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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.08.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-08-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960829020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896082902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896082902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-08
- Tag1896-08-29
- Monat1896-08
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Reklamen unter dem Redactioasstrich (4ge- spalten) bO>^, vor den Fannlirnnachrichtee (Kgejpaltea) 40/E. Größere Schriften laut nuferem Preis- verjrichoiß. Tabellarijcher und Zissrrajatz aach höherem Tarif. Extra-veilagcu (gefalzt), nur mit de, Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderuug SO.—, mit Postbesörderuug 70.—. Ännalimeschlaß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 IlhL Morgr»-Ausgabe: Nachmittag» SUHL Gei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» au di» Expedition zu richten. -<»»»-— Druck und Verlan von E. Bolz in Leipzig SO. Jahrgang Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. August. Um den die coloniale Sache schädigenden Gerüchten über die leitenden Cvlonialbeainten den Boden zu entziehen, hat Major v. Wissmauu die „Köln. Ztg." in einer Unterredung mit einem ihrer Mitarbeiter zu folgender Klarlegung der Tkatsachen veranlaßt: „Was zunächst die Behauptung einiger Blätter anbetrisft, ein Hauptgrund zu der Absicht des Herrn v. Wissmann, seinen Abschied zu nehmen, seien Zerwürfnisse mit dem Direktor der Colonial-Abtheilung Or. Kayser, so können wir feststellen, daß Herr v. Wissmann des Lobes voll ist über die Sachkenntniß und Gewandtheit vr. Kaysers, über sein geradezu aufopferndes Entgegenkommen und das gänzliche Fehlen bureaukratischer Einseitigkeit im dienstlichen Verkehr. Herr v. Wissmann würde es lebhaft bedauern, wenn vr. Kayser nicht der colonialen Verwaltung erkalten bliebe. „Wo würden wir einen Mann finden", sagte er, „der bei gleicher Sachkenntniß es so wie vr. Kayser verstehen würbe, lediglich zum Besten der jungen Colonien Erfolge zu erringen unter Len schwierigsten Verkält- nissen? Gerade jetzt hat er den Beweis geliefert, welche Geduld, welche Selbstverleugnung und zähe Energie er besitzt. Der Entwurf zur neuen Organisation der Schutztruppen und deren Stellung zu dem Gouver neur ist eine Leistung, die ihm, wenn die zu überwindenden Schwierigkeiten bekannt wären, allein schon allgemeine Aner kennung und Dank eintragen würden." „Es ist bekannt", sagte Major v. Wissmann weiter, „daß vr. Kayser schon mehrfach aus sachlichen Gründen gebeten hat, sein Amt niederlegen zu dürfen, und geradezu bewunderungswürdig ist es daher, wenn er, Lessen Gesundheit turchaus nicht die festeste ist, trotz all der unverdienten Angriffe, all der Rücksichten und Schwierig keiten in seiner Arbeit ausgehalten hat. Es ist das wohl zum großen Theil seiner Absicht zuznscbreiben, das oben erwähnte Werk zu vollenden. Da die Bollendung desselben vor der Tbür steht, bin ich um so besorgter, daß gerade jetzt so un gerechtfertigte Angriffe uns der Gefahr aussetzen, ihn zu ver lieren. Einige Blätter wünschen mich an Stelle des Vr. Kayser zu sehen. Ich gestehe ganz offen, daß ich mich nicht im Stande fühle, vr. Kayser ru ersetzen. So lange nicht ein Colonialamt mit viel größerer Selbstständigkeit besteht, so lange noch mit so vielen Rücksichten und Schwierigkeiten gerechnet werden muß, wie das der Fall ist, würde ich mir nicht die Geduld, nicht die nöthige Elasticität zutrauen. Ich würde nack einem siebzehn Jahre