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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.07.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960722015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896072201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896072201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-22
- Monat1896-07
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Nathusius aus Greifs wald und Pastor Weber aus München-Gladbach veröffent licht und lautet wie folgt: Tie unterzeichneten Männer au« verschiedenen Gruppen und Richtungen der rechten Seite des kirchlichen und politischen Lebens halten es gegenüber der Entwickelung des evangelisch»socialen Congresses für geboten, ihre kirchlich-socialen Ueberzeugungen klar und unmißverständlich auszusprechen: 1) Tas wirthschaftliche und sociale Leben steht unter Bedingungen christlicher Sittlichkeit, die nicht vernachlässigt werden dürfen, ohne den Volks geist aus das Schwerste zu gefährden. Für das christliche und sitt liche Leben liegen in den gegenwärtigen wirthschastlich-socialen Vcr- hältnissen vielfache Hindernisse, deren Beseitigung von der Kirche um der Nächstenliebe willen erstrebt werden muß. Wir verwerfen die Anschauung, daß das Christenthuin die socialen Zustände, die wirth« schastliche Lage das Christenthuin nichts angehe. — 2) Tie Predigt des Evangeliums und die Geltendmachung seiner Lebensmächte ist unerläßlich zur Herstellung der Grundlagen eines gesunden socialen und wirthschastlichen LebenS; die sittliche Pflege der socialen und tvirthschastlichen Guter eines der nothweudigen Mittel zur Heilung des kranken Bolksgeistes. Wir fordern für die Kirche nach beiden Richtungen innerhalb des ihr gegebenen Wirkungskreises freien Rann, und von ihr Ihatkräftiges Zeugnis; gegen die Versündigungen in allen Ständen, in der Socialdemokratie wie in den Kreisen von Bildung und Besitz. — 8) Nur das nnversälschte biblische Evangelium und eine kirchliche Thätigkeit, die auf dem Glauben an die Heilsthatsachen ruht, wie sie in unseren Bekenntnissen bezeugt sind, kann dem Volksleben die rechten heiligenden Kräfte der Erneuerung zusiihren. Nur ein sociales Wirten, Las mit besonnener Anknüpfung an das geschicht lich Gewordene die Verhältnisse bessern und die Classen versöhnen will, schließt die Möglichkeit der Hilfe in sich. Wir sehen des halb nach den gemachten Erfahrungen für die kirchlich - sociale Arbeit eine Gefahr in ihrer Verbindung mit der mo dernen Theologie, deren Vertreter in wachsendem Maße den evangelisch-socialen Eongreß beherrschen und dupch ihr Verhalten die Unzuträglichkeit genieinsamer Arbeit beweisen, wie in dem agitatorischen Treiben einer Richtung, die per- werfliche Schlagworte unter die Menge wirft, denClassen- kamps schürt, Unzufriedenheit weckt und die menschlichen Leiden schaften für angebliche Zwecke des Reiches Gottes in Bewegung setzt. — 4) Tie ewigen Ziele der Kirche dürfen nicht zu Gunsten dies seitiger Zwecke zurnckgestellt, die christlichen Begriffe evangelischer Freiheit und Gleichheit vor Gott nicht unmittelbar auf irdische Ver- hältnisse angewandt werde». Hinwiederum soll die Kirche auch in ihren Aemtern mit ihrem Zeugniß nicht blos auf jenseitige und inner liche Verhältnisse, nicht blos gegen den »»göttlichen Sinn und die mainmonistijchen Versündigungen Einzelner gerichtet sein, sondern sich ebenso aus die socialen Zustände selbst erstrecken und für deren Besserung, auch durch Recht und Gesetz, ihre Stimme erheben. Wir können der römisch-katholischen Kirche nicht das alleinige Recht zum socialen