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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.07.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960727015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896072701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896072701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-27
- Monat1896-07
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Rrclamrn unter dem RedactionSstrich (4 ge spalten) 50.^, vor den Familiennachrichtes (6gespalten) 40.^. Größere Schriften laut unserem Preis- »erzrichniß. Tabellarischer und Zissernsaj» nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung »l 60.—, mit Poslbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Vei den Filialen und Annahmestelle» je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedttte» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig SV. Jahrgang. Amtlicher Theil. Abänderung der Wandergewerbescheine. Aus Aulaß der Abänderungen, welche die Wandergewerbescheine zufolge der Novelle zur Eewerbe-Ordauna erfahren müssen, ist die Frage aufgetaucht, ob und in welcher Hinsicht nach den in neuerer Zeit gemachten Erfahrungen etwa weitere Abänderungen, ins besondere der Vorschriften über den Gewerbebetrieb der Ausländer t« Umherziehen, angrzeigt erscheinen. Kaufleute und Fabrikanten unseres Bezirks, welche in dieser Beziehung Wünscht auszusprechea oder Erfahrungen mitzutheilr» haben, werden hier durch ersucht, solche bi» zum 28. d. M. an die Kanzlei der Handelskammer, Neue Börse. Tr. I-, gelangen zu lassen. Leipzig, den 26. Juli 1896. Der Borfitzende der Handelskammer. A-Thieme. vr. Gensel, S. Wie Straßburg französisch wurde. Stimme eine» französischen Patrioten. 1) Der Räuber. Da» heutige französische Geschlecht durch Vernunftgründe von der ihm obliegenden Nothwendigkeit, dem Besitz von Elsaß-Lothringen zu entsagen, oder auch nur von der Unrecht mäßigkeit de» früheren Besitzes diese» Landes zu überzeugen, da» wird deutschen Federn nicht gelingen. Weil die Be völkerung von 1870 nicht ihre Zustimmung zu der Annexion gegeben hat, erklärt dies Geschlecht diese Annexion für unrecht mäßig; ob aber die elsässische Bevölkerung zur Zeit, al» sie von Frankreich annectirt wurde, um ihre Meinung befragt worden war, darum kümmert man sich jenseits der Vogesen nicht. Auf jeden Fall erklären die Franzosen das von Ludwig XIV. begangene Verbrechen für verjährt. So erschien eS dem französischen Historiker Michelet nicht; wenigstens zitterte er in seinem Herzen noch immer vor der Möglichkeit, daß da» deutsche Volk noch einmal Rechnung«, ablegurm von den Franzosen verlangen könnte, und nach seiner Darstellung war die Sache für seine Landsleute sehr bedenklich. Immerhin werden sie in ihm einen begeisterten Patrioten er kennen und sein Urtheil wird daher für sie wie für da» Aus land Gewicht haben. Freilich, als 1870 die Katastrophe hereinbrach, vor der er erzitterte, da überwältigte der Schmerz um den Fall seines Vaterlandes auch das Herz des wohl als Historiker unparteiischen Franzosen und in der allgemeinen Verwirrung und Bestürzung ließ auch Michelet sich in den Strudel von Selbsttäuschungen mit fortreißen, in dem die verblendete Nation die eigene Schuld vergaß. Aber da» hindert nicht, daß die Wahrheit, die er in den Tagen be sonnener Forschung mit klarem Blick erkannt hatte, die Wahr heit bleibt, und so wollen wir denn mit den Forschungen, die er in seinem Werke „L-ouis XIV. et la RSvoeation äs I'Säit äs Mutes (Paris, Chamerot 1860)" niedergelegt