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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.08.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-08-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960822016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896082201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896082201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-08
- Tag1896-08-22
- Monat1896-08
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BezugS-PreiS Die Morgen-Aw-gabe erscheint um '/,7 Uhr. di« Abend-Au-gabe Wochentag- um ü Uhr. Rrdartts« vud LrpetzMou: Aoham»r««aGr 8» Dir Expedition ist Wochentag« ua unterbrochen V-Ißm von früh 8 di« Abend« 7 Uhl. Frnalen: Dtt» Klemm'« Kortin,. iAtkrr» Hahn). Universitüt-straß« S (Paultuum), konts Lösche. Katbannenstr. 14, Part, und König-Platz 7, v«irk und den Bororten errichteten Lu»- aabestellen adgrbolt: vierteljährlich4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« vaus bckO. Durch di« Post bezogen für reutschland und Oesterreich: viertestäbrlich ^l 6.—. Directe tägllche Kreazbmdsendua- 1»« «u-laud: monatlich 7ckO. Morgen-Ausgabe. KiMM Tagtblalt Anzeiger. Ättttsbkatt des Königlichen Land- und Imtsgerichles Leipzig, des Nattjes und Volizei-Ämtes der Ltadl Leipzig. Anzeigen'PreiS dte 8 gespaltene Petitzeile rv Psg. Rrclamen unter demRedactionSstrich l4ge. spalten) öO/^, vor den FamiUeunachrichtr» lkgejpalter) 4t)^h. Gröbere Schriften taut unserem Preis« verzeichuiü. 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Die deutsche Frau erfüllt eine Menge der für da« Wohl deS Volkes wichtigsten Pflichten in ihrem Hause, und die- schließt eine Tbätigkeit nach dem Muster der vorgenannten Frauen theilweise auS. Gleichwohl ist die Betrachtung der Kämpfe der Frauen Amerikas, Englands, Skandinaviens und Finnlands wider den Alkohol nicht nur von Interesse; diese Kämpfe verdienen nicht nur unsere An erkennung; sondern die erlangten großen Resultate müssen uns überzeugen, daß man auch in Deutschland der Antheil- nahme der Frauen an den Mäßigkeitsbestrebungen nicht ent behren kann. DenAmerikanerinnen gebührt daSVerdienst, die Initiative bereits in den Jahren 1873 und 1874 ergriffen zu haben. Durch eine Amerikanerin ist die englische Frauenwelt für den Kampf wider den Alkohol erweckt worden. Die Gründung der „Nationalen Bereinigung christlicher Frauen zur Förderung der Mäßigkeit" in Amerika (National >VomeN8 6iiri8tiuu I'omxeruuce Union) war die erste epochemachende That. Ihre Folgen zeigten sich in der verhältnißmäßig bald ein tretenden Schließung von Tausenden von Whisky-Verkauss- stellen. 1883 erlangte die Vereinigung die Rechte einer juristischen Person. Ihre Organisation gliedert sich in die Abtheilungen für die Ausbreitung der Bewegung, für Er ziehung, für Predigt des Evangeliums, für feciale Fragen, für Gesetzgebung und für alle mit der Bewegung verwandten Interessen. Die Errichtung eines Hospitals in Chicago und einer großartigen Anstalt für Veröffentlichungen aller Art zeugen von der fortschreitenden Thätigkcit der Frauenvereinigung. In der Anstalt werden gegenwärtig 120 Beamte beschäftigt, cira 100 Millionen (nach anderen 230 Millionen) Seiten verschiedenen Inhalts in Traktaten, Blickern und Broschüren sind im letzten Jahre gedruckt worden. Vier Journale werden herausgegeben und die Zahl der Mitglieder der Womons Oüristirru I'empernneo hlnion (^. 6. 1?. 