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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.07.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960729011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896072901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896072901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-29
- Monat1896-07
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Die Gesetze mag man anwenden gegen wen man will, ihre An wendung auf die „Genossen" erscheint im Auge der social demokratischen Presse stets ein Unrecht, gegen welches sie mit dem ganzen Waffenarsenal an Schmähungen, Berdäcktigungen und Verdrehungen zu Felde zieht. So ist eS auch wieder im „Fall Rose now" in Chemnitz gewesen. Dem Genossen Rosenow, dem Nedacteur des socialdemokratischen „Chemnitzer Beobachter", ist nach Verbüßung einer dreimonatigen Gefäng- nißstrafe wegen Verächtlichmachung von Slaatseinrichtungen auf die Dauer von zwei Jahren der Aufenthalt in einer Anzahl an Chemnitz angrenzender oder um Chemnitz liegender Ortschaften untersagt und ihm, im Falle der Zu widerhandlung gegen das Verbot, zwangsweise Ausbringung aus dem betreffenden Orte, sowie achttägige Haftstrafe angedroht worden. Die königliche Amtshauptmannschaft Cbemnitz, von welcher die Verfügung ausgegangen ist, stützt ihre Entschließung in der Sache auf die tztz 1 und 2 des Gesetzes vom 15. April 1886, das auch von den Behörden anderer Ortschaften, z. B. Leipzigs und Dresdens, in gleichen Fällen zur Anwendung gebracht worden ist. Mit dem Falle des Socialistengcsetzes wäre die Behörde den socialdemokratischen Volksverhetzern gegenüber machtlos ge worden, wenn ihr nicht andere gesetzliche Maßregeln an die Hand gegeben wären, den Agitatoren, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch ihre aufrührerischen Irrlehren gefährden, den Boden für ihre Wirksamkeit zeitweilig zu ent ziehen und sie auf eine andere Scholle zu verweisen. Diese Maßregel giebt den Sicherheitsbehörden glücklicher Weise in Sachsen das angezogene Gesetz vom 15. April l886 an die Hand. Das Gesetz giebt der Behörde in bestimmtem Falle die Ausweisungsbesugniß,d. h.dieBesugniß, einAufent- haltSverbot zu erlassen, wenn nach den örtlichen und persön lichen Verhältnissen zu befürchten ist, daß dieser Aufenthalt dem Bestraften in besonderem Grade die Gelegenheit zur Wiederholung von Rechtsverletzungen in der durch die vor ausgegangene strafbare Handlung ungeheizten Richtung dar bieten und dadurch Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verursachen werde. In der socialdemokratischen Presse, die, wenn eS ans Commentiren von Gesetzen geht, ja immer das Gesetz, selbst auf die Gefahr einer Rechtsbeugung hin, zu Gunsten der „Genossen" auSzulegen weiß, schreit man nun auch gegen wärtig wieder über falsche Gesetzesanwendung, irrige Gesetzes auslegung, Willkür und Vergewaltigung. „Dies Kind, kein Engel ist so rein", meint sie mit Rücksicht auf das Gesetz vom 15. April 1886 vom Genossen Rosenow. Mit dieser Reinheit des „Genossen" ist es aber nicht weit her. Sein ganzes bisheriges Verhalten als Nedacteur zeigt, daß er gewillt ist, die socialdemokratische Heilslehre rücksichtslos zu ertreten und die Arbeiterschaft nach allen Regeln der Kunst gegen die bestehenden Staatseinrichtungen aufzuhctzen und zu