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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.08.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-08-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960805028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896080502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896080502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-08
- Tag1896-08-05
- Monat1896-08
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Nachdem doö Centralorgan der deutschen Socialvemokratie — übrigens im Thatsächlichen immer noch weit hinter der Wahrheit zurückbleibend — daS „Traurige und Schmachvolle" an dieser solennen Veranstaltung des „internationalen vereinigten Proletariats" als ein Jeremias besungen, sagt er die üblichen Verheißungen von dem überall siegreich wehenden Banner des Socialismus in einem ge preßten Tone her, der deutlich verräth, nicht, daß der Londoner Kongreß vom Anfang bis zum Ende ein schmähliches Masco gewesen ist — das war schon vorher bekannt —, sonoern daß die Liebknecht, Bebel u. s. w. von dem Be wußtsein ihrer Niederlage vollkommen beherrscht sind. Ein Wunder ist das freilich auch für Diejenigen nicht, die die Verstellungs- und Täuschungskunst der genannten Herren kennen. In London ist eben Alles sehlgeschlagen. Während auf dem Züricher Congreß, auf dem man sich zwar auch prügelte, die „Deutschen" doch so viel erreichten, daß noch Monate nachher Presse und Versammlungen in Frankreich die nationale Eifersucht der französischen Brüder und Genossen wider spiegelten, sind in London die biö zuletzt fortgesetzten Balgereien nur Unterbrechungen der der „glänzendsten social demokratischen Partei Europas" bereiteten Niederlagen gewesen. Das sür uns allein einzig BeachtenSwerlhe ist das Mißlingen der von Deutschland aus zum Zwecke der Irreführung der deutschen „Bourgeoisie" geplanten solennen (wenn auch natürlich nur formellen) Lossagung von den Anarchisten. Die Anarchisten sind zu einem Theile von den Holländern als solche zugelassen worden, zum Theil als Vertreter von Gewerkschaften; der Beschluß auch hinsichtlich der Letzteren schließt die Anerkennung in sich, daß man Anarchist sein und doch zu dem „Parlament des internationalen Proletariats", als welches der Svcialistencongreß nicht am wenigsten laut von den deutschen Socialdemokraten proclamirt worden ist, ge hören *c»nn. Au: empfindlichsten für die Hintermänner des „Vorwärts" wurde die Behauptung von der thatsächlichen Unversöhnlichkeit von Socialdemokratie und Anarchismus durch dieThatsache Lügen gestraft, daß vonLiebknecht ausdrücklich als solche anerkannte englische Socialdemokraten an dem gleich zeitig mit dem socialistischen abgebaltenen Anarchistencongreß wie dazu Gehörige theilnahmen. Die Existenz solcher „Zwei bändermänner" zeigt deutlich die Agitations- und Ziel gemeinschaft beider revolutionärer Richtungen und bekräftigt daS Recht, eine Propaganda von der Art der socialdemokratischen für Gemüthszustände, die Unthaten wie die Ermordung Earnot's reisen lassen, mit verantwortlich zu machen. Wenn man von den gegenseitigen physischen und moralischen Mißhandlungen und deren schließlicher Erfolglosigkeit im Sinne der deutschen Socialdemokraten absiehl, so bleibt von dem Congreß so gut wie gar nichts übrig, jedenfalls nichts, was der Rede Werth