17.) beläuft sich gegenwärtig auf 400 000 Frauen, junge Mädchen und Kinder, darunter 171 000 zahlende Frauen. Außerdem gehören über 19 000 Männer der Vereinigung als Ehrenmitglieder an. Die Einnahmen der Bereinigung belaufen sich auf über 1 000 000 Frcs. jährlich. Es ist unzweifelhaft, daß die IV. 6. 1. II. ihre Erfolge und Bedeutung theils der extremen Art der Verfolgung ihres Hauptzwecks, theils der Verquickung desselben mit religiösen und politischen Nebenzwecken verdankt. Aber gerade um des willen ist zu befürchten, daß dem schnellen Aufschwünge einmal ein schneller Niedergang folgt, oder daß eine allmähliche Veränderung der ursprünglichen Tbatigkeits- richtung eintritt. Die Vereinigung ist eine Macht geworden; man sucht sie, um sich ihrer zu bedienen. Eine Abzweigung der Vereinigung, die >VorIck8 >Vomeu8 Lstri^iau Temperauee Ilnioo, hat sich die Aufgabe gestellt, die Mäßigkeitsivee auf dem ganzen Erdball zur Geltung zu bringen. Sie wird in diesem Jahre eine Monstre-Petition mit Millionen Unter schriften in allen Zungen und Schriftzeichen — ein zeit geschichtliches Unicum — an alle Herrscher versenden. Von Nordamerika verpflanzte sich die Frauenbewegung nach England. Hier sowie in Skandinavien und Finn land, und wie neuerlich in der Schweiz, ist das Bild nahezu dasselbe, oder doch mehr oder weniger ähnlich. Meist hält man sich indeß von der Verbindung der Thätigkeit mit religiös-dogmatischen oder politischen Zielen frei. Zweierlei aber tritt überall hervor: die Stärke der Betheiligung der Frauen an dem Kampfe wider den Alkohol und die großen Erfolge derselben. Die Xatioval LritiIi >Vomeu8 Tomperauee Union zählt 110 000 Mitglieder. In Norwegen sind bei 2 000 000 Einwohnern 57 000 Frauen den verschiedenen Mäßigkeits- und Abstinenzvereinen beigetreten. Der Alkohol verbrauch in Norwegen hat sich seit 1833 im Verhältniß von 16 zu 3 vermindert, waS der Mithilfe der Frauen zu geschrieben wird. Aus alledem klingt eine entschiedene Mahnung an die deutschen Frauen heraus, auch ihrerseits in erhöhterem Maße als bisher ibre Stelle einzunehmen in der weit verbreiteten Arbeit zur Bekämpfung des TrunkübelS. Zunächst gilt es für sie, sich zur Mitarbeit zu befähigen durch Orientirung über die Alkoholfrage. Sie erlangen solche wohl am sichersten durch den Beitritt zu dem rührigen Deutschen Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, oder zu einem der mit ihm verbundenen Dezirksvereine. Dies setzt sie in den Stand, sich mit der einschlägigen Literatur bekannt zu machen, die sie sich mit geringen Mitteln verschaffen können. Ist die Frau aufgeklärt über die Wirkung des Alkohols auf den m-nschstchfn Organismus, über seinen geringen Werth als Stärkung-- oder Nahrungsmittel, über die nut seinem Genüsse verbundene Gefahr für den Trinker» über die verbängnißvolle Uebertragung der durch den übermäßigen Alkoholgenuß herbeigeführten Schädigung von Körper und Geist auf Kinder und Kindeskinder, über den Einfluß der Trink gewohnheiten auf den sittlichen Zustand des Volks und auf seinen Wohlstand, kennt sie die Schwierigkeit der Heilung der Trunksucht, aber auch die sich bietenden Mittel, erkennt sie, wie viel sie in ihrer Macht hat, zu thun, indem sie die Häuslichkeit dem Manne lieb und werth macht, für sein Wohlgefühl inmitten der Seinen sorgt, und wie sie durch die Ordnung des Hauses, durch Erziehung der Kinder und durch eignes Beispiel dem Uebel vorzubeugen vermag, dann wird sie sich erwärmen für eine Mitarbeit a" dem Kampfe, und es wird sich diese Mitarbeit als segen-volle erweisen. Deutsches Reich. * Leipzig, 2l. August. Für