währenden Zigeunerleben um nichts in der Welt mich dazu bewegen lassen, vom Morgen bis zum Abend in der Withelmstraße zu sitzen und mit einer Engelsgeduld unzählige Besuche zu empfangen, wenigstens fühle ich mich vorläufig noch lange nicht zum Beamten, dessen Dienst sich im Bureau abspielt, tauglich. Ist dieser Umstand doch auch einer der Gründe, die mir die Stellung als Gouverneur draußen be sonders erschweren. Wer sollte die, wie allgemein bekannt, so bedeutenden Rechtskenntnisse des vr. Kayser ersetzen? Kennt nisse, die sowohl im Verkehr mit den Colonien als mit dem Reichstage mir für die Stellung des Directors der Colonial- Abtheilung als außerordentlich erwünschterscheinen. Nicht yer- gessen will ich noch zu erwähnen, daß der jetzige Director der Colonial-Abtheilung bei, ich kann Wohl sagen, fast allen Beamten und Officieren in den Colonien, wenigstens in Ostafrika, beliebt und geschätzt ist. Auch eine Thatsache, die sehr mitsprechen sollte. WaS die in vielen Zeitungen erscheinenden Gerüchte über meine nächste Zukunft anbetrifft, so kann ich mich nur wieder auf die einzige in dieser Beziehung von mir getbane l Aeußerung berufe», daß ich aus vielen Rücksichten erst später, I voraussichtlich Ende September, meine Entscheidung! treffen werde. Es ist hier nicht am Platz, die Gründe zu erörtern, die mich davon abhalten, dies jetzt zu thun, und die mir erlauben, es überhaupt zu tbun. Ein dritter Punct, der mehrfach die Blätter beschäftigt, hat seine Ouelle an mir ebenso unbekannter Stelle, wie die Aeußerungen über meinen beabsichtigten Rücktritt. Es ist Lies die Erwähnung von Verstimmungen, die meine Entscheidung der Landfrage in Deutschs st afrika bcrvorgerusen haben sollte. Ich habe diese Bestimmungen ausgearbeitet, nachdem .ich mit allen Pflanzern oder Directoren von Pflanzungen, die ErwerbsgesrUschaften in Deutschland gehören, ein gehend verbandelt batte, und muß constatiren, daß diese sämmtlichen Herren mit meine» Bestimmungen durch aus einverstanden waren. Eine Bestätigung von meiner vorgesetzten Behörde ist noch nicht erfolgt, und Verhand lungen über diese Angelegenheit werden auch erst nach Rückkehr der maßgebenden Beamten nach Berlin, also Ende September, gepflogen werden. Ich weiß nur aus den obenerwähnten Zeitungsartikeln, daß überhaupt eine der meinigen entgegen stehende Ansicht vorhanden sein soll, habe mich aber über Liesen Punct bisher mit Niemand ausgesprochen, also auch nicht mit dem jetzigen Präsidenten der Colonialvereine, dem HerzogIohann Albrecht von Mecklenburg, oder anderen Fürsten, die irgend welche materielle Interessen in den Colonien baden, wie es in verschiedenen Blättern heißt." Herr v. Wissmann faßte zum Schluß der Unterredung die Klarlegung der verschiedenen Puncte noch einmal folgendermaßen zusammen: „Ich hoffe sehnlichst für die Colonien, daß der Geheime Rath Kayser weiterhin Director der Colonialabtheilung bleiben oder womöglich bald Director eines Colonialamtes werben möge. Ich kann eine Entscheidung, ob ich wieder nach Ostafrika gehen werde, noch nicht abgeben, und es sind endlich in der Landfrage keinerlei Erhebungen in Deutschland gemacht worden, am allerwenigsten ist irgendwelche Mißstimmung durch Meinungsverschiedenheiten eingetreten." Herr v. Wiss mann möchte sich daher an die Zeitungen, die sich besonders in der letzten Zeit vielfach wohlwollend mit seiner Person beschäftigt haben, mit dem Ersuchen wenden, obiger Klar legung Rechnung zu tragen und womöglich Erörterungen einzustellen, die keinerlei 'Nutzen baden, wohl aber Ver stimmungen und dadurch nur Schaden anstiften könnten. Das bayerische „Gesetz- und Verordnungsblatt" bringt, wie drahtlich an anderer Stelle gemeldet wurde, eine vom 27. August datirte Bekanntmachung des Finanzministers Freiherr» v. Riedel, wonach den Inhabern der Schuld verschreibungen des 4 v. H. bayer. allg. Anlehens, der 4 v. H. bayerischen LandeSculturrentenschuld, sowie der 4 v. H. bayerischen StaatSeisenbahnanlehen die Umwandlung in Asi? v. H. Obligationen angeboten wird. Dies Angebot gilt für angenommen, wenn nicht bis zum 15. September des laufenden Jahres eine gegentheiiige schriftliche Erklärung der Inhaber erfolgt. Die Bekanntmachung ist ergangen auf Grund Les Gesetzes, das im Juni dieses Jahres von den bayerischen Kammern angenommen wurde; durch dieses ist die Umwandlung der 4 v. H. Staatsanleihen in 3^/r v. H. genehmigt, der Zeitpunkt der Umwandlung aber dem Finanzminister Vorbehalten worden. ES wurde damals ausgeführt, daß die Umwandlung nicht unmittelbar beab sichtigt sei, daß die bayerische Finanzverwaltung aber, da der Landtag erst nach Jahresfrist wieder einberufcn würde, eine Vollmacht in Händen haben müsse, falls das Reich und die anderen größeren Einzelstaaten mit der Umwandlung inzwischen Vorgehen sollten. Daß man nun in Bayern schon jetzt mit der Umwandlung beginnt, macht die Annahme wahrscheinlich, baß beim Beginn der parla mentarischen Tagungen im Reich und in Preußen ebenfalls entsprechende Vorlagen, betreffend die Umwand lung der 4 v. H. Papiere in 3',» v. H., an den Reichstag und den Landtag gelangen werden. Von einer Umwandlung auf 3 v. H. wird nach den Erklärungen deS Schatz- secretairs und des Finanzministers nicht die Rede sein. Bei den Erörterungen über die Umwandlung, die in dem letzten Abschnitt ter jüngsten RcichStagssession stattfanben, erklärte der Schatzsecrelair Graf Pojadowsky aus drücklich , baß auch dem Reichstage bereits ein Um- wandlungsgesetz zugegangen sein würde, wenn schon enbgiltige Entschlüsse der Einzelstaaten vorlägen, und daß andererseits dem Bundesrathe keine Umwandelungsvorlage ohne ein gleichmäßiges Vorgehen in den hauptsächlichsten Einzelstaaten unterbreitet werben würde. Danach wäre ein dem bayerischen entsprechendes Vorgehen im Reich und in Preußen zu erwarten. Andererseits könnte freilich der Umstand, daß man in Bayern ein gleichzeitiges Vorgehen im Reich (und in Preußen) nicht abgewartel bat, auch die An nahme unterstützen, daß das Reich und Preußen vorläufig noch nicht zur Umwandelung bereit seien, Bayern aber rm Interesse seiner Finanzen in eine weitere Verschiebung nicht willigen wollte. Es ist deshalb eine amtliche Aufklärung dringend wünschenswerth. Handelt e» sich für Preußen doch um 3 592 667 850 für das Reich um 450 000 000 ^4, während Gayern Papiere im Betrage von 1 090 000 000 convertirl Hal. Bayern erspart nunmehr 5H, Millionen Mark, Preußen würde 18 Millionen, das Reich circa 2H, Millionen Mark ersparen. Ob diese Ersparniye aber nicht durch große Verluste am Nationalvermögen werden erkauft werden, bleibt abzuwarten. Wir bezweifeln, daß Las neue Börsengesetz ausreichen wird, das Nationalvermögen, von dem ein beträchtlicher Theil zu veränderten Anlagen gedrängt wird, vor großen Verlusten zu bewahren. Ja der türkischen Frage hat das Einvernehmen der europäischen Mächte einen Erfolg insofern erzielt, als der Sultan, wie gemeldet, ein Irade erlassen hat, in welchem er die von den Botschaftern mit dem Minister de« Acußern vereinbarten Zugeständnisse für Kreta bestätigt. Aller dings wird man erst den Wortlaut deS Irade abwarten, ehe man ein endgiltiges Urtheil fällen kann. Dann ist auch noch zweifelhaft, ob die Kreter sich mit den Vereinbarungen einverstanden erklären.