hat, die heutige Zeitlage beleuchten. Er ahnte nicht, als er uns die» Werk damals eigenhändig verehrte, daß er selbst un» die Beweismittel in die Hand gab, die unser gutes Recht gegen Frankreich bekräftigen sollten. Wie schön aber ist die Offen herzigkeit, mit der Michelet in der Einleitung erzählt, wie viel eS ihm gekostet habe, den Vorurtheilen seiner Erziehung über die glänzende Regierung Ludwig'S „des Großen" zu entsagen.1 „ES ist eine männliche That des Historikers, wenn er so den Vorurtheilen seiner eigenen Kindheit, denen seiner Leser und endlich de» Illusionen widersteht, die die Zeitge noffen selbst geweiht haben; er bedarf einer gewissen Stärke, um mit festem Schritt durch alles dies hindurchzuschreiten. So tritt diese Regierung mit dem Anspruch auf, eine politische Regierung zu sein, die moderne Welt thut unrecht, sie beim Wort zu nehmen. Ein aufmerksames Studium zeigt, daß im Grunde in den wichtigsten Fällen die Religion den Vor rang vor der Politik hat." Eine wichtige Bemerkung für die Gegenwart. Die Haupt feinde des deutschen Reiches im Elsaß sind die römischen Priester. Der katholische Klerus vorzüglich wehrt sich gegen die Annexion deS Landes, das Ludwig XIV. für das katho lische Frankreich erobert hat, und Michelet zeigt uns, wie der sündhafte König von Versailles auS religiösen Motiven die Eroberung des Elsasses durch die räuberische Wegnahme von Straßburg gekrönt hat. Der klerikale Protest gegen die Annexion ist auf die Gewissensbisse des lasterhaften Königs rurückzuführen; eS handelt sich nach Michelet'S Beweisführung für diese katholischen Priester darum, aus Dankbarkeit Ludwig dem Vierzehnten Linderung der Qualen im Fegefeuer zu verschaffen, durch die er nach dem Glauben seiner Kirche unzweifelhaft im Jenseits zu büßen hat. Folgen wir der ge schichtlichen Entwickelung deS französischen Historikers, deS Erzfeindes der Jesuiten. ES galt für den König von Frankreich, den in der Bar tholomäusnacht verfehlten Staatsstreich durchzuführen, durch den Widerruf deS ToleranzedictS von Nantes den Protestan tismus in Frankreich auSzurotten, den Protestantismus zu vernichten. Gegen diese Thatsache läßt sich Michelet nicht durch manches Schöne und auch Große blenden, das er an der damaligen Gesellschaft nicht verkennt, aber das Ende mit Schrecken, das diese Epoche nahm, hebt alle- dies wieder auf. Wir müssen uns hier auf da» uns vor Allem Nahe liegende beschränken. Und wie bedeutsam dies für das wahre Recht und die wahre Gesittung ist, daS beweist der Umstand, daß die französische Presse und Geschichtschreibung die Schil derung Michelet'S mit Stillschweigen übergeht. Der Tod seines Ministers Mazarin, 9. März 1661, machte den 23jährigen Ludwig zum Selbstregenten. Mit großer Ungeduld hatte der Klerus den von Gott Gegebenen, le visuäouus, erwartet: galt er doch für ein Kind des Wunder» und er täuschte diese Erwartungen nicht. Als ihn nach seiner Thronbesteigung die Behörden und Körperschaften begrüßte», ließ er vor den protestantischen Geistlichen die Thür schließen und gab den Kindern, den Mädchen mit 12, den Knaben mit 14 Jahren, die Erlaubniß, sich für Katho liken zu erklären und das elterliche HauS zu verlassen; den Eltern gebot er, die Kinder nicht daran zu hindern und ihnen eine Pension zu bezahlen, gleichviel, wohin sie gehen wollten. Und daS geschah am 24. März, 15 Tage nach seinem Re gierungsantritt! Die katholische Geistlichkeit hatte dies seit dem 6. October 1660 verlangt. Von einem solchen jungen Mann konnte man daS Unge heuerlichste