Gewaltthätigkeiten zu verführen. Gerade seine Person ließ be fürchten, daß die Wiederholung der verbrecherischen Handlungen über kurz oder lang erfolgen werde, wenn ihm sein alter Wirkungskreis nickt verschlossen bleibt. Gerade die Ort schaften, um welche es sich hier bandelt, rechtfertigen die Annahme, daß Genosse Rosenow hier Gelegenheit finden werde, seine strafbare Thätigkeit von Neuem fruchtbringend zu ent falten. Es ist also nach den persönlichen und örtlichen Ver hältnissen sehr Wohl zu befürchten, daß der Aufenthalt in den betreffenden Orten gerade mit Rücksicht auf die Persönlichkeit Nosenow'S diesem in besonderen Grade Gelegenheit zur Fortsetzung seines verbrecherischen TbunS geben werde. Das sieht man natürlich im Kreise der Genossen nicht ein, wo die Parteibrille den klaren Blick längst getrübt hat. Was haben nun die Socialdemokraten gegen die amtshaupt- mannschaftliche Verfügung vorzubringen? Sie sagen, das Gesetz gebe der Behörde nur die Maßnahme der Ausweisung, nicht aber diejenige der Aufenthaltsbeschränkung ohne vorherige Ausweisung, wie sie nach dem Socialisten- gesetz angängig war. Nach ihrer Ansicht müßte die Behörde erst abwarten, ob Rosenow in einem der fraglichen Orte seinen Wohnsitz nimmt; dann erst könnte sie demselben die AuSweisungsordre zustellen. Man setzt im socialdemokra tischen Lager da wieder einmal den Buchstaben über den Geist und begeht den Fehler, den man sonst immer den staatSerbaltenden Parteien zu imputiren bei der Hand ist. ES wäre sinnlos, zu verlangen, daß die SicherheitSbehörde erst abwarten soll, ob der Genosse Lust bezeigt, an die alte Stätte seiner Wirksamkeit zurückzukehren oder nicht. Die Ausweisung besteht in der Aufenthaltsverweigerung, und diese kann zweifellos im Voraus ausgesprochen werden. Tie Behörde weist den Delinquenten für die Folge aus den Ortschaften aus, für welche seine Rückkehr dabin oder sein Aufenthalt daselbst eine dtohende Gefabr für Sicherheit und Ordnung enthält. E» würde dem „Geist deS Gesetzes" zu wider sein, wenn die Behörde erst abwartrn sollte, ob der Delinquent die in Frage kommenden Ortschaften aufsuchen wird. Denn die Möglichkeit, daß der Auszuweisende, noch ehe diese Ausweisung erfolgt, mit Rücksicht auf seine persön lichen und die örtlichen Verhältnisse wieder eine strafbare Handlung gleicher Art begebt, liegt doch sehr nahe. DaS aber soll vermieden werden. Nach dem „Geist des Gesetzes" soll der Behörde eine Präventivmaßregel gegeben werden, sie soll von vornherein im Stanke sein, sich den Uebeltbäter vom Leibe zu halten. Man hat weiter gesagt, die Maßregel würde dazu führen, daß jede Ortsbehörde beliebig die Ausweisung verhängen könnte und damit der Aufenthalt in ganz Sachsen für die betreffenden sächsischen Untertbanen illusorisch würde. Man darf mit Recht fragen, woher Die jenigen, welche solche Schlußfolgerungen ziehen, ihre Sieben meilenstiefeln beziehen? Die SicherheitSbehörde hat doch zu prüfen, ob die Bedingungen vorhanden sind, welche die Wiederholung einer verbrecherischen Handlung in Aussicht stellen. Sie hat ihre Verfügung nach dieser Richtung hin zu be gründen und muß jeder Zeit erwarten, daß ihre Verfügung durch die Oberbehorde aufgehoben wird, wenn sie nicht ausreichend begründet ist. Die Gefahr, welcher vorgebeugt werden soll, wird aber zunächst dock nur dort eine drohende