ERNST BARLACH Über das Werk Barlachs ist so viel Schönes, das der Deutung von Ge staltung und Gehalt, und so viel Tiefes, das der Ergründung der geistig seelischen Substanz diente, geschrieben worden, daß es müßig erscheint, hier eine abermalige Auslegung zu versuchen. Alle, die gefangen sind von der Schöpfung dieses Meisters und aus Liebe und Verehrung zur Feder griffen, um der Mitwelt das Mitreißende und Erschütternde seiner Ge schöpfe zu künden, sind erfüllt von ihrer Jüngermission. Ich habe keine ernsthafte Besprechung gefunden, die nichts Wesentliches offenbarte. Aber Versuch bleibt alles, was den weltdurchdringenden Ton Barlachscher Gestalten in Worten widerspiegeln will; es sei denn, der berufene Dichter, der der gleichen geistigen Mentalität verhaftet ist, gestaltet in mächtigen Gesängen das Epos des Lebens. Barlachs Menschen sind allumfassend, weil sie im Mittelpunkt aller menschlichen Existenz stehen. Alle Lotungen von der Peripherie des Lebens her münden hier. Sie sind Ausdruck des Menschentums, der Menschlichkeit, des Menschen schlechthin, wie ihn sich Gott bei der Schöpfung als geistigen Typus gedacht haben mag. Barlachs Werk ist nicht problematisch. Es ist trotz seiner Weite und seiner Ausstrahlung in alle Bezirke des Menschlichen und des Künstlerischen eindeutig und klar: Fest umrissen der Kontur, bestimmt Gesamt- und Einzelform, übersichtlich das Spiel der Linienführung; unmißverständlich in der seelischen Haltung, präzis formuliert die Zugehörigkeit zu einer Welt, die mit der Erde bewußt verwachsen ist, deren geistige Heimat aber über alle faßbaren Grenzen hinausreicht. Die spekulative, sensible (letzten Endes doch in Gefühl und Stimmung hängen bleibende) Geistigkeit, die nur über den Intellekt hinweg ganz erlebt werden kann, wie sie bei manchem modernen problematischen Kunstwerk zu finden ist (das Be mühen um die „absolute Kunst“ soll nicht abgelehnt werden), fehlt Bar lach völlig. Er schöpft aus den kosmischen Tiefen des menschlichen Lebens, und darum sind seine Geschöpfe nicht Individuen; sie tragen das ewige Antlitz des mit Erde und Himmel Verbundenen. Barlach ist vielleicht der deutscheste Bildhauer, den die moderne Kunst geschichte kennt. Weder Rodin noch Maillol, um die beiden einfluß reichsten Plastiker der neueren europäischen Kunst zu nennen, sind in seinem Werke spürbar. Der Impressionismus in seiner veräußerlichenden, psychologisierenden und stimmungsbetonten Wesenheit hat ihn auch in seiner frühen Schaffensperiode kaum berührt. Und die Sehnsucht nach der harmonischen Heiterkeit des Hellenentums ist seiner faustischen Natur