erwarten. Michelet zeichnet ihn trefflich. „Ein Kind des Wunders" war er in der Abgötterei aufcrzogen worden; in riesiger Entfernung von der Menschheit wähnte er erwachsen zn sein: il ciozait vieu en lui! Das war seine feste Ueberzeugung. Und dieser CultuS des Jchs, dieses Wunder von einem so kräftigen Glauben fand seine lebendige Nahrung in der Zustimmung deS Volkes, in der allgemeinen Hoffnung, die auf ihn gesetzt wurde. Zwei Gefahren drohten seiner Wirksamkeit. Die Anbetung, die ihm zu Theil wurde, konnte ihn dumm machen, und der Hang zum Vergnügen und die Dienstfertigkeit, die er bei den Frauen fand, konnte ihn entnerven. Nichts von dem traf ein. Er blieb scharfsinnig von Verstand, hochmüthig von Herzen, trocken und hart, kalt im Innern. Nichts halte Wirkung auf seine Seele, Alles kam ihm zu als schuldige Gebühr. Der Stolz hielt ihn aufrecht in seiner starken Mittelmäßigkeit. Selbst in seinen heftigsten Leidenschaften, wenn er sich noch so weit fortreißen ließ, gab er sich nicht preis, blieb er verschlossen. Er besaß dazu noch etwas Gutes, um in seiner „Göttlich keit" fest zu bleiben, eine große Unwissenheit. Hätte er einige Kenntnisse gehabt, er würde gelernt haben zu zweifeln. Er hätte gezaudert zuweilen. Mazarin hatte ihn nichts gelehrt, wenige Rathschläge kurz vor seinem Tode ausgenommen. Er mußte sich selbst bilden, und von dem, was später Colbert, LouvoiS n. A. ihm sagten, nahm er nur das, was er wollte. Co darf die Antwort,' die er nach dem Tode Mazarin'S den Ministern gab, als sie ihn fragten, an wen sie sich nun wenden sollten, nicht überraschen: mvi! Darin war sein Grundsatz von so trauriger Berühmtheit enthalten: „Der Staat bin Ich." Großartig schön lautet. in seinen Memoiren (eorits — ou üu moius coxies — äo sa main), wie er seine Auffassung von der Monarchie als einer göttlichen Einrichtung entwickelt; aber — an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Freilich liegt über den ersten Jahren seiner Regierung wie ein poetischer Schleier, fast ein Hauch von Romantik gebreitet; die Empfindsamkeit, die der Jugend jedes Menschen anhaftet, schien auch die marmorne Kälte des stolzen KönigSherzenS erwärmen zu wollen. „Vous «tos roi, 8irs, et vous pleurer!?" rief ihm die schöne Nichte Mazarin'S zu, als der junge verliebte König mit Schmerzen emsah, daß sein königlicher Beruf ihm verbot, dem Zug seines Herzens zu folgen. Und in der Liebe zu der anmuthigen La Valliöre ist eine aufrichtige Neigung nicht zu verkennen. Von all den Frauen, die sich seiner Gunst rühmten, war sie die Einzige, die ihn geliebt hat; und selbst daS Ende dieses Opfers warf noch einen verklärenden Schein auf die ersten Jahre dieser Regierung: in aufrichtiger Reue bat die Unglückliche durch die strengsten Büßungen deS CarmeliterklosterS ihre jugendliche Verirrung zu sühnen gesucht. Für den König selbst möchte man ja auch einen Entschuldigungsgrund in der erzwungenen Ehe finden, die sein Minister Mazarin dem kaum zwanzigjährigen Jüngling aufgezwungen hatte. Die spanische Prinzessin MariaTheresia, die durch den Pyrenäischen Frieden 1659 Königin von Frankreich geworden war, hatte als Weib auch gar nichts, was Ludwig hätte fesseln können; klein und fast dick, fast zwerghaft, gedrungener Gestalt, erfüllte sie nur eben die Pflichten der Gattin, aber das Herz des Gatten vermochte sie, die nicht einmal gut französisch sprechen konnte, nicht zu gewinnen. Zu welchem Grade von Sittenlosigkeit aber das Beispiel ves Königs am Hofe gefühn >at, dies zu entschuldigen, dazu reicht denn doch auch