— Zn Konstantinopel nehnien in dessen, wie auS den an anderer Stelle zu findenden Meldungen zu ersehen ist, die Metzeleien ihren Fortgang. Bis gestern Mittag war, trotz der Versprechungen des Sultans und der türkischen Regierung, die erhoffte Besserung der Lage nicht eingetreten. Nach den Berichten von Augenzeugen steht es fest, daß sowohl Polizei, als Militair, selbst da, wo es in erheblicher Stärke vorhanden war, eine durchaus passive Rolle spielte, ja daß die Polizei sogar durch ihr Verhalten die mordenden und plündernden Rotten rrmuthigte. ES scheint, daß sich der Mohammedaner ein vollständiger Taumel der Wutb bemächtigt hatte, von dem nicht nur die niederen Volks massen, sondern auch Militair und^Polizei in einem solchen Grade ergriffen waren, daß sie die Mordthaten vollständig billigten. Es scheint, daß sich auch die Polizei an den Plün derungen betbeiligte. Bisher hat man sich nur an Armeniern vergriffen und andere Christen, Grieche», Juden und Europäer vollständig verschont; wo aber die einmal aufgestachelte und von Blut berauschte Menge Einball thun wird, wenn man sie so weiter gewähren läßt, ist schwer zu sagen. Einstweilen scheinen die Türken es darauf al- gesehen zu haben. Alles, WaS Armenier heißt, in Konstantinopel anszutilgen, wenn auch die gefärbten Berichte aus osficiöser türkischer Quelle darüber zu täuschen suchen. Auck heute bat man den Eindruck, daß der Putsch tatsächlich von armenischer Seite ausgegangen ist, was nicht nur in den amtlichen türkischen Verlautbarungen behauptet, sondern auch in Privat meldungen angenommen wird. Gleichwohl kalten wir es im Hinblick auf die die Pforte schwer belastenden vorjährigen Vorgänge, wie auf die Unsicherheit aller Konstantinopeler Berichte für angezeigt, auch der armenierfreundlichen „Intern Corresp." das Wort zu geben. Dieselbe schreibt unter ter Überschrift: EineHeraussorderung des christlichen Europa u.A.: Ein in Wien thätiger Diplomat, welcher selbst längere Zeit in Konstantinopel gelebt hat, die dortigen Verhältnisse sehr genau kennt und sowohl vor, wie nach den vorgestrigen Blutthalen aus Konflanti. nopel von bestunterrichteler Seite ausführliche Meldungen erhalten Kat, giebl uns von den neuesten Vorgängen folgende Darstellung: Es ist auf das Bestimmteste zu bestreiten, daß die Angreifer auf die Ottomanbank Armenier gewesen sind, und dir Botschafter, welche die von türkischer Seite sorgfältig vor- bereitete Legende von dem Armenier - Putsch amtlich unter stützen, leisten damit dem christlichen Eurova einen sehr be- denklichen Dienst. Und wenn die Thatsache, daß Lie vierundzwanzig angeblichen Angreifer der Ottomanbank des Nachts heimlich an Bord eines englischen Schisses gebracht und damit schleunigst den Augen der Oeffentlichkeit entzogen wurden, das gebildete Europa noch nicht auszuklären vermag, so werden allerdings die entmenschten Ohrenbläser des Sultans ihr teuflisches Spiel mit der gesammten civilisirten Welt noch lange fortsetzen können. Die jetzigen Bluttbaten sind, wie von mehreren durchaus glaub würdigen Stellen versichert wird, von der türkischen Pal ast - regierung planmäßig vorbereitet worden, wobei die neuere zweideutige Haltung Englands — das der Pforte während der letzten Tage wiederholt heimliche Versprechungen gemacht haben soll — offenbar ermuthigend mitgewirkt haben dürste. Wird doch in mehreren Berichten bestätigt, daß in den von Armeniern bewohnten Vororten und äußeren Stadtvierteln die Türken schon des Morgens und zwar an verschiedenen Stellen gleichzeitig die Uebersälle gegen': Armenier begannen, während