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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.08.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-08-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189608026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18960802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18960802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-08
- Tag1896-08-02
- Monat1896-08
- Jahr1896
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.08.1896
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzrichniß. Tabellarischer und Zisiernsatz uach höherem Taris. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbrfürderung ÜO.—, mit Postbrförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhc. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Jekvzlz 90. Jahrgang. Aus der Woche. K. Der Unterganz des „Iltis" und seiner Besatzung hat allgemein in Deutschland patriotischen Schmerz erweckt. Es ist der Seewehr eigen, daß ihr Dienst auch in Friedenszeiten über den UebungSzweck hinaus ein politischer ist, sie ist stets „mobil", und wenn Männer der Marine auf dem Meere, sei es auch durch ein Elementarereigniß, den Tod erleiden, so be trauert sie das sichere Volksgefühl wie Helden, die ihr Leben für das Vaterland dahingegeben haben. Und auch dem ver lorenen Schiffe gilt, wie einem lebendig Gewesenen, die nationale Klage, ein Zeichen, daß den Deutschen gleich von Alters her jeebewehrten Völkern ihre Kriegsflotte ans Herz gewachsen ist. Dafür, daß diese Antheilnahme keinem deutschen Stamme fremd bleibt, sorgt neben dem Bewußtsein, daß der Fels auch am Meere vertheiLigt wird, der Drang zur See, der auch den Binnenländer be herrscht. Sieht man die Liste der mit dem „Iltis" unter gegangenen Mannschaften — den Stab lassen wir dabei ganz außer Acht — durch, so ergiebt sich, daß ein verhältmäßig sehr großer Tbeil, nahezu ein Drittel, dieser Wackern Seeleute aus den der See entfernt gelegenen Neichstheilcn entsprossen ist. Neben Mitteldeutschland (das Königreich Sachsen beklagt drei Todte) hat der Süden starken Antheil an dem Verlust, auch ein Alpensohn ist unter den Versunkenen. Solche Todes gemeinschaft wiegt tausendfach das haßerfüllte Treiben elender, nach Geld und Gunst jagender Scribenten an der Isar auf. Eine seltene nnd erfreuliche Uebereinstimmung. Prinz Heinrich von Preußen hat sich, wie in der Presse unwidersprochen erzählt worden ist, sehr zufrieden darüber geäußert, daß ihm die Reise zur Hochzeit der Prinzessin Maud von England erspart worden ist, das deutsche Volk ist von hoher Genugtbuung über sein Fern bleiben erfüllt, und nun schreiben auch die englischen Blätter, sie seien froh, daß kein deutscher Prinz „dabei" gewesen. Der Weg, auf dem wir unsere za unausgesetzt guten Be ziehungen zu England befestigen können, ist also gezeigt, und wir hoffen, daß er so rasch nicht wieder verlassen wird. Der Verzicht des Kaisers auf den herkömmlichen Ausflug nach Cowes war von den Engländern schon früher §ls ihren Wünschen entsprechend bezeichnet worden, nun haben sie doppelte Freude zur Befriedigung und wir, wie gesagt, auch. Ob die Behauptung eines Münchener Blattes, der Kaiser unterlasse den Besuch der Pester Ausstellung, weil er sich im andern Fall« nicht im Einklang mit der nationalen Stimmung glaubte, zutreffend ist, wissen wir nicht. Vielleicht war diese Reise niemals in Aussicht