die vom literargeschicbtlichen Schlendrian überschätzte Protection nick', hin, die der König dem Dichter des „Tartufe" bat angedeihcu lassen. Der Flor der schönen Künste, der plastischen wie der redenden, hat die Regierung Ludwigs XIV. mit eine:.! blendenden Firniß überzogen; aber mit Michelet, P. Alben und wenigen anderen scharfsehenden Kritikern erhält mau ein anderes Bild, hinter der schönen Maöke erblickt man die Zratze deS Lasters. Der zärtliche Hofdichter Racine hat dem vom Könige verdorbenen Hose die schöne Illusion der „Liebe" angedicktel. In seinen Tragödien spielen die Frauen die Hauptrollen, nicht jene großen erhabenen Frauen eines Corneille, sondern die von der Leidenschaft ergriffenen, die in der Liebe die erste höchste Pflicht erkennen, aber auch keine andere Pflicht kennen. Aber wen lieben die Frauen am Hofe? wer ist der Held in Versailles? Der einzige Held ist der König, und er hat sw alle, wenn er nur will. Als die Blüthezeit des Hofes von Versailles vorüber war, zog sich Racine in zwölfjährige: Schweigen zurück, versenkt in fromme Andacht; dann schließ: er seine Dichterthätigkeit mit der Hymne in Form eine: Dramas, mit der erhabenen Athalja ab: Priester, Fcldher. und König spielen darin ihre Rolle auf der Bühne wie in. anderen Stücken, aber mit religiösem Schauer erkennt man, daß ein Anderer der Held deS Dramas ist, immer unsichtba . und doch gegenwärtig in der Tiefe deS Tempels, wo die Handlung vor sich geht, Gott! Zwischen diesen beiden Gegensätzen, der sündhaften Leiden schäft und der Gewissensangst vor Gott, bewegt sich auch dae- Leben deS hochmülhigeu ehrgeizigen Jchs, Ludwig XIV. ge nannt; aber dieser Widerstreit in seinem Innern von einem Pol zum andern ist ein frevelhaftes Lügenspiel, neben dem die Heuchelei eines Tartufe wie eine Nebelwolke verblaßt, unr diesem gotteslästerlichen Selbstbetruge sollte die deutsche pro testantische Reichsstadt zum Opfer fallen. Gutachten der Handelskammer Leipzig an das königliche Ministerium des Innern über Sic Vor schläge der Reichscommission für Arbeitcrstatistik, die Be hältnisse der Angestellten in offenen Ladengeschäften bctr. Das Königliche Ministerium hat mittels Verordnung vr : 15. Mai d. I. — 396. III. — von uns Bericht darüber «r fordert, welche Anschauungen in den Kreisen der diesseitigen V. theiligten über die Vorschläge der Rcichscoiuniission für Ärbci:,. statistik, bctr. die Verhältnisse der Angestellten in offenen Lale:, geschäften und insbesondere den Schluß der Ladengeschäfte währe, : der Zeit von 8 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens, vorherrsche.:. Wir beehren uns demzufolge in der Anlage sud eine Zusainiuc:.. stellung der uns aus unserem Bezirk auf unsere Aufforderung h u in dieser Angelegenheit zugegangenen Wünsche zu überreichen. W:r dürfen aber wohl annehmen, daß es im Anschluß hieran auch der Handei . - kammer selbst gestattet sein wird, ihre Stellung zn den fraglichen Var- schlügen der Reichscommission für Arbeiterstatistik kurz darzulcgeu. Wir können danicht verhehlen, daß wir insbesondere gegen die Vorschläge unter Nr. I und III schwere Bedenken haben. Was zunächst d:e Vorschläge unter Nr. I betrifft, soweit sie sich aus die Regelung voll zu kleiden, einen Chic, der angeboren sein muß, niemals angelernt werden kann. Trotzdem läßt sich nicht generalisiren. Die moderne junge Florentinerin, Mailänderin und Bologneserin ist ein völlig andere» Geschöpf, wie die Tochter Palermos, oder die Capresin, oder die Bewohnerin von Santa Lucia in Neapel. Und je länger