Wirken zugeslehen, sondern halten die Kirche der Refor mation für befähigt und verpflichtet, im Geiste der Propheten und Apostel auf das öffentliche Leben einzugehen und einzuwirkcn. — 5) In der Mitwirkung der Kirche an der socialen Reform arbeit sehen wir die verheißungsvolle Bürgschaft für den gedeih, liehen Fortschritt des öffentlichen Lebens und die unerläßliche Be dingung gesegneter kirchlicher Arbeit. Dem Geistlichen kann es unter Umständen zur unweigerlichen Pflicht werden, persönlich in den Kamps für die sittlichen Lebensmächte einzutreten, Gleichgesinnte zn sammeln und sowohl die evangelischen Arbeiter- vereine wie die Werke der inneren Mission im Sinne kirch- lich-socialer Thätigkeit zu pflegen. — 6) Die heilende und erneuernde sociale Arbeit kann nicht Lurch die Kirche allein, sondern nur unter Mitwirkung des Staate- in seinem Rechtsleben wie in seiner Verwaltung und unter demBeistand der an der wirthschastlichen Thötig» keit bethetligten Kreise, besonders der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, geschehen. Die Auswahl der gesetzgeberischen Mittel im Einzelnen sehe» wir als außer halb der eigenthümlich-kirchlichen Aufgaben liegend an. Jedoch muß jede segensreiche socialpolitische Thätigkeit die gött lichen Grundordnungen in Ehe und Familie, Haus und Gesellschaft, Arbeit und Eigenlhum anerkennen und zu schirmen suchen. Insonderheit soll sie die wirthschaftliche Sicherung der abhängigen Classen, sowie die geistige, geistliche und sittliche Hebung aller Stände im Auge habe». — 7) Nur unter Wahrung und Bewährung der hier ausgesprochenen Grundsätze wird die Kirche der Reformation ihrem gottgewiesenen Berufe zum Heile unseres Volkes genügen. Wir fordern deshalb unsere Gesinnungsgenossen auf, ohne Rücksicht aus Meuschenguiist und Menschenfurcht, zur gemeinsamen Arbeit aus Len Grundlagen Les alten Vüterglaubens sich zusainmenzulchaaren. Es handelt sich in dem gegenwärtigen Kampf um die Güter der Reformation, um die Festhaltung der göttlichen Offenbarung gegen über dem Abfall, um Bewahrung der Volkskirche gegenüber auf lösenden Seelen und schwärmerischen Richtungen. Tie evangelische Kirche muß Las Salz des deutschen Lebens bleiben. Dazu Helse Gott der Herr durch die Macht seines heiligen Geistes. Dem „Reichsboten" gehen von einer Seite, die an der „Abfassung dieser „Leitsätze" hervorragend betheiligt" ist, folgende Erläuterungen zu: In der Wahl des Wortes „kirchlich-social" soll die Bürgschaft liegen, Laß es sich bei dieser Erklärung und dem, was sich an sie anschließen soll, nicht um eine jpecifisch-politische Thätigkeit Handelk, sondern nur darum, daß ausgesordert werben soll zu derjenigen socialen Thätigkeit des Geistlichen, über die sich alle bewußten evangelischen Christen einig sind. Die Gründung irgend welchen neuen socialen oder politischen Congresses evange lischer Richtung ist nicht beabsichtigt, schon weil diese Absicht von Prof. v. Nathusius und Lic. Weber niemals gntgeheißen werden würde. Dagegen schwebt diesen Kreisen für Len Herbst eine Zusammenkunft evangelischer Männer imgrotzen Stile vor, als ein Versuch, die positiv en evangelisch en Elemente fruchtbarer als bisher zu organisiren. Danach würde man in Zukunft außer zwischen „Christlich social" und „Evangelisch - social" auch noch zwischen diesen Begriffen und „Kirchlich-social" zu unterscheiden haben. Die Folge davon wird eine Begriffsverwirrung sein, die vielleicht von dem Manne beabsichtigt ist, der es bisher besonders verstand, im Trüben zu fischen. Einen Begriff davon giebt das „Bolk", das über die Aufgaben der „Christlich- Socialen" gleichzeitig eine programmatische Zuschrift ver öffentlicht, welche besagt: Was unsere durch Ueberzeugung und Taktik gebotene Stellung betrifft, so wollen wir auf dem Boden der Franksurter Partei beschlüsse sicher und stetig voranschreiten. Es giebt ja z. B- >n der conjervative» Partei nicht wenige Männer, welche Leu Abfall der conservativen Fraction von den altconjervativen Grundsätzen beklagen und im Herzensgründe mit uns in der Nothwendigkeit einer groß gedachten und furchtlos durchgeführten Socialresorm aus christlicher und monarchischer Grundlage übereinstimmen. Aber solche uns geistesver wandte Männer haben in der officiellen conservativen Partei von heute weder die Majorität, noch die Autorität. Darum darf diese« per- önliche Zusammengehen mit Einzelnen nicht dazu mhren, daß wir, die wir die Hand an den christlich-socialen Pstug gelegt Haven, uns etwa nach den conservativen Fleischtöpfen zurucksehnten, der denen übrigens der christlich-sociale Gedanke nur ecnes elenden Hungertodes sterben würde. Es kann also dw per sönliche Achtung vor einzelnen wahrhaft christlich - conservatlv gerichteten Männern uns nicht zur R ü ck w ä r t s co n c e n- trirung nach der conservativen Partei bestimmen. Dafür sind wir Christlich-Sociaien im Reiche nicht zu haben; man wird uns das auch wohl als anständigen Männern im Ernst von keiner Seite zumuthen! Wenn wir Christlich- Socialen Stöckcr'scher Richtung auch viele bedauerliche Men- Lungen und radicale Manieren der sog. „Jungen" nicht billigen und niemals billigen werden, so betrachten wir doch unsere christlich sociale Sonderstellung zunächst nicht als eine Kampfes» stellung gegen andere ch ristlich-sociale Richtungen. Da wäre doch noch schöner, wenn wir in einer Zeit, wo die officiellen Mächte in Kirche und Staat im letzten Grunde gegen Alles sind, was christlich-social heißt, wenn wir da uns herbeilassen wollten, dem gemeinsamen Gegner einen Bütteldienst zu thun, indem wir unsere Krast und Energie gegen andersdenkende Christlich-Sociale richteten! Wir brauchen unser Pulver zunächst gegen andere Fronten und machen denen nicht so leicht einGaudium, die aus dieNaumannianer losprügeln und dieStückertaner ebensogut meinen." , Pom kirchlich-socialen Standpunkte deS Herrn Stocker also wird das Naumann sck>e Treiben, Las „verwerfliche Schlagworte unter die Massen wirft", den „Classenkampf schürt", „Unzufriedenheit erweckt" rc., eine Gefahr sein. Bon seinem christlich-socialen Standpuncte sind es „be dauerliche Wendungen" und „nicht zu billigende radicale Manieren"; aber iln Grunde sind eS zu tolerirende, nur „andersdenkende Christlich-Sociale". In ver Präzis freilich wird diese Toleranz, die überhaupt niemals Herrn Stöcker's Sache gewesen ist, sich schwerlich lange be währen. Und wenn nickt Herr Stöcker und die Seinen für „frischen, fröhlichen Kampf" gegen die „Naumannianer" sorgen, so wird Herrn Naumann's „Hilfe" zur Aus grabung deS Kriegsbeiles nöthigen. In seiner vorletzten Nummer bringt dieses Blatt nach einer Inhaltsangabe der „Post" eine Uebersicht über das Berzeichniß der socialdemokratischen Blätter und führt mit augen- cheinlicher Genugthuung „die ansehnliche Leistung" der Haldemokratischen Prcffe an. Ohne ein Wort LeS Be dauerns über das Gift, das durch 78 socialdemokratische Zeitungen und 50 gewerkschaftliche Blätter unter dem Volke verbreitet wird, giebt es der Hoffnung Aus druck, daß in dieser „bis jetzt fast überall social demokratisch gefärbten Presse, je länger, je mehr auck vater ländische Gedanken hervortrelen werden." Worauf diese Hoffnung sich