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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.08.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-08-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960831026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896083102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896083102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-08
- Tag1896-08-31
- Monat1896-08
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Erobere Schriften laut unserem Preis« verzeichnib. Tabellarischer und Iisfernsatz noch höherem Tarif. Ertra-Vrilagen (gefalzt), nur mit d«, Htoraen«Ausgabe, ohne Postbeförderung SU.—, mit Postbetörderung 70.—. Ännahmeschluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 UhL Margea-Ansgabe: Nachmittag« «Uhr. Vei den Filialen nnd Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck nnd Ver'"i -- Polz in Leipzig Montag den 31. August 1896. W. Jahrgang. Die Wirren im Orient und die Aufgabe der Mächte. * Mit dem Besuche des Zaren sind der Zarin in Wien ist ein Ereigniß in die Wirtlichkeit getreten, das schon lange vorder in der Presse erörtert worden war. Um so spärlicher ist jetzt, nachdem ter Besuch vorüber ist, die positive politische Ausbeute. Wenn man die Berichte über die Wiener Zarenlage mustert, so findet man wohl blühende Schilderungen der Galaoper, des Festmahls, des Iagdansflugs u. s. w>, aber die einzige offenkundige Thatsache von politischer Tragweite ist in dem Trinkspruche des Kaisers Franz Ipsef gegeben, der in dem Besuche „ein neues Unterpfand der Freundschaft" erblickt. Die Erwiderung des Zaren beschränkte sich auf die schlickte Acußcrung herzlichen Dankes. Außerdem cursiren ver schiedene Meldungen über den intimen Meinungsaustausch zwischen den beiden Herrschern nnd zwischen ihren leitenden Ministern; cS wird versickert, daß Rußland an seiner correct friedlichen Politik festhalten und ein Uebergreifen der orien talischen Wirren auf die Beziehungen und Verhältnisse der euro päischen Mächte zu verbüken suchen werde. Wir zweifeln an der Richtigkeit dieser Auffassung nicht und unterschätzen ebenso wenig die Bedeutung de« Zarenbesuches in Wien. Es ist gewiß von hobem Werthe, wenn die beiden Mächte, die auf dem Conlinent das stärkste Interesse an dem Stande der Dinge im Orient haben, sich einig sind in dem Entschlüsse, den europäischen Frieden vor Erschütterungen zu bewahren, die aus den Zuckungen und Krämpfen des Türkenreichs ent springen können. Aber so hoch wir diese Einigkeit anschlagen, so muß man doch im Intevesse der Humanität und des ChristenthumS dringend wünschen, daß dieses Concert der Mächte auch endlich Ruhe im Reiche des Sultans schassen möge. Denn kaum ist der Braud in Kreta dem Erlöschen nahe, so bricht eine verheerende Stichflamme in der Haupt stadt der Türkei selbst hervor. Was zunächst Kreta betrifft, so ist eS bekanntlich ge lungen, die Mächte unter sich auf ein Rcsormprogramm zu einigen, das der Insel eine weitgehende Selbstständigkeit in der Verwaltung ihrer Angelegenheiten unter der Eontrole der Mächte gewähren soll. Mit einigen Abänderungen haben diese Vorschläge auch endlich nach starkem Druck die Billigung der Pforte gefunden, ein Irade des Sultans bat sie bereits proclamirt, und eS scheint, als ob auch die Aufständischen in Kreta, die bisher in der offenen Unterstützung Griechenlands