man hier lebt, je mehr man wirklichen Einblick gewinnt in daS intime italienische Leben, desto mehr sieht man all die tausend Differenzirungen und Spielarten, die hier in Italien ebenso zu finden sind, wie z. B. bei unS zwischen der strengen Hamburgerin und dem Wiener Wascher- madl. Die oberflächliche Einheit deS TypuS und Charakters ist nur für den deutschen Rundreisenden, der noch heut wie weiland Victor Scheffel von den welschen Frauen so falsch und so schön schwärmt. Man spricht so viel von der Ver rottung der italienischen Zustände. ES ist ja auch gewiß Vieles faul hier — Vieles fauler als bei uns. In Anderem aber ist man wieder überraschend vorgeschritten und die „conventionelle" italienische Frau genießt m mancher Hinsicht tausend Mal mehr Freiheit, tausend Mal mehr sociale Vor theile wie die deutsche. An jeder italienischen Universität werden Frauen zum Studium zugelaffen, wenn sie die nöthige Vor bildung haben. An den Kunst-Akademien betheiligen sich überall die Frauen in gleicher Weife. E» giebt in Italien ebensoviel weibliche Gelehrte, Doc- toren, Schriftstellerinnen, Malerinnen, Schauspielerinnen wie bei uns. Und sie erfreuen sich ebenso deS allgemeinen öffent lichen Ansehens wie in Deutschland. Und in den höheren Ständen gewinnt die „deutsche" und „englische" Erziehung überhaupt immer mehr Boden. Man findet nur noch wenig junge vornehme Italienerinnen, die nicht außer ihrem Französisch noch Deutsch und Englisch sprechen und vor Allem lesen. Selbst Griechisch und Lateinisch betreiben Manche auch ohne Universitätsstudien. Selbstverständlich wird durch diese Pflegung des weiblichen italienischen Geiste» die Annäherung zwischen der deutschen und italienischen intellectuellen Frau immer mehr gefördert. Doch bleiben noch mancherlei trennende Schranken. Over liegen diese vielmebr in der Verschiedenheit der Frauen über haupt? Mir persönlich schiene eine Herzensfreundschaft zu einer Italienerin schlechterdings unmöglich. Vielleicht käme ich votz diesem vorurtheil zurück, wenn sich die Gelegenheit böte, mit Ada Negri oder Matilda Serao oder der Düse intim zu verkehren. Denn da» sind doch Frauen von Blut, Feuer uud Leben. Während e» mir sonst immer scheinen will, al» ob die sprichwörtliche „Leidenschaft" der Italienerin nur ei» flüchtige», rasch verlohte» Stroh feuer beweglichen Temperament», niemals aber «ine alle» prägende, mit sich fortreißend«, dämonische Macht sei. Ich kenne viele italienisch« Schriftstellerinnen u»d -ab« sie a»f- richtig gern und schätz« sie. Aber — ei» Trennende» ist da — Ja, wer zählt die Namen all der großen Italienerinnen der Renaissance, Viktoria Colonna nicht zu vergessen. Unr aller großen Sängerinnen und Tragödinnen der letzten Jaln Hunderte. An großen Traditionen hat die italienische Fran zu zehren, großen Vorbildern nachzueifern. Und sie spaltet sich heute in ebenso viele Eigenarten, je nach Geburtsart und Stellung und Stammbaum und Temperament, wie das deutsche Weib. Und bei ihr, wie bei unS hat auch die dienende Frau ganz besondere Merkmale. Freilich ist die römische Köchin wieder ein völlig verschiedenes Gewächs von der neapolitanischen serva! Sie hat eine gewisse Würde und Selbstverständlich keit, gemischt mit einer fast herablassenden Vertraulichkeit gegen die Herrschaft und einem zu Zeiten unhemmbarcu Redestrom. Dann hat sie ein unglaubliches PietälSgefübl gegen die entferntesten Vettern und Basen, und es ist nickck Ungewöhnliches, daß sie durch ein Leben lang außer Valcr und Mutter auch nipoti und nipotini unterstützt, sich