wäre. WaS schon oft beschlossen worden war, wurde nochmals beschlossen. Zu erwähnen ist noch, daß die Deutschen auch bei der Abstimmung über die „Erziehungs resolution" unterlegen sind. Praktische Bedeutung hat das natürlich nicht. Ob den Opfern der Agitation etwas mehr over weniger Sand in die Äugen gestreut wird, ist gleich- giltig. Unangenehmer ist schon sür die gewerkschafts feindlichen deutschen Führer, daß in einer Resolution mit dürren Worten gesagt wird: „Die Organisation der Arbeiterclasse ist unvollständig und unzureichend, wenn sie nur politisch ist." Die Concurreuz wird nickt ver fehlen, diesen Beschluß auSzubeuten. Recht schmerzlich ist auch sür die eitelsten unter den eitlen „Proletariern", die deutschen nämlich, die Theilnahmlosigkeit, welche die Bevölkerung Londons gegenüber der internationalen socialistischen Veranstaltung gezeigt hat. Freilich war sie noch angenehmer, als das Interesse der Einwohnerschaft von Lille, wo ein dieses Con- gresses durchaus würdiges Vorspiel aufgeführt worden ist. Nach wechselnden Schicksalen, deren Geschichte zum Theil noch im Dunkeln ist, haben sich die „unverbindlichen Vor schläge" des Herrn von Berlepsch über die Organisation dcs Handwerks zu einem Gesetzentwurf in Gestalt einer Novelle zur Gewerbeordnung verdichtet. Fertiggestellt ist der nun mehr bekannt gegebene Entwurf schon seit geraumer Zeit, aber die Unschlüssigkeit und Wohl auch Uneinigkeit maßgebender Factoren, die diesem gesetzgeberischen Unternehmen gegenüber hervortraten, scheinen auch hinsichtlich der Veröffent lichung obgewaltet zu haben. „Unverbindlich" ist der Entwurf übrigens geblieben, wenigstens hat man es nicht mit Vorschlägen des Bundesrathes zu tbun, und ob im Schovße der preußischen Regierung über das Ganze der Organisation Uebercinslim- mung herrscht, steht zum Mindesten nicht außer allem Zweifel. In der Beurtheilung der Vorschläge hat man sich, obwohl der größere Theil ihres wesentlichen Inhalts — nicht der ganze — „durchgesickert" war, vorerst Zurückhaltung auf zuerlegen, da die keineswegs überall durchsichtige Codification ein klares Erkennen des Aufrisses dcs Organisationsbaucs nicht erlaubt und die Begründung, die hoffentlich LaS volle Verständniß ermöglichen wird, noch nicht veröffentlicht ist. Von der ganzen Klarheit des seiner Sache sicheren Meisters sind die Schöpfer deö Entwurfs anscheinend nicht erfüllt ge wesen, sie hätten sonst Wohl ihrem Bau (ZwangSiunung, obligatorischer Handwerksausschuß, obligatorische Handwerks kammer) nicht den fakultativen Jnnungsverband sür Zwangsinnungen und freie Innungen, welche letztere unter Umstände» fortbestehen können, angeklebt. Wie dem aber >'ei und wie sich das Bild in allen Einzelheiten gestalten mag, dieser Entwurf leidet an einem Grundfehler, vor dessen Be seitigung uns die' weitere Verfolgung dcs Gegenstandes unzulässig erscheint. Die „Nat.