihm manch brüderlich verwandter Geist. Darum haben unsere Componiften auch stets mit Vorliebe zu Burn'S gegriffen. Schumann und Kücken gaben seinem „Mein Herz ist im Hochland" neue Melodien; in Mendel- sohn'S Zwiegesang klingt sein „O säh ich auf der Heide dort" durch alle Welttheile, und in den „Myrthrn" hat Schumann vor Allem seine Hochlandlieder (Hochländer« Ab schied, Hochländerwittwe, Hochländisches Wiegenlied), ferner die reizenden Gegenstücke „Jemand" und „Niemand" (Mein Herz ist betrübt, und: Ick hab' mein Weib und tbeu es, traun, mit Niemand), nebst manchen anderen Perlen meister haft gesungen. Auch deSyalb haben wir Deutsche wohl die Pflicht, deS Dichters san seinem Tode-tage dankbar zu gedenken.
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