sein, wo der Delinquent bereits seine verbreckerische Thätigkeit entfaltet hat, wo der Agitator durch seine Brandreden, der Nedacteur durch seine aufrührerischen Zeitungsartikel bekannt geworden ist und sich einen Anhang verschafft bat. Im Falle Rosenow ist das Cbemnitz und Umgegend. Die Ortschaften im amtShaupt- mannschaftlichen Bezirke sind ebenso durch den Zuzug Nosenow'S gefährdet wie Chemnitz selbst, und es ist ja noch aus der Zeit der Herrschaft des Socialistengcsetzes her bekannt, daß man sich mit Vorliebe in den kleineren Ortschaften in der Nähe der cernirten Stadt niederzulassen pflegte, um nicht allzuweit von dem Orte entfernt zu sein, wo man sich Be wunderer und Anhänger in den Kreisen der Verblendeten und geistig Beschränkten, die leicht zu verhetzen sind, erobert hatte. Die Begründung, welche die Amtshauptmannschaft Chemnitz ihrer Verfügung geben kann - fällt einem anderen amtshauptmannschaftlichen Bezirke schon schwerer, wenn auch keineswegs ausgeschlossen ist, daß auch in einem anderen Bezirke als dem der bisherigen Wirksamkeit nach der besonderen Lage des Falles eine drohende Gefahr gegeben ist. Sie wird da gegeben sein, wo die Masse zur Zeit sich in besonderer Erregung befindet, wo z. B. ein Streik anS- gebrochen ist u. s. w. Die Garantien aber, die dafür gegeben sind, daß die Waffe nicht zum zweischneidigen Schwert wird, daß kein Mißbrauch mit dem Rechte der Ausweisung ge trieben wird, bietet die Unparteilichkeit und Gewissenhaftig keit unserer sächsischen zuständigen Behörden von selbst. S«e wird ja auch nur von socialdemokratischer Seite dann in Zweifel gezogen, wenn die Behörden sich nicht bereit finden lassen, vom Standpunkte des Rechtes zu Gunsten der Ge nossen abzuweichen. Uebrigens bietet auch der § 3 des Gesetzes einen Damm dagegen, daß die Ausweisungen dem Ausgewiesenen den Aufenthalt im Vaterlande überhaupt verkümmern könnten. Schließlich istvon gegnerischer Seite behauptet worden, daß nach dem Gesetz nur die Niederlassung bestrafter Personen an einem bestimmten Orte zu verhindern fei und daß selbst solchen Personen nicht von vornherein und überhaupt jedes Betreten des Ortes, aus dem sie ausgewiesen wurden, unter sagt werden könne. Das Verbot beschränke sich also aus den Wohnsitz und die Absicht, in den betreffenden Ortschaften Wohnsitz zu nehmen. Die Begründung eines Wohnsitzes, nicht der Aufenthalt könne beschränkt werden. Auch diese Be hauptung ist nicht zu rechtfertigen. Das Verbot trifft den Aufenthalt ebenso wie die Wohnsitzbcgründung. Die Maß regel würde ja illusorisch sein, wenn der Ort nicht als Auf enthaltsort mit getroffen würde, denn der Delinquent brauchte nur, so oft seine Zwecke es erfordern, sich „vorübergehend" an dem gesperrten Orte aufzuhalten, um daselbst seinen schädigenden Zwecken nachzugehen. Das Gesetz bat den Ort als Aufenthaltsort eben so gut im Sinne wie als Domicil. Alle Einwendungen, welche von socialdemokratischer Seite gegen die Handhabung des Gesetzes bis jetzt erhoben worden sind, laufen darauf hinaus, dem Gesetz in gewaltsamer Weise seine Wirksamkeit, dem Schwerte seine Schneide zu rauben. Wir hegen die Zuversicht, daß auch die Oberbehörde dies er kennen und die amtöhauptmannschaftliche Verfügung, dafern sie im Beschwerdeweg angegriffen werden sollte, bestätigen wird. Die Behörde muß eine Handhabe