-lib. Corr." erörtert diesen Grundfehler folgendermaßen: „Vor weniger als Jahres frist wußte ein Berliner Blatt zu melden, die Zwangs organisation des Handwerks, insbesondere die obligatorische Innung würde nur für einen Theil des Reiches ein geführt werden, nämlich sür diejenigen Bundesstaaten, deren Regierungen sich mit ihr befreunden könnten, für die anderen nicht. Die nationalliberale Presse hat damals theils den entschiedensten Einspruch gegen einen solchen Plan erhoben, theils das Eingehen auf eine Möglichkeit abgelehnt, die sie als ungeheuerlich für ausgeschlossen erachten zu müssen glaubte; jetzt stellt sich jedoch jene Meldung als vollkommen begründet heraus. Der veröffentlichte Entwurf durchbricht thalsächlich die deutsche Rechts ein heil auf dem Ge biete der Gewerbegesetzgebung. Wir sehen davon ab, daß in denjenigen Bundesstaaten, die gesetzliche Ein richtungen zur Vertretung der Interessen des Handwerks (Handels- und Gewerbekammern, Gcwerbckammer») besitzen, die Landesregierungen diesen Körperschaften die Rechte nnd Pflichten der in dem Entwurf vorgeschlagencn Handwerks kammern unter gewissen Voraussetzungen übertragen können; diese Befugniß berührt das Fundament der geplanten Organisation nicht. DaS Fundament bilden die Zwangs innungen. Nun aber sagt der K 82 des Entwurfs, nach dem er die die Zahl 70 überschreitenden Gewerbe aus gezählt, sür die Innungen errichtet werden müssen, das Folgende: „Dieses Verzeichuiß kann durch Beschluß des BundcSrathes und mit seiner Zustimmung für das Gebiet eines Bundesstaates oder Theile eines solchen durch Anordnung derBuudes-Centralbehörde abgeänderl werden. Abändern — d. h. hinzuthun, aber auch Hinwegnehmen, mit hin sich die Zwangsinnung in einer gesetzlich nicht be grenzten Anzahl von Gewerben vom Leibe halten. Daß die „Abänderung" sür einzelne Bundesgebiete von der Zu stimmung dcs LandcSrathes abhängig gemacht ist, muß nach Lage derDinge als praktisch wertblvS augeschen werden. Absatz 2 dcs H 82, insoweit er territoriale Verschiedenheiten zuläßt, ist offenbar eine Concession an diejenigen Regierungen, die der Zwangsinnung im Allgemeinen abgeneigt sind. Diese Regierungen würden sich mit der vorgeschlagencn Fassung nicht begnügen oder, wie man Wohl sagen darf, nicht begnügt haben, wenn sie nicht darüber beruhigt wären, Preußen werde für die von ihnen ins Auge gefaßten Ausnahmen eine Mehrheit im Bundesrathe bilden helfen. Daß die Ausnahme in einzelnen Staaten die Regel sein würde, dafür bürgt außer der bekannten Auffassung einer Reihe von Regierungen auch die Stimmung der Handwerker in großen Tbcilen des Reiches. Thatsächlich soll hier eine gewerbepolitischc Main linie entstehen, nur daß sie sich viel weiter nördlich hinzieheu würde, als die glücklich beseitigte politische. Nach Annahme dieses Gesetzes, das den größten Theil von Süd- und Mittel deutschland gcwerberechtlich außer Schußlinie brächte, wäre die Einführung des Befähigungsnachweises in Norddeutsch land nur eine Frage kurzer Zeit, — nnd dann hätte Deutsch land aufgehört, ein einheitliches Wirthschasts- und Arbeits gebiet zu sein. Aber auch ohne Erwägung dieser Consequenz muß die rechtliche Zerreißung des Reiches auf dem Wege der Reichsgesetzgebung als etwas Unerträgliches bezeichnet werden. ES ist schon traurig genug und geradezu unverständlich, daß die deutsche Vormacht solchen Gedanken überhaupt Raum a:cbt und noch dazu in einem Augenblick, wo kaum die Worte verhallt sind, mit denen der preußische Ministerpräsident Deutschland zum Zustandekommen des Bürgerlichen Gesetz buches beglückwünscht hat." Aus Frankreich wird der Bankerott einer social demokratischen Gründung gemeldet. Bekanntlich wurde auf Veranlassung der socialdemokratischen Agitatoren in Carmaux nach dem Ausbruch der Streiks in den dortigen Glashütten eine „Arbeiterglashütte" gebaut