die Stimmung, welche der Sturz deS Kriegsministers Bronsart von Schellendorff in Sachsen hervorgerufen hat, dürste der Umstand bezeichnend sein, daß die königliche „Leipziger Zeitung" aus der „Köln. Volksztg." an hervorragender Stelle die Eingabe ab druckt, die der Freiherr vvni Stein im April des Jahres 1806 an König Friedrich Wilhelm III. gerichtet hat. Es heißt darin nach Pertz' Lebensbeschreibung Stein's: „Fried rich der Große regierte selbstständig, verbandelte und be ratschlagte mit seinen Ministern schriftlich und durch Unterredung, führte durch sie aus, seine Cabinetsräthe schrieben seinen Willen und waren ohne Einfluß. Er besaß die Liebe seiner Nation, das Zutrauen seiner Bundesgenoffen, die Achtung seiner Nachbarn. — Friedrich Wilhelm II. regierte unter dem Einfluß eines Favoriten, seiner Umgebungen, sie traten zwischen den Thron und seine ordent lichen Ratgeber. Gegenwärtig verhandelt, beratschlagt, be schließt der Regent mit seinem Cabinet, dem mit diesen affiliirten Grafen v. Haugwitz, und seine Minister machen Anträge und führen die in dieser Versammlung gefaßten Be schlüsse aus. Es hat sich also unter der jetzigen Regierung eine neue Staatsbehörde gebildet, und es entsteht die Frage: Ist diese Anstalt nützlich, und ersetzt die Güte ihrer subjektiven Zusammensetzung das Unvollkommene der Einrichtung selbst? Diese neue Staatsbehörde bat kein gesetzliches und öffent lich anerkanntes Dasein; sie verhandelt, beschließt, fertigt auS in Gegenwart des Königs und im Namen des Königs. Sie hat alle Gewalt, die endliche Entscheidung aller An gelegenheiten, die Besetzung aller Stellen, aber keine Ver antwortlichkeit, da die Person des Königs ihre Hand lungen sanctionirt. Den obersten Staatsbeamten bleibt die Verantwortlichkeit der Anträge, der Ausführung, die Unter werfung unter die öffentliche Meinung. Alle Einheit unter den Ministern selbst ist aufgelöst, da sie unnütz ist, da die Resultate aller ihrer gemeinschaftlichen Uebcrlegungen, ihrer gemeinschaftlichen Beschlüsse von der Bestimmung des Cabinets abhängen. Diese Abhängigkeit von Subalternen, die das Gefühl ihrer Selbststättdigkeit zu einem übcrmüthigen Betragen verleitet, kränkt daS Ehrgefühl der obersten Staatsbeamten; man schämt sich einer Stelle, deren Schatten man nur besitzt, da die Gewalt selbst das Eigenthum einer untergeordneten Influenz geworden ist. Wird der Unwille des beleidigten Ehrgefühls unterdrückt, so wird mit ihm das Pflichtgefühl abgestumpft und diese beiden kräftigen Triebfedern der Thätigkeit deS Staatsbeamten gelähmt. Der Geist des Dienstgehorsams verliert sich bei den Untergebenen der obersten Vorsteher deS Departements, da ihre Ohnmacht bekannt ist, und Jeder, der den Götzen deS Tages nahe kommen kann, versucht sein Heil bei ihnen und vernachlässigt seine Vor gesetzten. Der Monarch selbst lebt in einer gänzlichen Ab geschiedenheit von seinen Ministern, er steht mit ihnen weder in unmittelbarer Geschäftsverbindung, noch in der des Um ganges, noch in der einer besonderen Correspondenz; eine Folge dieser Lage ist Einseitigkeit in den Eindrücken, die er erhalt, in den Beschlüssen, die er faßt, und Abhängigkeit von seinen Umgebungen. Diese Einseitigkeit in den An sichten und Beschlüssen ist eine nothwendige Folge der gegenwärtigen Einrichtung deS CabinetS, wo alle innern Angelegenheiten nur durch einen und denselben Rath vorgeschlagen werden, der mit den verwaltenden Behörden in keiner fortdauernden Verbindunng steht, und dem die Ge schäfte nur