besitzen, um solche Per sönlichkeiten, wie Rosenow, deren Thätigkeit nur darauf ab zielt, den Frieden der Bevölkerung zu untergraben, den Classenhaß zu nähren und die Unzufriedenheit zu schüren, von den Orten von vornherein fernzuhalten, für die sie ge fährlich gewesen sind und ferner gefährlich werben müssen. Deutsches Reich. * Dresden, 28. Juli. (Telegramm.) Prinz Max von Sachsen ist nach der am Sonntag vollzogenen Priester weihe Montag früh 7 Uhr von Eichstädt nach München ab gereist, woselbst er von dem sächsischen Gesandten von Fabri und dem Bischof Leonard empfangen wurde. Prinzregent Luitpold von Bayern empfing den Prinzen in Audienz und zog ihn gestern Nachmittag zur Tafel. tli. Leipzig, 28. Juli. Die Stadt Darmstadt, in der vor wenigen Jahren die Hauptversammlung des Gustav- Adolf-Vereins stattgefunden hat, wird auch in diesen, Jahre einen für daS evangelische Deutschland bedeutsamen Congreß, die Generalversammlung des Evangelischen Bun des, aufnebmen. Dieselbe wird dort, wie schon kurz gemeldet wurde, vom 29. September bis 1. October abgebalten werden. Man erwartet zu den Verhandlungen und dem in Aussicht genommenen Ausflug nach Worms zahlreiche Teilnehmer aus allen Theilen deS Reiches. Der Darmstädter Zweig verein ist bereits seit einigen Wochen mit den Vorbereitungen eifrig beschäftigt. Anläßlich der Generalversammlung werden Aufführungen des LutherfestspieleS von Otto Devrient stattsinden, die gewiß auch an dieser Stätte zur Stärkung des evangelischen Bewußtseins beitragen werden. Berlin, 28. Juli. Der vor wenigen Tagen im „Reichs anzeiger" veröffentlichte Erlaß des preußischen Kriegs ministers hat in der Presse eine höchst einseitige Beurtbeilung gefunden, indem lediglich seine Wirkung auf das Militair in Betracht gezogen wurde. In dieser Beziehung brachte ter Erlaß aber wenig Neues; denn es war bereits bekannt, daß sowohl die Betätigung revolutionairer oder socialdemv- kratischer Gesinnung den Soldaten strafbar macht, wie das Halten und die Verbreitung revolutionairer oder socialdemo kratischer Schriften. Auch die Einführung solcher Schriften in Casernen oder sonstige Dienstlocale war den Soldaten untersagt. Eine Ausdehnung der gegen die social demokratische Propaganda im Heere gerichteten Vorsichts maßregeln ist insofern eingetreten, als die Bestimfiiuiig getroffen worden ist, daß zu jeder Beteiligung an Vereini gungen, Versammlungen, Festlichkeiten und Gcldsammlungen für den Soldaten die besondere dienstliche Erlau bniß des Vorgesetzten notwendig ist. Die Bekanntmachung dieser im Heere bestehenden Bestimmungen ini „Reichsanzeiger" bat aber auch für die C iv i lb evö lke r u n g eine weittragende Bedeutung. Nach dem geltenden Reckt wird mit Gefängniß biS zu zwei Jahren bestraft, wer eine Person des Soldaten standes auffordert oder anreizt, eineni Befehle des Vor gesetzten nicht Gehorsam zu leisten. Bisher war es nun, wie ;a auch die Verhandlungen über den tz 112 der vorjährigen „Umsturzvorlage" ergeben haben, in vielen Fällen nicht möglich, der socialdemokratischen Propaganda im Heere wirksam auf Grund des Strafgesetzbuches entgegenzutreten, weil es nicht nachweisbar war, daß eine Aufforderung vor lag, welche den Ungehorsam gegen einen bestimmten „Dienst befehl" zum Gegenstände batte. Schon in der Begründung zu der genannten Vorlage hieß eS: „ES