alles am Mund und am eigenen Leibe abzieht, durch Jahrzebntc systematisch die Herrschaft betrügt, nur einem alten Zio, einer Nunna zu Liebe. DaS ist rührend schön, hör' ich sagen — eS ist die roheste Form der Denkträgheit, der Convention, der tbierischeii Blutsbande, die wahllos lügt und stiehlt und betrügt, nur um ihrer Sippe etwas zuzuwendeu. Vielleicht aber stamm! auch das noch aus den alten NLmerzeiten, und daS, was einem Volk einst zu Stärke und Größe verhalf, dann in den craffen NepotiSmuS der Papstwirthschaft auSartete, zuckt sick noch einmal auS in dieser Sippensucht der niedern Stände, der Ungebildeten. Denn eS ist Thatsache, je geistig höher ein Mensch stehl, je individuell entwickelter, persönlichkeit-bewußter, desto mehr sträubt er sich gegen daS Vettern- und Basen-, Großvater- und Schwieaermutterregiment, dem der Philister und der Ungebildet« sich bliad-ehrfurchtSvoll beugen. Ich habe viele Italienerinnen gesprochen, die diese Sippenwirthschaft ebenso hemmend finden für die freie Entwickelung dc» Individuums, wie ich. Wir wenig Gemüth in all dieser falschen Sentimentalität steckt, da» illustrirte mir glanzend meine Köchin, die, als sie die plötzliche Nachricht von ihre» Vater- Tod erhielt, sich strampelnd und heulend auf den Boden warf, dann ohne nur um Erlaubniß zu fragen, sofort für zwei Tage zur Leiche reiste und mir alle Arbeit überließ. Nach der Rückkehr aber, heiter nnd gefaßt, mir noch sechs Soldi anrrchnete für ihr Abendessen am TodeStag, und bald wieder ihre ohrzerreißenden Liebeslieder sang. Ja, die italienische Frau — da» ist ein weite- Feld, sage ich mit Theodor Fontane'» altem Herrn von Briest. e» nicht auch in Deutschland derartige Sumpfpflanzen? Selbst da» wenig verlockende Gegenstück dazu, die SpießerhauSfrau, " rage» und Interessen und dem von tschüffel begrenzten Horizont können Frauen tz» der Tausend und Aber- l>N»aallzu unverfälscht wieder finden! Nur, so lange fie jung stH — fie verblühen freilich rasch in der Tretmühle häuslich« Sorgen und mit dem Schwanz von Onkel», Tanten, Schwiegermüttern und Basen hinter sich, mit denen hier, besonder» in einfachen Kreisen, noch der Eult der Convention, also der Gedankenlosigkeit be trieben wird, — so lange sie zung sind und mit ihrem Maua und den Kindern Sonntag» in» Freie ziehe», haben sie immerhin »och eia wenig Aamuth und Chic und Temperament, tzenn jede Italienerin, da» ist eine ihrer weniaen General- «ißmischnft«, hat von Natur eia große» Talent, sich geschmack- oder liegt es an der Sprache, mit ihren Umschreibungen, ihrem Phrasenreichthum, dem Bombast, der dem Neuling so viel Sand in die Augen streut — ich kann an all' diese iberschwänglichen LiebeSbetheuerungen niemals ernstlich glauben. Und daS glatte Salongeschwätz anderer, ebenfalls geistig reg samer und productiver Frauen, mit dem sie glauben, in ihren Mußestunden sich und andern die Zeit vertreiben zu müssen, ist mir gleich fatal. Aber giebt cS nicht in Deutschland ebenso viele überschwängliche Weibchen und conventionelle Tiraden haltende „Berühmtheiten"? Und eS ist einzig mein eigener Mangel an Phantasie, die eigene geistige Trockenheit, die mich all solchem gegenüber un geduldig machen. Wie daS romanische Volk überhaupt im Allgemeinen ein viel rascher begreifendes ist, als daS deutsche, so eignet sich auch die italienische Frau alles rasch und leickt an: Griechisch und Latein — und daS Velocipedfahren, da» ja unter den Frauen keines Landes so schnell um sich greift, als in Italien. In den größeren Städten ist es schon