und die in Carmaux entlassenen Arbeiter wurden dabei verwendet. Jetzt ist über diese ArbciterglaShütte von Nive-de-Gier die gericht liche Liquidation verhängt worden. Die Ursachen des Zusammenbruchs waren verschiedener Art: Erstlich wurden die Actien, die einen Werth von 250 Francs hatten, mit 500 Francs bezahlt. Dann mußten die aus ständigen Arbeiter der Fabrik Richarme <L Comp., deren Wiedereröffnung man vereiteln wollte, beschäftigt werden, so daß der Sechöstnndentag nicht mehr genügte und ein Turnus eingesührt werden mußte, in dem die Arbeiter nur vierzehn Tage im Monat arbeiteten. DieSpesen blieben die gleichen, so die Verzinsung der Obligationen im Betrage von 300 000 Francs, und die Arbeiter erhielten schließlich nur einen Theil ihres Lohnes, was die meisten veranlaßte, sich anderwärts ihren Unterhalt zu suchen. Die Leiter des Unter nehmens meldeten am 23. Juli ihre Insolvenz beim Handels gerichte von Saint-Etienne an und wiesen in ihrer Bilanz Activen in Hohe von 355 000 Francs und Passiven im Betrage von 5l0 000, davon ein Fünftel an rückständigen Löhnen, aus, wobei die Summen, auf die die Arbeiter verzichtet haben, sowie die von ibnen angekauften Actien nicht inbegriffen sind. Bei derartigen Gelegenheiten, so sagt mit Recht die „Täglich - Rundschau", erweist es sich, daß die Organisationskraft dcc> SocialisinnS von den Anhängern der Lehre, aber auch vcn Gegnern der Doctrin ganz gewaltig überschätzt zu werden pflegt. Die Socialdemokratie fürchtet sich nicht vor dem Problem, die Welt nach einem System umzusormen, aber ein Versuch im Kleinen, das Experiment, eine Bäckerei oder eine Fabrik aus Grundlage von Parteiideen aufzurichten, ist bisber jedesmal mißlungen. Ebenso ist es bis jetzt mit com- munistischcn Unternehmungen wie noch kürzlich erst mit der Ansiedlung des Advocaten Hertzka in Ostafrika gegangen. Die parlamentarische Situation des spanischen Mini steriums (Canovas del Castillo) hat in neuerer Zeit eine nichl unwesentliche Beeinträchtigung dadurch erfahren, daß die Opposition ihre Zustimmung zu den von der Regie rung geplanten Finanzmaßrezcln verweigern zu wollen er klärte. Spaniens Finanzen sind zur Zeit nichts weniger venn blühend, weshalb, ergiebt sich schon aus der bloßen Nennung des Wortes „Cuba". Wäre es nach der Rech nung des leitenden Staatsmannes gegangeu, so hätte d:e Kammer seinem Finanzplanc on dloo zugestimmk, der Sessionssckluß hätte zeitig erfolgen tonnen und das Cabiue: bis zur Wiederaufnahme der Sitzungen, d. h. bis in das nächste Jahr binein, vor den Kritiken der Opposition Ruhe gehabt. Durch diese Rechnung nun hat die Ablehnung der Opposition, den Finanzvorlagcn des Cabinets unbesehen zuzustimmen, einen dicken Strich gezogen. Sic bereitet im Gegentheil den Regierungsvorlagen erbitterten Widerstand, und die Folge davon ist eine an den leitenden politischen Stellen höchst unliebsam vermerkte Ausdehnung der Kamme: Verhandlungen. CanovaS bat erklärt, daß er, um den an die Staatscasse herantretenden Forderungen der KriegSverwaltnng gerecht werden zu können, außer ordentliche Hilfsquellen erschließen, oder aber von seinem Posten zurücktreien müsse. Damit hatte er aber auf l-e Minderheitsparteien keinen Eindruck gemacht, sei eS, weil die selben seine DemissionSankündiguug nicht ernst nahmen, - . es, weil sie der Meinung waren, daß die