gründet, wird nicht gesagt. — Noch stärker aber tritt das Liebäugeln mit der Socialdemokratie und die Parteinahme für sie in einer in derselben Nummer ent haltenen Zusammenstellung der im Monat Juni über Social demokraten verhängten Strafen zu Tage. Die Zusammen stellung weist 82 Bestrafungen auf, darunter 38 mit Gefängnißstrafen von insgesammt 8l Monaten und elf Wochen. Die Hilfe begleitet diesen Nachweis mit der theil- nehmenden Bemerkung: „Das ist also das Opfer der Partei in einem Monat!" dem sie hinzufügt: „Wie groß ist der sociale Gegensatz, wenn er solche Erscheinungen hervorrufl!" Die bestraften Socialdemokraten werden offen als Genossen betrachtet, die sich der wärmsten Sympathie der „Hilfe" zu erfreuen haben und in deren Augen Märtyrer sind. Bon einer Verschuldung der bestraften Socialdemokralen ist in den Augen der „Hilfe" nicht die Spur; die Straft», die sie erleiden müssen, sind lediglich Folgen der „pol, tischen Erregung". Daneben giebt die „Hilfe" deutlich zu verstehen, daß die Bestrafungen zum großen Theile in. gerecht verhängt worden seien, denn der Mehrzahl nach siele» sie auf Sachsen, wo „die Bevölkerung sich durch die Wafll- rechtSverkürzung mit Recht in ihren Gefühlen schwer verletzt fühle", und nun wurden die gefangen gesetzt, „die diesem ge kränkten Gefühl einen etwas unvorsichtigen Ausdruck gegeben hätten." Männer, die nicht nur dem Namen nach „der rechten Seite des kirchlichen und politischen Lebens" angebören, können un möglich auf die Dauer im Frieden mit Männer» leben, die an der „Hilfe" Gefallen und in ihr den Ausdruck ihrer Ge sinnung finden. Wir flössen, daß der Kampf nicht lange aus bleibt und mit der ganzen Schärfe geführt wird, die Herrn Stöcker im Streite mit liberalen Gegnern eigen ist und die Herr Naumann nur den Socialdemokraten gegenüber für verdammlich zn halten scheint. Ausgekämpft muß er ja docfl werden; je früher es geschieht, desto besser. Deutsches Reich. U Berlin, 21. Juli. Ter Abschluß der Reichs fl auptcasse für 1805,Ot> ist zweifellos ein sehr befriedigender. Die Bundesstaaten haben an Ueberweisungen nicht blos den vollen Betrag ibrer Matricularnmlagen, sondern darüber flinaus mehr erhalten, als im Etat die Spannung betrug. Zugleich ist bei Verminderung der Reichsschuld um 13 Millionen Mark ein Ueberschuß von N,9 Millionen Mark bei der Reichs- flauptcasse erzielt,mithin um 4,5 Millionen Mark mehr, als ter Ueberschuß des Vorjahres betrug, so daß auch aus rftsemTitel dem Finanzjahre 1807 08 eine um diesen Betrag Höhere Einnahme erwächst. Die Zölle allein haben 34 Millionen über den Etat gebracht, etwa 27 Millionen mehr, als im laufenden Etat angesctzt ist, so daß, selbst wenn keine Steigerung ein tritt und die Zölle aus der bisherigen Höhe sich erhalten, auch für das laufende Jahr ein beträchtlicher Ueberschuß über den Etat in Aussicht steht. Der Rückgang der Zolleinuahmen im Monat Mai läßt eS in Verbindung mit anderen Momenten, welche auf die Zollerträge Einfluß haben, freilich zweifelhaft erscheinen, ob die Zolleinnaflnien sich auf der bisherigen Höhe halten werden. Auch die Reichsstempelabgaben überschreiten nicht blos den Etats anschlag des Iaflres 1805 00 um 0,7 Millionen Mark, so» dern auch den des lausenden Jahres noch um über 3 Mil lionen. Allein der starke, sich stetig sortsetzende Rückgang der Börsrnsteuer, welcher sich yermnthlich noch um die Zeit des Inkrafttretens des Börsengesetzes steigern wird, läßt schon jetzt keinen Zweifel darüber zu, daß die Rechnung im lausenden Jahre statt eine« Ueberschusscs ein Deficit ergeben wird. Ent wickeln sich daher die Einnahmen