ge nommen gewesen. Jedenfalls aber ist es richtig, daß die deutsche Stimmung gegenüber den Magyaren sich mehr und mehr klärt. Gerade der Millenniumö-Zauber und die dabei hervorgetretene Ueberhebung haben in Deutschland den Anstoß gegeben, die magyarische Herrlichkeit und das aus ihr abgeleitete Recht, die ungarländischen Deutschen mit „Cultur" zu versorgen, mit etwas kritischeren Blicken als sonst zu be trachten. In dem Befunde lag kein Antrieb, den Magyaren in Pest Bewunderung zu zollen. Wenn man einen solchen in der Thatsache finden will, daß die Magyaren eine Stütze des Dreibundes seien, so ist zu bemerken, daß die deutsche Nation unaetheilt eine ebensolche Stütze ist, und daß sie wegen des Dreibundes den Magyaren nicht schön zu thun braucht, wenn diese durch die Rücksicht auf den Dreibund sich nicht abhalten lassen, deutsches Wesen zu verletzen und unsere Stammesgenoffen in ihrem Lande zu drangsaliren. Unsere Socialdemokraten werden diese Auffassung „chauvi nistisch" finden. Aber das hat nichts zu sagen, da die inter nationale Socialdemokratie mehr und mehr an kosmopolitischerReinheit einbüßt und selbst die „Deutschen" in ihr aus der internationalen Rolle fallen. So behandelt der „Vorwärts" den aus Frankreich zum Londoner Socialisten- congreß delegirten Namensvetter der aus der Göttlichen Komödie nicht ganz vortheilhaft bekannten beiden Malatefta u. A. aus dem Grunde für nicht vollwerthig, weil er ein ge borener Italiener ist und in London lebt. Nächstens wird man wohl aus der „internationalen" Socialdemokratie heraus ein Gegenstück zu der Parole „Amerika den Amerikanern" hören. Die „Deutsche Tageszeitung" sagt, an Nachwahlen sei oem Bund der Landwirthe von jeher nichts gelegen ge wesen. Das ist geflunkert, um die zahlreichen Nieder lagen zu bemänteln, die der Bund erlitten hat. Ein ausgezeichneter Maßstab für die Bewerthung eines Wahlsieges ist das Geld, daS man zu seiner Erlangung ausgiebt. Und der Bund hat sehr große Aufwendungen gemacht. In Bezug auf die Wahl in Brandenburg-Havelland ist aber die „Deutsche Tageszeitung" aufrichtig. ES liegt ihr offenbar nichts an dem Siege des conservativen Herrn von Loebell, ob wohl er Candidat des Bundes ist. Das Bundesorgan hat die Programmerklärung seines Candidaten zwölf Stunden später veröffentlicht als alle anderen Blätter und die Wahl des Herrn Landraths mit einem Mangel an Nachdruck empfohlen, mit dem eine ausgedehnte Wahlenthaltung der BunkeS- mitglieder Wohl vortrefflich übereinstimmen wird. Eine Anzahl Zeitungen geben nach einem Berliner Blatte Proben aus der angekündigten Schandschrisl des Fritz Fried mann und äußern gleichzeitig ihre Empörung über das Mach werk. Wir können nach beiden Richtungen hin dem hier ge gebenen Beispiele nicht folgen. Wir halten nichts von einer Strafpredigt gegen eine Dirne, wenn daraus zu entnehmen, wo die Dirne zu finden ist. Deutsches Reich. * Leipzig, 1. August. An Stelle des am 1. October dieses JahreS m den Ruhestand tretenden Herrn Reichs- gerichtsrathes vr. Dreyer wurde Herr Oberlandesgerichts rath von Bärenfels in Colmar i. E. zum Reichsgerichts rath ernannt. * Leipzig, 1. August. Der viel erörterte Erlaß des preußischen Evangelischen Oberkirchenrathes vom 16. De- cember v. I. betreffs der socialpolitischen Wirk samkeit der Geistlichen war auch auf der dies jährigen Provinzialversammlung deS Rheinischen Haupt- vereinS des Evangelischen Bundes