sind zahlreiche Fälle denkbar, in denen ein bestimmter Dienstbefehl, der nach der Absicht des Thäters übertreten werden soll, sich nickt nachweisen läßt. Dahin können beispielsweise geboren das Niederlegen von socialdemokratischen Flugschriften in Casernen, in militairischen Etablissements, auf Werften oder Schiffen, oder die Einführung von Soldaten in geschlossene Gesellschaften, die socialdemokratischen Bestrebungen gewidmet sind." Der jetzt publicirte Erlaß des preußischen Kriegsministers gilt zweifellos als „Dienstbefehl" für die gesammte preußische Armee. Jede Aufforderung zu einer Verletzung der darin enthaltenen Vorschriften findet demnach in Zukunft nach dem §112 des Reichsstrasgesetzbuchs Ahndung. Es wird demnach möglich sein, Jeden zur Rechenschaft und Bestrafung zu ziehen, der den Versuch macht, einen Soldaten zur Tbeil- nabme an socialdemokratischen Versammlungen, offenen oder geschlossenen, zu bewegen, der einen Soldaten auffordert, die socialdemokratische Propaganda im Heere zu betreiben oder die Verbreitung socialdemokratischer Schriften zu unter nehmen. Auf den Inhalt der Schriften komm? es dabei nickt an; es genügt, daß sie socialdemokratischen Ursprungs sind. Es ist klar, daß auf Grund dieses Erlasses der socialdemo- F-ttilleton. Cultur- und Sittenbilder aus der Schwei) des Balkans. n. Eine unerwartet rasche Einbürgerung hat die Bierbrauerei in Bosnien gefunden. In Kovaöic, einem lauschigen, kühlen Grunde bei Serajewo ist die Geburtsstätte der bosnischen Bierbereitung. Und das Bier hat in Bosnien schnelle Ver breitung gefunden. Die Herzegowina producirt vorzüglichen Wein; in Bosnien macht man aus Zwetschen Slivowitz, den, meist leichten, Branntwein; das Bier mußte aber, erst ein geführt, zu einem Nationalgetränk erhoben werden. In den Städten ist dies gelungen, und zwar datiren origineller Weise die ersten Anfänge schon aus türkischer Zeit. Wer beute erfährt, daß in Serajewo drei Brauereien bestehen, die jetzt als Actienbrauerei in ein großes Unternehmen vereinigt sind, wird kaum an eine frühere türkische Stadt denken. Und andere Brauereien sind in Mostar, Banjaluka, Tusla n. s. w. entstanden, selbst in dem kleinen Vinegrad hatte ein auS Serbien gekommener Deutscher eine kleine Bierbrauerei ge gründet. Serajewo aber war schon eine Bierstadt, ehe die schwarzgelben Fahnen auf dem Castell wehten. Fünfzehn Jabre vor der Okkupation etwa errichtete ein unternehmender Israelit auS GradiSka, Frldbauer, die erste Brauerei in Kovaöic. DaS erregte nicht geringes Aufsehen; alle religiösen Baude de» Islam schienen gelöst, der Gali von Bosnien war der erste Gast in der Brauerei, der daS vom Koran nicht verbotene Getränk mit einem Becher voll goldener Lire« bezahlte. Und sie kamen alle nach und nach und kosteten daS internationale Getränk. Es wurde ein Drangen in den beschränkten Räumen der Brauerei und im Freien, und alle nationalen und religiösen Streitigkeiten wären vielleicht er tränkt worden im goldenen Gerstensaft, wenn die bosnischen Christen sich in die Gläser so versenkt batten wie die Mohamedaner. Da kam daö Verhängniß. Der Bach, welcher der Brauerei da- Wasser lieferte, wurde abgeleitet. Die Streitigkeiten dauerten lange Zeit, Felebauer konnte den Proceß nickt zu Ende führen; — so ging daS Brauhaus ein, und der Pionier zog von dannen. Nun kam