aus den der Clausel Francten- slein unterliegenden Zöllen und Reichssleuern nicht im Wei teren Verlaufe des Jahres sehr viel günstiger, als in den ersten Monaten desselben, so werden die Bundesstaaten auch nicht auf entfernt so hohe Ueberweisungen zu rechnen haben, Fsrrrlleton. Oie Frau im Spiegel der Frau. Culturbilder aus aller Herren Länder. II. Tic englische Frau. Von Pauline Witt (Ciiston-Bristol). NaLkruck vcrbelen. Die Deutsche ist gar leicht bei ihrer stillsitzenden Nadel- Tflätigkeit mit dem Urtheile fertig, daß Alle, die nicht wie sie unermüdlich für Haus nnd Kinder schaffen, träge sind. Es mag sein, daß in dieser Beziehung die englische Frau hinter der deutschen zurücksteht: doch giebtö auch hier ge schickte und fleißige Handarbeiterinnen, die nicht allein die Nadel, sondern Pinsel, Hammer und Leimtopf zu gebrauchen wissen. Die Engländerin nennt Dich träge, wenn Du lieber auf dem Stuhle sitzest, als mit ihr vom Laden zur Blumen- AuSstellung, von der Kircke zum Vortrag, von der Zweirad- Uebung zur Leihbibliothek rennst. Hier ist die Bewegung Tflätigkeit und Thätigkeit Bewegung, und jedenfalls erhält sich bei dieser Lebensweise die Engländerin lange jung und frisch- Hat die wohlhabende Frau des Mittelstandes nach dem Frühstück ihren Hausstand besorgt, — d. h.: mit der Köchin die Vorräthe durchgesehen, die verschiedenen Mahlzeiten des Tages angeordnet, in der Kinderstube die Kleinen begrüßt nnd mit der Kinderfrau daS Ausgeber» der Kinder und etwaige Flickereien besprochen, auch die Einkäufe für den Hausstand gemacht, — fängt erst ihre wirkliche Arbeit an. Diese häuslichen Pflichten scheinen ihr nur Bagatelle im Ver gleich zn dem, was ihr zum Wohle der allgemeinen Mensch heit zu thun obliegt. Eine gebildete Frau, die fast nur im häuslichen Thun ihr Genüge findet, giebts hier kaum noch. Natürlich kann nicht geleugnet werden, daß bei diesem vielen Thun nach außen oft die nächstliegenden heiligsten Pflichten zu kurz kommen, und die allzu früh selbstständige Jugend Englands ist meiner Meinung nach nicht so sehr der jüngeren Generation als vielmehr den Eltern zur Last zu legen, lieber ,,'IR« rsvolt ol our llaugfltvrs" ist hier viel geschrieben worden. „Tiie rsvolt vk our ckaugflters" — so nannten sie der Töchter Verlangen nach Befreiung von mütterlicher Con- trole: und von deren Wunsch zu kommen und zu gehen, in der Welt umherzuschweifen ohne Jemand von ihrem Thun Rechenschaft zu geben, hieße«: „sie wollen auch ibr „Wander jahr" haben." Ob nun ein solches Wanderjahr sie für ihren Beruf, Frau und Mutter ru sein, besonders vervollkommnen würde, muß wohl dahingestellt bleiben. Da der Staat hier nicht so väterlich für alle seine Unter- thanen sorgt, wie wir eS gewohnt sind, bleibt Vieles der Privatthätigkeit überlassen. Wenn nun auch die Priester der anglikanischen Kirche, wie alle Prediger der verschiedenen Secten es sich von Herzen angelegen sein lassen, Sünde, Elend, Armuth und Krankheit nach besten Kräften zu bekämpfen, so würde es ihnen doch ganz unmöglich sein, allein dem Nebel zu steuern in dem Maße, wie es geschieht, wenn nicht wohlhabende Frauen mit unermüdlichem Eifer ihnen zur Seite ständen. Heimstätten für stellen ose Dienstmädchen, Besserungs anstalten für Gefallene, Zufluchtsstätten für arme Wesen in der Stunde ihrer Angst, Kleinkinder-Bewahranstalten, Gemeindepflege, ja Hospitä er — Alles dies sind Anstalten, die in jedem größeren Orte nicht allein von Frauen in« Leben gerufen, sondern auch durch Geldbeiträge und persönliche Thätigkeit ihrerseits aufrecht erhalten werden. Damen, denen ihr Reichthum