zur Sprache gekommen. Der Vorsitzende, Pfarrer Hackenberg, theille dort mit, daß der Vorstand Veranlassung genommen habe, in einer Eingabe an die oberste Kirchenbehörde den Ein druck zu schildern, den der Erlaß in den verschiedenen Kreisen hervorgerufen habe; offenbar irrtümlichen Deutungen gegenüber sei in der Eingabe der Erlaß so auS- gelegt worden, wie er nach der Ansicht des Vorstandes vom Evangelischen Oberkirchenrath einzig und allein gemeint ge wesen sein könne. Eine Antwort ist dem Evangelischen Bunde nicht zugegangen, Wohl aber theilt jetzt der Pfarrer Hackenberg dem „Evangelischen Gemeindeblatte" mit, daß der stellvertretende Vorsitzende Superintendent Umbeck unlängst in Wesel Gelegenheit gehabt habe, mit dem Präsidenten v. Barkhausen über die Tragweite des Erlasses sich zu unterhalten, und daß er durch das Gespräch die Bestätigung erlangt habe, daß der Evangelische Bund mit der in seiner Eingabe entwickelten Auffassung über Zweck und Be deutung deS Erlasses das Richtige getroffen babe. „Es be steht darnach kein Zweifel", so heißt es in der Mittheilung des „Evangel. Gemeindeblattes", „daß der Erlaß eine gesunde, vom Boden des geistlichen Amtes aus mit Ernst und weisheitsvoller Liebe geführte Arbeit zur Hebung socialer Nothstände und zur Ausgleichung socialer Gegensätze nicht hindern und aufbeben, sondern nur der das Ansehen der Kirche und ibrer Diener schädigenden socialpolitischen Agitation der Geistlichen steuern und wehren will. Es sollen, wie dies der Evangel. Bund in seinem Anschreiben ausdrücklich auch als seine Auffassung betont hatte, pastorale Ausschreitungen, die nicht nur über die geist liche Berufstbätigkeit, sondern vielmehr über die Bethätigung gemeiner christlicher Tugenden der Weisheit, der Liebe, der Gerechtigkeit, hinausgehen, zurückgewiesen und gehindert werden; aber den Geistlichen soll keineswegs gewebrt werden, sich an christlicher Liebesthätigkeit und an praktischen Bestrebungen zur Hebung socialer Nothstände, namentlich wenn sie auf das kirch liche und sittliche Leben der Gemeinden schädigend zu wirken drohen, zu betheiligen, sofern nicht die pfarramtliche Thätigkeit vernachlässigt oder durch Parteinahme für oder gegen eine Classe der Gesellschaft das Vertrauen, dessen der Geistliche bei allen Gemeindegliedern bedarf, in Gefahr gebracht wird. Von ganz besonderer Wichtigkeit für die Beurtheilung jenes oberkirchenräthlichen Erlasses dürfte die in dem erwähnten Gespräch klargestellte Thatsache sein, daß die an die Oeffent- lichkeit gebrachten Behauptungen, als sei der Erlaß auf einen staatlicherseits geübten Druck zurückzuführen, vollkommen unwahr sind, daß vielmehr die mit dem Decembererlasse abschließende Action aus der unmittelbaren Initiative des Evangelischen Oberkirchenraths hervorgegangen und lediglich aus der ernsten Sorge entsprungen ist, daß die evangelische Kirche durch Ausschreitungen und Verirrungen Schaden leiden könne." OH. Berlin, 1. August. Die Anarchisten schäumen vor Wuth über ihre Ausschließung vom internationalen Sociolistencongreß, und für Sonntag haben sie bereits eine Protestversammluny in Berlin anberaumt; in anderen Städten werden solche folgen. Wie die Anarchisten ver sichern, hat ihre Ausschließung auch in den Kreisen solcher „Ge nossen" böses Blut gemacht, die sonst mit der socialdemo- kratischen Fraction durch Dick und Dünn gegangen sind. Das anarchistische Organ, der „Socialift", schreibt in einem Leitartikel, der die Ucberschrift: „Vom Congreß der anarchistischen Volksbetrüger" hat, u. a. Folgendes: „Wir haben keine Ursache, die Haltung des Congresies zu bedauern. Wir sind im Gegentheil mit dem dort errungenen moralischen Erfolg vollauf zufrieden. Mag das Gesindel uns verleumden und anlügen — zu straff gespannt zerbricht der Bogen: der Zweifel keimt in des Gläubigsten Brust. Und wir werden stets auf dem Posten sein, der Erbärmlich keit, wie stolz sie sich auch geberde, die Maske herunter zureißen." * Berlin, 1. August. Herr Stöcker läßt seinem „kirchlich - socialen" Ausruf, der auf die Conservativen berechnet ist, in seiner „Deutsch - evangelischen Kirchen zeitung" einen Artikel gegen die Conservativen folgen. Er tadelt sie wegen ihrer Abkehr von der Socialreform, greift die Grasen Schlicken, Mirbach, Klinkowström wegen ihres Widerstandes gegen die ostpreußische General-Commission an, rügt ihre Stellung zu der Rentengutsbildung nnd fährt fort: „Da in der conservativen Partei die Großgrnnd besitzet eine große Rolle spielen, sind die Anschauungen derselben von ungemeiner Bedeutung. Wir glauben nicht zu irren, wenn wir die Ursache deS Widerspruchs gegen die sociale Reform besonders in ihren Kreisen suchen. Um gerecht zu sein, müssen wir anerkennen, daß sie durch das Loosungswort: das Land der Masse! und durch den eine kurze Zeit hindurch auftauchenden Vor ¬ schlag, ländliche Arbeitervereine zum Classenkampf zu be gründen, erschreckt werden konnten. Aber die älteren Christlich- Socialen sind keine Gegner des Großgrundbesitze-; wenn sie in ihrem Programm von Eisenach Maßregeln zur Ein schränkung des übergroßen Grundbesitzes fordern, so denken sie an eine Latifundienwirthschaft, welche einst Nom zu Grunde gerichtet bat und heutzutage den deutschen Osten entvölkern könnte. Wir Christlich-Socialen sind fern davon, eine Organisation der ländlichen Arbeiter zum Classenkampf zu planen. Wenn sie in ihrem Programm BerufsvereinemitCorporationsrechtenalsUeber- gang zu obligatorischen Genossenschaften erstreben, so ist das, sollten wir meinen, ein durchaus besonnener Weg, der langsam und erst dann, wenn sich diese Ein richtungen bewährt haben, auf das Land führen wird. Das aber ist uns nicht zweifelhaft, daß wenn die Land arbeiter nicht in gutem Sinne gesammelt werben, sehr bald Organisatoren kommen, die sie gegen die Besitzenden zu sammenschließen. In vielen hinterpommerschen Kreisen bat sich bereits thatsächlich bcrausgestellt, daß diese Perspective kein bloßer Traum ist. Bei der geringen politischen Bildung und Theilnahme in manchen Landschaften kann die Mobil machung der arbeitenden Classen noch zehn, zwanzig, dreißig Jahre anstehen, kommen wird sie gewiß. Die sociale Frage steht vor keinem Bauernhause, vor keinem Rittergute auch im fernsten Osten still. Und wenn nicht zur rechten Zeit das Nothwendige geschieht, so wird man zur unrechten Zeit, wenn eS zu spät ist, vergeblich mehr als nothig thun müssen. Das allgemeine geheime gleiche directe Wahlrecht übt seinen un widerstehlichen Einfluß und fordert mit unerbittlicher Con sequenz sociale Anschauungen und Hebung der arbeitenden Classen. Deutschland hat den großen Schritt gethan, der allgemeinen Wehrpflicht die allgemeine politische Gleich berechtigung hinzuzufügen. Ein Rückwärts giebt cs nicht, sondern nur noch ein Vorwärts. Und die Christlich-Socialen wollen