der Angriff auf dir Ottomanbank erst in den Mittagsstunden erfolgte. Unü dort haben die angeblichen verkleideten Armenier thatsächlich nicht» entwendet und nichts zerstört, sondern ließen sich des Nachts ruhig auf ein englisches Schiff abführen, ohne daß sie von irgend einem Unberufenen gesehen wurden! — Dec Ueberfall auf die Ottomanbank war also eine türkischerseits in Scene gesetze Comödie, welche für Europa den Vorwand für die Massen schlächterei abgeben sollte. Das Unbegreifliche ist nur, daß der eng lische Director der Ottomanbank, Sir Edgar Vincent, der offenbar die wirkliche Absicht der Türken sofort hätte durchschauen müssen, durch die auch von der britischen Botschaft gebilligte heimliche Ent fernung der vermummten Angreifer so öffentlich dir englische Regie rung bloßstellen konnte. Wie völlig unberechtigt es überhaupt ist, von einem „Armenier-Putsch" zu svrechen, beweist schon die That sache, daß während des ganzen Tags nur ein einziger Muha- medaner getödtet wurde; denn Lie angebliche Tödtung von sechs türkischen Gendarmen durch eine Bombe wird ausdrücklich als Erfindung gekennzeichnet. Außerdem hatten am Morgen alle armenischen Kaufleute ihre Geschäfte geöffnet, und abgesehen von den verkleideten (!) Angreifern der Ottomanbank wurde kein Armenier in l den Straßen bewaffnet angetroffen. So steht Behauptung gegen Behauptung, und man wird, I um völlig klar sehen zu können, sich auf die noch zu er- Feuilleton. Sühne. Ibj Roman von E. Halden. Nachdruck verboten. Dreizehntes Capitel. Die Baronin von Wilbkurg hatte noch nie das Heran nahen des Winters mit solcher Freude begrüßt wie in diesem Jahre; die geselligen Vergnügungen und die Kunstgenüsse der Residenz hatten zwar den Reiz, den sie sonst für sie besessen, verloren, aber sie hoffte nun auf eine Rückkehr des früheren Lebens, wenn eine größere räumliche Entfernung Stadler von ihrem Gatten trennte. Sie fühlte sich müde und matt und nicht mehr im Stande, diesen verderblichen Einfluß zu bekämpfen; ost raubten ihr heftige Schmerzen fast den Atkem, und das leise Hüsteln, das sie vergeblich zu unterdrücken suchte, erschütterte schmerzhaft ihre Brust. Den Fragen deS Arztes wich sie aus und suchte sich seinen beobachtenden Blicken zu entziehen, denn sie war überzeugt, daß der Sitz ihres Leidens in den seelischen Zuständen war, die ihr Schlaf und Ruhe raubten und daß keine Arznei der Welt ihr helfen könnte, so lange sie sich in stiller Sorge verzehrte. Mit dem Hauptmann ging eS sichtlich zu Ende; die törperlicheSchwäche und die Umnachtung seinesGeisteS nahmen in erschreckender Weise zu, und Doctor Blanden gestand offen ein, daß seine Wissenschaft hier nichts mehr vermochte. So Katie der Freiherr den Beschluß gefaßt und ausgeführt, die Häuslichkeit seines DaterS ganz aufzulösen und ihm in dem großen Hause, das er selbst bewohnte, eine Reihe von Ge mächern einzuräumen. Erna empfand eS schmerzlich, daß sie ihre gewohnte Selbstständigkeit ausgeben sollte, obgleich sie Lie Richtigkeit des Grunde« anerkennen mußte, daß sie jetzt zu jeder Zeit Leu Beistand der Geschwister herbeirufen könnte. Melanie glaubte noch rin anderes Motiv in dieser Aenderung zn erkennen; ihr Gatte dachte dabei an die bedeutenden Er- ipannsse, welche die Folge dieser Anordnung waren. Diese Sparsamkeit trat ihrem Blick jetzt überall entgegen; die Loge in ter Oper wurde nicht wieder genommen, einige LuxuS- pscrde abgeschafft, einige Diener entlassen, und doch schien Albrecht'S Casse nicht gefüllter zu werden; ja einmal batte er Lie immerhin recht ansehnliche Tumme, die er ihr zur Führung deS Haushaltes gab, nicht zur