gestattet, ein Schlaraffenleben zu führen, unter ziehen sich der Mühe, mehrmals wöchentlich mit einer Krankenpflegerin in den ärmsten Stadttheilen, wo Elend und Schmutz sich ein Heim gemacht, von HauS zu Haus nach den Kranken zu sehen: ein Samariterdienst, der wahrlich Selbstaufopferung erfordert. Eine kluge Frau, die weise ist in der Wahl ihrer Dienst boten, kann, nachdem sie die Disposition getroffen, getrost die Ausführung ihren Miethlingen überlassen. Ein gutes englisches Dienstmädchen überragt in seiner Vortrefflichkeit weit das deutsche. Aber ach! Da« Gute, Tüchtige ist auch hier nur Ausnahme, das Mittelmäßige die Regel; doch selbst daS mittelmäßige Mädchen hier hat ihre Gedanken mehr hei der Arbeit. Hier giebtS keine Tanzböden noch Volksfeste. Die einzige ihr gewährte Abwechslung besteht im sonntäglichen Kirchgang und einem freien Abend in der Woche. Da nun die wohlhabende englische Hau-frau für jede zu verrichtende Arbeit eine Kraft bezahlt, so scheint sie dadurch auch die Verantwortlichkeit für das Wie von sich abgewälzt zu haben. Eine reiche, vornehme Fran in Deutschland glaubt sich doch noch immer verantwortlich für da« Essen, daS sie auf den Tisch bringt, wie für die Wäsche, di« Tisch und Bett deckt, auch wenn sie nicht mehr kocht und stickt. Hier sitzt die Hausfrau laut über ihre eigenen Speisen zu Gerichte, wie man sonst wohl im Gasthaus« kritistrt. Und kommt einmal ein durchlöchertes Tisch- oder Betttuch zum Vorschein, so heißtS lachend: „Was fällt denn Marv ein?" Der Stolz der deutschen Hausfrau aus ihren hübschaeordnrtrn Leinen schrank ist hier in keiner Schickt der Gesellschaft zu finden. Tie Engländerin ist vielleicht stolz auf ihren ckrarving-room (Salon), der in gebildeten Kreisen in jedem Hause ein anderes Gesicht zeigt, wo kein Stuhl dem andern gleicht nnd kaum ein Stück Möbel steif gegen die Wand gestellt ist: wo nach 3 Ubr die Frau ihre Besuche empfängt, ihre Musik- und Lesekränzchen hält, ihren Thee trinkt, wo um 8 Ubr nach dem Diner der Manu, wenn er nickt Zeitung und Cigarre in seiner Rauchböble vorzieht, mit Musik und heiterem Ge plauder oder mit Kartenspiel seinen mühe- und arbeitsvollen Tag beschließt. Was aber die englische Hausfrau selten aus den Händen giebt, ist: die Casse, das Einkäufen, wie das Verschönern ihres HeimS. Sobald das Uhrwerk ihres Haushalts auf» gezogen, die nothweudigen Briefe geschrieben, frische Blumen in die Vasen gethan, geht oder fährt sie von dannen, Ein käufe zu machen. Im Fisch-, Gemüse-, Obst- und Fleischer laden trifft sie ihre eigene Wahl. Läden jeglicher Art haben überhaupt für die Engländerinnen eine große Anziehung, Natürlich artet diese Rührigkeit in den weniger ernsten Naturen, zumal in der unbemittelten Masse, leicht in Straßen laufen aus und von diesen sagt Mr. Filon mit Recht: „Sie wisfen eher Geld auszugeben als zu verdienen oder zu er sparen, Wenige verstehen zu nähen, noch Weniger zu kochen: ihr« Zimmer sind unordentlich und sie hängen gänzlich von ihren Dienstboten ab. Selten trifft man sie in ihrem „konw, s«eot domo". Ihre Tage bringen sie in den Läden zu, oder sie besuchen ihre Freunde oder sie spazieren in, Park." Hätte er die« heute geschrieben, würde er den Schluß gemacht haben: „oder sie fahren auf ihrem Zweirad". Für den Arbeiter wäre c« nun wohl zu wünschen, daß seine Frau ein wenig mehr Stetigkeit besäße; doch von der stetigen, häuslichen Art giebt es nur wenige, die Meisten stehen lieber aus der Straße und schwatzen und — sind sie von der schlimmsten Sorte — trinken mit den Nach barinnen, als daß sie ihre Stuben säubern, für die