bei einzelnen Veranlassungen, sehr ost nur durch einzelne Berichte eines einzigen Ministers, zukommen. Man vermißt aber bei der neuen Cabinetsbehorde Verfassung, Ver antwortlichkeit, genaue Verbindung mit den Verwaltungs behörden und Thcilnahmc an der Ausführung." * Berlin, 21. August. Die Darlegung des „Reichs anzeigers" über den Rücktritt des Kriegsministers wird von der gesummten Presse, die vorläufig schweigsame „Kreuzzeitung" ausgenommen, als sachlich bedeutungslos zurück gewiesen; eS fehlt dabei nicht an spöttischen, ja höhnischen Bemerkungen. Wir citiren nur die „Nat.-Ztg." welche Folgendes bemerkt: „Wir glauben nicht, daß der Zweck dieser Darlegung erreicht werden wird; es wird zwar an „jeden Unbefangenen" appellirt, aber s o „unbefangen" ist heut zu Tage kaum irgend Jemand, daß gegenüber notorischen Er eignissen und zahlreichen thatsächlichen Angaben, welche un widerlegt geblieben sind, die nochmalige Betonung der Gesundheitsrücksichten Les Generals von Bronsart und eine lediglich formale Erörterung über die Stellung, welche das Militaircabinet nach dem Staatsbandbuch ein nimmt, Eindruck machen könnte. Es wäre, beiläufig be merkt, interessant, zu erfahren, von wem die Aufnahme der obigen Erklärung in den „Reichsanzeiger" veranlaßt worden ist; Fürst Bismarck hielt während seiner Amtsführung den Grundsatz aufrecht, daß die Verfügung über den Inhalt des „ReichSanz." der verantwortlichen Regierung zu stehe. Daß Fürst Hohenlohe, der sich auf seinen russischen Gütern befindet, nicht um die Genehmigung der obigen Ver öffentlichung angegangen worden, kann wohl als sicher gelten; unter wessen politischer Verantwortlichkeit — wir. sprechen natürlich nicht von der des verantwortlichen RedacteurS des „ReichSanz." — wird also dem Laude eine derartige Darstellung vorgelegt? Verfügt etwa das Militair- cabinet bereits über den „ReichSanz"? Wir können dem Artikel nur die eine Bedeutung beimessen, daß er ein Anzeichen der in den betreffenden Kreisen obwaltenden, sehr begründeten Empfindung ist^ einer ungewöhnlichen, tief gehenden Erregung der öffentlichen Meinung gegenüberzustehen. So viel wir uns erinnern, ist bei keinem der 19 Ministerwechsel seit dem Tode Will^lm's I. der „ReichSanz." zur Erläuterung derselben in Bewegung gesetzt worden. lieber den Stand der Krisis, in welcher der Rücktritt des KriegSministers von Bronsart nur ein einzelner Zug ist, vermag man aus der nichtssagenden Erklärung des „ReichSanz." selbstverständlich nichts zu entnehmen. Wir haben unseren letzten Angaben darüber auch nichts hinzu zufügen. Die Vorstellung, daß ein Staatsmann von dem berechtigten Selbstgefühl deS Fürsten Hohenlohe, während sein Entlassungsgesuch unentschieden dem Kaiser vorläge, gewisser maßen als Decorations-Kanzler für die Zeit des rus sischen Besuches figurire, würden wir auch dann für hin fällig halten, wenn wir nicht wüßten, daß sie falsch ist. Aber die vollständige Unsicherheit der Lage dauert fort." s Feuilleton. Fliegende Menschen. Ein Rück« Und VorbUck von Robert W. Dahms (Greifswald). Nachdruck verboten. Mit dem Sturz Otto Lilienthal's in den Rhinower Bergen hat die Aviatik ihr erstes Opfer gefordert und genommen, — und ein« der größten gleich, die wir auf diesem Felde über haupt zu verlieren hatten. Die Aviatik, sage ich, denn man darf da« besonders in Deutschland und Oesterreich seit etwa 15 Jahren sich regend« Bestreben, die Luft mit dem Flügel und der Maschine zu meistern, nicht verwechseln mit der Kunst des Aeronauten, der sich