dies Vorwärts. Gewiß liegt hier der Grund, daß sie mit den Conservativen in Zwiespalt gcriethen." A Berlin, 1. August. ES ist zweifellos, daß die Ver- mögensverhält nisse d er 31 Versicherungsanstalten für die Invaliditäts- und Altersversicherung durchaus verschieden sind. Während einige im Lause der 5^/z Jahre, in denen daS Gesetz über die Invaliditäts- und Altersversicherung in Kraft besteht, ganz erkleckliche Summen angesammeit haben, sind andere nicht in der Lage gewesen, zu einem größeren Vermögensstande zu gelangen, als im Gesetze vorgeschrieben ist. Diese Verschiedenheit der Ver mögensbestände würde keinen Anlaß zu öffentlichen Betrach tungen geben, wenn nicht einige Anstalten vorhanden wären, die nicht einmal die vom Gesetze vorgeschriebenen Summen angesammelt haben. Im Unterschiede von der Unfall Versicherung, bei welcher das sogenannte Umlagesystem für die Deckung der Kosten zur Anwendung kommt, ist für die Invaliditäts- und Altersversicherung das modi ficirte Capitaldeckungsverfahren gewählt, bei welchem die Fetrillrtsn. Die Frau im Spiegel der Frau. Culturbilder aus aller Herren Länder. V. Die russische Frau. Von ArapBety (St. Petersburg). Nachdruck verboten. DaS Leben und die Erziehung der russischen Frau der höheren Gesellschaft, sowie des Beamten- und des Bürger standes ist eine so eminent verschiedene, daß man sie kaum zusammen nennen kann. Die Frau der oberen Gesellschaftskreise unterscheidet sich nur sehr wenig von der Französin. Die Töchter des Adels werden ssn Stiften, sogenannten Instituten, Lehr- und Er ziehungsanstalten, welche streng abgeschlossene Internate bilden, erzogen. Nur kurze Zeit im Sommer wird es den jungen Mädchen gestattet, ihre Familie zu besuchen. Sie er halten eine vorzügliche Bildung, lernen vier Sprachen, be herrschen und bekommen hier eine, ich möchte sagen „elegante Erziehung", tragen eine häßliche, unkleidsame Stiftstracht und führen ein fast klösterlich einfaches Leben. Treten diese jungen Mädchen ins Leben, so lernen sie gleich das üppigste, oberflächlichste Salonleben kennen, heirathen meistens früh und oft ohne Neigung, denn sie erlangen erst dadurch Freiheit und gesellschaftliche Stellung. Die vornehme Russin ist eine elegante Salondame und doch bleibt sic meistens eine vorzügliche Mutter. Wirthschaftlich werden an diese Frauen kaum Ansprüche gestellt, da ihre Lebens stellung es ihnen meistens gestattet, einen Troß von Diener schaft zu halten. Außer der Amerikanerin giebt eS wohl kaum eme andere Nation, in der die Frau eS in dieser Hin sicht so bequem hat. Denn selbst in kleinen, bescheidenen Verhältnissen verlangt es die Sitte, daß die Frau sich selbst nur wenig abzumühen braucht im Haushalte. Ganz anders liegt nun die Sache bei den Mädchen des armen Adel», de« Mittel- und Beamtenstandes. Hier erst finden wir die Russin, die echte Russin, die streb same, tüchtige, energische Frau. — Die Erziehungsanstalten für diese Mädchen sind Gymnasien, den englischen „bigli scbcxstg" entsprechend; diesen schließen sich die höheren pädagogischen Curse an. Die Lernzeit dauert drei Jahre, der Zweck dieser Curse ist, dir jungen Mädchen zur pädagogischen Thätig keit vorzubereiten; hier lernen sie die verschiedenen Lehr methoden und wiederholen das von ihnen in siebenjährigen Gymnasialcursen Erlernte. Eine ganz eigenartig russische Einrichtung sind Wohl die Parochial-Mädchenschulen. Diese Anstalten