und der zweideutigen Haltung Englands eine Ermulhigung fanden, dem Programm zustimmen wollten. Inzwischen dauern freilich die blutigen Scharmützel auf Kreta, die nach Laudesbrauch mit Grausamkeit geführt werden, noch fort, und nach den bisherigen Erfahrungen darf man wohl der Zukunft skeptisch gegenüberstehen, ob es ihr gelingt, die Ver- Iprechungen der Psorte und ihre Ueberwachung durch die Mächte zur That reifen zu lassen. Jedenfalls wird man in diesem Skepticismuö bestärkt angesichts der Greuelthaten in Konstantinopel. Die furchtbaren Massacres, das Elend und die Notb, die Schwert und Hunger über daö Volk der Armenier im TUrkenreiche gebracht baden, sind die Ursachen, die zu einer verbrecherischen That der Verzweiflung geführt haben. Die Absetzung LeS armenischen Patriarchen Izmirlian und die Installirung seines Nachfolgers Barlho- gcmios, der sich selbst öffentlich als ewigen Sklaven des Sultans bezeichnet hat, boten den äußeren Anstoß. Eine Handvoll Emissäre der armenischen RevolutionscomitvS be mächtigte sich der Ottomanbank, gleichzeitig brachen in ver schiedenen Stadttbeilen Konstantinopels Unruhen aus. So berichten türkische Meldungen, während von griechischer Seite die Emeute als Werk von provocateurs bin- gestellt wird, um am Tage des Zarenbesuchs in Wien und der ossiciellen Beendigung der kretischen Wirren ein furcht bares Exempelvon türkischen Fanatismus;» statuiren. Wie dem aber auch sei, selbst wen» die Schuld in einem verbrecherischen Anschlag armenischer Heißsporne liegt, so ist die Strafe dock über alle Maßen entsetzlich: die Rädelsführer sind mit den: Leben davoiigekommen, qber ihre unschuldigen Glaubens genossen sind zu Tausenden von dem Pöbel erschlagen worden. Alles, was Armenier war, wurde gehetzt und Polizei und Militair sah anfangs Gewehr bei Fuß dem Morden zu, be- theiligte sich Wohl sogar gelegentlich daran, bis endlich Ruhe geschafft worden ist. Die Botschafter der Mächte, zu deren Schutz die Stationsschiffe bereit waren, haben in gemeinsamer Note der Pforte ernste Vorstellungen gemacht, nnd die Rätbe des Sultans haben eS abermals an besckwicktigenden Zu sagen nicht fehlen lasten. Auch ist „man", wie eS heißt, angesichts des einmütbigen Verhaltens der Mächte in Len amtlichen Ecntren Europas der Uebcrzeugung, daß der Zwischenfall, wie der zahme Ausdruck für das blutige Ge metzel lautet, einen ungünstigen Einfluß aus die politische Ge- saiumtlage nickt ausüben und den friedlichen Charakter der Situation nickt beeinträchtigen werde. Das hoffen wir auch, aber das ist doch nickt genug. ES ist eine Sckande und eine Schmach, daß am Ausgang unseres Jahrhunderts derartige Greuelthaten sich auf ^em Boden des alten Europas er eignen, ohne daß ihnen Einhalt getl'an wird. Morgen kann ein neuer Brand außbrcchcn, und der muselmanische Fana tismus, der die armenischen Christen zu Tausenden mordet, wird eines Tages auch die westeuropäischen Christen nicht verschone», wenn die Mächte nicht ein sehr ernstes Wort, hinter dem Thatcn stehen, mit der Pforte reden. Bemerkcnöwerther Weise wird eine Sprache, die Thatcn verbeißt, gerade jetzt in Kundgebungen deutscher und öster reichischer Ossiciösen gefordert und in Aussicht gestellt. Eine Wiener Correspondenz der Münchener „Allgemeinen Zeitung" fordert, daß Europa „seine Aufmerksamkeit der armenischen Angelegenheit nnd den Zuständen im Orient