seit hundert Jahren vergeblich müht, das Luftmeer durch die geregelte Ballon schifffahrt zu bezwingen. Der lenkbare Luftballon ist Chimäre, er wird sein Opfer weiter fordern, seine Mißerfolge weiter züchten, wie er e« bi« jetzt gethan hat, aber die Flugmaschine, die dem Bogel abgelauschte Kunst des Schweben«, auf welche man seit 30 Jahren, seit Pettigrew in England und Marey in Frankreich den Vogelflug in seine Elemente zerlegten, eine leise Hoffnung zu setzen begann, — soll auch sie rin« Hoffnung der Thoren bleiben? Nach langem zähen Widerstand« der Skeptiker schien daS Eis ge brochen: Autoritäten der Physik, selbst ein Helmholtz, wagten an der Möglichkeit de« freien Fluge« nicht mehr zu zweifeln, Techniker von hohem Ruf arbeiteten mit Eifer an der Lösung der praktischen Schwierigkeiten, Beobachter von rühmenswerther Zähigkeit haben dm Flug deS Vogel- nach und nach aller Geheimnisse entkleidet, die Jahrtausende darum gewoben batten, — sollte da- Alle« nun mit einem Schlage umsonst sein? Umsonst, weil einer von den ersten Streitern um di« Siegespalme im ehrlichen, vielleicht zu raschen Kampfe mit dem widerspänstigen Element unterlag? Ich glaube, daß unter den wissenschaftlich geschulten Anhänaern der Aviatik auch nicht Einer sich durch da- jähe Unglück, welche« Otto Lilienthal bei seinen Flugversuchen überrascht hat, ab schrecken lassen wird. Lilienthal war im praktischen Sinn« der vorgeschrittenste unter den Arbeitern auf dem Gebiete der Klugfragr. Ob seine Theorie der Lösung die richtige war, mag dahingestellt sein, jedenfalls hat sie ihn in der Frage de- Schweben- auf dem Winde, und da« war immerhin schon etwas, am meisten gefördert. An Reichhaltigkeit der LösnnaSversuche hat eS ja die Phantasie der Flugkllnstler niemals fehlen lassen. Jene- kleine Kinderspielzeug, die blecherne Luftschraube, di« sich von der Scknur gedrillt in rascher Notation hoch in die Lüfte hebt, bat mancher Fluamaschine zum Muster dienen müssen. Dem Mailander Professor Forlanini gelang eS 1878, einen mit Dampf betriebenen Apparat mittel« solcher Schrauben mehrmals emporsteigen zu lassen; ein regelrechtes Luftvelociped nach diesem Princip ward von Delprad construirt, vielleicht auch au-gefübrt, — von seinem Aufsteigen hat man nie etwa- gehört. E« lohnt nicht, weitere Versuche aufzuzählen, denn diese ganze Richtung war von vornherein todtgeboren, — es gehören Pferdekräft« dazu, mittel« Luftschrauben einen Menschen zu heben, und dann, war denn die Hebung daS Ziel der langen Sehnsucht? Dann wäre ver Ballon hin reichend gewesen, sie zu erfüllen. Nein, die Möglichkeit, etwas zu erreichen, war erst gegeben, nachdem man, besonders in den 80er Jahren, den sog. Segelflug der Vögel allseitig beobachtet hatte und zu dem Resultat gekommen war, daß jene geborenen Segler de« Aether« im Stande sind, sich von der Luft, besonder- wenn sie bewegt ist, tragen zu lassen, wie der Nachen vom Wasser. Die Atmosphäre ist in der That nicht so ganz substanzlos, wie man lange Zeit annahm; man frage den Radfahrer auf der Rennbahn, woran er seine Kräfte erschöpft, und er wird antworten, daß es die Luft ist, die sich in jeder Sekunde wie ein Bret seinem VorwärtSstürmrn in den Weg stellt. Man betrachte die Bäume, die der Sturm fällt, und man wird nicht länger daran zweifeln, daß die Luft unter Um ständen eine sehr compacte Substanz ist. Sie ist eS auch für den Vogel, der in ihren Schichten durch keinerlei rätbselhaste Steigungsarbeit sich oben halt, sondern auf der Atmosphäre