fast eia Alltägliche- und kaum Einer sicht der „Radfahrerin" noch nach, r Natürlich giebt eS trotzdem noch immer viele Frauen vom alten Typus. Als wir vor fünf Jahren hier zuerst einen Winter lang Chambre garnie bewohnten, war unsere Padrona die etwa fünfunddreißigjährige Frau eine» angesehenen römischen Journalisten. Sie war eine Gräfin aus verarmtem HauS und wunderschön, intelligent, mit den Zügen einer Sibylle. Und auf der Straße, im Theater war sie stets die Frau von Welt, die große Dame, von untadelhafter Eleganz. Einmal im Jahr machte sie auch große Toilette, rothen Sammet, im Hanse, zu einem copiösen NeujahrSdiner von zwölf Gängen, bei welchem mein Mann und ich un» schwere Magenverstimmung holten. Sonst aber war sie tagauS, tag- ein, im kurzen rothen Flanellunterröckchen und weiß gewesener Nachtjacke, an schönen sonnigen Hagen, wenn sie auf der prachtvollen, blumigen Terrasse die Tauben fütterte, auch ohne diese, in kurzen Hemdärmeln. — Mein Mann meinte, e» stände ihr nicht schlecht. Welcher Unterschied nun von dieser blaublütigen Comtessa mit der Klostererziebung, bi» zur radfahrenden Studentin oder Doctorin oder Zahnärztin. Deren giebt e» sehr viele. Schon im Oinqueeouto hatten die genialen italienischen Frauen eine glänzende Stellung: die Frau der Wissenschaft, der Kunst, der Poesie und die KriegSheldiunen. Man denke nur an Caterina Sforza, die einem Cesare Borgia zu trotzen wagte! Konrad Telmann hat sie in einer seiner reifsten dichterischen Schöpfungen verherrlicht. Oder Bittoria Acco- ramboua und Olympia Morata, die großen Gelehrtinnen. Properzia di Rossi, Elisabetta Siram, die Künstlerinnen, Irene von Spilimberg, die Malerin und Dichterin, Tizian'» letzte Liebe, bei deren Tod ganz Venedig ihr Blumen streute — »an erinnert sich dabei vielleicht eine» ziemlich bekannten Bilde» „Irene von Spilimberg auf der Tvdtengondrl." Vie ^rau im Spiegel -er Frau. Eulturbilder au» aller Herren Länder. IV. Die italienische Kran, von Hermine von Prensche» (Rom). Nachdruck »erdete«. Die sociale Stellung der italienischen Frau — da» klingt so einfach und mit wenig Worten erklärbar, und ist doch so schwer definirbar und so wechselnd, je nach dem Individuum, wre bei un». Ueberhaupt „Frau". Frau ist ebenso wie Mensch — alle» Höchste und alles Niedrigste, und die be deutende Frau, die e» trotz chauvinistischer Zweifel selbst unter den Italienerinnen giebt, wird sich überall, instinctiv, ihre sociale Stellung selber schaffen, ummodeln, überhaupt ihre LebeuSwerthe prägen. Im Allgemeinen denkt man wohl in Deutschland nicht viel besser von der Italienerin wie von der Haremsschönheit der Orientalen. Al- Mädchen in tausend Fesseln, durchweg schön, sehr sinnlich beanlagt, mit Neigung zur Fülle in reiferen Ehe jahren, früh vermählt, dann voll unbegrenzter CiciSbeofreiheit und Abenteuerlust, denkfaul, Süßigkeiten liebend, im HauS schmutzig, in der Equipage elegant und geschmackvoll „zurecht gemacht" und im Älter eine abscheuerregenve Hexe, Xanthippe uud Betschwester. Au all diesem ist, oder war vielleicht ein Korn von Wahr heit, insofern als r» noch viele solcher Weiber-Existenzen giebt, namentlich in Rom, Neapel uud vor Allem in Sicilien. Aber immer mehr Licht und Aufklärung und Geistesfreiheit dringt auch in da» dunkelste Drohnen-Weioerleben. Und giebt » da» wrnia verlockende Ge mit den kleinlichen TageSfrageu und'Jnterrffen und dem von der Maccaroni- und Salat' ' wir in Italien unter den tausende bezahlter „Jmpiegati" n:
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