überhaupt von Neuem, und zwar in sehr ernster Weise zuwende". Und im „Hamburger Corresp." finden wir die folgende, zweifellos in- spirirte Kundgebung: „Für uns ist das Wichtigste in der Oriemfrage, von welchen Grundsätzen Deutschland bei den Verhandlungen unter den Mächten ausgeht. Dafür liegt ein urkundliches Beweisstück in der Thronrede von Anfang Tccember 1895 bei Eröffnung deS Reichstages vor. Am Schlüsse derselben heißt es: „Ten beklagenswerthcn Vorgängen im türkischen Reiche und der da durch geschaffenen Situation ist unsere ernste Aufmerksamkeit zugewandt. Getreu seinen Bündnissen und den bewährten Grundsätzen deutscher Politik ist das Reich allezeit bereit, mit den durch ihre Interessen in erster Reihe berufenen Mächten zusammenzuwirken, um der Sache deS Friedens zu dienen. Die Einmüthigkeit des Entschlusses aller Mächte, die bestehenden Verträge zu achten und die Regierung Sr. Majestät des Sultans bei Herstellung geordneter Zustände zu unterstützen, begründet die Hoffnung, daß den vereinten Anstrengungen der Erfolg nicht fehlen werde." Aus dieser Erklärung treten zwei Gesichtspunkte hervor, näm lich daß Deutschland den an erster Stelle interessirten Mächten den Vortritt überläßt und sich ihnen anschließt, dann aber, daß die Erhaltung und Unterstützung der Türkei» Len Hauptgedanken bildet. Verständlich und anerkennenswerth ist es, daß das deutsche Reich dort, wo es nicht unmittelbare Interessen zu vertreten hat, sich nicht vordrängt und unnöthig einmischt; doch wird damit in keinem Falle gesagt sein sollen, daß Deutschland unter allen Umständen zu den Beschlüssen der zuerst berufenen Mächte Ja sagt. Wenn Deutschland die Erhaltung des Friedens zunächst im Auge hat, so muß es darauf bestehen, daß keine Beschlüsse gefaßt werden, welche keinen Bestand versprechen und einen wirklichen Frieden auf lange hinaus unsicher erscheinen lasten- Unter diesem Gesichtspunkte steht Deutschland nicht nur in erster Reihe, sondern es nimmt als uninteressirt den freiesten Stand punkt ein und kann in einzelnen Füllen den Aus- schlag in dem vielseitigen Widerstreite geben. Die in der Thronrede ausgesprochene Hoffnung, daß den vereinten An- strengungen der Erfolg nicht fehlen werde, hat sich jetzt nach neun Monaten noch nicht erfüllt und täglich fast ver- sch l im wert sich noch die Lage in der Türkei. Offenbar reichen die damaligen Grundsätze über die Unterstützung der Pforte nicht mehr aus. Der Vertrag von Haleppa ist unter Garantie der Mächte geschlossen worden. Der Berliner Congreß hat über Armenien und Makedonien gewisse Reformen be schlossen, sie sind sämmtlich unausgeführt geblieben. Die bloße lieber,instimmung der Mächte genügt bei der heutigen größeren inneren Schwäche der Türkei noch weniger für eine Erfüllung der vereinbarten Bedingungen. Es muß ein Modus des unmittel baren Eingreifens gesunden werden, sonst ist kein Friede zu hoffen." Eine solche Kundgebung würde schwerlich erfolgt sein. Wenn nickt der in Wien gepflogene Meinungsaustausch zwischen Kaiser Fran; Josef und dem Zaren und zwischen ihren leitenden Ministern, ein Meinungsaustausch, dessen Resultate auch dem deutschen Botschafter in Wien nicht unbekannt geblieben sind, wenigstens die Hoffnung erweckt hätte, unter den Mächten eine Uebereinstimmung nicht nur über das zu erstrebende Ziel, sondern auch über die Wege zur Erreichung dieses Zieles berbeisühren