Verfügung gehabt, obgleich sie längst fällig war. Wo blieb das Geld? Spielte er oder was machte er sonst für geheime Ausgaben? Schon einige Wochen nach ihrer Uebersiedelung in die Hauptstadt folgte Herr von Stadler dem freiberrlichen Paare nack, und nun mußte ibn Melanie wieder in ihrem Hause dulden und eS mit ansehen, wie er sich, gedeckt und beschützt Lurch ihren Gatten, in die Gesellschaftskreise drängte, in denen sie selbst verkehrten. Sie gab sich keine Mühe, ihm ihre Abneigung zu verhehlen, aber an seiner Zudringlichkeit prallte all ihre vornehme Geringschätzung ab. Erna, der Stadler manchmal leid that, hatte anfangs versucht, durch Freundlichkeit das verletzende Benehmen ihrer Schwägerin wieder auszugleichen; als sie aber bemerkte, daß er ihr gut- müthigeS Mitleid falsch verstand, vermied auch sie, so weit es thunlich war, jedes Zusammentreffen mit dem unange nehmen Menschen. Obwohl sie sich im Hause ihres Bruders befand, nahm sie doch an der Geselligkeit fast gar keinen Antheil, sondern widmete 'sich in stiller Zurückgezogenheit der Pflege ihres Vaters. Alle Bitten und Vorstellungen Melanie's blieben vergeblich, sie wies sie damit zurück, daß ihr wahrscheinlich nur noch kurze Zeit die Ausübung ihres Liebesdienstes ver gönnt sein würoe. WaS machte sie sich aus diesen Ver gnügungen, wenn sie den Geliebten nicht an ihrer Seite halte?! Da war ihr ihr Stillleben, in dem seine täglichen Besuche die Lichtpunkte bildeten, tausendmal lieber. Seufzte doch auch Melanie oft genug unter der Last gesellschaftlicher Verpflichtungen, welche ihr bei ihrer angegriffenen Gesundheit sehr schwer wurden. Aber sie konnte nun einmal nicht ohne diese glänzenden Zer streuungen sein, und wenn sie auch längst ihren Reiz für sie eingebüßt hatten, so suchte sie darin Vergessenheit gegen ihre schweren Gedanken. Mit Ungeduld hatte Erna die Vollendung deS Werke« erwartet, von dem Doctor Blanden so viel für seine Zukunft hoffte. Freudestrahlend hörte sie seinen Bericht an, daß nun der letzte Federstrich gethan und das Manuskript zum Ver leger gewandert war. Dann brachte er ihr den ersten Correcturbogen, den sie mit einer Art Ebrfurcht betrachtete, und nun hielt sie endlich das Buch in Händen, auf dessen Titelblatt der geliebte Name als Verfasser stand. In der Stille der Nacht vertiefte sie sich in den Inhalt, der ihr nur zum Theil verständlich war, aber ihr Herz klopfte in stolzer Freute, es mußte ein Epoche machendes Werk sein. Dann folgten schwere Tage, bi« sich bi« Kritik über da« Buch aussprach, aber nun begann auch eine Zeit des Glückes, denn das Werk machte ungeheueres Aufsehen, fand die leb hafteste Anerkennung und verschaffte seinem Verfasser in einigen Wochen einen berühmten Namen. Der Verleger war hocherfreut, als er ihm nach kurzer Frist die Mittheilung machen konnte, daß die zweite Auflage nöthig sein würbe. Erna jubelte laut auf, al« sie die Kunde vernahm. „Wie Du nur so ruhig sein kannst", warf sie dem Geliebten vor, „Du solltest doch meine laute Freude theilen." „Wenn Du ahntest, welcher Druck jetzt von mir genommen ist, so würdest Du nicht mehr an meiner frohen Empfindung zweifeln", sagte der junge Arzt. „Jetzt endlich sehe ich meinen Weg geebnet vor mir und jetzt endlich wage ich eS, offen um Dich zu werben. Da« heimliche Verlöbniß hat mir oft Gewissenspein verursacht." „O, mein Bruder wird AlleS verstehen, Albrecht ist ja so gut und edel, er achtet Dich so hoch, und er bat immer so sehr gewünscht, daß ich mich vermählen möchte; ich babe keine Furcht, daß er uns feindlich sein wird", sagte Erna zuversichtlich. So sah sie in glücklicher, getroster