Balancirung dce Budgets auch auf anderem Wege, als dem von Herrn Canooa.' beliebten, fick bewerkstelligen lassen dürfte. Demgemäß er klärten die Wortführer der Opposition, sie seien wohl zur Bewilligung ter außerordentlichen Crcdite für Cuba bereit, könnten aber der Enbloc-Annahme des ministeriellen Finanz planes nicht beipflichten, insbesondere nicht der Erneuerung des Pachtvertrages mit der Gesellschaft der Ouecksilberbcrg- wcrke von Älmaden, weil dieser Vertrag den Interessen der Staatsfinanzen zuwiderlanfe. Ebenso schwierig zeigte sich die Opposition in Ansehung der Eisenbalm- subveutionen. Gerade aus die Annahme dieser beiden Vorlagen vor Sessionsschluß nun hatte aber die Negierung den größten Werth gelegt, weil sie den Interessenten gegen über Verpflichtungen eingezangen ist, deren Einlösung in Frage gestellt wird, sobald infolge der Lbstrnctionstaktu der Opposition die Erledigung dieser Vorlagen vor Schluß der Kammertagung unmöglich gemacht wird. Man spricht davon, daß während der Kammerferien die Verhandlungen zwischen der Negierung und den Interessenten an den erwähnten Finanzmaßregeln sortgcführt werden sollen, damit die Regie- Lenilletsn. Jim Pinkerton und ich. Roman von R. L. Stevenson und Lloyd Osbourne. 33) Autorisirte Bearbeitung von B. Kätscher. Nachdruck verboten. „Sie haben mir wirklich einen großen Dienst erwiesen," fügte er hinzu. „Ich war bei der Eisenbahn sehr zufrieden. Hoffentlich haben Sie ebenfalls Glück gehabt."» „Leider nicht! Ich schlage vie Zeit noch immer hier mit Zeitungslectüre todt. Handel und Gewerbe liegen darnieder und für Leute mit meinen Ansprüchen ists schwer, etwas zu finden. Wohl habe ich mich inzwischen als Billardmarqueur versucht, aber die Bezahlung war schlecht und die langen Nachtwachen paßten mir wegen der Gesundheilsschädlichkeit nicht. Ich mag kein Knecht sein." Dennoch war er nicht zu stolz, von dem dankbaren Norris ein Goldstück anzunehmen. Sehr hnngrig geworden, machte der Ex-Erdarbeiter sich nunmehr ans den Weg zum „Paris- House", um zu speisen. Unterwegs hörte er Jemanden rufen: „Bei Gott, es ist Herr Carthew! Halloh!" Sich umwendend, stand der Angerufene einem hübschen, sonnverbrannten, etwas beleibten Jüngling gegenüber, der äußerst elegant gekleidet war und einen Strauß sehr kost barer Blumen im Knopfloch trug. Norris erinnerte sich, ihn in den ersten Tagen nach seiner Ankunft in Sydney bei einem feinen Souper kennen gelernt und liebgewonnen zu haben. Tom Hadden — in der Hauptstadt von Neu-SüdwaleS allgemein einfach als „Tommy" bekannt — war der Erbe eines großen Vermögens, das sein mit Recht vorsichtiger Vater aber klugerweise letztwillig in die Hände strenger Vormünder legte. Die jährlichen Zinsen verschwendete der junge Mann immer binnen drei Monaten in Sydney, um dann die übrigen neun zur See oder in der Zurückgezogenheit einer oder der anderen kleinen Insel zu verbringen. Seit einer Woche war er zurück, fuhr fleißig in feinen Miethwagen spazieren und ließ sich sechs neue theure Anzüge machen. Dabei störte es ihn gar nicht, daß Carthew Arbeiterkleider anhatte und ein Bündel trug. .Mollen Sie nicht auf einen guten Trunk mit mir kommen?" fragt« Hadden. „Ich habe noch nicht gegessen. Jetzt gehe ich ins Paris- House gabeln. Seit sehr langer Zeit habe ich nicht anständig gespeist." „Ausgezeichnete Idee das! Ich habe zwar