die schreck liche bierlose Zeit über daS stolze BoSna-Serajewo. Erst als in Lukavica jenseits deS Trebevic ein noch heute bestehendes, mehr als primitives Brauhaus errichtet wurde, besserten sich die Verhältnisse etwas. Dann kam ein Slovene, Gerdrutsch, der im Jabre 1870 die Brauerei in Kovaöic wieder er öffnete. Für die Biertrinker von Serajewo begannen nun goldene Zeiten. Am Tage saßen die türkischen Ofsiciere und Beamte im kühlen Grunde des Kovaöic, am Abend kamen die verschiedenen Consuln und Consulatsbeamten, am Sonntag aber sorgte die Fremdencolonie, hauptsächlich die ziemlich starke österreichisch-ungarische, dafür, daß daS Brau haus nicht in Vergessenheit gerieth. Und wenn die Ta^e der Fastnacht kamen, da ertönte aus den oberen Wohnraumcn Musik, da drehte sich Alles, was europäisch war, in lustigem Neigen. Man kannte damals noch nicht den Kastengeist; jeder Fremde war dem andern gleich, die Consuln standen mit ihren Staatsangehörigen auf gutem Fuße und die ge sammte Fremdencolonie bildete eine große Familie. DaS waren die Glanztage der Brauerei von Kovaöic, und wenn auch der mehrjährige Aufstand in Bosnien und der Herzegowina wie der russisch-türkische Krieg manchmal einen grellen Mißten in daS harmonische Zusammenleben warfen, so batten die Fremden doch weniger varunter zu leiden. WaS brauchte man sich beim Bier um die Schlächtereien zu kümmern, die an den Grenzen vorkamen? Dir Truppen durchzüge nutzten dem Braubause. Bald war arabischer, bald anatolischer oder rumelischer Besuch da. Die Brüder Albanesen stellten sich so gut ein wie die bulgarischen Pomaken, und die Nubier verschmähten ebensowenig das braune „schwäbische" Getränk, von dem der Prophet noch nicht« wußte. Hier verkehrten Mustafa Assin und Maghar Pascha, Hafiz und Osman Pascha, der „Löwe von Plewna", Suleiman Pascha, der durch seinen blutigen Zug durch Montenegro und seine Forcirung de» SchipkapasseS bekannt gewordene General. Hier war aber auch vor seinem bei Muratovia erfolgten Heldentode der melancholische Mustafa Dschellaleddin Pascha täglicher Gast. Nie sprach er mit Jemand. Vielleicht dachte er an sein polnisches Vaterland, vielleicht ahnte er sein Ende voraus! Da kam die Occupation! Die kaiserlichen Truppen über schritten die Save, in Sarajewo organisirte der Revolutions ausschuß den Widerstand, wer konnte, floh aus der Stadt, darunter auch der Brauer von Kovaöic. Als er nach der Besetzung SerajewoS zurückkehrte, fand er zerstörte Brau pfannen und nur die Trümmer seiner Habe ... da kam der Winter. Das Brauhaus wurde wieder eröffnet, und eine wahre Wallfahrt begann auf dem damals elenden Wege. Da ging es lustig zu. Im nächsten Sommer verschönerte sich der Garten, unv eS wurde gehaut, Militairmusik spielte und Sonntags strömte halb Sarajewo nach Kovaöic. Heute «st das Brauhaus als solches verschwunden; eS ist eine Mälzerei der Actienbrauerei, und die Sonntagsvergnügungen werden nicht mehr so angenehm sein, weil Steinbrücke und Ziegelbrennereien in der Nähe angelegt sind. So schreitet die nachkommende Civilisation immer über eine frühere Culturepoche, aber man braucht dies nicht zu bedauern, denn neues Leben blüht aus den Ruinen, und wenn auch die nüchterne Neuzeit in poesielosein Gewände einzieht, das alte ureigenthümliche Wesen deS Bosnier« vermag sie nicht zu vernichten. In seinem