zu können. Daß, wenn diese Annahme richtig ist, dem russischen Minister des Auswärtigen, Fürsten Lobanoff, ein wesentlicher Antheil an dem Ergebnisse zuzuschreiben sein wird, unterliegt keinem Zweifel. Um so bedeutungsvoller ist die Nachricht, daß der Kürst gestern auf der Reise von Wien nach Kiew plötzlich gestorben ist. Entgegen den früheren Dis positionen, war er nach Wien beordert worden, um dort an den diplomatischen Erörterungen rheilzunchmen. Sckon krank, war er dem Rufe des Zaren gefolgt und hat wahrscheinlich in der Erfüllung dieser Pflicht feinen Tod gefunden. Pessimisten werden in diesem plötzlichen Todesfälle ein übles Omen erblicken, und auf alle Fälle wird er wenigstens eine Verzögerung in den weiteren Verhandlungen der Mächte über gemeinsame wirksame Schritte der Pforte gegenüber zur Folge haben. Aber da Fürst Lobanoff zweifellos in vollster Uebereinstimmung mit dem Zaren die Unterredungen in Wien geführt bat, so ist zu erwarten, daß ihm ein Nachfolger gegeben wird, der ganz in seinem Sinne die Verhand lungen weiter führt. Jedenfalls wird dieser Nachfolger schleunigst ernannt werden müssen, wenn dem Besuche des Zaren in Breslau nicht die tiefere Bedeutung genommen werden soll, den das Zusammentreffen des Zaren mit dem deutschen Kaiser durch die Wiener Erörterungen über die orientalische Frage erhalten zu sollen schien. Sollte die Ernennung sich verzögern, so würde darin ein Beweis dafür zu erblicken sein, daß der Zar wenigstens auf Schwierig keiten bei der Wahl eines Mannes stößt, der den Willen und das Geschick hat, Dreibund und Zweibund zu Schritten zu vereinen, die das Weitergreifen des Brandes im Orient verhüten. Dazu wird besonders feiner Tact Frankreich gegen über gehören, das trotz der mahnenden Stimmen Einzelner noch immer in dem Traume schwelgt, der bevorstehend:' Besuch des Zaren werde drn Revanchefreunden die Zu sickerung russischer Beihilfe zur Wicdererwerbung der „geraubten Provinzen" bringen. Daß Kundgebungen Vieser Hoffnung bei der Anwesenheit des Zaren in Paris ;n den fatalsten Zwischenfällen führen könnten, haben wir schon mehrfach betont. Bei der Lage der Dinge im Orient und der gemeinsamen Aufgabe der Mächte, die von dort drohenden Gefahren abzuwehren, könnten chauvinistiscke Kundgebungen bei dem Besuche des Zaren in der französischen Haupt stadt die mühsam erstrebte und ungebahnte Aufstellung eines entschiedenen Aktionsprogrammes zu Gunsten dauern der Beruhigung im Oriente für lange Zeit zum Scheitern bringen und die Gefahren eines orientalischen Brandes erheblich steigern. Dem Nackfolger des Fürsten Lobanoff fällt daher die schwere Aufgabe zu, nicht nur die in Wien gepflogenen Verhandlungen weiter und ;u einem günstigen Ergebnisse zu führen, sondern auch aus die Stimmung in Frankreich calmirend einzuwirken, obne doch den gallischen „Verbündeten", ter Rußland noch so manchen guten Dienst leisten soll, allzu bitter zu enttäuschen und dadurch von dem Einvernehmen ter Mächte über einen gemeinsamen Versuch zur Beruhigung des Orients abznsprengen. Deutsches Reich. * Berlin, l>0. August. Endlich findet eine französische Zeitung, das „Journal des DöbatS", Worte, nm sich gegen den nervösen, allerlei wunderliche Absonderlichkeiten zu Tage fördernden Fiebereifer zu wenden, mit dem man in Frankreich die Vorbereitungen für den Zaren besuch betreibt, obwohl noch mehr als fünf Wochen