Kinder nähen oder dem Manne zu rechter Zeit eine schmackhafte Mahlzeit bereiten. Erst wenn sie hier und dort Männer von der Arbeit beimkehren sehen, schicken sie eines ihrer vielen Kinder mit Poltern und Püffen nach Bier, wäflrend sie selbst sich daran machen, schleunigst ein Beefsteak, Schweinerippen oder Würstchen in die Pfanne zu werfen. Solche Frauen schicken natürlich ihre Kinder unordentlich und schmutzig zur Schule. Geht man gerade um die Zeit der Freistunde an einer Nationalschule vorbei, da staunt man über die vielen, Kinder in Lumpen. Wohl seben die Damen ein, daß in den unteren Classen nicht Alle« ist, wie r« sein sollte: das öffentliche Sprechen und Schreiben über diesen Gegenstand nimmt kein Ende. Um für die Zukunft bessere Resultate zu erzielen, um durch Wort und Beispiel Fabrikmädchen vom unthätigen Wesen, dem Zeit vergeudenden Straßenlaufen und dem leider auch bei der Jugend schon vorkommenden Trünke abzuhalten, gehen mebrmal« in der Woche junge Mädchen der besseren Stände in die ärmere Gegend der Stadt, wo die Fabrik arbeiterinnen wohnen, und versammeln diese in den Abend stunden in einem ihnen vyn der Schule oder Kirche ge währten Raum um fick. Dort werden sie nützlich beschäftigt, auch durch allerlei Gespräche und Vorlesungen angeregt. Ob eS nun freilich gelingen wird, dies« freche Gesellschaft, wie beabsichtigt, dadurch abzuschleisen, zu verfeinern, gewisser maßen herauszuziehen zu ihren Vorbildern und nicht vielmeflr diese sich gar ru oft zu ihnen herablassen müssen, das wird die Zukunft lehren. Von der Frauen-Thätigkeit, in der sie selbst, ihre Gleich stellung mit dem Manne, mit einem Worte: ihre Emanzi pation, das Ziel ist, habe ich nun noch gar nicht gesprochen, obwohl man kaum einen Blick in die Gesellschaft, die Presse, wie die Roman-Literatur diese« Lande« thun kann, ohne An reichen davon wahrzunehmen. Wenngleich die Frau erst in Amerika ihre Apotheose erreichen soll, so muß dock jeder Deutschen schon ihre bessere Stellung hier zu Lande aufsalle». Müssen wir auch hier den Grund in der zunehmenden Mackt des Geldes suchen? Und ist das Ganze nur eine wiedcr- kebrende Erscheinung? Brooks Adams sagt in seinem Bucke „Civilisation und Verfall": „Sobald Wohlstand Mackt wurde, war da« Weib so stark wie der Mann; daher war sie cman- zipirt. Durch erleichtert« Ehescheidung stand sie in, Elc- contracte mit dem Manne auf gleichem Fuße. Sie verwaltete selbst ihr Eigenthum; weil sie es vertheidigen konnte und auch die Macht hatte, übte sie auch politische Rechte aus. Im dritten Jahrhundert saßen Julia Domna, Julia Mam- maea und Andere im Senate odrr leitrten di« Administration" Warum auch nicht? Für di« Throne, daß «in Ganzes den einzelnen Theile» gleicht, ist jedenfalls England mit seinen Bewobnern kein Beweis. Daß England al« Nation e« nicht verstanden hat, sich Friunde zu verschaffen, ist ja nicht zu leugnen; ob nun Englands Größe oder Englands Erbärmlichkeit Schuld daran ist, darüber w«rdrn sich die Engländer wohl kaum mit den anderen Völkern einen. Doch als Tbatsache, von ter selbst im Parlamrnte al« „der herrlichen Vereinsamung" oder „dcr gefahrvollen, kostbar«« Vereinsamung" j« nach dem Stand puncte deS Redners gesprochen wird, ist e« hier wie dort an erkannt. „Und einen Freund kann Jeder haben, der srlbst versteht, rin Freund zu sein", so heißt'« in einem Stamm- buchvers« meiner Kindheit. Irde Deutsche, die gleich mir lange in England wohnhaft war, wird mir nicht wider sprechen, wenn ich sagt, dir treurstrn Frruudr findrt man bei den Engländern.
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