Zuversicht dem Augen blick entgegen, der ihr die Anerkennung ihres bräutlichen Glückes bringen sollte. Sie hatte den Geliebten so ruhig und hoffnungsvoll bei Albrecht eintreten sehen, dann hatte sie so freudig auf dessen Entscheidung gewartet, aber nun war bereits eine lange Zeit vergangen, ihr wurde immer banger zu muthe, ihre Wange wurde blaß, und ihr Auge trübe, und sie preßte die Hand auf die Brust, in der da« Herz in seiner Angst so wild pochte und hämmerte. Endlich konnte sie diesen Zustand nicht länger ertragen, eS trieb sie hin zu Albrecht. Warum war sie nicht gleich mit dem Manne ihrer Wahl vor ihn getreten?! Sie gehört» ja zu ihm, und keine Macht der Erde konnte sie auseinander reißen! In dem Zimmer deS Frriherrn wurde laut und heftig gesprochen; ihr leises Klopfen blieb unbeachtet, und so trat sie entschlossen ein. . Mit finster zusammengezogenen Brauen blickte ihr der Bruder entgegen; der junge Arzt stand bleich mit fest ge schloffenem Munde vor ihm, beide Männer maßen sich mit feindlichen Blicken. „WaS willst Du hier, Erna?" fragte der Freiherr raub. „Mit Dir babe ich später zu sprechen, und was ich Dir sagen muß, geschieht um Deiner selbst willen am besten unter vier Augen." „Sie haben mir genug Bittere« gesagt, wa« ich um Erna « willen ertrage", rief der Doctor, aber ich werde nickt dulden, daß sie gekränkt wird." „Und mit welchem Rechte führen Sie eine solche Sprache, mein Herr Doctor?" sagte der Freiherr mit schneidendem Hohn. „Wenn es Ihnen gelungen ist, ein junge« Märchen, dem Sie in der Ausübung Ibres ärzt lichen Berufs sich nahen durften, weil die Familie in diesem eine Garantie der Ehrenhaftigkeit erblickte, zu be- tbören, so wird es an mir sein, sie zurückzufübren zu den Ansichten nnd Grundsätzen, die allein für sie maßgebend sind und sein können und dir jede Beziehung zwischen Erna von Wild burg und einem Doctor Blanden unmöglich machen." „Albrecht, wie kannst Du so grausam sein!" ries Erna auS. „Du hast Dich ungerufen zur Zeugin dieser Erörterungen gemacht, wie Du unbedacht und unverständig die kecke Werbung dieses Herrn ermuthigt hast", fuhr der Freiherr fort, „ich kielt meine Schwester zu doch, um je einen mißtrauischen Gedanken gegen sie zu Kegen, jetzt bereue ich diese Täuschung. Ter Herr Doctor kennt meine Ansicht, ich habe kaum noch mit ikm zu verhandeln, für Dich giebt es nur eine Richtschnur: Unter werfung unter meinen Willen." „So sagst Du also „Nein" zu unserem Bunte?" fragte Erna. „Für jetzt und immerdar. Ich fordere von Dir, Laß Du diesen Herrn nie wieder siebst, denn nach dem Miß brauch meines Vertrauens, dessen er sich schuldig ge macht bat, bleibt ihm mein HauS natürlich von jetzt ab verschlossen." „Ich habe Ihren Vorwurf bereits zurückgewiesen", sagte der Arzt mit Haltung. „Jahre lang habe ich diese Neigung in mir bekämpft und still gehegt; dann kam ein Augenblick, wo wir uns Beide unserer gegenseitigen Liebe bewußt wurden, und von da ab harrte ich nur auf den Zeilpunct, der mir in meinen eigenen Augen und vor der Welt die Stillung gab, die mich Erna'« würdig machte." „Ueber diesen Punct muß ich mir mein Urtheil Vor behalten, Herr Doctor und ich meine, eS könnte nie eintreten", sagte der Freiherr stolz. „Zunächst gehört Erna die Entscheidung; ich habe ihr einen Namen zu bieten, der schon jetzt mit Anerkennung genannt wird. Auf Grund meine« Bucke« soll meine Be rufung auf einen akademischen Lebrftuhl erfolgen; man Kat bereit« bei mir angefragt. Ich habe Ihnen nicht verhehlt, daß ich den Namen Blanden der Güte hochherziger Mensche»
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