vor dem Ereigniß liegen. Das Blatt tadelt vor Allem den taktlosen Uebereifer, der sich in den Vorschlägen kundgiebt, die Erinnerung an historische Zwistigkeiten zwischen Frankreich und Rußland durch Aus lieferung von SiegeStropbäen oder Umtaufung von Straßen verwischen zu wollen, und meint, wenn m Rußland Jemand den Vorschlag macken wollte, dir französischen Kanonen, die zu Hunderten den Ebrenbof des Kreml füllten, an Frankreich zurückzugeben, so würde er im russischen Volke wenig Anklang finden. „Wir tbäten gut daran", schließt das Blatt, „auch uns diese Zurückhaltung anzueignen, um nicht vor dem Auslände, das dem Ucbermaß seltsamer Gedanken und Vorschläge von zweifelhaftem Gcsckmack, die bei uns auftauchcn, staunend zusicht, nickt Gegenstand des Gelächters oder noch etwas Schlimmer» zu werden." Im Anschluß daran ist eS interessant, wie ein englischer Be- urtbeiler, der Berliner Vertreter der „Times", über die Hal tung der deutschen Presse urlbeilt. Er sagt: „Die Betrach tungen der deutschen Presse über die Reise des Zaren sind von einem sehr objektiven Standpunkt aus gesckrleben. In ruhigem Tone behandelt man den Aufenthalt des Zaren in Frankreich, wenn auch, trotz gelegentlicher Erwähnung der kindischen Begeisterung der Pariser, die politische Be deutung deS Ereignisses nicht unterschätzt wird. Diese Ruhe der deutschen Presse ist bemerkenswerlb, denn sie scheint der Ausdruck des aufrichtigen Vertrauens auf die friedlichen Absichten des russischen Monarchen und der Annahme zu sein, daß die Wirkungen ter russisck-fran;ösischen Verständigung sich mehr in Asien und Afrika als in Europa fühlbar machen werten." Man könnte — bemerkt die „Köln. Ztg." — dem binzufügen, daß sich die Zuversicht, mit der man in Deutschland der Rundreise deS Zarenpaares folgt, zum Theil auch auf das Bewußtsein stützt, im Dreibunde immer noch die sicherste Friedensbürgschast zu besitzen, während sich anderseits die Nervosität der Franzosen daraus erklärt, daß sie trotz aller Freundschaft doch keine praktischen Erfolge ihrer Russenliebe Sühne. 16j Roman von E. Halde». Nachdruck verboten. Stadler empfand diese Geringschätzung mit verbissenem Grimm, er hatte sich auch bei dem Freiherrn beklagt, aber keinen Erfolg gehabt. Es war an einem Gesellschaftsabende im Wildburz'lchen Palais, als er sich besonders verletzt fühlte. Die Baronin hatte über ihn fort gesehen, als ob er Lust wäre, und wie er auf sie zutrat und sich dreist über ihre Grausamkeit beklagte, die sich ihm in beständiger Ungnade offenbare, da hatte sie ihn nur mit einem unendlich bochmüthigen Blick gemessen und sich ohne ein Wort von ihm abgcwandt. „Warle, das sollst Du mir büßen", knirschte Stadler in wütbendem Zorn und ballte die Hand zur Faust, während er in seinem Schlafgemach auf- und abschritt, denn die Er innerung an die erlittene Demüthignng regte ihn zu sehr auf, um ihm den Schlaf zu gestatten. „Dieser Stolz soll sich vor mir beugen, im Staub soll die bochmüthige Frau sich vor mir winden und vor meinem Blicke zittern. WaS liegt mir daran, wenn ich ihren Mann beherrsche, so lange sie mir widersteht? Beide sollen sie mein Joch tragen, jede Schonung soll aushörcn." Am nächsten Tage ließ er sich bei der Baronin melden und bat um ein Gespräch unter vier Augen. Die Antwort, daß sie verhindert sei, überraschte ihn nicht; er schrieb einige Zeilen aus seine Karte und sandte