sind hauptsächlich für Töchter der Geistlichen und Kirchenbeamten eingerichtet, sie bereiten die jungen Mädchen zn dem schweren Beruf der Dorflehrerinnen vor, wohl in Rußland das schwerste und härteste Loos, welches sich die Mädchen aussuchen, — mit bewunderungswürdiger Energie wird die Aufgabe aber durchgeführt. Im Jahre 1894 belief sich die Zahl der Schülerinnen auf dreizehntausend. Verschlagen in irgend ein kleines todteS Dorf — weit ab von der Bahn und zeglickem Weltgetriebe, — getrennt von Familie und Freunden, bei geringem Lohn, nur eine Bauernhütte als Wohnung, so leben sie, um fick ganz ihrem schweren Berufe zu widmen. Ihre Liebe zum Vaterlande, die Liebe zn ihrem Volke ist eS, waS ihnen die Kraft verleiht, auSzuharren. Selbstlos und ohne Bedürf nisse, ohne jeglichen Umgang, denn die Bauernfamilie ist ost nur ihre einzige Gesellschaft, falls e« keinen Geistlichen oder ein Gasthaus in der Nähe giebt, — so verbringen sie ihr Dasein und sind Pioniere der Cultur in dem weiten russischen Reiche. Zu diesem Berufe, daS haben unsere Männer längst er kannt, eignet sich die Frau weit besser als der Mann. In Rußland ist die Frau die Trägerin der Religion, Sitte und Moral. Denn mitten in dem weiten großen Reich wirkt sie nicht mir als Lehrerin, sie ist die eigentliche Erzieherin ihre« Volkes, sie hat den größten Einfluß auf die ungebildeten Massen. Das aber wissen auch Unsere Männer, und deshalb stehen sie den Frauen fest zur Seite, unterstützen ihre Be strebungen nach jeder Richtung hin mit allen Mitteln. Im Jahre 1876 wurde aus Allerhöchsten Ukas die Grün dung höherer Fraucncurse in verschiedenen Fächern ange ordnet; so entstanden die Anstalten in Kasan, Petersburg und Kiew. Eingelbeilt werden sie in zwei Facultäten, die geschichtlich philologischen und physiko-matbematischen. DaS Programm ist ein sebr umfassende-; die Dauer dieser Curse ist vier Jahre. Diese Anstalten werden beinahe nur au« Privatmitteln unterhalten, alle wirken dazu mit, Professoren, Schriftsteller, gelehrte Gesellschaften, Jeder in seiner Wesse. Die medicinischen Curse haben in Rußland großen Segen gestiftet, die weiblichen Aerzte prakliciren hauptsächlich in Dörfern, wo sie die Oberaufsicht über das OrtskrankenbauS haben; in unseren südöstlichen Gouvernements ist ihre Hilfe unschätzbar unter der mohamedanischen Bevölkerung, wo die strengen, religiösen Vorschriften der Frau die Hilfe des männ lichen Arztes verbieten. Diese Curse wurden leider aus rein praktischen Gründen im Jahre 1888 geschlossen. Jetzt aber besitzen die Frauen Petersburgs ihre eigene medicinische Akademie. Sie brauchen nicht mehr ins Ausland zu wandern, um sich einen Beruf zu schaffen. Im eigenen Lande, von dem Elternhause aus, können sie ihrem Studium obliegen und sich eine unabhängige Stellung im Leben schaffen. In Ruß- land fürchtet man die Concurrenz der Fran nicht, denn für Tausende und Abertausende von tüchtigen Aerztinnen hat daS Land Platz und Brod. Den Ausdruck der „Inferiorität" für die Frau kennt man in Rußland nicht. Woher wohl? Ich glaube, es kommt einfach daher, daß man nie versucht hat, unseren Frauen diese Idee zu suggeriren. Als gleichwerthige Geschöpfe wachsen sie neben und mit dem Manne auf. Die Trennung der Geschlechter ist viel weniger streng als in Deutschland, der Jüngling und die Iungfrau?verkchren harmloser mit ein ander, der russische Mann hat Achtung vor der Frau, weil er