schwimmt, indem er von Augenblick zu Augenblick so rasch seine Lage wechselt, daß ihm zum Sinken keine Zeit bleibt, wie da- dünne Eis nicht Zeit findet, unter den Füßen deS kundigen Schlittschuhläufers zu brechen. Man hat durch Experimente festgestellt, daß e« selbst einem leichten Metallblech unmöglich wird, zu Boden zu fallen, sobald eS mit hinreichender Geschwindigkeit durch die Luft gezogen wird. Die Atmosphäre ist materiell wie alle Körper, sie muß zur Seite ausweichen, wenn rin Gegenstand fallen soll, und bleibt ihr dazu keine Zeit, so ist da- Problem des Schwimmens im freien Raume gelöst. Auch diese Theorie de- SeaelflugeS hat sich Anhänger genug erworben, besonder- in Wien ist sie Jahre lang der Gegenstand heißer Debatten gewesen. Platte, Lippert, Kreß und Andere haben Maschinen erfunden und Modelle erbaut, die all« nickt bewiesen, was st« beweisen sollten, und Pro fessor Wellner in Brünn, der vor 10—12 Jahren eben falls der Sezelflugmaschine huldigte, hatte mit ihr vielleicht mehr erreicht, al« mit der curiofen Erfindung, die vor wenigen Jahren unter seinem Namen so ungeheure« Aussehen erregte und nun auch in den großen Strom der Vergessenheit ge taucht zu seia scheint, der bi« jetzt alle aviatifchen Träume verschlungen hat. Bon diesen und anderen Constructenren unbeirrt, verfolgte Lilienthal seinen eigenen Weg den vor Allem sein fester Grundsatz bezeichnete: Fliegen ist Geschicklichkeit weit mehr als Kraft, es läßt sich nur lernen, nicht erfinden! Genug des TheoretisirenS, genug der Erfindungen! war seit vier bis fünf Jahren sein beständiger Ruf, denn er arbeitete literarisch ebenso eifrig für das Problem als mit der That, und vor mir liegt eine lange Reihe der Schriften, durch die er von seinen Fortschritten Zeugniß ablegte, oder Andere für seine Methode zu begeistern suchte. Je später, um so dringender ist in ihnen der Wunsch ausgesprochen, Flug übungen, wie er sie Jahre und Jahre allein gemacht, von möglichst Vielen wiederholt zu sehen. „Kenntnisse in der Fliegepraxis lassen sich nur sammeln, wenn man im wirklichen Fluge sich befindet", rief er den zahlreichen Constructeuren von Flugmaschinen zu. „In der Luft selbst müssen wir unser Verständniß von der Stabilität des FlugeS zu erweitern suchen, so daß eine sichere und gefahrlose Bewegung sich er zieht, und schließlich ohne Zerstörung der Apparate und ohne Gefährdung deS Lebens wieder auf der Erde gelandet werden kann." Und später drang er wieder und wieder darauf, daß große, mit geeigneten Absliegepuncten versehene Plätze her gerichtet würden, wo die rüstige Jugend den Segelflug als Sport betreiben und die nöthige Geschicklichkeit zur freien Bewegung in der Luft erwerben könnte. War e« daS Ge fühl, daß Einer die Aufgabe nicht lösen kann, daß eine Generation dazu gekört, den Menschen von der Scholle loszulösen, an die er gebannt ist? War eS eine Ahnung seine- plötzlichen Ende«, die ibn so unermüdlich auf Nach ahmung seine« Beispiel- dringen ließ, damit nicht seine Methode der Lösung nur auf zwei Augen stehe? Es bat sich kein Gefährte von gleicher Begeisterung finden wollen, so lange er selbst wirkte, und der schließliche AuSgang scheint den Zauderern Recht zu geben. Tollkübnbeit oder Unüber legtheit darf freilich Lilienthal am wenigsten zum Vorwurf gemacht werden; man kann nicht vorsichtiger und kaltblütiger arbeiten, als er gearbeitet hat. Mit Sprüngen von drei Fuß Höhe begann er vor nahezu sechs Jahren seine Fliegepraxis, ganz allmählich^ wurde der Absprung erhöht, wenn