diese in verschlossenem Couvert zu ihr hinein, denn er wußte, daß keine Be sucher da waren und daß sich der Freiherr bei einem par lamentarischen Diner befand, das ihn lange in Anspruch nehmen mußte. „Eine Mittbeilung von äußerster Wichtigkeit führt mich zu Ihnen, gnädigste Baronin", laS Melanie, „Sie müssen mich hören, denn eS hängt Glück und Leben anderer Menschen davon ab." Di« Baronin wollte erst bei ihrer Weigerung beharren, weil ihr diese Einkleidung seines Verlangens wie eine plumpe j List erschien. Doch dann kamen andere Erwägungen, er besaß ja unzweifelhaft eine geheime, übergroße Macht über ihren Gatten, und vielleicht erfuhr sie deren Ursprung und konnte sie dann eher bekämpfen. So gab sie den Befehl, Herrn Stadler vorzulassen. „Ich danke Ihnen, gnädige Frau, daß Sie sich so weit überwanden, meine Bitte zu gewähren", begann er, nachdem er sie ehrerbietig begrüßt hatte und von ihr mit kalter Höflichkeit empfangen war. „Es hat mir schon oft Kummer bereitet, daß wir uns so wenig verstehen, und es liegt mir doch so viel daran, Sie von der Freundschaft zu überzeugen, die ich nicht nur Ihrem Gatten bewiesen habe, sondern die ich auch für Sie und Ihre Kinder hege." „Sehr gütig, aber ich fürchte, Sie machen sich eine ver gebliche Mühe, Herr von Stadler", sagte Melanie ruhig, „denn ich verzichte durchaus auf den Vorzug, von Ihnen in so schmeichelhafter Weise ausgezeichnet zu werden. Mein Bedürfniß nach Freunden ist durch die alten und erprobten, die wir besitzen, so vollständig befriedigt, daß ich mich nicht nach neuen sehne." „Uebcr Ihre Empfindungen in dieser Beziehung haben Sie mich allerdings nicht im Zweifel gelassen, gnädige Frau", erwiderte Stadler höhnisch, „doch ich vergab Ihnen all die stolzen Ueberhebungen, durch die Sie mich an mein Nichts erinnern wollten. Erschien ich Ihne» doch als ein Ein dringling in Ihr Haus und Ihre Kreise und ahnten Sie doch nicht, wie eng das Geschick meine und Ihre Pfade mit einander verschlungen hat. Deshalb will ich Ihnen volle Klarheit verschaffen. Aber was ich Ihnen mitzutheilen habe, ist nur für Ihr Ohr. Wir sind doch völlig sicher vor jeder Störung?" Melanie war zu Muthe, als müßte Sie den frechen Menschen hinausweisen, und doch wagte Sie nicht, ibm wie sonst zu begegnen, eine geheime Angst schnürte ihr die Brust zusammen, und der lauernde Blick, womit er sie betrachtete, übte eine Art von lähmender Gewalt über sie aus. So antwortete sie matt: „Ich bin bereit, Sie anzuhören." „Meinen unterthänigsten Dank für diese Gnade", saAte Stadler spöttisch. „Doch machen Sie dieselbe vollständig, in dem Sie den Befehl geben, Niemand einzulassen, bis Sie rufen werden." Die Baronin klingelte und sagte dem eintretenden Be dienten, daß sie für Niemand zu sprechen sei, ohne Ausnahme. Dann ließ sie sich auf die seidenen Kissen eines tiefen Lehn stuhles nieder und machte ihrem Besucher, der noch immer stand, ein Zeichen, sich auch zu setzen, indem sie auf einen etwas entfernten Fauteuil wies. Er dankte mit unange nehmem Lächeln und rollte ibn in ihre unmittelbare Nähe, so daß sie unwillkürlich sich zurücklehnte, so weit sie cS ver mochte. „Es geschieht in Ihrem Interesse, gnädige Baronin; für das, was ich zu erzählen habe, ist daS laute Wort nicht ge macht", sagte er dabei. „So sprechen Sie endlich und lassen Sie uns diese pein liche Unterredung so kurz wie möglich fassen", rief