erst vor einer halben Stunde gefrühstückt, aber ich will dennoch mit Ihnen gehen und etwas genießen. Das wird mir wohlthuu, denn die letzte Nacht habe ich durchschwärmt und heute habe ich schon sieben Bekannte getroffen und mit jedem einen guten Tropfen getrunken. Donnerwetter!" Alsbald saßen sie in einem Extracabinet jenes besten Speischauses von Sydney und schenkten den feinsten Gerichten die gebührende Aufmerksamkeit. Die Aehnlichkeit ihrer Lebenslagen brachte sie einander rasch näher und bewirkte einen Austausch vertraulicher selbstbiograpbischer Mit- tbeilungen. Carthew erzählte von seinen Erlebnissen als Sounenbruder auf der Domäne und als Eisenbahnarbeiter bei Clifton, Hadden von seinen Erfahrungen als dilettantischer Coprabändler in der Südsee und von der Lebensweise auf einer Koralleninsel. Norris ersah ans Allem, daß das Dilettiren in Erd arbeiten ibm weit mehr eingebracht hatte als dem queck silbernen Tommy das Dilettiren in der Kanfsahrtei. Freilich hatten Hadden's Schiffe wenig Copra, dafür aber desto mehr Flaschenbier und rothen Sherry zu eigenem Ge brauch geführt. „Auch Champagner nahm ich mit, doch nur für den Krank- beiköfall. Als ich indeß sah, daß es mit dem Krankwerden durchaus nicht werden wollte, öffnete ich jeden Sonntag eine Flasche zum Gabelfrühstück. Vorher verschlief ich den ganzen Morgen und nachher lag ich in der Hängematte und las Hallam's „Geschichte des Mittelalters". Haben Sie dies Buch gelesen? Auf meine Jnselfahrten nehme ich immer etwas Schwereres zum Lesen mit. Doch was ich sagen wollte: wenn man die Sache minder kostspielig durchführt, als ich und sie zu zweit unternimmt, so lohnt sie gewiß gut. Ich bin ziemlich angesehen, eine Art Häuptling, habe eine starke Partei hinter mir. Ueber dreißig CowtopS haben gleichzeitig auf meiner Veranda gesessen und sich an meinem Büchsenlachs gütlich gethan." „Eowtops? Was ist das?" „Nun, Hallam würde es Vasallen nennen. Sie sind meine Anhänger und gehören gleichsam zu meiner Familie. Sie kommen mich übrigens theucr zu stehen. Es kostet nicht wenig, alle diese Leute mit Büchsenlachs zu füttern. Darum setze ich ihnen lieber Tintenfisch vor, wenn ich welchen kriegen kann. Er ist billiger und sie essen ihn gern. Für die Ein geborenen mag er gut sein, ich selber liebe ihn nicht. Und Sie?" „Ich habe noch nie Tintenfisch gegessen. Doch was hat's mit Ihrer Aeußerung auf sich, daß zu zweit der Gewinn steigen würde? Wie ist das zu verstehen?" „Ich will's Ihnen ausrechneu, schwarz auf weiß!" Und er begann, die Rückseite der Speisenkarte mit Zissern-Lust- schlössern zu beschmieren. Er batte eine ungewöhnliche Be gabung im Plänemachen. Die geringste Andeutung irgend einer Speculation entlockte ihm ganze Seiten voll Zahlen. Eine lebhafte Einbildungskraft und ein rasch arbeitendes, wenngleich unvcrläßliches Gedächtniß waren die Hauptquellen seiner Daten. Er sprach fortwährend mit dem größten Eifer, gewissermaßen mit Kampflust, ließ es an Widerspruch nicht fehlen, warf mit Phrasen um sich und erwies sich bald als klug und weise, bald als naiv und unerfahren. „Haben Sie eine Ahnung, was dies hier kosten würde?" fragte er, auf einen Posten in seinen Ausschreibungen zeigend. „Nein!" „Sagen wir: Zehn Pfund." „Oho, so geht daS nicht!" protestirte Carthew. „Wenigstens das Fünffache." „Soeben sagten Sie noch, daß Sie keine