die an fangs kurzen Segelfahrten eine absolute Beherrschung de« Apparate- bewiesen. Jahre vergingen, bevor unter ebenso stetiger Verbesserung der Apparate jene Segrlflüge auS schwindelnder Höhr begannen, dir den Fliegenden bau-hoch über den Boden und Hunderte von Metern weit dahin trugen. Lilienthal ver schwieg nie die Gefahren des SegelflngrS für den Anfänger, hielt sich selbst aber nach seinen Tausenden von Sprüngen ihnen vollauf gewachsen. „Daß die Gefahr sich vermeiden läßt", heißt eS noch in einer der letzten Arbeiten des For schers, „habe ich dadurch bewiesen, daß ich seit fünf Jahren bei Tausenden von Flügen keinen Schaden genommen habe." Nun müssen wir schmerzlich erfahren, daß sie sich doch nicht vermeiden läßt. Wenn irgend «ine Pflicht au- dem jähen Ende de« ersten > praktischen FlugkünstlerS erwächst, so ist e« diejenige der strengen Prüfung seiner Methode. Als vor Jahr und Tag eine der wenigen, wirklich und in großem Maßstab auS- geführten Flugmaschinrn, der mit ungeheuren Kosten erbaute Dampf-Sepelapparat von Maxim, bei den ersten Versuchen vom Winde zertrümmert wurde, sagte Lilienthal: „Eigentlich wird uns durch diese Ergebnisse doch nur gezeigt, wie man es nicht machen soll!" Wir müssen da- Recht desselben Urtheil« nun für uns in Anspruch nehmen. Auch Lilienthal's Methode muß eine schwache Stelle ge habt haben, an der die trotzigen Elemente seinen Scharfsinn und Fleiß scheitern ließen. Vielleicht hat sie der Fehler sogar zwei besessen. Der Hauptunterschied seiner Methode von derjenigen anderer Anhänger des Segelfluges war die An wendung schwach gewölbter Flügel oder Segelflächen anstatt der von Anderen empfohlenen geraden Flächen. Es war der Gegenstand vieler Controversen zwischen Lilienthal und einem der ersten Entdecker der eigentlichen Ursachen de-Vogelfluges, dem lange nicht nach Verdienst geschätzten Buttenstedl. Ich glaube, daß die Anwendung gewölbter Flügel im Winde ein verhängnißvoller Fehler war; selbst da- Gefieder der Vögel glättet sich im Winde und beim raschen Flug, weil die Wölbung zu empfindlich gegen die ungleichen Stöße deS Winde- ist, um einen gefahrlosen Flug zu gestatten. Eine glatte, elastische Fläche kann die unberechenbaren Stötze de« Winde«, der fir von unten zu Heden sucht, abgleiten lassen, eine Wölbung fängt sie auf und versucht stet« umzukippen; Lilienthal selbst schrieb, daß ihn oft ein unberechneter Stotz de« WindcS um viele Meter emporschleudert«. Ein zweiter Schritt, der zum Mißlingen beitragen konnte, war das Abfliegen von oben und die Noihwendigkeit, stet« im Winde zu fliegen. Die jeder Berechnung spottende Unregel mäßigkeit der Windstöße war e», dir ihn bei seinen Uebungen oft iu Gefahr brachte, und doch bedurfte er des Winde-, denn in der stillen Atmosphäre war sein Flugapparat rin todteS Werkzeug, weil ihm dir Möglichkeit de« eigenen An trieb« fehlte. Dieser gewölbte Segelapparat glitt auf dem Winde, wie ein Fallschirm, dessen Bahn in die Länge gezogen ist, aber er flog nickt! Ihm fehlte di« Möglichkeit, sich von der Erde zu erheben, wenn ihn nicht gerade «in Windstoß trug. Erst wenn ein motorbeschwingter Apparat, der gleich zeitig die Eigenschaften de« Segelfloges besitzt, dem Menschen erlaubt, sich bei windstiller und de-halb gefahrloser Atmo sphäre vom Boden z« erheben und große Hohen wie starke Winde zu vermeiden, bi« Geschicklichkeit oder Stabilität ihnen gewachsen sind, kann sich die Hoffnung auf weitere Erfolge regen.
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