die Baronin ungeduldig. „Ganz nach Ihrem Befehl, gnädigste Baronin; aber Sie müssen mir schon gestatten, um Jahre zurückzugreisen und Ihnen in einer längeren Erzählung die Ansprüche zu er klären, welche ick an Ihre Freundschaft und Duldung habe. Obne Umschweife will ich mich selbst Ihnen als den vor stellen, der ich bin, als Paul Brandt, den Sohn Ihrer alten Kinderfrau." „So sind Sie ein frecher Betrüger und wagen es, uns mit einem solchen Gaukelspiel zu hintergeben!" rief Melanie entrüstet aus. „Aber glauben Sie nicht, daß ich mich zu Ihrer Mitschuldigen berabwürdigen lasse. Noch beute soll der Freiherr Alles erfahren, und das wird genügen, um Sie auS unserer Nähe zu entfernen. Ich bedarf keiner weiteren Ge ständnisse, die für mich kein Interesse haben." „Wie schön Ihnen diese Entrüstung steht, gnädige Frau!" sagte Brandt mit dreister Bewunderung. Melanie deutete nach der Thür, Ihr Zorn machte sie stumm. „Nein, urtheilen Sie nicht so hart", fuhr er fort, „Albrecht weiß Alles und er würde der Erste sein, der mich in meiner jetzigen Stellung beschützt und erhält. Da dürfte die Gattin doch nicht gegen den eigenen Mann anklagend austreten. Ge statten Sie, daß ich weiter fortsabre und zuerst von mir spreche, so wenig ick auch Ihrer Beachtung Werth scheine. DaS Schicksal bat also wenig für mich gethan, und ich fand es auch schwer und mühsam mir einen Weg zu bahnen, dessen Ziel mick nicht für die gemachten Anstrengungen entschädigte. So trieb ich mich in der Welt herum, batte ab und zu Glück, scheiterte oft an den Klippen und Untiefen des Lebens und lebte mehr auf dem Trocknen als im Vollen. Ick versuchte es ui verschiedenen Stellungen und ergriff bald diese, bald jene Laufbahn, mußte sie aber wieder anfgeben, und zwar, wie ich nicht verhehlen will, meist durch meine eigene Cckuld. Was ich mir dabei erwarb, waren keine Schätze, weiß Golt, meine Taschen waren fast immer leer und der letzte Pfennig der alten Frau, meiner Mutter verschwand darin; ick erwarb nur Gewandtheit, Entschlossenheit, die Kunst den Augenblick auszunntzen." „Ihr Lebensweg stößt mir wirklich nickt die geringste Tbeilnahme ein, und ich entbinde Sie gern von dessen Schilderung", unterbrach ihn die Baronin. „Ich bin schon im Begriff, von meinem unbedeutenden Selbst aus interessantere Gegenstände zu kommen. Diese VorauSsckickungen schienen mir aber unerläßlich", erwiderte der Erzähler. „Vor ungefähr seckS Jahren batte ich eine vortreffliche Stellung als Buchhalter in einem großen Hotel gefunden, dock ermattete mein Eifer bereits, und ich besaß nicht mehr die Zufriedenheit meines PrincipalS, wie cs mir an Lust fehlte, als ein Ereigniß eintrat, das mein Leben nock beute bestimmt. Es war kurz vor Pfingsten, die Hotels von Reisenden überfüllt, und ick lag halb schlafend nach einem ermüdenden Tagewerke auf meinem Bette, als mich daS Verlangen eines Fremden nach dem Schlüssel weckte, welcher die Kähne im nahen See an ihre Kette fesselte." „Wo war das?" fragte die Baronin athemlos. „Aus Stubbenkammer. Nicht wahr, gnädige Frau, jetzt gewinnt meine Geschichte an Interesse?" fragte der Erzähler mit höhnischem Lächeln. „O, Sie werden wir das Lob nicht versagen, daß ich Sie in Spannung erhalten habe durch meinen Bericht." „Weiter, weiter", drängte die Baronin mit bleichen Mienen. (Fortsetzung folgt.)
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