Leben und Lieben ist er der alte auch beute noch und wird eS noch durch Jahrhunderte hindurch bleiben. In Bosnien, wo türkische und altslawische Sitten sich mit einander mischen, wo man im MohammedaniSmus noch unsere mittelalterlichen Gebräuche findet, ist ein Studium deS Volksleben- entschieden am lehrreichsten. Eine der schönsten Sitten, sicherlich ein Ueberrest au« christlicher Zeit, ist da« „Aschyklik", der Damendienst oder die „süße Minne". E» «st da« in österreichischen und bayerischen Län dern gebräuchliche „Fensterln", und wenn e« auch weniger am Fenster al« meist an der Gartenmauer stattsindet, so erfüllt eS doch den gleichen Zweck. Zur LandeSsitte gehört, daß türkische Frauen und Mädchen am Freitag oder auch an« Montag immer in größerer Anzahl und ohne männliche Be- gleitung Ausflüge in die Umgegend unternehmen. -Mit Sonnenuntergang ist die Rückkehr geboten und jetzt entwickelt sich in den HauSgärten, an den Hinterthüren der Häuser oder von den vergitterten Muschebaks an« ein gebeimnißvolleS Treiben. Ain Tage der süßen Minne ist e« dem jungen Manne gestattet, sich der Dame seiner Bekanntschaft, die er vielleicht als unverschleiertrn Backfisch flüchtig geschaut, in alle» Ehren zu naben und ihr iu Form Reckten« den Hof zu machen. Das geschieht so züchtig, so zart, daß man die Mohamedaner wegen ihre« Anstandes bewundern muß. lieber ein ganz leises Flüstern kommt der Aschyklik nie hinaus, ein Kuß ist fast unmöglich und nur wenn die Leidenschaft die Grenzen überschreitet, wenn sich einer Verebelickung Hinder nisse in den Weg stellen, dann wird eine Entführung ver abredet, die der LandeSsitte entspricht, aber nicht mehr reckt gebräuchlich ist. Eine große Rolle im bosnischen Leben und Lieben spielt auch daS Lied, das episch-erzählende, vor Allem aber das Liebeslied. Davon nur eine Probe: Ich will nicht, daß der Mond Dein Antlitz sieht, Wenn er zur Nacht an Dir vorüverzieht, Und daß des Tages Sonne Dich erwärmt, Jndeß sich Mehmed weinend um Dich härint. Ich will nicht, daß der Regen Dich ergötzt, Wenn alle andren Blumen er benetzt. Ich will nicht, daß Dich Deine Mutter liebt Und daß sie ihrem Kinde Küsse giebt. Ich will Dein Mond und Deine Sonne sein Und dürstet Dich, bin ich der Mundschenk Dein, Ich will Dich lieben jetzt und immerdar Und will allein Dir küssen Mund und Haar l Welcher Zauber liegt in diesen Versen! Und wir könnten noch gar manche Blüthe von zauberhaften« Dufte pflücken. Schelmische Laune, pathetische Leidenschaft, ausgelassener Freudenüberschwuug, süße Melancholie, muthiger Trotz und hingebungsvolles Anschmiegen: für jede Regung des Ge- mütbs Hal diese Lyrik ihre eigenen süßen Melodien. Zn seinem Lied, das den schönsten Klängen deS Abendlandes nichts nachgiebt, ist da« bosnische Volk, wenn auch religiös, so doch nickt national geschieden, und die Frauen- unv Liebes lieder gelten für Mohamedaner und Christen, wie überhaupt das südslawische Volk reich an Liedern ist. Nicht Jeder bat vermuthet, daß weit hinten in der Türkei solch reiches, schönes, originelle« und vielfach edles Volksleben sich findet. Möchte e« unter dein Schutz des schwarzgelben Banners weiter blühen und gedeihen! Die Zeiten türkischer Cultur, in denen es zu verdumpfen und zu verkommen drohte, sind ja auf immer vorüber! 0. 8.
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