Ahnung haben. Wie soll ich da rechnen können? Seien Sie doch ernst." Er ließ sich bewegen, den Posten mit zwanzig Pfund ein zustellen, setzte ibn aber, als die Rechnung ein Deficit ergab, auf fünf Pfund herab und rief: „So, jetzt stimmt's! Ich wußte ja, daß eS mit zwanzig nicht gehen würde. Derlei will genau berechnet sein." Diese nnd ähnliche Bocksprünge wollten Carthew nicht einleuchten, allein nachgerade nahm Hadden's Hauptplan — Kauffahrtei sür gemeinschaftliche Rechnung — greifbare Gestalt an. NorriS verfügte über etwa 150, Tommy über rund 500 Pfund — warum nicht noch Jemanden beranziehen, um ein Schiff miethen und auf eigene Faust Geschäfte machen zu können? Beide verstanden etwas vom Seewesen, und Geld war zweifellos zu verdienen, sonst würden nicht so viele Handelsschiffe zwischen den Inseln kreuzen. „Allermindestens", meinte Tommy, „leben wir umsonst, so lange wir zur See sind, und das ist auch etwas, wenn wir schon gar nichts verdienen. Doch jetzt müssen Sie sich neue Kleider kaufen; dann wollen wir eine Droschke nehmen und zum „Schönen Teufel" fahren." „Ich behalte daS Gewand, das ich auhabe." „So? Ich kann nur sagen, baß ick» Sie bewundere. Sie scheinen ein wahrer Philosoph zu sein." „Das nicht, aber wenn wir Ihren Plan ausführen sollen, muß ich mein bischen Geld Zusammenhalten." „Na, und ob wir den Plan auSführen! Aber die Geschichte muß unter Ihrem Namen gehen, Carthew. Denn ich bin reich, Sie aber haben, wenn die Sache mißlingt, nicht viel zu verlieren." „Mißlingt? Ich dachte, sie könne nicht mißlingen? Sagten Sie vorhin nicht so?" „Vollständig sicher ist im Geschästsleben gar nichts, nicht einmal das Buchmachen bei Wettrennen." Man fuhr zum „Schönen Teufel", einer mit einem Thce- garten verbundenen Schenke, dem Eigenthum des CapitainS Bostock, der ein sehr bewegtes Kauffahrteileben hinter sich hatte. Er war mit allen Salben geschmiert und konnte in allen Mundarten, die zwischen den Tonga- und den Admi ralitäts-Inseln gesprochen werben, lügen und ausschneidcu. Er batte das Ende des Sandelholz- und des Oelhandels in der Südsee erlebt, deu Beginn der Copra-Operationen mit gemacht und als Erster Mcnschenzähnr als Handelsartikel in die Gilbert-Inseln eingefübrt. Aus Fidschi stand er wegen Todtschlags vor Gericht; auf Neu-Irland erhielt er sieben Speerwunven; 12 von den 75 eingeborenen Freiwilligen, die er einmal als Arbeiter mitnahm, starben an Verletzungen, die er ihnen beibrachte; auch den Tod des Bischofs Pattesou verschuldete er mit. Diese und andere Liebenswürdigkeiten aus der Laufbahn des einstigen CapitainS erzählte Hadden seinem Genossen während der Fahrt. „Und diesen alten Wütherich sollen wir aufsuchen! Wozu das?" „Warten Sie ab!" antwortete Tommy. „Der Kerl weiß Alles und kennt Alles." Beim Aussteigen sielen ihm Gestalt und Gesicht deS Kutschers auf. Dieser sah wie ein Seemann aus, hatte kurze Hände, blaue Augen und eine rothe Hautfarbe, war plump und asthmatisch und mochte ungefähr 40 Jahre alt sein. „Haben Sie mich schon einmal gefahren?" fragte Hadden. „Sie kommen mir hekannt vor." „Sie waren schon oft mein Fahrgast. Zuletzt brachte ich Sie vorige Woche zum Rennplatz, Herr Hadden!" „Gut! Kommen Sie mit hinein und trinken Sie etwas aus mein Wohl." Bostock kam dem Kleeblatt entgegen, em langsamer, sauer-
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