sie mehr als Kameradin betrachtet, er lernt sie in der Arbeit kennen. Die Stellung der Frau im Hause und im öffentlichen Leben ist eine unvergleichlich angenehmere als z. B. die der deutschen Frau. Im Hanse ist die Frau, wie schon oben erwähnt wurde, verwöhnt durch die Dienerschaft, selbst in kleinen Verhältnissen. Die Frau ist Herrin, Mutter, selten nur Köchin. Als Mutter genießt die Russin eine hohe Achtung auch bei ihren erwachsenen Söhnen, denen es nie in den Sinn kommt, ihre Mutter als minderwerthiges Wesen zu betrachten. Dem russischen Jüngling, ja selbst dem reifen Manne bleibt die Mutter ein Heiligthum; eS giebt Wohl kaum ein zweites Volk, in welchem dieses Gefühl der Achtung vor der Mutter so stark zum Ausdruck kommt. Nicht nur in der guten Gesellschaft, nein überall, auch im ungebildeten einfachen Manne lebt dieses Gefühl. Das Wort „Matuschka" (Mütterchen) ist ein sehr beliebter Kosename des Volkes (Matuschka Rossia: Mütterchen Rußland, Matuschka scmlja: Mütterchen Erde rc.). Der TypuS einer alten Jungfer ist in Rußland nament lich im Volke fast gänzlich unbekannt. — Es mag wohl daran liegen, daß es kaum mehr Frauen al- Männer giebt. Giebt eS in einem Dorfe eine „alte Jungfrau", so ist sie ge schätzt und wird von Jung und Alt verehrt. Diese Art und Weise der Verehrung erinnert an ältere Zeiten, an die Stellung der Vestalinnen bei den Römern, der Prophetinnen bei den Germanen. Stirbt eine „alte Jungfrau", so wird sie, wenn sie auch 70 Jahre alt geworden, einer Braut gleich mit Schleier und Kranz geschmückt, und Alle, die ganze Be völkerung nimmt theil an solch einem Begräbniß. Der Bauer heirathet früh, oft noch als Jüngling — die Frau ist ihm nothwendig, weil sie ihm den größten Theil der Sorge nicht nur ums HauS, nein, auch um Feld und Vieh abnimmt. Die Bäuerin ist arbeitsam und nüchtenl, während der russische Mann leider dem Trünke stark er geben ist. Der Charakter der Bäuerin ist oft schwermüthig, sie lebt dahin in freudlosem Dasein, den Kampf des Lebens kämpfend. Oft wird sie früh verlassen, denn Tausende von Männern ziehen als Arbeiter in die großen Städte und kebren oft erst nach Jahren beim zu Weib und Kind, oft überhaupt nicbt. Sie vergessen, daß sie Weib und Kind besitzen, die Fran aber arbeitet ruhig weiter und singt ihre traurigen, ein förmigen, sehnsuchtsvollen Lieder dazu. Die Stellung vor dem Gesetze ist eine nur in wenigen Puncten günstigere als die der deutschen Frau — aber im Allgemeinen ist doch ihre Stellung eine dem Manne gleich- werthigere. Der Charakter der russischen Frau ist im Ganzen apathisä, und indolent, so lange sie vom Leben unberührt bleibt, — treten aber große Aufgaben an sie heran, so stürzt sie sich mit ganzer Leidenschaftlichkeit hinein und entwickelt eine bewunderungswürdige Ausdauer, ein großes Derständniß für die die Zeit bewegenden Fragen. Alles Kleinliche liegt der russischen Frau fern, — sie ist, wie auch der russische Mann, ein Wesen mit stark ausgeprägtem socialen Empfinden. An ihrer Kirche, an ihrer Confession hält sie zäh fest und ist gläubig auch bei boher geistiger Entwickelung. Viel Gutes, Edles liegt in diesem Volke, namentlich auch in der russischen Frau; — wenn sie hält, WaS sie verspricht; so hat ihr Geschlecht und ihr Volk eine große, schöne Zukunft, zu deren Verwirklichung eben am allermeisten die Frau bei tragen kann!
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